Lieferung 95

Karl May

19. Juni 1886

Der verlorne Sohn
oder
Der Fürst des Elends.

Roman aus der Criminal-Geschichte.


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wegen einen feindseligen Besuch zu machen, denn er besaß zwei Hunde von riesiger Größe, welche einen Jeden zerrissen hätten.

Jetzt befand er sich in einer Stube, welche ihm als Schlafzimmer diente. Hinter dem Bette stand eine altfränkische eiserne Truhe, welche sein Geld enthielt. Die Wände waren mit obscönen, schmierigen Bildern beklebt. Er saß vor einem Tische, auf welchem Goldhäufchen aneinander gereiht waren. Er zählte.

Das war seine Lieblingsbeschäftigung.

Da schlug draußen einer seiner Hunde an. Der andere fiel ein; sie bellten, als ob sie Jemand zerreißen wollten, und dazwischen ertönte der Schrei einer menschlichen Stimme.

»Wer ist da?« sagte er zu sich. »Am Abend! In der Dunkelheit! Wer hat sich hergewagt? Jedenfalls ein Spitzbube! Ich werde nachsehen.«

Er verließ den Raum, ging durch die Wohnstube und stieg eine schmale, steinerne Treppe hinab. Auf eine der Stufen setzte er die Lampe, deren Schein den dicken, schweren Riegel beleuchtete, welcher die massive Thür verschloß. Er öffnete die letztere ein wenig und fragte:

»Wer ist da?«

Wegen des Hundegebelles konnte er die Antwort nicht verstehen; aber es war ihm, als ob die Stimme eine weibliche sei. Er gebot den Hunden Schweigen. Sie gehorchten, und er wiederholte seine Frage.

»Entsetzlich! Fast wäre ich auch noch zerrissen worden!«

Diese Stimme kannte er. Es durchzuckte ihn, als ob er electrisirt worden sei. Er wagte es nicht, an die Wahrheit zu glauben; darum fragte er:

»Ein Frauenzimmer! Wie heißen Sie?«

»Helfen Sie mir doch lieber, anstatt zu fragen! Ah, welche Schmerzen!«

Im nächsten Augenblicke stand er neben ihr und sagte:

»Gnädiges Fräulein! Sie sind es, Sie!«

»Ja. Jagen Sie zunächst diese Bestien fort!«

»O, die thun Ihnen nichts! Haben Sie keine Sorge! Aber wie kommen Sie denn hierher?«

Sie saß auf einem Steine, welcher in der Nähe der Thür lag und ließ ein halb unterdrücktes Stöhnen hören.

»Ich war spazieren,« antwortete sie, »da drüben am Waldesrande. Ich sah eine Natter und sprang zur Seite. Da vertrat ich mir den Fuß.«

»O weh!« sagte er im Tone des Mitleides.

»Ich konnte nicht gehen. Ich wartete. Ich hoffte, es werde Jemand kommen; aber Niemand kam.«

»Hätte ich es gewußt!«

»Es wurde finster. Sollte ich die ganze Nacht dort auf der Erde liegen? Ich kroch fort, weiter und weiter, unter unsäglichen Schmerzen. Ich kam bis hierher, nun geht es aber nicht mehr!«

»Ich stehe zur Verfügung! Befehlen Sie, was soll ich thun?«

»Was Sie thun sollen? Ah, diese Schmerzen!«

»Soll ich einen Wagen holen?«


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»Ja - nein - ja - ach Gott, dann sitze ich so alleine an diesem einsamen Orte! Wenn - wenn - haben Sie Essig da?«

»Essig? Ja, den habe ich.«

»Ein Essigumschlag würde wohl den Schmerz lindern.«

»Ja, gern, gleich! Aber, gnädiges Fräulein, da müßten Sie den Schuh ausziehen.«

»Ach ja, daran dachte ich nicht! Ausziehen. Hier - oh!«

»Wenn ich es wagen dürfte, Sie zu mir einzuladen!«

»Zu Ihnen! Da hinein?«

»Ja. Befürchten Sie nichts! Sie sind da so sicher wie daheim, wie in Abrahams Schooß!«

Er sagte das unendlich dringlich. Das schöne Mädchen bei sich, in seiner Stube! Er zitterte vor Erwartung, ob sie auf diesen Vorschlag eingehen werde.

»Es wird wohl nicht gehen,« antwortete sie. »Nein, unmöglich; es kann nicht sein.«

»Warum nicht?«

»So allein! Bei einem Herrn!«

»Ich schwöre Ihnen tausend Eide, daß Sie nichts zu befürchten haben!«

»O, welch ein Schmerz!« stöhnte sie.

»Sehen Sie! Wollen Sie hier sitzen bleiben? Können Sie denn hier einen Umschlag nehmen?«

»Nein, das ist wahr.«

»So kommen Sie mit zu mir.«

»Ich kann ja - - kann ja nicht gehen.«

»Soll ich Sie tragen?«

»Nein, nein!« antwortete sie rasch und unter erkünsteltem Schreck. »Nicht tragen!«

»So müssen Sie also doch gehen. Versuchen Sie es wenigstens. Bitte, ich werde Sie stützen.«

Er reichte ihr den Arm und half ihr, sich von dem Steine zu erheben.

»Nicht wahr, es geht?« fragte er.

»Sehr schwer! Ah, der Schmerz!«

»Stützen Sie sich nur fester auf mich! Kommen Sie!«

Sie hing schwer in seinem Arme, den er jetzt um ihre Taille legte. Schritt um Schritt, sie ächzend und er sie tröstend und ermuthigend, gingen sie nach der Thür und traten ein. Er schob den Riegel vor.

»Wohin nun?« fragte sie.

»Nach oben.«

»Gott! Diese Treppe hinauf?«

»Ja.«

»Ist denn unten kein Zimmer?«

»Kein einziges. Sie müssen es schon versuchen.«

»So sterbe ich vor Schmerz.«


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Es dauerte lange, sehr lange, bevor sie die Treppe überwanden und die Stube erreichten. Dort fiel sie ganz ermattet auf das Kanapee.

»Jetzt hole ich Essig,« sagte er.

Er ging hinaus. Sofort veränderte sich ihr Gesicht. Es zeigte sich ein höhnisches Lachen auf demselben, und sie flüsterte:

»Dummer Mensch! Welch ein Loch dies hier ist! Aber Geld, ich brauche Geld!«

Er kam mit einer Schüssel zurück, in welche er Essig gegossen hatte.

»Hier, meine Gnädige!« sagte er. »Da sind auch Tücher zum Umschlag. Soll ich es machen?«

»Ja. Ich kann es ja doch nicht.«

»Aber der Schuh! Den müssen Sie ausziehen.«

»O weh! Daran dachte ich nicht. Der wird wohl nicht herabgehen.«

»Versuchen wir es! Erlauben Sie?«

»Ich muß wohl, wenn ich den Schmerz los sein will!«

Er kniete vor ihr hin und nahm ihr kleines Füßchen in die Hand. Sobald er es berührte, schrie sie vor Schmerz auf. Und als er zu ziehen begann, konnte sie es kaum aushalten. Sie wimmerte zum Erbarmen und ließ dann gar den Kopf sinken. Als er den Schuh in der Hand hatte, lag sie ohnmächtig auf dem Kanapee.

»Das Bewußtsein verloren!« sagte er. »O, sie wird schon wieder zu sich kommen. Jetzt zunächst den Umschlag!«

Er zog ihr auch den Strumpf aus. Die Lampe beleuchtete ein kleines, alabasternes Füßchen. Er drückte wieder und immer wieder seine Lippen darauf.

»Man sieht keine Geschwulst!« meinte er. »Oder sollte der Fuß eigentlich noch kleiner sein als jetzt?«

Er tauchte ein Tuch in den Essig und legte es um den Fuß. Sie bewegte sich nicht. Er stand auf und horchte an ihrem Mund.

»Kein Athem!« sagte er. »Na, todt ist sie nicht. Eine Ohnmacht ist nicht gefährlich, mir kommt sie sogar ganz gelegen.«

Er verschlang das reizende Mädchen mit gierigen Augen. Er legte den Arm um sie, sich auf das Kanapee setzend, zog ihren Kopf empor und küßte sie.

»Endlich, endlich, endlich!« sagte er. »Ah, wenn sie es wüßte. Was würde sie sagen! Und doch gäbe ich Alles, Alles her, wenn sie mein sein wollte!«

Er hielt sie umschlungen und drückte sie fest, fest an sich. Dann, als die Ohnmacht doch gar zu lange dauerte, öffnete er ihr das Kleid, damit die Brust freier athmen könne. Das half. Ihr Busen bewegte sich; er fühlte das mit der Hand. Und bald hörte er auch ihren Athem gehen.

