Nummer 23

Deutscher Hausschatz

2. März 1889


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Der Scout.

Reiseerlebniß in Mexico von Karl May.


(Fortsetzung.)


»Schön!« fuhr der Alte fort, da man ihm als dem Aeltesten das Wort ließ. »So haben wir unsere Vorbereitungen so zu treffen, daß nicht nur ihre Absicht mißlingt, sondern daß sie es selbst sind, gegen welche der Spieß gerichtet wird. Will einer von Euch einen Vorschlag machen? Wer einen guten Gedanken hat, der mag ihn hören lassen.«

Seine Augen und diejenigen der Andern richteten sich auf Old Death. Dieser wußte als erfahrener Westmann jedenfalls besser als sie Alle, wie man sich gegen solche Feinde zu verhalten habe. Er sah die erwartungsvollen Blicke und die in denselben liegende stille Aufforderung, zog eine seiner Grimassen, nickte leise vor sich hin und sagte:

»Wenn die Andern schweigen, so will ich einige Worte sagen, Mesch’schurs. Wir haben nur mit dem Umstande zu rechnen, daß sie erst dann kommen werden, wenn Master Lange sich niedergelegt hat. Wie ist Eure Hinterthüre verschlossen? Durch einen Riegel?«

»Nein, durch ein Schloß, wie alle meine Thüren.«

»Well! Auch das werden sie wissen, und ich calculire, daß sie sich mit falschen Schlüsseln versehen haben. Wenigstens wäre es unverzeihlich von ihnen, wenn sie das nicht getan hätten, Die Gesellschaft wird jedenfalls auch Mitglieder haben, welche Schlosser sind oder mit einem Dietrich umzugehen wissen. Sie kommen also ganz gewiß herein, und es liegt nun an uns, zu berathen, wie wir sie empfangen werden.«

»Natürlich mit den Gewehren. Wir schießen sofort auf sie!«

»Und sie schießen auf Euch, Sir! Das Aufblitzen Eurer Gewehre verräth ihnen, wo Ihr Euch befindet, wo Ihr steht. Nein, nicht schießen. Ich calculire, daß es eine wahre Wonne wäre, sie gefangen zu nehmen, ohne uns der Gefahr auszusetzen, mit ihren Waffen in Berührung zu kommen.«

»Haltet Ihr das für möglich?«

»Sogar für verhältnismäßig leicht. Wir verstecken uns im Hause und lassen sie herein. Sobald sie sich in Eurer Kammer befinden, werfen wir die Thüren zu und verschließen sie. Einige von uns halten vor den letzteren Wacht und Einige draußen vor dem Fenster. So können sie nicht heraus und müssen sich einfach ergeben.«

Der alte Deutsche schüttelte bedächtig den Kopf und stimmte energisch dafür, die Einbrecher niederzuschießen. Old Death kniff bei der Entgegnung des Alten das eine Auge zu und zog ein Gesicht, welches sicher ein allgemeines Gelächter hervorgerufen hätte, wenn die Situation nicht so ernst gewesen wäre.

»Was macht Ihr da für ein Gesicht, Sir?« fragte Lange. »Seid Ihr nicht einverstanden?«

»Gar nicht, Master. Der Vorschlag unseres Freundes scheint sehr praktisch und leicht ausführbar zu sein; aber ich calculire, daß es ganz anders kommen würde, als er denkt. Die Geheimbündler wären ja geradezu Prügel werth, wenn sie es so machten, wie er es ihnen zutraut. Er meint, daß sie Alle zugleich hereinkommen und sich wie auf einen Präsentirteller vor unsere Gewehre stellen werden. Wenn sie das thäten, so hätten sie kein Hirn in ihren Köpfen. Ich bin der Ueberzeugung, daß sie die Hinterthüre leise öffnen und dann aber erst einen oder zwei herein schicken werden, um zu recognosciren. Diesen einen oder diese zwei Kerle können wir freilich niederschießen; die Andern aber machen sich schleunigst aus dem Staube, um bald wieder zu kommen und das Versäumte nachzuholen. Nein, Sir, mit diesem Plane ist es nichts. Wir müssen sie Alle, Alle hereinlassen, um sie zu fangen. Dafür habe ich auch noch einen andern und sehr triftigen Grund. Selbst wenn Euer Plan ausgeführt würde, so widerstrebt es mir, eine solche Menge von Menschen mit einem einzigen Pulverkrache und ohne daß ihnen ein Augenblick bleibt, an ihre Sünden zu denken, in den Tod zu befördern. Wir sind Menschen und Christen, Mesch’schurs. Wir wollen uns zwar gegen diese Leute wehren und ihnen das Wiederkommen verleiden, aber das können wir auf weniger blutige Art und Weise erreichen. Bleibt Ihr dabei, sie wie ein Rudel wilder Thiere niederzuschießen, so thut es meinetwegen; ich aber und mein Gefährte haben keinen Theil daran. Wir gehen und suchen uns einen andern Ort, wo wir diese Nacht zubringen können, ohne später mit Schaudern und Selbstvorwürfen an sie denken zu müssen!«

Er hatte mir ganz aus der Seele gesprochen, und seine Worte machten den beabsichtigten Eindruck. Die Männer nickten einander zu, und der Alte meinte:

»Was Ihr da zuletzt gesagt habt, Sir, das ist freilich sehr begründet. Ich habe geglaubt, daß ein solcher Empfang sie ein für allemal aus La Grange vertreiben würde: aber ich dachte nicht an die Verantwortung, welche wir auf uns laden; darum möchte ich mich wohl zu Eurem Plane bequemen, wenn es mir nur einleuchtete, daß derselbe gelingen werde.«

»Jeder, auch der allerbeste Plan kann mißlingen, Sir. Es ist nicht nur menschlich, sondern auch klug, die Leute herein zu lassen und einzuschließen, so daß wir sie lebend in unsere Hände bekommen. Glaubt mir, daß dies besser, viel besser ist, als wenn wir sie erschießen. Denkt daran, daß Ihr die Rache des ganzen Klans auf Euch ladet, wenn Ihr eine solche Anzahl seiner Mitglieder tödtet, Ihr würdet die Kukluxer nicht von La Grange fern halten, sondern sie im Gegentheile herbeiziehen, um den Tod der Ihrigen grausam zu rächen. Ich bitte Euch also, meinen Plan anzunehmen. Es ist das Beste, was Ihr thun könnt. Um ja nichts zu versäumen, was das Gelingen desselben beeinträchtigen könnte, werde ich jetzt einmal um das Haus schleichen. Vielleicht ist da etwas für uns Günstiges zu entdecken.«

»Wollt Ihr das nicht lieber unterlassen, Sir?« fragte Lange. »Ihr sagt ja selbst, daß man einen Posten aufgestellt haben werde. Dieser Mann könnte Euch sehen.«


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»Mich sehen?« lachte Old Death. »So etwas hat mir noch Niemand gesagt! Old Death soll so dumm sein, sich sehen zu lassen, wenn er ein Haus oder einen Menschen beschleicht! Master, das ist lächerlich! Wenn Ihr ein Stück Kreide habt, so zeichnet mir jetzt einmal den Grundriß Eures Hauses und Hofes da auf den Tisch, damit ich mich nach demselben richten kann! Laßt mich zur Hinterthüre hinaus, und wartet dort auf meine Rückkehr. Ich werde nicht klopfen, sondern mit den Fingerspitzen an die Thüre kratzen. Wenn also Jemand klopft, so ist es ein Anderer, den Ihr nicht einlassen dürft.«

Lange nahm ein Stückchen Kreide von dem Thürensims und zeichnete den verlangten Riß auf den Tisch. Old Death betrachtete denselben genau und gab seine Befriedigung durch ein wohlgefälliges Grinsen zu erkennen. Die beiden Männer wollten nun gehen. Sie befanden sich schon unter der Thüre, da drehte sich Old Death noch einmal um und fragte mich:

»Habt Ihr schon einmal irgend ein Menschenkind heimlich angeschlichen, Sir?«

»Nein,« antwortete ich der Wahrheit gemäß.

