Lieferung 10

Deutscher Wanderer

24. November 1883

Die Liebe des Ulanen.

Original-Roman aus der Zeit des deutsch-französischen Krieges von Karl May.


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Königsau hätte gern etwas von Margot's Verhältniß zu dem Baron gehört; er sah aber ein, daß sie nur aus Zartgefühl ihn nicht wieder in Erwähnung brachte. Er verabschiedete sich von ihr und versprach ihr, morgen wieder zu kommen.

Dann machte er einen längeren Spaziergang. Weit ausdehnen durfte er denselben allerdings nicht, denn es war für den einzelnen Deutschen noch nicht gerathen, in gewisse Stadttheile einzudringen. Es gab Schichten der Bevölkerung, welche die Deutschen als die Besieger des Kaisers grimmig haßten. Des Nachts hörte man nicht selten den lauten Ruf »vive l'Empereur!« und es waren bereits mehrere tumultuarische Auftritte vorgekommen, welche es nöthig gemacht hatten, mit bewaffneter Hand einzuschreiten.

Daher kehrte Königsau mit Einbruch der Nacht in seine Wohnung zurück, wo er sich mit seinen Büchern, noch mehr aber mit dem Gedanken an Margot beschäftigte.

Es mochte wohl gegen elf Uhr geworden sein, als er auf ein entferntes Getöse aufmerksam wurde, welches von vielen Stimmen herzurühren schien. Er trat an das Fenster und öffnete es. Ja, das war ein hundertstimmiges Gewirr, und da erkrachten auch einige Schüsse. Das kam aus der Gegend, in welcher Margot wohnte.

Dieser Gedanke erweckte seine Besorgniß. Ihre Mama war krank! Er warf sich rasch in die Uniform, schnallte den Degen um, steckte sein Pistol zu sich und eilte auf die Straße hinab. Er hörte laute Stimmen rufen, daß die Blousenmänner und Buonapartisten sich in einer Revolte befänden, und schritt weiter.

Je weiter er vorwärts kam, desto bevölkerter wurde die Straße. Ferne Lärmsignale ertönten; Pompiers sprangen vorüber, und Nationalgardisten eilten an ihre Versammlungsplätze. Auf Margot's Straße angelangt, fand er dieselbe durch eine dichte Volksmenge gesperrt. Aus mehreren Fenstern ertönten Hilferufe. Er hörte, daß die Blousenmänner die Häuser plünderten. Das Volk stand dabei, ohne dies zu verhindern. Hier und da erscholl der Ruf »Es lebe der Kaiser!« oder »Es lebe die Republik!«, und es war sehr zu vermuthen, daß es zwischen diesen beiden Parteien zu einem ernsten Zusammenstoß kommen werde.

Er brach sich Bahn durch die Menge und bemerkte bald, daß in Margot's Wohnung eine einzige Lampe brannte. Dies beruhigte ihn. Er erreichte die Thür und stieg die Treppe empor. Als er klingelte, steckte das Mädchen den Kopf zur Thür heraus und fragte, da es finster war:

»Wer ist da?«

»Melden Sie Monsieur Königsau!«

»Herrgott, da kommt Rettung! O kommen Sie! Ich brauche Sie gar nicht anzumelden. Man wird entzückt sein, Sie zu sehen.«

Sie führte ihn durch den unerleuchteten Salon nach dem daneben liegenden Zimmer. Es war dasjenige, in welchem die Lampe brannte, aber es war leer. Kaum jedoch war er eingetreten, so öffnete sich die gegenüberliegende Thür und Margot trat ein. Beide standen einander gegenüber, im höchsten Grade überrascht, allerdings in freudiger Weise. Sie hatte ihn bisher nur im Civil gesehen; jetzt aber stand er vor ihr in der kleidsamen Husarentracht, in welcher sie ihn im ersten Augenblicke beinahe gar nicht erkannt hätte. Und sie, o wie war sie in diesem Augenblicke doch so schön! Sie trug nichts als das Schlafnegligé und einen Staubmantel darüber. Sie hatte jedenfalls bereits geschlafen, war vom Tumulte aufgeweckt worden und hatte nur den Mantel, welcher ihr am nächsten lag, übergeworfen. In der Angst um den Ausgang und die Folgen des Tumultes hatte sie dann ganz


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vergessen, daß sie sich noch im Schlafgewande befinde. Jetzt, als sie eintrat und einen Officier erblickte, in welchem sie den Freund nicht sofort erkannte, war ihr unter einer Bewegung des Schreckes der Mantel entschlüpft und zu Boden gefallen. Nun stand sie vor ihm wie eine weibliche Göttergestalt aus dem Olymp.

Das weiße Negligé ging ihr nicht ganz bis auf die Knöchel herab und ließ ein elfenbeinweißes Füßchen sehen, welches, von keinem Strumpfe bedeckt, in einem blauen Sammetpantoffelchen steckte. Das Gewand hatte sehr kurze Aermel und gab also ein Paar Arme frei, wie sie Kleopatra nicht voller und schöner gehabt haben konnte. Die Falten des Stoffes legten sich liebevoll an die reizende Gestalt, deren Umrisse deutlich zu erkennen waren. Der herrliche Busen zeigte, obgleich von keiner Schnürbrust unterstützt, jene Form und Festigkeit, die man in Egypten an Fellahmädchen bewundert, welche auch niemals ein Mieder tragen. Ueber ihm erhob sich ein kräftiger, und doch feiner, glänzender Hals, der es werth war, ein Köpfchen von so herrlicher Vollendung zu tragen. Die Zöpfe des Haares waren aufgelöst, und nun floß die dichte, dunkle Fluth in zauberischen Wellen bis weit über die Hüften herab. Wie sie so dastand, glich sie einer Brunhilde, wie sie sich der Maler denkt, ohne ihre Gestalt in ihrer ganzen Pracht und Herrlichkeit auf die Leinwand zaubern zu können.

