Lieferung 92

Deutscher Wanderer

20. Juni 1885

Die Liebe des Ulanen.

Original-Roman aus der Zeit des deutsch-französischen Krieges von Karl May.


// 1457 //

Schneffke fand einen Waldweg, dem er folgte. In seine Gedanken versunken, hörte er die Schritte nicht, welche ihm eilig entgegenkamen. Der Pfad machte eine scharfe Biegung und da stieß er mit dem Manne zusammen, welcher in raschen Schritten von der entgegengesetzten Richtung herkam.

»Donnerwetter!« rief er, sich den Kopf reibend.

»Mensch, passen Sie doch auf!«

Er sah sich den Anderen an. Es war Deep-hill, der Amerikaner. Auch dieser erkannte ihn und sagte:

»Der Thiermaler aus Berlin.«

»Aufzuwarten, Monsieur.«

»Wie war doch gleich Ihr Name?«

»Hieronymus Aurelius Schneffke.«

»Schön! Wissen Sie, wie Sie eigentlich heißen müßten?«

»Wie denn?«

»Pechke anstatt Schneffke.«

»Warum?«

»Weil Sie stets Pech zu haben scheinen. Vorher brachen Sie uns die Latten weg, und - -«

»O bitte, das geschah mit größtem Vergnügen, Monsieur!« fiel der Maler ein.

»Aber uns hat es kein Vergnügen gemacht! Und jetzt stoßen Sie sich wieder Ihren Kopf an dem meinigen entzwei!«

»Ist er wirklich caput?«

»Der Ihrige scheint schon längst caput zu sein. Und dabei ergehen Sie sich noch in impertinenten Redensarten.«

»Wer? Ich?«

»Ja, Sie!«

»Wieso denn?«

»Nun, Sie wissen wohl gar nicht mehr, was Sie sagten, als Sie vom Zaune fortgingen?«

»Nein. Was sagte ich denn?«

»Daß ich alle Ursache hätte, Ihnen meinen Namen zu nennen.«

»Das ist auch wirklich der Fall!«

»Erklären Sie mir das!«

»Es giebt zwei Ursachen. Die erste ist, daß Sie Ihren Namen nennen mußten, weil ich Ihnen den meinigen gesagt hatte und die zweite?«

»Nun, die zweite?«

»Die sage ich Ihnen später.«

»Ist sie auch so impertinent wie die erste?«

»Nein, im Gegentheil.«

»So sagen Sie mir dieselbe gleich jetzt.«

»Fällt mir nicht ein!«

»Warum nicht?«

»Ich werde erst dann wieder mit Ihnen sprechen, wenn ich sehe, daß Sie gelernt haben, in weniger anspruchsvoller Weise mit Ihren Nebenmenschen zu verkehren.«

»Mensch!«

»Herr, Sie sind grob! Adieu!«

Der Dicke drängte ihn zur Seite und setzte seinen Weg fort. Der Amerikaner warf ihm einen wüthenden Blick nach und murmelte grimmig:

»Ich könnte diesen Kerl beohrfeigen! Er ist ein Flegel! Aber Miß de Lissa hat Recht. Ich bin zu hitzig, zu jähzornig. Ich muß ruhiger werden! Und ruhiger werde ich sein, damit dieses herrliche Mädchen mein Eigenthum wird!«

Er ging weiter. Er war mehrere Stunden bei der vermeintlichen Engländerin gewesen. Er trug ihr Bild im


// 1458 //

Herzen und es schwebte vor seinen Augen. Er dachte nur an sie und nicht an den Weg. Er bog in Gedanken rechts ab und links ab, ganz ohne Plan, und wunderte sich dann, daß der Weg sich in den Büschen verlief.

Er blieb nun endlich stehen, um sich zu orientiren. Die Holzung war hier nicht sehr hoch, und so war es möglich, den Stand der Sonne zu erkennen. Aus diesem konnte der Amerikaner auf die Richtung schließen, welche er eingeschlagen hatte. Schon wollte er umkehren, als er sich ganz unerwartet anrufen hörte:

»Sie hier, Monsieur Deep-hill! Sind Sie vielleicht in die Irre gegangen?«

Der alte Capitän stand hinter einem Baume und trat während dieser Worte hervor. Deep-hill war einigermaßen erschrocken, faßte sich aber schnell und antwortete:

»Allerdings habe ich mich verlaufen, Herr Capitän.«

»Darf ich fragen, woher Sie kommen?«

»Aus der Stadt.«

»Und wohin Sie wollen?«

»Nach dem Schlosse.«

»So haben Sie freilich nicht den kürzesten Weg eingeschlagen.«

»Und doch wollte ich einen Richtweg gehen, bin aber in Gedanken von ihm abgekommen.«

»So bitte, mir zu folgen!«

Er schritt voran, seine Augen glühten in einem freudigen Lichte. Er galt noch für krank, hatte aber trotzdem sein Zimmer verriegelt und sich auf dem verborgenen Wege nach den unterirdischen Kellern begeben, um zu sehen, ob dort Alles noch in Ordnung sei. Die dumpfe Luft hatte ihn heute noch beengt, und so war er einige Minuten in das Freie gegangen, um frisch Athem holen zu können. Dabei hatte er die Annäherung eines Menschen bemerkt und in diesem Letzteren zu seinem Erstaunen den Amerikaner erkannt.

Er führte diesen noch weiter in den Wald hinein, bis sich alte Ruinen vor ihnen erhoben.