»So habt Ihr jetzt eine vortreffliche Gelegenheit, zu sehen, wie man das macht. Wenn Ihr mitgehen wollt, so kommt!«

»Halt, Sir!« fiel Lange ein. »Das wäre ein allzu großes Wagniß, da Euer Gefährte selbst gesteht, daß er in diesen Dingen unerfahren ist. Wenn der geringste Fehler gemacht wird, bemerkt der Posten Euch, und alles ist verdorben.«

»Unsinn! Ich kenne diesen jungen Master allerdings erst seit kurzer Zeit; aber ich weiß, daß er darauf brennt, die Eigenschaften eines guten Westmannes zu erwerben. Er wird sich die Mühe geben, jeden Fehler zu vermeiden. Ja, wenn es sich darum handelte, uns an einen indianischen Häuptling zu schleichen, da würde ich mich sehr hüten, ihn mitzunehmen. Aber ich versichere Euch, daß kein braver Prairieläufer sich herablassen wird, in den Ku-Klux-Klan zu treten. Darum steht gar nicht zu erwarten, daß der Posten so viel Uebung und Gewandtheit besitzt, uns erwischen zu können. Und selbst wenn er uns bemerkte, so wäre Old Death sofort da, den Fehler auszugleichen. Ich will den jungen Mann mitnehmen, folglich geht er mit! Also kommt, Sir! Aber laßt Euern Sombrero hier, wie ich den meinigen. Das helle Geflecht leuchtet zu sehr und könnte uns verrathen. Schiebt Euer Haar auf die Stirn herunter und schlagt den Kragen über das Kinn empor, damit das Gesicht möglichst bedeckt wird. Ihr habt Euch immer hinter mir zu halten und genau das zu thun, was ich thue. Dann will ich den Klux oder Klex sehen, der uns bemerkt!«

Es wagte Keiner eine weitere Widerrede, und so begaben wir uns in den Flur und an die Hinterthüre, um von Lange hinausgelassen zu werden. Dieser öffnete leise und verschloß hinter uns wieder. Sobald wir draußen standen, kauerte Old Death sich nieder, und ich that dasselbe. Er schien die Finsterniß mit seinen Augen durchdringen zu wollen, und ich hörte, daß er die Luft in langen Zügen durch die Nase einzog. Glaubte er etwa, die Feinde zu riechen? Dieser Gedanke nöthigte mir ein Lächeln ab, welches er allerdings nicht sah. Später freilich brachte ich es selbst so weit, im Dunkeln einen Weißen von einem Indianer durch den Geruch zu unterscheiden.

»Ich calculire, daß sich da vor uns kein Mensch befindet,« flüsterte mir der Alte zu, indem er über den Hof nach dem Stallgebäude zeigte. »Dennoch will ich mich überzeugen. Man muß vorsichtig sein. Habt Ihr vielleicht als Knabe es gelernt, mit einem Grashalme zwischen den beiden Daumen das Zirpen einer Grille nachzuahmen?«

Ich bejahte die Frage leise.

»Da vor der Thüre steht Gras. Nehmt Euch einen Halm, und wartet bis ich zurückkehre. Regt Euch nicht von der Stelle. Sollte aber etwas geschehen, so zirpt. Ich komme sofort herbei.«

Er legte sich auf den Boden und verschwand, auf allen Vieren kriechend, in der Finsterniß. Es vergingen wohl zehn Minuten, bevor er zurückkehrte. Und wahrhaftig, ich hatte ihn nicht kommen sehen, aber der Geruch sagte mir, daß er sich nähere. Ich bemerkte da zum ersten Male, was ein Sinn leisten kann, wenn seine Organe auf das Aeußerste angespannt sind.

»Es ist so, wie ich dachte,« flüsterte er. »Im Hofe Niemand und auch da um die Ecke an der einen Giebelseite kein Mensch. Aber hinter der andern Ecke, wo das Fenster der Schlafstube sich befindet, wird einer stehen. Legt Euch auch zur Erde, und schleicht hinter mir her! Aber nicht etwa auf dem Bauche wie eine Schlange, sondern wie eine Eidechse auf den Fingern und Zehen. Tretet nicht mit den ganzen Fußsohlen, sondern nur mit den Fußspitzen auf. Untersucht den Boden mit den Händen, damit Ihr nicht ein Aestchen knickt, und knöpft Euern Jagdrock ganz zu, damit nicht etwa ein Zipfel auf der Erde hinstreift! Nun vorwärts!«

Ja, er hatte gut befehlen; er war geübt, ich aber nicht! Einige Ellen weit ging es ganz gut; aber es erfordert eine bedeutende Kraftanstrengung, mit den Spitzen der Finger und Füße die Schwere des lang ausgestreckten Körpers zu tragen. Bald begannen meine Arme und Beine zu zittern, und ich mußte mich von Zeit zu Zeit niederlegen, um sie für einige Augenblicke zu entlasten. Aber Alles will gelernt sein, und wenn man so hübsch von einem Indianer oder Trapper liest, welcher halbe Stunden lang im Grase schleicht, um den Feind zu überfallen, so hat man keine Ahnung von der Anstrengung, welche das kostet. So erreichten wir die Ecke. Old Death blieb dort halten, ich also auch. Nach einer Weile wendete er den Kopf zu mir zurück und raunte mir zu:

»Es sind zwei. Seid ja vorsichtig!«

Ich hatte die Augen, die Nase und das Gehör sehr angestrengt, aber nicht das mindeste bemerkt. Ich sah nur das eine, daß dichte Dunkelheit vor uns lag, in welcher ich grad noch den Kopf des Pfadfinders sehen konnte, wenn ich die Augen sehr anstrengte. Er schob sich weiter fort, und ich folgte abermals. Er hielt sich nicht nahe der Mauer des Hauses, sondern kroch von derselben fort bis zu einem aus aufrecht stehenden Fenzriegeln, an denen wilder Wein oder eine ähnliche Pflanzenart emporrankte, errichteten Zaune, der den Garten umschloß. Diesen Zaune entlang krochen wir der Giebelseite des Hauses parallel, von derselben vielleicht zehn Schritte entfernt. Auf dem dadurch entstehenden Zwischenraume sah ich bald einen dunklen Haufen vor uns auftauchen, der fast wie ein Zelt geformt war. Wie ich später erfuhr, waren es zusammengestellte Bohnen- und Hopfenstangen. Am Fuße derselben wurde leise gesprochen. Old Death griff nach mir zurück, faßte mich beim Kragen, zog mich zu sich heran, so daß mein Kopf neben den seinigen kam, und raunte mir zu:

»Da sitzen sie. Wir müssen hören, was sie reden. Eigentlich sollte ich allein hin, denn Ihr seid ein Greenhorn, welches mir den ganzen Spaß verderben kann. Aber zwei hören mehr als einer. Getraut Ihr Euch, unvermerkt so nahe an sie heranzuschleichen, daß Ihr sie hört?«

»Ja,« antwortete ich, vor Aufregung zitternd.

»So wollen wir es versuchen. Ihr geht von dieser Seite an sie und ich von der andern. Wenn Ihr nahe seid, legt Ihr das Gesicht auf den Boden, damit sie nicht etwa Eure Augen funkeln sehen. Sollten sie Euch dennoch bemerken, vielleicht weil Ihr zu laut athmet, so müssen wir sie sofort unschädlich machen.«

»Tödten?« flüsterte ich ängstlich, denn der Gedanke, einen Menschen in die Ewigkeit zu senden, war mir gar nicht behaglich.

»Nein. Das müßte still geschehen, also mit dem Messer, und dazu habt Ihr kein Geschick. Ein Revolverschuß darf nicht gewagt werden. Sobald sie Euch oder mich entdecken, werfe


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ich mich auf den einen, Ihr Euch auf den andern, legt ihm beide Hände um den Hals und drückt ihm die Gurgel zu, daß er keinen Laut von sich geben kann. Dabei müßt Ihr ihn zur Erde niederreißen. Was dann geschehen soll, werde ich Euch sagen. Aber nur ja keinen Lärm! Ich habe gesehen, daß Ihr ein starker Kerl seid, aber seid Ihr auch überzeugt, so einen Strolch still niederlegen zu können?«

»Unbedingt,« antwortete ich, obgleich es mir nicht ganz so zu Muthe war, wie er nach dieser Antwort annehmen mußte.

»Also vorwärts, Sir!«

Er kroch um die Stangen herum, und ich schob mich auf dieser Seite nach ihnen hin. Ich wagte kaum, zu athmen, aber grad deßhalb ging mein Athem so, daß ich ihn hörte. Ich legte mich deßhalb still nieder, um mich zu beruhigen, und kroch erst dann weiter, als ich die Ueberzeugung gewonnen hatte, daß die Lunge mir gehorchen werde. Jetzt hatte ich die Stangenpyramide erreicht. Die beiden Strolche saßen dicht neben einander, mit den Gesichtern nach dem Hause zu. Es gelang mir, ganz lautlos so nahe an sie heran zu kommen, daß mein Kopf sich kaum eine Elle weit von dem Körper des mir Nächstsitzenden befand. Nun legte ich mich auf den Bauch und das Gesicht nach unten in die Hände. Das hatte zweierlei Vortheil, wie ich bald bemerkte. Erstens konnte meine helle Gesichtsseite mich nicht verrathen, und dann konnte ich in dieser Lage viel besser hören als mit erhobenem Kopfe. Sie sprachen in jenem hastigen Flüstertone, welcher die Worte auf einige Schritte hin verständlich macht.

