Lieferung 89

Karl May

7. Juni 1884

Waldröschen
oder
Die Rächerjagd rund um die Erde.

Großer Enthüllungsroman
über die
Geheimnisse der menschlichen Gesellschaft

von

Capitain Ramon Diaz de la Escosura.


// 2113 //

So schritt er denn, Sack und Büchse auf dem Rücken, die Posaune aber liebreich auf den Armen tragend, von Straße zu Straße weiter. Sein Gefolge wuchs wie eine Lawine, es zählte bereits nach Hunderten und machte einen solchen Heidenscandal, daß überall, rechts und links, die Fenster aufgerissen wurden.

»Donnerwetter! Verursache ich hier ein Aufsehen! Mainz wird noch lange an Geierschnabel denken,« brummte er. »Schade nur, daß sie nicht wissen, daß ich es bin, weil ich ja incognito gehe.«

Sein Incognito sollte aber nicht lange dauern. Ein Polizist kam um die Ecke, erblickte die sonderbare Gestalt und die Menschen, welche ihm folgten und blieb stehen, um den Haufen herankommen zu lassen.

Geierschnabel schien ihn gar nicht zu bemerken. Der Polizist aber nahm einen der Halberwachsenen aus der Menge heraus und fragte:

»Wer ist der Kerl?«

»Ich weiß es nicht.«

»Woher kommt er?«

»Wir wissen es nicht.«

»Wohin will er?«

»Auch das weiß Niemand.«

»Warum lauft Ihr ihm nach?«

»Weil er so aufgeputzt ist.«

»So. Was thut er? Was hat er gesagt?«

»Kein Wort. Er schmunzelt nur immer vor sich hin.«

»Ist er nicht einmal stehen geblieben?«

»Nein.«

»Auch in keinem Hause oder Laden gewesen?«

»Nein.«

»Ich werde ihn selbst fragen.«

Er schritt dem Amerikaner nach und faßte ihn beim Arme.

»Heda! Wer sind Sie denn eigentlich?«

Geierschnabel blieb stehen und betrachtete sich den Mann.

»Pchtichchchchch!« fuhr diesem der berühmte Strahl gerade an der Nase vorüber.

»Ich?« fragte er dann.

»Ja, Sie.«

»Warum wollen Sie das wissen?«

»Darnach haben Sie nichts zu fragen.«

»So, so. Wer sind denn Sie?«

»Ich bin Stadtwachtmeister.«

»Schön. Da sind wir Kameraden.«

»Wieso?«

»Ich bin Waldwachtmeister.«

»Unsinn. Den giebt's nicht.«

»O, doch.«

»Wo denn?«

»Darnach haben nun Sie nichts zu fragen.«


// 2114 //

»Mann, werden Sie nicht renitent!«

Geierschnabel blickte ihm verächtlich in das Gesicht.

»Mann, werden Sie nicht grob!« sagte er.

»Wissen Sie, daß Sie mir jede Frage zu beantworten haben?«

»Haben Sie etwa auf eine Ihrer Fragen keine Antwort erhalten?«

»Ja, aber welche. Woher sind Sie?«

»Von drüben.«

»Von drüben? Was soll das heißen?«

»Na, daß ich nicht von hüben bin.«

»Donnerwetter, das weiß ich! Aber was ist denn eigentlich drüben und hüben?«

»Das weiß ein jeder Schulbube.«

»Mann, zügeln Sie Ihr Mundwerk, sonst muß ich Sie arretiren.«

»Das würde Ihnen nicht viel helfen.«

»Wie heißen Sie?«

»Geierschnabel.«

Jetzt wurde der Polizist ernstlich zornig.

»Wollen Sie mich etwa foppen?« fragte er.

»Ganz wie Sie denken.«

»Woher kommen Sie?«

»Daher.«

Er zeigte nach hinten.

»Und wohin wollen Sie?«

»Dorthin.«

Er zeigte nach vorn.

»Das ist mir zu bunt. Er ist mein Arrestant.«

»Schön. Was soll das heißen?«

»Daß Er mir zu folgen hat.«

»Wohin?«

»Zur Polizei.«

»Ah! Nicht übel. Wenn ich es nun nicht thue?«

»So brauche ich Gewalt.«

»Und wenn ich mich wehre?«

»So erhält Er wegen Widerstands gegen die Staatsgewalt drei Jahre Zuchthaus.«

»Himmelelement, das macht dreizehn!«

»Was, dreizehn?«

»Ich sollte heute bereits zehn Jahre bekommen.«

»Ah! Weshalb?«

»Das geht Ihm nichts an.«

»Wo?«

»Auch das geht Ihm nichts an.«

»Mensch, Er ist entweder verrückt oder ein Dummkopf, der sich einen Spaß machen will, welcher Ihm aber theuer zu stehen kommen wird.«


// 2115 //

»Na, soll einmal Einer von uns Beiden ein Verrückter sein und der Andere ein Dummkopf, so will ich gern der Verrückte sein.«

»Mensch, geht das auf mich?«

»Nein, sondern auf mich, der Verrückte nämlich.«

»Aber der Dummkopf bleibt für mich übrig.«

»So, bleibt er wirklich für Ihn übrig? Dafür kann ich leider nicht.«

»Ich sehe, daß mit Ihm hier auf der Straße nichts zu machen ist. Folge Er mir. Vorwärts!«

»Wohin?«

»Das wird Er sehen. Was hat Er da in Seinem Sacke?«

»Reisegegenstände.«

»Und in diesem alten Schlauche?«

»Meine Jagdbüchse.«

»Also ein Schießgewehr?«

»Ja.«

»Hat Er denn einen Waffenpaß?«

»Hm. Was ist das?«

»Einen schriftlichen Erlaubnißschein, Waffen zu tragen.

