Lieferung 94

Karl May

12. Juni 1886

Der verlorne Sohn
oder
Der Fürst des Elends.

Roman aus der Criminal-Geschichte.


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Sie eilte fort, und er konnte ihr nicht einmal nachblicken, da sich der Wagen wieder in Bewegung setzte.

Als er dann oben im Schloßhofe ausstieg, erfuhr er von dem Diener, daß sein Vater sich in seinem Arbeitszimmer befinde. Er begab sich dorthin und trat ein, als Sohn natürlich unangemeldet.

An dem Tische saß eine lange, schmächtige, weit nach vorn gebeugte Gestalt mit grauen, wohl zu früh gebleichten Haaren. Der Mann blickte sich um und erhob sich vom Stuhle, als er seinen Sohn erkannte.

»Walther, Du?« sagte er. »So rasch habe ich Dich freilich nicht erwartet.«

»Du wünschtest Eile, und ich gehorchte natürlich.«

Sie umarmten und küßten sich. Jetzt sah man die Ähnlichkeit, welche zwischen Vater und Sohn herrschte. Der Erstere fragte:

»Bist Du vielleicht von der Reise sehr ermüdet?«

»Gar nicht, lieber Vater.«

»So restaurire Dich, und dann wollen wir von der Angelegenheit sprechen, welche Deine Gegenwart wünschenswerth macht.«

»Restauriren? Meinst Du essen und trinken, die Kleidung wechseln? Das ist nicht nöthig. Ich habe weder Hunger noch Durst. Sprechen wir also gleich jetzt.«

»Gut. Du bist wie ich. Was man zu fassen hat, das soll man schleunigst fassen. Also setze Dich!«

Sie nahmen einander gegenüber Platz. Der Vater steckte sich eine Cigarre an und schob dann dem Sohne das Kistchen zu. Als beide Cigarren dampften, begann der Erstere:

»Du schriebst um Geld - -«

»Wörtlich nicht, obgleich mein Wunsch zwischen den Zeilen zu lesen war.«

»Brauchst Du viel?«

»Einstweilen nichts. Die Angelegenheit hat sich erledigt.«

»Das ist mir lieb, denn meine Kasse ist leer. Weißt Du, wer sie geleert hat?«

»Wir Beide wohl,« antwortete der Sohn lächelnd.

»Ganz richtig, wir Beide. Wir sind eben echte Hagenaus, sorglos, wohlthätig, großmüthig; dagegen laßt sich nichts sagen. Du weißt, ich liebe es nicht, über Geschehenes zu raisonniren oder gar zu jammern. Man kann das Geschehene niemals ändern, unter Umständen aber es vielleicht wieder gutmachen; durch Heulen und Klagen aber ist dies nicht möglich. Also sehen wir dem Dinge offen in das Gesicht. Wenn wir noch ein halbes Jahr in der jetzigen Weise fortleben, sind wir bankerott!«

Er sagte dies ohne Leidenschaft und strich dabei ruhig die Asche von der Cigarre.

»In sechs Monaten,« meinte der Sohn nachdenklich.

»Ja, dann sind wir vollständig fertig.«

»Das ist schlimmer, als ich dachte.«

»Wie dachtest Du Dir die Angelegenheit?«

»Ich hielt einfach unsere Activen für bedeutender. Wenn Du von sechs


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Monaten sprichst, so beträgt unser activer Besitz also nicht mehr als eine Summe, welche wir bisher in einem halben Jahr zu verbrauchen pflegten.«

»So meine ich es.«

»Das ist verdammt wenig. Ich glaubte Deinen Schrank voller Papiere - Deine Gemälde - -«

»Ah pah! Meine Gemälde taugen nichts; ich bin von einer ganz infam organisirten Bande scheußlich betrogen worden. Ich glaubte, ein Kenner zu sein, und sehe nun zu spät ein, daß ich nichts als ein Esel gewesen bin. Es sind Hunderttausende hinausgeworfen worden. Und meine Papiere? Ich habe speculirt und dabei nichts gewonnen als die Ueberzeugung, daß ich Alles hinauswarf, mein Bankier aber Alles für sich auflas. Wir haben also Tabula rasa. Wie steht es nun mit Dir?«

Der Sohn zuckte die Achseln.

»Schulden natürlich!« meinte der Vater.

»Ich befand mich in schlimmer Verlegenheit, bis Randau mir heute unaufgefordert fünfzehntausend Gulden lieh.«

»Braver Kerl! Er soll sie bald zurückerhalten!«

Der Vater kam gar nicht auf den Gedanken, einen Tadel gegen den Sohn hören zu lassen. Dieser Letztere horchte auf und fragte:

»Bald zurück? Wovon denn? Du sprachst ja von Tabula rasa.«

»Geld muß werden, mein lieber Walther; ist's nicht auf die eine, so ist's doch auf die andere Weise. Laß uns nur erst noch von Dir sprechen. Da schreibt mir mein Bruder aus Rollenburg einige Zeilen. Hast Du vielleicht eine Ahnung, welchen Gegenstand es betrifft?«

»Ich kann es mir denken.«

»Du bist unvorsichtig gewesen!«

»Leider! Wohl aber nicht in der Weise, wie er es vielleicht schildert.«

»Er ist allerdings ein wenig überschwenglich. Er erzählt da von einer gewissen Melitta - -?«

»Pah! Wir tranken einige Flaschen Wein bei ihr; aber sonst ist nichts geschehen.«

»Sodann von gewissen gefälschten Banknoten -?«

»Ich habe sie nicht gefälscht!«

»Sie aber im Spiele gewonnen. Du sollst überhaupt in letzter Zeit ein großer Freund dieser Unterhaltung gewesen sein.«

»Nicht mehr als jeder Andere auch. Ich spiele nicht leidenschaftlich; ich bin im Stande, dieser Passion zu jeder Zeit und ohne alle Mühe zu entsagen.«

»Das freut mich! Also Du weißt, über welche Mittel wir noch gebieten. Man hat angefangen, uns in die Fensterscheiben zu blicken. Es sind mir zwei Hypotheken gekündigt. Zahle ich nicht, so folgen die anderen Gläubiger nach, und wir sind ruinirt. Ich muß binnen jetzt und zwei Monaten baare hunderttausend Gulden schaffen.«

»Höchst angenehm!«


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»Lassen wir allen Sarkasmus. Die Sache ist wirklich sehr ernst. Kannst Du dieses Geld schaffen?«

»Nein.«

»Ich auch nicht.«

»So sind wir eben bankerott!«

»Oho! ein Hagenau macht nicht bankerott. Für ihn, als den Träger eines so wohlklingenden Namens, giebt es stets ein Mittel, in der angegebenen Zeit lumpige hunderttausend Gulden zu schaffen.«

»Du meinst die Heirath?«

»Ja.«

Der Sohn lachte beinahe lustig auf und fragte:

»Wer soll sich dazu bequemen? Du oder ich?«

»Natürlich Du!«

»Sieh mich an! Was giebt es so Schönes an mir?«

»Du bist ein Hagenau, das ist genug.«

»Hast Du Dich vielleicht bereits unter den Töchtern des Landes umgesehen?«

»Natürlich. Ich pflege, wie Du ja weißt, in allen Dingen methodisch zu verfahren.«

»Und Eine gefunden?«

»Ohne Mühe.«

»Mit diesen Hunderttausend?«

»Mit noch mehr.«

»So bin ich begierig, die Herrliche kennen zu lernen.«

»Du kennst sie bereits, wenigstens hast Du sie früher gekannt, wenn Du ihr auch während der letzten Jahre nicht wieder nahe getreten bist.«

»Wer ist es?«

»Theodolinde.«

»Donnerwetter!« rief Walther.