»Den Kapitän lassen wir ungeschoren,« sagte eben derjenige, in dessen Nähe ich lag. »Er hat Euch zwar auf das Trockene gesetzt, streng genommen aber seine Pflicht gethan. Weißt du, Locksmith, er ist zwar auch ein verdammter Deutscher, aber es kann uns nichts nutzen, sondern nur schaden, wenn wir ihm an den Kragen gehen. Wenn wir uns hier in Texas festsetzen und auch halten wollen, so dürfen wir es mit den Steamleuten nicht verderben.«

»Gut! Ganz wie Ihr wollt, Capt’n. Der Indsman ist uns entgangen, wie ich vermuthe. Kein Indianer setzt sich nach La Grange, um eine ganze Nacht lang auf das Abgehen des Bootes zu warten. Aber die beiden Andern sind noch da, die deutschen Hunde, welche wir aufknüpfen wollten. Sie sind Spione und müssen gelyncht werden. Könnte man nur erfahren, wo sie sind. Sie sind wie Luft aus ihrer Gaststube verschwunden, zum Fenster hinaus, diese Feiglinge!«

»Wir werden es erfahren. Die »Schnecke« ist ja deßhalb im Wirthshause sitzen geblieben, und er wird nicht ruhen, als bis er erfährt, wo sie stecken. Er ist ein schlauer Patron. Ihm haben wir es auch zu danken, daß wir wissen, daß dieser Lange hier von dem Mexicaner das Geld für sein Haus erhalten hat. Wir werden also ein sehr gutes Geschäft machen und vielen Spaß haben. Der Junge hat als Offizier gegen uns gekämpft und soll dafür aufgeknüpft werden. Der Alte hat ihn in die Uniform gesteckt und muß dafür bezahlt werden; aber hängen wollen wir ihn nicht. Er wird so viel Prügel bekommen, daß ihm das Fleisch vom Rücken springt. Dann werfen wir ihn heraus und stecken die Bude an.«

»Ihm bringt das keinen Schaden, denn sie gehört ihm nicht mehr,« entgegnete der Andere.

»Desto mehr wird es den Mexicaner ärgern, der sicherlich Niemand mehr über den Rio grande hinüberschickt, um Juarez zu dienen. Wir räumen auf und geben ihm einen Denkzettel, den er sicher nicht hinter den Spiegel steckt. Die Leute sind instruirt. Aber bist Du wirklich überzeugt, Locksmith, daß Deine Schlüssel passen werden?«

»Beleidigt mich nicht, Capt’n! Ich verstehe mein Geschäft. Die Thüren, um welche es sich in diesem Hause handelt, können meinem Dietrich nicht widerstehen.«

»So mag es gehen. Wenn die Kerle sich nur bald zur Ruhe legten. Unsere Leute werden ungeduldig sein, denn es sitzt sich verteufelt schlecht in den alten Hollunderbüschen dort hinter dem Stalle. Lange’s haben alle ihre Scherben dort hingeworfen. Ich wollte, Ihr könntet bald gehen und unseren Kameraden ein Zeichen geben. Will doch noch einmal an dem Laden horchen, ob sie wirklich noch nicht im Bette sind, diese deutschen Nachteulen.«

(Fortsetzung folgt.)



Nummer 24

Deutscher Hausschatz

9. März 1889


// 382 //

Der Capt’n stand auf und ging leise zu dem einen Laden der Wohnstube. Er wurde von seinen Gefährten Capt’n genannt; diese Bezeichnung und auch die Unterredung, welche ich eben gehört hatte, gaben Grund zu der Vermuthung, daß er der Anführer sei. Der Andere war mit dem Worte »Locksmith« bezeichnet worden. Das heißt Schlosser. Vielleicht hieß er so; wahrscheinlich aber war er Schlosser, da er gesagt hatte, daß er sich auf den Gebrauch des Dietrichs verstehe. Und eben jetzt machte er eine Bewegung, bei welcher ich ein leises Klirren hörte. Er hatte Schlüssel bei sich. Aus diesen Gedanken wurde ich aufgestört durch ein leises Zupfen an meinem Beine. Ich kroch zurück. Old Death lag hinter den Stangen. Ich schob mein Gesicht an das seinige, und er fragte mich leise, ob ich alles gehört und verstanden hätte. Ich bejahte.

»So wissen wir, woran wir sind. Werde diesen Burschen einen Streich spielen, über den sie noch lange die Köpfe schütteln sollen! Wenn ich mich nur auf Euch verlassen könnte!«

»Versucht es einmal mit mir! Was soll ich denn thun?« antwortete ich ungehalten über Old Death’s beständige Zweifel.

»Den einen Kerl bei der Gurgel nehmen.«

»Well, Sir, das werde ich!«

»Gut, um aber ganz sicher zu gehen, will ich Euch erklären, wie Ihr es anzufangen habt. Horcht! Er wird doch nicht hierher hinter die Stangen kommen!«

Der »Capt’n« kehrte vom Laden zurück. Glücklicher Weise setzte er sich gleich wieder nieder.

Old Death hielt es nicht für nothwendig, sie weiter zu belauschen. Er raunte mir zu:

»Also, ich will Euch sagen, wie Ihr den Kerl zu fassen habt. Ihr kriecht zu ihm hin und befindet Euch also hinter ihm. Sobald ich einen halblauten Ruf ausstoße, legt Ihr ihm die Hände um den Hals, aber richtig, versteht Ihr? Die beiden Daumen kommen ihm in den Nacken, so daß sie mit den Spitzen zusammenstoßen, und die andern acht Finger, je vier von jeder Seite, an die Gurgel. Mit diesen acht Fingerspitzen drückt Ihr ihm den Kehlkopf so fest, wie Ihr könnt, einwärts!«

»Da muß er doch ersticken!«

»Unsinn! Das Ersticken geht nicht so schnell. Schufte, Schurken und ähnliches Gelichter gehören in eine Raubthierklasse, welche ein ungeheuer zähes Leben besitzt. Wenn Ihr ihn festhabt, drückt Ihr ihn nieder, weil Ihr dann weit mehr Kraft anwenden könnt, aber ja nicht falsch! Ihr befindet Euch, wie gesagt, hinter ihm und dürft ihn nicht etwa nach Euch hin niederziehen, sondern Ihr müßt ihn seitwärts nach links niederdrücken, so daß er erst auf die Seite und dann auf den Bauch und Ihr auf ihn zu liegen kommt. So habt Ihr ihn am sichersten. Da Ihr an solche Kunstgriffe nicht gewöhnt seid, so ist es möglich, daß es ihm doch gelingt, einen Laut auszustoßen. Das wird aber höchstens ein kurzes verzweifeltes »Bäh« sein. Dann ist er still, und Ihr haltet ihn so lange fest, bis ich bei Euch bin. Werdet Ihr das fertig bringen?«

»Gewiß. Ich habe früher viel gerauft.«

»Gerauft!« höhnte der Alte. »Das will ganz und gar nichts sagen! Und Ihr müßt auch noch bedenken, daß der Capt’n länger ist als der Andere. Macht Eurem Lehrer Ehre, Sir, und laßt Euch von denen da drin nicht auslachen! Also vorwärts! Wartet aber auf meinen Ruf!«

Er schob sich wieder fort von mir, und ich kroch dahin zurück, wo ich vorhin gelegen hatte, ja, ich näherte mich dem Capt’n noch weiter und zog die Knie an den Leib, um mich augenblicklich aufrichten zu können. Ich gestehe, daß das Gefühl, welches ich jetzt hatte, gar nicht als ein seliges bezeichnet werden kann. Zum ersten Male in meinem Leben sollte ich einen Menschen wirklich feindlich überfallen, sollte ihn »bei der Gurgel« nehmen, was sehr leicht seinen Tod zur Folge haben kann. Und gelang der Ueberfall nicht, so war es sehr wahrscheinlich, daß eine sehr kleine Revolverkugel von sehr großen Folgen für mich wurde. Ich befand mich ungefähr in der Stimmung eines Schulknaben, welcher eine Gedächtnißaufgabe hersagen soll und nicht genau weiß, ob er stolpern werde oder nicht. Aber ich dachte an die sieben Männer, welche Old Death abgerathen hatten, mich mitzunehmen, und beschloß, mich keinesfalls von ihnen auslachen zu lassen. Die beiden Kukluxer setzten ihre Unterhaltung fort, welche für uns nichts Wichtiges mehr enthielt. Sie sprachen ihren Aerger darüber aus, daß sie und ihre Gefährten so lange zu warten hatten. Dann erwähnten sie uns Beide und sprachen die Hoffnung aus, daß die »Schnecke« unsern Aufenthaltsort ausspähen werde. Da hörte ich Old Death’s halblaute Stimme:

»Da sind wir ja, Mesch’schurs! Paßt doch auf!«

Schnell richtete ich mich hinter dem Capt’n auf und schlug ihm die Hände in der Weise, wie der Scout es mir gesagt hatte, um den Hals. Mit den Fingerspitzen fest auf seinem Kehlkopfe, drückte ich ihn seitwärts zu Boden nieder, stieß ihn mit dem Knie noch weiter um, so daß er auf das Gesicht zu liegen kam, und kniete ihm dann auf den Rücken. Er hatte keinen Laut ausgestoßen, zuckte krampfhaft mit den Armen und Beinen und lag dann still. Da kauerte sich Old Death’s Gestalt vor uns hin. Der Alte versetzte dem Capt’n einen Schlag mit dem Revolverknaufe auf den Kopf und sagte dann:

»Laßt los, Sir, sonst erstickt er wirklich! Ihr habt es für den Anfang gar nicht übel gemacht. Anlagen scheint Ihr zu besitzen, und ich calculire, daß einmal ein famoser Bösewicht oder aber ein tüchtiger Westmann aus Euch wird. Nehmt den Kerl auf die Achsel, und kommt!«

Er nahm den Einen, ich den Andern auf die Schulter, und wir kehrten nach der Hinterthüre zurück, wo Old Death, wie es besprochen worden war, zu kratzen begann. Lange ließ uns ein.

