Nummer 19

Deutscher Hausschatz

2. Februar 1889


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Der Scout.

Reiseerlebniß in Mexico von Karl May.


(Fortsetzung.)


3. Kapitel. Die Kukluxes.

Obiges Wort ist noch heut’ ein sprachliches Räthsel, das verschiedentliche Lösungen gefunden hat. Der Name des berüchtigten Kukluxklan, oder anders geschrieben Ku-Klux-Klan, soll nach Einigen nur eine Nachahmung des Geräusches sein, welches durch das Spannen des Gewehrhahnes hervorgebracht wird. Andere setzen ihn zusammen aus cuc, Warnung, gluck, glucksen und clan, dem schottischen Worte für Stamm, Geschlecht oder Bande. Mag dem sein, wie ihm wolle; die Mitglieder des Ku-Klux-Klan wußten wohl selber nicht, woher ihr Name stammte und was er zu bedeuten hatte; es war ihnen auch gewiß ganz gleichgiltig. Einem von ihnen war das Wort vielleicht in den Mund gekommen, die Andern fingen es auf und sprachen es nach, ohne sich um den Sinn oder Unsinn dieser Bezeichnung zu bekümmern.

Nicht so unklar war der Zweck, welchen diese Verbindung verfolgte, die zuerst in einigen Grafschaften Nordkarolina’s auftrat, dann sich schnell über Südkarolina, Georgien, Alabama, Missisippi, Kentucky und Tennessee verbreitete und endlich gar ihre Glieder auch nach Texas sandte, um dort für ihre Zwecke thätig zu sein. Der Bund umfaßte eine Menge grimmiger, gegen die Nordstaaten erbitterter Feinde, deren Aufgabe es war, mit allen Mitteln, auch den unerlaubtesten und verbrecherischsten, gegen die nach der Beendigung des Bürgerkrieges eingetretene Ordnung anzukämpfen. Und in der That hielten die Kukluxes eine ganze Reihe von Jahren lang den Süden in beständiger Aufregung, machten jeden Besitz unsicher, hemmten Industrie und Handel, und selbst die strengsten Maßregeln vermochten es nicht, diesem unerhörten Treiben ein Ende zu machen.

Der Geheimbund, welcher in Folge der Reconstructionsmaßregeln, welche die Regierung dem besiegten Süden gegenüber zu treffen gezwungen war, entstand, rekrutirte sich aus Leuten, welche Anhänger der Sclaverei, aber Feinde der Union und der republikanischen Partei waren. Die Mitglieder wurden durch schwere Eide zum Gehorsam gegen die heimlichen Satzungen und durch Androhung der Todesstrafe zur Geheimhaltung ihrer Organisation verbunden. Sie scheuten vor keiner Gewaltthat, auch nicht vor Brand und Mord zurück, hatten regelmäßige Zusammenkünfte und erschienen bei Ausübung ihrer ungesetzlichen Thaten stets zu Pferde und in tiefer Vermummung. Sie schossen Pfarrherren von den Kanzeln und Richter von ihren Plätzen, überfielen brave Familienväter, um sie mit bis auf die Knochen zerfleischten Rücken inmitten ihrer Familien liegen zu lassen. Alle Raufbolde und Mordbrenner zusammengenommen waren nicht so zu fürchten, wie dieser Ku-Klux-Klan, welcher es so entsetzlich trieb, daß zum Beispiel der Gouverneur von Südkarolina den Präsidenten Grant ersuchte, ihm militärische Hilfe zu senden, da dem Geheimbunde, welcher bereits die bedenklichsten Dimensionen angenommen hatte, nicht anders beizukommen sei. Grant legte die Angelegenheit dem Congresse vor, und dieser erließ ein Anti-Ku-Klux-Gesetz, welches dem Präsidenten dictatorische Gewalt verlieh, die Bande zu vernichten. Daß man gezwungen war, nach einem so drakonischen Ausnahmegesetze zu greifen, ist ein sicherer Beweis, welche außerordentliche Gefahr sowohl für den Einzelnen, wie für die ganze Nation in dem Treiben der Kukluxes lag. Der Klan wurde nachgerade zu einem infernalischen Abgrunde, in welchem sich alle umstürzlisch gesinnten Geister zusammen fanden. Einer der geistlichen Herren, welcher von der Kanzel geschossen wurde, hatte nach der Predigt für das Seelenheil einer Familie gebetet, deren Glieder bei hellem Tage von den Kukluxes ermordet worden waren. In seinem frommen Eifer und auch ganz der Wahrheit gemäß bezeichnete er das Treiben des Klans als einen Kampf der Kinder des Teufels gegen die Kinder Gottes. Da erschien auf der gegenüberliegenden Empore eine vermummte Gestalt und jagte ihm eine Kugel durch den Kopf. Ehe die erschrockene Gemeinde sich von ihrem Entsetzen zu erholen vermochte, war dieser Teufel verschwunden

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Als unser Steamboot in La Grange anlangte, war es Abend geworden, und der Kapitän erklärte uns, daß er wegen der im Flußbett drohenden Gefahren für heute nicht weiter dampfen könne. Wir waren also gezwungen, in La Grange auszusteigen. Winnetou ritt vor uns über die Planke und verschwand zwischen den anstehenden Häusern im Dunkel der Nacht. Wir erwarteten, ihn morgen früh wieder an Bord zu sehen, und bekümmerten uns also nicht um ihn, zumal auch er uns nicht zu beachten schien und nur einmal, nachdem die Sezessionisten vom Schiffe entfernt worden waren, uns einen längern Blick geschenkt hatte. Dieser Blick aber war kein sehr sympathischer, sondern im Gegentheile ein ziemlich verächtlicher gewesen, wohl deßhalb, weil wir uns von den sezessionistischen Schuften so in Schach halten ließen. Er wußte vielleicht nicht, daß wir von dem Kapitän darum gebeten worden waren, und ich gestehe aufrichtig, daß dieser geringschätzende Blick mich noch für lange Zeit irritirte.

Auch in La Grange stand der Commissioner bereit, die Interessen des Schiffseigners zu versehen. Old Death wendete sich sofort an ihn:

»Sir, wann ist das letzte Schiff aus Matagorda hier angekommen, und stiegen alle Passagiere aus?«

»Das letzte Schiff kam vorgestern um dieselbe Zeit an und alle Passagiere gingen an Land, denn der Steamer fuhr erst am andern Morgen weiter.«

»Und Ihr waret hier, als früh wieder eingestiegen wurde?«

»Ganz natürlich, Sir.«

»So könnt Ihr mir vielleicht Auskunft ertheilen. Wir suchen zwei Freunde, welche mit dem betreffenden Steamer gefahren und also auch hier geblieben sind. Wir möchten gern wissen, ob sie dann früh die Fahrt fortgesetzt haben.«

»Hm, das ist nicht leicht zu sagen. Es war so dunkel und die Passagiere drängten so von Bord, daß man dem Einzelnen gar keine besondere Aufmerksamkeit schenken konnte. Wahrscheinlich sind die Leute früh Morgens alle wieder mitgefahren, einen gewissen Master Clinton ausgenommen.«

»Clinton? Ah, den meine ich. Bitte, kommt einmal her zu Eurem Lichte! Mein Freund wird Euch eine Photographie zeigen, um zu erfahren, ob es die Master Clinton’s ist.«

Wirklich erklärte der Commissioner mit aller Entschiedenheit, daß es diejenige des Mannes sei, den er meine.

»Wißt Ihr, wo er geblieben ist?« fragte Old Death.

»Genau nicht; aber sehr wahrscheinlich bei Sennor Cortesio, denn dessen Leute waren es, welche die Koffer holten. Er ist Agent für Alles, ein Spanier von Geburt. Ich glaube, er beschäftigt sich jetzt mit heimlichen Waffenlieferungen nach Mexico hinein.«

»Hoffentlich lernt man in ihm einen Gentleman kennen?«


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»Sir, heut’ zu Tage will Jeder ein Gentleman sein, selbst wenn er seinen Sattel auf dem Rücken trägt.«

Das galt natürlich uns Beiden, die wir mit unsern Sätteln vor ihm standen, doch war die Stichelei nicht bös gemeint. Darum fragte Old Death in ungeminderter Freundlichkeit weiter:

»Gibt es hier in diesem gesegneten Orte, wo außer Eurer Laterne kein Licht zu brennen scheint, ein Gasthaus, in welchem man schlafen kann, ohne von Menschen und andern Insekten belästigt zu werden?«

»Es ist nur ein einziges da. Und da Ihr so lange hier bei mir stehen geblieben seid, so werden die andern Passagiere Euch zuvorgekommen sein und die wenigen vorhandenen Räume in Beschlag genommen haben.«

»Das ist freilich nicht sehr angenehm,« antwortete Old Death, der auch diese Stichelei überhörte. »In Privathäusern darf man wohl keine Gastfreundschaft erwarten?«

»Hm, Sir, ich kenne Euch nicht. Bei mir selbst könnte ich Euch nicht aufnehmen, da meine Wohnung sehr klein ist. Aber ich habe einen Bekannten, der Euch wohl nicht fortweisen würde, falls Ihr ehrliche Leute seid. Er ist ein Deutscher, ein Schmied, aus Missouri hergezogen.«

»Nun,« entgegnete mein Freund, »mein Begleiter hier ist ein Deutscher, und auch mir ist die deutsche Sprache geläufig. Spitzbuben sind wir nicht; bezahlen wollen und können wir auch, und so calculire ich, daß Euer Bekannter es einmal mit uns versuchen könnte. Wollt Ihr uns nicht seine Wohnung beschreiben?«

»Das ist nicht nöthig. Ich würde Euch hinführen; aber ich habe noch auf dem Schiffe zu thun. Master Lange, so heißt der Mann, ist jetzt nicht zu Hause. Um diese Zeit sitzt er gewöhnlich im Wirthshause. Das ist so deutsche Sitte hier. Ihr braucht also nur nach ihm zu fragen, Master Lange aus Missouri. Sagt ihm, daß der Commissioner Euch geschickt habe! Geht grad aus und dann links um das zweite Haus; da werdet Ihr das Schänkhaus an den brennenden Lichtern erkennen. Die Läden sind wohl noch offen.«

Ich gab dem Manne ein Trinkgeld für die ertheilte Auskunft, und dann wanderten wir mit unsern Pferdegeschirren weiter. Das Vorhandensein des Wirthshauses war nicht nur an den Lichtern, sondern noch weit mehr an dem Lärm zu erkennen, welcher aus den geöffneten Fenstern drang. Ueber der Thüre war eine Thierfigur angebracht, welche einer Riesenschildkröte glich, aber Flügel und nur zwei Beine hatte. Darunter stand zu lesen: »Hawks inn.« Die Schildkröte sollte also einen Raubvogel vorstellen, und das Haus war der »Gasthof zum Geier«.