»Was ist das?« fragte Deep-hill.

»Das sind die Ueberreste eines Klosters.«

»Warum gehen wir hierher?«

»Es ist der kürzeste Weg nach dem Schlosse. Bitte, folgen Sie mir nur.«

Sie betraten die Ruinen und stiegen den engen Treppengang nach dem Versammlungssaal hinab. Hierbei führte der Alte, da es dunkel war, seinen Gast bei der Hand. Im Saale aber befand sich eine brennende Lampe.

»Eigenthümlich!« sagte der Amerikaner. »Diese Ruinen scheinen von Ihnen benutzt zu werden?«

»Allerdings. Ich werde Ihnen Alles zeigen. Wir haben noch gar keine rechte Zeit gehabt, über unser Geschäft zu sprechen, und können diese Gelegenheit dazu benutzen. Vorher aber werden Sie mir wahrscheinlich eine Frage gestatten?«

»Gern.«

»Sie waren wirklich in der Stadt?«

»Ja.«

»Wollten wirklich nach dem Schlosse?«

»Ja.«

»Und haben sich also wirklich verlaufen?«

»Ja. Aber wozu diese Fragen? Glauben Sie, mich für einen Lügner halten zu dürfen?«

»Das nicht. Aber in meiner Lage muß ich sehr vorsichtig sein. Ist Ihnen Jemand begegnet?«

»Nur Einer.«

»Wo? Im Walde?«

»Ja.«

»Wer war er?«

»Ein fremder Maler, der hier wohl nur zum Zwecke seiner Studien herumläuft.«

»Weiter Niemand?«

»Kein Mensch.«

»Das ist gut. Kommen Sie!«

Er führte ihn nun von Gewölbe zu Gewölbe und zeigte ihm alle da aufgestapelten Vorräthe. Deep-hill erstaunte über die große Menge derselben, hielt sich aber wohlweißlich mit seiner Anerkennung in Reserve. Endlich blieb der Alte vor einem in einem Gewölbe stehenden Tische halten und sagte:

»Nun Sie sich überzeugt haben, daß wir Ernst machen und daß wir auch vorbereitet sind, können wir wohl auch unsere Angelegenheit erledigen. Bitte, setzen Sie sich.«

»Warum nicht oben im Schlosse?«

»Weil ich Derartiges stets hier expedire. Man ist hier am Sichersten. Sie kennen diese Schrift?«

Er öffnete mittels eines Schlüssels den Tischkasten und zog aus demselben einen beschriebenen Bogen. Der Amerikaner las diesen, nickte zustimmend und sagte:

»Es ist unser Contract.«

»Sind Sie gewillt, denselben einzuhalten?«

»Gewiß.«

»Und sind Sie gewillt, uns die betreffenden Summen zu überlassen?«

»Ich pflege Wort zu halten.«

»Schön! Hoffentlich befinden Sie sich im Besitze des Geldes!«

»Ich gebe Ihnen Anweisungen auf Paris. Sie sind wie baares Geld.«

»Einverstanden. Ich liebe es, jedes Geschäft glatt abzuschließen. Ich kann jetzt die Anweisungen erhalten?«

»Nach Unterschrift des Contractes.«

»Gut, unterzeichnen wir!«

»Jetzt? Hier?«

»Ja.«

»Wer soll unterzeichnen?«

»Sie und ich.«

»Hm! Wird das genügen?«

»Gewiß. Ihre Unterschrift genügt mir vollständig.«

»Das versteht sich ganz von selbst. Sie bedürfen meiner Unterschrift gar nicht, wenn Sie nur das Geld erhalten. Wer aber bietet mir Sicherheit für die Rückzahlung?«

»Ich!«

»Ob mir das wohl genügen wird?«

Der Alte zog die Spitzen seines Schnurrbartes breit, warf dem Sprecher einen Blick des Erstaunens zu und fragte:

»Halten Sie mich für einen Lump?«

»Nein, aber für einen Menschen.«


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»Was soll das heißen?«

»Sie sind den Wechselfällen des Lebens ausgesetzt. Ueberdies, haben Sie Vermögen?«

»Gewiß!«

»Dann dürfte mir Ihre Unterschrift allerdings genügen. Sie sehen ein, daß man nicht leichtsinnig sein darf, wenn es sich um Millionen handelt!«

»Ich billige Ihre Vorsicht.«

»Dann bitte ich, den Vermögensnachweis gütigst zu erbringen, Herr Capitän.«

Da braußte der Alte auf:

»Was? Ich soll Ihnen nachweisen, daß ich Vermögen besitze?«

»Ja. Ich muß sogar wissen, wieviel. Sie müssen für so viel bürgen können, als Sie von mir empfangen.«

»Ja, für so viel kann ich nicht!«

»Dann werde ich jetzt nicht unterzeichnen.«

»Ah! Wann denn?«

»Wenn ich mit Graf Rallion gesprochen habe.«

»Sie wollen also nach Paris?«

»Ja.«

»Hm! Bleiben Sie hier. Ich werde ihn telegraphisch herbeirufen.«

Deep-hill sah ein, daß es dem Alten nur darum zu thun war, Zeit zu gewinnen; darum antwortete er:

»Das dürfen Sie nicht. Der Graf hat Sie kaum verlassen und wird von den nothwendigsten Geschäften in Paris festgehalten.«