Er dachte nicht daran, sie aus seiner Umarmung zu lassen. Er vergaß Alles. Er sah sie vor sich, so schön, so verführerisch, und er fühlte nichts Anderes als nur das Verlangen, dieses Glück vollständig auszukosten.

Da begann sie, sich zu bewegen. Ihre Augen blieben geschlossen, aber ihre Lippen bewegten sich.


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»Wo bin ich?« fragte sie leise.

»Bei mir,« antwortete er.

»Bei Dir!« flüsterte sie.

Dabei flog ein glückliches Lächeln über ihr Gesicht. Das riß ihn hin, so daß er seinen Mund auf den ihrigen legte, um sie zu küssen und immer wieder zu küssen.

»Du Lieber, Lieber!« hauchte sie.

Er fühlte, daß sie seine Küsse erwiderte. Das raubte ihm fast die Besinnung. Er hätte laut aufjubeln mögen, that es aber doch nicht. Sie war noch nicht völlig bei Besinnung. Sie hielt ihn jedenfalls für einen Anderen, und er wollte diese für ihn so angenehme Täuschung nicht gewaltsam beendigen.

Endlich schlug sie langsam die Augen auf. Ihr Blick ruhte erst ganz ausdrucklos in seinem Gesichte; dann kam Leben in das Auge. Sie erkannte ihn. Sie schrak zusammen und wollte sich ihm entziehen. Er aber hielt sie fest.

»Wer - wer sind Sie?« fragte sie ungewiß.

»Ich bin es, ich!« antwortete er, sie wiederholt an sich drückend.

»Wo - wo bin ich?«

Ihr Blick irrte erstaunt in der Stube umher.

»Bei mir, Du herrliches Mädchen!«

»Bei Dir - bei Ihnen! Herrgott!«

Jetzt fuhr sie auf, um sich von ihm los zu machen.

»Nein,« sagte er, »nein! Ich lasse Sie nicht! Sie müssen liegen bleiben, hier an meinem Herzen!«

»Lassen Sie mich! Lassen Sie mich gehen!«

Sie sträubte sich; sie gab sich scheinbar alle Mühe, von ihm loszukommen - vergebens. Seine Kraft war der ihrigen überlegen. Sie wurde matt und matter und ließ endlich die sich nutzlos wehrenden Arme sinken.

Er benutzte diese scheinbare Ergebung zu allen Zärtlichkeiten. Sie ließ dieselben über sich ergehen. Plötzlich aber bemerkte sie, daß er ihr Kleid geöffnet hatte. Da schob sie ihn mit ungeahnter Kraft von sich, so daß er seine Arme von ihr lassen mußte.

»Was ist denn mit mir?« fragte sie. »Was ist geschehen? Träume ich denn, oder habe ich geträumt?«

»Es ist kein Traum, sondern es ist Wirklichkeit,« antwortete er. »O, Geliebte, wie glücklich fühle ich mich!«

Sie starrte ihn entsetzt an.

»Geliebte?« fragte sie.

»Ja, Du bist meine Heißgeliebte! Dir gehört mein Leben und Alles, was ich habe und was ich bin.«

»Ist's möglich! Wo bin ich? Wie kam ich hierher zu Ihnen? Sie haben mich - -«

Sie wollte aufspringen, sank aber mit einem Schmerzesschrei auf das Sopha zurück.

»Gott, mein Fuß!«


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»Schmerzt er noch?« fragte er zärtlich.

»Jetzt, jetzt weiß ich es. Dieser Schmerz bringt mich zum Bewußtsein. Ich hatte mir den Fuß vertreten - -«

»Und Sie kamen zu mir, um mich um meine Hilfe zu bitten. Ich führte Sie hierher. Sie wurden ohnmächtig, und ich habe Ihnen unterdessen einen Umschlag gemacht.«

Sie zuckte vor Schreck zusammen.

»Umschlag? Sie? Ein Herr! O, Sie haben sogar den Strumpf entfernt, wie ich bemerke!«

»Mußte ich nicht?«

»Nein, Sie mußten nicht! Und dann habe ich gefühlt - gestehen Sie, Sie haben mich geküßt!«

»Ja,« meinte er aufrichtig.

Ihr Auge blitzte vor Zorn.

»Welch eine Frechheit!«

»Verzeihung! Wer kann Ihnen widerstehen!«

»Sie haben mein Vertrauen mißbraucht. Das ist schändlich. Und hier - ah, wer hat Ihnen erlaubt, das Kleid zu öffnen?«

»Sie waren ohnmächtig; ich mußte Ihnen Luft verschaffen.«

»Lieber hätten sie mich sterben lassen sollen! Was soll ich denken; was soll ich thun! Welch eine Beleidigung! Mein Vater wird mich rächen, er mag Genugthuung verlangen. Ich eile sofort nach - o weh, o weh!«

Sie hatte abermals aufspringen wollen, brach jedoch wieder zusammen.

»Bleiben Sie ruhig sitzen!« sagte er. »Sie können ja doch nicht fort. Ich aber werde gehen, um Hilfe, um einen Wagen für Sie zu holen.«

»Nein, bleiben Sie! Ich mag nicht allein hier sein. Ich fürchte mich zu Tode.«

»Was aber soll ich da bei Ihnen? Sie zürnen doch!«

»Habe ich nicht Ursache dazu? Ehe ich mich hierher führen ließ, sagten Sie, Sie wollten tausend Eide schwören, daß ich nichts zu befürchten habe, und nun haben Sie mich betrogen und mir Alles geraubt.«

»Geraubt?« fragte er erstaunt.

»Ja doch!«

»Alles? Was meinen Sie?«

»Meine Ehre. Ist das nicht Alles!«

»Ich habe nicht im Mindesten gegen Ihre Ehre gesündigt.«

»Was! Sie leugnen?«

»Ich sage die Wahrheit.«

Da erröthete sie und sagte, sich halb abwendend:

»Ah, Sie verstehen mich falsch! Sie haben einen anderen Begriff von Ehre als ich. Wenn Sie ohne Erlaubniß eine Dame berühren, so verletzen Sie ihre Ehre. Und wissen Sie, was dann diese Dame verlangen kann?«

»Was?«

»Die Herstellung ihrer Ehre.«


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»Was ist da zu thun?«

»Ah, Sie wissen nicht, in welcher Weise die verletzte Ehre einer Dame restituirt wird?«

»Doch durch die Vermählung?«

»Sehen Sie, daß Sie es wissen! Ich könnte verlangen, daß Sie sofort erklären, mich - - oh, diese Beleidigung ist wirklich zu groß.«

»Gnädiges Fräulein, ich bin bereit, es gut zu machen.«

»Das können Sie nicht.«

»O, ich kann es und will es!«

»Das ist unmöglich. Eine Dame, welche in der Weise von einem Manne berührt wurde, wie Sie mich berührt haben, kann niemals einem Anderen gehören.«

»Gott, das wünsche ich ja!« rief er aus.

»Ah, Sie meinen, ich solle - - Ihre - -?«

»Meine Frau sein!«

»Ihre Frau! Jetzt weiß ich es, warum Sie mich hierher gelockt haben. Ich habe Sie abgewiesen, bin Ihnen aber heute willenlos in die Hände gefallen. Sie sind ein Bösewicht!«

Sie spielte ihre Rolle ausgezeichnet, zumal er die Widersprüche, derselben gar nicht bemerkte. Ihr Zorn erhöhte nur ihre Schönheit. Er war hingerissen; er ergriff ihre Hand und sagte:

»Verzeihen Sie mir! Was ich that, das that ich aus Liebe!«

»Sie haben mich verrathen und betrogen. Wie kann ich Ihnen verzeihen? Sie können mir nicht zurückgeben, was Sie mir genommen haben!«

»Ich kann es. Sie sagten, daß eine Dame keinem Anderen angehören könne - -«

»Ja.«

»Nun, so ist das auch bei Ihnen der Fall?«

»Ja. Sie haben mich um meine ganze Zukunft betrogen. Was können Sie mir dafür bieten?«

»Mich.«

Sie zuckte verächtlich die Achsel.

»Sich! Was ist das? Wer ist das? Wer sind Sie? Kein Mensch weiß das!«

Sein unschönes Gesicht wurde noch ernster als vorher.