»Was sagst Du dazu?«

»Es giebt meines Wissens nur eine Theodolinde; das ist Fräulein Theodolinde von Tannenstein.«

»Diese meine ich.«

»Sapperment! Sollte die wirklich anbeißen?«

»Gewiß.«

»Sie soll sich zu einer Schönheit entwickelt haben.«

»Sie ist prächtig, sage ich Dir!«

»Hast Du sie gesehen?«

»Erst gestern wieder.«

»Und steinreich!«

»Der Kerl ist ein Krösus. Und denke Dir, daß er jetzt die ganze Baronie Helfenstein erbt.«

»Wieso?«

»Der Stamm hat den Namen Tannenstein geführt; so heißt ja auch das


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Dorf, bei welchem Schloß Hirschenau liegt. Später hat sich eine jüngere Linie unter dem Namen Helfenstein abgezweigt. Diese Linie stirbt jetzt aus und all ihre Besitzthümer fallen natürlich nun dem Tannensteiner zu.«

»Das wäre abzuwarten!«

»Darüber giebt es gar keinen Zweifel.«

»Noch lebt Franz von Helfenstein!«

»Er verfällt ganz bestimmt dem Henker.«

»So ist Alma von Helfenstein da!«

»Das ändert nichts. Sie wird einfach hinausbezahlt.«

»Und ferner munkelt man so allerlei von - -«

»Was munkelt man?«

»Daß ein verlorener Sohn vorhanden sei.«

»Unsinn! Der Junge ist seinerzeit verbrannt. Ich habe gestern mit dem Tannensteiner gesprochen und Alles glatt gemacht. Du brauchst nur zuzugreifen.«

»Was sagte die Tochter?«

»Sie ist einverstanden.«

»Ohne mich zu kennen!«

»Sie sah Dich früher, und außerdem nahm ich ihr Deine Photographie mit. Du schienst ihr ganz gut zu gefallen.«

»Freut mich ungeheuer. Du wirst einsehen, daß ich sie mir doch einmal in Augenschein nehmen möchte, ehe ich eine Entscheidung treffe.«

»Meinetwegen, obgleich eine Entscheidung gar nicht zu treffen ist. Wir brauchen Geld, der Tannensteiner giebt es, und seine Tochter ist eine wahre Juno an Schönheit.«

»Du machst mich wirklich neugierig. Wann könnte ich sie wohl zu sehen bekommen?«

»Drüber in Grünbach, wo sie sich jetzt aufhalten.«

»Lieber möchte ich da gleich noch heute hinüber.«

»Das geht nicht. Der Tannensteiner ist nämlich heute hinauf nach Schloß Hirschenau, um seine Ansprüche geltend zu machen, und kommt erst morgen zurück!«

»So muß ich bis morgen warten.«

»Ich betrachte die Angelegenheit als erledigt. Du heirathest die schöne Theodolinde, und wir bleiben im Besitze unserer sämmtlichen Güter. Am schwersten hätte mich der Verlust unseres schönen Reitzenhain getroffen. Seit wir die Mineralquelle entdeckt und analysirt haben, geht dieser Ort einer Zukunft entgegen.«

»Die Hauptsache wären eclatante Kuren.«

»Die können wir nachweisen. Da ist zum Beispiel ein Herr Holm, früherer Musikdirector, vom Schlage gelähmt und von seinem Arzte so weit hergestellt, daß er nach Reitzenhain transportirt werden konnte. Kaum vierzehn Tage hier, ist er bereits beweglich wie eine Lachsforelle.«

»Kennst Du ihn persönlich?«


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»Ja. Ich spreche gern mit ihm. Er ist ein sehr unterrichteter Mann. Er sitzt gegen Abend vor der Thür. Ich pflege vorüber zu gehen und mich da einige Zeit bei ihm zu verweilen.«

»Er hat eine Tochter?«

»Ja. Kennst Du sie etwa?«

»Randau kennt sie. Von ihm soll ich sie grüßen.«

»Das wirst Du gern besorgen, denn sie ist ein sehr reizendes Mädchen. Sie wird sich zur wirklichen Schönheit entfalten. Schade, daß sie nicht reich und vom Adel ist. Ich würde sie dann sogar dieser Theodolinde vorziehen.«

»Du machst mich gespannt!«

»Und ich warne Dich. Nimm Dich in Acht vor ihren Augen. Da liegt eine ganze Welt von Reinheit, Unschuld und Naivetät darin. Sie ist wirklich gefährlich.«

»Wann könnte man sie sehen?«

»Es ist grad die Zeit, in welcher ich meine Promenade zu machen pflege. Wärst Du nicht ermüdet, so könntest Du mitgehen.«

»Ah, keine Spur von Müdigkeit.«

»Aber essen doch!«

»Wenn wir zurückkehren.«

Sie promenirten vom Schlosse aus durch den Wald, über die Wiesen und dann in das Dorf. Bei einem der letzten Häuser bogen sie um die Ecke desselben und standen da auch sofort vor einem Manne, welcher neben der Thür auf einer Bank saß. Neben ihm sitzend erblickte der Offizier seine schöne Reisegefährtin.

Bei dem Anblicke der beiden Männer erhob sie sich, leicht erröthend, aber keineswegs verlegen.

"Ah, da sind Herr und Fräulein Holm!"

»Ah, da sind Herr und Fräulein Holm!« sagte der alte Hagenau. »Erlauben Sie mir, Ihnen meinen Sohn vorzustellen, welcher heute hier angekommen ist!«

Der Offizier stand ganz unbeweglich vor Erstaunen.

»Was hast Du?« fragte sein Vater.

»Fräulein Holm ist das?«

»Ja.«

»Also nicht die Schu - Schu - -«

»Schusterstochter!« fiel Hilda ein, indem sie ihm die Hand zum Gruße entgegenstreckte.

»Aber Fräulein,« sagte er in vorwurfsvollem Tone, »da haben Sie mich getäuscht!«

»Ich? O nein! Ich habe mich nicht zu einer Schuhmacherstochter gemacht. Freilich hatte ich auch keine dringende Veranlassung, Sie auf das Irrige Ihrer Meinung hinzuweisen, Herr Oberlieutenant.«

»Also lernten Sie auch nicht kochen?«

»Nein, gewiß nicht,« lachte sie.

»Was aber thaten Sie so regelmäßig im Hotel?«


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»Ich besuchte eine befreundete Dame, welche dort logirt.«

»Aber da brauchten Sie doch nicht bis elf Uhr zu bleiben.«

»Das ist mir auch nie eingefallen.«

»Wie? Sie sind eher gegangen?«

»Stets nach genau zwei Stunden.«

»Himmelsakkerment! Und ich stehe täglich von zehn bis zwölf - - ah, na das gehört nicht hierher!«

Sein Vater hatte erstaunt zugehört. Er fragte jetzt:

»Du kennst also die Dame?«

»Ja, obgleich ich nicht gewußt habe, wie ihr Name lautet. Aber, Fräulein, noch Eins zur Aufklärung! Herr von Randau war doch heute bei mir. Warum thaten Sie so, als ob er Ihnen unbekannt sei?«

»Ich habe nicht so gethan.«

»O doch! Warum sprachen Sie nicht mit ihm?«

»Erstens hatte ich keine Zeit dazu und zweitens sprach er ja nicht mit mir. Sie nahmen mich sofort und gänzlich in Beschlag. Sie sprachen von Schustertochter, vom Laden, von der Werkstatt. Ich wußte gar nicht, was sie meinten. Und als ich es errieth, mußte ich schleunigst flüchten, um nicht durch mein Lachen Ihr Mißfallen zu erregen.«

»So hat also Randau Komödie mit mir gespielt?«

»Jedenfalls hat er sich einen Scherz gemacht.«

»Warte, Bursche! Die Lust dazu will ich Dir in Zukunft versalzen!«

Der ältere Hagenau bat um Aufklärung und erhielt sie, soweit dieselbe nöthig erschien. Dann saßen die Vier beisammen in ernsthafter Unterhaltung, abwechselnd mit scherzhafter Plauderei, bis die Sonne gesunken war. Dann schieden sie.