»Er wird dennoch kommen, da es sich um eine solche Summe handelt.«

»Warum ihn aber belästigen, wenn ich Zeit habe, ihn in Paris aufzusuchen!«

»Weil ich der Schöpfer des Ganzen bin; weil bisher Alles, selbst das Kleinste von mir arrangirt und abgeschlossen worden ist, und weil es in Folge dessen ein Ehrenpunkt für mich ist, Alles auch selbst zu beenden.«

»Ich bitte, geben Sie Sicherheit!«

»Monsieur, Ihre Sprache ist nicht diejenige, welche ich hier gewöhnt bin.«

»Und die Ihrige ist nicht diejenige eines Geschäftsmannes!«

»Geschäft und immer wieder Geschäft! Ist die Begeisterung für die Sache des Vaterlandes gar nichts werth?«

»Sehr viel. Und dieser Contract hat Sie bereits überzeugen müssen, daß ich dieser Begeisterung auch wirklich in hohem Maße Rechnung getragen habe.«

»Jetzt aber scheint sie erloschen zu sein.«

»Ein Wunder wäre es nicht.«

»Ah! Wie meinen Sie das?«

»Es giebt Verhältnisse und Personen, welche im Stande sind, höchst abkühlend zu wirken.«

Er hatte diese Worte achselzuckend gesprochen. Der Capitän erhob sich von seinem Stuhle, maß ihn mit stechenden Augen von oben bis zu den Füßen herab und fragte:

»Sie sprechen von hiesigen Verhältnissen?«

»Ja.«

»Und von hiesigen Personen?«

»Ja.«

»Ich bitte Sie, dieselben namhaft zu machen! Bin unter diesen Personen etwa auch ich gemeint?«

»Sie ganz allein.«

»Alle Teufel! Und die Verhältnisse, welche Sie erwähnten? Wollen Sie dieselben bezeichnen?«

»Ich meine die verborgenen Gänge, Treppen und Thüren in Schloß Ortry.«

»Ich verstehe Sie nicht. Gerade diese verborgenen Locale enthalten Vorräthe, welche Sie überzeugen müssen, daß Sie für Ihr Geld nichts zu fürchten haben!«

»Ich meine nicht die Locale  unter, sondern die Treppen, Gänge und Thüren  in dem Schlosse.«

»Erklären Sie sich deutlicher!«

»Die verborgenen Wege ermöglichen nächtliche Besuche, welche keineswegs angenehm sein können.«

Der Alte drehte sich zur Seite und ließ ein leises Hüsteln vernehmen. Er fühlte sich getroffen und mußte sich Mühe geben, dies nicht merken zu lassen. Aber diese Mühe war vergebens; das las er in dem dunklen, festen Auge des Amerikaners, welches scharf auf ihm ruhte.

»Sapperment!« sagte er. »Haben Sie etwa nächtliche Besuche erhalten, Monsieur?«

»Ja.«

»Ich werde dies genau untersuchen und auf das Strengste bestrafen. Darauf können Sie sich verlassen.«

»Ich verlasse mich weder auf das Eine noch auf das Andere.«

»Wie? Sie zweifeln an der Wahrheit meiner Versicherung?«

»Vollständig!«

»Tod und Teufel! Das ist eine Beleidigung!«

»Ich sage nur das, was ich denke. Sie haben nichts zu untersuchen und werden auch Niemanden bestrafen.«

»Warum?«

»Pah! Wer bestraft sich selbst!«

»Sich selbst? Monsieur, reden Sie irre?«

»Keineswegs.«

»So bringen Sie also mich, mich selbst mit diesen nächtlichen Besuchen in Verbindung?«

»Das versteht sich ganz von selbst.«

»Soll ich etwa bei Ihnen gewesen sein?«

»Ja.«

»Wer sagt das? Wer behauptet das?«

»Ich!«

»Wer hat es Ihnen weiß gemacht?«

»Meine Augen und Ohren!«

»Das heißt, Sie selbst wollen mich gesehen und gehört haben?«

»Ja.«

»In Ihrem Zimmer?«

»In meinem Schlafzimmer.«

»Des Nachts, also heimlich?«

»Heimlich.«

»Sie haben geträumt! Wer kann des Nachts zu Ihnen! Riegeln Sie denn nicht zu?«

»Ich hatte allerdings den Riegel vorgeschoben.«

»Also wie könnte ich bei Ihnen eindringen?«

»Mittelst der Tapetenthür in der Ecke.«

Den Alten überkam auf's Neue ein kurzer, scharfer Husten. Er überwand ihn indeß schnell und sagte:


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»Ich kann nur wiederholen, daß Sie geträumt haben müssen. Was sollte ich denn bei Ihnen wollen?«

»Einsicht in meine Brieftasche nehmen!«

»Monsieur, sind Sie denn ganz und gar des Teufels?«

»Nein, ganz und gar nicht.«

Die beiden standen sich drohend gegenüber. Der alte Capitän sah sich zwar ertappt und durchschaut, war sich aber seines Sieges sicher; das gab ihm ein überlegenes Auftreten. Und was den Amerikaner betrifft, so fürchtete er den Capitän in diesem Augenblicke nicht im Geringsten. Er meinte, daß das Gespräch höchstens in persönliche Thätlichkeiten auslaufen könne, und da fühlte er, der junge, gewandte Mann, sich dem Alten in Bezug auf Geschicklichkeit und Körperkraft weit überlegen. Beide hielten die Augen mit feindseliger Schärfe auf einander gerichtet.

