Lieferung 88

Karl May

31. Mai 1884

Waldröschen
oder
Die Rächerjagd rund um die Erde.

Großer Enthüllungsroman
über die
Geheimnisse der menschlichen Gesellschaft

von

Capitain Ramon Diaz de la Escosura.


// 2089 //

war leise eingetreten, um bei der Festnahme des Flüchtlings mit Hand anlegen zu können. Jetzt spitzte er die Ohren und fragte:

»Andreas? Donnerwetter! Am Ende zielt das auf mich dahier.«

»Wieso?« fragte Geierschnabel.

»Ich habe einen Bruder, welcher Andreas heißt.«

»Wo ist er jetzt?«

»Das weiß der Geier. Er ging in die weite Welt und hat niemals wieder etwas von sich hören lassen.«

»Was war er?«

»Brauer.«

»Und weshalb ging er fort?«

»Hm. Das war eigentlich eine recht dumme Liebesgeschichte dahier.«

»Was für eine?«

»Er wollte sie und ich wollte sie, aber Keiner kriegte sie dahier.«

»Schön, das stimmt. Wie heißen Sie?«

»Ludewig Straubenberger.«

»Und der kleine André heißt eigentlich Andreas Straubenberger.«

Da schlug Ludewig die Hände zusammen und rief:

»Ist's möglich, ist's wahr?«

»Ja,« nickte Geierschnabel.

»Mein Bruder? Wirklich mein Bruder?«

»Natürlich.«

»Da sei dem Herrgott getrommelt und gepfiffen. Der Andreas lebt, mein Bruder lebt. Aber wo ist er denn jetzt?«

»Ja, das ist eben die verfluchte Angelegenheit, in welcher ich komme. Wir wissen nicht, wo er steckt; wir müssen ihn suchen. Vorher aber muß ich noch andere Personen erwähnen, welche ich in Fort Guadeloupe getroffen habe. Zunächst war da ein Jäger, welcher früher der Fürst des Felsens genannt wurde.«

»Wie hieß er?« fragte der Herzog.

»Doctor Sternau, ein Deutscher.«

»Mein Mann,« rief Rosa.

»Sind Sie die Gräfin Rosa de Rodriganda?« fragte Geierschnabel.

»Ja.«

»Gut, so war es allerdings Ihr Gemahl.«

»Aber, mein Gott, wie kam er nach diesem Fort? Woher kam er, und was hat er dort gethan, anstatt die Heimath aufzusuchen?«

»Das werden Sie hören. Vorher aber muß ich noch einige andere Personen erwähnen, welche vorhanden waren.«

»War ein gewisser Mariano dabei?« fragte Rosa schnell.

»Ja.«

»Ein Helmers?«

»Sogar zwei.«

»Wer noch?«

»Zwei Indianerhäuptlinge.«

»Die sind uns gleichgiltig.«


// 2090 //

»Sie werden Ihnen aber nicht gleichgiltig bleiben. Sodann war eine Sennorita Emma da.«

»Die Tochter des Haziendero, welche mit verschwunden war?«

»Ja.«

»Eine gewisse Karja.«

»Die Indianerin?«

»Ja.«

»Sie war eine Tochter der Miztecas. Ferner war da ein spanischer Gärtner, den Sie vielleicht kennen.«

»Wie hieß er?«

»Bernardo Mendosa.«

»Der Name kommt mir allerdings bekannt vor. Wo war dieser Gärtner her?«

»Er war aus Manresa.«

»Aus Manresa in Spanien? Das ist ja in der Nähe von Rodriganda!«

»Allerdings. Dieser Mann hat sogar auf Schloß Rodriganda als Gärtner gearbeitet. Aber weil er Verschiedenes gesehen und beobachtet hat, so ist er von Cortejo auf ein Schiff gelockt und nach Afrika geschafft worden.«

»Welch eine Teufelei,« rief Curt. »Was hat er denn beobachtet?«

»Das weiß ich leider nicht.«

»Nach welchem Orte brachte man ihn?«

»Ich weiß nur, daß er in Härrär gewesen ist. Und dort traf er auf einen Mann, den Sie Alle kennen werden.«

»Wer ist es?«

»Graf Ferdinando de Rodriganda.«

Dieser Name brachte die größte Aufregung hervor. Als dieselbe sich gelegt hatte, fragte Rosa:

»Haben Sie den Grafen selbst gesehen?«

»Ja, mit diesen meinen Augen.«

»Welches Schicksal. Welches Zusammentreffen.«

»Ja. Sie sehen, daß so ein Scout doch zu etwas Besserem zu verwenden ist, als zu zehn Jahren Zuchthaus.«

»Woher aber waren diese Personen alle gekommen?«

»Ueber den Ocean herüber, von einer wüsten Insel.«

»Wo sie solange Jahre gefangen gewesen waren?«

»Ja.«

»Wo liegt diese Insel?«

»Ich weiß es nicht.«

»Wie heißt sie?«

»Man hat es mir nicht gesagt.«

»Was haben sie während dieser Zeit dort getrieben?«

»Hm, darüber muß man ausführlicher erzählen.«

»Und wie sind sie endlich befreit worden?«

»Ein deutscher Kapitän, Namens Wagner, hat sie geholt.«

»Warum fuhren sie nicht direct nach der Heimath?«

»Weil es vorher in Mexiko wichtige Dinge zu ordnen gab.«

»Aber was wollten sie auf dem Fort?«


// 2091 //

»Sie wollten Juarez treffen, um unter dessen Schutz nach der Hazienda del Erina zu reisen.«

»Er gewährte ihnen seinen Schutz?«

»Natürlich, denn sie hatten ja auch ihm den ihrigen gewährt.«

»Was meinen Sie damit?«

»Sie hatten ihm geholfen, das Fort zu vertheidigen.«

»Gegen wen?«

»Gegen die Franzosen.«

»Mein Gott! So haben sie gegen die Franzosen gekämpft?«

»Ja.«

»Sich in Lebensgefahr begeben?«

»Natürlich! Das ist ja bei einem jeden Kampfe der Fall.«

»Welche Unvorsichtigkeit. Wir haben sie solange Jahre als todt betrauert, und nun sie gerettet sind, werfen sie ihr Leben wieder in die Wagschale, und zwar für eine Sache, die ihnen fremd sein muß.«

»Fremd? Da irren Sie sich.«

»In wiefern? Was gehen uns die Franzosen an?«

»Was geht Ihnen der Theil der Herrschaft von Rodriganda an, welcher in Mexiko liegt?«

»Allerdings sehr viel!«

»Was geht Ihnen Pablo Cortejo an?«

»Er ist uns freilich höchst wichtig.«

»Er muß entlarvt werden. Die Herrschaften waren einmal in Mexiko und zogen also vor, das zu thun, was dort zu thun war, anstatt nach Europa zu gehen und dann wieder zurückzukehren.«

»Haben sie Cortejo getroffen?«

»Hm. Ja und nein.«

»Wie ist das zu verstehen?«

»Ich werde es Ihnen ausführlich erzählen.«

Er erzählte nun ausführlich Alles, was von seinem ersten Erscheinen in Fort Guadeloupe bis zu dem Augenblicke geschehen war, als er im Gefolge von Juarez auf der Hazienda del Erina eintraf. Er kannte zwar den Zusammenhang der Thatsachen und Persönlichkeiten nicht genau, aber die einfache Kenntniß dieser Personen und Ereignisse ließ ihn den Zuhörern als einen wichtigen Mann erscheinen.

Ihre Augen hingen an seinem Munde. Sie hörten hier bedeutend mehr, als was sie aus Sternaus Brief sich hatten entnehmen können.

Rosas Gesicht glühte vor Freude, zu wissen, daß der geliebte Mann noch am Leben sei und von allen seinen Bekannten so hoch geschätzt und geachtet werde. Sie hörte schweigend bis zum Ende zu und fragte dann:

»Aber warum bekamen wir bisher kein weiteres Lebenszeichen?«

»Das war nicht möglich, Sennora,« antwortete Geierschnabel.