Es war dem Deutschen, als ob er sich im Traume befinde. Er wollte grüßen, brachte aber kein Wort hervor. Daß Margot schön sei, das wußte er, daß aber ihre Schönheit eine solche Vollendung, eine solche Originalität besitze, das hatte er nicht geahnt. Allerdings hatte sie sich heute selbst schön genannt und von ihren Reizen gesprochen. Sie hatte den Ausdruck gebraucht, »die einen Mann glücklich machen kann«. War sie sich des ganzen Umfanges, des ganzen Reichthumes, der ganzen Fülle ihrer Reize bewußt?

Jetzt in diesem Augenblicke jedenfalls nicht, denn, ihr Negligé ganz vergessend, trat sie mit dem Ausdrucke höchster Freude auf Königsau zu, reichte ihm die Hand und rief:

»Ah, Sie, Monsieur! Gott sei Dank, nun ist die Angst verschwunden! Herzlichen Dank, daß Sie Ihrer Pflicht einen Augenblick abringen, um uns zu beruhigen!«

Er drückte ihre Hand an seine Lippen, es war ihm wie zum Trunkenwerden, als sein Blick von diesem Händchen aus der Formung des prächtigen Armes folgte und dann an dem plastisch vollendeten Busen hängen blieb. Er mußte sich zusammennehmen, um nicht die Antwort schuldig zu bleiben:

»Einen Augenblick? Ich stehe Ihnen für länger zur Verfügung. Ich hörte von meinem Fenster aus den Tumult und ahnte, daß er in dieser Gegend sei. Ich glaubte, daß die Gegenwart eines Militärs zu Ihrer Beruhigung beitragen werde und eilte also, mich unter Ihren Oberbefehl zu stellen, Mademoiselle.«

»O, wie lieb, wie gut ist das von Ihnen. Wir waren so allein und haben wirklich eine sehr große Angst ausgestanden. Ihre Aufmerksamkeit verpflichtet uns zum größten Dank. Ich werde Mama Ihre Gegenwart melden, damit auch sie sich beruhigt.«

Sie wendete sich um, zu ihrer Mutter zu gehen, da sah sie den Mantel liegen. Erst jetzt bemerkte sie, in welcher Weise sie den Freund empfangen hatte. Sie erglühte bis über die Stirn herauf; sie wollte den Mantel aufheben, um ihn überzunehmen, aber das ging ja nicht, das ging wirklich nicht.

Da trat Königsau hinzu, hob ihn auf und legte ihn ihr über. Seine Hand streifte dabei ihre warme Schulter. Er nahm die Last ihres Haares in die Hände, um die herrlichen Wellen über den Mantel herabgleiten zu lassen. Es war ihm, als ob er in einem Zauber- oder Märchenbuche lese. Er konnte sich nicht länger beherrschen, er konnte sich nicht halten, er drückte ihre beiden Hände an seine Brust und sagte mit heißem Athem und blitzendem Auge:

»Margot, Sie sind schön, sinnberückend schön! Und all' diese Pracht und Herrlichkeit sollte diesem Baron gehören? Bei Gott, eher stoße ich ihm den Degen in den Leib!«

Sie ließ ihm ihre Hände und antwortete:

»Bin ich wirklich so schön, Monsieur? Diese Schönheit hat uns Alles gekostet, was wir besaßen, das Glück und das Vermögen; ich möchte sie missen und sie von mir werfen, wenn ich könnte.«

»Um Gotteswillen, nein, Margot! Sie haben keine Ahnung, was Sie einem Manne sein und werden können. Ich muß mich ja abwenden, um dem Verlangen widerstehen zu können, Sie an mein Herz zu ziehen und dort festzuhalten, für das ganze Leben, für die ganze Ewigkeit, denn, wo Sie sind, da muß auch der Himmel und die Seligkeit sein!«

Er drehte sich wirklich von ihr weg. Sie zog den Mantel fester um und ging zu ihrer Mutter. Als sie nach einigen Minuten wiederkehrte, hatte sie den Mantel abgelegt und an seiner Stelle ein Morgenkleid schnell übergezogen. Aber dies war keine strengere Verhüllung, obgleich sie lächelnd sagte:

»So, Monsieur, werde ich nun Niemandem mehr gefährlich sein. Mama sagt Ihnen innigen Dank. Leider kann sie noch immer nicht erscheinen. Aber was ist das? Welch ein Schreien und Lärmen!«

Sie trat zum Fenster, um es zu öffnen; er faßte sie bei der Hand und sagte:

»Bitte, nicht hier, Mademoiselle. Hier ist Licht, und man erblickt Sie von unten. Das muß man bei solchen Gelegenheiten zu vermeiden suchen. Gehen wir in den Salon, wo es dunkel ist. Dort können wir beobachten, ohne beobachtet zu werden.«

Sie folgte ihm. Der Lärm auf der Straße hatte sich verdoppelt. Die verschiedenartigsten Rufe durchkreuzten sich, und die Menge wogte hin und her wie ein aufgeregtes Meer. Königsau öffnete das Doppelfenster. Seine Anwesenheit ermuthigte Margot, hinauszublicken; er that dasselbe an ihrer Seite. Das Fenster war nicht allzu breit; sie hatten kaum Platz neben einander. Ihre schönen, vollen Formen, deren Wärme durch das dünne Gewand drang, legten sich an seinen Körper. Wenn er ihr nicht unbequem werden wollte, so durfte er den einen Arm nicht auf das Fenster legen. Aber wohin sonst? Er wagte es und legte ihn leise um ihre Taille. Sie fühlte es, sie zuckte leicht zusammen, aber sie duldete es.

Er fühlte die electrische Wärme ihres Körpers seine Hand, seinen Arm durchdringen; er hätte für diesen Augenblick sein Leben geben können und dabei doch gedacht, daß er nicht zu theuer bezahlt sei. So beobachteten sie eine ganze Weile schweigend das Menschengedränge da unten. Da krachte ein Schuß. War es ein blinder gewesen, oder nicht? Königsau


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bog sich vor, um nach dem Punkte zu blicken, an welchem der Blitz aus dem Rohre gezuckt war. Sein Arm, welcher um die Taille Margot's lag, mußte dieser Bewegung folgen, und so kam seine Hand, ganz ohne daß es seine Absicht war, an ihre entzückende Büste zu liegen. Er fühlte das und erschrak. Er glaubte natürlich, daß sie seine Hand ergreifen und zornig entfernen werde; aber nein, sie that es nicht, denn sie fühlte, daß seine Bewegung eine absichtslose gewesen war, und durch ihre Selbsthilfe hätte sie ihn ja einer Absichtlichkeit geziehen.