»Was bringt Ihr denn da?« fragte er leise, als er trotz der Dunkelheit bemerkte, daß wir Lasten trugen.

»Werdet es sehen,« antwortete Old Death lustig. »Schließt zu, und kommt mit herein!«

Wie staunten die Männer, als wir unsere Beute auf die Diele legten.

»Alle Wetter!« fuhr der alte Deutsche auf. »Das sind ja zwei Kukluxer! Todt?«

»Hoffentlich nicht,« sagte der Scout. »Ihr seht, wie recht ich that, daß ich diesen jungen Master mit mir nahm. Er hat sich brav gehalten, hat sogar den Anführer der Bande überwältigt.«

»Den Anführer? Ah, das ist prächtig! Aber wo stecken seine Leute, und warum bringt Ihr diese Beiden herein?«

»Muß ich Euch das erst sagen? Es ist doch sehr leicht zu errathen. Ich und der junge Sir da, wir werden die Kleider der beiden Lumpen anlegen und die Bande, welche sich am Stalle versteckt hält, herein holen.«

»Seid Ihr des Teufels! Ihr riskirt das Leben. Wenn man nun entdeckt, daß Ihr gefälschte Kukluxer seid?«

»Das wird man eben nicht entdecken,« entgegnete der Alte in überlegenem Tone. »Old Death ist ein pfiffiger Kerl, und dieser junge Master ist auch nicht ganz so dumm, wie er aussieht.«


// 383 //

Dieses höchst zweideutige Lob beleidigte mich nicht, denn ich fühlte eine ungeheure Genugthuung über das, was ich geleistet hatte. Wenn ich als Knabe den alten Vater Homer übersetzen mußte, so hatte ich es wohl manchmal beklagt, nicht in jener Zeit gelebt, nicht mit Troja belagert und es mit Hilfe des bekannten hohlen Schimmels oder Rappens erobert zu haben. Wie herrlich mußte es gewesen sein, in stolzer Rede den feindlichen Helden heraus zu fordern, um ihm den Speer durch den leuchtenden Panzer zu rennen! Jetzt hatte ich zwar blos einen gewöhnlichen Kuklux beim Halse genommen, aber ich »calculirte«, daß doch eine kleine Spur einer gewissen Art altgriechischen Heldenthumes dabei vorhanden sei, und das ließ mir das Herz höher schlagen. Daß es sehr traurig ist, über seinen Nebenmenschen herfallen zu müssen, daran dachte ich nicht. Old Death erzählte, was wir belauscht und gethan hatten, und erklärte ihnen dann seinen Plan. Ich sollte als Locksmith hinter den Stall gehen, um die Kukluxer herein zu holen. Er wollte die Verkleidung des Capt’ns, welche grad für seine Länge paßte, anlegen und den Anführer spielen. »Es versteht sich von selbst,« fügte der Scout hinzu, »daß nur leise gesprochen wird, und beim Flüstern sind alle Stimmen gleich.«

»Nun, wenn Ihr es wagen wollt, so thut es!« sagte Lange, »Ihr tragt nicht unsere Haut zu Markte, sondern Eure eigene. Was aber sollen wir inzwischen thun?«

»Zunächst leise hinausgehen und einige starke Pfähle oder Stangen hereinholen, welche wir gegen die Kammer- oder Stubenthüre stemmen, damit diese nicht von innen geöffnet werden kann. Sodann verlöscht Ihr die Lichter und versteckt Euch im Hause. Das ist Alles, was Ihr zu thun habt. Was dann noch geschehen muß, läßt sich jetzt noch nicht bestimmen.«

Vater und Sohn gingen in den Hof, um Pfähle zu holen. Inzwischen nahmen wir den beiden Gefangenen ihre Verkleidungen ab. Dieselben waren schwarz und trugen weiße, aufgenähte Abzeichen. Diejenige des Capt’ns war an Kapuze, Brust und Oberschenkel mit einem Dolch, die des Locksmith an denselben Stellen mit Schlüsseln versehen. Der Dolch war also das Abzeichen des Anführers. Derjenige, welcher in der Schenke saß, um unsern Aufenthaltsort zu erfahren, war »Schnecke« genannt worden. Er trug also wohl vorkommenden Falls eine mit Schnecken ausgezeichnete Verkleidung. Eben als wir dem Capt’n seine Hose, welche den Schnitt der Schweizer Wildheuerhosen hatte und über dem eigentlichen Beinkleid befestigt war, vom Leibe zogen, erwachte er. Er blickte wirr und erstaunt umher und machte dann eine Bewegung, aufzuspringen, wobei er nach der Leibesgegend griff, in welcher sich vorher die Tasche mit dem Revolver befunden hatte. Old Death aber drückte ihn schnell wieder nieder, hielt ihm die Spitze des Bowiemessers auf die Brust und drohte:

»Ruhig, mein Junge! Nur einen unerlaubten Laut oder eine Bewegung, so fährt Dir dieser schöne Stahl in den Leib!«

Der Kuklux war ein Mann im Anfange der Dreißiger mit militärisch geschnittenem Bart. Sein scharf gezeichnetes, dunkel angehauchtes und ziemlich verlebtes Gesicht ließ einen Südländer in ihm vermuthen. Er griff mit den beiden Händen an den schmerzenden Kopf, wo ihn der Hieb getroffen hatte, und fragte: »Wo bin ich? Wer seid Ihr?«

»Hier wohnt Lange, den Ihr überfallen wolltet, Boy. Und ich und dieser junge Mann sind die Deutschen, deren Aufenthalt die »Schnecke« erkunden sollte. Du siehst, daß Du Dich da befindest, wohin Deine Sehnsucht Dich trieb.«

Der Mann kniff die Lippen zusammen und ließ einen wilden, aber erschrockenen Blick umherschweifen. In diesem Augenblick kam Lange mit seinem Sohne zurück. Sie brachten einige Stangen und eine Säge mit. »Material zum Binden ist da, ausreichend für zwanzig Mann,« sagte der Erstere.

»So gebt her, einstweilen nur für diese Beiden.«

»Nein, binden lasse ich mich nicht!« rief der Capt’n, indem er abermals versuchte, sich aufzurichten. Aber sofort hielt ihm Old Death wieder das Messer vor und sagte:

»Wage es ja nicht, Dich zu rühren! Jedenfalls hat man vergessen, Dir zu sagen, wer ich bin. Man nennt mich Old Death, und Du wirst wissen, was das zu bedeuten hat. Oder meinst Du gar, daß ich ein Freund der Sklavenzüchter und Kukluxer sei?«

»Old - Old Death seid Ihr!« stammelte der Capt’n aufs höchste erschrocken.

»Ja, mein Junge, der bin ich. Und nun wirst Du Dir keine unnützen Einbildungen machen. Ich weiß, daß Du den jungen Lange aufknüpfen und seinen Vater bis auf die Knochen peitschen lassen wolltest, um dann dieses Haus in Brand zu stecken. Wenn Du noch irgend welche Nachsicht erwartest, so kannst Du sie nur dann haben, wenn Du Dich in Dein Schicksal ergibst.«

»Old Death, Old Death!« wiederholte der leichenblaß gewordene Mann. »Dann bin ich verloren!«

»Noch nicht. Wir sind nicht ruchlose Mörder wie Ihr. Wir werden Euer Leben schonen, wenn Ihr Euch uns ohne Kampf ergebt. Thut Ihr das nicht, so wird man morgen Eure Leichen in den Fluß werfen können. Ich theile Dir jetzt mit, was ich Dir zu sagen habe. Handelst Du darnach, so mögt Ihr das County und meinetwegen Texas verlassen, um nicht wiederzukommen. Verachtest Du meinen Rath, so ist es aus mit Euch. Ich hole jetzt Deine Leute herein. Sie werden ebenso unsere Gefangenen sein, wie Du es bist. Befiehl ihnen, sich zu ergeben. Thust Du das nicht, so schießen wir Euch zusammen, wie einen Baum voll wilder Tauben!«

Der Kuklux wurde gebunden und erhielt ein Taschentuch in den Mund. Der Andere war auch zu sich gekommen, zog aber vor, kein Wort zu sagen. Auch er wurde gefesselt und geknebelt. Dann trug man die Beiden hinaus in die Betten, in denen Lange und sein Sohn zu schlafen pflegten, und band sie noch besonders fest, so daß sie sich nicht regen konnten, und deckte sie bis an den Hals zu.

»So!« lachte Old Death. »Nun kann die Komödie beginnen. Wie werden die Kerls sich wundern, wenn sie in diesen sanften Schläfern ihre eigenen Genossen erkennen. Es wird ihnen ein ungeheures Vergnügen machen! Aber sagt, Master Lange, wie könnte man denn, wenn wir sie haben, mit den Leuten reden, so daß es möglich ist, sie dabei zu beobachten?«

»Hm!« meinte der Gefragte, indem er nach der Decke deutete, »von da oben. Die Decke besteht nur aus einer Bretterlage. Wir könnten eins der Bretter lossprengen.«

»So kommt Alle heraus, und nehmt Eure Waffen mit. Ihr steigt die Treppe hinauf und bleibt oben, bis es Zeit ist. Vorher aber wollen wir für passende Stemmhölzer sorgen.«

Es wurden einige der Stangen mit der Säge so verkürzt, daß sie genau für den beabsichtigten Zweck paßten, und dann bereit gelegt. Ich zog die Hose und Blouse des Locksmith an, während Old Death die andere Verkleidung anlegte. In der weiten Tasche meiner Hose steckte ein eiserner Ring mit einer Menge falscher Schlüssel.