»Warum nicht?«

»Weil die Herrschaften abermals spurlos verschwunden sind.«

»Verschwunden? Ich denke, sie befinden sich auf der Hazienda?«

»Leider nicht.«


// 2092 //

»Aus welchem Grunde?«

»Eigentlich klar bin ich mir darüber nicht geworden. Ich habe Ihnen bereits gesagt, daß Sennor Sternau, Sennor Helmers und die beiden Häuptlinge sich von uns trennten, um mit Hilfe der Miztecas die Hazienda den Anhängern Cortejo's zu entreißen -«

»Das ist ihnen doch auch gelungen!«

»Allerdings. Das Heer des Präsidenten verstärkte sich ganz unerwartet, so daß wir Andern schneller, als wir gedacht hatten, nachfolgen konnten. Voran ritten der andre Sennor Helmers, Mariano und der kleine André. Als wir Andern später ankamen, waren auch sie bereits fort.«

»Aber wohin?«

»Wer weiß es!«

»Man muß doch Nachforschungen angestellt haben.«

»Sie haben zu nichts geführt.«

»Hat Juarez nichts unternommen, sie aufzufinden?«

»Zunächst hat er glauben müssen, daß dies nicht nothwendig sei. Und als er dann überzeugt war, daß es sich um einen neuen, großen Unfall handle, da war es leider bereits zu spät. Der Einzige, der etwas Wirkliches thun konnte, bin ich gewesen.«

»Ah! Was haben Sie thun können?«

Geierschnabel zuckte die Achsel und antwortete:

»Wenig, sehr wenig!«

»Erzählen Sie! Rasch! Schnell!«

Die Anwesenden befanden sich natürlich in einer nicht geringen Aufregung. Der Amerikaner beeilte sich, ihnen die nöthige Aufklärung zu geben.

»Juarez glaubte,« sagte er, »es handle sich um eine kurze Excursion, von welcher die Vermißten bald zurückkehren würden. Als diese Rückkehr gar so lange auf sich warten ließ und der Präsident auch bereits weiter nach Süden gegangen war, wurde es uns angst.«

»Uns? Wen meinen Sie noch?«

»Lord und Miß Lindsay.«

»Diese waren nicht mit Juarez weitergezogen?«

»Nein. Der Lord wollte sich allerdings nicht von Juarez trennen, aber Miß Amy sagte, daß sie die Hazienda nicht eher verlassen werde, als bis Sennor Mariano aufgefunden sei. Daraufhin begab ich mich auf die Suche.«

»Was fanden Sie?«

»Zunächst muß ich erwähnen, daß die Tochter Cortejo's entkommen war. Meine Forschungen ergaben, daß die Vermißten aufgebrochen waren, um dieses Frauenzimmer wieder zu fangen.«

»Wohin gingen sie?«

»Ich verfolgte ihre Spur bis Santa Jaga, weiter ging sie nicht.«

»So befinden sie sich noch dort!«

»O nein. Es lagen zu damaliger Zeit Franzosen dort, denen sie jedenfalls ausgewichen sind.«

»O, sie brauchten die Franzosen ja nicht zu fürchten.«


// 2093 //

»Sie nicht, aber Cortejo, der sich nun bei seiner Tochter befand. Er mußte sich vor Santa Jaga hüten, und darum sind sie, die seiner Spur folgten, auch gar nicht in den Ort gekommen.«

»Hat man keine Vermuthungen?«

»Das Wahrscheinlichste ist, daß Cortejo sie in eine Falle gelockt hat.«

»Mein Gott! Wir müssen sie retten, wenn es noch möglich ist!«

»Deshalb komme ich. Als ich die Spur verloren hatte, kehrte ich natürlich zu dem Engländer zurück. Wir brachen sofort zu Juarez auf, und dieser war, nachdem er uns angehört hatte, der Meinung, daß Cortejo sich zum Panther des Südens geflüchtet habe, und daß die Verfolger jedenfalls in die Hände dieses Parteigängers gefallen sind. Er sandte sofort einen Boten an den Panther.«

»Richtete dieser etwas aus?«

»Nein. Der Panther ließ sagen, daß Cortejo nicht bei ihm sei. Dieser solle es überhaupt nicht wagen, wieder in seine Nähe zu kommen.«

»Das war wohl Verstellung?«

»Möglich. Darum brach ich selbst auf, um das Terrain zu sondiren.«

»Zum Panther?«

»Ja. Es war ein gewagtes Unternehmen. Ich riskirte den Kopf und das Leben dabei; doch kam ich glücklich durch.«

»Und das Resultat?«

»War leider nicht befriedigend. Ich gewann die Ueberzeugung, daß weder Cortejo noch die Verschwundenen bei dem Panther zu finden seien.«

»Mein Gott, wo sollen sie sonst sein?«

»Vielleicht sind sie gar todt!« meinte der Hauptmann.

»Das glaube ich nicht,« antwortete Geierschnabel.

»Warum nicht?«

»Leute wie Sternau, Donnerpfeil, Bärenherz und Büffelstirn ermordet man nicht so leicht. Ich nehme vielmehr an, daß man sie irgendwo als Freunde des Juarez festhält, um sie einstweilen unschädlich zu machen.«

»So wäre also Hoffnung vorhanden, sie zu befreien?«

»Ja, wenn es gelänge, ihre Spur aufzufinden. Juarez und Sir Lindsay haben nichts unversucht gelassen, jedoch vergeblich. Endlich haben sie mich herübergeschickt, um Ihnen Nachricht zu bringen. Bei dieser Gelegenheit gab mir der alte Haziendero den zweiten Theil des Schatzes mit, welcher Donnerpfeil gehört.«

Die Anwesenden blickten sich betrübt an. Was sollten sie thun, wenn es bereits schon Juarez und Sir Lindsay unmöglich gewesen war, eine Spur der Entschwundenen aufzufinden. Rosa weinte leise vor sich hin. Waldröschen umschlang die Mama und vereinigte ihre Thränen mit denen der Mutter. Der Herzog und Otto von Rodenstein standen am Fenster und blickten trübe und nachdenklich hinaus. Der alte Oberförster aber konnte seinem Kummer nicht einen so stillen Ausdruck geben, er ballte die Faust und rief:

»Himmelelement, wäre ich doch nur dies einzige Mal noch jung.«

Da drehte sich sein Sohn um und fragte:

»Was würdest Du da machen?«

»Ich ritte hinüber und haute das ganze Mexiko in die Pfanne.«


// 2094 //

»Und ich, ich machte mit dahier!«

Diese Worte kamen aus dem Munde des braven Ludewig, der sich nicht enthalten konnte, auch einen Ausdruck seiner Gefühle hören zu lassen. Der Hauptmann blickte ihn dankbar an und fragte:

»Weißt Du noch, Ludewig, damals?«

»Zu Befehl, Herr Hauptmann!«

»Was, Du weißt es noch?«

»Zu Befehl! Ganz genau!«

»Aber ich habe ja noch gar nicht gesagt, was!«

»Ich weiß es dennoch, denn wir Beide denken immer daran.«

»Woran denn?«

»An den Tag damals, als die großherzoglichen Herrschaften da waren.«

»Ja, das meinte ich.«

»Da machte der Herr Doctor Sternau ein Meisterstück nach dem anderen.«

»Ja. Wer hätte damals gedacht - -«

»Daß er so lange verschwinden würde dahier.«

»Und nun zum zweiten Male verschwinden!«

»Der Teufel hole Mexiko!«

»Und die Mexikaner dazu. Wäre ich drüben, ich gerbte ihnen allen das Leder und machte Stiefelpantoffel daraus. Nun aber geben meine alten Knochen das nicht mehr her; es ist kein Mark und keine Bouillon mehr darin.«

»Aber die meinigen sind noch jung, lieber Pathe!«

Der diese Worte sagte, war Curt, der Einzige, welcher weder ein Zeichen des Zornes noch der Verzweiflung von sich gegeben hatte.

»Das ist wahr, mein Junge,« meinte der Alte. »Aber was hast Du mit Mexiko zu schaffen?«

Da wendete Waldröschen sich zu den Beiden und sagte:

»Ah wirklich, lieber Curt! Du sollst ja grad jetzt nach Mexiko gehen.«

Diese Bemerkung machte, daß nun auch alle Anderen sich ihm zuwendeten.

»Ja,« sagte er. »Ich habe eine Aufgabe da drüben zu lösen; aber ich hoffe, daß diese Aufgabe mir Zeit läßt, auch nach den Unserigen zu forschen.«

Geierschnabel betrachtete sich den Oberlieutenant mit prüfenden Blicken.

»Sie? Sie wollen nach Mexiko?« fragte er.