»Sie spotten über mich,« sagte er, »aber mit Unrecht. Ich bin vielleicht mehr, als Sie vermuthen. - Ich bin reich; reicher, als Sie vielleicht glauben werden!«

»Pah! Ihren Reichthum erkennt man aus der Art und Weise Ihrer Einrichtung hier.«

»Der Schein trügt!«

»Sie täuschen mich nicht. Ja, der Reichthum vermag viel; er kann sogar Liebe erwecken. Wenn ein Mann das Wesen, welches er liebt, mit Glanz und Glück zu umgeben vermag, so wird Vieles vergessen und viele andere Ansprüche können sinken. Es kann die Tochter eines aristokratischen Hauses sich ent-


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schließen, sein Weib, sein liebendes Weib zu werden, aber - reich muß er sein, reich!«

»Das bin ich!«

»Lassen Sie sich nicht auslachen!«

Er war vom Sopha aufgestanden. Er stand vor ihr und sog ihren Anblick mit wahrem Seelendurst in sich ein. Was sie sagte, machte ihn trunken. Also nur reich brauchte er zu sein, um sie zu besitzen!

»Sagen Sie, würden Sie mir gehören, wenn ich wirklich reich genug wäre?« fragte er.

»Wenn Sie es genug wären, ja,« antwortete sie.

»Wieviel müßte ich haben? Wieviel verlangen Sie?«

»Wer kann da Ziffern angeben!«

»Sie können mir ja gar nicht anders als in Ziffern antworten. Wie reich müßte Ihr Verlobter sein?«

»Fragen Sie lieber, wie kostbar sein Verlobungsgeschenk sein müßte!«

»Nun gut, so will ich so fragen.«

»Auch da ist schwer zu antworten. Gesetzt, ich sollte Sie lieben und Ihnen angehören, welche Summe würden Sie an das Verlobungsfest wenden?«

»Fünf - nein, zehntausend Gulden.«

Sie blickte entrüstet auf ihn.

»Und Sie glauben, daß ich Ihnen für zehntausend Gulden sogleich um den Hals falle, Sie herze und küsse und Ihr Eigen bin und bleibe für's ganze Leben?«

»Nun gut! Ich würde zwanzigtausend sagen.«

»Wie splendid!«

»Sie spotten? Wissen Sie, welch eine Summe zwanzigtausend Gulden sind?«

»Pah! Wissen Sie, was es heißt, die Reize und Schönheiten einer Frau bis zum Entzücken genießen zu können?«

Sie hatte ihm die Hand auf den Arm gelegt und blickte ihn mit einem hinreißenden Ausdrucke an. Da antwortete er schnell:

»Dreißigtausend Gulden für dieses Entzücken!«

»Spaß!«

»Ist auch das nicht genug?«

»Es könnte genügen. Wer seiner Braut so viel schenkt, hat auch so viel, wie er braucht, um Noth und Sorge von ihr fern zu halten. Aber hier scherzen wir ja nur.«

»Scherzen? Ich spreche im Ernste.«

»Pah! Spielen wir nicht Theater!«

»Bei Gott, es ist mein Ernst! Hören Sie! Ich liebe Sie rasend. Ich bin bereit, Alles zu thun, um Ihre Gegenliebe zu erringen. Ich will Ihnen dienen und Ihnen gehorsam sein wie ein Sclave. Ich will Ihnen zu Füßen legen Alles, was ich besitze. Wollen Sie sich als meine Verlobte betrachten und mir das schriftlich und durch Handschlag und Kuß versichern, so lege ich Ihnen die erwähnte Summe zu Füßen.«


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»So bin ich fast neugierig, zu sehen, ob Sie Wort zu halten vermögen.«

»Warten Sie!«

Er ging in die Schlafstube. Sie hörte Schlüssel rasseln und Eisen klirren. Dann kehrte er zurück und legte ein Päcktchen Banknoten vor sie hin.

»Zählen Sie nach,« sagte er. »Es sind dreißig Tausendguldennoten.«

Sie zählte. Ihre Hände zitterten. Ihre Wangen waren blaß. Sie hatte, was sie sich gewünscht hatte, ja noch fünftausend mehr, aber um welchen Preis! Doch schwebte ihr der Gedanke vor, daß es ihr ja mit dieser Verlobung gar nicht ernst sei. Die Hauptsache war das Geld. Nur erst mit dem Gelde hier zum Thurme hinaus! Das Andere würde sich später finden.

»Stimmt es?« fragte er.

»Ja.«

»Sie sehen, daß ich Wort gehalten habe. Was werden nun Sie thun?«

»Auch Wort halten.«

»Ah! Sie sind meine Verlobte?«

»Ja.«

Da riß er sie an sich und schlang die Arme um sie, als ob er sie erdrücken wolle. Sie duldete nicht nur diese Umarmung, sondern sie erwiderte dieselbe. Sie küßte ihn freiwillig und flüsterte ihm zärtliche Ausdrücke zu, um nur ja keinen Argwohn in ihm aufkommen zu lassen.

Der scheinbar verletzte Fuß war ganz vergessen. Sie saßen eng verschlungen neben einander. Doch trotz seines Glückes brachte er dann doch einen Bogen Papier zum Vorschein, auf welchem sie sich als seine Verlobte erklären mußte.

»Was wird Dein Vater sagen?« fragte er.

»Er darf die Thatsache nicht sofort erfahren,« antwortete sie. »Es würde ihn zu sehr treffen. Er hatte ganz andere Pläne mit mir.«

»Du meinst, daß unsere Verlobung noch geheim bleiben soll?«

»Ja.«

»Wie lange?«

»Zwei Monate, wollen wir sagen.«

»Gut; aber länger warte ich nicht. Da aber fällt mir Dein Fuß ein. Schmerzt er noch sehr?«

»Nicht so sehr wie vorher. Der Umschlag hat geholfen.«

»Soll ich ihn erneuern?«

»Nein. Man wird daheim in Sorge um mich sein; ich muß fort.«

»Aber Du kannst doch unmöglich gehen!«

»Vielleicht doch, ich will es versuchen.«

Sie trat auf, und siehe da, es ging. Sie heuchelte zwar noch Schmerz, erklärte aber, daß sie glaube, keinen Wagen zu brauchen. Als sie nach dem Strumpfe griff, sagte er:

»Bitte, laß das mir! Was ich Dir ausgezogen habe, kann ich Dir auch wieder anziehen.«

Sie gewährte ihm auch noch diese Vertraulichkeit. Das Geld hatte sie


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ja erhalten. Dann wollte sie sich verabschieden. Er aber bestand darauf, sie zu begleiten. Sie durfte dieses Anerbieten nicht zurückweisen und hinkte nun an seinem Arme dem Gute zu. Am Garten blieben sie stehen, um Abschied zu nehmen.

»Wann sehe ich Dich wieder?« fragte er.

»Das weiß ich jetzt noch nicht.«

»Bitte, recht bald! Vielleicht morgen? Darf ich wohl hierher kommen und Dich erwarten?«

»Nein, das wäre unvorsichtig, mein Lieber. Ich komme lieber zu Dir. Das bemerkt Niemand.«

»Schön! Wann darf ich Dich erwarten?«

»Sobald ich kann. Jetzt weiß ich es noch nicht.«

»So bitte ich wenigstens, meine Geduld nicht gar zu lang zu peinigen!«

»Ich werde das Möglichste thun. Aber jetzt noch Eins: Du kennst mich, ich aber noch nicht Dich.«

»In dieser Beziehung zahle ich Dir gleiche Münze zurück. Du mußt warten. Ich bin ein Anderer, als ich scheine. Du wirst das Richtige an dem Tage erfahren, an welchem unsere Verlobung veröffentlicht wird. Welches Geschenk wirst Du Dir für die dreißigtausend Gulden kaufen?«

»Einen Diamantschmuck natürlich.«

»Dachte es mir.«

»Ich werde ihn an dem erwähnten Tage zum ersten Male anlegen. Gute Nacht.«

»Schlafe wohl, mein Leben!«

Noch ein Kuß, und dann eilte sie fort. Als sie sich aber in gehöriger Entfernung von ihm befand, blieb sie stehen, holte tief Athem und sagte:

»Welche Scenen! Gräulich! Aber schön bin ich, und der Eindruck weiblicher Schönheiten muß auf die Männer doch ein ungeheurer sein, da selbst Geizhälse solche Summen bezahlen. Natürlich ist es aus; er darf mich nie mehr berühren.«

In ihrem Zimmer nahm sie die übrigen fünftausend Gulden für sich weg. Dann suchte sie ihren Vater auf.