»Was soll ich denn mit Ihrer Brieftasche beabsichtigt haben?« fragte der Capitän. »Zu welchem Zwecke? Es ist mir ja sicher und genug, da wir den Contract unterzeichnen werden!«

»Doch nicht so sicher als Sie meinen. Für uns Beide war es keineswegs gleichgiltig, ob dieser Inhalt aus sofort zahlbaren Papieren bestand oder nicht.«

»Für mich war es gleichgiltig.«

»Nein, sonst hätten Sie sich nicht überzeugt.«

»Aber, ich bitte Sie! Sie haben wirklich geträumt. Ich gebe Ihnen mein Ehrenwort!«

Der Amerikaner zog die Schultern empor und schüttelte sich, als ob es ihn friere. Dann antwortete er:

»Ehrenwort! Pah! Das Ehrenwort eines Mannes, der sich in das Zimmer seines Gastes schleicht!«

Da stampfte der Alte mit dem Fuße auf und rief in drohendem Tone:

»Herr, ich muß Sie unbedingt ersuchen, auf Ihre Ausdrücke besser Acht zu geben. Es steht ein Offizier vor Ihnen, der sich nicht beleidigen läßt und gerade nur weil Sie sein Gast sind, bis jetzt bemüht gewesen ist, seine Indignation zu beherrschen. Ich will selbst noch in diesem Augenblicke annehmen, daß Sie unter dem Einflusse einer Täuschung handeln und sprechen. Denn nur eine Hallucination kann es gewesen sein; das liegt klar auf der Hand.«

»Ich leide nicht an Hallucinationen.«

»Aber, bedenken Sie doch, daß ich Ihre Papiere doch nicht im Dunkeln recognosciren kann.«

»Sie hatten Ihre Laterne mit.«

»Fieberphantasie! Wahrhaftig Fieberphantasie! Wie kann ich mit Licht in Ihr Schlafzimmer eindringen und Ihre Brieftasche öffnen, da ich doch gewärtig sein muß, daß Sie an jedem Augenblicke die Augen aufschlagen!«

»Sie glauben, dafür gesorgt zu haben, daß ich sehr fest schlafen würde.«

»Ich? Wieso denn?«

»Durch den Schlaftrunk, den Sie mir gegeben hatten.«

»Ich Ihnen einen Schlaftrunk gegeben? Das kann nur ein Tollhäusler behaupten. In welcher Weise habe ich Ihnen diesen Trunk denn beigebracht?«

»Mit dem Glase Wein beim Abendessen.«

Der Alte vermochte nicht zu begreifen, wie Deep-hill das Alles wissen könne. Er war ganz und gar bestürzt, ließ es sich aber nicht merken, sondern sagte scheinbar im ruhigsten Tone:

»Monsieur, ich will nicht aus den Augen lassen, daß Sie mein Gast sind, sonst - -«

Der Amerikaner machte eine hastige, abwehrende Handbewegung und fiel ihm dabei in die Rede:

»Bitte, bitte, geniren Sie sich nicht! Sie haben mich nicht mehr als Ihren Gast zu betrachten, denn sobald wir diese Keller hinter uns haben, werde ich Schloß Ortry schleunigst verlassen. Ich kann unmöglich bei einem Manne wohnen bleiben, der mir nach dem Leben trachtet.«

Dem Alten wollte die Sprache versagen. Nur ganz mühsam stieß er hervor:

»Nach dem - Leben habe - - ich Ihnen getrachtet?«

»Ja.«

»Beweisen Sie das!«

»Warum Etwas beweisen, was Sie selbst besser wissen, als ich! Das ist unnöthig!«

»Aber, bin denn ich toll, oder sind Sie es?«

»Keiner von Beiden. Ich sage die Wahrheit und Sie spielen eis Wenig Comödie.«

»Mir will der Verstand still stehen! Ich Ihnen nach dem Leben getrachtet! Selbst wenn Das, was Sie bisher behaupteten, wahr wäre, liegt doch darin ganz und gar nichts Lebensgefährliches für Sie. Ich wäre dann in Ihr Zimmer gekommen, um zu sehen, welcher Art Ihre Papiere sind, nicht aber, in der Absicht, Ihnen nach dem Leben zu trachten!«

»Das gebe ich ja zu, aber ich meine nicht gerade Dieses.«

»Was denn sonst?«

»Die Entgleisung des Zuges.«

Der Capitän fuhr zurück, als ob er einen Abgrund vor sich sähe. Seine Hände durchstrichen die Luft, wie wenn sie nach einem festen Halte suchten.

»Nun, Sie wanken ja vor Schreck!« sagte Deep-hill.

»Ich? Vor Schreck? Fällt mir gar nicht ein! Wenn ich vor Ihnen zurückschrecke, so ist es nur aus Entsetzen über eine solche Anschuldigung, die eine geradezu teuflische ist. Was wollen Sie denn eigentlich mit Ihrer Erwähnung des Bahnunglückes behaupten?«

»Daß Sie dasselbe verschuldet haben!«

»Ich?«

»Ja.«

»Mein Gott! Woher nehme ich nur die Kraft, das auszuhalten? Was kann mir denn an diesem Unglück liegen?«

»Scheinbar gar nichts, in Wirklichkeit aber sehr viel.«

»Erklären Sie mir dieses Factum!«

»Sie wußten, mit welchem Zuge ich kommen würde?«

»Ja. Sie hatten es mir gemeldet.«

»Sie glaubten, ich würde das Geld baar bei mir führen, vielleicht in hohen englischen Banknoten?«