Zunächst schritten Vater und Sohn schweigend neben einander her; dann unterbrach der Erstere die Stille:

»Nicht wahr, ein reizendes Wesen?«

»Ein Engel.«

»Beinahe gefährlich!«

»Mehr als beinahe! Ich möchte ihren Bruder kennen, an dem sie mit solcher Liebe hängt.«

»Er war hier, und ich sprach mit ihm. Er nimmt Einen sofort gefangen, genauso wie sie.«

»Verfluchte Einrichtung.«

»Was?«

»Daß Einem grad Diejenigen gefallen, welche man nicht heirathen darf.«

»Leider! Wäre sie nur wenigstens reich. Ueber die bürgerliche Abkunft könnte man sich beruhigen. Man ist ja nicht mehr so penibel wie früher.«

»Nun bin ich neugierig auf diese Theodolinde.«

»Sie ist die aufgebrochene Rose gegen diese Hilda, welche noch völlig Knospe ist. Du darfst überzeugt sein, eine sehr schöne Frau zu bekommen.«

»Werde sie mir also morgen ansehen, sobald ihr Vater zurückgekehrt ist.« -


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Dieser, nämlich der Herr von Tannenstein, war allerdings nach Schloß Hirschenau gefahren. Er war ein wohl gewachsener Mann mit einem fast ganz kahlen Schädel und trug sich auffallend jugendlich. Er schien ganz besonderen Werth auf Pretiosen zu legen. Er hatte an jedem seiner zehn Finger mehrere Ringe und über seine Weste hingen zwei höchst werthvolle Uhrketten.

Er war seit einiger Zeit auf Schloß Hirschenau bekannt, während er früher niemals dort gesehen worden war. Auch heute kam der Verwalter selbst herbeigeeilt, um ihm aus dem Wagen zu helfen. Der Mann hatte seinen Verwalterposten erst seit Kurzem inne. Es war jener Diener, von welchem der fromme Schuster dem Apotheker Horn erzählt hatte. Er war wenige Wochen vor der Festnahme des Baron Franz in seine jetzige Stelle eingerückt und haßte die Feinde seines Herrn auf das Grimmigste.

»Ist nichts Neues passirt?« fragte der Tannensteiner.

»O, sehr, sehr viel!« antwortete der Verwalter. »Bitte, heraufzukommen! Droben sind wir unbeobachtet. Da stehe ich zu Diensten.«

Er führte ihn eine Treppe hoch in einen Ecksalon, setzte ihm einige Erfrischungen vor und stelle sich dann zur Verfügung.

»Die Zeitungen schweigen sich aus,« sagte Herr von Tannenstein. »Seit der alte Schmied sich aus dem Fenster stürzte, hat man nichts Neues mehr gehört. Es soll mich verlangen, wie es noch enden wird.«

»Unglücklich für den armen Herrn. Er soll Alles, Alles gestanden haben.«

»Dummkopf!«

»O, bitte! Die Arme waren ihm ausgedreht; es kam eine Entzündung hinzu, welche ihm wahnsinnige Schmerzen bereitete, die ihn zum Geständnisse trieben.«

»So ist er verloren.«

»Er war nun auf alle Fälle verloren.«

»Nein. Hätte er fortgeleugnet, so wäre Zeit gewonnen worden. Man hätte ihn befreien oder die schlimmsten Zeugen beseitigen können. Nun er aber gestanden hat, ist er dem Henker verfallen.«

»O Gott! Der gute Herr!«

»Ja. Auch ich lasse nichts auf ihn kommen. Er hätte Viele, Viele verderben können, die er nicht verrathen hat, mich, Sie, den jungen Schmied und noch eine ganze Menge Anderer. Wir wollen ihm dafür ein schnelles Ende wünschen.«

»Glauben Sie wirklich, daß es ihm an den Kragen geht?«

»Unbedingt. Dieser verfluchte Fürst von Befour ruht nicht eher. Na, ein Trost ist es, daß dann die Baronie nicht in fremde Hände kommt. Da sind wir da, die alten Tannensteiner, noch fähig, neue, kräftige Zweige zu treiben.«

»Wenn es nur so würde!«

»Ohne allen Zweifel. Es kann gar nicht anders werden.«

Der Verwalter zuckte die Achsel und sagte:


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»Andere denken nicht so wie Sie, gnädiger Herr.«

»Andere? Wer denn?«

»Hm! Man sagte, der kleine Robert solle noch leben.«

»Unsinn?«

»Man erzählt es sich überall.«

»Das ist Erfindung.«

»Der alte Schmied soll den Auftrag gehabt haben, ihn zu tödten, hat ihn aber am Leben gelassen. Jetzt nun ist er aufgefunden worden.«

»Das ist eine ebenso großartige wie dumme Fabel.«

»Wie aber, gnädiger Herr, wenn wir Beweise hätten?«

»Unmöglich, ganz unmöglich!«

»O doch! Davon, daß Sie die Baronie erhalten, kann gar keine Rede sein. Robert lebt.«

Der Tannensteiner war bleich geworden. Er fuhr von seinem Sitze auf und rief:

»Verflucht! Wenn dieser Bube wirklich noch lebte! Wir haben treu zusammengehalten, der Franz und ich, und nun soll nicht nur der Eine gerichtet werden, sondern auch der Andere um die Früchte aller Anstrengungen kommen. Das geht nicht; das dulden wir nicht!«

»Was soll man dagegen thun?«

»Das wird sich finden. Bringt mir nur erst den Beweis, daß der Junge noch lebt!«

»Dieser Beweis ist da, er liegt vor den Acten beim Untersuchungsrichter. Es ist heute ein Verbündeter hier angekommen, der die Kette der Helfensteiner in der Hand gehabt hat.«

»Wer ist das?«

»Ein Uhrmacher und Goldarbeiter. Er ist einer von den Wenigen gewesen, die das Geschick gehabt haben, sich nicht fangen zu lassen; aber jetzt geht es ihm auch an den Kragen. Da hat er sich aus dem Staube gemacht und ist zu mir gekommen, um mir verschiedene Winke zu geben.«

»Der Mann ist hier im Schlosse?«

»Ja.«

»Bringen Sie ihn einmal her!«

Der Verwalter ging und brachte den Goldarbeiter Jacob Simeon herbei, welcher für den Juden Salomon Levi damals die Kette verändert hatte. Er bewies zunächst, daß er ein Verbündeter sei, und wurde sodann nach dem Dasein Roberts von Helfenstein gefragt.

»Der ist da,« sagte er, »ich weiß es genau, obgleich man es noch so geheimhält.«

»Woher wollen Sie es wissen?«

»Vom Staatsanwalt.«

»Oho! Der wird es Ihnen sagen.«

»Mir nicht, aber Anderen, die seine Collegen sind.«

»Und das hörten Sie?«


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»Ich nicht, aber meine Tochter.«

»Wieso?«

»Sie dient bei ihm.«

»Ah! Ist es das!«

»Ja,« schmunzelte Simeon. »Als das Unglück herein brach, las ich in der Zeitung, daß der Staatsanwalt ein Stubenmädchen brauche. Ich vermiethete ihm eiligst meine Tochter, um ihn aushorchen zu lassen. Er sagt nicht einmal seiner Frau Etwas; aber wenn Collegen bei ihm sind, so sprechen Sie davon, und meine Tochter hört es und sagt es mir wieder.«

»Schlaukopf! Da haben Sie auch von Robert gesprochen?«

»Ja.«

»Der lebt wirklich?«

»Ja. Er heißt Robert Bertram und wohnt beim Fürsten von Befour. Ich habe ihn beobachtet; er ist die meiste Zeit bei Alma von Helfenstein oder bei dem Oberst von Hellenbach.«

»Verflucht! Wenn er wirklich nicht umgekommen wäre! Wenn man nur wüßte, wie es dazumal zugegangen ist.«

»Das kann ich Ihnen sagen, meine Tochter hat es erlauscht. Hören Sie!«

Er erzählte Alles, was sich auf Robert Bertram bezog. Als er geendet hatte, war der Tannensteiner vollständig überzeugt, daß Robert noch lebe. Er rannte wütend im Zimmer auf und ab und suchte nach Auswegen, fand aber keinen.