Als wir die Stubenthüre öffneten, kam uns eine dicke Wolke übelriechenden Tabaksqualmes entgegen. Die Gäste mußten mit vortrefflichen Lungen ausgerüstet sein, da sie in dieser Atmosphäre nicht nur nicht erstickten, sondern sich augenscheinlich ganz wohl zu befinden schienen. Uebrigens erwies sich der ausgezeichnete Zustand ihrer Lungen bereits aus der ungemein kräftigen Thätigkeit ihrer Sprachwerkzeuge, denn keiner sprach, aber Jeder schrie, sodaß es schien, als ob Niemand auch nur eine Sekunde schweige, um zu hören, was ein Anderer ihm vorbrüllte. Angesichts dieser angenehmen Gesellschaft blieben wir einige Minuten an der Thüre stehen, um unsere Augen an den Qualm zu gewöhnen und die einzelnen Personen und Gegenstände unterscheiden zu können. Dann bemerkten wir, daß es zwei Stuben gab, eine größere für gewöhnliche und eine kleinere für feinere Gäste, für Amerika eine sonderbare und sogar gefährliche Einrichtung, da kein Bewohner der freien Staaten einen gesellschaftlichen oder gar moralischen Unterschied zwischen sich und andern anerkennen wird.

Da vorn kein einziger Platz mehr zu finden war, so gingen wir nach der hinteren Stube, die wir ganz unbeachtet erreichten. Dort standen noch zwei Stühle leer, die wir für uns in Anspruch nahmen, nachdem wir die Sättel in eine Ecke gelegt hatten. An dem Tische saßen mehrere Männer, welche Bier tranken und sich in deutscher Sprache unterhielten. Sie hatten uns nur einen kurzen, forschenden Blick zugeworfen, und es schien mir, daß sie bei unserem Nahen schnell auf ein anderes Thema übergegangen seien, wie ihre unsichere, suchende Sprachweise vermuthen ließ. Zwei von ihnen waren einander ähnlich. Man mußte sie auf den ersten Blick für Vater und Sohn halten, hohe kräftige Gestalten mit scharf markirten Zügen und schweren Fäusten, ein Beweis fleißigen und anstrengenden Schaffens. Ihre Gesichter machten den Eindruck der Biederkeit, waren aber jetzt von lebhafter Aufregung geröthet, als ob man sich über ein unliebsames Thema unterhalten hätte.

Als wir uns niedersetzten, rückten sie zusammen, so daß zwischen ihnen und uns ein freier Raum entstand, ein leiser Wink, daß sie nichts von uns wissen wollten.

»Bleibt immerhin sitzen, Mesch’schurs!« sagte Old Death. »Wir werden Euch nicht gefährlich, wenn wir auch seit heut’ früh fast gar nichts gegessen haben. Vielleicht könnt Ihr uns sagen, ob man hier etwas Genießbares bekommen kann, was Einem die liebe Verdauung nicht allzu sehr maltraitirt?«

Der Eine, den ich für den Vater des Andern hielt, kniff das rechte Auge zusammen und antwortete lachend:

»Was das Verspeisen unserer werthen Personen betrifft, Sir, so würden wir uns wohl ein Wenig dagegen wehren. Uebrigens seid Ihr ja der reine Old Death, und ich glaube nicht, daß Ihr den Vergleich mit ihm zu scheuen brauchtet.«

»Old Death? Wer ist denn das?« fragte mein Freund mit möglichst dummem Gesicht.

»Jedenfalls ein berühmteres Haus als Ihr, ein Westmann und Pfadfinder, der in jedem Monate seines Herumstreichens mehr durchgemacht hat, als tausend Andere seit ihres ganzen Lebens. Mein Junge, der Will, hat ihn gesehen.«

Dieser »Junge« war vielleicht sechsundzwanzig Jahre alt, tief gebräunten Angesichtes, und machte den Eindruck, als ob er es gern und gut mit einem halben Dutzend Anderer aufnehmen würde. Old Death betrachtete ihn von der Seite her und fragte:

»Der hat ihn gesehen? Wo denn?«

»Im Jahre Zweiundsechzig, droben im Arkansas, kurz vor der Schlacht bei Pea Ridge. Doch werdet Ihr von diesen Ereignissen wohl kaum etwas wissen.«

»Warum nicht? Bin oft im alten Arkansas gewandert und glaube, um die angegebene Zeit nicht weit von dort gewesen zu sein.«

»So? Zu wem habt Ihr Euch denn damals gehalten, wenn man fragen darf? Die Verhältnisse liegen jetzt und in unserer Gegend so, daß man die politische Farbe eines Mannes, mit welchem man an einem Tische sitzt, genau kennen muß.«

»Habt keine Sorge, Master! Ich vermuthe, daß Ihr es nicht mit den besiegten Sklavenzüchtern haltet, und bin vollständig Eurer Meinung. Daß ich übrigens nicht zu dieser Menschensorte gehöre, konntet Ihr daraus ersehen, daß ich deutsch spreche!«

»Seid uns willkommen. Aber irrt Euch nicht, Sir! Die deutsche Sprache ist ein trügerisches Erkennungszeichen. Es gibt im andern Lager auch Leute, welche mit unserer Muttersprache ganz leidlich umzugehen wissen und dies benutzen, um sich in unser Vertrauen einzuschleichen. Das habe ich zur Genüge erfahren. Doch wir sprachen von Arkansas und Old Death. Ihr wißt vielleicht, daß dieser Staat sich beim Ausbruche des Bürgerkrieges für die Union erklären wollte. Es kam aber unerwartet ganz anders. Viele tüchtige Männer, denen das Sklaventhum und ganz besonders das Gebahren der Südbarone ein Gräuel war, thaten sich zusammen und erklärten sich gegen die Sezession. Aber der Mob, zu dem ich natürlich auch diese Barone rechne, bemächtigte sich schleunigst der öffentlichen Gewalt; die Verständigen wurden eingeschüchtert, und so fiel Arkan-


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sas dem Süden zu. Es verstand sich ganz von selbst, daß dies besonders unter den Einwohnern deutscher Abstammung eine große Erbitterung erweckte. Sie konnten aber vor der Hand nichts dagegen thun und mußten es dulden, daß namentlich die nördliche Hälfte des schönen Landes unter den Folgen des Krieges außerordentlich zu leiden hatte. Ich wohnte in Missouri, in Poplar Bluff, nahe der Grenze von Arkansas. Mein Junge, der da vor Euch sitzt, war, wie sich ganz von selbst versteht, in eines der deutschen Regimenter getreten. Man wollte den Unionisten in Arkansas zu Hilfe kommen und schickte eine Abtheilung zur Kundschaftung über die Grenze. Will war bei diesen Leuten. Sie trafen unversehens auf eine erdrückende Uebermacht und wurden nach verteufelter Gegenwehr überwältigt.«

»Also kriegsgefangen? Das war damals freilich schlimm. Man weiß, wie die Südstaaten es mit ihren Gefangenen trieben, denn von hundert derselben starben mindestens achtzig an schlechter Behandlung. Aber direct ging es doch nicht an’s Leben?«

»Oho? Da seid Ihr gewaltig auf dem Holzwege. Die braven Kerle hatten sich wacker gehalten, alle ihre Munition verschossen und dann noch mit Kolben und Messer gearbeitet. Das ergab für die Sezessionisten gewaltige Verluste, und darüber erbost, entschlossen sie sich, die Gefangenen über die Klinge springen zu lassen. Will war mein einziger Sohn, und ich stand also ganz nahe daran, ein verwaister Vater zu werden, und daß ich es nicht wurde, habe ich nur Old Death zu verdanken.«

»Wieso, Master? Ihr macht mich außerordentlich neugierig. Hat dieser Pfadfinder etwa ein Streifcorps herbei geführt, um die Gefangenen zu befreien?«

»Da wäre er zu spät gekommen, denn bevor solche Hilfe erscheinen konnte, wäre der Mord geschehen gewesen. Nein, er fing es als ächter, richtiger und verwegener Westmann an. Er holte die Gefangenen ganz allein heraus.«

»Alle Wetter! Das wäre ein Streich!«

»Und was für einer! Er schlich sich in das Lager, auf dem Bauche, wie man Indianer beschleicht, eine List, die ihm durch einen Regen, welcher an jenem Abende in Strömen niederfiel und die Feuer auslöschte, erleichtert wurde. Daß dabei einige Vorposten sein Messer gefühlt haben, versteht sich ganz von selbst. Die Sezessionisten lagen in einer Farm, ein ganzes Bataillon. Die Offiziere hatten natürlich das Wohnhaus für sich behalten, und die Truppen waren untergebracht worden, wie es eben ging; die Gefangenen aber, über zwanzig an der Zahl, hatte man in die Zuckerpresse eingeschlossen. Dort wurden sie von vier Posten bewacht, je einer an jeder Seite des Gebäudes. Am nächsten Morgen sollten die armen Teufel füsilirt werden. Des Nachts, kurz nach der Ablösung der Posten, hörten sie ein außergewöhnliches Geräusch über sich, auf dem Dache, das nicht vom aufprasselnden Regen herrührte. Sie lauschten. Da krachte es plötzlich. Das aus langen, aus Weichholz geschleißten Schindeln bestehende Dach war aufgesprengt worden. Irgend Jemand arbeitete das so entstandene Loch weiter, bis der Regen in die Presse fiel. Dann blieb es wohl über zehn Minuten lang still. Nach dieser Zeit aber wurde ein junger Baumstamm, an welchem sich noch die Aststummeln befanden, und der stark genug war, einen Menschen zu tragen, herabgelassen. An demselben stiegen die Gefangenen auf das Dach des niedrigen Gebäudes und von demselben zur Erde herab. Dort sahen sie die vier Posten, welche wohl nicht blos geschlafen haben werden, regungslos liegen und nahmen ihnen augenblicklich die Waffen. Der Retter brachte die Befreiten mit großer Schlauheit aus dem Bereiche des Lagers und auf den nach der Grenze führenden Weg, den sie alle kannten. Erst hier erfuhren sie, daß es Old Death, der Pfadfinder sei, der sein Leben gewagt hatte, um ihnen das ihrige zu erhalten.«

»Ist er mit ihnen gegangen?« fragte Old Death,

»Nein. Er sagte, er habe noch Wichtiges zu thun, und eilte fort, in die finstere, regnerische Nacht hinein, ohne ihnen Zeit zu lassen, sich zu bedanken oder ihn sich anzusehen. Die Nacht war so dunkel, daß man das Gesicht eines Menschen nicht erkennen konnte. Will hat nichts bemerken können als nur die lange, hagere Gestalt. Aber gesprochen hat er mit ihm und weiß noch heute jedes Wort, welches der wackere Mann zu ihm sagte. Käme Old Death uns einmal in die Hände, so sollte er erfahren, daß wir Deutsche dankbare Menschen sind.«

»Das wird er wohl auch ohnedies wissen. Ich calculire, daß Euer Sohn nicht der erste Deutsche ist, den dieser Mann getroffen hat. Aber, Sir, kennt Ihr vielleicht hier einen Master Lange aus Missouri?«

Der Andere horchte auf.