»Ihr werdet sie gar nicht gebrauchen« sagte Old Death. »Ihr seid kein Schlosser und auch kein Einbrecher und würdet Euch durch Euere Ungeschicklichkeit verrathen. Ihr müßt also die ächten Schlüssel hier abziehen und mitnehmen. Dann thut Ihr so, als ob Ihr mit dem Dietrich öffnetet. Unsere Messer und Revolver stecken wir bei; unsere Büchsen aber nehmen hier die Masters zu sich, die, während wir draußen unsere Aufgabe erledigen, droben ein Brett lossprengen werden. Dann aber müssen alle Lichter verlöscht werden.«

(Fortsetzung folgt.)

Redaktionsschluß: 25.2.1889



Nummer 25

Deutscher Hausschatz

16. März 1889


// 396 //

Dieser Weisung wurde gefolgt. Man ließ uns hinaus, und draußen verschloß ich die Thüren. Ich hatte nun die drei Schlüssel zur Haus-, Stuben- und Kammerthüre bei mir. Old Death instruirte mich jetzt genauer, als es vorher geschehen war. Als wir den Knall hörten, welcher durch das Lossprengen des Brettes verursacht worden war, trennten wir uns. Er ging nach der Giebelseite des Hauses, wo die Stangen standen, und ich begab mich über den Hof hinüber, um meine lieben Kameraden zu holen. In diesem Augenblicke war mir ungefähr zu Muthe, wie einem Menschen, welcher in der Ueberzeugung nach dem Flusse geht, daß man in dort in’s tiefe Wasser werfen werde, damit er schwimmen lerne. Wenn die Banditen entdeckten, daß ich sie täuschte, so konnte ich mein Heil nur in der schleunigsten Flucht suchen. Ich wendete mich zum Stalle. Ich trat dabei nicht allzu leise auf, denn ich wollte gehört und angesprochen sein, um nicht etwa mit meiner Anrede einen Fehler zu machen. Eben als ich um die Ecke treten wollte, erhob sich eine Gestalt, über welche ich beinahe hinweggestolpert wäre, vom Boden.

»Stop!« sagte er. »Bist Du es, Locksmith?«

»Yes. Ihr sollt kommen; aber sehr leise.«

»Will es dem Lieutenant sagen. Warte hier!«

Er huschte fort. Also auch einen Lieutenant gab es! Der Ku-Klux-Klan schien eine militärische Organisation zu besitzen. Ich hatte noch keine Minute gewartet, so kam ein Anderer. In leisem Tone sagte er:

»Das hat lange gedauert. Schlafen denn die verwünschten Deutschen endlich?«

»Endlich! Aber nun auch desto fester. Sie haben mit einander einen ganzen Krug Brandy ausgestochen.«

»So werden wir leichtes Spiel haben. Wie steht es mit den Thüren?«

»Klappt Alles auf’s trefflichste.«

»So wollen wir gehen. Mitternacht ist schon vorüber, und dann wird es auch drüben bei Cortesio losgehen, wofür die erste Stunde nach Mitternacht festgesetzt war. Führe uns!«

Hinter ihm tauchten eine Menge vermummter Gestalten auf, die mir folgten. Als wir an das Haus kamen, trat Old Death leise zu uns, dessen Gestalt in der Dunkelheit nicht von derjenigen des Capt’n zu unterscheiden war.

»Habt Ihr besondere Befehle, Capt’n?« fragte der zweite Offizier.

»Nein,« antwortete der Alte in seiner sichern, selbstverständlichen Weise. »Wird sich alles danach richten, wie wir es drinnen finden. Nun, Locksmith, wollen wir es mit der Hausthüre versuchen.«

Ich trat zur Thüre und hielt den richtigen Schlüssel in der Hand. Doch that ich, als ob ich erst einige andere versuchen müsse. Als ich dann geöffnet hatte, blieb ich mit Old Death stehen, um die Andern an uns vorbei zu lassen. Auch der Lieutenant blieb bei uns. Als Alle leise eingetreten waren, fragte der Lieutenant:

»Laternen heraus?«

»Nur die Eurige einstweilen.«

Wir traten ebenfalls ein; ich machte die Thüre wieder zu, doch ohne sie zu verschließen, und der Lieutenant zog eine brennende Blendlaterne aus der Tasche seiner weiten Hosen. Sein Anzug war mit weißen Figuren von der Gestalt eines Bowiemessers gezeichnet. Wir hatten fünfzehn Personen gezählt. Jeder trug ein anderes Zeichen. Da waren Kugeln, Halbmonde, Kreuze, Schlangen, Sterne, Frösche, Räder, Herzen, Scheren, Vögel, vierfüßige Thiere und viele andere Figuren zu sehen. Der Lieutenant schien gern zu commandiren. Er leuchtete, während die Andern regungslos standen, umher und fragte dann:

»Einen Posten hier an die Thüre?«

»Wozu?« antwortete Old Death. »Ist gar nicht nöthig. Locksmith mag zuschließen; da kann Niemand herein.«

Ich schloß augenblicklich zu, um dem Lieutenant keine Veranlassung zu Bedenken zu geben, ließ aber den Schlüssel stecken.

»Wir müssen Alle hinein,« sagte Old Death jetzt. »Die Schmiede sind baumstarke Leute.«

»So seid Ihr heute ganz anders als sonst, Capt’n!«

»Weil die Verhältnisse anders sind. Vorwärts!«

Er schob mich nach der Stubenthüre, wo dieselbe Prozedur sich wiederholte. Ich that, als ob ich nicht sofort den passenden Schlüssel fände. Dann traten wir Alle ein. Old Death nahm dem Lieutenant die Laterne aus der Hand und leuchtete nach der Kammerthüre.

»Dort hinaus!« sagte er. »Aber leise, leise!«

»Sollen wir nun auch die anderen Laternen herausnehmen?«

»Nein, erst in der Kammer.«

Old Death wollte mit dieser Weisung verhüten, daß die »sanften Schläfer« zu zeitig erkannt würden. Die fünfzehn Personen fanden Raum in der Kammer; es kam nur darauf an, sie alle hineinzubringen, damit die Belagerung sich nicht auch mit auf die Stube erstrecken mußte. Jetzt verfuhr ich beim Oeffnen noch langsamer und scheinbar sorgfältiger. Endlich ging die Thüre auf. Old Death ließ den Schein der Laterne in den Schlafraum fallen, sah hinein und flüsterte:

»Sie schlafen. Schnell hinein! Leise, aber leise! Der Lieutenant voran!«

Er ließ dem Letzteren gar keine Zeit zur Widerrede und zum Nachdenken, schob ihn vorwärts, und die Andern folgten auf den Fußspitzen. Kaum aber war der Letzte drin, so schob ich die Thüre zu und drehte den Schlüssel um.

»Schnell die Stangen!« sagte Old Death.

Sie lagen da, grad so lang, daß man sie zwischen den Fensterstock und der Thürkante schief einklemmen konnte. Das thaten wir, und nun wäre die Kraft eines Elephanten erforderlich gewesen, um die Thüre aufzusprengen. Jetzt eilte ich hinaus an die Treppe.

»Seid Ihr da?« fragte ich. »Sie sind in der Falle. Kommt herab!«

Sie kamen eilends herabgesprungen.

»Sie befinden sich alle in der Schlafstube. Drei von Euch hinaus vor das Fenster, um Stangen gegen dasselbe zu stemmen. Wer aussteigen will, bekommt eine Kugel!«

Ich öffnete die Hinterthüre wieder, und Drei eilten hinaus. Die Andern folgten mir nach der Wohnstube. Inzwischen hatte sich in der Schlafkammer ein entsetzlicher Lärm erhoben. Die gefoppten Hallunken hatten bemerkt, daß sie eingeschlossen seien, ihre Laternen herausgenommen und beim Lichte derselben bemerkt, wer in den Betten lag. Jetzt fluchten und brüllten sie wild durch einander und schlugen mit den Fäusten gegen die Thüre.

»Auf, auf, sonst demoliren wir Alles!« ertönte es. Als ihre Drohungen nichts fruchteten, versuchten sie, die Thüre aufzusprengen, aber sie gab nicht nach, die Stützen hielten fest. Dann hörten wir, daß sie das Fenster öffneten und den Laden aufzustoßen versuchten.

»Es geht nicht!« rief eine zornige Stimme. »Man hat draußen etwas dagegen angestemmt.«

Da hörten wir es draußen drohend erschallen:


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»Weg vom Laden! Ihr seid gefangen. Wer den Laden aufstößt, bekommt eine Kugel!«

»Ja,« fügte in der Stube Old Death laut hinzu: »Auch diese Thüre ist besetzt. Hier stehen genug Leute, Euch Alle in’s Jenseits zu befördern. Fragt Euern Capt’n, was Ihr thun sollt.«

Und leiser sagte er zu mir.