»Es ist hin, Alles hin!« knirschte er. »Dieser Schneidersbube wird hier als Baron einziehen mit Sang und Klang. Mir war diese prächtige Erbschaft schon gewiß und sicher; nun aber muß ich verzichten.«

»Vielleicht nicht!«

Der Goldarbeiter sagte diese Worte nur halblaut vor sich hin, aber der Tannensteiner fuhr doch zu ihm herum und fragte schnell:

»Was soll das heißen?«

»Daß doch noch nicht aller Tage Abend ist.«

»Redensart.«

»Ich bin nicht der Mann, der mit unnützen Redensarten um sich wirft. Ich pflege zu denken, zu überlegen und dann auch schnell zu handeln.«

»Haben Sie vielleicht eine Idee?«

»Eine köstliche.«

»Heraus damit.«

»Wie nun, wenn dieser Bertram nicht beweisen könnte, daß er Robert von Helfenstein ist.«

»Die Beweise liegen doch vor! Sie haben dies ja soeben selbst erzählt.«

»Ja. Aber wie nun, wenn diese Beweise falsch wären?«

»Sapperment!«

»Unecht, nachgemacht!«

»Mensch, Sie reden nicht ohne Grund und Absicht. Aber es ist doch


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bewiesen, daß dieser Bertram der Junge ist, welcher vom Schmied in das Findelhaus gebracht wurde.«

»Das ist wahr. Aber es ist nicht erwiesen, daß dieser Junge auch wirklich der kleine Robert gewesen ist.«

»Er hat ja die Kette gehabt!«

»Sie ist unecht!«

»Alle Teufel! Ist das wahr?«

»Ja.«

»Können Sie das beweisen?«

»Ja, ich allein.«

»Auf welche Weise.«

»Durch Vorzeigung der echten Kette.«

»Die haben Sie, Sie, Sie, Sie?« rief der Tannensteiner in fast fieberhafter Aufregung.

»Ich nicht. Aber ich kenne einen, der sie hat.«

»Er muß Sie herschaffen!«

Jacob Simeon lächelte ihm ruhig in das Gesicht und sagte:

»Meinen Sie, daß er es thut?«

»Er muß!«

»Wer will ihn zwingen?«

»Ich! Die Kette gehört ihm nicht!«

»Sie gehört ihm. Wissen Sie, wie er zu ihr gekommen ist? Und wenn Sie ihn zwingen wollen, wo würde er sie nicht Ihnen geben, sondern Robert Bertram, dem sie gehört und welcher der wirkliche Baron von Helfenstein ist.«

»Verdammt!«

»Sie sehen, Zwang müssen Sie vermeiden. Durch Güte kommen Sie weiter.«

»Wer ist denn der Mann, welcher die Kette hat?«

»Das darf ich natürlich nicht sagen.«

»Wie aber will ich mit ihm verkehren?«

»Durch mich.«

»Hat er Ihnen Auftrag gegeben?«

»Ja. Ich habe Vollmacht von ihm und kenne die Bedingungen, welche er macht.«

»Ah! Bedingungen! Ich ahne, daß er uns die Kette vielleicht verkaufen will.«

»Allerdings beabsichtigt er das.«

»Wieviel verlangt er?«

»Fünfzigtausend Gulden.«

Der Freiherr fuhr entsetzt empor. Auch der Verwalter wich erschrocken zurück.

»Fünfzigtausend Gulden! Höre ich recht?« fragte der Erstere.

»Sie haben mich richtig verstanden.«


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»Der Mensch ist wohl irrsinnig?«

»Schwerlich. Wenn ich meine Meinung aufrichtig gestehen soll, so halte ich seine Forderung für sehr niedrig.«

»Ich glaube, es rappelt bei Ihnen.«

»Was ist die Baronie wohl werth?«

»Millionen natürlich.«

»Diese gehen Ihnen ohne die Kette verloren.«

»Mit derselben vielleicht ebenso.«

»O nein.«

»Was nützt mir die Kette eigentlich? Ich kann mit ihr doch nur beweisen, daß die Kette Bertrams unecht ist. Was aber antworte ich, wenn man mich fragt, woher ich sie habe, he?«

Der Goldarbeiter machte ein unendlich pfiffiges Gesicht und antwortete:

»Das wissen Sie nicht?«

»Nein, factisch nicht.«

»Man müßte nur zu der echten Kette einen Robert von Helfenstein finden.«

Der Tannensteiner fuhr gleich drei Schritte weit zurück.

»Welch' - ein - Gedanke!« stieß er langsam hervor.

»Ja. Es gehört dazu ein junger Mann von zwanzig bis einundzwanzig Jahren, welcher - - -«

»Schweigen Sie!« rief ihm der Freiherr zu. »Mir kommt da ein Gedanke. Ich muß überlegen!«

Er ging eine Weile wortlos auf und ab; dann blieb er vor Jacob Simeon stehen und fragte:

»Also die echte Kette ist wirklich da?«

»Ja.«

»Ist sie der einzige Beweis?«

»Nein. Das Kind hat Wäschestücke gehabt mit R.v.H. gezeichnet. Diese sind im Findelhause zurückbehalten worden, liegen aber jetzt beim Beweismaterial im Actenschranke.«

»Ist der Mann, welcher die Kette hat, weit von hier?«

»Nein.«

»Wie lange dauert es, um ihn herbeizuholen?«

»Er ist schon da.«

»Wie? Was? Sind Sie es etwa selbst?«

»Ja.«

»Und Sie wagen es, fünfzigtausend Gulden zu verlangen?«

»Das ist außerordentlich billig.«

Er zuckte hinterlistig über das Gesicht des Tannensteiners. Er machte ein freundliches Gesicht und sagte:

»Na, wir werden ja einig werden. Zeigen Sie einmal!«

Jacob Simeon lachte ihm und dem Verwalter in die Gesichter und antwortete:

»Meinen Sie, daß ich sie mit hier habe?«


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»Nicht?«

»Fällt mir gar nicht ein. Ich bin ein vorsichtiger Mann und liebe einen ehrlichen Handel. Ich sage Ihnen, wie ich zu der Kette gekommen bin, ich zeige Sie Ihnen, aber ohne Gefahr für mich; ich gebe sie ihnen nur gegen baares Geld, bin aber auch bereit, Ihnen zu dem Kinderzeug zu verhelfen, welches der kleine Robert damals getragen hat.«

»Wie wollen Sie das anfangen?«

»Das werde ich Ihnen sagen, wenn wir über unsern Handel einig geworden sind.«

»Warum nicht eher?«

»Ich gebe keinem Menschen einen guten Rath, wenn ich nicht selbst einen Nutzen davon haben kann.«

»Das ist ein sehr menschenfreundlicher Grundsatz. Ich glaube aber, daß Sie uns durch dieses Versprechen nur bereitwillig machen wollen, Ihnen die verlangte Summe zu bezahlen. Uns zu dem Kinderzeug zu verhelfen, das ist doch wohl eine Unmöglichkeit.«

»Oho!«

»Ganz gewiß. Sie sagten doch, daß diese Sachen bei den Acten aufbewahrt werden?«

»Ja.«

»Sie befinden sich im Gerichtsgebäude, unter Schloß und Riegel.«

»Natürlich.«

»Wie wollen wir sie herausbekommen?«

»Für Denjenigen, der Muth besitzt, ist es gar nicht schwer.«

»Das bezweifle ich.«

»Nun, wenn Sie es nicht glauben, will ich Ihnen sagen, wie das anzufangen ist. Ich thue mir dabei keinen Schaden, da Sie mich ja doch dabei brauchen.«

»So bin ich neugierig. Es versteht sich ganz von selbst, daß man sich die Sachen bei Nacht holen müßte.«

»Natürlich nicht bei Tage!«

»Man müßte also den Schlüssel haben.«

»Den versorge ich.«

»Ferner den Schlüssel zu dem betreffenden Zimmer.«

»Nur den Hauptschlüssel, und den könnte ich bekommen.«

»Auch den Schlüssel zu dem Schranke, oder überhaupt zu demjenigen Gelaß, in welchem sich das Kinderzeug befindet?«

»Ja.«

»Donnerwetter! Das wäre viel!«

»Sie vergessen, was ich Ihnen gesagt habe. Meine Tochter dient bei dem Staatsanwalte.«

»Ah! Ich beginne, Sie zu begreifen.«

»Der Staatsanwalt ist im Besitze aller dieser Schlüssel.«

»Wissen Sie das?«


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»Ja.«

»Sollte er wirklich den Thorschlüssel haben?«

»Auch. Ich habe von meiner Tochter gehört, daß er zuweilen des Nachts nach dem Gerichtsgebäude geht, um zu inspiciren. Er muß also diesen Schlüssel haben.«

»Hm! Der Gedanke ist nicht schlecht! Also Ihre Tochter soll Ihnen die Schlüssel versorgen?«

»Ja. Er hat sie stets in den Hosen stecken, welche sie zu reinigen und früh an die Schlafzimmerthür zu hängen hat.«