»Lange?« fragte er. »Warum fragt Ihr nach ihm?«

»Ich fürchte, daß wir hier im »Geier« keinen Platz mehr finden, und erkundigte mich bei dem Commissioner am Flusse nach einem Manne, der uns vielleicht ein Nachtlager geben werde. Er nannte uns Master Lange und rieth uns, diesem zu sagen, daß der Commissioner uns zu ihm schicke. Dabei meinte er, daß wir den Gesuchten hier finden würden.«

(Fortsetzung folgt.)

Redaktionsschluß: 21.1.1889



Nummer 20

Deutscher Hausschatz

9. Februar 1889


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Der ältere Mann richtete nochmals einen prüfenden Blick auf uns und sagte dann:

»Da hat er sehr Recht gehabt, Sir, denn ich selbst bin Master Lange. Da der Commissioner Euch sendet, und ich Euch für ehrliche Leute halte, so seid Ihr mir willkommen, und ich will hoffen, daß ich mich nicht etwa in Euch täusche. Wer ist denn da Euer Gefährte, der noch gar kein Wort gesprochen hat?«

»Ein Landsmann von Euch, ein Sachse, gar ein studirter, der herüber gekommen ist, um hier sein Glück zu machen.«

»O wehe! Die guten Leute da drüben denken, die gebratenen Tauben fliegen ihnen nur so in den Mund. Ich sage Euch, Sir, daß man hier hüben viel, viel härter arbeiten und bedeutend mehr Täuschungen erfahren muß, um es zu Etwas zu bringen, als drüben. Doch nichts für ungut! Ich wünsche Euch Erfolg und heiße Euch willkommen.«

Er gab nun auch mir die Hand. Old Death drückte sie ihm noch einmal und sagte:

»Und wenn Ihr nun noch im Zweifel seid, ob wir Euer Vertrauen verdienen oder nicht, so will ich mich an Euern Sohn wenden, welcher mir bezeugen wird, daß ich kein Mißtrauen verdiene.«

»Mein Sohn, der Will?« fragte Lange erstaunt.

»Ja, er und kein Anderer, Ihr sagtet, daß er sich mit Old Death unterhalten habe und noch jedes Wort genau wisse. Wollt Ihr mir wohl mittheilen, junger Mann, was da gesprochen worden ist? Ich interessire mich sehr lebhaft dafür.«

Jetzt antwortete Will, an den die Frage gerichtet war, in lebhaftem Tone:

»Als Old Death uns auf den Weg brachte, schritt er voran. Ich hatte einen Streifschuß in den Arm bekommen, welcher mich sehr schmerzte, denn ich war nicht verbunden worden und der Aermel war an der Wunde festgeklebt. Wir gingen durch ein Gebüsch. Old Death ließ einen starken Ast hinter sich schnellen, welcher meine Wunde traf. Das that so weh, daß ich einen Schmerzensruf ausstieß, und - - -«

»Und da nannte der Pfadfinder Euch einen Esel!« fiel Old Death ein.

»Woher wißt Ihr das?« fragte Will erstaunt.

Der Alte fuhr, ohne zu antworten, fort:

»Darauf sagtet Ihr ihm, daß Ihr einen Schuß erhalten hättet, dessen Wunde entzündet sei, und er rieth Euch, den Aermel mit Wasser aufzuweichen und dann fleißig die Wunde mit dem Safte von Way-bread (Wegebreit, Wegerich.) zu kühlen, wodurch der Brand verhütet werde.«

»Ja, so ist es! Wie könnt Ihr das wissen, Sir?« rief der junge Lange überrascht.

»Das fragt Ihr noch? Weil ich es selbst bin, der Euch diesen guten Rath gegeben hat. Euer Vater sagte vorhin, ich könne mich recht gut mit Old Death vergleichen. Nun, er hat sehr Recht, denn ich gleiche dem alten Kerl freilich so genau, wie eine Ehefrau der Gattin gleicht.«

»So - so - so seid Ihr es selber?« rief Will erfreut, indem er von seinem Stuhle aufsprang, und mit ausgebreiteten Armen auf Old Death zueilte; aber sein Vater hielt ihn zurück, zog ihn mit kräftiger Hand auf den Stuhl nieder und sagte:

»Halt, Junge! Wenn es sich um eine Umarmung handelt, so hat der Vater das erste Recht und zunächst die Pflicht, Deinem Retter die Vorderpranken um den Hals zu legen. Das wollen wir aber unterlassen, denn Du weißt, wo wir uns befinden, und wie man auf uns achtet. Bleib’ also ruhig sitzen!« Und sich zu Old Death wendend, fuhr er fort: »Nehmt mir diesen Einspruch nicht übel, Sir! Ich habe meine guten Gründe dafür. Hier ist nämlich der Teufel los. Daß ich Euch dankbar bin, dürft Ihr mir glauben, aber gerade darum bin ich verpflichtet, Alles zu vermeiden, was Euch in Gefahr bringen kann. Ihr seid, wie ich weiß und oft gehört habe, als Parteigänger der Abolitionisten bekannt. Ihr habt während des Krieges Coups ausgeführt, welche Euch berühmt gemacht, den Südländern aber großen Schaden gebracht haben. Ihr seid Heerestheilen des Nordens als Führer und Pfadfinder beigegeben gewesen und habt sie auf Wegen, auf welche sich kein Anderer gewagt hätte, in den Rücken der Feinde geführt. Wir


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haben Euch deßhalb hoch geehrt; die Südländer aber nannten Euch und nennen Euch heut’ noch einen Spion. Ihr wißt wohl, wie jetzt die Sachen stehen. Gerathet Ihr in eine Gesellschaft von Sezessionisten, so lauft Ihr Gefahr, aufgeknüpft zu werden.«

»Das weiß ich sehr wohl, Master Lange; ich mache mir aber nichts daraus,« entgegnete Old Death äußerst kühl. »Ich habe zwar keine Leidenschaft dafür, aufgehangen zu werden, aber man hat mir schon oft damit gedroht, ohne es wirklich fertig zu bringen. Erst heut’ wollte eine Bande von Rowdies uns beide an den Schornstein des Dampfers hängen, auch sie sind nicht dazu gekommen.« Und Old Death erzählte den Vorfall auf dem Dampfer. Als er geendet hatte, meinte Lange sehr nachdenklich:

»Das war sehr brav von dem Capt’n, aber auch gefährlich für ihn. Er bleibt bis morgen früh hier in La Grange, die Rowdies aber kommen vielleicht noch während der Nacht hierher; dann kann er sich auf ihre Rache gefaßt machen. Und Euch ergeht es vielleicht noch schlimmer.«

»Pah! Ich fürchte diese paar Menschen nicht. Habe bereits mit andern Kerlen zu thun gehabt.«

»Seid nicht allzu sicher, Sir! Die Rowdies werden hier ganz bedeutende Hilfe bekommen. Es ist in La Grange seit einigen Tagen nicht ganz geheuer. Von allen Seiten kommen Fremde, welche man nicht kennt, und die in allen Winkeln und an allen Ecken beisammen stehen und heimlich thun. Geschäftlich haben sie hier nichts zu suchen, denn sie lungern müßig herum und thun gar nichts, was auf ein Geschäft schließen läßt. Jetzt sitzen sie da drinnen in der Stube und reißen das Mundwerk auf, daß ein Grizzlybär es sich zum Lager wählen könnte. Sie haben schon entdeckt, daß wir Deutsche sind, und uns zu reizen versucht. Wenn wir ihnen antworteten, würde es sicher Mord und Todtschlag geben. Ich habe heut’ übrigens keine Lust, mich lange zu verweilen, und Ihr werdet Euch nach Ruhe sehnen. Aber mit dem Abendessen sieht es nicht allzu gut aus. Wir führen nämlich, da ich Wittwer bin, einen Junggesellentisch und gehen des Mittags in den Gasthof speisen. Auch habe ich vor einigen Tagen mein Haus verkauft, da mir hier der Boden zu heiß wird. Damit will ich nicht sagen, daß die Menschen mir hier nicht gefallen. Sie sind eigentlich nicht schlimmer als überall, aber in den Staaten ist der mörderische Krieg kaum beendet, und die Folgen liegen noch schwer auf dem Lande, und drüben in Mexico schlachtet man sich noch immer ab. Texas liegt so recht zwischen diesen beiden Gebieten; es gährt, wohin man blickt; aus allen Gegenden zieht sich das Gesindel nach hier, und das verleidet mir den Aufenthalt. Darum beschloß ich, zu verkaufen und dann zu meiner Tochter zu gehen, die sehr glücklich verheirathet ist, und bei deren Mann ich eine Stelle finde, wie ich sie mir nicht besser wünschen kann. Dazu kommt, daß ich hier im Orte einen Käufer gefunden habe, dem die Liegenschaft paßt und der mich sofort baar bezahlen konnte. Vorgestern hat er mir das Geld gegeben; ich kann also fort, sobald es mir beliebt. Ich gehe nach Mexico.«

»Seid Ihr des Teufels, Sir?« rief Old Death.