»Wie Sie hören!«

»Junger Mann, bleiben Sie lieber zu Hause!«

»Warum?«

»Die Luft da drüben ist für solche feine Herren nicht gesund.«

»Was kümmert mich die Luft.«

»Hm, es schwirren viele Kugeln drin herum.«

»Grad das habe ich gern.«

Geierschnabel lächelte ein wenig malitiös und meinte:

»Aber an einer solchen Kugel kann man sehr leicht zu Grunde gehen.«

»Ich weiß das. Wohin werden Sie gehen, wenn Ihre jetzige Sendung vollendet ist?«


// 2095 //

»Wieder nach Mexiko.«

»Gedenken Sie, sich lange in Deutschland aufzuhalten?«

»Ganz und gar nicht. Das Land ist mir zu schläfrig. Unsereiner ist an andere Dinge gewöhnt, als wie sie hier passiren.«

»So sagen Sie, wie lange Ihr Aufenthalt ungefähr dauern wird.«

»Hm. Ich habe ausgerichtet, was ich auszurichten hatte, ich bin also fertig und habe nur auf die Antwort zu warten, welche ich dem Präsidenten und Sir Lindsay überbringen soll. Ich kann schon heute fort.«

»Wollen wir zusammen reisen?«

»Gern. Ich denke, daß ich Ihnen drüben nützlich sein kann. Aber wann wollen Sie fort?«

»Es war für morgen festgesetzt; doch erlauben Sie mir eine Frage.«

»Fragen Sie.«

»Welcher Partei gehören Sie drüben an?«

»Ich halte zu Juarez.«

»Hm. Juarez kennt Sie?«

»Sehr gut.«

»Sind Ihnen die neuesten Ereignisse von dort bekannt?«

»Ganz genau. Ich befand mich ja stets in der nächsten Nähe und Umgebung des Präsidenten.«

»So sind Sie jedenfalls besser informirt als unsere Berichterstatter?«

»Das versteht sich.«

»Wenn nun einer der preußischen Minister ehrliche Auskunft von Ihnen verlangte, würden Sie ihm dieselbe gewähren?«

»Wenn er es ebenso ehrlich mit uns meinte.«

»Zweifeln Sie daran?«

»Hm. In solchen Sachen muß man sehr vorsichtig sein. Preußen ist kein Freund von Frankreich. Wie aber steht es mit Oesterreich?«

»Wir haben es ja soeben geschlagen.«

»Das ist wahr. Ich denke also, daß Preußen sich aus dem guten Max von Mexiko nicht viel machen wird. Warum aber fragen Sie?«

»Weil ich einen Minister kenne, dem es wohl interessant sein würde, mit Ihnen über Mexiko zu reden.«

»Wie heißt er?«

»Bismarck.«

Geierschnabel machte ein sehr erstauntes Gesicht.

»Bismarck selbst, der Teufelskerl?« fragte er.

»Ja, er selbst.«

»Alle Wetter! Wenn ich den einmal sehen könnte!«

»Oder gar mit ihm sprechen! Wollen Sie?«

»Hm. Geht das denn zu machen? Werden Sie das fertig bringen?«

»Jedenfalls.«

»Gut. Diesem Manne würde ich die aufrichtigste Auskunft geben. Aber ich denke, Sie müssen schon morgen abreisen!«

»Ich habe allerdings Ordre, bereits morgen aufzubrechen. Ich bekam nur


// 2096 //

diesen heutigen Tag geschenkt, um mich hier in Rheinswalden und Rodriganda zu verabschieden. Aber ich glaube es wagen zu können, Sie zu Bismarck zu bringen.«

»Wo steckt der Kerl denn jetzt?«

»In Berlin.«

»Gut, so müssen wir hin!«

»Sie willigen also ein?«

»Ja.«

»Ich danke Ihnen. Aber - hm!«

Bei diesen Worten warf er einen bedeutungsvollen Blick auf die Kleidung des Prairiejägers.

»Was denn, aber und hm?« fragte dieser.

»Ihre äußere Erscheinung ist keineswegs zu einem Besuche eines Ministers passend.«

»So, so? Hm. Na, ich habe hier im Sacke eine bessere.«

»Was für eine?«

»Einen echt mexikanischen Anzug.«

»Ah, den dürfen Sie auf keinen Fall anlegen.«

»Warum nicht?«

»Weil man nicht einen Mexikaner in Ihnen vermuthen darf. Sie müssen incognito bei Bismarck erscheinen.«

»Incognito? Donnerwetter, klingt das vornehm! Wie aber soll ich das anfangen, he?«

»Sie legen einen gewöhnlichen Civilanzug an. Ich werde Ihnen einen solchen gern besorgen.«

»Besorgen? Das soll heißen bezahlen?«

»Ja.«

»Damit bleiben Sie mir vom Leibe! Geierschnabel ist nicht der Kerl, der sich einen Anzug bezahlen läßt. Ein Kerl, welcher solche Kostbarkeiten über die See herüberschleppt, der hat schon so viel Geld, daß er sich eine Jacke und Halsbinde selbst bezahlen kann!«

»Na, mein Lieber, ich wollte Sie nicht beleidigen.«

»Das wollte ich Ihnen auch nicht gerathen haben! Also wann reisen wir?«

»Heute Abend mit dem letzten Zuge.«

»Zusammen?«

»Natürlich.«

»Das paßt mir nicht.«

»Ah! Warum nicht?«

»Weil ich das nicht gewöhnt bin. Ich liebe es, nur auf mich selbst angewiesen zu sein. Geben Sie mir lieber einen Ort in Berlin an, an welchem wir uns treffen wollen.«

»Hm. Ich kann nicht in Sie dringen und so sollen Sie Ihren Willen haben. Wir wollen uns also morgen Mittags drei Uhr im Magdeburger Hof treffen. Die Straße, in welcher er liegt, heißt -«

Da fiel Geierschnabel ihm in die Rede:


// 2097 //

»Halt! Papperlapapp! Es macht mir Spaß, mich selbst zurecht zu finden. Einer, der sich im wilden Urwald nicht verläuft, wird wohl auch Ihren Magdeburger Hof zu treffen wissen!«

»Meinetwegen. Also abgemacht! Diese Herrschaften werden Sie jetzt nach Vielem noch zu fragen haben; ich aber habe meine Vorbereitungen zu treffen und suche darum mein Zimmer auf.«

Er ging. Aber noch befand er sich kaum fünf Minuten in dem Zimmer, welches hier stets für ihn reservirt war, so klopfte es leise, die Thür öffnete sich und Waldröschen steckte ihr schönes Köpfchen herein.

Sie steckte ihr schönes Köpfchen herein.

»Darf ich eintreten, lieber Curt?« fragte sie.

»Ja, liebe Rosita,« antwortete er.

Sie zog die Thüre hinter sich zu, näherte sich ihm und sagte:

»Weißt Du, daß ich recht sehr besorgt um Dich bin?«

»Warum wohl, Röschen?«

»Ich denke, nun wirst auch Du nicht wiederkommen.«

»Und ich denke gerade das Gegentheil.«

Seine heitere, zuversichtliche Miene bestätigte diese Ansicht allerdings.

»Ist die Aufgabe, welche Du da drüben zu lösen hast, gefährlich?«

»Nein, ganz und gar nicht.«

»Aber Du wirst Dich in Gefahr begeben, um Papa und die Anderen ausfindig zu machen und zu befreien.«

»Das steht bei Gott, meine liebe Rosita. Noch weiß ich ja nicht, was ich in dieser Angelegenheit zu thun haben werde.«

Sie blickte ihm mit liebevoller Besorgniß in die Augen und sagte:

»O, das wird noch viel gefährlicher sein, als damals das Doppelduell.«

»Damals hattest Du doch keine Angst!«

»Ja, damals kannte ich die Gefahr und wußte, daß Du ihr gewachsen seist, jetzt aber ist sie mir unbekannt.«

»Ich weiß ein Mittel, welches mir helfen würde, alle Gefahren siegreich zu bestehen, liebes Röschen.«

»Welches ist es?«

Da beugte er sich zu ihr hinab und fragte leise:

»Weißt Du, was ich bei jenem Duell auf der Brust trug?«

Sie erröthete ein wenig, zögerte aber nicht mit der Antwort:

»Meine Schleife.«

»Die Du Dir wieder einlöstest.«

Ein liebliches, verschämtes Lächeln überflog ihr Gesichtchen und dann antwortete sie:

»Ja, aber ich gab sie Dir zurück und dafür zwangst Du mich, auch den Preis zurückzunehmen.«

»Das war wohl sehr bös von mir?«

»Sehr, sehr bös!«

»Dann bin ich ja ganz außerordentlich undankbar, denn die Schleife war ja mein Talisman gewesen und hatte mich im Kampfe beschützt. Weißt Du nun vielleicht, was ich meinte, als ich vorhin von dem Mittel sprach?«


// 2098 //

Sie nickte und sagte:

»Wohl abermals einen Talisman?«

»Ja, mein liebes Röschen.«

»Von wem erwartest Du denn einen solchen? Gewiß von Deinem Pathen, dem Oberförster.«

»O weh! Nein, sondern von Dir!«

»Von mir? Ah, was könnte das denn sein?«

»Nur abermals eine Schleife oder so etwas.«

»Du sollst es haben, lieber Curt. Geht etwa ein Handschuh an?«

»Ja, aber Du mußt ihn bereits schon getragen haben.«

»Das versteht sich. Ich werde jetzt zu mir gehen und Dir einen Talisman suchen, den Du mitnehmen sollst. Aber eigentlich kam ich aus einem ganz anderen Grunde zu Dir.«

»Darf ich ihn erfahren?«

»Ja, ich sage ihn Dir, obgleich es vielleicht nicht so ganz in der Ordnung ist. Glaubst Du, daß Du mir meinen lieben Papa wiederbringen wirst?«

»Ich hoffe es. Gott wird mir helfen.«

»Ich werde recht innig zu ihm beten. Und Du, Du sollst einen Lohn haben, obgleich ich nicht weiß, ob er Dir auch recht sein wird.«

»Welchen meinst Du?«

»Sage mir erst einmal, ob Du irgend eine Dame lieb hast.«

»Ja, ich habe eine lieb.«

Ihr Gesichtchen wurde um einen Schatten bleicher.