»Du warst fort,« sagte er. »Etwa bei ihm?«

»Ja.«

»Mit welchem Erfolge?«

»Mit diesem.«

Sie gab ihm das Geld in die Hand. Er fuhr vor Schreck zusammen, allerdings vor freudigem Schreck.

»Wie ist das möglich!« rief er aus. »Die ganze Summe, baar erhalten! Wie hast Du das angefangen?«

»Das ist vorläufig noch Geheimniß.«

»Deinem Vater gegenüber?«

»Hm! Du hast recht. Es ist Unsinn, heimlich zu thun. Dieses Geld ist mein Verlobungsgeschenk von ihm.«


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»Um Gottes willen!«

»Ist das so fürchterlich?«

»Verlobung? Das kann unmöglich sein!«

»Es soll auch nicht sein. Ich halte ihm nicht Wort.«

»Aber er hat Dein Wort?«

»Sogar schriftlich.«

»Welch' eine Unvorsichtigkeit!«

»Laß' es gut sein! Wir müssen das Geld haben; die Sache wird sich arrangiren lassen.«

»Wenn Hagenau etwas erfährt!«

»Er erfährt kein Wort.«

»Er kommt morgen ganz sicher. Ich bin neugierig, wie er Dir gefallen wird.«

»Entzückt werde ich nicht gerade von ihm sein. Ich hörte, daß er von seinen Kameraden der Kranich genannt wird; also hübsch ist er jedenfalls nicht.«

»Aber ein gutes Herz soll er besitzen.«

»Das ist die Hauptsache. Ich trachte nicht nach einer Ehe, in welcher sich das Ehepaar zu todte schnäbelt. Ich will gegenseitige vollste Freiheit haben. Bin ich schön, nun gut, so will ich es nicht blos für Einen sein. Das Gesicht meines Mannes geht mich nichts an; aber er soll so sein, daß ich mit ihm leben kann.«

Am anderen Tage kamen die Hagenau's, Vater und Sohn. Sie wurden mit Aufmerksamkeit überschüttet, und bereits bald nach ihrer Ankunft waren die beiden Väter so klug, ihre Kinder allein zu lassen.

Walther von Hagenau hatte sich die für ihn bestimmte Braut sehr genau betrachtet, Als sie jetzt neben einander am Fenster standen, zuckte ein sarkastischer Zug um seinen Mund. Er ließ ein kurzes Lachen hören und sagte:

»Ich liebe die Aufrichtigkeit, gnädiges Fräulein. Sie jedenfalls wohl auch?«

»Ja. Ihr Geschmack ist in dieser Beziehung auch der meinige.«

»So lassen Sie uns also aufrichtig sein! Kennen Sie den Grund meines heutigen Besuches?«

»Ja.«

»Wir sollen uns kennen lernen.«

»Das können wir ja thun.«

»Schön, nur ist es zuweilen nicht leicht, sich kennen zu lernen. Daher schlage ich vor, daß wir uns gegenseitig diese mühevolle Arbeit erleichtern. Wie gefalle ich Ihnen?«

»Meinen Sie äußerlich oder - - -«

»Zunächst äußerlich!«

»Hm, Kranich!«

»Danke!« lachte er. »Das ist allerdings aufrichtig. Also auch bis hierher ist mein Kriegsname gedrungen. Ja, schön bin ich nun freilich nicht!«


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»Das wird auch nicht verlangt. Ihr innerer Mensch wird mich jedenfalls befriedigen.«

»Hoffentlich. Dieser innere Mensch wird sich alle Mühe geben, sich Ihre Sympathie zu erwerben.«

"Jetzt aber darf ich wohl auch fragen, ob ich Ihnen gefalle."

»Und wohl nicht erfolglos. Jetzt aber darf ich wohl auch fragen, ob ich Ihnen gefalle?«

»Umgekehrt.«

»Wieso? Wie meinen Sie das?«

»Äußerlich gefalle ich Ihnen nicht, aber innerlich. Mir geht es mit Ihnen gerade umgekehrt.«

»Ah! Ich gefalle Ihnen äußerlich?«

»Ja.«

»Nicht aber innerlich?«

»Sie sind reizend, ja. Sie sind mehr als reizend; aber Ihre Seele ist schwarz.«

Er sagte diese Worte so bombastisch, daß sie laut auflachte und in künstlichem Schreck hinzusetzte:

»Wie die Nacht oder wie die Hölle!«

»So ungefähr. Schwarz ist sie. Freilich, ob diese Schwärze eine edle oder nur Rußschwärze ist, das kann ich noch nicht unterscheiden; darum eben müssen wir uns kennen lernen. Wenn ich mein Urtheil fertig habe, werde ich es Ihnen mittheilen.«

Er hatte es aber bereits fertig, denn als auf dem Heimwege sein Vater fragte, wie Theodolinde ihm gefallen habe, antwortete er:

»Gar nicht, lieber Vater.«

»Wie? Was? Dieses schöne, reizende Mädchen gefällt Dir nicht? Wo hast Du denn Deine Augen?«

»Ganz an der richtigen Stelle. Ihre Schönheit macht Eindruck, aber dieser Eindruck ist ein unheiliger.«

»Ich glaube gar, Du fängst an zu frömmeln!«

»So will ich mich anders ausdrücken: Ihre Schönheit ist diejenige einer Courtisane. Und ich habe keineswegs die Absicht, mir eine Frau zu nehmen nur zum Vergnügen Anderer.«

»Du irrst.«

»Das wollen wir sehen. Ich werde beobachten.«

»Aber beeile Dich damit! Wir brauchen Geld.«

»Hm! Ist dieser Herr von Tannenstein wirklich reich?«

»Ja.«

»Warum trägt er da unechte Steine in den Ringen?«

»Wären sie unecht?«

»Ja, ich wette auf meinen Kopf, daß sie imitirt sind. Ich werde denn doch die Augen ein Wenig aufmachen, ehe ich ein reiches Mädchen nehme, um mit ihr zu verhungern.«

Am nächsten Vormittage ließ sich Jacob Simeon bei dem Freiherrn


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melden. Er war erwartet worden und wurde in Folge dessen sogleich vorgelassen.

»Sie wollen sich meine Entscheidung holen,« sagte der Tannensteiner. »Ich bin entschlossen, es mit Ihnen zu versuchen. Haben Sie die Kette mit?«

»Ja.«

»Zeigen Sie her?«

»O bitte! Haben Sie das Geld?«

»Ja.«

»Zeigen Sie her! Sie sehen, daß ich Ihnen Ihre eigenen Worte zurückgebe. Man muß vorsichtig sein.«

»Da, sehen Sie sich diese Banknoten an!«

Der Freiherr warf ihm die Summe auf den Tisch. Der Goldarbeiter prüfte jede einzelne Note. Er hatte es wirklich kaum für möglich gehalten, eine solche Summe auf einmal ausgezahlt zu erhalten. Desto befriedigter steckte er sie zu sich und gab die Kette dafür heraus. Dann fragte er:

»Wie gedenken Sie es nun mit den Kindersachen zu halten?«

»Wir fahren heute nach der Residenz, nämlich ich und meine Tochter. Ich möchte keine Zeit verlieren.«

»Gut. Wo steigen Sie ab?«

»Das weiß ich noch nicht genau. Am Besten ist es, Sie bestimmen mir Ort und Zeit, wo und wann ich Sie treffen kann.«

»So kommen Sie Nachts punkt ein Uhr zum großen Brunnen auf dem Altmarkte. Sie werden mich treffen. Hoffentlich befinde ich mich da bereits im Besitze der Schlüssel.«

»Das Letztere ist die Hauptsache. Ich werde mich ganz bestimmt zu der angegebenen Zeit dort einfinden.«

Jacob Simeon ging, und der Freiherr theilte seiner Tochter das Resultat der Unterredung mit. Sie erklärte, ihn nach der Residenz begleiten zu wollen. Er ging darauf ein, sprach aber die Erwartung aus, daß sie nicht etwa beabsichtigen werde, sich an dem geheimen und so gefährlichen Vorhaben zu betheiligen. Sie erklärte, daß dies im Gegentheile ihre ganz bestimmte Absicht sei. Er erschrak über die Entschiedenheit, mit welcher sie dieses Vorhaben aussprach und sagte:

»Bedenke, welchen Gefahren Du Dich dabei preisgiebst!«

»Diese Gefahren sind ganz dieselben, welchen auch Du entgegengehst, Vater!«

»Es ist ein Unterschied dabei. Ich bin Mann.«

»Pah!«antwortete sie. »Als ob wir Frauen nur von Watte seien! Willst Du Dich lieber fremden Menschen anvertrauen als mir? Ich kenne Dich. Du bist kein sehr großer Held. Ich habe bedeutend mehr Muth als Du!«

»Oho!« meinte er gekränkt.