»Aber er wird gerade da den Verdacht auf sie werfen.«

»Nein. Die Schlüssel müssen früh natürlich wieder in der Tasche stecken.«

»Hm! Ganz gut! Aber kann uns der ganze Plan Etwas nützen? Wohl kaum!«

»Gnädiger Herr, wie kommen Sie mir vor? Dieser Plan kann Ihnen nichts nützen?«

»Nein. Man merkt, daß die Sachen gestohlen sind. Später kommen wir und legen sie vor. Man wird uns natürlich sofort beim Schlafittchen nehmen, und zwar als Diebe.«

Der Goldarbeiter lächelte überlegen und sagte:

»Darüber bin ich gar nicht bange. Man wird Niemand als Dieb festnehmen, denn die Sachen werden gar nicht vermißt.«

»Das bilden Sie sich nur gar nicht ein. Diese Sachen haben als Beweismittel einen so hohen Werth, daß man sie sofort vermissen würde, darauf können Sie sich verlassen.«

»Man kann sie unmöglich vermissen, da sie sich ja stets an Ort und Stelle befinden.«

»Wieso? Wir nehmen sie ja mit!«

»Allerdings; aber wir legen andere, täuschend nachgemachte, an ihre Stelle.«

»Ah! Sapperment!«

»Begreifen Sie jetzt? Später treten Sie auf und zeigen die echten Sachen vor, auch die echte Kette. Es wird natürlich verglichen; man wird das Andere für nachgemacht erklären müssen, und Sie haben gewonnen.«

»Hm! Ja, wenn es so leicht ausgeführt werden könnte, wie es gesagt worden ist. Woher Kinderzeug nehmen, welches ganz genauso ist?«

»Wir holen das Zeug, und meine Frau sieht es sich an. Als frühere Stickerin versteht sie sich auf so Etwas. Sie fertigt die Duplicate an. Unterdessen tragen wir natürlich die Originale zurück. Der Umtausch findet später statt.«

»So muß man zweimal das Wagniß unternehmen, in das Gerichtsgebäude einzudringen?«

»Natürlich.«

»Eine heikle Sache!«


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»Wer die Frucht haben will, muß den Baum schütteln. Ohne Arbeit kein Lohn.«

»Würden Sie mit helfen?«

»Ja. Vorausgesetzt, daß Sie die fünfzigtausend Gulden zahlen.«

»Hm! Ihr Plan ist nicht schlecht; aber wenn man erwischt wird, ist Alles verloren.«

»Das ist überhaupt stets der Fall. Lassen Sie sich doch nicht erwischen. Das ist die Hauptsache.«

»Wenn man Jemand finden könnte, der Einem für gutes Geld die Sachen holte!«

»Sie haben Angst! Ich versichere Ihnen, daß ich keinen Andern als nur Ihnen die Schlüssel versorge. Bei solchen Dingen muß man so wenig Mitwisser wie möglich haben.«

Der Freiherr ging einige Male nachdenklich im Zimmer auf und ab und sagte dann:

»Gut, ich bin bereit, das Wagniß zu unternehmen; aber ich muß vorher die Kette sehen.«

Der Goldarbeiter antwortete nicht sogleich. Auch er überlegte. Dann meinte er:

»Giebt es hier im Schlosse vielleicht eine Glasthür?«

»Ja. Wozu?«

»Das werden Sie sehen. Führen Sie uns hin, Herr Verwalter. Aber natürlich dürfen wir unbeobachtet sein.«

Der Verwalter schüttelte den Kopf über das sonderbare Verlangen, ging aber doch darauf ein. Er brachte die Beiden in ein Zimmer, welches durch eine Glasthür mit dem nebenan liegenden verbunden war.

»Bleiben Sie hier,« sagte Jacob Simeon. »Ich gehe hinaus.«

Er trat in das Nebenzimmer und verriegelte die Thür desselben. Er blieb einige Augenblicke unsichtbar, dann kam er an das Fenster der Thür und sagte:

»Ich selbst habe die Kette. Ich habe sie mit. Ich zeige sie Ihnen, aber durch dieses Fenster, so daß die Glasscheibe zwischen uns ist.«

»Donnerwetter, welch' ein Mißtrauen!« meinte der Freiherr.

»Das brauchen Sie mir nicht übel zu nehmen. Gebe ich Ihnen die Kette in die Hand, und Sie behalten sie, so kann ich einfach gar nichts dagegen thun.«

Er hielt von jenseits die Kette an das Glas und drehte sie nach allen Seiten, so daß sie ganz genau betrachtet werden konnte. Auch das herzförmige Medaillon mit den Buchstaben R.v.H. war deutlich zu sehen.

»Also das ist wirklich die echte?« fragte hüben der Freiherr.

»Ja.«

»Nun, so läßt sich über den Handel sprechen.«

Jacob Simeon verschwand drüben eine kurze Weile, während welcher er


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die Kette an sich versteckte. Dann trat er wieder heraus. Der Freiherr lächelte ihm überlegen entgegen, klopfte ihm auf die Achsel und sagte:

»Sie sind ein höchst vorsichtiger Mann. Sie betrachten mich ja wirklich als einen gefährlichen Menschen!«

»Das sind Sie auch.«

»Ich? Ah, das ist stark!«

»Ist Einer, der des Nachts in das Gerichtsgebäude eindringen will, denn nicht gefährlich?«

»Hm, ja, wenn Sie es so nehmen.«

»Ein solcher Mann ist auch im Stande, mir die Kette nicht zurückzugeben, wenn ich so leichtsinnig bin, sie ihm anzuvertrauen.«

»O, wenn ich wirklich so gefährlich wäre, würde Ihnen alle Vorsicht nichts nützen.«

»Wie so?«

»Was wollen Sie machen, wenn ich Ihnen jetzt die Kette abnehme, mein Bester?«

»Sie wissen nicht, wo ich sie habe.«

»Wir suchen sie aus.«

»Das werden Sie unterlassen.«

»Wenn wir es aber doch thun?«

»So weiß ich mich zu wehren.«

»Pah! Wir sind Zwei gegen Einen!«

»Und ich bin für alle Fälle vorbereitet. Sehen Sie!«

Er zog einen Revolver aus der Tasche.

»Teufel noch einmal! Sie würden schießen?«

»Ganz gewiß!«

Der Freiherr war kein Held. Er wich einen Schritt zurück und sagte in begütigendem Tone:

»Na, na! So ist es auch gar nicht gemeint. Lassen Sie uns in Vernunft weiter sprechen. Ich hoffe aber, daß Sie von der geforderten Summe Etwas nachlassen!«

»Keinen Kreuzer! Ich verhelfe Ihnen zur Baronie; das kostet fünfzigtausend Gulden, keinen Deut mehr, aber auch keinen weniger. Ich handle nicht.«

»Wenn ich nicht darauf eingehe, so haben Sie gar nichts!«

»Oho! Glauben Sie, es ließe sich kein anderer Robert von Helfenstein finden?«

»Sie sind wahrhaftig ein Hauptschurke!«

»Ich bin ein ehrlicher Kerl. Ich bediene Sie ehrlich und will dafür auch ehrlich bezahlt sein.«

»Wie aber nun, wenn Sie mich doch betrügen? Wer giebt mir die Garantie, daß die Kette wirklich echt ist?«

»Da müssen Sie sich allerdings auf mein Wort verlassen.«

»Wie sind Sie in den Besitz derselben gekommen?«

»Der Althändler Salomon Levi brachte sie mir. Er ließ zuweilen bei


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mir arbeiten. Ich sollte ihm ein täuschend ähnliches Herz machen und das v in ein u verwandeln. Ich ahnte sofort, daß es sich hier um eine Sache von Wichtigkeit, vielleicht gar um eine Geburtslegitimation handle. Daraus war Geld zu schlagen. Ich machte das Medaillon, aber dann auch noch von der ganzen Kette ein täuschend ähnliches Exemplar, gab ihm Beides und behielt das Original für mich.«

»Schuft!« lachte der Freiherr.