»Sehr lieb?« fragte sie.

»Ja, sehr lieb.«

»So lieb, wie Du Dich selbst hast?«

»O, noch viel, viel lieber! Lieber noch als mein Leben.«

Sie war noch bleicher geworden.

»Du meinst, so lieb, wie man - wie man seine - seine Braut haben muß?« fragte sie stockend.

»Ja, so unendlich lieb!«

Da beugte sie schwer das Köpfchen nieder, ihr Busen hob und senkte sich ängstlich und ihre Stimme zitterte, als sie erwartungsvoll fragte:

»Darf ich wissen, wer diese Dame ist?«

Da ergriff er ihre beiden Hände und antwortete:

»Du, Du selbst bist es, meine süße Rosita!«

Da kehrte die Röthe wieder auf ihre Wangen zurück, ihre Augen leuchteten auf und im Tone des Glückes fragte sie:

»Ist das auch wahr, lieber Curt?«

Er zog langsam und innig ihr Köpfchen an seine Brust und sagte:

»Könntest Du daran zweifeln? Rosita, meine herrliche Rosita, Du bist es, welcher jeder Tag meines Lebens gehört hat und noch gehören wird; Du bist es, an welche sich jeder Gedanke und jeder Pulsschlag meines Herzens richtet. Ohne Dich mag ich nicht auf der Erde sein, ohne Dich giebt es für mich kein Leben, und Du fragst, ob es wahr sei, daß ich Dich liebe!«


// 2099 //

Da legte sie ihre beiden Arme um ihn und antwortete:

»Ich glaube es Dir, lieber Curt. Und nun will ich Dir auch den Preis sagen, den ich darauf setze, daß Du uns meinen Papa bringst.«

»Sage ihn, mein Röschen!«

»Wenn Du Papa nach Rodriganda bringst, so sage ich ihm, daß ich Dich gerade so lieb habe, wie Du mich, und daß -«

Sie stockte. Er wartete ein kleines Weilchen und fragte dann:

»Nun, und daß? Bitte, bitte, fahre weiter fort!«

»Und daß ich nur dann glücklich sein werde, wenn - wenn -«

»Wenn? O sprich, mein süßes Waldröschen.«

»Wenn ich nie im Leben von Dir getrennt werde.«

»Röschen, Rosita!« jubelte er auf.

Sie lächelte ihm selig in das Angesicht und fragte:

»Nicht wahr, das ist ganz gegen Herkommen und Form, daß ich als Dame so zu Dir spreche?«

»Ja, aber es macht mich zum glücklichsten Menschen, obgleich ich auf diese Seligkeit - verzichten muß.«

Seine Stimme war bei den letzten Worten tief herabgesunken.

»Verzichten? Warum?«

»Dein Papa ist ein Herzog von Olsunna.«

»Aber auch der Sohn einer Erzieherin. Er wird unsere Liebe ganz nur als Doctor Sternau beurtheilen.«

»Und Deine Mama ist eine Gräfin de Rodriganda.«

»Jetzt nur die Frau eines Arztes. Ich weiß, daß Mama nicht daran denkt, mich unglücklich zu machen.«

»Weißt Du das gewiß?«

»Ja.«

»Woher?«

»Denke Dir, Dein Waldröschen hat einmal die Lauscherin gemacht!«

»Wirklich? Wen hast Du denn da belauscht?«

»Mama und den Hauptmann. Sie sprachen von uns. Sie befanden sich auf der Veranda und ich stand auf dem Balkon über ihnen, ohne daß sie es wußten. Ich konnte jedes Wort verstehen.«

»Da machst Du mich allerdings höchst wißbegierig, liebe Rosita. Was sagten sie denn? Bitte, bitte, ich darf es doch hören?«

»Der Hauptmann warnte meine Mutter; Du seist mir sehr gut, noch viel mehr, als für einen Freund und Gespielen nöthig sei.«

»Was antwortete Mama?«

»Sie fragte ihn, ob er bemerkt habe, wie ich mich zu Deiner Liebe verhalte.«

»Und was sagte da der alte Grimmbart?«

»Er meinte, das Waldröschen werde sich gar wohl hüten, einem Lieutenant Hoffnungen zu machen. Leider aber hatte ich sie Dir bereits gemacht.«

»Du? Mir?« fragte er. »Wann wäre das denn gewesen?«

»Damals, als Du Deinen Schatz in Mainz erhalten hattest.«

»Ah, die mexikanischen Kostbarkeiten?«


// 2100 //

»Ja. Weißt Du noch, was Du damals mit dem Hauptmann gesprochen hast?«

»Ich weiß es noch. Er fragte, was ich mit den Sachen machen werde und ich sagte ihm, daß ich sie Dir schenken wolle.«

»Und was antwortete er da?«

»Ich solle mir keine großen Rosinen einbilden.«

»Aber dann Abends in Berlin, als Du das erzählt hattest, was that ich da? Weißt Du es noch, lieber Curt?«

»Ja. Du kamst zu mir und sagtest, ich sei schon der Mann, dem Waldröschen etwas zu schenken. Ich solle die Sachen nur aufheben.«

»Nun, war das nicht eine Hoffnung, welche ich Dir machte?«

»Ja, das war eine, und zwar eine unendlich reiche und große. Aber da Du Mama und den Hauptmann belauscht hast, so mußt Du wohl auch gehört haben, was die Erstere dem Letzteren antwortete.«

»Das möchtest Du wohl gern hören?« fragte sie lächelnd.

»Ja, denn es ist die Hauptsache.«

»Nun, sie sagte, sie stelle Alles dem guten Gott anheim; dieser wisse am besten, was ihrem Waldröschen zum wahren Frieden diene.«

Da legte Curt die beiden Hände zusammen, als ob er beten wolle.

»Das sagte sie wirklich? Gewiß und wahrhaftig?« fragte er.

»Ja, lieber Curt. Es war mir, als ob ich Mama um Millionen Male lieber haben müsse als vorher, wenn dies überhaupt möglich wäre. Ich habe vor Freuden geweint lange, lange Zeit.«

»Gott segne Deine Mama viele tausend, tausend Male!«

»Ja, ja, das möge er thun, sie ist es werth. Nun aber will ich eilen, Dir einen Talisman auszusuchen.«

Sie schickte sich an, sich zu entfernen. Er aber hielt sie zurück.

»Rosita,« sagte er, »glaubst Du wirklich, daß ich Dich so von mir lasse?«

»Wie denn?«

»Ohne einen Kuß.«

Sie lächelte ihn schelmisch an und fragte:

»Ist ein Kuß denn so sehr nothwendig?«

Er machte ein höchst ernsthaftes Gesicht und antwortete zuversichtlich:

»Ganz außerordentlich nothwendig!«

»Warum?«

»Das Gesetzbuch der Liebe schreibt es vor.«

»Wirklich? In welchem Paragraphen?«

»In jedem Paragraphen.«

»Das ist unmöglich!«

»Unmöglich? O nein. Steht nicht bei jedem unserer zehn Gebote: »Wir sollen Gott fürchten und lieben«? Und beginnt nicht auch eine jede Sure des Koran mit den Worten: »Im Namen des allbarmherzigen Gottes«? So steht auch im Gesetzbuche der Liebe über jedem Paragraphen: »Im Namen Eures Glückes! Ihr sollt Euch bei jeder Gelegenheit einen Kuß geben!««

»Hm. Als ob das Küssen etwas so Schönes wäre!«


// 2101 //

»Meinst Du das Gegentheil, Röschen?«

»Ja.«

»Warum?«

»Weißt Du noch damals, als die Rede von der alten Tante war?«

»Ah! Mit der großen Nase und den Warzen darauf.«

»Du sagtest selbst, daß man solche Tanten nicht gern küsse.«

»Aber Du bist ja gar keine solche alte, häßliche Tante!«

»O, ich werde vielleicht einmal eine.«

»Aber sicher keine häßliche. Und jetzt bist Du sie noch gar nicht.«

»Du meinst also, daß -«

Sie hielt inne, als ob sie bereits zu viel gesagt hätte.