Er selbst gab seinem Arme die vorige Lage wieder, aber dieser legte sich fester als früher um ihre Taille. Da wendete sie ihm das Köpfchen zu und flüsterte bittend:

»O, bitte, nicht so, Monsieur!«

Er fühlte den reinen Hauch ihres Mundes seine Wange streifen und antwortete:

»Nicht so, sondern so! Nicht wahr, Margot?«

Dabei drückte er sie noch fester an sich.

»O nein,« bat sie. »Soll ich mich Ihnen nicht anvertrauen dürfen?«

Es wallte in ihm heiß empor. Er antwortete:

»Anvertrauen für diesen Augenblick? O, wie unendlich viel und doch wie so wenig ist das! Können Sie denn jetzt, für diese wenigen Minuten, Vertrauen zu mir haben?«

»Für immer!« lispelte sie.

Da wollte er sie an sich ziehen, sie aber wehrte ihn ab und sagte:

»Zürnen Sie mir nicht, Monsieur! Wenn ich mich Ihnen auch anvertrauen könnte, so darf ich es doch nicht.«

»Warum nicht?« fragte er.

»Ich darf nicht. Nie, nie,« wiederholte sie.

»So hassen Sie mich?«

Sie zögerte eine Weile mit der Antwort; dann hörte er die tief gehauchten Worte:

»Wie könnte ich Sie hassen!«

Da bog er sich ganz zu ihr heran, hielt seinen Mund an ihr Ohr und flüsterte:

»Aber auch nicht lieben, Margot?«

»Nein!«

Er erschrak fast, als er dieses Wort hörte.

»Nie? Niemals?« fragte er.

»Niemals,« antwortete sie.

Da glitt sein Arm langsam von ihrer Taille herab; er trat einen Schritt vom Fenster zurück, legte die Hände an seine Stirn und holte tief Athem. Sie hörte dies. Ihr Herz bebte; wäre es hell gewesen, so hätte man ihren Busen an dem Fensterkissen zittern sehen können. Sie wartete, ob er wieder neben sie treten und wieder neben ihr hinausblicken werde - aber er kam nicht.

Da, jetzt ertönten vorn an der Straßenecke neue Stimmen.

»Es lebe die Republik! Nieder mit den Kaiserlichen!«

Ein neuer Schwarm von Menschen drängte sich zur Straße herein. Ihr Ruf sagte, wer oder was sie seien; es waren Republikaner. Da erscholl es von der anderen Seite:

»Es lebe der Kaiser! Nieder mit den Sansculotten!«

Und in der Mitte der Straße rief man:

»Es lebe Ludwig der Achtzehnte! Nieder mit den Kaiserlichen und den Sansculotten!«

Jetzt stießen die drei Parteien zusammen. Es entstand eine fürchterliche Balgerei. Ein gräßliches Brüllen und Schreien erfüllte die Straße; Schüsse detonirten, und an dem Rufen der Verwundeten hörte man, daß man auch die blanke Waffe gebrauche.

»Hurrah!« rief es endlich. »Sieg Ludwig dem Achtzehnten! Plündert die Kaiserlichen und schlagt die Sansculotten todt!«

Die Anhänger Ludwig's hatten gesiegt. Man hörte jetzt Thüren einschlagen und Fenster klirren; die Plünderung begann.

Margot hatte sich vom Fenster zurückgezogen. Sie zitterte vor Angst.

»Mademoiselle, gehen Sie zu Ihrer Mama!« sagte Königsau. »Man weiß nicht, was geschehen kann.«

»Mein Gott,« antwortete sie, »mein Bruder ist als Buonapartist bekannt!«

»Wo wohnt er?«

»Er bewohnt die andere Hälfte der Etage.«

»Ist er daheim?«

»Nein. Er würde sich bei diesem Aufruhr auch nicht nach Hause getrauen.«

»Plünderung, Plünderung!« ertönte es abermals von unten. Und eine einzelne Stimme fügte hinzu: »Hier ist Nummer Zehn; hier wohnt der Capitän!«

Man hörte, daß die Männer unten eindrangen.

»Sie kommen, mein Gott, sie kommen!« rief Margot. »Drüben mögen sie immerhin plündern, wenn sie nur meine arme Mama verschonen!«

»Wenn sie einmal drüben beginnen, so kommen sie auch herüber. Sie tragen den Namen Ihres Bruders und müssen für ihn mit bezahlen. Man muß das zu verhüten suchen. Gehen Sie zu Ihrer Mama; ich werde mein Möglichstes thun!«

Man hörte jetzt die kranke Frau ängstlich rufen; Margot eilte zu ihr. In diesem Augenblicke donnerten auch schon heftige Schläge gegen die Vorsaalthür. Das Dienstmädchen hatte sich versteckt; Königsau sah sich ganz allein. Er ergriff mit der Linken ein Licht, lockerte mit der Rechten seine Pistolen und die Degenklinge und öffnete dann die Thür. Draußen standen eine Menge wilder Gestalten, und auch die Treppe war besetzt von ihnen.

»Was wollen Sie hier, Messieurs?« fragte Königsau mit kräftiger Stimme.

Die Leute waren nicht wenig erstaunt, einen deutschen Officier zu sehen. Sie wichen ein Wenig zurück, und einer von ihnen antwortete:

»Wir suchen den Capitän Richemonte.«

»Er wohnt nicht hier, sondern gegenüber.«

»So werden wir ihn dort aufsuchen!«

»Er ist nicht daheim.«

»Das thut nichts. Wir werden uns seine Meubles einmal ansehen!«

»Da kommen Sie zu einer recht ungewöhnlichen Stunde,« meinte Königsau lächelnd. »Uebrigens, was kann ein Buonapartist für kostbare Meubles haben. Sie würden sich sehr täuschen, Messieurs. Es liegt eine sehr kranke Dame hier; ich hoffe, Messieurs, daß Sie so galant sein werden, dies zu berücksichtigen.«

»Ihr hört es!« meinte der Sprecher zu den Uebrigen. »Wollen wir gehen?«

»Ja!« riefen Viele, und »Nein!« riefen noch Mehrere.