»Ich? Weßhalb denn?«

»Weil Ihr vorhin über Mexico geklagt habt. Ihr gabt zu, daß man sich da drüben abschlachte. Und nun wollt Ihr selbst hin!«

»Geht nicht anders, Sir. Uebrigens ist es nicht in der einen Gegend Mexico’s wie in der andern. Da, wohin ich will, nämlich ein wenig hinter Chihuahua, ist der Krieg zu Ende. Juarez mußte zwar bis nach EI Paso fliehen, hat sich aber bald aufgemacht und die Franzmänner energisch nach dem Süden zurückgetrieben. Ihre Tage sind gezählt; sie werden aus dem Lande gejagt, und der arme Maximilian wird die Zeche zu bezahlen haben. Es thut mir Leid, denn ich bin ein Deutscher und gönne ihm alles Gute. Um die Hauptstadt wird die Sache ausgefochten werden, während die nördlichen Provinzen verschont bleiben. Dort wohnt mein Schwiegersohn, zu dem ich mit dem Will gehen werde. Dort erwartet uns Alles, was wir nur hoffen können, denn, Sir, der wackere Kerl ist als Silberminenbesitzer sehr wohlhabend. Er befindet sich jetzt über anderthalb Jahre in Mexico und schreibt in seinem letzten Briefe, daß ein kleiner Silberminenkönig angekommen sei, der ganz gewaltig nach dem Großvater schreie. Alle Teufel, kann ich da hier bleiben? Ich soll an der Mine eine gute Anstellung erhalten, mein Junge, der Will hier, ebenso. Dazu kann ich dem kleinen Minenkönig das erste Abendgebet und dann das deutsche Alphabet und Einmaleins beibringen. - Ihr seht, Mesch’schurs, daß es für mich kein Halten gibt. Ein Großvater muß unbedingt bei seinen Enkeln sein, sonst ist er nicht am richtigen Platze. Also will ich nach Mexico, und wenn es Euch beliebt, mit mir zu reiten, so soll es mir lieb sein.«

»Hm!« brummte Old Death. »Macht keinen Scherz, Sir! Es könnte kommen, daß wir Euch beim Worte hielten.«

»Was, Ihr wollt mit hinüber? Das wäre freilich prächtig. Schlagt ein, Sir! Wir reiten zusammen.«

Er hielt ihm seine Hand hin.

»Langsam, langsam!« lachte Old Death. »Ich meine allerdings, daß wir wahrscheinlich nach Mexico gehen werden, aber ganz gewiß ist es doch noch nicht, und wenn der Fall eintreten sollte, so wissen wir jetzt noch nicht, welche Richtung wir einschlagen werden.«

»Wenn es nur das ist, Sir, so reite ich mit Euch, wohin Ihr wollt. Von hier ausführen alle Wege nach Chihuahua, und es ist mir ganz gleich, ob ich heute dort ankomme oder morgen. Ich bin ein eigennütziger Kerl und sehe gern auf meinen Vortheil. Ihr seid ein gewandter Westmann und berühmter Fährtensucher. Wenn ich mit Euch reiten darf, komme ich sicher hinüber, und das ist in der jetzigen unruhigen Zeit von großem Werthe. Wo gedenkt Ihr denn das Nähere zu erfahren?«

»Bei einem gewissen Sennor Cortesio. Kennt Ihr den Mann vielleicht?«

»Ob ich den kenne! La Grange ist so klein, daß sich alle Katzen mit Du anreden, und dieser Sennor ist ja derjenige, welcher mir das Haus abgekauft hat.«

»Vor allen Dingen möchte ich wissen, ob er ein Schuft oder ein Ehrenmann ist.«

»Das letztere, das letztere. Seine politische Färbung geht mich natürlich nichts an. Ob Einer kaiserlich oder republikanisch regiert sein will, das ist mir ganz gleich, wenn er nur sonst seine Pflicht erfüllt. Er steht mit der jenseitigen Grenze in reger Verbindung. Ich habe beobachtet, daß des Nachts Maulthiere mit vollen, schweren Kisten beladen werden, und daß sich heimlich Leute bei ihm versammeln, welche dann nach dem Rio del Norte gehen. Darum meine ich, man habe mit der Vermuthung Recht, daß er den Anhängern des Juarez Waffen und Munition liefere und ihnen auch Leute hinüberschicke, welche gegen die Franzosen kämpfen wollen. Das ist bei den hiesigen Verhältnissen ein Wagniß, welches man nur dann unternimmt, wenn man der Ueberzeugung ist, selbst bei einem jeweiligen Verluste dabei gute Geschäfte zu machen.«

»Wo wohnt er? Ich muß noch heute mit ihm reden.«

»Um zehn Uhr werdet Ihr ihn sprechen können. Ich hatte heute noch eine Unterredung mit ihm, deren Gegenstand sich aber indessen erledigt hat, so daß sie nicht mehr nöthig ist. Er sagte, daß ich um zehn Uhr zu ihm kommen könne, er werde kurz vorher ankommen.«

»Hatte er Besuch, als Ihr bei ihm waret?«


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»Den hatte er. Es waren Männer, welche bei ihm saßen, ein junger und ein älterer.«

»Wurden ihre Namen genannt?« warf ich gespannt ein.

»Ja. Wir saßen fast eine Stunde lang beisammen, und während einer solchen Zeit bekommt man schon die Namen derjenigen, mit denen man redet, zu hören. Der Jüngere hieß Ohlert, und der Aeltere wurde Sennor Gavilano genannt. Dieser letztere schien ein Bekannter von Cortesio zu sein, denn sie sprachen davon, daß sie sich vor mehreren Jahren in der Hauptstadt Mexico getroffen hätten.«

»Gavilano? Kenne den Mann nicht. Sollte Gibson sich jetzt so nennen?«

Diese Frage war an mich gerichtet. Ich zog die Photographien hervor und zeigte sie dem Schmiede. Er erkannte die beiden sofort und bestätigte:

»Das sind sie, Sir. Dieser hier mit dem hagern, gelben Kreolengesichte ist Sennor Gavilano; der Andere ist Master Ohlert, welcher mich in eine nicht geringe Verlegenheit brachte. Er fragte mich immerfort nach Gentlemen, die ich in meinem Leben noch nicht gesehen hatte, so z. B. nach einem Nigger, Namens Othello, nach einer jungen Miß aus Orleans, Johanna mit Namen, welche erst Schafe weidete und dann mit dem König in den Krieg zog, nach einem gewissen Master Fridolin, welcher einen Gang nach dem Eisenhammer gemacht haben soll, nach einer unglücklichen Lady Maria Stuart, der sie in England den Kopf abgeschlagen haben, nach einer Glocke, die ein Lied von Schiller gesungen haben soll, auch nach einem sehr poetischen Sir, Namens Ludwig Uhland, welcher zwei Sänger verflucht hat, wofür ihm irgend eine Königin die Rose von ihrer Brust herunterwarf. Er freute sich, einen Deutschen in mir zu finden, und brachte eine Menge Namen, Gedichte und Theaterhistorien zum Vorscheine, von denen ich mir nur das gemerkt habe, was ich soeben sagte. Das ging mir Alles wie ein Mühlenrad im Kopf herum. Dieser Master Ohlert schien ein ganz braver und ungefährlicher Mensch zu sein, aber ich möchte wetten, daß er einen kleinen Klapps hatte. Und endlich zog er ein Blatt mit einer Reimerei hervor, welche er mir vorlas. Es war da die Rede von einer schrecklichen Nacht, welche zweimal hinter einander einen Morgen, aber das drittemal keinen Morgen hatte. Es kamen da vor das Regenwetter, die Sterne, der Nebel, die Ewigkeit, das Blut in den Adern, ein Geist, der nach Erlösung brüllt, ein Teufel im Gehirn und einige Dutzend Schlangen in der Seele, kurz, lauter confuses Zeug, was gar nicht möglich ist und auch gar nicht zusammenpaßt. Ich wußte wirklich nicht, ob ich lachen oder ob ich weinen sollte.«

Es war kein Zweifel vorhanden, er hatte mit William Ohlert gesprochen. Sein Begleiter Gibson hatte jetzt zum zweiten Male seinen Namen geändert. Wahrscheinlich war der Name Gibson auch nur ein angenommener. Daß der Ver- und Entführer einen gelben Kreolenteint hatte, wußte ich auch, denn ich hatte ihn ja gesehen. Vielleicht stammte er wirklich aus Mexico und hieß ursprünglich Gavilano, unter welchem Namen ihn Sennor Cortesio kennen gelernt hatte. Gavilano heißt zu deutsch Sperber, eine Bezeichnung, welche dem Mann freilich alle Ehre machte. Vor allen Dingen lag mir daran, zu erfahren, welches Vorwandes er sich bediente, William so mit sich herum zu führen. Dieser Vorwand mußte für den Geisteskranken ein sehr verlockender sein und mit dessen fixer Idee, eine Tragödie über einen wahnsinnigen Dichter schreiben zu müssen, in naher Verbindung stehen. Vielleicht hatte Ohlert sich auch darüber gegen den Schmied ausgesprochen. Darum fragte ich den Letzteren:

»Welcher Sprache bediente sich dieser junge Mann während des Gespräches mit Euch?«

»Er redete Deutsch und sprach sehr viel von einem Trauerspiel, das er schreiben wollte, es sei aber nöthig, daß er Alles das, was in jenem enthalten sein solle, auch selbst vorher erlebe.«

»Das ist ja gar nicht zu glauben!«

»Nicht? Da bin ich ganz anderer Meinung, Sir! Die Verrücktheit besteht ja grad darin, Dinge zu unternehmen, die einem vernünftigen Menschen gar nicht in den Sinn kommen. Jedes dritte Wort war eine Sennorita Felisa Perilla, die er mit Hilfe seines Freundes entführen müsse.«

»Das ist ja wirklich Wahnsinn, der reine Wahnsinn! Wenn dieser Mann die Gestalten und Begebenheiten seines Trauerspiels in die Wirklichkeit überträgt, so muß man das unbedingt zu verhindern suchen. Hoffentlich ist er noch hier in La Grange?«

»Nein. Er ist fort, gestern abgereist. Er ist eben mit Sennor Cortesio nach Hopkins Farm, um von da nach dem Rio grande zu gehen.«

»Das ist unangenehm, höchst unangenehm! Wir müssen schleunigst nach, womöglich noch heute. Wißt Ihr vielleicht, ob man hier zwei gute Pferde zu kaufen bekommen kann?«

»Ja, eben bei Sennor Cortesio. Er hat immer Thiere, jedenfalls, um sie den Leuten abzulassen, welche er für Juarez anwirbt. Aber von einem nächtlichen Ritte möchte ich Euch doch abrathen. Ihr kennt den Weg nicht und bedürft also eines Führers, den Ihr für heute wahrscheinlich nicht mehr bekommen werdet.«

»Vielleicht doch. Wir werden Alles versuchen, heute noch fortkommen zu können. Vor allen Dingen müssen wir mit Cortesio sprechen. Es ist zehn Uhr vorüber, und da er um diese Zeit zu Hause sein wollte, so möchte ich Euch bitten, uns jetzt seine Wohnung zu zeigen.«

»Gern. Brechen wir also auf, wenn es Euch beliebt, Sir!«

Als wir aufstanden, um zu gehen, hörten wir Hufschlag vor dem Hause, und einige Augenblicke später traten neue Gäste in die vordere Stube. Zu meinem Erstaunen und nicht mit dem Gefühle der Beruhigung erkannte ich diese Leute, neun oder zehn der Sezessionisten, welchen der Kapitän heute so schöne Gelegenheit gegeben hatte, sich an das Ufer zu retten. Sie schienen mehreren der anwesenden Gäste bekannt zu sein, denn sie wurden von denselben lebhaft begrüßt. Wir hörten aus den hin und her fliegenden Fragen und Antworten, daß sie erwartet worden waren. Sie wurden zunächst so in Beschlag genommen, daß sie keine Zeit fanden, auf uns zu achten. Das war uns auch sehr lieb, denn es konnte keineswegs unser Wunsch sein, ihre Aufmerksamkeit zu erregen. Darum setzten wir uns einstweilen wieder nieder. Wären wir jetzt gegangen, so hätten wir an ihnen vorüber gemußt, und diese Gelegenheit hätten sie ganz sicher benutzt, mit uns anzubinden. Als Lange hörte, wer sie waren, stieß er die Verbindungsthüre so weit zu, daß sie uns nicht sehen, wir aber Alles hören konnten, was gesprochen wurde. Außerdem tauschten er und die Andern mit uns die Plätze, so daß wir mit dem Rücken nach der vorderen Stube saßen und die Gesichter von derselben abgewendet hatten.