»Ja, es ist ganz gewiß so. Ich will Dich nicht beleidigen; Du mußt unbedingt zugeben, daß ich mehr Energie besitze als Du. Ich habe an Euern Paschergeschäften bedeutend mehr Antheil genommen als Du selbst; ich war mehr,


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weit mehr als einfach nur Deine Vertraute. Jetzt habe ich das Geld beschafft und will nun auch mitmachen.«

»Etwa gar mit in das Amtsgebäude eindringen?«

»Wenn ich es für nöthig halte, ja.«

»Bist Du toll?«

»Gar nicht.«

»Wenn man Dich unterwegs sieht! Eine Dame in Deiner Toilette fällt auf.«

»Unsinn! Ich werde doch nicht etwa ein Ballkleid anziehen. Ich werde schon für eine Kleidung sorgen, welche passend ist. Sei still! Ich mache mit, und dabei bleibt es!«

»Ich sage Dir, daß ich nicht einwilligen kann.«

»Und ich sage Dir, daß ich meinen Willen durchsetze! Hast Du diesem Manne das Geld gegeben und die Kette erhalten?«

»Ja.«

»Zeige sie. Man muß sie genau ansehen. - - -«

Im Tivoli, dem Locale, in welchem Max Holm zur Tanzmusik die Violine gespielt hatte, war wöchentlich zweimal gewöhnlicher Ball. Diese Abende wurden nur von den Söhnen und Töchtern bürgerlicher Familien frequentirt. Zuweilen verirrte sich auch ein achtbares Dienstmädchen dorthin.

Seit einiger Zeit hatte sich da die Zofe der Baronin Ella von Helfenstein dort eingefunden. Sie war von seiten des Gerichtes, welches das Palais des gefangenen Barons mit Beschlag belegt hatte, entlassen worden und wartete nun auf die Gelegenheit, in eine passende Stellung zu treten. Als gewöhnliches Hausmädchen wollte sie sich nicht engagiren lassen, bessere Placements aber waren selten. Das genirte sie aber nicht. Ihr Lohn war so gut gewesen, daß sie sich etwas gespart hatte. Darum konnte sie es für einige Zeit aushalten.

Sie war sehr hübsch, darum hatte es ihr an diesen Abenden nicht an Tänzern gefehlt. Heute nun hatte ihr der Briefträger ein Schreiben gebracht, dessen Verfasser zu errathen ihr unmöglich gewesen war. Es lautete:

»Geehrtes Fräulein.

Schon seit langer Zeit kenne ich Sie, obgleich ich mich Ihrer Aufmerksamkeit nicht erfreuen durfte. Ich sehne mich danach, Ihre Bekanntschaft zu machen und gäbe viel darum, wenn es mir gelingen könnte, Ihre Liebe zu erwerben. Sollte Ihr Herz noch nicht vergeben sein, so kommen Sie heute Abend wieder in das Tivoli. Ich werde daraus merken, daß Sie noch frei sind, und dann die Gelegenheit nicht versäumen, mich Ihnen zu Füßen zu legen.«

Unterschrieben waren diese Zeilen nicht. Jedes Mädchen freut sich, wenn sie gefällt, die Zofe freute sich auch, und zwar um so mehr, als sie eine bedeutende Portion Gefallsucht besaß. Sie war neugierig, den Verfasser kennen zu lernen. Auch ohne seinen Brief hätte sie heute das Tivoli besucht; nun aber ging sie natürlich erst recht.

Sie war kaum eingetreten, so wurde sie auch bereits engagirt. Sie tanzte


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fast jede Tour; aber diese Tänzer waren die gewöhnlichen; der Briefschreiber befand sich jedenfalls nicht unter ihnen. Da kam ein junger Mann die Reihe der Sitze entlang, dessen Gesicht ihr bekannt vorkam. Er blickte nicht nach ihr; er schien seine Aufmerksamkeit auf anderwärts gerichtet zu haben; aber als er an ihr vorüberschreiten wollte, fiel sein Blick wie zufällig auf sie, und er blieb stehen.

»Verzeihung, mein Fräulein,« sagte er, »mir ist, als ob ich Sie kennen müsse.«

Er war von stattlicher Figur und elegant gekleidet. Sein Ton klang sehr höflich, und die Verbeugung, welche er machte, befriedigte sie noch mehr. Darum antwortete sie:

»Auch mir ist es so, als ob ich Sie bereits gesehen hätte.«

»Wenn Sie mir erlaubten, neben Ihnen Platz zu nehmen, könnten wir überlegen, wo wir uns begegnet sind.«

»Bitte, setzen Sie sich!« klang ihre Aufforderung.

Er that es.

»Ob dieser es ist?« dachte sie.

Er gefiel ihr nicht übel. Sie sah eine schwere Uhrkette an seiner Weste und theure Ringe an seinen Fingern. Er schien also wohlhabend zu sein, obgleich er nicht gerade etwas Vornehmes an sich hatte. Einem Menschenkenner hätten seine zusammengekniffenen Lippen und sein stechender Blick nicht gefallen.

»Also, wo wir uns gesehen haben?« sagte er, die Beine gemächlich über einander legend.

»Ja. Hier ist es nicht gewesen,« antwortete sie.

»Wenigstens früher nicht. Einige Male habe ich Sie hier bemerkt, doch erst in letzter Zeit.«

»Und früher, wo? Ihr Gesicht kommt mir heimathlich vor.«

»Mir das Ihrige auch. Ich bin aus Grünbach.«

»Meinen sie das Grünbach, welches dem Freiherrn von Tannenstein gehört?«

»Ja.«

»So liegt Ihre Heimath freilich sehr nahe an der meinigen. Ich bin aus Reitzenhain, welches Herrn von Hagenau gehört.«

»Ach, jetzt erklärt es sich! Also dort haben wir uns gesehen. Nun, wissen Sie es, und die Untersuchung ist zu Ende. Muß ich deshalb nun wieder fort?«

»O nein,« antwortete sie lächelnd. »Ich werde doch meinen Landsmann nicht fortschicken, zumal - -«

Sie hielt inne und blickte ihn schalkhaft forschend an.

»Was wollen Sie sagen?« fragte er.

»Können Sie schreiben?« lachte sie.

»O, sehr gut,« lachte auch er.

»Vielleicht Briefe an Damen?«

»Wenn es sehr nothwendig ist, ja.«


// 2271 //

»Wann haben Sie den letzten Brief an eine Dame geschrieben?«

Er machte eine bedenkliche Miene und antwortete dann:

»Das kann noch nicht so sehr lange her sein.«

»An wen?«

»Wollen Sie das nicht lieber errathen?«

»Das kann ich nicht. Lieber möchte ich es von Ihnen hören.«

»Ich würde es wohl sagen, wenn ich wüßte, daß die Betreffende nicht bös darüber gewesen ist.«

»Nun, ich glaube nicht, daß man Ihnen eines Briefes wegen bös sein würde. Was haben Sie denn geschrieben?«

»Ich bat die Dame, heute hierher zu kommen.«

»Wozu?«

»Ich hätte gern einige Touren mit ihr getanzt und - -«

»Was? Was noch?«

»Sie dann auch weiter kennen gelernt.«

»Ist sie denn gekommen?«

»Ja.«

»Sie Glücklicher!«

»Ja,« nickte er, »ich bin allerdings ganz glücklich darüber.«

»Und ich bin ganz neugierig, sie zu sehen. Wo sitzt sie?«

»O, auf diese Weise werde ich es nicht verrathen. Aber passen Sie auf; diejenige, welche ich bei der nächsten Tour engagiren werde, die ist es.«

»Da werde ich allerdings genau aufmerken.«

Gerade jetzt war die Pause zu Ende, und die Musik intonirte einen flotten Galopp. Er erhob sich, verbeugte sich und bat um ihren Arm. Sie gab ihm denselben, und der Tanz begann. Als derselbe zu Ende war und Beide sich wieder setzten, fragte er:

»Jetzt wissen Sie es, an wen ich geschrieben habe. Nun möchte ich wissen, ob Sie zornig sind.«

»Ich wüßte nicht, weshalb ich zornig sein sollte.«

»Dann will ich eine große Bitte an Sie richten. Die aber können Sie mir leicht übel nehmen.«

»Wollen sehen! Lassen Sie hören!«

»Schenken Sie mir auch die übrigen Tänze?«

»Hm! Ich soll also mit keinem Anderen tanzen?«

»Das wünsche ich. Ich möchte Sie gern allein für mich haben, obgleich ich kein Recht dazu besitze. Oder interessiren Sie sich vielleicht für einen Anderen, so daß es Ihnen schwer fällt, meine Bitte zu erfüllen?«

»Es geht mich keiner etwas an, und damit Sie dies auch glauben, werde ich nur mit Ihnen tanzen.«

Sein Auge ruhte in freudiger Ueberraschung auf ihrem Gesicht. Ihre vollen Formen wollten fast die ganze Taille zersprengen; ihre küßlichen Lippen blühten ihm entgegen, und in ihrem Blicke leuchtete es, wie auffordernd zum Genusse.