»Daß man Dir schon einen Kuß geben darf?« fragte er.

»Ja.«

»Das ist allerdings meine Ansicht.«

»Hm. Wir wollen dennoch thun, als ob ich eine alte Tante sei.«

»O weh! Da soll ich wohl auf den Kuß verzichten?«

»Ja, außer Du denkst einmal, daß Du ein alter Onkel seist.«

Da stieß er ein herzliches Lachen aus und meinte:

»Onkel und Tante dürfen sich dann küssen?«

»Natürlich! Aber fein sittsam und dezent, wie ein paar Alte aus der Zeit des großen Kurfürsten.«

»Nun, ich weiß zwar nicht, wie man sich damals geküßt hat, aber vielleicht läßt es sich bei einiger Uebung lernen.«

Er zog das schöne Mädchen an sich, hob ihr Köpfchen in die Höhe und legte seinen Mund auf ihre Lippen. Er küßte sie wieder und immer wieder und bemerkte vor Glück gar nicht, daß die Thüre geöffnet wurde, bis die Stimme des alten Hauptmannes erschallte:

»Kreuzmillionschockhagelwetter! Was habt Ihr Euch denn da an den Mäulern herumzubeißen und herumzuknaupeln!«

Sie fuhren erschrocken auseinander. Der Alte trat ein und machte die Thür vorsichtig hinter sich zu.

»Habe ich Euch endlich einmal erwischt, Ihr Schwerenöther?« fragte er grimmig. »Kerl, weißt Du nicht, daß das eine Prinzessin von Olsunna und Rodriganda ist?«

»Ja, das weiß ich,« antwortete Curt ruhig.

»Und Du, was bist denn Du? he?«

»Ein Offizier und Ehrenmann.«

»Das ist auch etwas Rechtes.«

»Herr Hauptmann!«

Curt war einen Schritt zurückgetreten und hatte das Wort mit beinahe donnernder Stimme ausgesprochen.

»Was beliebt?« fragte der Alte verwundert.

»Ich lasse mich in Gegenwart dieser Dame nicht beleidigen.«

Seine Augen funkelten, und an dem Tone seiner Stimme ließ sich erkennen,


// 2102 //

daß es ihm sehr ernst mit seinen Worten war. Der Alte wurde schüchtern. Er schnalzte mit den Fingern und sagte:

»Nicht beleidigen? Schön. Da schnäbelt nur zu. Ihr werdet wohl sehen, wie lange das geduldet wird. Ich kam nur, um Dir zu sagen, daß der Amerikaner aufbrechen wird.«

»Nach Berlin bereits?«

»Erst zu mir. Ich habe sein Gewehr noch. Ein verdammt dummer Schießknüppel. Der Kerl selbst aber hat Haare auf den Zähnen.«

»Da wird es wohl nichts aus dem Zuchthause?«

»Eigentlich sollte ich ihn einstecken; aber der Kerl ist mir zu grob. Ich liebe die Höflichkeit und bin feinere Umgangsformen gewöhnt, da mag ich mit ihm lieber gar nichts zu thun haben. Waldröschen, gehst Du mit hinab?«

»Ja,« antwortete sie. »Adieu, lieber Curt!«

»Adieu, liebe Rosita.«

Sie ging mit dem Alten. An der Treppe blieb er stehen und sagte:

»Lieber Curt und liebe Rosita! Kreuzbataillon! Das klingt ja, als wäre ich unter lauter Tauben und Täubriche gerathen. Denkst Du denn, daß dieser Täubrich für Dich paßt?«

Sie erröthete, antwortete aber herzhaft:

»Ja, lieber Pathe.«

»Und Du für ihn?«

»Ja.«

»Da schlage das Wetter drein! Der Junge ist mir lieb, ich halte große Stücke auf ihn, aber er ist doch nur ein Bauers- und Schifferssohn. Du aber bist -«

»Seine Braut!«

»Sein Gänschen. Weiter nichts,« meinte er zornig. »Weiß denn die Mama davon?«

»Nein.«

»Ja, da hat man die Bescheerung! Der Teufel soll mich holen, wenn -«

Sie faßte ihn rasch am Arme und unterbrach ihn:

»Ach, lieber Pathe, ich denke, Sie sind feinere Umgangsformen gewöhnt.«

»Ja,« antwortete er verblüfft. »Bin ich Dir etwa nicht fein genug?«

»Hm. Ich will nicht übermäßig klagen.«

»Das will ich Dir auch gerathen haben. Ja, ja, der Curt scheint allerdings feinere Umgangsformen zu haben als ich.«

»Das ist wahr, Pathe.«

»Bomben und Granaten! Wenn das zu der Feinheit gehört, so kann ich Dich auch schmatzen, bis mein Schnurrwichs Dir am Mäulchen hängen bleibt.«

Sie lachte goldig auf und antwortete:

»Ich habe Dir niemals einen Pathenkuß verwehrt.«

»Das ist wahr. Aber jetzt muß ich danken. Ich drücke mein Petschaft nicht dahin, wo der Junge bereits gesiegelt und gestempelt hat. Mädel, Du wirfst Dich ganz gewaltig weg.«

»Wieso?«


// 2103 //

»Dieser Curt wird zwar Carriere machen, aber ich hatte einen ganz Anderen für Dich in petto.«

»Wen?«

»Nun, rathe einmal.«

»Sage es lieber.«

»Na, einen großherzoglichen Prinzen. Für solch einen Topf wärst Du die allerrichtigste Zwiebelstaude!«

»Ich muß danken. Adieu, Pathe.«

»Adieu? Warum? Ich gehe ja mit!«

»Nein, nein! Deine Umgangsformen werden so fein, daß man die Feinheit gar nicht mehr bemerkt.«

Damit huschte sie an ihm vorüber und zur Treppe hinab.

»Wetterhexe,« brummte er. »Was soll daraus werden. Haben sich die Beiden da gepackt und umklammert. Und sie wetzt ihr Näschen an seinem Schnurrbarte. Wenn sie das so gern hat, so will ich ihr meinetwegen meinen Rasirpinsel dazu borgen, aber den Jungen soll sie sich aus dem Kopfe schlagen. Für den habe ich ja auch bereits eine Frau!« -

Einige Stunden später schlenderte Geierschnabel langsam durch die Gassen von Mainz und betrachtete die Ladenschilder mit neugierigen Blicken. Endlich blieb er vor einem Hause stehen.

»Kleiderladen von Levi Hirsch,« brummte er. »Ich trete ein!«

Sobald er die Thür öffnete, wurde er von einem Sohne Israels mit forschendem Blicke empfangen. Sein Aeußeres versprach nicht viel.

»Was wünscht der Herr?« fragte der Jude.

»Einen Anzug.«

»Einen Anzug? Einen ganzen? Au waih!«

»Natürlich einen ganzen!« meinte der Jäger. »Zerrissen darf er nicht sein.«

»Zerrissen? Gott Abrahams! Soll ich haben zerrissene Kleider für die Herrschaften, welche kommen, um zu kaufen schöne Sachen bei Levi Hirsch, welcher ist der größte Marschang tällör von Mainz! Was ist der Herr?«

»Das geht Ihm nichts an.«

»Ist der Herr von hier?«

»Nein.«

»So wird der Herr doch nicht etwa kommen, zu nehmen die Sachen auf Credit, was man heißt Pump?«

»Ich bezahle gleich!«

Der Jude betrachtete ihn jetzt aufmerksamer vom Kopfe bis zum Fuße herab, als es vorher geschehen war, und sagte:

»Das ist für meine Ohren zu hören lieblich und schön. Also hat der Herr bei sich Geld genug, um zu bezahlen einen completten Anzug, welcher besteht aus Rock, Hose und einer feinen Weste?«

»Für jetzt hat Er sich den Teufel um meinen Beutel zu bekümmern, versteht Er mich!«

»Gott der Gerechte! Darf ich doch fragen, um zu gehen sicher, wenn es sich darum handelt, zu machen ein gutes und reelles Geschäft!«


// 2104 //

»Sicher gehen? Donnerwetter! Hält Er mich etwa für einen Lump?«

Der Jude streckte als Abwehr alle zehn Finger gespreizt empor, fuhr einen Schritt zurück und rief:

»Was sagt der Herr? Wie könnte ich denken das Wort, welches er hat ausgesprochen zu klingen wie ein Lump. Aber der Herr mag doch werfen einen gütigen Blick auf sich selber. Trägt er doch im Winter Kleider, welche sind sogar für den Sommer zu kalt, und welche man sieht getragen zu werden nur von sehr gewöhnlichen Leuten.«

»Pchtichchchchch!« fuhr ihm ein Strahl des Tabakssaftes grad in das Gesicht. Er fuhr sich erschrocken mit beiden Händen an die Wangen und rief:

»Gott Abrahams! Was thut der Herr! Spuckt er an das Gesicht eines ehrlichen Mannes. Kann er nicht spucken dahin, wo keine Gesichter sind und wo nicht grad steht ein Mann, welcher nicht liebt zu werden getroffen von der Brühe des gekauten Tabaks?«

»Pah! Wer nicht angespuckt sein will, der mag sich vorher seine Worte überlegen, ehe er spricht. Ich habe keine Zeit, lange Einleitungen zu machen. Wische Er sich also ab und sage Er mir, ob Er mir einen Anzug zeigen will, oder nicht.«

Der Sohn Israels fuhr sich mit dem Schooße seines Rockes über das Gesicht und antwortete:

»Natürlich will ich zeigen einen Anzug; aber der Herr mag mir doch sagen, was er wünscht für einen zu sehen!«

»Hm!« meinte Geierschnabel nachdenklich. »Ich brauche einen, in dem man mich nicht erkennt.«

»So will der Herr sich verkleiden?«

»Ja. Man soll nicht merken, woher ich komme.«

»So muß ich wissen, woher kommt der Herr.«

»Das geht Ihm nichts an. Es möge Ihm genügen, daß ich die Absicht habe, zu reisen so, was man incognito nennt.«

»Incognito? Dann muß ich wenigstens wissen, wohin oder zu wem der Herr gehen will incognito.«

»Hm! Ich will - ja ja, ich muß zu einem Minister.«

Der Jude blickte ihn zweifelhaft an, sagte aber doch:

»Zu einem Minister? Da wird der Herr nicht tragen einen Rock.«

»Was sonst? Soll ich in Hemdärmeln gehen?«

»Nein. Wenn man geht zu einem Minister, so darf man erscheinen nur im Frack, weil dieser ist die Kleidung der Etiquette und Höflichkeit.«

»Schön. Zeige Er mir einen Frack.«

»Werde ich vorlegen einen Frack, wie ihn getragen hat der große Metternich zur Zeit des Congresses, der gehalten wurde in der Hauptstadt Wien gegen den französischen Kaiser Napoleon.«

»Wer war Metternich?«

»Ein Minister und Fürst, mächtig wie ein Kaiser und reich wie der große Mogul, welcher zweimal größer ist als ein Elephant.«

Das schmeichelte dem Trapper.


// 2105 //

»Gut, geb Er den Frack her!«

Der Händler holte aus dem verborgensten Winkel seines Gewölbes das Kleidungsstück. Es hatte eine braunrothe Farbe und war mit Puffen und Batten und tellergroßen Knöpfen versehen. Geierschnabel sah es an und fragte:

»Was kostet dieser Ministerfrack?«

»Kann ich ihn unmöglich geben unter zwölf Thaler zehn Silbergroschen.«

Der Jäger war die amerikanischen Preise gewohnt.

»Das ist billig,« sagte er. »Hier sind dreizehn Thaler!«

Er griff in seinen Leinwandsack und zog einen großen Beutel heraus, aus welchem er dem Juden dreizehn blanke Thaler vorzählte. Der Händler war außerordentlich überrascht von dieser Coulanz. Er sagte:

»Der Herr hat erhalten diesen Ministerfrack um vier Thaler zu billig, aber habe ich verlangt so wenig, weil der Herr will nehmen noch mehr, um zu completissiren den ganzen Anzug. Darf ich bringen eine Weste?«

»Natürlich. Aber auch sie muß mich incognito machen.«

»Da muß ich vorher fragen, als was der Herr erscheinen will!«

»Als was? Hm! Verdammt! Daran habe ich gar nicht gedacht. Als was kann man denn erscheinen, wenn man incognito ist?«

»Als Vielerlei. Zum Beispiel als Candidat und Geistlicher?«

»Nein, die sind mir zu fromm.«

»Als Müller oder Bäcker?«

»Die sind mir zu mehlig.«

»Als Gerber oder Schuster?«

»Die sind mir zu ledern.«

»So mag der Herr nicht als Handwerker, sondern als Beamter gehen.«

»Gut! Was für Beamte giebt es?«

»Kreisamtmänner und Chausseegeldereinnehmer?«

»Paßt mir nicht!«

»Finanzräthe und Weichensteller?«

»Auch nicht.«

»Bankdirectoren und Nachtwächter.«

»Auch nicht.«

»Hm. Will der Herr nicht lieber gehen als Künstler?«

»Künstler? Donnerwetter, ja! Dazu passe ich. Dazu bin ich wie geschaffen. Aber wie viele Sorten von Künstler giebt es?«

»Erst kommen die Dichter.«

»Danke. Die hungern zu viel.«

»Die Maler.«

»Die schmieren und klecksen zu viel.«

»Die Bildhauer.«

»Die hämmern zu viel.«

»Die Architecten.«

»Danke. Die stehen in einem schlechten Geruch. Ihre Häuser stehen nur von heut bis morgen.«

»Die Componisten und Musikussers.«


// 2106 //

»Hm! Das wäre nicht übel. Componist und Musikus? Das gefällt mir eher. Was für eine Weste müßte ich da haben?«

»Werde ich geben dem Herrn eine grüne Weste mit so viel blauen Blumen, daß man ihn soll halten für eine Wiese mit lauter Blümelein Vergißnichtmein.«

»Donnerwetter, ja, diese Weste muß ich haben!«

Sie war wenigstens dreißig Jahre alt und wurde mit vier Thalern bezahlt.

»Und nun die Hose?« fragte der Jude. »Was soll ich bringen für eine Hose?«

»Sie muß auch incognito sein.«

»So werde ich bringen eine schwarzgraue Lederhose, wie sie Mode gewesen ist bei Sebastian Bach, welcher gewaltig geschlagen hat alle Orgeln und dazu componirt viele Tragkörbe voll Noten.«

»War er berühmt?«

»So berühmt, daß man ihn kennen wird noch nach zehntausend Jahren.«

»So bringe Er die Hose her.«

Es war eine alte, abgetragene Lederhose, die jedenfalls aus einem Dorfe der Umgegend von Mainz stammte. Geierschnabel machte ein ganz undefinirbares Gesicht, als er sie erblickte, bezahlte aber sofort die drei Thaler, welche dafür verlangt wurden.

»Und nun die Stiefeln. Was soll ich bringen für welche?« fragte der glückliche Handelsmann.

»Incognito! Man darf mich nicht kennen.«

»So werde ich vorschlagen Schuhe, ein Paar Tanzschuhe, so fein und leicht, daß man springt in die Luft, sobald man sie angezogen hat. Solche Schuhe muß tragen ein Herr, welcher ist Componist und Musikus.«

»Her damit.«

Sie wurden gebracht und sofort bezahlt.

»Will der Herr bedecken auch seinen Kopf?« fragte der Jude.

»Natürlich, aber auch incognito.«

»So werde ich ihm geben einen Hut, so hoch und breit, wie ihn getragen hat Orpheus, ehe er stieg in den Orkus hinab.«

»Wer war dieser Orpheus?«

»Ein großer Componist und Musikus, welcher erfunden hat die Ziehharmonika und das Klavier mit doppelten Saiten.«

»War er berühmt?«

»Außerordentlich. Wenn er hat gespielt die Ziehharmonika und dazu geklimpert das Klavier, sind die Steine geworden lebendig.«

»Gut. Der Hut wird gekauft.«

Der Hut war fürchterlich. Die Krempe hatte drei Fuß Durchmesser, und der Kopf war dem entsprechend hoch.