»Es ist nicht nothwendig, daß sie Euch sehen,« meinte der Schmied. »Denn schon früher herrschte eine für uns nicht eben günstige Stimmung da draußen. Bemerkten sie Euch, die sie für Spione halten und heute schon aufknüpfen wollten, so wäre der Krawall sofort fertig.«

»Das ist ganz gut,« antwortete Old Death. »Aber meint Ihr etwa, daß wir Lust haben, hier sitzen zu bleiben, bis sie sich entfernt haben? Dazu ist keine Zeit vorhanden, da wir unbedingt zu Cortesio müssen.«

»Das könnt Ihr, Sir! Wir gehen einen Weg, auf welchem sie uns nicht sehen.«

(Fortsetzung folgt.)

Redaktionsschluß: 26.1.1889



Nummer 21

Deutscher Hausschatz

16. Februar 1889


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Old Death schaute sich in dem Zimmer um und sagte dann: »Wo wäre das? Wir können ja nur durch die Vorderstube.«

»Nein. Da hinaus haben wir es viel bequemer.«

Er deutete nach dem Fenster.

»Ist das Euer Ernst?« fragte der Alte. »Ich glaube gar, Ihr fürchtet Euch! Sollen wir uns französisch empfehlen wie Mäuse, welche aus Angst vor der Katze in alle Löcher kriechen? Man würde uns schön auslachen.«

»Furcht kenne ich nicht. Aber es ist ein gutes, altes, deutsches Sprichwort, daß der Klügste nachgibt. Es genügt mir vollständig, mir selbst sagen zu können, daß ich es nicht aus Furcht, sondern nur aus Vorsicht thue. Ich will gar nicht erwähnen, daß da draußen eine zehnfach größere Zahl, als wir sind, sitzt. Die Vagabunden sind übermüthig und ergrimmt. Sie werden uns nicht vorüberlassen, ohne uns zu belästigen, und da ich nicht der Mann bin, der dies duldet, und Euch auch nicht für Leute halte, die so Etwas ruhig hinnehmen, so wird es eine bedeutende Keilerei geben. In einem Kampfe mit der Faust, mit Stößen oder mit abgebrochenen Stuhlbeinen scheue ich eine solche Uebermacht nicht, denn ich bin ein Schmied und verstehe es, Köpfe breit zu hämmern. Aber ein Revolver ist eine verteufelt dumme Waffe. Der feigste Knirps kann mit einer erbsengroßen Kugel den muthigsten Riesen niederstrecken. Darum räth uns die einfachste Klugheit, diesen Kerlen ein Schnippchen zu schlagen, indem wir uns heimlich durch das Fenster aus dem Staube machen. Sie werden sich mehr darüber ärgern, als wenn wir uns stellen und Einigen von ihnen die Schädel einschlagen, uns aber selbst dabei blutige Nasen oder gar etwas noch Schlimmeres holen.«

Ich gab dem verständigen Manne im Stillen Recht, und auch Old Death sagte nach einer Pause:

»So ganz unklug ist Eure Meinung freilich nicht. Ich will auf Euren Vorschlag eingehen und meine Beine mit Allem, was daran hängt, zum Fenster hinausschieben. Hört doch einmal, wie sie brüllen! Ich glaube, sie sprechen von dem Abenteuer auf dem Steamer.«

Er hatte Recht. Die Neuangekommenen erzählten, wie es ihnen auf dem Dampfer ergangen war, dann von Old Death, dem Indianer und mir, sowie von der Hinterlist des Kapitäns. Ueber die Ausübung ihrer Rache waren sie nicht einig


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gewesen. Die sechs Rowdies und deren Anhang hatten den Dampfer erwarten wollen, die Andern aber nicht Lust oder Zeit dazu gehabt.

»Wir konnten uns natürlich nicht eine ganze Ewigkeit lang wartend an das Ufer setzen,« sagte der Erzähler, »denn wir mußten hierher, wo wir erwartet wurden. Darum war es ein Glück, daß wir eine naheliegende Farm fanden, auf welcher wir uns Pferde borgten.«

»Borgten?« fragte Einer lachend.

»Ja, borgten, aber freilich nach unserer Weise. Sie reichten indessen nicht für uns, und wir mußten zu Zweien auf einem Thiere sitzen. Später machte sich die Sache besser. Wir fanden noch andere Farmen, so daß schließlich auf jeden Mann ein Pferd kam.« Ein unbändiges Gelächter folgte dieser Diebstahlsgeschichte. Dann fuhr der Erzähler fort: »Ist hier Alles in Ordnung? Und sind die Betreffenden gefunden?«

»Ja, wir haben sie.«

»Und die Anzüge?«

»Haben zwei Kisten mitgebracht; das wird ausreichen.«

»So gibt es ein Vergnügen. Aber auch die Spione und der Kapitän sollen ihr Theil haben. Der Steamer hält ja heute nacht hier in La Grange, und so wird der Kapitän zu finden sein, und den Indianer und die beiden Spione werden wir auch nicht lange vergeblich zu suchen brauchen. Sie sind sehr leicht zu erkennen. Der Eine trug einen neuen Trapperanzug, und Beide hatten Sättel mit, ohne aber Pferde bei sich zu haben.«

»Sättel?« ertönte es jetzt in fast freudigem Tone. »Hatten nicht die Zwei, welche vorhin kamen und da draußen sitzen, ihre - - -«

Er sagte das Uebrige leiser, das galt natürlich uns.

»Mesch’schurs,« meinte der Schmied, »es ist Zeit, daß wir uns von dannen machen, denn in einigen Minuten kommen sie heraus. Steigt Ihr schnell voran! Eure Sättel reichen wir Euch hinaus.«

Er hatte sehr recht, drum fuhr ich, ohne mich zu geniren, schleunigst zum Fenster hinaus; Old Death folgte, worauf die Schmiede uns unsere Sachen, auch die Gewehre, nachreichten und dann auch hinaussprangen.

Wir befanden uns an der Giebelseite des Hauses auf einem kleinen, eingezäunten Platz, welcher wohl ein Grasgärtchen sein sollte. Als wir über den Zaun sprangen, bemerkten wir, daß auch die andern Gäste, welche sich mit uns in der kleinen Stube befunden hatten, durch das Fenster gestiegen kamen. Auch sie durften nicht hoffen, von Sezessionisten freundlich behandelt zu werden, und hielten es für das Beste, unserm Beispiele zu folgen.

»Nun,« lachte Lange, »sie werden Augen machen, die Kerle, wenn sie die Vögel ausgeflogen finden. Ist aber wirklich am besten so.«

»Aber eine verteufelte Blamage für den Augenblick!« schimpfte Old Death. »Es ist mir ganz so, als ob ich ihr höhnisches Gelächter hörte.«

»Laßt sie lachen! Wir lachen später, und das ist bekanntlich besser. Ich werde Euch schon beweisen, daß ich mich nicht vor ihnen fürchte, aber auf eine Wirthshausbalgerei lasse ich mich nicht ein.«

Die beiden Schmiede nahmen uns unsere Sättel ab und versicherten, sie könnten es nicht zugeben, daß ihre Gäste eine solche Last selbst schleppen müßten. Bald standen wir zwischen zwei Gebäuden. Das eine, links von uns, lag in tiefes Dunkel gehüllt, in dem andern, rechts, schimmerte ein Licht durch die Ladenritze.

»Sennor Cortesio ist zu Hause,« sagte Lange. »Dort, wo der Lichtstreifen durchdringt, wohnt er. Ihr braucht nur an die Thüre zu klopfen, so wird er Euch öffnen. Seid Ihr mit ihm fertig, so kommt da links herüber, wo wir wohnen. Klopft an den Laden, welcher sich neben der Thüre befindet! Wir werden indessen einen Imbiß fertig machen.«

Sie begaben sich nach ihrem Hause, und wir beide wendeten uns nach rechts. Auf unser Klopfen wurde die Thüre um eine schmale Lücke geöffnet, und eine Stimme fragte:

»Wer sein da?«

»Zwei Freunde,« antwortete Old Death. »Ist Sennor Cortesio daheim?«

»Was wollen von Sennor?«

Der Ausdrucksweise nach war es ein Neger, welcher diese Fragen stellte.

»Ein Geschäft wollen wir mit ihm machen.«

»Was, ein Geschäft? Es sagen, sonst nicht herein dürfen.«

»Sage nur, daß Master Lange uns schickt!«

»Massa Lange? Der sein gut. Dann wohl herein dürfen. Einen Augenblick warten!«

Er machte die Thüre zu, öffnete sie aber bereits nach kurzer Zeit wieder und brachte den Bescheid:

»Kommen herein! Sennor haben sagen, daß mit Fremden reden wollen.«

Wir traten durch einen engen Hausflur in eine kleine Stube, welche als Comptoir benutzt zu werden schien, denn ein Schreibepult, ein Tisch und einige Holzstühle waren das ganze, einfache Meublement. An dem Pulte stand ein langer, hagerer Mann, mit dem Gesicht nach der Thüre gekehrt. Der erste Blick in sein Gesicht brachte das Ergebniß, daß er ein Spanier sei.