»Das ist herrlich!« sagte er. »Das hätte ich nicht erwartet.«


// 2272 //

»Warum nicht?«

»Weil ich glaubte, Sie seien nicht mehr frei.«

»Da haben Sie sich geirrt.«

»O, vielleicht täuschen Sie mich doch!«

»Haben Sie Grund, dies anzunehmen?«

»Ja.«

»O, den möchte ich doch wissen!«

»Ein so schönes Mädchen kann doch kaum ohne Anbeter sein.«

»Anbeter, ja,« antwortete sie, verächtlich die fleischigen Schultern zuckend. »Aber ein Anbeter ist noch kein Liebhaber!«

»Der Unterschied ist nicht sehr groß, und ich kenne Einen, von dem ich doch denken möchte, daß er nicht ganz allein Anbeter gewesen ist.«

»Wer wäre das?«

»Ich werde das lieber verschweigen. Sie können ihn sehen, er ist heute ja da.«

Ihr Auge musterte schnell suchend die verschiedenen Tische und Menschengruppen. Dann antwortete sie:

»Ich sehe keinen Einzigen, den Sie meinen könnten.«

»O, im Saale ist er nicht, sondern da links in dem Nebenzimmer. Er befindet sich in liebenswürdiger Gesellschaft!«

»Sie machen mich so neugierig, daß ich wirklich einmal nachsehen möchte!«

»Thun Sie das. Ich warte hier!«

Sie stand auf und entfernte sich. Er blickte ihr siegesgewiß nach und murmelte für sich:

»Sie ist entzückend schön. Diese Hulda muß ich haben, und wenn ich sonst etwas thun sollte!«

Sein Auge folgte ihr fast trunken. Jetzt ging sie an der offenen, in das Nebenzimmer führenden Thür vorüber. Sie blickte hinein. Er sah sie zusammenzucken.

»Ah, sie hat ihn gesehen,« dachte er. »Nun werde ich es erfahren, ob es mit ihm aus ist.«

Sie schritt langsam und wie absichtslos promenirend um den Saal herum und kehrte dann zu ihm zurück.

»Nun, haben Sie ihn gesehen?« fragte er.

»Nein.«

»Er sitzt da drin!«

»Ich habe wirklich Keinen gesehen, für den ich mich interessiren könnte. Wen meinen Sie denn?«

»Nun, den gewissen Anton.«

»Anton? Ich kenne keinen Anton,« antwortete sie, indem sie sich erstaunt stellte.

»O, doch!«

»Dann wissen Sie es besser als ich,« schmollte sie.

»Besser wohl nicht. Sie sollten eigentlich aufrichtig sein.«


// 2273 //

»Aber wer ist denn dieser Anton?«

»Er ist - - ist - - Spion.«

»Spion? Wie meinen Sie das?«

»Geheimpolizist.«

»Ach gehen Sie! Ich habe nie mit der Polizei zu thun gehabt, am Allerwenigsten aber gar mit einem Geheimpolizisten.«

»Auch während Ihres letzten Dienstes nicht?«

»Nein. Wissen sie überhaupt, wo ich engagirt gewesen bin?«

»Bei der Baronin von Helfenstein.«

»Ah! Woher wissen Sie das?«

Er besann sich ein Weilchen und antwortete dann:

»Das darf ich Ihnen eigentlich nicht sagen.«

»Warum denn nicht?«

»Weil Sie mir dann gewiß sehr böse sein würden.«

»Ich an Ihrer Stelle ließe es darauf ankommen.«

»Meinen Sie? Nun, dann will ich es sagen. Aber ich habe mich Ihnen noch gar nicht vorgestellt - -«

»Ich auch nicht,« sagte sie. »Ich heiße Hulda Neumann.«

»Das weiß ich schon längst.«

»So scheinen Sie sich also mit mir beschäftigt zu haben?«

»Allerdings. Mein Name ist August Mehnert; ich bin Goldarbeiter. Ich war bis vor kurzer Zeit Gehilfe, und da ich nicht zu den Verschwendern gehöre und nicht bei meinem Principale wohnen konnte, so hatte ich mir eine unter dem Dache gelegene, billige Schlafstelle gemiethet. Die lag nach hinten. Ich konnte aus dem kleinen Fenster auf die Seitenfronte eines gewissen Palais sehen. Da gab es ein Fenster, welches stets erleuchtet wurde, sobald eine gewisse Baronin zur Ruhe gegangen war.«

Sie erröthete und fragte:

»Konnten Sie weit in dieses Fenster blicken?«

»Ich konnte das ganze Zimmerchen übersehen.«

»Abscheulich!«

»O nein. Was ich da sah, war keineswegs abscheulich.«

Hulda war keineswegs prüde. Sie wußte, daß sie hübsch sei. Sie hörte gern, daß man ihr dies sagte. Sie wollte es auch hören. Sie wollte wissen, was er gesehen habe und welchen Eindruck sie gemacht hatte; darum fragte sie:

»Eigentlich gehen mich Ihre Entdeckungen gar nichts an; aber vielleicht ist es interessant, was Sie erblickten?«

»Sehr! Ich lag des Abends zur bestimmten Zeit stets an meinem Fenster. Ich hatte kein Licht brennen, um mich nicht zu verrathen. Wenn dann drüben das Licht erschien, sah ich ein wunderherrliches Mädchen, welches - -«

»Welches - - nun?«

»Welches schlafen ging,« flüsterte er, sich verliebt zu ihr niederbeugend.


// 2274 //

»Da war es höchst unrecht von Ihnen, sich an das Fenster zu stellen. Sie sind ein sehr indiscreter Herr!«

»O, die Dame war noch viel indiscreter. Sie hätte doch die Vorhänge schließen können.«

»Vielleicht hatte sie keine Ahnung, daß sie belauscht werden konnte. Uebrigens pflegen die Herren sich nur zu oft solcher Sachen zu rühmen, die gar nicht geschehen sind.«

»Oho! Was ich sah, war sehr wirklich!«

»Nun, was haben Sie denn gesehen?«

Die Musik hatte einen rauschenden Walzer begonnen. Der Goldarbeiter mußte nahe an das hübsche Mädchen heranrücken, um verstanden zu werden. Das war ihm sehr lieb.

Er hielt seinen Mund fast ganz an Hulda's Ohr und flüsterte:

»Zunächst also ein reizendes, allerliebstes Zöfchen.«

»Dann weiter?«

»Dann war ich Zeuge der Nachttoilette.«

»Schlechter Mensch!«

»Ich sah Alles, Alles. Sie pflegte das Licht erst zu verlöschen, wenn sie bereits im Bettchen lag.«

»Wußten Sie, wer sie war?«

»Noch nicht. Natürlich besorgte ich mir einen Operngucker, um - -«

»Sie sind wirklich ein ganz gefährliches Subject!« unterbrach sie ihn.

»Da will ich lieber weiter nichts erzählen. Natürlich aber erkundigte ich mich nach ihrem Namen.«

»Bei wem?«

»Bei einem der Diener, den ich zuweilen in der Restauration traf. Er sagte mir, daß die Betreffende Hulda Neumann heiße, aber bereits vergeben sei.«

»Das war Lüge!«

»Bitte, leugnen Sie nicht. Anton, der Diener des Fürsten von Befour, besuchte Sie so oft und zu solcher Zeit, wie es nur ein Geliebter thun darf.«

»Nun, das ist Ihnen doch wohl sehr gleichgiltig gewesen?«

»Gleichgiltig? Alle Teufel! Ich hätte ihn todtschlagen mögen!«

»Sind Sie wirklich so bösartig?«

Ihr Gesicht hatte bei dieser Frage einen ganz anderen Ausdruck angenommen. Aus den Wangen war die Farbe gewichen, und ihr Blick ruhte begierig forschend auf ihm.

»Bösartig bin ich nicht,« antwortete er.