»In welcher Art Sie die Summe besaßen, das konnte mir sehr gleichgiltig sein!«

»Warum veranlaßten Sie denn da die Entgleisung?«

»Ich weiß ja gar nicht von einer solchen Veranlassung!«


// 1462 //

»Auch nicht, daß Sie drei Männer beauftragten, das Unglück hervorzubringen?«

»Nein.«

»Der Eine sollte die Steine auf den Bahnkörper werfen, während die beiden Anderen den Bahnwärter beschäftigten?«

»Kein Wort weiß ich!«

»Diese Letzteren sollten den Amerikaner unter den Todten hervorsuchen - -«

»Schrecklich!«

»Ihm, wenn er noch leben sollte, den Garaus machen - -«

»Schweigen Sie! Das sind die Phantasieen eines Tollhäuslers, wie er im Buche steht!«

»Und das Alles nur, um ihm die Brieftasche abzunehmen! Stimmt es, oder stimmt es nicht?«

»Monsieur, mir graut vor Ihnen! Ich habe noch niemals Angst gehabt, jetzt aber fühle ich Furcht vor Ihnen!«

»Ganz natürlich!«

»Verstehen Sie mich nicht falsch! Ich fürchte mich vor Ihnen, wie sich der Gesunde vor Demjenigen fürchtet, der von einem tollen Hund gebissen worden ist!«

»Beruhigen Sie sich! Ich beiße Sie nicht, wenigstens jetzt nicht und so wörtlich nicht. Aber Sie können sich denken, daß es mir nicht einfallen wird, weiter für eine Sache zu schwärmen, an deren Spitze ein solcher Satan steht.«

»Monsieur, ich vermag nicht, Ihnen zu antworten.«

»Und ich vermag nur, Ihnen zu sagen, daß ich Frankreich aufgebe, weil es solche Söhne hat!«

»Aber wenn ich Ihnen nun beweise, daß Sie mich vollständig unrechter Weise beschuldigen?«

»Das vermögen Sie nicht.«

»Sogar sehr leicht!«

»Wie denn?«

»Gehen wir hinauf! Ich werde Ihnen die Beweise in Ihr Zimmer bringen.«

»Ich halte das für ein leeres Versprechen, werde aber noch eine ganze Stunde auf Schloß Ortry verweilen, um Ihnen Zeit zu geben, Ihre Gegenbeweise zu bringen.«

»Gut! Sie werden mir Ihre wahnsinnigen Beschuldigungen baldigst abbitten. Haben Sie vielleicht vorher noch Etwas zu erwähnen?«

»Nein.«

»So kommen Sie! Bitte!«

Um wieder auf den Gang hinauszukommen, mußten sie natürlich dieselbe Thüre benutzen, durch welche sie in das Gewölbe getreten waren. Der Amerikaner gab nicht Acht auf die Richtung, in welcher diese lag. Das Dunkel täuschte und er war von dem Gespräch zu sehr erregt. Er folgte dem Alten, welcher die Lampe genommen hatte und auf eine ganz andere Thür zuschritt. Er öffnete dieselbe, blieb stehen und sagte:

»Bitte, Monsieur! Ich muß wieder schließen.«

Da verstand es sich ganz von selbst, daß Deep-hill voranging. Er hatte aber noch nicht zwei Schritte gethan, so that es hinter ihm einen lauten Schlag, es wurde dunkel und Riegel rasselten. Er fuhr herum und zu der Thür zurück. Sie war hinter ihm verschlossen worden. Er tastete nach den drei anderen Seiten und gewahrte nun zu seinem Entsetzen, daß er sich in einer engen Zelle befand, aus welcher es keinen zweiten Ausgang gab.

»Halt!« schrie er, mit beiden Fäusten die Thür bearbeitend. »Was soll das heißen?«

»Daß Sie gefangen sind,« antwortete der Alte draußen.

»Schurke!«

»Dummkopf!«

»Sie werden doch nichts erreichen.«

»Alles, Alles werde ich erreichen!« lachte der Alte höhnisch.

»Ich werde Sie bestrafen lassen!«

»Durch wen?«

»Durch die Gerichte!«

»Wie wollen Sie zu den Gerichten kommen? Sie stecken ja hier fest!«

»Man wird mich befreien!«

»Pah! Ich möchte den sehen, der das fertig bringt. Es giebt nur einen einzigen Weg in die Freiheit zurück für Sie, mein geehrter Monsieur Deep-hill.«

»Welchen?«

»Sie unterzeichnen Ihre Anweisungen. Sobald ich das Geld in den Händen habe, werden Sie frei.«

»Nie!«

»Gut, so verschmachten Sie hier!«

»Teufel!«

»Mag sein, daß ich ein Teufel bin! Sie erhalten weder zu essen noch zu trinken. Hunger thut weh und Durst noch weher. Aller drei Tage komme ich, um einmal anzufragen. Sagen Sie Ja, dann gut; sagen Sie Nein, so mögen Sie mit Ihren Millionen verschmachten. Adieu, Monsieur, adieu, und viel Vergnügen!«

Für den ersten Augenblick wollte Deep-hill an diesen satanischen Streich nicht glauben; jetzt aber leuchtete ihm ein, daß der Alte grausigen Ernst mache. Nun wurde ihm entsetzlich angst. Er schrie und schlug an die Thür - umsonst. Der Capitän entfernte sich und führte dabei das halblaute Selbstgespräch:

»In die Falle gegangen, Gott sei Dank, oder vielmehr, dem Teufel sei Dank! Er kommt nicht wieder lebendig an das Tageslicht, mag er nun unterschreiben oder nicht. Aber wie ist er hinter das Alles gekommen? Er weiß Alles, Alles! Unbegreiflich! Ich werde das doch zu erfahren wissen. Aber er ist mir so gefährlich, daß er für immer verschwinden muß. Seit einiger Zeit werden meine Pläne durchkreuzt; ich habe einen unsichtbaren Gegner, der mir in die Karten guckt. Wer mag das sein? Wehe ihm, wenn er in meine Hände fällt! Und das wird er auf jeden Fall!« -

Am Abende wartete der Maler nicht vergeblich auf den Pflanzensammler. Sie thaten so, wie es bestimmt worden war, und trafen draußen vor der Stadt zusammen.

»Aber, Mann, wie kamen Sie denn heute Nachmittage hinaus in den Wald?« fragte Fritz.

»Auf Schusters Rappen. Oder denken Sie vielleicht, ich habe mir eine Sekundärbahn hinauslegen lassen?«

»Was wollten Sie denn draußen?«

»Mich spazieren führen. Weiter nichts.«


// 1463 //

»So war es also Zufall, daß Sie mich trafen?«

»Ja. Der Zufall war schuld und Ihr doppelter Singsang von der berühmten Lerche, die keine Thränen und keine Grüße hat - das arme Vieh!«

»Sie hätten daheim bleiben sollen!«

»Warum?«

»Weil man nicht zu wissen braucht, daß Sie sich für diese Gegend interessiren. Und dabei ist Ihre Persönlichkeit eine so in die Augen fallende, daß - -«

»Eine so von der Birke fallende, wollen Sie sagen?« fiel der Maler ein.

»Meinetwegen! Sind Sie von noch Jemandem gesehen worden?«

»Ja; aber nur von Einem.«

»Wer war das?«

»Ein gewisser Deep-hill.«

»Kennen Sie ihn?«

»Ich habe ihn nur ein einziges Mal gesehen, und zwar heute.«

»Kennt er Sie?«

»Er weiß meinen Namen und daß ich Maler bin. Aber sprechen wir von Etwas, was uns näher liegt!«

»Wovon?«

»Von dieser allerliebsten Nanon.«

»Liegt diese Ihnen so nahe?«

»Nicht ganz so nahe, wie Ihnen, scheint es mir.«

»So lassen wir es lieber sein. Wir wollen beobachten, spioniren; wir dürfen also nicht selbst bemerkt werden. Nur das Nothdürftigste wollen wir sprechen.«

»Ganz wie Sie denken, mein allerwerthester Mann für Wacholderspitzen, Huflattich und Otterzungen!«

»Sie haben wahrhaftig Alles gehört!«

»Alles!«

»Schändlich!«

»Nein, im Gegentheile. Ich habe Ihnen dadurch bewiesen, daß ich für so eine Spionage, wie wir jetzt vorhaben, geradezu geboren bin.«

»Und dabei doch vom Baume fallen!«

»Im Steinbruche giebt es keine Bäume. Aber er ist außerordentlich groß. Wohin verstecken wir uns?«

»Hinein natürlich nicht. Wir verbergen uns am Eingange hinter die Felsen. Wenn sie dann kommen, schleichen wir ihnen nach. Das ist das Allerbeste. Ich wollte, der - - wäre mit da! Hm!«

»Der - - wer denn?«

»Ich habe hier einen Freund, der für solche nächtliche Spaziergänge ein außerordentliches Geschick besitzt.«

»Warum haben Sie ihn nicht mitgebracht?«

»Es war mir nicht möglich, ihn zu treffen.«

Unter diesem Freunde verstand er natürlich Doctor Müller, dessen Anwesenheit jetzt allerdings von Vortheil gewesen wäre. Doch, da sie zu Zweien begonnen hatten, so mußten sie es auch zu Zweien ausführen.

Am Eingange des Steinbruches waren große Felsstücke aufgehäuft, hinter denen sie jetzt Posto faßten. Was sie sich zu sagen hatten, wurde nur flüsternd gesprochen. Die Zeit verging sehr langsam. Endlich hörten sie ein Geräusch, aber nicht von Außen her, sondern im Steinbruche selbst. Es waren Schritte, welche näher kamen und dann blieb eine hohe männliche Gestalt nicht weit von ihnen stehen. Dieser Mann erwartete jedenfalls den Pulvertransport, stieß ein wiederholtes, ungeduldiges Brummen aus und ging dann wieder zurück.

»Wer mag das gewesen sein?« flüsterte der Maler.

»Der alte Capitän von Schloß Ortry.«

»Er selbst! Das ist - - halt! Hören Sie es?«

»Ja; das ist das Knarren von Achsen. Sie kommen!«

Das Geräusch der Räder war immer deutlicher zu vernehmen und endlich passirte ein mit vier Pferden bespannter Wagen an ihnen vorüber. Wenn Fritz vielleicht gedacht hatte, daß nur zwei Personen dabei sein würden, so hatte er sich geirrt; es waren ihrer mehrere.