»O, der Jude ist auch Schuft. Ihn zu betrügen, halte ich für keine Sünde. Jetzt nun erfuhr ich durch meine Tochter, welchen Werth diese Kette hat. Man forscht nach, wer das Medaillon gefertigt hat. Der Jude hat es noch nicht gestanden.«

»Sie aber machen sich dennoch aus dem Staube?«

»Wegen der Kette nicht. Kein Mensch kann mich bestrafen, wenn ich einen solchen Auftrag ausführe. Aber ich habe auch noch andere Geschäfte mit diesem Salomon Levi gehabt. Wenn er plaudert, faßt man mich beim Kragen. Ich habe einen Gehilfen, welcher schon längst wünschte, mein Geschäft zu kaufen, um selbständig zu werden. Ich bot es ihm an; er bezahlte baar, und so bin ich frei. Ich will mir nun noch die fünfzigtausend Gulden verdienen, dann schüttele ich den Staub von den Füßen und gehe meine Wege.«

»Ja, wer sich eine solche Summe so leicht verdienen kann!«

»Und wer eine Baronie so leicht und billig haben kann!«

»O, es ist schwerer als Sie denken. Woher nehme ich einen Robert von Helfenstein?«

»Das ist Ihre Sache.«

»Und wenn ich einen finde, so gehört die Baronie ihm, aber nicht mir.«

»Sie wird dennoch Ihnen gehören. Sorgen Sie nur dafür, daß der Betreffende ein von Ihnen abhängiges Subject ist.«

»Was das betrifft, so giebt es allerdings eine ganz gut passende Person. Also Sie gehen nicht herab von Ihrer Forderung?«

»Nein.«

»Und wann soll bezahlt werden?«

»Ich will es doch nicht so streng nehmen. Sie bezahlen die Hälfte, wenn ich Ihnen die Kette gebe, und die andere Hälfte, wenn Sie die Kindersachen in die Hand bekommen.«

Es dauerte eine ganze Weile, bis der Freiherr antwortete:

»Ich will Ihnen jetzt noch keinen Bescheid geben. Kommen Sie übermorgen zu mir nach Rittergut Grünbach; da werden Sie erfahren, was ich beschlossen habe und - - ah, da kommt ja ein Wagen!«

Man hatte Pferdegetrappel gehört. Die drei Männer traten an das Fenster und blickten in den Schloßhof hinab.

»Eine offene Kutsche,« sagte der Verwalter. »Es steigen drei Herren aus. Ich kenne sie nicht.«

»Donnerwetter!« rief Jacob Simeon.

»Was ist's. Kennen Sie Einen davon?«


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»Alle Drei! Was wollen diese hier?«

Der Goldarbeiter war erschrocken, das sah man ihm an.

»Wer ist es denn?« fragte der Freiherr.

»Der eine Herr mit der vornehmen, sicheren Haltung ist der Fürst von Befour, die anderen Beiden sind der Staatsanwalt, bei welchem meine Tochter dient, und der Assessor von Schubert, welcher die Untersuchung gegen den Baron Franz von Helfenstein führt.«

»Alle Teufel! Was mögen sie wollen?«

»Sie dürfen mich natürlich nicht sehen. Geben Sie mir ein abgelegenes Zimmer, Herr Verwalter.«

»Mich aber sollen sie sehen!« sagte der Freiherr in entschiedenem Tone. »Ich bin der rechtmäßige Erbe und werde mich als solcher zeigen. Sie stellen mir also diese drei Herren vor!«

Jacob Simeon wurde in eine abgelegene Stube eingeschlossen, und die beiden Anderen begaben sich nach dem Salon, in welchem die Angekommenen empfangen werden sollten. Dem Fürsten war es nicht eingefallen, sich bei dem Verwalter anmelden zu lassen. Er fragte, wo derselbe sei und trat mit seinen beiden Begleitern unangemeldet ein. Der Verwalter gab sich als solcher zu erkennen und sagte dann:

»Darf ich fragen, wer die Herren sind und was sie bei mir wünschen?«

»Ich bin der Fürst von Befour,« antwortete dieser. »Sie haben von Seiten Ihres zuständigen Gerichtsamtes in Erfahrung gebracht, daß Sie diese Besitzung jetzt nicht mehr für den Baron von Helfenstein, sondern unter behördlicher Inspection zu verwalten haben?«

»Ja.«

»Nun, eine solche Inspection wird heute stattfinden.«

Als er nun die Namen seiner beiden Begleiter nannte, trat der Freiherr auf ihn zu und sagte:

»Dann werden Sie mir wohl gestatten, an dieser Inspection Theil zu nehmen?«

Er vermochte es nicht, den Haß zu beherrschen, welchen er gegen den Fürsten hegte, obgleich er denselben noch nie gesehen hatte. Dieser Letztere betrachtete ihn mit einem forschenden, kalten Blicke und fragte dann:

»Wer sind Sie?«

»Ich bin der Freiherr von Tannenstein und hoffe, daß Sie von meiner Existenz gehört haben!«

»Allerdings,« antwortete der Fürst lächelnd. »Aber was hat diese Ihre unbestrittene Existenz mit der heutigen Inspection zu thun, mein Herr?«

»Das sollten Sie nicht wissen?«

»Nein.«

»Die Helfensteins sind nur eine Seitenlinie der Tannensteins.«

»Das weiß ich allerdings.«

»Gegenseitig erbberechtigt!«

»Ganz richtig!«


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»Die Baronie Helfenstein wird frei -«

»Glauben Sie?«

»Ja.«

»Der gegenwärtige Baron lebt noch!«

»Man ist überzeugt, daß er nicht mehr lange leben werde.«

»Ah, ich verstehe! Sie wollen ihn beerben?«

»Ganz folgerichtig. Es giebt keinen anderen Erben.«

»Nun, dann wollen wir doch vorher erst seinen Tod abwarten, mein Herr.«

»Das werde ich allerdings. Aber ich habe jedenfalls das Recht, mich um Angelegenheiten zu kümmern, welche später meine eigenen sein werden. Wenn Sie also zu inspiciren beabsichtigen, betheilige ich mich.«

Es glitt ein lustiges Lächeln über das Gesicht des Fürsten, als er antwortete:

»Sehr gut. Wir werden also auch Sie inspiciren.«

»Wie meinen Sie das?« fragte der Freiherr schnell. »Ich hoffe nicht, daß Sie mich für übermäßig spaßhaft halten!«

»O nein, das thue ich nicht. Ich kenne Sie überhaupt noch nicht, weiß also auch gar nicht, was ich von Ihnen zu halten habe; doch denke ich, es baldigst zu erfahren. Sie verlangen, an der Inspection betheiligt zu sein, und ich gewähre Ihnen Ihre Bitte, indem wir Sie mit inspiciren.«

»Bitte? Ich habe keineswegs gebeten. Ich weiß mich im Besitze meiner Rechte und habe also nur zu fordern. Natürlich will ich inspiciren, nicht aber inspicirt werden.«

»Ah, so! Thut mir leid! Da muß ich Ihnen freilich sagen, daß wir von Ihren Rechten noch nicht die richtige Ueberzeugung haben. Sie werden also wohl verzichten müssen, sich uns zu collegiren.«

»Ich verzichte nicht!«

»So bin ich neugierig, wie Sie es anfangen werden, als Inspector neben uns thätig zu sein.«

»Das werden Sie baldigst sehen.«

»Natürlich aber werden wir jede unberufene Einmischung zurückweisen müssen.«

»Ich lasse mich nicht zurückweisen!«

»So giebt es einen Paragraphen, welcher den Widerstand gegen die Staatsgewalt mit schwerer Strafe bedroht!«

»Es hat kein Mensch das Recht, hier diesen Paragraphen in Anwendung zu bringen.«

»Dennoch aber nehmen wir Drei vorläufig dieses Recht für uns in Anspruch.«

»Ich befinde mich in meinem zukünftigen Eigenthume!«

»Jetzt aber ist es noch nicht Ihr Eigenthum. Sie sind hier völlig fremd. Nebenbei ertheile ich Ihnen den guten Rath, überhaupt zu verzichten. Es ist ein anderer, viel näherer Erbe, als Sie es sind, vorhanden.«


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»Den giebt es nicht!«

»Sie werden ihn kennen lernen.«

»Jetzt aber kenne ich ihn noch nicht und beharre also auf meinem Rechte. Wollen Sie sich die Bücher vorlegen lassen, so nehme auch ich Einsicht von ihrem Inhalte.«