»Sie wollten doch todtschlagen?«

»Diesem Hallunken könnte ich allerdings Eins auswischen!«

»Aus purer Eifersucht!«

»Ja, ich will es gestehen, aus Eifersucht, aber auch, weil ich genau wußte, daß er Sie betrog.«


// 2275 //

»Mich betrügen? Das glauben Sie ja nicht!«

»Natürlich gesteht kein Mädchen so Etwas gern ein; aber es ist dennoch wahr. Er wollte Sie nur aushorchen.«

»Woher vermutheten Sie das?«

»Weil ich zufällig erfuhr, daß er Geheimpolizist war.«

»Hätte ich es doch auch gewußt,« grollte sie.

»Wie gern hätte ich es Ihnen gesagt!«

»Warum thaten Sie das nicht?«

»Ich konnte es doch nicht wagen. Ich glaubte natürlich, Sie seien im Einverständnisse mit ihm.«

»Das ist mir nicht eingefallen,« antwortete sie verlegen. »Sie hätten gar nichts gewagt.«

»Und sodann wußte ich damals doch auch gar nicht, was er eigentlich beabsichtigte; erst jetzt weiß ich es, nun ich erfahren habe, daß Ihr Baron der Hauptmann gewesen ist. Nun hat dieser Anton seinen Zweck erreicht und sieht Sie nicht mehr an. Ist's nicht so?«

Ihr Auge blitzte vor Zorn und Haß.

»Mich nicht mehr ansehen!« stieß sie hervor. »Ach! Könnte ich doch Etwas erfinden, was ihm wehe thäte, so recht wehe in's tiefste Herz, in's Leben hinein!«

»Denken Sie nach!«

»Ah! Man ist doch zu schwach zur Rache!«

»So suchen Sie sich Hilfe!« meinte er, ihre Hand ergreifend.

Sie ließ sie ihm, blickte ihn forschend an und sagte:

»Wer sollte mir helfen? Etwa Sie?«

»Warum nicht? Wenn es lohnte!«

»Welchen Lohn meinen Sie?«

»Sie selbst.«

Er hatte sich ganz zu ihr herübergebogen und blickte ihr begierig fragend in die Augen.

»Haben Sie Muth?« klang es ihm entgegen.

»Ja.«

»Ich meine nicht gewöhnlichen Muth.«

»Für Sie thue ich Alles.«

»Vielleicht werde ich Sie prüfen.«

»Thun Sie es. Darf ich Sie heute nach Hause begleiten?«

»Ja, gehen Sie mit. Wir können über diese Angelegenheit dann in größerer Ruhe sprechen. Ich habe das Verlangen, mich an diesem miserablen Menschen zu rächen. Wer ist denn Die, neben welcher er sitzt?«

»Seine Braut.«

»Ich kenne sie nicht.«

»Sie ist die Tochter des früheren Wachtmeisters Landrock. - Um Ihretwillen habe ich das Alles ausgeforscht.«

»Sie sind also bereits verlobt?«


// 2276 //

»Ja. Auch sein schöner College ist verlobt.«

»Der mit d'rin sitzt? Er war auch Diener beim Fürsten.«

»Ja, und machte es ebenso wie er. Dieser Adolf ist mit der Tochter des jetzigen Theatercassirers Werner verlobt, vorher aber betrog er ein armes Mädchen, um den Vater der Betrogenen in's Garn zu bekommen.«

»Wer war das?«

»Der alte Apotheker Horn.«

»Ah, der sich todt gestellt hat, um zu entfliehen, aber wieder gefangen worden ist?«

»Ja. Seiner Tochter geht es ebenso wie Ihnen. Was mag sie denken, wenn sie ihn jetzt neben der Anderen sitzen sieht? Jedenfalls sinnt sie auch auf Rache.«

»Ist sie denn hier?«

»Ja. Dort die dicke Kleine, uns schräg gegenüber, die kein Auge von der offenen Thür verwendet. Sehen Sie die Augen, welche sie macht? Als ob sie ihn verschlingen wollte. Das wäre eine Verbündete für Sie!«

Hulda beobachtete eine Zeitlang schweigend die dicke Jette. Dann fragte sie:

»Woher wissen Sie auch dieses von diesem Mädchen?«

»Hm! Eigentlich sollte ich es nicht wissen; aber ich habe es erlauscht. Bei meinem Principale wurde verschiedenes besprochen, was nicht für uneingeweihte Ohren war.«

»Wer ist Ihr Principal?«

»Er ist es nicht mehr, denn ich habe ihm das Geschäft vor kurzer Zeit abgekauft.«

»So sind Sie also jetzt selbstständig?«

»Vollständig. Ich bin mein eigener Herr und habe ein sehr gutes Auskommen. Mein Principal war jüdischer Abstammung und hieß Jacob Simeon.«

Sie blickte schnell und überrascht auf.

»Was! Bei dem waren Sie?«

»Ja. Kennen Sie ihn?«

»Gewiß! Er gehörte ja zu den Leuten des Haupt - -«

»Woher wissen Sie, daß er zu diesen Leuten gehörte?«

»Ich hörte es von den Polizisten, welche nach der Arretirung meines Herrn das Palais besetzten. Ich belauschte sie.«

»Donnerwetter! Und Jacob Simeon hat fest geglaubt, daß es kein Mensch ahne.«

»Es wurde auch nur als eine Vermuthung ausgesprochen. Ist Ihnen diese Horas da drüben nur von Weitem bekannt?«

»Nein. Ich kenne sie näher. Ihr Vater war oft bei uns, und ich hatte zuweilen Aufträge des Principals an ihn auszurichten. Sie heißt Jette.«

»Brr! Häßlicher Name!«

»Ebenso häßlich wie sie selbst.«

»Ich möchte wohl einmal mit ihr sprechen.«


// 2277 //

»Doch nicht!« meinte er ungläubig.

»Warum nicht?«

»Sie, die Schönheit selbst - -«

»Schmeichler!« lächelte sie selbstgefällig.

»Mit diesem Ausbund von Häßlichkeit!« fuhr er fort.

»Sie kann ja nicht dafür.«

»Der Diamant neben der Rußkohle.«

»O, die Rußkohle ist sehr nützlich. Vielleicht kann mir diese Horas Jette auch nützlich sein.«

»Nun, was das betrifft, so habe ich mit ihr gesprochen und kann Ihnen sagen, daß Sie darauf brennt, ihrem früheren süßen Adolf Eins auszuwischen.«

»Da passen wir also ganz prächtig zusammen. Wenn Sie mit ihr über solche Sachen sprechen, müssen Sie doch recht vertraut mit ihr sein?«

»Sie hält nicht gegen mich zurück.«

»Nun, so machen Sie es fertig, daß sie sich her zu uns setzt!«

»Das soll sofort geschehen.«

Er erhob sich, um den Auftrag auszuführen. Sie bemerkte noch:

»Sie werden uns für einige Zeit allein lassen. Ich denke nämlich, daß die Jette offenherziger sein wird, wenn Sie nicht dabei sind.«

Er ging. Hulda sah, welch ein erstauntes Gesicht die Dicke machte, als sie die Aufforderung vernahm. Sie folgte derselben sichtlich nur zögernd. Sie gab nicht gern den Platz auf, von welchem der Ungetreue so gut beobachtet werden konnte. Bald saßen beide Mädchen neben einander, in ein sehr angelegentliches Gespräch vertieft. Es kamen einige Tänzer, um Hulda zu engagiren. Sie schlug es aber ab. Die Unterhaltung war ihr wichtiger.

Der Goldarbeiter hatte sich nicht zu ihnen gesetzt. Es schlenderte im Saale herum und blieb dabei auch einige Male unter der offenen Thür halten, von welcher aus er die Nebenstube überblicken konnte.

Dort saßen Anton und Adolf mit dem Wachtmeister Landrock nebst dessen Tochter und dem jetzigen Theatercassirer Werner und dessen zwei Töchtern. Da heute keine Theatervorstellung war, hatte dieser Letztere Zeit gehabt, das Tivoli zu besuchen. Nach so langer Unglückszeit that ihm die Änderung seines Schicksals unendlich wohl. Sein Gesicht strahlte förmlich vor Vergnügen und Zufriedenheit.