»Kommt mit hinauf auf den Boden. Nehmt die Laterne und Eure Büchse mit! Die Andern mögen die Lampe hier anbrennen.«

Wir gingen hinauf, wo sich eine über dem Schlafraume liegende offene Bodenkammer befand. Wir fanden sehr leicht das losgesprengte Brett. Nachdem wir die Laterne maskirt und die Kapuzen abgelegt hatten, hoben wir das Brett ab und konnten nun hinunter in die von mehreren Laternen erleuchtete Schlafstube sehen.

Da standen sie eng an einander. Man hatte den beiden Gefangenen die Fesseln und Knebel abgenommen, und der Capt’n sprach leise und wie es schien, sehr eindringlich zu den Leuten.

»Oho!« sagte der Lieutenant lauter. »Ergeben sollen wir uns! Mit wie viel Gegnern haben wir es denn zu thun?«

»Mit mehr als hinreichend, Euch in fünf Sekunden niederzuschießen!« rief Old Death hinab.

Aller Augen richteten sich empor. In demselben Augenblicke hörten wir draußen einen Schuß fallen, noch einen. Old Death begriff sogleich, was das zu bedeuten habe und wie er es benützen könne.

»Hört Ihr’s!« fuhr er fort. »Euere Cumpane werden auch drüben bei Cortesio mit Kugeln abgewiesen. Ganz La Grange ist gegen Euch. Man hat sehr wohl gewußt, daß Ihr da seid, und Euch ein Willkommen bereitet, wie Ihr es Euch nicht dachtet. Wir brauchen keinen Ku-Klux-Klan. In der Stube neben Euch stehen zwölf, draußen vor dem Laden sechs, und wir hier oben sind auch sechs. Ich heiße Old Death, verstanden! Zehn Minuten gebe ich Euch. Legt Ihr dann die Waffen ab, so werden wir glimpflich mit Euch verfahren. Thut Ihr es aber nicht, so schießen wir Euch zusammen. Weiter habe ich Euch nichts zu sagen, es ist mein letztes Wort. Ueberlegt es Euch!«

Er warf das Brett wieder zu und sagte leise zu mir:

»Nun schnell hinab, um Cortesio Hilfe zu bringen!«

Wir holten zwei Mann aus der Stube, wo Lange mit seinem Sohne zurückblieb, und zwei draußen vom Laden weg, wo eine Wache einstweilen genug war. So waren wir fünf. Eben fiel wieder ein Schuß. Wir huschten hinüber und sahen dort vier oder fünf vermummte Gestalten stehen. Ebenso viele kamen gerad hinter Cortesio’s Haus hervorgerannt, und einer derselben rief lauter, als er wohl beabsichtigte:

»Hinten schießen sie auch. Wir kommen nicht hinein!«

Ich hatte mich auf den Boden gelegt und war näher gekrochen, und hörte, daß einer von denen, welche vorn gestanden hatten, antwortete:

»Verteufelte Geschichte! Wer konnte das ahnen! Der Mexicaner hat Lunte gerochen und weckt mit seinen Schüssen die Leute auf. Ueberall werden die Lichter angebrannt. Da hinten hört man schon Schritte. In einigen Minuten ist man auf unsern Fersen; eilen wir uns. Schlagen wir mit den Kolben die Thüre ein! Wollt Ihr?«

Ich wartete die Antwort nicht ab, sondern huschte eiligst zu den Gefährten zurück und bat:

»Mesch’schurs, schnell, schlagen wir mit den Kolben auf die Bande! Sie wollen Cortesio’s Thüre stürmen.«

»Well, well! Tüchtig drauf!« lautete die Antwort, und da fielen auch schon die Hiebe auf die verzweifelten Burschen wie aus den Wolken herab. Sie rissen schreiend aus und ließen vier ihrer Spießgesellen zurück, welche so getroffen waren, daß sie nicht fliehen konnten. Sie wurden entwaffnet, und dann trat Old Death an die Thüre von Cortesio’s Haus, um zu klopfen.

»Wer da?« fragte es von drinnen.

»Old Death, Sennor. Wir haben Euch die Hallunken vom Halse geschafft. Sie sind fort. Macht einmal auf!«

Die Thüre wurde vorsichtig geöffnet. Der Mexicaner erkannte den Scout, obgleich dieser noch mit der Hose und Blouse des Capt’n bekleidet war, und sagte:

»Sind sie wirklich fort?«

»Ueber alle Berge. Vier haben wir hier gefangen. Ihr habt geschossen?«

»Ja. Es war ein Glück, daß Ihr mich warntet, sonst wäre es mir schlecht ergangen. Ich schoß vorn und mein Neger hinten aus dem Hause, so daß sie nicht herein konnten. Dann sah ich freilich, daß Ihr über sie herfielt.«

»Ja, wir haben Euch erlöst. Nun kommt aber auch uns zu Hilfe! Zu Euch kehren sie nicht zurück, wir jedoch haben noch fünfzehn dieser Kerle drüben, die wir nicht entwischen lassen wollen. Euer Neger mag indessen von Haus zu Haus laufen und Lärm machen. Ganz La Grange muß auf die Beine gebracht werden, damit den Buben gehörig heimgeleuchtet werde.«

»So mag er vor allen Dingen zum Sheriff laufen. Horcht, da kommen Leute! Auch ich werde gleich drüben sein, Sennor.«

Er trat in das Haus zurück. Von rechts her kamen zwei Männer mit Gewehren in der Hand und fragten, was die


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Schüsse zu bedeuten hätten. Als wir ihnen Auskunft ertheilt hatten, waren sie sofort bereit, uns beizustehen. Selbst diejenigen Bewohner von La Grange, welche sezessionistisch gesinnt waren, hielten es deßhalb noch lange nicht mit den Kukluxern, deren Treiben den Anhängern jeden politischen Bekenntnisses ein Greuel sein mußte. Wir nahmen die vier Blessirten beim Kragen und schafften sie hinüber in Lange’s Stube. Letzterer meldete uns, daß die Kukluxer sich bis jetzt ruhig verhalten hatten. Sennor Cortesio kam nach, und bald folgten so viele andere Einwohner von La Grange, daß die Stube nicht für sie ausreichte, und manche draußen bleiben mußten. Das gab ein Gewirr von Stimmen und ein Geräusch von hin- und hereilenden Schritten, aus welchem die Kukluxer entnehmen konnten, wie die Sache stand. Old Death nahm mich wieder mit hinauf in die Bodenkammer. Als wir das Brett entfernt hatten, bot sich uns ein Bild stillgrimmiger Verzweiflung. Die Gefangenen lehnten an den Wänden, saßen auf den Betten oder lagen auf der Diele und ließen in des Wortes eigentlichster Bedeutung die verhüllten Köpfe hängen.

»Nun,« sagte Old Death, »die zehn Minuten sind vorüber. Was habt Ihr beschlossen?«

Er bekam keine Antwort. Nur Einer stieß einen Fluch aus. »Ihr schweigt? Nun, so nehme ich an, daß Ihr Euch nicht ergeben wollt; das Schießen mag beginnen.«

Er legte sein Gewehr an und ich das meinige. Sonderbarer Weise fiel es keinem von ihnen ein, den Revolver auf uns zu richten. Die Schurken waren eben feig, und ihr Muth bestand nur in Gewaltthätigkeiten gegen Wehrlose.

»Also antwortet, oder ich schieße!« drohte der Alte. »Es ist mein letztes Wort.«

Keiner antwortete. Da flüsterte mir Old Death zu:

»Schießt auch Ihr. Treffen müssen wir, sonst flößen wir ihnen keinen Respekt ein. Zielt dem Lieutenant nach der Hand, ich dem Capt’n!«

Unsere zwei Schüsse krachten zu gleicher Zeit. Die Kugeln trafen genau. Die beiden Offiziere schrieen laut auf, und bald schrieen und heulten Alle in einem widerlichen Concert. Unsere Schüsse waren gehört worden. Man glaubte uns im Kampfe mit den Kukluxern; darum krachte es in der Stube und draußen vor dem Fenster. Kugeln flogen durch die Thüre und durch den Laden in die Schlafkammer. Mehrere Kukluxer wurden getroffen. Alle warfen sich zu Boden, wo sie sich sicherer fühlten, und schrieen, als ob sie am Marterpfahle gebraten werden sollten. Der Capt’n kniete vor dem Bette, hatte seine blutende Hand in das Leintuch gewickelt und rief zu uns empor:

»Haltet ein! Wir ergeben uns!«

»Gut!« antwortete Old Death. »Tretet alle vom Bette weg! Werft Eure Waffen auf dasselbe, dann wird man Euch herauslassen. Aber derjenige, bei welchem dann noch eine Waffe gefunden wird, hat unerbittlich eine Kugel im Leibe! Ihr hört, daß draußen Hunderte von Leuten stehen. Nur völlige Ergebung kann Euch retten.«

Die Situation, in welcher sich die Geheimbündler befanden, war eine hoffnungslose, denn an Flucht konnten sie nicht denken. Das wußten sie. Ergaben sie sich, was konnte ihnen da geschehen? Ihre Absichten waren nicht zur Ausführung gekommen; man konnte sie also der Ausführung eines Verbrechens nicht beschuldigen. Jedenfalls war es besser, sich dem Verlangen Old Death’s zu fügen, als einen nutzlosen Versuch, sich durchzuschlagen, zu machen, welcher schwere Folgen nach sich ziehen mußte. Also flogen ihre Messer und Revolver auf das Bett.