»Buenas tardes!« beantwortete er unsern höflichen Gruß. »Sennor Lange sendet Euch? Darf ich erfahren, was Euch zu mir führt, Sennores?«

Ich war neugierig, was Old Death antworten werde. Er hatte mir vorher gesagt, daß ich ihn sprechen lassen solle.

»Vielleicht ist’s ein Geschäft, vielleicht auch nur eine Erkundigung, Sennor. Wir wissen es selbst noch nicht genau,« sagte der Alte.

»Wir werden ja sehen. Setzt Euch, und nehmt einen Cigarillo.«

Er hielt uns das Cigarettenetui und Feuerzeug entgegen, welches wir nicht abschlagen durften. Der Mexicaner kann sich nichts, am allerwenigsten aber ein Gespräch, eine Unterhandlung ohne Cigaretten denken. Old Death, welchem ein Primchen zehnmal lieber war als die feinste Cigarre, nahm sich so ein kleines, dünnes Ding, brannte es an, that einige gewaltige Züge, und - - die Cigarette hatte ausgeraucht. Ich verfuhr mit der meinigen sparsamer.

»Was uns zu Euch führt,« begann Old Death, »ist nicht von großer Bedeutung. Wir kommen nur deßhalb so spät, weil Ihr nicht früher zu treffen waret. Und wir wollen mit diesem Besuche nicht bis morgen warten, weil uns die hiesigen Zustände gar nicht zu einem langen Bleiben hier einladen. Wir haben die Absicht, nach Mexico zu gehen und Juarez unsere Dienste anzubieten. So Etwas thut man natürlich nicht gern auf’s Gradewohl. Man möchte eine gewisse Sicherheit haben, willkommen zu sein und angenommen zu werden. Darum haben wir uns unter der Hand erkundigt und dabei in Erfahrung gebracht, daß man hier in La Grange angeworben werden kann. Euer Name wurde uns dabei genannt, Sennor, und so sind wir zu Euch gekommen, und nun habt Ihr vielleicht die Gewogenheit, uns zu sagen, ob wir uns bei dem richtigen Manne befinden.«

Der Mexicaner antwortete nicht sogleich, sondern betrachtete uns mit forschenden Blicken. Sein Auge schien mit Befriedigung auf mir zu haften; ich war jung und sah rüstig aus. Old Death gefiel ihm wohl weniger. Die hagere, nach vorn gebeugte Gestalt des Alten schien nicht geeignet zu sein, große Strapazen auszuhalten. Dann fragte er:

»Wer war es, der Euch meinen Namen nannte, Sennor?«


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»Ein Mann, den wir auf dem Steamer trafen,« log Old Death. »Zufällig begegneten wir dann auch Master Lange und erfuhren von ihm, daß Ihr vor zehn Uhr nicht zu Hause sein würdet. Wir sind Nordländer deutscher Abstammung und haben gegen die Südstaaten gekämpft. Wir besitzen also militärische Erfahrung, sodaß wir dem Präsidenten von Mexico wohl nicht ganz ohne Nutzen dienen würden.«

»Hm! Das klingt recht gut, Sennor; aber ich will Euch aufrichtig sagen, daß Ihr nicht den Eindruck macht, den Anstrengungen und Entbehrungen, welche man von Euch fordern wird, gewachsen zu sein.«

»Das ist freilich sehr aufrichtig, Sennor,« lächelte der Alte. »Doch brauche ich Euch wohl nur meinen Namen zu nennen, um Euch zu überzeugen, daß ich sehr wohl zu gebrauchen bin. Ich werde gewöhnlich Old Death genannt.«

»Old Death!« rief Cortesio erstaunt. »Ist es möglich! Ihr wäret der berühmte Pfadfinder, welcher dem Süden so großen Schaden zugefügt hat?«

»Ich bin es. Meine Gestalt wird mich legitimieren.«

»Allerdings, allerdings, Sennor. Ich muß sehr vorsichtig sein. Es darf keineswegs an die Oeffentlichkeit gelangen, daß ich für Juarez werbe; besonders jetzt bin ich gezwungen, mich in Acht zu nehmen. Aber da Ihr Old Death seid, so ist für mich kein Grund der Zurückhaltung vorhanden, und ich kann Euch also ganz offen eingestehen, daß Ihr Euch an die richtige Adresse gewendet habt. Ich bin sofort und sehr gern bereit, Euch anzuwerben, kann Euch sogar eine Charge in sicherste Aussicht stellen, denn einen Mann wie Old Death wird man natürlich zu verwerthen wissen und steckt ihn nicht unter die gemeinen Soldaten.«

»Das hoffe ich allerdings, Sennor. Und was meinen Gefährten betrifft, so wird auch er, selbst wenn er als Soldat eintreten müßte, es sehr bald zu etwas Besserem bringen. Er hat es unter den Abolitionisten trotz seiner Jugend bis zum Kapitän gebracht. Sein Name ist allerdings blos Müller, aber vielleicht, ja höchst wahrscheinlich habt Ihr dennoch von ihm gehört. Er diente unter Sheridan und hat als Lieutenant bei dem berühmten Flankenmarsche über die Missionary-Ridge die Spitze der Avantgarde befehligt. Ihr wißt gewiß, welch kühne Raids (Reiterstückchen.) damals ausgeführt worden sind. Müller war der besondere Liebling Sheridans und hatte in Folge dessen den Vorzug, stets zu diesen gewagten Unternehmungen kommandirt zu werden. Er war auch der vielfach gefeierte Kavallerieoffizier, welcher in der blutigen und in ihren Folgen so entscheidenden Schlacht bei Five-Forks den General Sheridan, welcher bereits gefangen war, wieder heraushieb. Darum meine ich, daß er keine schlechte Acquisition für Euch ist, Sennor.«

Der Alte log ja das Blaue vom Himmel herunter! Aber durfte ich ihn Lügen strafen? Ich fühlte, daß mir das Blut in die Wangen stieg, aber der gute Cortesio hielt mein Erröthen für Bescheidenheit, denn er reichte mir die Hand und sagte, ebenfalls lügend wie ein Zeitungsschreiber:

»Dieses wohlverdiente Lob braucht Euch nicht peinlich zu berühren, Sennor Müller. Ich habe allerdings von Euch und Euern Thaten gehört und heiße Euch herzlich willkommen. Auch Ihr werdet natürlich sofort als Offizier eintreten, und ich bin bereit, Euch gleich jetzt eine Summe Baar zur Verfügung zu stellen, welche zur Anschaffung alles Nöthigen ausreicht.«

Old Death wollte beistimmen. Ich sah ihm das an; darum fiel ich schnell ein:

»Das ist nicht nöthig, Sennor. Wir haben nicht die Absicht, uns von Euch equipiren zu lassen. Zunächst haben wir nichts nöthig, als zwei Pferde, die wir vielleicht bekommen können. Sättel haben wir.«

»Das trifft sich gut. Ich kann Euch zwei tüchtige Thiere ablassen, und wenn Ihr sie wirklich bezahlen wollt, so werde ich sie Euch zu dem Einkaufspreise geben. Wir können morgen früh in den Stall gehen, wo ich Euch die Pferde zeigen werde. Es sind die besten, die ich habe. Habt Ihr schon ein Unterkommen für die Nacht?«

»Ja. Master Lange hat uns eingeladen.«

»Das trifft sich ausgezeichnet. Wäre dies nicht der Fall, so hätte ich Euch eingeladen, bei mir zu bleiben, obgleich meine Wohnung eine sehr beschränkte ist. Wie meint Ihr, wollen wir das Uebrige gleich jetzt oder morgen früh abmachen?«

»Gleich jetzt,« antwortete Old Death. »Welche Formalitäten sind denn zu erledigen?«

»Für jetzt gar keine. Ihr werdet, da Ihr Alles selbst zahlt, erst nach Eurem Eintreffen beim Corps in Pflicht und Eid genommen. Das Einzige, was zu thun ist, besteht darin, daß ich Euch mit Legitimation versehe und außerdem mit einem Empfehlungsschreiben, welches Euch die Chargen sichert, die Ihr nach Euern Eigenschaften zu beanspruchen habt. Es ist freilich besser, diese Schriftstücke sofort anzufertigen. Man kann hier nie wissen, was im nächsten Augenblicke geschieht. Habt also hier eine Viertelstunde Geduld. Ich werde mich beeilen. Da liegen Cigarillos, und hier will ich Euch auch einen guten Schluck vorsetzen, von welchem ich sonst Niemandem gebe. Darum ist leider nur ein einziges Glas vorhanden.«

Er schob uns die Cigaretten hin und holte eine Flasche Wein herbei. Dann trat er an das Pult, um zu schreiben. Old Death zog mir hinter dem Rücken des Mexicaners eine Grimasse, aus welcher ich ersah, daß er sich höchst befriedigt fühle. Dann goß er sich ein Glas voll, brachte die Gesundheit Cortesio’s aus und leerte es auf einem Zuge. Ich war bei Weitem nicht so befriedigt wie er, denn die beiden Männer, auf welche ich es abgesehen hatte, waren noch gar nicht erwähnt worden. Das flüsterte ich dem Alten zu. Er antwortete mit einer Gebärde, welche mir sagen sollte, daß er das schon auch noch besorgen werde.

Nach Verlauf einer Viertelstunde hatte Old Death die vorher volle Flasche ganz allein ausgetrunken und Cortesio war fertig. Der Letztere las uns vor dem Versiegeln das Empfehlungsschreiben vor, mit dessen Inhalte wir sehr zufrieden sein konnten. Dann füllte er nicht zwei, sondern vier Blanquets aus, von denen jeder von uns zwei erhielt. Zu meinem Erstaunen sah ich, daß es Pässe waren, der eine in französischer, der andere in spanischer Sprache gedruckt, und der erstere war von Bazaine und der letztere von Juarez unterschrieben. Cortesio mochte mein Erstaunen bemerken, denn er sagte unter einem Lächeln schlauer Befriedigung:

»Ihr seht, Sennor, daß wir im Stande sind, Euch gegen alle möglichen Vorkommnisse in Schutz zu nehmen. Wie ich zu den französischen Legitimationen komme, das ist meine Sache. Ihr wißt nicht, was Euch begegnen kann; und es ist also gut, dafür zu sorgen, daß Ihr für alle Fälle gesichert seid. Andern diese Doppelpässe zu geben, würde ich mich wohl hüten, denn sie werden nur ganz ausnahmsweise ausgestellt, und diejenigen Mannschaften, welche unter Bedeckung von hier abgehen, erhalten überhaupt keine Legitimationen.«

Dies benutzte Old Death endlich zu der von mir so heiß ersehnten Frage:

»Seit wann sind die letzten dieser Leute hinüber?«

»Seit gestern. Ich hatte einen Transport von über dreißig Rekruten, welchen ich bis Hopkins Farm selbst begleitet habe. Es befanden sich dieses Mal zwei Sennores in Privat dabei.«

(Fortsetzung folgt.)