Antons Auge fiel zufällig auf Mehnert, als dieser unter der Thür stand. Er stieß Adolf an und fragte:

»Kennst Du den jungen Menschen dort?«

»Gehilfe bei Jacob Simeon.«

»Dachte es mir. Ist aber nicht mehr Gehilfe, sondern selbst Besitzer. Werde ihn gleich einmal in's Examen nehmen.«

Er stand von seinem Stuhle auf und trat zu dem Goldarbeiter, ihn fragend:

»Nicht wahr, Sie sind jetzt der Besitzer des Geschäftes, in welchem Sie bisher arbeiteten?«


// 2278 //

»Ja, Herr.«

»Haben Sie es vollständig bezahlt?«

»Das geht Niemanden Etwas an!«

»O bitte, ich meine es nicht bös.«

»Warum fragen Sie so?«

»Weil ich wissen wollte, ob Sie in Verbindung mit Ihrem früheren Principale stehen. Hätten Sie noch an ihn zu zahlen, wäre das der Fall.«

»Es ist bezahlt,« antwortete Mehnert unwillig.

Auf diese Weise war er nicht zu packen, dies sah Anton ein. Daher versuchte er es auf eine andere Weise. Er wollte dem jungen Manne Etwas verdienen lassen, um ihn gesprächiger zu machen. Darum fragte er.

»Es paßt sich gut, daß ich Sie hier treffe. Fertigen Sie auch Trauringe an?«

»Natürlich!«

»Ihr früherer Principal war stets billiger als Andere. Ich brauche nächstens einen Hochzeitsring, dort mein Freund auch.«

»Ich habe diese Preise beibehalten.«

»Schön. Vielleicht schenken wir unseren Damen auch noch einen anderen Ring als den einfachen Goldreif. Sie haben doch vielleicht eine gute Auswahl?«

»O gewiß! Ich mache besonders in nachgemachten Edelsteinen, welche von den echten kaum zu unterscheiden sind.«

»Das paßt. Man ist natürlich nicht Millionär, um echte Diamanten kaufen zu können. Wir werden morgen einmal vorsprechen und uns Ihren Vorrath ansehen.«

Er that das natürlich nur, um von Mehnert vielleicht zu erfahren, wohin Jacob Simeon gekommen sei. Der junge Goldschmied aber durchschaute ihn und ging höhnisch lächelnd weiter. Als er an den beiden Mädchen vorüber wollte, fragte ihn Hulda:

»Dort stand doch dieser Spion bei Ihnen. Was wollte er?«

»Ueber meinen Principal mich aushorchen.«

»Sie sind doch nicht etwa dumm gewesen?«

»Fällt mir nicht ein. Sie mögen ihre Ringe bezahlen, erfahren aber werden sie nichts.«

»Ringe? Wollen sie welche kaufen?«

»Ja, ihre Trauringe, als Vorwand natürlich.«

Aus Hulda's Gesicht war alle Farbe gewichen. Sie starrte ihn an wie gedankenlos. Und doch befand sich ihr Geist gerade jetzt im schärfsten Nachdenken.

»Die Trauringe,« sagte sie vor sich hin. »Ach, wenn es doch nicht gerade die Trauringe wären.«

»Sie werden auch andere kaufen; dieser brave Anton sagte es mir.«

Sie fuhr bei dieser Mittheilung förmlich vom Stuhle empor.

»Ah, also auch andere Ringe.«

»Morgen wollen sie kommen.«


// 2279 //

»Morgen, schon morgen! O, wenn ich wüßte, was sie so ungefähr wählten!«

»Ich sprach von meinen imitirten Diamanten, und er schien Lust zu haben, sich so Etwas auszusuchen.«

»Schön, schön! Lassen Sie uns allein! Ich gebe Ihnen einen Wink, wenn Sie wiederkommen sollen.«

Er ging weiter. Die Dicke betrachtete Hulda mit Erstaunen und sagte:

»Sie sind auf einmal eine ganz Andere geworden, als von den Ringen die Rede war. Sie sind ganz aufgeregt.«

»Es ist auch kein Wunder. Wir zerbrachen uns vorhin die Köpfe, um auf einen Gedanken zukommen, wie wir uns rächen könnten, und nun ist dieser Gedanke da.«

»Sie machen mich begierig.«

Jette war körperlich und auch geistig schwerfälliger als die schöne Zofe, aber wenn es sich um die Rache an dem treulosen Geliebten handelte, so war sie Feuer und Flamme.

»Diese beiden Kerls haben ihren Vater in's Verderben gebracht?« sagte Hulda.

»In's Gefängniß!«

»Ja. Wie nun, wenn wir auch sie in's Gefängniß brächten?«

»Wäre das möglich?« fragte die Dicke, indem sich ihre Wangen schnell rötheten.

»O gewiß. Nicht nur sie Beide, sondern auch ihre Bräute.«

»Das, das wäre Rache!«

»Ja, denken Sie sich diese Werners Tochter im Gefängnisse.«

Sie hatte das in erhöhtem Tone gesprochen, um Jette noch mehr aufzuregen. Diese antwortete:

»Ich gäbe einige Jahre meines Lebens darum.«

»Das ist gar nicht nöthig.«

»Wie wäre das anzufangen?«

»Sehr leicht. Leichter, als wir denken. Es werden kostbare Ringe gestohlen. Die beiden Bräute tragen jede einen von diesen gestohlenen Ringen und werden natürlich arretirt.«

»Von wem haben sie sie denn?«

»Von ihren Bräutigams, die auch arretirt werden.«

»Und die Bräutigams haben sie wirklich gestohlen?«

»Wird ihnen nicht einfallen!«

»Dann giebt's auch keine Arretur!«

»O doch! Lassen Sie nur mich sorgen. Wissen Sie denn bereits, wo diese beiden Spione schlafen?«

»Nein.«

»Im Palais des gefangenen Barons von Helfenstein. Sie haben dieses Haus zu bewachen. Dort steht Alles noch genau so, wie der Baron es verlassen hat. Auch die angeschraubte Cassette mit dem Geschmeide ist wahrscheinlich noch vorhanden. Dieses Geschmeide wird gestohlen.«


// 2280 //

»Von wem?«

»Von uns Beiden natürlich.«

Jette erschrak.

»Um Gottes willen!« sagte sie.

»Sie haben Angst?«

»Ja.«

»Angst! Und wollen sich rächen? Sie sind verkauft und verrathen worden und zaudern jetzt, wo sich eine so gute Gelegenheit findet, die Uebelthäter samt ihren Metzen zu bestrafen? Schämen Sie sich!«

Das wirkte sofort. Jette antwortete:

»Es wird doch wohl sehr schwer sein.«

»Ganz leicht, kinderleicht.«

»Wie soll es denn zugehen? Meinen Sie etwa, daß wir in das Palais einbrechen und die Diamanten holen?«

»Ja, freilich.«

»Herrgott! Mich schaudert! Wenn man uns erwischt!«

»Das ist unmöglich. Die beiden Wächter sitzen ja dort im Zimmer und werden sobald nicht heimkommen.«

»Sie meinen, wie es scheint, daß wir es heute thun sollen?«

»Natürlich! Heute, gleich! Morgen sollen ja die Ringe gekauft werden.«

»Ich weiß nicht, wie das zusammenhängt.«

»Sehr einfach. Wir holen das Geschmeide, und ich gebe diesem Herrn Mehnert, welcher ganz vernarrt in mich ist, zwei von den Ringen, welche er an Anton und Adolf verkaufen muß, die sie dann ihren Mädchen schenken, bei denen sie gefunden werden. Ist das nicht einfach?«

»Ich finde es nicht so sehr einfach. Es ist dabei Einiges noch sehr unklar. Wie können wir in das Palais?«

»Mit dem Schlüssel.«

»Ah, Sie haben einen Schlüssel! Wie kommt das?«

»Ein gescheidtes Mädchen setzt sich stets so bald wie möglich in den Besitz eines eigenen Haus- oder Hauptschlüssels.«

»Den darf der Schlosser doch nicht machen für Sie!«

»Für das Mädchen freilich nicht, aber für die Herrschaft. Das Mädchen hat nur dafür zu sorgen, daß die Herrschaft den Schlüssel verliert. Verstanden?«

»Ja,« nickte die Dicke verständnißinnig. »Das Mädchen stibitzt den Schlüssel weg, und die Herrschaft muß sich einen anderen machen lassen.«

»Ja, so ist's auch bei mir gewesen. Und zwar hat die Herrschaft von dem Verluste nicht einmal Etwas gemerkt. Als die Baronin nach Rollenburg gekommen war, annectirte ich den Hauptschlüssel, und der Baron hat gar nicht an denselben gedacht. Ich brauche blos den Schlüssel zu holen, so können wir in das Palais, ohne bemerkt zu werden.«

»Können Sie denn auch in die Cassette?«


Ende der fünfundneunzigsten Lieferung - Fortsetzung folgt.



Karl May: Der verlorne Sohn

Karl May – Forschung und Werk