»Der Herr trägt doch auch Handschuhe?«

»Freilich. Aber man darf an ihnen nicht sehen, woher ich bin.«

»So werde ich geben weiße Handschuhe, so zart wie Spinnwebe, damit keiner kann drücken die Fingernägel entzwei.«

Er brachte weiße Leichenhandschuhe, für welche der Amerikaner den sechsfachen Preis bezahlte. Der Letztere glaubte, nun endlich Alles beisammen zu


// 2107 //

haben, aber er irrte sich sehr, denn der Jude forschte noch in seinem Laden herum und fragte:

»Wenn der Herr will gehen als Musikus, muß er da nicht auch haben Noten, um zu zeigen, daß er ist ein großer Componist?«

»Donnerwetter, ja, Noten, die hätte ich am Ende fast vergessen. Hat Er welche hier?«

»Warum sollte ich nicht haben Noten? Hat doch mein Töchterlein gezogen an der Guitarre und gegriffen an das Flageolet! Dort liegen sie bei den Zeitungen. Will der Herr geben einen Thaler?«

»Ja. Her damit!«

Der Händler brachte Guitarrenoten und eine Uebungsschule für das Flageolet. Dann meinte er nachdenklich:

»Aber wenn man ist ein Componist, so muß man auch haben ein Instrument, um zu blasen hinein oder zu streichen hinauf und herab.«

»Das ist wahr. Hat Er denn auch Instrumente?«

»Natürlich werde ich haben Instrumente! Habe ich doch eingepfändet eine Viggolinenbratsche mit zwei Saiten und eine Posaune, worauf sind gestürzt drei Mauern von Jericho.«

»Bringe Er sie her!«

»Was? Die Bratsche, oder die Posaune?«

»Die Posaune ist mir lieber.«

»Hier ist sie.«

Er zog das Instrument unter einem Haufen alten Eisens heraus.

»Alle Teufel!« brummte der Jäger. »Die hat aber Narben!«

»Kann es sein anders? Habe ich nicht gesagt, daß darauf gefallen sind drei Mauern von Jericho?«

»Hm! Wenn's so ist! Aber hier giebt es auch zwei Löcher!«

»Sind dem Herrn diese Löcher etwa unbequem?«

»Nein. Aber sie gehören doch wohl nicht hinein!«

»Warum soll man sein unzufrieden mit die Löcher, da sie doch sind vortheilhaft für die Musik und die Atmosphäre und die Lunge!«

»In wiefern?«

»Man braucht nicht zu blasen die Luft bis ganz hinten hinaus, da sie kommt bereits zu den Löchern heraus.«

»Sapperlot. Das ist allerdings vortheilhaft! Was kostet die Posaune?«

»Hat sie mich gekostet zehn Thaler, so gebe ich sie um acht.«

»Gut, hier ist das Geld! Oder kann ich nicht lieber mit Banknoten bezahlen? Ich brauche das Silbergeld später.«

Er griff in den Sack und zog eine hübsche Anzahl Zehnthalerscheine hervor, wovon er einen auf den Tisch legte; die anderen steckte er in seine Hosentasche. Der Händler folgte dieser Handbewegung mit Begierde. Welch eine Unvorsichtigkeit, zwanzig und noch mehr Zehnthalerscheine so einfach in die Hosentaschen zu stecken.

»Ich bekomme zwei Thaler heraus,« meinte Geierschnabel. »Gebe Er mir dafür eine Brille.«

»Was für eine wünscht der Herr?«


// 2108 //

»Eine, durch welche man hindurchsehen kann.«

»Soll ich geben Brille oder Lorgnon oder Monocle?«

»Eine, welche zu dem Incognito paßt.«

»So werde ich geben eine antiquarische Quetsche von der Nase des Meisters Gluck, welcher hat componirt viele Stücke für das Theater, wo die Welt ist mit Brettern verschlagen.«

»Gluck? War er berühmt?«

»Ungeheuer. Hier ist seine Brille. Kostet mich vier Thaler, will ich sie aber fortgeben für zwei, weil der Herr hat gekauft einen ganzen Anzug incognito.«

»Schön! Ich werde ihn gleich anlegen. Giebt es hier einen Raum, wo man sich aus- und anziehen kann?«

»Eben dieses Geschäft ist der Raum, in welchem die Kunden werden an- und ausgezogen. Der Herr mag treten in die Ecke, und ich werde zu helfen behilflich sein.«

»Hätte Er nicht Lust, mir diesen alten Anzug abzukaufen?«

»Au waih! Was soll man geben für solche Sachen! Ich werde ihn ansehen und dann bieten, so viel wie ich kann.«

Trotz seines Weherufes hatten seine Augen freudig aufgeleuchtet. Er verwendete von jetzt an kein Auge mehr von Geierschnabel, welcher jetzt begann, die Kleider zu wechseln. Der Jude wußte, daß die Zehnthalerscheine sich in der Tasche befanden, und wollte sich überzeugen, ob dieselben herausgenommen wurden.

Als Geierschnabel den gekauften Anzug angelegt hatte, schob er den alten mit dem Fuße von sich und fragte:

»Nun, wie steht es? Kauft Er ihn?«

Der Jude hatte ganz genau aufgepaßt, er wußte, daß die Scheine nicht angerührt worden waren.

»Ich werde ansehen die Sachen,« sagte er.

Er nahm die Hosen zur Hand, fühlte dabei unbemerkt, wie er dachte, von außen an die Tasche, und bemerkte ganz deutlich, daß die kostbaren Papiere unter seinem Drucke knitterten. Sie waren mehr als zweihundert Thaler werth.

Seine Hände begannen zu zittern. Die Habsucht packte ihn.

»Was soll ich geben für dieses Zeug, welches kaufen wird kein Mensch?« sagte er. »Es ist nichts werth.«

»Was bietet Er?« fragte Geierschnabel kurz.

»Ich gebe für die ganze Geschichte grad einen Thaler.«

»Wo denkt Er hin! Her damit! Ich packe sie in meinen Sack.«

Da trat der Händler schnell zurück und sagte:

»Werde ich geben zwei Thaler.«

»Fällt mir nicht ein,« meinte Geierschnabel, welcher zum Gehen fertig war und die Hand nach den Sachen ausstreckte.

»Drei Thaler,« meinte der Händler.

»Unsinn.«

»Vier Thaler.«

»Nein!«

»Fünf Thaler.«


// 2109 //

Der Jude bebte vor Angst, als ob ihn ein Fieber ergriffen hätte.

»Nein. Der Anzug ist mir nicht um vierzig Thaler feil.«

»Vierzig!« rief der Händler, indem er die Augen fast ebenso weit aufriß wie den Mund. »Wie ist das möglich?«

»Das Zeug zu diesen Sachen ist von Faulthierhaaren gesponnen.«

»Wozu?«

»Wer solche Wolle trägt, bekommt nie ein Fieber. Ich lasse diese Sachen einspinnen, wenn ich zu wenig bekomme.«

»Faulthierwolle? Vierzig Thaler! Gott Abrahams, Isaaks und Jacobs, warum ist es gerade Wolle vom Faulthiere! Ich werde geben zehn Thaler, aber keinen Pfennig mehr.«

»Vierzig und keinen weniger.«

»Zwölf!«

»Vierzig! Her damit! Ich habe keine Zeit!«

Der Jude that einen wirklichen Sprung retour. Er durfte sich das Papiergeld um keinen Preis entgehen lassen.

»Zwanzig Thaler!« rief er vor lauter Angst.

»Vierzig! Ich sage es zum letzten Male. Ich muß mit dem Zuge fort und habe keine Minute zu verlieren.«

Mit dem Zuge fort? dachte der Jude. Da ging der Mann ja fort, ohne wiederzukommen oder wiederkommen zu können. Das steigerte den Werth des Papiergeldes.

»Ist es wirklich Wolle vom Faulthiere?« fragte er hastig.

»Ja.«

»So gebe ich fünfundzwanzig.«

»Vierzig!«

»Sechsundzwanzig!«

»Ich gebe Ihm noch eine Minute Bedenkzeit, dann aber gehe ich mit meinen Sachen ganz sicher fort.«

Der Jude that noch einen convulsivischen Griff nach der Taschengegend.

»Dreißig Thaler!« bot er.

»Vierzig!«

»Herr Zebaoth! Vierzig Thaler für solche Lumpen!«

»Was, Lumpen? Wer zwingt Ihn, sie zu kaufen? Her damit!«

Er faßte die Hosen an und zog hin. Der Händler ließ sie nicht los und zog her, indem er in höchster Bedrängniß rief:

»Zweiunddreißig!«

»Vierzig!«

»Fünfunddreißig!«

»Vierzig!«

»Ich kann nicht. Es ist unmöglich!« rief der Jude.

Es griff ihn am meisten an, daß es ihm nicht gelingen wollte, auch nur einen einzigen Thaler abzuhandeln.

»So gebe Er endlich her!«

Mit diesen Worten machte der Amerikaner eine kräftigere Anstrengung, die


// 2110 //

Kleider wieder in seine Gewalt zu bekommen, aber der Jude ließ nicht los, sondern rief:

»Sechsunddreißig!«

»Vierzig!«

»Achtunddreißig!«

»Vierzig! Her mit meinen Sachen!«

»Gott Abrahams! Es sind nicht des Herrn Sachen, sondern es sind die meinigen, denn ich werde geben die vierzig Thaler.«

Der Sprecher schwitzte am ganzen Gesichte.