Redaktionsschluß: 4.2.1889



Nummer 22

Deutscher Hausschatz

23. Februar 1889


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»Ah, so befördert Ihr auch Privatleute?" fragte Old Death in verwundertem Tone.

»Nein. Das würde zu Unzuträglichkeiten führen. Nur gestern machte ich eine Ausnahme, weil der eine dieser Herren ein guter Bekannter von mir war. Uebrigens werdet Ihr ausgezeichnet beritten sein und könnt, wenn Ihr morgen zeitig von hier fortreitet, das Detachement einholen, bevor es den Rio grande erreicht.«

»An welchem Punkte wollen die Leute über den Fluß gehen?«

»Sie nehmen die Richtung auf den Eagle-Paß. Da sie sich aber dort nicht sehen lassen dürfen, so halten sie sich ein wenig nördlicher. Zwischen dem Rio Nueres und dem Rio grande durchschneiden sie den von San Antonio kommenden Maulthierweg, kommen an Fort Inge vorüber, welches sie aber auch vermeiden müssen, und gehen zwischen den beiden Nebenflüßchen Las Moras und Moral über den Rio grande, weil es dort eine leicht passirbare Furth gibt, welche nur unsere Führer kennen. Von dort an halten sie sich westlich, um über Baya, Cruces, San Vinzente, Tabal und San Carlos die Stadt Chihuahua zu erreichen.«

Alle diese Orte waren mir böhmische Dörfer. Old Death aber nickte mit dem Kopf und wiederholte jeden Namen laut, als ob er die Gegend sehr genau kenne.

»Wir werden sie sicher einholen, wenn unsere Pferde wirklich nicht schlecht, und die ihrigen nicht allzu gut sind,« sagte er. »Aber werden sie es erlauben, daß wir uns anschließen?«

Cortesio bejahte lebhaft. Aber mein Freund fragte weiter: »Werden indessen die beiden Masters, welche Ihr Privatleute nanntet, auch damit einverstanden sein?«

»Jedenfalls. Sie haben gar nichts zu befehlen, ja, müssen sich freuen, unter dem Schutze des Detachements reisen zu dürfen. Da Ihr mit ihnen zusammentreffen werdet, so kann ich Euch sagen, daß Ihr sie als Gentlemen behandeln dürft. Der Eine, ein geborener Mexicaner, Namens Gavilano, ist ein Bekannter von mir. Ich habe schöne Stunden in der Hauptstadt mit ihm verlebt. Er hat eine jüngere Schwester, welche allen Sennores die Köpfe verdrehte.«

»So ist wohl auch er ein schöner Mann?«

»Nein. Sie sehen einander nicht ähnlich, da sie Stiefgeschwister sind. Sie heißt Felisa Perillo und war als reizende Cantora (Sängerin.) und entzückende Ballerina (Tänzerin.) in der guten Gesellschaft eingeführt. Später verschwand sie, und erst jetzt habe ich von ihrem Bruder gehört, daß sie noch in der Umgegend von Chihuahua lebt. Genaue Auskunft konnte er mir nicht geben, da auch er sich erst nach ihr erkundigen muß, wenn er dorthin kommt.«

»Darf ich fragen, was dieser Sennor eigentlich war oder ist?«

»Dichter.«

Old Death machte ein sehr verblüfftes und geringschätzendes Gesicht, so daß der brave Cortesio hinzusetzte:

»Sennor Gavilano dichtete umsonst, denn er besitzt ein bedeutendes Vermögen und braucht sich seine Gedichte nicht bezahlen zu lassen.«

»So ist er freilich zu beneiden!«

»Ja, man beneidete ihn, und in Folge der Cabalen, welche man deßhalb gegen ihn schmiedete, hat er die Stadt und sogar das Land verlassen müssen. Jetzt kehrt er mit einem Yankee zurück, welcher Mexico kennen lernen will und ihn gebeten hat, ihn in das Reich der Dichtkunst einzuführen. Sie wollen in der Hauptstadt ein Theater bauen.«

»Wünsche ihnen sehr viel Glück dazu! Also hat Gavilano gewußt, daß Ihr Euch jetzt in La Grange befindet?«

»O nein. Ich befand mich zufällig am Flusse, als der Dampfer anlangte, damit die Passagiere hier die Nacht zubringen könnten. Ich erkannte den Sennor sofort und lud ihn natürlich ein, mit seinem Begleiter bei mir zu bleiben. Es stellte sich heraus, daß die beiden nach Austin wollten, um von da aus über die Grenze zu gehen, und ich bot ihnen die passende Gelegenheit an, schneller und sicherer hinüber zu kommen. Denn für einen Fremden, zumal wenn er nicht sezessionistisch gesinnt ist, ist es nicht gerathen, hier zu verweilen. In Texas treiben jetzt Leute ihr Wesen, welche gern im Trüben fischen, allerhand nutzloses oder gefährliches Gesindel, dessen Herkommen und Lebenszweck man nicht kennt. Man hört allerorts von Gewaltthaten, von Ueberfällen und Grausamkeiten, deren Veranlassung Niemand kennt. Die Thäter verschwinden spurlos, wie sie gekommen sind, und die Polizei steht dann den Thatsachen völlig rathlos gegenüber.«

»Sollte es sich etwa um den Ku-Klux-Klan handeln?« fragte Old Death.

»Das haben Viele gefragt, und in den letzten Tagen sind Entdeckungen gemacht worden, welche es wahrscheinlich machen, daß man es mit dieser Geheimbande zu thun habe. Vorgestern hob man unten in Halletsville zwei Leichen auf, denen Zettel mit der Inschrift »Yankee-Hounds« angeheftet waren. Drüben in Shelby wurde eine Familie fast todt gepeitscht, weil der Vater derselben unter General Grant gedient hat. Und heute habe ich erfahren, daß drunten bei Lyons eine schwarze Kapuze gefunden worden ist, auf welche zwei weiße, eidechsenartig geschnittene Zeugstücke aufgenäht waren.«

»Alle Wetter! Solche Masken tragen die Kukluxer!«

»Ja, sie hängen sich schwarze, mit weißen Figuren versehene Kapuzen über das Gesicht. Jeder Einzelne soll sich einer besonderen Figur bedienen, an welcher man ihn erkennt, denn ihre Namen sollen sie unter einander nicht einmal wissen.«

»So steht allerdings zu vermuthen, daß der Geheimbund anfängt, sein Wesen auch hier zu treiben. Nehmt Euch in Acht, Don Cortesio. Sie kommen sicher hierher. Zuerst waren sie in Halletsville, und die Capuze hat man in Lyons gefunden. Der letztere Ort liegt doch wohl bedeutend näher nach hier als der erstere?«

»Allerdings, Sennor, Ihr habt Recht. Ich werde von heute an Thüren und Fenster doppelt sorgfältig verschließen und meine geladenen Gewehre bereit halten.«

»Daran thut Ihr sehr recht. Diese Kerle dürfen nicht geschont werden, denn sie schonen auch nicht. Wer sich ihnen ohne Gegenwehr ergibt, weil er auf ihre Milde rechnet, der hat sich getäuscht. Ich würde nur mit Pulver und Blei zu ihnen sprechen. Uebrigens scheint es drüben im Wirthshause nicht ganz geheuer zu sein, denn wir sahen da Gentlemen, denen nichts Gutes zuzutrauen ist. Ihr werdet klug thun, Alles sorgfältig zu verstecken, womit man Euch beweisen kann, daß Ihr zu Juarez haltet. Thut das heute schon! Es ist besser, einmal unnöthiger Weise vorsichtig zu sein, als sich wegen einer kleinen Unterlassung durchpeitschen oder gar erschießen zu lassen. Jetzt denke ich, daß wir fertig sind. Morgen Früh sehen wir uns wieder. Oder hättet Ihr uns heute noch Etwas zu bemerken?«

»Nein, Sennores. Für heute sind wir fertig. Ich freue mich sehr, Euch kennen gelernt zu haben und hoffe, später


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recht Gutes von Euch zu hören. Ich bin überzeugt, daß Ihr bei Juarez Euer Glück machen und schnell avanciren werdet.«

Damit waren wir entlassen. Cortesio reichte uns freundlich die Hand, und wir gingen. Als sich die Hausthüre hinter uns geschlossen hatte und wir nach Lange’s Wohnung hinübergingen, konnte ich mich doch nicht halten, dem Alten einen gelinden Rippenstoß zu versetzen und dabei zu sagen:

»Aber, Master, was fiel Euch ein, den Sennor in dieser Weise anzuflunkern! Eure Lügen waren ja häuserhoch!«

»So? Hin! Das versteht Ihr nicht, Sir! Es war immerhin möglich, daß wir abgewiesen wurden. Darum erweckte ich bei dem Sennor möglichst großen Appetit nach uns.«

»Und sogar Geld wolltet Ihr nehmen! Das wäre der offenbare Betrug gewesen!«

»Nun, offenbar gerade nicht, denn er wußte nichts davon. Warum sollte ich nicht nehmen, was er uns freiwillig anbot?«

»Weil wir nicht die Absicht haben, dies Geld zu verdienen.«

»So! Nun, in diesem Augenblicke haben wir diese Absicht freilich nicht. Aber woher wißt Ihr denn so ganz genau, daß wir nicht Gelegenheit finden werden, der Sache Juarez’ zu dienen? Wir können sogar um unser selber willen dazu gezwungen sein. Doch kann ich Euch nicht Unrecht geben. Es ist sehr gut, daß wir kein Geld nahmen, denn nur dadurch sind wir zu den Pässen und zu dem Empfehlungsschreiben gekommen. Das Allerbeste aber ist, daß wir nun wissen, wohin sich Gibson gewendet hat. Ich kenne den Weg sehr genau. Wir brechen zeitig auf, und ich bin überzeugt, daß wir ihn einholen werden. In Folge unserer Papiere wird der Kommandeur des Detachements sich nicht eine Sekunde lang weigern, uns die beiden auszuliefern.«

Wir brauchten bei Lange nicht zu klopfen. Er lehnte unter der geöffneten Thüre und führte uns in die Stube. Diese hatte drei Fenster, welche mit dicken Decken verhangen waren.