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Margot war einige Augenblicke lang bei ihrer Mutter gewesen, jetzt aber stand sie angstvoll im Hintergrunde des Vorsaales, um den Ausgang der Unterhandlung abzuwarten. Sie sah Königsau draußen auf dem Corridore stehen. Das Licht, welches er in der Linken hielt, beleuchtete seine kräftige männlich schöne Gestalt.

»Ich habe das Wort Plünderung vernommen,« sagte er. »Ich bin überzeugt, daß kein Anhänger Ludwig's des Achtzehnten es ausgesprochen hat. Wir haben den Kaiser entfernt und unser Blut für Euch vergossen, um Euch den Frieden, nicht aber Raub und Plünderung zu bringen. Es lebe Ludwig der Achtzehnte; es lebe die Ordnung! Nieder mit den Räubern und Dieben! Das Volk von Frankreich besteht nicht aus Einbrechern, sondern aus ehrlichen Leuten!«

Das war ganz nach der Situation gesprochen.

»Es lebe Ludwig der Achtzehnte; es lebe die Ordnung!« riefen die Leute nach. »Kommt, wir wollen gehen; dieser brave Deutsche giebt uns unseren König wieder; er hat Recht!«

Sie drehten sich um und verließen alle das Haus.

Als Königsau in den Vorsaal zurücktrat, erblickte er Margot. Ihre Augen leuchteten vor Freude über und vor Bewunderung für ihn. Er hatte es gewagt, er, der Einzelne, der verhaßte Deutsche, einer solchen Rotte zügelloser Menschen entgegen zu treten! Sie streckte ihm ihre beiden Hände entgegen und sagte:

»Dank, Monsieur, nehmen Sie Dank! Sie allein sind es, welcher uns errettet und befreit hat. Ich werde sogleich zur Mama gehen, um ihr zu melden, daß die Gefahr vorüber ist.«

Sie ging. Königsau stellte sein Licht wieder in den Vorsaal und kehrte dann in den Salon zurück, um von Neuem die Straße zu beobachten. Er hatte dort noch nicht allzulange gestanden, so sagte ihm ein leichtes Rauschen, daß Margot hinter ihm stehe.

Er wendete sich um und wollte zur Seite treten, um sie an das Fenster zu lassen.

»Bleiben Sie, Monsieur,« sagte sie. »Wir haben Beide Platz.«

»Es ist zu eng für Zwei, die sich nicht lieben können,« warf er ein.

»Bleiben Sie immerhin,« antwortete sie. »Was Ihnen erlaubt war, darf wohl auch ich einmal wagen.«

Sie legte den einen Arm auf das Fensterkissen und stützte den anderen gerade so auf seine Taille, wie er es vorher bei ihr gemacht hatte. Es war ein namenlos seliges Gefühl, welches ihn bei dieser Berührung durchfluthete. Ahnte sie, wie furchtbar wehe sie ihm vorhin gethan hatte, und wollte sie das wieder gut machen?

Er ergriff ihr Händchen und zog ihren Arm, der um ihn lag, fester an. Sie ließ es geschehen.

»Fürchten Sie sich nicht vor diesen Leuten, Monsieur?« fragte sie.

»Fürchten? Ich hätte mit ihnen gekämpft, wenn sie nicht gegangen wären,« versicherte er.

»O Gott, wenn man Sie getödtet hätte!«

»So wäre ich eines schönen Soldatentodes gestorben, und der letzte Gedanke, in Ihrem Dienste gefallen zu sein, wäre für mich bereits der Beginn der jenseitigen Seligkeit gewesen. Vielleicht wäre es besser gewesen, wenn es so gekommen wäre.«

»Warum?«

Er schwieg. Nach einiger Zeit war es ihm, als ob er


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einen leisen Druck ihres Armes fühle, und dann sagte sie:

»Bitte, antworten Sie mir!«

»Weil mein Herz, meine Seele, mein Leben bei Ihnen bleibt, und ich nichts sein werde als ein Automat, der von seinen Pflichten regiert wird.«

»Sagen Sie mir Ihren Vornamen!«

»Hugo.«

»Nun also, Monsieur Hugo, warum bestehen Sie darauf, sich durch trübe Bilder und Vorstellungen das Glück des gegenwärtigen Augenblickes zu verkürzen?«

»Ist es denn ein Glück, Margot?«

»Ja.«

»Für mich, ja,« sagte er, ihre Hand zärtlich drückend; »ob aber für Sie?«

»Auch für mich,« flüsterte sie.

»Wirklich, Margot?«

»Wirklich, Hugo!« versicherte sie.

»Wie ist dies möglich, da Sie mich nicht lieben können?«

Bei dieser Frage hatte er sich gerade empor gerichtet, und da ihr Arm um seinen Leib lag, so war sie gezwungen, dieser Bewegung zu folgen. Sie zog zwar den Arm von ihm fort, blieb aber so nahe an ihm stehen, daß er den Hauch ihrer Worte fühlte.

»Hätte ich wirklich gesagt, daß ich Sie nicht lieben kann?« fragte sie.

»Ja.«

»Ich habe gemeint, daß ich Sie nicht lieben darf. Das ist ein Unterschied!«

»O, und was für einer! Ein riesig großer! Aber warum dürfen Sie nicht?«

»Muß ich Ihnen dies sagen?«

»Ich bitte darum!«

»Gut, aber nicht jetzt, nicht heute, sondern zu einer anderen Zeit.«

»So muß ich warten. Aber darf ich nun auch die Hauptfrage aussprechen?«

»Sprechen Sie, Monsieur!«

Da legte er den linken Arm um sie, zog sie an sich heran, so daß ihr Kopf an seine Schulter zu liegen kam, strich ihr mit der Rechten liebkosend über das reiche Haar und fragte:

»Wird es Ihnen denn so sehr leicht, mich nicht lieben zu dürfen, Margot?«

Da drückte sie ihre Wange an die seinige und antwortete:

»Nein, sondern es fällt mir sehr schwer.«

»Ich danke Dir, danke Dir von ganzem Herzen, Du herrliches, süßes Wesen!« sagte er, indem er seine Lippen auf ihren Mund legte, welcher den Kuß leise erwiderte. »Ich habe Dich trotz der kurzen Zeit, in welcher ich Dich kenne, so unendlich, so unbeschreiblich lieb, daß ich ohne Dich nicht leben kann. Glaubst Du das, meine Margot?«

Da schlang sie die beiden Arme um seinen Hals und antwortete traurig:

»Ich glaube es, denn ich empfinde für Dich ja ganz dasselbe. Aber dennoch müssen wir scheiden!«

»Aber warum? Warum? Sage es mir!«

»Das ist ja eben das, warum ich Dich nicht lieben darf!«

»Und wenn ich Dich nun recht sehr bitte, es mir zu sagen?