»Gut, Mesch’schurs!« rief der Alte ihnen zu. »Und nun will ich Euch nur sagen, daß ich auch Jeden niederschießen werde, welcher eine Bewegung macht, seine Waffe wieder wegzunehmen, wenn die Thüre geöffnet wird. Nun wartet noch einen Augenblick.«

Er schickte mich hinunter in die Wohnstube, um Lange die Weisung zu überbringen, die Kukluxer heraus zu lassen und gefangen zu nehmen. Aber die Ausführung dieses Auftrages war nicht so leicht, wie wir dachten. Der ganze von mehreren schnell requirirten Laternen erleuchtete Hausflur war dicht mit Menschen gefüllt. Ich trug außer der Kapuze noch die Verkleidung, so daß man mich für ein Mitglied der Geheimbande hielt und sich sofort meiner Person bemächtigte. Auf meinen Widerspruch wurde gar nicht gehört; ich erhielt Püffe und Stöße in Menge, so daß mich die getroffenen Stellen noch nach einigen Tagen schmerzten. Ich sollte augenblicklich vor das Haus geschafft und dort gelyncht werden.

(Fortsetzung folgt.)

Redaktionsschluß: 2.3.1889



Nummer 26

Deutscher Hausschatz

23. März 1889


// 414 //

Ich war nicht wenig in der Klemme, da meine Angreifer mich nicht kannten. Besonders war es ein langer, starkknochiger Kerl, welcher mir seine Faust unausgesetzt in die Seite stieß und dabei brüllte:

»Hinaus mit ihm, hinaus! Die Bäume haben Aeste, schöne Aeste, prächtige Aeste, starke Aeste, welche sicherlich nicht knicken, wenn ein solches Mannskind daran aufgeknüpft wird.«

Dabei drängte er mich nach der Hinterthüre zu.

»Aber, Sir,« schrie ich ihn an, »ich bin kein Kuklux. Fragt doch Master Lange!«

»Schöne Aeste, herrliche Aeste!« antwortete er mit einem neuen Stoße nach meiner Hüfte.

»Ich verlange, zu Master Lange in die Stube geschafft zu werden! Ich habe diese Verkleidung nur angelegt, um - - -«

»Veritabel prächtige Aeste! Und einen Strick findet man in La Grange auch, einen feinen, wirklich eleganten Strick aus gutem Hanfe!«

Er schob mich weiter und stieß mir die Faust abermals und zwar so in die Seite, daß mir die Geduld ausging. Der Kerl war im Stande, die Leute so aufzuregen, daß sie mich lynchten. Hatte man mich einmal draußen, so war nichts Gutes zu erwarten.

»Herr,« brüllte ich ihn jetzt an, »ich verbitte mir Eure Roheit! Ich will zu Master Lange, verstanden?«

»Herrliche Aeste! Unvergleichliche Stricke!« schrie er noch lauter als ich und bedachte mich dabei mit einem gewaltigen Box an die Rippen. Jetzt kochte der Topf über. Ich stieß ihm die Faust mit aller Kraft unter die Nase, daß er sicherlich hintenüber und zu Boden geflogen wäre, wenn es den dazu nöthigen Raum gegeben hätte. Die Leute standen zu eng. Aber ein wenig Raum bekam ich doch. Ich benützte diese Gelegenheit sofort, indem ich mit Gewalt vordrang, aus Leibeskräften brüllte und, wie blind um mich schlagend, Püffe, Stöße und Hiebe austheilte, vor denen man wenigstens so weit zurückwich, daß ich mir eine enge Gasse erkämpfte, durch welche ich in die Stube gelangte. Aber während ich auf diesem Wege nach vorn so kräftig meine Fäuste gebrauchte, schloß sich die Gasse sofort hinter mir, und alle Arme, welche mich erreichten, kamen in Bewegung, sodaß es Fäuste buchstäblich auf mich hagelte. Wehe den wirklichen Kukluxern, wenn schon ein imitirter in dieser Weise blau gegerbt wurde! Der Starkknochige war mir möglichst schnell gefolgt. Er schrie wie ein angestochener Eber und gelangte fast zugleich mit mir in die Stube. Als Lange ihn erblickte, fragte er:

»Um des Himmels willen, was ist denn los, lieber Sir? Warum schreit Ihr so? Warum blutet Ihr?«

»An den Baum mit diesem Kuklux!« antwortete der Wüthende. »Hat mir die Nase zerschlagen, die Zähne eingestoßen, zwei Zähne oder drei oder vier. Herrliche Zähne! Die einzigen, die ich vorn noch hatte! Hängt ihn!«

Jetzt war sein Zorn begründeter als vorher, denn er blutete wirklich ganz leidlich.

»Der da?« fragte Lange, auf mich deutend. »Aber Sir, werther Sir, der ist ja gar kein Kuklux! Er ist unser Freund, und grad ihm verdanken wir es am meisten, daß wir die Kerle erwischt haben. Ohne ihn lebten wir und Sennor Cortesio nicht mehr, und unsere Häuser ständen in Flammen!«

Der Starkknochige riß die Augen und den blutenden Mund möglichst weit auf, deutete auf mich und fragte:

»Ohne - ohne - diesen da?«

Famoses Tableau! Alle Umstehenden lachten. Er trocknete sich mit dem hervorgezogenen Taschentuche den Schweiß von der Stirn und das Blut von Mund und Nase, und ich rieb mir die verschiedenen Stellen, an denen noch später die Augenblicksphotographien seiner Knochenfinger zu sehen waren.

»Da hört Ihr es, Sir!« donnerte ich ihn dabei an. »Ihr waret ja geradezu rasend darauf, mich baumeln zu lassen! Und von Euren verteufelten Püffen fühle ich jedes Knöchelchen meines Leibes. Ich bin der veritable geschundene Raubritter, Sir!«

Der Mann wußte sich nicht anders zu helfen, als daß er den Mund abermals aufriß und uns stumm die linke Hand geöffnet hinhielt. Auf der letzteren lagen die zwei »einzigen« Vorderzähne, welche bis vorhin in dem ersteren ihr sicheres und friedliches Domizil gehabt hatten. Jetzt mußte auch ich lachen, denn er sah gar zu kläglich aus. Und nun brachte ich endlich meinen Auftrag an den Mann.

Man hatte fürsorglicher Weise alle vorhandenen Stricke zusammengetragen. Sie lagen mit Schnüren, Leinen und Riemen in der Ecke zum Gebrauche bereit.

»Also laßt sie heraus!« sagte ich. »Aber einzeln. Und Jeder wird gebunden, sobald er heraustritt. Old Death wird gar nicht wissen, weßhalb so lange gezögert wurde. Eigentlich sollte der Sheriff da sein. Cortesios Neger wollte ihn doch sofort holen!«

»Der Sheriff?« fragte Lange erstaunt. »Der ist doch da! Am Ende wißt Ihr gar nicht, wem Ihr die Püffe zu verdanken habt? Hier steht er ja!«

Er deutete auf den Knochigen.

»Alle Wetter, Sir!« fuhr ich diesen an. »Ihr selbst seid der Sheriff? Ihr seid der oberste Executivbeamte dieses schönen County? Ihr habt auf Ordnung und gehörige Befolgung der Gesetze zu sehen und macht dabei in höchst eigener Person den Richter Lynch? Das ist stark! Da ist es kein Wunder, daß die Kukluxer sich in Eurem County so breit zu machen wagen!«

Das brachte ihn in unbeschreibliche Verlegenheit. Er konnte sich nicht anders helfen, als daß er mir die beiden Zähne abermals vor die Augen hielt und dabei stotterte:

»Pardon, Sir! Ich irrte mich, weil Ihr ein gar so criminales Gesicht habt!«

»Danke ergebenst! Dafür sieht das Eurige um so kläglicher aus. Nun thut wenigstens von jetzt an Eure Pflicht, wenn Ihr nicht in den Verdacht kommen wollt, nur deßhalb brave Leute lynchen zu wollen, weil Ihr es heimlich mit den Kukluxern haltet!«

Das gab ihm das volle Bewußtsein seiner amtlichen Würde zurück.