»Gut. Her damit!« meinte Geiernase.

Der Jude griff zu seiner Sicherheit noch einmal nach den Papieren, wickelte die Kleidungsstücke dann zusammen, legte sie fort und griff zum Gelde. Bei jedem harten, blanken Thaler, welchen er aufzählte, sah man es ihm an, wie schwer es ihm wurde, die Summe aufzuzählen. Und dennoch beeilte er sich, um den Fremden los zu werden, damit diesem nicht noch einfallen möge, wo er sein Papiergeld gelassen habe.

»So, das sind vierzig Thaler,« sagte er endlich. »Ein Heidengeld für solche Lumpen. Wir sind fertig. Der Herr kann gehen.«

Geierschnabel lachte ihm in das Gesicht und antwortete:

»Ja, wir sind fertig, ich kann gehen. Er hat mir ganz gehörige Preise angesetzt, aber ich habe nichts abgehandelt, weil das ein Gentleman nie thut. Dennoch sind wir quitt. Adieu.«

»Adieu der Herr.«

Kaum war Geierschnabel zur Thüre hinaus, so öffnete sich die Thüre eines hinter dem Gewölbe liegenden kleinen Raumes. Dort war das Wohnzimmer des Juden. Seine Frau trat ein.

»Levileben,« rief sie, die Hände zusammenschlagend. »Was hast Du gemacht! Eine große, grausame Dummheit!«

Er verschloß den Laden von innen, damit ja der soeben Fortgegangene nicht wieder eintreten könne, blickte seinem Weibe überlegen in das runzelige Gesicht und antwortete:

»Was soll ich gemacht haben? Eine Dummheit?«

»Ja, eine grausame und große.«

»In wiefern, Sarahleben?«

»Haste gegeben doch für diese Lumpen vierzig Thaler. Biste doch wohl verrückt gewesen in Deinem Kopfe.«

»Nein, bin ich sehr klug gewesen in dem Kopfe, welcher ist der meinige. Habe ich schon erst gemacht ein sehr gutes Geschäftchen.«

Das Gesicht der Frau erheiterte sich, indem sie sagte:

»Habe ich gehört jedes Wort Eures Handels. Wer war der Mann?«

»Weiß ich es? Habe ich ihn gefragt? Ein Dummkopf war es. Kauft mir ab die ältesten und schlechtesten meiner Sachen um einen wahnsinnigen Preis.«

»Und Du kaufst diese Lumpen, welche nicht werth sind zehn Silbergroschen, für einen noch wahnsinnigeren Preis.«

»Weib, was verstehest Du davon?«


// 2111 //

»Haste nicht gegeben vierzig Thaler?«

»Ja. Aber diese Lumpen sind werth viermal so viel.«

»Wohl weil sie sind aus Faulthierwolle, he?«

»Faulthierwolle? Laß Dich auslachen, Sarahleben. Faulthierwolle giebt es nicht. Man hat es gemacht weiß diesem Menschen.«

»So ist es gewesen nur Schafwolle?«

»Ja.«

»Und Du giebst vierzig Thaler! Willst Du Dich einsperren lassen in das Haus, wo die Verrückten haben ihr Sommerlogis?«

»Sarahleben, Du dauerst mich. Diese Sachen sind werth hundertundvierzig Thaler.«

»Wirst Du können dieses beweisen?«

»Ich werde es Dir beweisen sofort. Greife in diese Tasche.«

Er zog die Oeffnung der Hosentasche auseinander und hielt sie ihr hin.

»Was ist darin?« fragte sie zögernd.

»Greif hinein. Sieh, was Du findest.«

Sie streckte die Hand hinein und sagte darauf:

»Papier.«

»Ja. Nimm es heraus!«

Er blickte mit überlegener und gespannter Erwartung auf ihre Hände, welche einige Stückchen Papier hervorbrachten.

»Was ist es?« fragte er.

Sie untersuchte die Stückchen und antwortete:

»Zerschnittene Zeitung.«

»O Manasse und Ephraim! Ich habe die falsche Tasche erwischt. Greife schnell hier hinein, Sarahleben.«

Er hielt die andere Tasche hin und sie fuhr mit der Hand hinein.

»Nichts,« sagte sie.

Er erbleichte.

»Nichts?« fragte er. »Nichts hast Du gesagt?«

»Ja.«

»Es ist nichts darin?«

»Gar nichts.«

»Und in der ersten Tasche?«

»Nur diese Papierfetzen.«

Jetzt untersuchte er selbst schnell die Taschen. Es war nicht das Mindeste darin zu finden. Er ließ vor Schreck die Hosen fallen.

"Ich bin betrogen worden!"

»Gott der Gerechte,« rief er. »Ich bin betrogen worden, ich bin capores, ich bin pleite um vierzig Thaler!«

Er fühlte sich so schwach, daß er sich auf einen alten Stuhl niedersetzen mußte. Sie aber stemmte die Arme in die Seite und fragte:

»Was bist Du? Pleite und capores bist Du um vierzig Thaler? Nein. Capores ist Dein Verstand und pleite ist Dein Gehirn.«

»Sarahleben!« jammerte er. »Er hatte doch über zwanzig Scheine in die Hosen gesteckt!«


// 2112 //

»Scheine? Was für Scheine?«

»Zehnthalerscheine.«

»Das hast Du gesehen?«

»Ja.«

»So hat er sie wieder herausgenommen.«

»Das habe ich nicht gesehen.«

»Wer ist er?«

»Weiß ich es?«

»Wo ist er hin?«

»Er sagte, er müsse nach dem Bahnhofe.«

»So gehe, springe, laufe, eile, renne! Du mußt ihn finden.«

»Aber wozu, Sarahleben, wozu?«

»Er muß Dir die Hosen wieder abkaufen um vierzig Thaler.«

»Er wird sich hüten.«

»Er hat Dich betrogen.«

»Nein, sondern ich habe ihn betrügen wollen.«

»O, Levileben, was bist Du für ein Dummkopf! Ich schäme mich Deiner bei jeder alten Hose, welche ich zu sehen bekommen werde.«

»Ich bin wie Hiob,« jammerte er. »Erst reich und nun arm.«

»Schweig. Hiob kaufte keine Faulthierwolle.«

»Vielleicht hat es damals noch keine Faulthiere gegeben. Sarahleben, ich bin matt, ich bin krank, ich bin todt. Mich kann nichts mehr retten, als nur das Grab allein. O vierzig Thaler! O Faulthierwolle! O alte Hosen! O Sarahleben! Mein Testament ist gemacht. Es liegt dort in der Hochzeitslade. Dir vermache ich Alles, die Gläubiger aber bekommen nichts. Lebe wohl. Adieu. Gute Nacht, Du schnöde Welt!« -

Der aber, von dem die Rede war, Geierschnabel nämlich, war, als er das Geschäft verlassen hatte, ernsthaft weiter gegangen. Sobald er aber hinter der nächsten Ecke in Sicherheit war, stieß er ein lautes Lachen aus.

»O Levi,« meinte er. »Wie dumm, wie dumm. Ich steckte die Banknoten ja nur hinein, um Dich zu meiern. Und als ich Dir die Hosen anbot, waren sie schon längst wieder heraus. Es ist doch wahr, fünf gescheidte Juden sind einem Yankee nicht gewachsen. Vierzig Thaler für diese Lappen. Es ist ungeheuer. Ich habe meine ganze neue Montirung umsonst und auch noch Geld übrig.«

Mit dieser neuen Montirung nun sah es eigenthümlich aus. Er hatte nicht das Aeußere eines ehrsamen, ernsthaften Menschen, sondern er sah gerade wie eine Maske aus, wozu allerdings seine Nase nicht wenig beitrug. Sie gab dem wunderlichen Anzuge erst das gehörige Relief.

Er war nicht weit gekommen, so liefen ihm schon die Jungens nach. Sein Hut, sein Tellerfrack, die alten Lederhosen, die Tanzschuhe, die Nasenquetsche und die Posaune waren ganz geeignet, Zuschauer herbeizulocken. Er betrachtete dies mit dem größten Vergnügen.

»Donnerwetter, muß mir der Anzug stehen,« schmunzelte er. »Es wird nicht lange dauern, habe ich die ganze Jugend hinter mir her.«


Ende der achtundachtzigsten Lieferung - Fortsetzung folgt.



Karl May: Waldröschen

Karl May – Froschung und Werk