Sie umfaßte ihn mit innigster Zärtlichkeit und antwortete:

»Es fällt mir so schwer, so sehr schwer, Hugo.«


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»So will ich an Deiner Stelle sprechen, meine Margot!«

»Thue es, mein Freund!«

»Du darfst mich nicht lieben, und Du glaubst, nicht mein Weib werden zu können, weil Du noch nicht frei vom Barone bist?«

»Du hast es errathen,« lispelte sie.

»Wenn ich ihm nun die hundertundfünfzigtausend Franken bezahle, mein Kind?«

»Dieses Opfer ist zu hoch, zu außerordentlich. Bist Du denn so reich, mein Hugo?«

»Ich will ehrlich sein, Margot. Ich bin nicht reich. Ich besitze nichts als ein Gütchen, welches vielleicht gerade so viel werth ist, wie wir brauchen werden. Ich werde es verkaufen, um Dich und Mama von diesem Menschen zu befreien.«

Sie sagte kein Wort, aber sie schlang die Arme um ihn und schmiegte sich so fest und innig an ihn, daß er das Klopfen ihres tief bewegten Herzens fühlte. Ihr Busen wogte an seinem Herzen auf und nieder, und da sie ihr Angesicht liebevoll an das seinige drückte, so fühlte er ihre Thränen über ihre und seine Wangen niederperlen. Ein wiederholtes, krampfhaftes Schluchzen, welches sie wohl unterdrücken wollte, aber nicht beherrschen konnte, sagte ihm deutlich, in welch einem Aufruhr sich ihr Inneres befinde. Er ließ sie gewähren, aber nach einer Weile, als sie ruhiger geworden zu sein schien, fragte er:

»Warum weinest Du, mein liebes Herz? Was kränkte Dich?«

»Nichts, mein Hugo,« antwortete sie, ihn innig küssend; »ich weinte vor Wonne. Ich habe nie geglaubt, einen Mann zu finden, welcher so freudig bereit ist, für seine Liebe zu mir seine ganze Habe zu opfern. Aber ich darf es nicht annehmen, so glücklich mich Deine Bereitwilligkeit auch macht.«

»Warum nicht?«

»Was bliebe Dir zum Leben? Was bedeutet ein armer Officier?«

»Gott wird uns beistehen und für uns sorgen, mein Leben!«

»Du Guter, Lieber!« Sie küßte ihn vor inniger Dankbarkeit auf Stirn, Auge, Wange und Mund; ja, sie küßte sogar seine beiden Hände und fragte dann: »Ist Dir Deine Margot denn wirklich eine so ungeheuere Summe werth?«

Er zog sie an sich, preßte sie heftig an sein Herz und versicherte ihr aufrichtig:

»Mehr als so viele Millionen, wenn ich sie hätte, als es hier Hunderte sind!«

So standen sie lange, Brust an Brust und Mund an Mund. Unten hatte sich der Aufruhr nach und nach verlaufen, um sich nach einer anderen Gegend zu wenden; tiefe Ruhe herrschte, und das erweckte die beiden Glücklichen aus ihrer Verzückung.

»Wie wird sich Mama freuen!« sagte Margot. »Wollen wir es ihr schon heute sagen?«

»Ja. Es ist zwar kühn von mir, weil sie mich noch nicht kennt, aber es nimmt ihr die Sorge um die Wechsel vom Herzen, und daher mag sie es jetzt erfahren.«

»So will ich sehen, ob sie noch wacht.«

Sie schlich leise davon, kehrte aber bald mit der Meldung zurück, daß die Mutter eingeschlafen sei. Es verstand sich von selbst, daß man sie nicht weckte. Erst nach unzähligem Abschiednehmen verließ Königsau die Geliebte, um sich nach Hause zu begeben. Es sollte jedoch anders kommen, als er gedacht hatte.

Er blieb bei der nächsten Straßenecke stehen, um sich eine Cigarre anzuzünden. Es war damals die Zeit, in welcher die Cigarren eben erst aufgekommen waren. Er war noch gar nicht weit von der Ecke fortgeschritten, so kam ihm einer entgegen und sagte:

»Halte la, Kamerad! Donneh moah eng pee de fee pour ma pipe - halt, Kamerad, geben Sie mir ein bischen Feuer für meine Pfeife!«

Dieses Französisch war geradezu schrecklich ausgesprochen. Hätte Königsau den Mann nicht an der Stimme erkannt, so hätte er doch an dieser Aussprache gehört, wer er sei, nämlich der alte Blücher, welcher bekanntlich das schauderhafteste Französisch sprach.

»Zu Befehl, Excellenz!« antwortete der Husar.

»Donnerwetter, ein Deutscher! Es ist so dunkel, daß man nichts erkennt; ich hörte nur den Sarras rasseln und sah die Cigarre glimmen. Wer sind Sie denn?«

»Lieutenant Königsau von den Ziethenhusaren.«

»Ah, Junge, bist Du es? Und noch immer nicht Rittmeister?« lachte der Alte, indem er seine Pfeife in Brand steckte. »Ich bin da in dem alten Dorfe herum gerannt, um die berühmte Revolution zu sehen, welche es gegeben haben soll, habe aber ganz und gar nichts bemerken können.«

»Ich war so ziemlich dabei engagirt, Excellenz.«

»Ah, wirklich? Komm, mein Sohn, das mußt Du mir erzählen! Ich weiß da ein recht hübsches Nest, wo es einen recht guten Wein giebt und auch noch einiges Andere mehr; da sollst Du mir beichten. Die Zeche braucht Dir keine Sorge zu machen.«

Er klopfte an die Tasche, in welcher die Goldstücke klirrten, und schritt voran. Königsau wußte, daß Blücher ein leidenschaftlicher Spieler war, der des Abends gern sein Glück versuchte; daher ahnte er, daß der jetzige Gang wohl den gleichen Zweck habe, und er sollte sich auch nicht getäuscht haben.