»Sie fahren da rechts hinüber, jedenfalls bis ganz hinter in die Ecke,« raunte der Pflanzensammler dem Maler zu. »Ich werde ihnen nachschleichen; besser aber ist es, Sie bleiben hier zurück.«

»Ich zurückbleiben? Fällt mir gar nicht ein! Ein tapferer Combattant der dicken Artillerie thut wacker mit, wenn es überhaupt Etwas zu thun giebt.«

»Nun, dann aber äußerst vorsichtig! Auf allen Vieren!«

»Auf allen Zehen und Fingern, macht gerade Zwanzig.«

Der Wagen war im Dunkel bereits verschwunden, doch dauerte es gar nicht lange, so kamen sie ihm so nahe, daß sie ihn sehen konnten. Man hatte die Pferde abgespannt und zur Seite geschafft, den Wagen aber selbst so weit wie möglich in die Ecke geschoben, deren niedriger Theil mit grobsteinigem Schutt bedeckt und ausgefüllt war. Zwei Stimmen erklangen vom Wagen her. Fritz erkannte beide sofort; es war diejenige des Capitäns und Charles Berteu's. Der Erstere sagte in seiner scharfen, gebieterischen Weise:

»Die letzte Sendung also. Wo ist der Zettel?«

»Hier!«

Ein dünner Lichtschein leuchtete auf. Jedenfalls hatte der Alte eine Blendlaterne bei sich, mit deren Hilfe er den Inhalt des Lieferscheines besichtigte; dann meinte er:

»Es stimmt. Abladen also!«

Ketten klirrten vom Wagen herab, und dann begann man die Fässer abzuladen.

»Es muß hier ein verborgener Eingang sein,« flüsterte der Maler dem Pflanzensammler zu.

»Jedenfalls,« antwortete dieser. »Ich werde einmal recognosciren.«

»Wie? Sie wollen sich weiter vorschleichen?«

»Ja; das versteht sich ganz von selbst.«

»Da mache ich natürlich mit.«

»Nein; das wäre die größte Unvorsichtigkeit. Einer von uns Beiden genügt. Und überdies weiß ich nicht, ob Sie die Geschicklichkeit besitzen, sich unbemerkt anzuschleichen.«

»Na und ob! Im Anschleichen bin ich der reine Indianerhäuptling. Ich husche vorwärts wie eine Klapperschlange!«

»Bei Ihrem Leibesumfange?«

»Je dicker desto besser. Wenn so ein fleischiger Kerl an Etwas stößt, geht es bedeutend weicher und geräuschloser zu, als wenn so ein knochiger Gottlieb, wie Sie sind, mit den Steinen carambolirt.«

»Das wollen wir lieber nicht untersuchen. Also bleiben und warten Sie hier, bis ich zurückkomme.«


// 1464 //

Er kroch leise vorwärts und nach einigen Augenblicken war er nicht mehr zu sehen.

»Was sich dieser Mensch einbildet!« dachte Schneffke. »Gescheidter als ich will er sein! Aber ich werde ihm beweisen, daß ich auch nicht von Dummsdorf bin. Ich krieche ihm nach. Oder nein, ich beobachte diese Pulvergesellschaft ganz nach meiner eigenen Manier. Ich suche mir eine Stelle aus, von welcher aus ich Alles höre und auch sehen kann, wo sich der Eingang in das Innere dieses Erdenschlundes befindet. Aber ganz nach Art und Weise der Indianer, ganz und gar nach Menschenfressermanier.«

Er legte sich, so lang oder vielmehr so kurz er war, auf den Erdboden nieder und schob sich vorwärts. Als er in der Nähe des Wagens anlangte, bemerkte er einen felsigen Vorsprung, welcher sich nach und nach über der Ecke des Steinbruches erhob und von dem aus die Beobachtung am Leichtesten ausgeführt werden konnte. Er schob sich auf diesen Vorsprung zu und kroch denselben hinan.

Es war dies nicht ganz ohne Schwierigkeit auszuführen, aber er gelangte doch ganz glücklich und unbemerkt hinauf.

Unten hatte man noch einige Laternen angebrannt, deren Schein Alles zur Genüge beleuchtete. Der alte Capitän zählte die Fässer und gab seine Weisungen.

»Jetzt sind wir mit Abladen fertig,« sagte er. »Rollt nun die Fässer hinein!«

»Ist das Loch breit genug gemacht?« fragte Berteu.

»Natürlich! Hier, überzeugt Euch!«

Er leuchtete nach der Oeffnung, welche in die Erde führte.

»Halt,« dachte der Maler. »Das ist der Eingang; den muß ich genau sehen.«

Er schob sich bis zur Kante des Felsens vor, um besser sehen zu können, ließ aber dabei außer Acht, daß der Stein dort von Wind und Wetter bröcklich geworden war. Als er den Kopf soweit wie möglich vorstreckte, um Alles sehen zu können, bröckelte das Gestein los und rollte hinab. Die unten Stehenden hörten und fühlten das. Sie blickten in die Höhe. Schneffke wollte mit dem Kopfe zurück und wollte retour; aber das geschah so jäh, daß das locker gewordene Gestein sich weiter unter ihm vom Felsen trennte.

»Donnerwetter!« sagte der Capitän. »Da oben muß irgend Jemand sein. Steigt einmal hinauf!«

Schneffke versuchte, auf die Beine zu kommen, machte aber dadurch die Sache nur noch schlimmer. Er gerieth ins Rutschen und das ging um so schneller, je mehr er sich dagegen sträubte. Aus den Bröckchen, die hinuntergefallen waren, wurden Brocken, dann größere Steine, und endlich folgte der dicke Maler selbst. Er stürzte mit aller Wucht von dem Vorsprunge herab und mitten unter die Männer hinein, so daß er zwei von ihnen mit zu Boden riß.