»Sie werden, wie gesagt, verzichten. Sie bekommen nichts vorgelegt, und erzwingen läßt sich nichts.«

»Das wird sich finden!«

Er sprach das in übermüthigem Tone. Der Fürst zog die Stirn in Falten und antwortete:

»Hören Sie! Bis jetzt habe ich Ihr Verlangen für einen unzeitigen, etwas kindlichen Scherz gehalten und es demgemäß beantwortet. Sollten Sie wirklich Ernst machen, so mache ich Sie auch in allem Ernste darauf aufmerksam, daß Sie es mit den Vertretern des Gesetzes zu thun haben, welche die nöthige Macht besitzen, ihren Verordnungen Nachdruck zu geben. Wir sind nicht allein gekommen. In wenigen Minuten werden hier Gensd'armen eintreffen, denen wir einen Jeden überweisen werden, welcher sich unterfangen sollte, uns zu incommodiren.«

Und sich zu dem Verwalter wendend, fuhr er fort:

»Es handelt sich heute um die Ermordung des Barons Otto von Helfenstein und die Ermordung des Hauptmanns von Hellenbach. Der Baron Franz von Helfenstein hat die That eingestanden und wird unter Bedeckung binnen einer Viertelstunde hier eintreffen, um an Ort und Stelle verhört zu werden. Sie haben sämmtliche hier anlangende Herren als Gäste zu betrachten und für standesgemäße Verpflegung zu sorgen. Uns weisen Sie jetzt drei nebeneinander liegende Wohnungen an. Sie haben uns jetzt als Ihre Herren anzusehen und jedem unserer Worte augenblicklichen Gehorsam zu leisten. Also, jetzt vorwärts!«

Ohne den Freiherrn eines weiteren Blickes zu würdigen, verließ er mit dem Assessor und dem Staatsanwalt den Salon. Tannenstein stieß einen Fluch aus und murmelte:

»Verdammter Kerl! Er ist an Allem schuld, er allein! Also ein näherer Erbe ist da! Gut, ja! Aber diesen näheren Erben werde ich Euch nennen, ich! Und dann - sapperment, was ist das? Jetzt geht es los.«

Es rollten mehrere Wagen in den Hof. Gensd'arme und Gerichtsbeamte stiegen aus. Aus einem der Wagen wurde eine Gestalt gezogen, bei deren Anblick der Freiherr vor Schreck fast laut aufgeschrieen hätte.

Es war der Baron Franz von Helfenstein. Aber wie sah dieser Mann jetzt aus! Die Arme waren nicht zu sehen. Sie wurden durch einen Gypsverband fest an den Leib gehalten. Er trug Sträflingshosen, ebenso Weste und darüber einen sackartigen Ueberwurf. Sein Gesicht war eingefallen, wie dasjenige eines Todten, seine Lippen waren blutleer, und seine Augen lagen tief in ihren Höhlen. So weit hatte ihn die Verletzung der beiden Arme


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gebracht. Das Wundfieber hatte seine früheren Kräfte verzehrt, seinen Muth zerstört und seine Hartnäckigkeit vernichtet. Er hatte Alles gestanden.

»Das ist er!« murmelte der Freiherr. »Wie sieht er aus! Ja, da tauge ich hier nichts. Ich mag die Geschichte gar nicht mit ansehen, sondern ich will machen, daß ich fortkomme.«

Er wartete noch kurze Zeit, bis es ihm möglich war, ohne Aufsehen zu erregen, einspannen zu lassen. Dann kutschirte er fort.

Als er bei sich in Grünbach ankam, suchte er sogleich seine Tochter auf. Sie stand vor einem bis auf den Boden reichenden Spiegel und musterte ihre Gestalt.

Sie war schön, aber von jener rein fleischigen Schönheit, welche nur die Sinne in Beschlag nimmt und später in Formen übergeht, welche man Dickheit nennt.

»Vater,« sagte sie, »tritt einmal hierher und betrachte mich im Profil. Meinst Du nicht, daß ich ein Wenig zu dick werde?«

»Dick! Dick! Theodolinda, welch ein Ausdruck!«

»Nun ja, ästhetisch ist er nicht, aber er trifft das Richtige. Da, greife einmal meine Arme an! Ist das nicht dick, he?«

»Du bist grad so, wie Du sein sollst!«

»Nein. Ich nehme viel zu sehr zu! Ich werde Essig trinken und Kaffeebohnen kauen. Und die rothen Backen! Ich sehe wie ein Bauernmädchen aus. Was soll Herr von Hagenau denken!«

»Hagenau? Hast Du von ihm gehört?«

»Er ist da.«

»Woher weißt Du das?«

»Der Gärtner war in Reitzenhain und hat ihn aussteigen sehen.«

»Und es Dir erzählt?«

»Wo denkst Du hin! Er hat zur Zofe davon gesprochen, und diese theilte es mir mit.«

»Weiß sie denn von unserem Projecte?«

»Sie scheint gehorcht zu haben.«

»Sapperment! Das werden wir ihr abgewöhnen! Hoffentlich kommen die beiden Hagenau's morgen schon herüber.«

»Wenn sie wüßten!«

»Hm, ja! Es ist eine alte berühmte Familie. Die Partie ist also gut, zumal -«

»Zumal wir speculiren.«

»Gerade so wie sie. Sie wollen Geld, und wir wollen uns in ihrem Stammbaume sonnen. Wenn der Alte wüßte, daß wir fast ärmer sind als er und daß wir nur dem Pascherkönig die Einnahmen verdankten, welche es uns ermöglichten, standesgemäß zu leben. Und nun soll und muß ich fünfzigtausend Gulden schaffen!«

»Fünfzigtau - -!«

Das Wort blieb ihr im Munde stecken.


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»Ja, freilich!« nickte er.

»Wozu? Bist Du sie denn schuldig?«

»Nein. Ich soll sie bezahlen als Preis für den Reichthum der Helfensteins.«

»Ich verstehe Dich nicht.«

»Laß Dir erzählen. Du bist in Allem meine Vertraute gewesen, ich kann Dir also unbedenklich auch diese Angelegenheit anvertrauen.«

Er erstattete ihr ausführlichen Bericht. Sie hörte aufmerksam zu und fragte dann:

»Was hast Du beschlossen?«

»Noch nichts. Ich wollte erst Dich hören.«

»Das ist gar nicht nöthig. Es versteht sich ganz von selbst, was hier zu thun ist.«

»Nun was?«

»Wir greifen zu.«

»Gut; aber dieser Jacob Simeon will auch zugreifen. Er verlangt zunächst die Hälfte.«

»Die muß geschafft werden.«

»Aber wie?«

»Hm! Könnte man diesen Menschen denn nicht betrügen?«

»Nein. Er ist zu schlau.«

»Oder ihm die Kette abnehmen?«

»Ich habe Dir ja erzählt, daß er bewaffnet ist.«

»Was das betrifft, so ist mir das gleichgiltig. Vor einem Revolver braucht man sich nicht zu fürchten.«

»Ja, da kenne ich Dich. Du hättest ein Junge werden sollen. Aber die Kette allein nützt uns nichts. Wir müssen auch das Kinderzeug haben, und das können wir ja ohne seine Hilfe nicht bekommen.«

»Hm! Die Fünfundzwanzigtausend müssen wir also unbedingt haben. Vielleicht betrügen wir ihn dann um die andere Hälfte.«

»Gott, mir macht ja bereits schon die erste Hälfte zu schaffen. Woher das Geld nehmen?«

»Wieviel hast Du?«

»Ich habe kaum fünftausend Gulden in der Casse. Und das ist mein ganzes Vermögen.«

Sie blickte nachdenklich vor sich hin. Dann sagte sie:

»So muß ich sehen, wie das Geld zu schaffen ist.«

»Du? Wie wäre Dir es möglich?«

»Vielleicht doch. Laß mich nur machen. Um so reich zu werden, darf man seine Gedanken schon einmal anstrengen. Das Geld muß geschafft werden, und also wird es geschafft!«

»Aber noch weißt Du ja nicht, ob wir für einen Heller Nutzen haben werden.«

»Ich weiß, daß wir reich sein werden; das ist genug.«


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»Ja, zum Teufel! Wir brauchen doch einen Robert.«