Nach einiger Zeit blieb Blücher vor der Thür eines Hauses stehen, welches allem Anscheine nach nicht ein öffentliches, sondern ein Privathaus war.

»Mein Sohn,« sagte er. »Ich nehme Dich mit hierher, weil ich denke, daß Du ein braver und verschwiegener Kerl bist. Du wirst von Allem, was Du siehst, das Maul halten; wo nicht, so holt Dich entweder der Teufel, oder ich!«

»Excellenz dürfen glauben, daß ich keine Plaudertasche bin,« sagte Königsau.

»Das will ich Dir auch gerathen haben! Erführe ich, daß Du Deinen Schnabel nicht in Acht nimmst, so wärest Du ein ausgemachter Lump, mein lieber Sohn, und würdest ganz gewaltig in die Käse fliegen, Du Himmelsacramenter!«

Er zog leise an einer Glocke. Erst nach längerer Zeit hörte man im Inneren des Hauses nahende Schritte, und eine Stimme fragte:

»Wer ist draußen?«

»Blücher,« antwortete der Feldmarschall.

Sogleich wurde die Thür geöffnet, und die Beiden traten ein. Der Portier, welcher sie empfing, verbeugte sich tief; Blücher beachtete es nicht und schritt voran, die Treppe empor. Oben trat er in ein Zimmer, in welchem mehrere


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Herren saßen, welche sich ehrfurchtsvoll erhoben. Er nickte ihnen zu und schritt, ohne Königsau vorzustellen, an ihnen vorüber in ein Nebenzimmer, in welchem sich kein Mensch befand.

Auf dem dort stehenden Tische sah man Gläser und volle Flaschen stehen. Blücher griff sofort nach einer der Letzteren, entkorkte sie und schenkte ein.

»Zunächst einschenken,« sagte er. »Diese Franzosen sind ein ganz verfluchtes Volk und haben doch einen verteufelt guten Wein. Wie paßt das zusammen! Schon aus Aerger darüber könnte man sie in Kochstücke hauen. Prosit mein Sohn! Dieser Tropfen wird Dir nicht in der Gurgel stecken bleiben.«

Er stieß mit dem Lieutenant an, setzte sich und fuhr dann fort:

»So! Nicht wahr, er ist gut? Nun setze Dich zu mir und erzähle mir von der Revolte, welche Du mit erlebt hast. Wir haben noch einige Zeit.«

Königsau folgte diesem Befehle, indem er nur das berichtete, was er für nothwendig hielt, ohne seine Herzensangelegenheit zu berühren. Während er erzählte, traten nach einander mehrere Herren ein, welche ehrerbietig grüßten, und es nicht wagten, bei den Beiden Platz zu nehmen, sondern durch eine zweite Thür verschwanden. Als er geendet hatte, sagte der Marschall:

»Also ein Auflauf, wie er in diesem Sodom und Gomorra öfters vorkommt. Für uns hat er nichts zu bedeuten, da die Demonstration nicht gegen uns gerichtet gewesen ist. Man ist Dir sogar gehorsam gewesen. Für so einsichtsvoll habe ich noch keinen Franzosen gehalten. Dein Auftreten ist muthig und tadellos gewesen, mein Sohn; ich muß Dich loben. Wie aber bist Du zu diesen Damen gekommen?«

»Wie man so Damenbekanntschaften zu machen pflegt, Excellenz!«

»Na, wie denn?« fragte Blücher.

Es war bekannt, daß er zu den Bewunderern des schönen Geschlechtes zählte. Er hörte, daß der Lieutenant sich Mühe gab, bei seiner Antwort einen möglichst gleichgiltigen Ton beizubehalten; er vermuthete daher ein kleines Abenteuer und wollte sich die Erzählung desselben nicht entgehen lassen.

»Ich traf die Tochter auf der Straße,« antwortete er. »Sie wurde von einem Russen insultirt; ich nahm mich ihrer an, und führte sie nach Hause. Infolge dessen erhielt ich von der Mutter die Erlaubniß, sie zu besuchen.«

Blücher nickte, machte ein höchst pfiffiges Gesicht und sagte:

»Verdammte Kerls, diese Russen! Wo sie eine Schürze oder eine hübsche Larve sehen, da fliegen sie in die Höhe wie Champagnerpfropfen. Also Du sagst, daß er sie insultirt habe, mein Sohn? In welcher Weise ist dies denn geschehen?«

»Er bemächtigte sich ihres Armes.«

»Donnerwetter, da muß sie hübsch gewesen sein! Nicht?«

»Ich habe keine Veranlassung, es zu leugnen, Excellenz.«

»Aha, nun ahne ich das Uebrige! Sie hat Dich gefangen, alter Schwede!«

Königsau zuckte leicht die Achsel und schwieg verlegen.