»Kreuzmohrenelement!« rief er. »Da liegt nun der ganze Pudding in der Syrupsschüssel!«

»Hölle und Teufel!« fluchte der Capitän. »Wer ist dieser Kerl? Haltet ihn fest!«

Sofort streckten sich zehn Hände oder vielmehr Fäuste nach Schneffke aus und hielten ihn gepackt.

»Sachte, sachte!« warnte er. »Ich platze sonst wie eine Bombe!«

»Platze Du und der Teufel! Laßt ihn nicht los!«

»Er hat uns belauscht,« sagte Berteu. »Wir müssen uns seiner versichern. Wir müssen ihn binden.«

»Habt Ihr Stricke?« fragte Richemonte.

»Genug, hier am Wagen.«

»So fesselt ihn.«

Schneffke wurde vom Boden emporgerissen und im Nu mit Stricken gebunden.

»Halt!« sagte er. »Laßt mir nur die Hände so lange frei, bis ich mich befühlt, wie viel Knochen mir entzwei gebrochen sind!«

»Das fehlte noch!« antwortete Berteu. »Die Knochen, welche Dir noch nicht gebrochen sind, schlagen wir entzwei, Bursche.«

»Soll das etwa ein geistreicher Einfall sein?«

»Spotte nicht noch! Uebrigens kommt mir diese Stimme und der ganze dicke Mensch bekannt vor. Her mit der Laterne! Leuchtet ihm doch einmal in das Gesicht! Dachte ich es doch! Dieser Maler ist es wahrhaftig!«

»Ein Maler?« fragte der Capitän. »Kennen Sie ihn?«

»Sehr gut sogar!«

»Woher?«

»Er hat sich bei mir eingeschmuggelt, um in Malineau mit diesem verdammten Melac zu conspiriren.«

»Ah, das genügt, um ihn zu kennen! Wo ist er denn her?«

»Das weiß der Teufel. Man darf ihm nicht glauben. Ich halte ihn für einen deutschen Spion.«

»Wenn er das ist, so soll es ihm schlecht bekommen.«

Der Alte trat näher, um sich den Dicken genauer zu betrachten. Er schüttelte den Kopf und sagte:

»Sehr klug sieht dieser Mensch nicht aus. Wenn diese Deutschen keine anderen Spione engagiren, werden sie nicht sehr viel Erfolg haben. Dieses Fleischkloß scheint mir höchst ungefährlich zu sein.«

»Da irren Sie sich! Uebrigens, was will er zu dieser Stunde hier im Steinbruche?«

»Ja, was wollen Sie hier?«

Diese Frage des Capitäns war direct an Schneffke gerichtet.

»Jetzt will ich nichts mehr,« antwortete dieser.

»Was soll das heißen?«

»Ich wollte Etwas, will aber jetzt nichts mehr.«

»Was wollten Sie denn?«

»Diesen Steinbruch studiren.«

»Wozu?«

»Geschäftssache.«

»Unsinn! Glauben Sie nicht, uns Etwas weiß machen zu können. Welche Geschäfte könnten Sie hier haben?«

»Sie haben doch gehört, daß ich Maler bin!«

»Nun ja.«

»Ich kam heute nach Thionville und erkundigte mich nach den landwirthschaftlichen Schönheiten dieser Gegend. Da wurde mir dieser Steinbruch als höchst pittoresk bezeichnet. Ich kam her, kroch überall herum und wurde müde. Ich


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hatte ein Glas Wein zu viel getrunken. Das übermannte mich, und ich schlief da oben ein.«

»Gut ausgedacht!«

»Nicht ausgedacht, sondern die reine Wahrheit!«

»Sie wollen bis jetzt geschlafen haben?«

»Ja. Ich wachte auf, hörte unter mir ein Geräusch und Stimmen und wollte herabblicken. Da aber fing diese verteufelte Gegend an, sich unter mir zu bewegen, und ich stürzte da hinab. Habe ich Ihnen dabei wehe gethan, so haben Sie den Trost, daß auch ich nicht glimpflich dabei weggekommen bin.«

»Glauben Sie ihm nicht, Herr Capitän!« warnte Berteu.

Der Capitän faßte den Maler beim Arme und fragte:

»Sind Sie allein hier?«

»Nein.«

»Ah! Wer ist noch da?«

»Sie natürlich.«

»Donnerwetter! Glauben Sie etwa, daß ich Ihnen gestatten werde, sich über mich lustig zu machen? Ich meine, ob Sie ohne Gefährten hier sind.«

»Fällt mir gar nicht ein! Ich mache solche Rutschparthieen am Liebsten ganz allein. Getheiltes Vergnügen ist doch nur halbes Vergnügen.«

»Na, wenn Sie hierher gekommen sind, um sich ein Vergnügen zu machen, so werden wir Ihnen behilflich sein. Ich werde Sie nachher noch besser ins Verhör nehmen. Ihr Beide hier, führt ihn hinein in den Gang! Und Ihr anderen durchsucht sofort den Steinbruch. Besetzt aber vorher den Eingang, damit Der, welcher vielleicht noch hier versteckt ist, nicht entwischen kann.«


Ende der zweiundneunzigsten Lieferung - Fortsetzung folgt.



Karl May: Die Liebe des Ulanen

Karl May – Forschung und Werk