»Ja, den brauchen wir freilich.«

»Woher nehmen?«

»Den haben wir schon.«

»Wo denn?«

»Hier im Hause. Ich meine Julius.«

»Deinen Bruder! Mädchen, wir haben ganz denselben Gedanken. An Julius habe ich auch sogleich gedacht.«

»Er paßt prächtig. Grad daß er blödsinnig ist, gereicht uns zum Vortheile. Du würdest sein Vormund.«

»Das Alter hat er auch.«

»Es paßt eben Alles, Alles!«

»Aber in Beziehung auf die Hauptsache finde ich keine Antwort auf die Frage.«

»Du meinst, wie Julius, wenn er wirklich jener Robert von Helfenstein, zu uns gekommen ist?«

»Auch da muß Rath geschafft werden. Man ist ja nicht auf den Kopf gefallen und wird sich doch wohl irgend eine wohlklingende Fabel aussinnen können.«

»Ich dachte bereits an unseren alten Daniel, der, bevor wir ihn engagirten, bei Baron Otto von Helfenstein Diener war.«

»Ganz recht! Er ist nun todt und kann nichts dagegen sagen, wenn wir ihn einen Streich verüben lassen, an den er zur Zeit seines Lebens gar nicht gedacht hat.«

»War er nicht fortgejagt worden?«

»Ja.«

»Könnte er nicht aus Rache -?«

»Hm! Ja. Das ginge wohl. Aber wie kommen wir denn dazu, das fremde Kind bei uns aufzunehmen? Wohin wäre dann das unsere gekommen?«

»Ja, das wird verwickelt. Wir müßten die todte Mama mit in die Angelegenheit ziehen.«

»Das geht beinahe gar nicht anders.«

»Julius müßte damals grad gestorben sein; sie hat seinen Tod verschwiegen und den fremden Knaben dafür untergeschoben.«

»Wie aber erfahren wir das jetzt?«

»Wir finden in einem alten Verstecke die Kette, das Kinderzeug und einen Brief der Mama. Ueberhaupt wollen wir uns darüber noch nicht die Köpfe zerbrechen. Dazu ist später auch noch Zeit. Zunächst müssen wir das Geld schaffen.«

»Ah, Du hast einen Gedanken?«

»Ja.«

»Meinst Du etwa den Einsiedler?«

»Du hast es errathen.«


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»Da mache Dir keine Gedanken. Er giebt keinen Kreuzer mehr heraus. Ich war in letzter Zeit bei ihm wegen der sechstausend, die ich ihm schuldig bin. Er will sie wieder haben und drohte mit dem Gerichte.«

»Er wird warten.«

»Ich glaube es nicht.«

»O, ich weiß gewiß, daß er warten wird!«

Sie sagte das in einem so zuversichtlichen Tone, daß er sie erstaunt ansah. Er fragte:

»Wie kannst Du das so bestimmt behaupten?«

»Das will ich Dir sagen. Ich habe bisher darüber geschwiegen. Der Alte ist in mich verliebt.«

»In Dich ver - liebt? Ist er toll?«

»Ja, er ist toll, nämlich ganz toll vor Liebe.«

»Du hast es bemerkt, oder hat er gar davon gesprochen?«

»Er hat auf den Knieen vor mir gelegen.«

»Unglaublich!«

»O, er hat mir seine Liebe gestanden. Er hat mir seine Reichthümer angeboten. Er hat geschluchzt und gejammert und mir den Himmel versprochen, wenn ich seine Frau werden will.«

»Das ist stark! Er ist fast siebzig.«

»Das sind die schlimmsten. Uebrigens verdenke ich es ihm gar nicht!«

Sie sagte diese letzten Worte unter einem cynischen Lachen und fuhr dann weiter fort:

»Vorigen Sommer badete ich unten im Flusse. Ich hatte Lust, einmal im Freien zu baden, anstatt im engen Badehäuschen. Die Gegend ist einsam; es gab keinen Menschen in der Nähe, und so ging ich in's freie Wasser, ganz ohne Badeanzug, den ich nicht mit hatte, weil ich nicht auf's Baden ausgegangen war. Und denke Dir, der Alte hat mich belauscht!«

»Ah! Er war in der Nähe?«

»Er hat in den Weiden gesteckt, welche am Ufer stehen.«

»Sahst Du ihn dann noch?«

»Nein. Ich hatte keine Ahnung von der Gegenwart eines Menschen. Er erzählte es mir, als er mir die Liebeserklärung machte.«

»Das ist stark! Es auch noch zu erzählen!«

»Ja. Nun denke Dir einen Menschen, wie er ist. Ein alter Junggeselle, welcher wegen seiner Häßlichkeit keine Frau bekommen hat. Er sieht mir fast eine ganze Stunde lang zu. Es ist wirklich kein Wunder, daß er gemeint hat, es müsse hübsch sein, mich zur Frau zu haben.«

»Aber er, er! Ein Bürgerlicher, ohne Namen und Herkunft! Ein Mensch, der sich in eine halbe Ruine zurückgezogen hat, mit keiner Seele verkehrt, kein anderes Vergnügen kennt, als Geld zählen und immer wieder Geld zählen, häßlich wie ein Pavian - ah!«

»Er ist seit jener Zeit immer bemüht gewesen, mir zu begegnen. Erst kürzlich wieder traf er mich. Er wollte mir die Hand küssen, ich aber litt es


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nicht; aus Zorn darüber hat er Dir das Geld abverlangt und mit dem Gericht gedroht. Uebrigens hat er es Dir nur geborgt, weil er eben damals mich kurz vorher im Bade gesehen hat.«

»Also er soll Dir das Geld geben?«

»Du willst es von ihm verlangen?«

»Ich denke, daß er es mir selbst anbieten wird.«

»Und Du willst - ah, willst Du Dich verkaufen?«

»Fällt mir nicht ein!«

»Fünfundzwanzigtausend Gulden! Bedenke, welch eine Summe! Die borgt er nicht blos aus reiner Anbetung her. Er wird ein Äquivalent verlangen.«

»Das ist meine Sache. Sprechen wir nicht darüber. Die Angelegenheit ist zu zart dazu. Was ich thue, das thue ich für mich. Uebrigens brauchen wir ja das Geld nur für kurze Zeit, denn es versteht sich ganz von selbst, daß dieser Jacob Simeon es wieder hergeben muß.«

»Er wird sich hüten!«

»Ueberlaß auch mir Das! Du kennst mich!«

»Gut! Ueberlege Dir die Sache und thue, was Dir am Gerathensten erscheint.«

Er ging.

Diese beiden Menschen waren einander werth. Sie besaßen weder Gewissen noch wirkliches Ehrgefühl. Die Tochter war eine Amazone, von männlichem Character. Sie wollte reich sein und in der Gesellschaft eine Rolle spielen. Das Erstere war sie nicht, obgleich sie zu leben verstanden hatte, daß man sie für reich hielt. Das Letztere hoffte sie als Frau Hagenau's zu erreichen.

Als ihr Vater sie jetzt verlassen hatte, trat sie wieder vor den Spiegel und betrachtete sich. Dabei murmelte sie:

»Fünfundzwanzigtausend! Ob er sie baar da liegen hat! Wie fange ich es an? Ich mache ihn verrückt. Freilich werde ich - - ah, brrrr - mich von ihm küssen lassen müssen! Aber es geht nicht anders. Es ist bereits Dämmerung. Niemand sieht mich zu ihm gehen. Ich versuche es einmal!«

Sie machte Toilette und zwar in wirklich raffinirter Weise, dann verließ sie das Zimmer. Sie ging durch den Garten des Gutes und erreichte das freie Feld, wo sie einem schmalen Fußpfade folgte.

Es wurde dunkler und dunkler. Von weitem schimmerte ein einsames Licht. Es aus einem kleinen Fenster eines alten, thurmähnlichen Gebäudes, welches einsam hier im Freien lag. Seit langer Zeit wohnte da ein alter Hagestolz, welcher Winter hieß. Niemand wußte, woher er war und was er eigentlich sei. Man wußte nur, daß er reich sei. Er wohnte ganz allein in einem ruinenhaften Gebäude. Trotzdem wagte Niemand, ihm etwa seines Geldes


Ende der vierundneunzigsten Lieferung - Fortsetzung folgt.



Karl May: Der verlorne Sohn

Karl May – Forschung und Werk