»Hm!« brummte Blücher. »Daß doch das junge Volk so geheimnißvoll und wichtig thut, als ob es sich um eine große, außerordentliche, politische Finesse handelte. Da sitzt der Kerl, zugeknöpft wie eine Sphinx, und denkt nicht, daß der alte Blücher klug genug ist, den ganzen Kram zu errathen. Junge, ich bin auch einmal jung und dumm gewesen, ein echter, richtiger Windbeutel; ich bin den Mädels nachgelaufen, wie der Bauer den Maulwürfen, und habe manchen Kuß weggeschnappt, der eigentlich einem Anderen gehört hatte. Jetzt bin ich alt und trocken wie Methusalem, aber ein Paar schöne Augen sehe ich mir auch jetzt noch lieber an, als ein Paar zerrissene Stiefel. Also kannst Du mir getrost die Wahrheit sagen. Nicht wahr, Ihr habt Euch ganz gehörig in einander verschamerirt?«

Königsau sah sich in die Enge getrieben. Er durfte den Marschall nicht belügen; er sagte sich im Gegentheil, daß dieser als sein höchster Vorgesetzter Offenheit von ihm fordern, und ihm außerordentlich nützlich sein könne; darum sagte er:

»Ja, es wird wohl nicht viel anderes sein, Excellenz.«

»Das läßt sich begreifen,« nickte der Alte. »Sie ist schön, wie Du sagst, und auch Du bist kein unebener Junge; da schnappt man rasch ein Bischen über. Aber einen guten Rath will ich Dir geben, mein Junge: Herze sie; drücke sie; schmatze sie und kneipe sie, so viel Du willst, aber heirathe sie um Gotteswillen nicht!«

»Warum?«

»Das will ich Dir sagen, Junge. Ich habe nämlich ein Haar darin gefunden, nein, nicht nur ein Haar, sondern einen ganzen alten Weiberzopf. Erst sind die Frauen mild und süß, ganz der reine Zucker; nach der Hochzeit aber geht der Teufel los und sie werden wie Alaun und Vitriol; es zieht Einem die Gurgel zusammen. Den Hof magst Du einer immerhin machen, aber nur ja keinen Heirathsantrag, sonst bist Du verloren wie Tabacksasche. Du glaubst gar nicht, was für ein Volk diese Frauenzimmer sind! Ich thue mir immer eine Güte, wenn ich einer einmal so einen richtigen Puff versetzen kann. Vor langen Jahren verliebte ich mich einmal in eine hochadelige Dame; ich war perplex bis zum Rasendwerden. Sie spielte sehr gern und ich auch. Eines Abends gewann ich ihr mehrere tausend Thaler auf Ehrenwort ab. Sie hatte große Angst vor ihrem Manne, der das ja erfahren und bezahlen mußte. Da sagte ich ihr, daß ich ihr das Geld schenken wolle, wenn sie mir einen Kuß gäbe. Was antwortete das Weib? Einiger tausend Thaler wegen werfe sie sich nicht weg! Nun gut! Ich erhielt mein Geld und die Zeit verging. Ich avancirte und wurde General, aber mit den Verhältnissen dieser Dame ging es retour. Sie wurde alt, aber das Spielen konnte sie nicht lassen. Eines schönen Abends gewann ich ihr wieder eine bedeutende Summe ab. Da sagte sie mir vor allen Leuten, daß sie jetzt bereit sei, den erbetenen Kuß zu geben, wenn ich ihr die Schuld quittiren wolle; ich aber antwortete ihr: »Nee, gnädige Frau; die Zeiten ändern sich; der Appetit auf Sie ist mir vergangen; ich schmatze keene alte Schachtel!« Du kannst Dir denken, mein Sohn, was für ein Gesicht sie machte! Ich gebe Dir mein Wort: Erst sind diese Weibsen der reine Honigseim, später jedoch wird Rindsgalle daraus. Nach der Hochzeit werden sie überständig und moderig; sie kriegen Risse, Knitter und Stockflecke; die Falten kommen, und die Haare fallen aus, und aus dem früheren Engel wird eine Klatschschwester, eine Vogelscheuche, ein Drache, ein Ungethüm, das Gift und Feuer speit. Darum verliebe Dich, aber verheirathe Dich nicht, mein Sohn! Aber, Du ziehest mir so ein wunderliches Gesicht! Junge, Du bist doch nicht etwa schon auf den Leim gegangen?«

Königsau lachte und antwortete:


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»Ich sitze fest, Excellenz!«

»Alle Teufel, das ist dumm! Hast Du ihr Dein Wort gegeben?«

»Freilich!«

»Das ist noch dümmer! Armer Kerl, Du kannst mich dauern! Ist sie reich?«

»Nein!«

»Kerl, Du bist ein Esel!«

»Aber ein sehr glücklicher, Excellenz!«

»Ja, das denkst Du jetzt. Aber der hinkende Bote kommt hinterher und faßt Dich beim Schopfe. Und nun gar eine Französin! Hättest Du Dich an eine Deutsche verschachert, so möchte es noch gehen; aber eine Mademoischnelle, das ist zu dumm, mein Sohn: So ein Kerl wie Du bist! Du brauchst nur die Hand auszustrecken, so hängen gleich Elfhundert daran, und hier gehst Du so traurig auf den Leim!«

Blücher schüttelte den Kopf; Königsau aber meinte in zuversichtlichem Tone:

»Es ist kein Leim, Excellenz. Margot ist gut.«

»Gut? Hm! Wart's ab! Also Margot heißt sie?«

»Ja.«

»Na, der Name wenigstens klingt nicht übel! Aber sie ist arm, und Du hast nichts. Was soll daraus werden?«

»Ich verkaufe mein Gut.«

Der Husar ließ sich diese Antwort entfahren, ohne daran zu denken, daß er damit gerade das preis gab, was er gern verschweigen wollte.

»Dein Gut verkaufen?« fragte Blücher erschrocken. »Warum? Das ist ja gar nicht nöthig! Gerade, da Du Dich verheirathen willst, mußt Du es behalten. Deine Gage ist ja nur eine Lappalie; Dein Gut bringt Dir einen Zuschuß; wovon willst Du leben, wenn dieser wegfällt?«

Königsau blickte nachdenklich vor sich nieder und antwortete dann:

»Sie haben Recht, Excellenz, aber ich muß verkaufen; ich bin zu diesem Opfer gezwungen, und ich bringe es gern.«

»Wer zwingt Dich denn dazu?«

»Ein neugebackener Baron, der Armeelieferant Napoleon's gewesen ist.«

»Ein Armeelieferant? Den Kerl soll der Blitz zerquetschen! Diese Menschen sind alle Spitzbuben, einer wie der Andere! Aber wie hängt das zusammen? Hast Du etwa mit ihm gespielt? Bist Du ihm Geld schuldig?«