»Wundert Euch nicht über diese Vorhänge, Mesch’schurs!« sagte er. »Ich habe sie mit Absicht angebracht. Wollen überhaupt möglichst leise sprechen. Die Kukluxer brauchen nicht zu wissen, daß Ihr bei uns seid.«

»Habt Ihr die Hallunken gesehen?«

»Ihre Kundschafter wenigstens. Ich hatte, während Ihr so lange drüben bei Sennor Cortesio waret, Langeweile und ging hinaus, auf Euch zu warten, damit Ihr nicht erst zu klopfen brauchtet. Da hörte ich Jemand heranschleichen von der Seite, wo das Wirthshaus liegt. Ich schob die Thüre bis zu einer schmalen Spalte zu und lugte durch diese letztere hinaus. Drei Männer kamen und blieben nahe bei der Thüre stehen. Trotz der Dunkelheit sah ich, daß sie sehr lange, weite Hosen, ebenso weite Jacken und dazu Kapuzen trugen, welche über die Gesichter gezogen waren. Diese Verkleidung war aus dunklem Stoffe gemacht und mit hellen Figuren besetzt.«

»Ah, wie es bei den Kukluxern der Fall ist!«

»Ganz recht. Zwei von den Dreien blieben bei der Thüre stehen. Der Dritte schlich sich an das Fenster und versuchte, durch den Laden zu blicken. Als er zurückkehrte, meldete er, daß nur ein junger Mensch in der Stube sei, welcher der junge Lange sein müsse; der Alte sei nicht da, aber es stehe Essen auf dem Tische. Da meinte einer der beiden Andern, daß wir jetzt zu Abend essen und dann schlafen gehen würden. Sie wollten rund um das Haus gehen, um zu sehen, wie man am besten hineinkommen könne. Dann verschwanden sie um die Ecke, und Ihr kamt, nachdem wir soeben die Fenster verhängt hatten. Aber über diesen Schuften darf ich nicht vergessen, daß Ihr meine Gäste seid. Setzt Euch nieder; eßt und trinkt! Ihr findet heute nur die Kost eines Hinterwäldlers bei mir; doch was ich habe, gebe ich herzlich gern. Wir können auch während des Essens über die Gefahr sprechen, welche mir droht.«

»Eine Gefahr, in welcher wir Euch nicht verlassen werden, wie sich ganz von selbst versteht,« sagte Old Death. »Wo habt Ihr denn Euren Sohn?«

»Als Ihr drüben herauskamt, schlich er sich davon. Ich habe einige gute Freunde, Deutsche, auf welche ich rechnen kann. Die soll er heimlich holen. Zwei von ihnen kennt Ihr schon. Sie saßen im Wirthshause mit an unserm Tische.«

»Sie werden doch trachten, unbemerkt ins Haus zu kommen? Es ist Euer Vortheil, die Kukluxer denken zu lassen, daß sie es nur mit Euch und Eurem Sohne zu thun haben.«

»Habt keine Sorge! Diese Leute wissen schon, was sie thun, und übrigens habe ich meinem Will gesagt, wie er sich verhalten soll.«

Das Essen bestand in Schinken, Brod und Bier. Wir hatten kaum begonnen, so hörten wir, scheinbar einige Häuser weit, das Winseln eines Hundes.

»Das ist das Zeichen,« sagte Lange, indem er aufstand. »Die Leute sind da.«

Er ging hinaus, um zu öffnen, und kehrte mit seinem Sohne und fünf Männern zurück, welche mit Gewehren, Revolvern und Messern bewaffnet waren. Sie nahmen schweigend Platz, wo sie irgend einen Gegenstand zum Sitzen fanden. Keiner sprach ein Wort, aber alle musterten die Fenster, ob dieselben auch gut verhangen seien. Das waren die richtigen Leute. Nicht sprechen und viele Worte machen, aber bereit zur That. Unter ihnen war ein alter, grauhaariger und graubärtiger Mann, welcher kein Auge von Old Death wendete. Er war der erste, welcher sprach, und zwar zu meinem Begleiter:

»Verzeiht, Master! Will hat mir gesagt, wen ich hier treffen werde, und ich habe mich sehr darüber gefreut, denn ich meine, daß wir uns schon einmal gesehen haben.«

»Möglich!« antwortete der Fährtensucher. »Habe schon vieler Leute Kinder gesehen.«

»Könnt Ihr Euch nicht auf mich besinnen?«

Old Death betrachtete den Sprecher genau und sagte dann:

»Ich calculire allerdings, daß wir uns bereits einmal begegnet sein müssen, kann mich aber nicht besinnen, wo das geschehen ist.«

»Drüben in Californien vor etwa zwanzig Jahren und zwar im Chinesenviertel. Besinnt Euch einmal! Es wurde scharf gespielt und nebenbei Opium geraucht. Ich hatte all mein Geld verspielt, nahe an tausend Dollars. Eine einzige Münze hatte ich noch; die wollte ich nicht auf die Karte setzen, sondern verrauchen und mir dann eine Kugel durch den Kopf jagen. Ich war ein leidenschaftlicher Spieler gewesen und stand am Ende meines Könnens. Da - - -«

»Schon gut! Besinne mich!« unterbrach ihn Old Death. »Ist nicht nothwendig, daß Ihr das erzählt.«

»O doch, Sir, denn Ihr habt mich gerettet. Ihr hattet die Hälfte meines Verlustes gewonnen. Ihr nahmt mich beiseite, gabt mir das Geld wieder und nahmt mir dafür das heilige Versprechen ab, nie wieder zu spielen und vor allen Dingen auf die Bekanntschaft mit dem Opiumteufel ein- für allemal zu verzichten. Ich gab Euch dieses Versprechen und habe es gehalten, wenn es mir auch sauer genug geworden ist. Ihr seid mein Retter. Ich bin inzwischen ein wohlhabender Mann geworden, und wenn Ihr mir eine große Freude machen wollt, so erlaubt Ihr mir, Euch das Geld zurückzugeben.«

»So dumm bin ich nicht!« lachte Old Death. »Bin lange Zeit stolz darauf gewesen, auch einmal etwas Gutes verbrochen zu haben, und werde mich hüten, dieses Bewußtsein gegen Euer Geld zu verkaufen. Wenn ich einmal sterbe, so habe ich nichts, gar nichts Gutes vorzubringen als nur dieses Eine, und das gebe ich also niemals her! Reden wir von andern Dingen, die jetzt viel nothwendiger sind. Ich habe Euch damals vor zwei Teufeln gewarnt, welche ich leider


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genau kannte. Aber Eurer Willenskraft habt Ihr allein Eure Rettung zu verdanken. Reden wir nicht mehr davon!«

Bei diesen Worten des Scout ging mir eine Ahnung auf. Er hatte mir in New-Orleans gesagt, seine Mutter habe ihn auf den Weg gesetzt, welcher zum Glücke führe, er aber habe seine eigene Richtung eingeschlagen. Jetzt bezeichnete er sich als einen genauen Kenner der beiden fürchterlichen Laster des Spieles und des Opiumrauchens. Konnte er diese Kenntniß allein durch die Beobachtung Anderer erlangt haben? Wohl schwerlich. Ich vermuthete, er sei selbst leidenschaftlicher Spieler gewesen, sei es vielleicht noch. Und was das Opium betrifft, so wies seine dürre, skelettartige Gestalt auf den zerstörenden Genuß desselben hin. Sollte er noch jetzt heimlicher Opiumraucher sein? Vielleicht doch nicht, denn das Rauchen dieses Giftes setzt einen gewissen Ueberfluß an Zeit voraus, welcher dem Scout während unsers Rittes nicht zur Verfügung stand. Vielleicht aber war er Opiumesser. Auf alle Fälle war er dem Genusse dieser gefährlichen Substanz noch jetzt ergeben. Hätte er demselben entsagt, so wäre es seinem Körper wohl schon gelungen, sich nach und nach von den Folgen zu erholen. Ich begann, den Alten mit andern Augen zu betrachten. Zu der Achtung, welche er mir bisher eingeflößt hatte, trat ein gutes Theil Mitleid. Wie mochte er gegen die beiden Teufel gekämpft haben! Welch einen gesunden Körper, welch einen hochbegabten Geist mußte er besessen haben, da das Gift es bis heute noch nicht fertig gebracht hatte, beide völlig zu zerstören. Was waren alle Abenteuer, welche er erlebt hatte, alle Anstrengungen und Entbehrungen des Lebens in der Wildniß gegen die Scenen, welche sich in seinem Innern abgespielt haben mußten! Er rang vielleicht ebenso wild gegen die unerbittlichen, übermächtigen Leidenschaften, wie der dem Aussterben geweihte Indianer gegen das überlegene Bleichgesicht. Er hatte erfahren, daß jede Phase dieses Kampfes mit seiner Niederwerfung endige, und dennoch wehrte er sich weiter, selbst am Boden liegend noch immer widerstehend. Old Death, dieser Name hatte von jetzt an einen grauenhaften Beiklang für mich. Der berühmte Scout war einem Untergange geweiht, gegen welchen das rein körperliche Sterben eine unbeschreibliche Wohlthat ist!

Old Death’s letzte Worte: »Reden wir nicht mehr davon«, waren in einem solchen Tone gesprochen, daß der alte Deutsche auf Widerspruch verzichtete. Er antwortete:

»Well, Sir! Wir haben es jetzt mit einem Feinde zu thun, der ebenso grimmig und unerbittlich ist wie das Spiel und das Opium. Glücklicher Weise aber ist er leichter zu packen als diese beiden, und packen wollen wir ihn. Der Ku-Klux-Klan ist ein ausgesprochener Gegner des Deutschthums, und wir Alle müssen uns seiner wehren, nicht nur derjenige allein, der zunächst und direct von ihm angegriffen wird. Er ist eine Bestie, welche aus tausend und abertausend Gliedern besteht. Jede Nachsicht wäre ein Fehler, welcher sich unbedingt rächen würde. Wir müssen gleich beim ersten Angriffe zeigen, daß wir unerbitterlich sind. Gelingt es den Kukluxern, sich hier festzusetzen, so sind wir verloren; sie werden sich über uns hermachen und einen nach dem andern abwürgen. Darum bin ich der Meinung, daß wir ihnen heute einen Empfang bereiten, der ihnen einen solchen Schreck einjagt, daß sie es nicht wagen, wiederzukommen. Ich hoffe, daß dies auch Eure Meinung ist.«

Die Andern stimmten ihm alle bei.

(Fortsetzung folgt.)

Redaktionsschluß: 9.2.1889



Der Scout - Teil 13 bis 16

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