»Oho!« rief er, sich in die Brust werfend. »Ich, der Sheriff des sehr ehrenwerthen County Fayette soll ein Kuklux sein? Ich werde Euch sofort das Gegentheil beweisen. Gegen die Halunken soll noch in dieser Nacht verhandelt werden. Tretet zurück, Mesch’schurs, damit wir Raum für sie bekommen. Tretet hinaus auf den Flur, aber laßt Eure Gewehre zur Thüre herein blicken, damit sie sehen, wer jetzt Herr im Hause ist. Nehmt Stricke zur Hand, und öffnet die Thüre!«

Der Befehl wurde ausgeführt, und ein halbes Dutzend Doppelläufe drohten zur Thüre herein. In der Stube befanden sich jetzt der Sheriff, die beiden Lange’s, Cortesio, zwei der gleich anfangs mit uns verbündeten Deutschen und ich. Draußen schrie die Menge nach Beschleunigung der Aktion. Darum


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stießen wir die Läden auf, damit die Leute hereinblicken und sehen könnten, daß wir nicht müßig seien. Und nun wurden die Stützen entfernt; ich schloß die Kammerthüre auf. Keiner der Kukluxer wollte zuerst heraus. Ich forderte den Capt’n und dann den Lieutenant auf, zu kommen. Beide hatten ihre verwundeten Hände mit Taschentüchern umwickelt. Außer ihnen waren noch drei oder vier Mitglieder der Bande verwundet worden. Droben an der durch das aufgerissene Brett entstandenen Deckenlücke saß Old Death, welcher den Lauf seiner Büchse herabgerichtet hielt. Den von ihm so erfolgreich Ueberlisteten wurden die Hände auf den Rücken gebunden; dann mußten sie zu den ebenfalls gebundenen vier Genossen treten, welche wir von Cortesio herübergebracht hatten. Die Draußenstehenden sahen, was vorging, und riefen laut Halloh und Hurrah. Wir ließen den Gefangenen ihre Kapuzen noch, doch wurden die Gesichter des Capt’ns und des Lieutenants entlarvt. Auf meine Fragen und Bemühungen wurde ein Mann herbei geschafft, den man mir als Wundarzt bezeichnete und welcher behauptete, alle möglichen Schäden in kürzester Zeit verbinden, operiren und heilen zu können. Er mußte die Verwundeten untersuchen und trieb dann ein halbes Schock La Grange-Leute im Hause umher, um nach Watte, Werg, Lappen, Pflaster, Fett, Seife und andern Dingen zu suchen, deren er zur Ausübung seines menschenfreundlichen Berufes bedurfte.

Als wir endlich alle Kukluxer sicher hatten, wurde die Frage aufgeworfen, wohin sie zu schaffen seien, denn ein Gefängnis für neunzehn Männer gab es in La Grange nicht.

»Schafft sie nach dem Salon des Wirthshauses!« gebot der Sheriff. »Am besten ist’s, die Angelegenheit so rasch wie möglich zu erledigen. Wir bilden eine Jury mit Geschworenen und vollziehen das Urtheil sofort. Wir haben es mit einem Ausnahmefalle zu thun, welcher auch mit Ausnahmsmaßregeln zu behandeln ist.«

Die Kunde von diesem Beschlusse pflanzte sich schnell nach außen fort. Die Menge kam in Fluß und eilte nach dem Wirthshause, um einen guten Platz im Salon zu erwischen. Viele, denen das nicht gelungen war, standen auf der Treppe, im Flur und im Freien vor dem Gasthofe. Sie bewillkommneten die Kukluxer mit argen Drohungen, so daß die Eskorte sich sehr stramm zu halten hatte, um Thätlichkeiten abzuwehren. Nur mit großer Mühe gelangten wir in den Salon, einen größern aber sehr niedrigen Raum, welcher zur Abhaltung von Tanzvergnügungen bestimmt war. Das Orchester war besetzt, wurde aber sofort geräumt, um die Gefangenen dort unterzubringen. Als man diesen nun die Kapuzen abnahm, stellte es sich heraus, daß sich kein einziger Bewohner der Umgegend unter ihnen befand.

Nun wurde die Jury gebildet, in welcher der Sheriff den Vorsitz hatte. Sie bestand aus einem öffentlichen Ankläger, einem Anwalt zur Vertheidigung, einem Schriftführer und den Geschworenen. Der Gerichtshof war in einer Weise zusammengesetzt, welche mich gruseln machte, doch war das durch die gegenwärtigen Verhältnisse des Kreises und die Natur des vorliegenden Falles leidlich zu entschuldigen.

Als Zeugen waren vorhanden die beiden Lange’s, Cortesio, die fünf Deutschen, Old Death und ich. Als Beweismaterial lagen die Waffen der Angeklagten auf den Tischen, auch ihre Gewehre. Old Death hatte dafür gesorgt, daß dieselben aus ihrem Verstecke hinter dem Pferdestalle herbeigebracht worden waren. Es stellte sich heraus, daß in jedem Laufe die Ladung steckte. Der Sheriff erklärte die Sitzung für eröffnet mit der Bemerkung, daß von einer Vereidigung der Zeugen abzusehen sei, da die »sittliche Beschaffenheit der Angeklagten nicht ausreiche, so moralische und ehrenwerthe Gentlemen wie uns mit den Beschwerden eines Eides zu belästigen«. Außer den Kukluxern seien überhaupt nur Männer im Salon vorhanden, deren »rechtliche und gesetzliche Gesinnung über allen Zweifel erhaben stehe, was er hiermit zu seiner großen Freude und Genugthuung feststellen wolle«. Ein vielstimmiges Bravo lohnte ihm diese Schmeichelei, und er dankte mit einer sehr würdigen Verbeugung. Ich aber erblickte verschiedene Gesichter, welche nicht so unfehlbar auf die gelobte »rechtliche und gesetzliche« Gesinnung der Betreffenden schließen ließen.

Zunächst wurden die Zeugen vernommen, von denen Old Death das Ereigniß ausführlich erzählte. Wir Andern konnten uns darauf beschränken, ihm beizustimmen. Dann trat der »Staaten-Attorney«, der Staatsanwalt, auf. Er wiederholte unsere Aussagen und stellte fest, daß die Angeklagten einer verbotenen Verbindung angehörten, welche den verderblichen Zweck verfolge, die gesetzliche Ordnung zu untergraben, das Fundament des Staates zu zerstören und jene verdammungswürdigen Verbrechen zu verbreiten, welche mit langjährigem oder lebenslänglichem Zuchthause oder gar mit dem Tode zu bestrafen seien. Schon diese Mitgliedschaft sei hinreichend, eine zehn- oder zwanzigjährige Einsperrung zu rechtfertigen. Außerdem aber habe sich erwiesen, daß die Angeklagten die Tödtung eines früheren Offiziers der Republik, die grausame Durchpeitschung zweier sehr angesehener Gentlemen und die Einäscherung eines Hauses dieser gesegneten Stadt beabsichtigten. Und endlich habe man die Absicht gehabt, zwei fremde, außerordentlich friedliche und ehrenhafte Männer - bei diesen Worten machte er Old Death und mir zwei Verbeugungen - aufzuknüpfen, was höchst wahrscheinlich unsern Tod zur Folge gehabt hätte und also streng zu bestrafen sei, besonders da man es grad uns beiden zu verdanken habe, daß das über La Grange heraufbeschworene Unheil glücklich abgewendet worden sei. Er müsse also auf die unnachsichtlichste Ahndung dringen und beantrage, einige der Kukluxer, welche der Scharfblick des sehr ehrwürdigen Gerichtes wohl auszuwählen wissen werde, am Halse aufzuhängen, die andern aber zu ihrer eigenen »moralischen Beherzigung« tüchtig auszupeitschen und dann lebenslänglich zwischen dicke Mauern zu thun, damit es ihnen fernerhin unmöglich sei, den Staat und die anerkannt ehrenwerthen Bürger desselben in Gefahr zu bringen.

Auch dem Staatsanwalt wurden Bravo’s zugerufen, und auch er bedankte sich mit einer würdigen Verneigung. Nach ihm ließ sich der Anwalt hören, welcher zunächst bemerkte, daß der Vorsitzende eine unverzeihliche Unterlassungssünde begangen habe, indem die Angeklagten nicht einmal nach ihren Namen und sonstigen Umständen befragt worden seien, was nachzuholen er hiermit ergebenst anrathe, da man doch wohl wissen müsse, wen man aufknüpfen oder einsperren wolle, schon des Todtenscheines und anderer Schreibereien wegen - - eine geistreiche Bemerkung, die aber meine volle, wenn auch stille Zustimmung hatte. Er gab die besagten Absichten der Kukluxer vollständig zu, denn er müsse die Wahrheit anerkennen; aber es sei keine dieser Absichten wirklich ausgeführt worden, sondern sie alle hätten im Stadium des Versuches stehen bleiben müssen. Darum könne von Aufknüpfen oder lebenslänglichem Einsperren keine Rede sein. Er frage hiermit Jedermann, ob der bloße Versuch einer That irgend Jemand in Schaden gebracht habe oder überhaupt in Schaden bringen könne. Gewiß niemals und auch hier nicht! Da also keinem Menschen ein Schaden erwachsen sei, so müsse er unbedingt auf vollständige Freisprechung dringen, wodurch die Mitglieder des hohen Gerichtshofs und alle weiteren respectablen Anwesenden sich das Zeugniß menschenfreundlicher Gentlemen und friedfertiger Christen ausstellen würden. Auch ihm gaben einige wenige Stimmen Beifall. Er machte eine tiefe, halbkreisförmige Verbeugung, als ob alle Welt ihm zugejubelt habe.

(Fortsetzung folgt.)

Redaktionsschluß: 9.3.1889



Der Scout - Teil 17 bis 20

Titelseite: Der Scout