Der Lieutenant sah ein, daß er bereits zu mittheilsam gewesen sei, um jetzt schweigen zu können. Er beschloß, aufrichtig zu sein und dem Marschall Alles zu erzählen. Blücher hörte ihm schweigend zu; seine Miene wurde ernst und immer ernster; endlich schüttelte er langsam den Kopf und sagte:

»Das ist nun freilich eine ganz und gar verfluchte Geschichte. Du bist ein Ehrenmann und kannst nicht mehr zurück. Dein Gütchen ist pfutsch, vollständig pfutsch, armer Junge. Aber so ist es: gestern verliebt und heute ein Esel! Wie willst Du es anfangen, um Geld zu bekommen? In acht Tagen müssen die Wechsel eingelöst werden; aber so schnell geht es doch mit dem Verkaufe nicht!«

»Das macht mir keine Sorge. Das Gut ist unverschuldet; wenn ich es verpfände, giebt mir jeder Bankier die Summe, welche ich brauche.«

»Hm! Junge, Du dauerst mich! Ist diese Margot denn gar so ein Wunder von einem Mädchen, daß Du Dein ganzes bischen Habe gern für sie opferst?«

»Sie ist ein Engel!« antwortete Königsau warm.

»Donnerwetter, da darf ich sie mir wohl einmal ansehen, he?«

»Wenn Excellenz befehlen, werde ich Sie vorstellen.«

»Gut! Du hast mit der Alten noch gar nicht gesprochen, das heißt, über Eure Liebelei?«

»Nein.«

»Und morgen willst Du Dich erklären?«

»Ja.«

»Schön! Ich werde Dich begleiten und den Freiwerber machen. Ich glaube, daß es Dir keine Schande ist, wenn der alte Gebhard Leberecht von Blücher seinen Senf dazu giebt. Wie viel Uhr wirst Du erwartet?«

»Um drei Uhr.«

»So komme halb drei Uhr zu mir. Ich werde mich in Glanz und Wichs werfen, um Ehre einzulegen. Aber das sage ich Dir: Gefällt mir das Mädchen nicht, so rede ich kein Wort. Ich will den Vorwurf nicht auf dem Gewissen haben, an Deinem Elend Schuld zu sein. Ah!«

Er erhob sich, denn es trat ein Herr ein, welcher ihm sehr bekannt zu sein schien, und den er vertraulich grüßte. Der Mann trug sich höchst elegant; seine Hände waren mit kostbaren Ringen besteckt, und an seiner Uhrkette glänzten Berloquen, welche ein Vermögen repräsendirten. Königsau wurde ihm von dem Marschall vorgestellt, und so erfuhr der Lieutenant, daß der Franzose einer der bedeutendsten Bankiers von Paris sei.

Jetzt traten die Drei in dasselbe Zimmer, in welches sich alle Diejenigen begeben hatten, welche während des Gespräches Blücher's mit Königsau gekommen waren.

Der Letztere erkannte auf den ersten Blick, daß er sich in einer Gesellschaft feiner Spieler befinde. Man hatte sich um mehrere Tische arrangirt, um den verschiedensten Hazardspielen zu huldigen. Der Bankier trat an einen Tisch, an welchem man Biribi spielte.

»Wollen Sie mir heute Revanche für gestern geben, Durchlaucht?« fragte er Blücher.

»Später, Monsieur,« antwortete dieser. »Vorerst will ich mich anderswo versuchen.«

Er begab sich an einen Tisch, wo mehrere Herren beim Pharao saßen.

»Hast Du bereits einmal gespielt, mein Sohn?« fragte er den Lieutenant.

»Noch nie,« antwortete dieser.

»Auch noch nie zugesehen?«

»Oefters, Excellenz.«

»Das ist gut; Du wirst Dich also betheiligen können.«

»Ich bin kein Spieler,« entschuldigte sich Königsau.

»Das gilt hier nicht. Du mußt nämlich wissen, daß ein jeder, der hier Zutritt erhält, mitspielen muß. Ich habe Dich eingeführt, und ich hoffe, daß es nicht zu Deinem Schaden ist. Bist Du bei Geld, Junge?«

»Ich habe einige hundert Franken mit.«

»Das genügt, um vorsichtig zu pointiren. Komme!«

Königsau war ein Feind alles hassarden Spieles; er hätte am Liebsten das Haus wieder verlassen; aber heute und hier ging dies nicht; er war gezwungen, sich zu betheiligen, nahm sich jedoch vor, nicht leichtsinnig zu sein.

Er wurde von Blücher den Herren vorgestellt und be-


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gnügte sich zunächst damit, den Gang des Spieles zu beobachten. Blücher legte tausend Franken vor sich hin und erklärte, daß er aufhören werde, sobald diese Summe verloren sei. Er spielte mit abwechselndem Glücke. Schließlich setzte Königsau eine bescheidene Summe und gewann; er setzte abermals und gewann. Blücher nickte ihm aufmunternd zu. Der Lieutenant hatte Glück, der Marschall endlich aber Unglück. Nach Verlauf einer Stunde besaß Königsau über tausend Franken, während Blücher die seinigen verloren hatte. Er trat vom Tische ab, und der Lieutenant hielt es für seine Schuldigkeit, ihm zu folgen.

»Mein Geld hat der Teufel geholt,« lachte der Alte; »aber ich habe mehr mit. Das war nur so ein kleines Vorspiel. Gestern Abend habe ich im Biribi fünfzehntausend Franken gewonnen; der Bankier führte die Bank; ich muß ihm heute Revanche geben. Du scheinst Glück zu besitzen. Wie viel hast Du gewonnen, mein Sohn?«

»Etwas mehr, als tausend Franken,« antwortete Königsau.

»Das freut mich; so ist mein Geld doch in deutsche Hände gekommen, und Du kannst am Biribi theilnehmen. Kennst Du es?«

»Vom Zusehen.«

»Das genügt. Aber ich muß Dir sagen, daß man sehr hoch spielt. Hundert Franken ist der geringste Einsatz. Komm, versuchen wir, dieser guten Frau Fortuna einmal gehörig zu Leibe zu gehen!«

Blücher machte Rechtsumkehrt und Königsau folgte ihm.


Ende der zehnten Lieferung - Fortsetzung folgt.



Karl May: Die Liebe des Ulanen

Karl May – Forschung und Werk