»Ja, den habe ich.«

»Wer hat ihn denn ausgestellt?«

»Ich.«

»Er selber?«

»Natürlich.«

»Na, da mache Er sich nur immer auf Confiscation Seines Gewehres und zwei Jahre Zuchthaus gefaßt.«

»Donnerwetter! Wieder zwei Jahre?«

»Ja.«

»Weshalb?«

»Wegen Urkundenfälschung.«

»Das macht jetzt in Summa bereits fünfzehn Jahre. Es wächst gut.«

»Ja. Wenn das so fortgeht, so kann etwas aus Ihm werden.«

»Nur kein Mainzer Polizist.«

»Nein, das braucht Er sich auch gar nicht einfallen zu lassen.«

»Hm. Eine schöne Polizeinase hätte ich aber doch.«

»Sagt lieber, eine Geier- oder Galgennase.«

»Ganz wie es Ihm beliebt. Aber was ist das für ein Gebäude?«

Sie waren während ihrer Unterhaltung schnell vorwärts gekommen, gefolgt von einer immer wachsenden Menschenmenge. Jetzt hatten sie die Polizeiwache erreicht.

»Das ist der Ort, an welchem Er erfahren wird, was eine Arretur zu bedeuten hat.«

»Das weiß ich bereits längst.«

»Ah. Er ist bereits öfters arretirt worden?«

»Das geht Ihm wieder nichts an!«

»Er ist ein Grobian, dem man das Maul stopfen wird. Trete Er ein.«

»Auf diese Stopferei bin ich sehr neugierig, alter Junge.«


// 2116 //

Sie traten in den Flur des Hauses und von da in ein Vorzimmer, in welchem einige Polizisten saßen, welche die verschiedenen Meldungen entgegen zu nehmen und zu expediren hatten.

Auf einer Bank hockten mehrere Personen, vielleicht Inhaftirte oder Citirte, welche auf die Erledigung ihrer Angelegenheit warteten. Auf diese Bank deutete der Polizist und gab Geiernase die Weisung:

»Setze Er sich hierher. Das Maulstopfen wird bald losgehen.«

Geiernase beachtete diese Worte gar nicht. Er legte seinen Leinwandsack und das Büchsenfutteral auf die Erde und warf sich auf einen Stuhl, welcher bestimmt war, Beamten als Sitz zu dienen.

»Halt! So ist es nicht gemeint,« sagte der Polizist. »Dieser Stuhl ist nicht für Seinesgleichen da.«

Geiernase zuckte die Achseln und fragte:

»Hm. Was für Leute versteht Er denn eigentlich unter Meinesgleichen?«

»Solche, welche dorthin auf die Bank gehören.«

»Na, so setze Er sich gefälligst nur selber hin. Er versteht sich jedenfalls besser auf Seines-, als auf Meinesgleichen. Ich muß am Besten wissen, auf welchen Platz ich gehöre.«

Da nahmen die Polizisten den Sprecher ganz erstaunt in Augenschein, und Einer von ihnen fragte:

»Ein renitenter Kerl! Wer ist er denn eigentlich?«

»Weiß es selber nicht,« meinte der Arrestater.

»Der Mensch geht ja wie eine Maske. Ist er verrückt?«

»Ich traf ihn auf der Straße, wo ihm das Volk massenhaft nachlief. Er wollte sich nicht legitimiren; darum nahm ich ihn mit.«

»Er wird hier schon reden lernen!«

»Kann es bereits, alter Junge,« meinte Geierschnabel. »Fand es nur nicht nothwendig, draußen auf der Straße mich in eine große Sprecherei einzulassen. Hatte keine Zeit dazu.«

»Hier wird sich die Zeit schon finden.«

»Mit Masse nicht. Ich muß mit dem nächsten Zug weiter.«

»Das geht uns nichts an. Wohin will Er denn eigentlich?«

»Hm! Will Er vielleicht mitgehen?«

»Mit Ihm? Fällt mir nicht ein,« lachte der Beamte.

»Nun, so braucht Er auch nicht zu wissen, wohin ich will!«

»Oho! Er ist ja der größte Grobian, welcher mir vorgekommen ist. Man wird Ihm aber hier die nöthige Höflichkeit zu lehren wissen!«

»Pchtichchchchch!« spuckte Geierschnabel ihm am Gesicht vorüber.

»Soll ich sie etwa von Ihm lernen?« fragte er. »Er scheint mir die geeignete Person dazu nicht zu sein.«

»Donnerwetter!« fluchte der Polizist. »Was fällt Ihm ein, nach mir auszuspucken und hier mit solchen Beleidigungen um sich zu werfen. Wenn Er das noch einmal wagt, so wird Er hintergesteckt und krumm geschlossen. Jetzt aber stehe Er sofort vom Stuhle auf und mache Er sich zur Bank hinüber, auf welche Er gehört!«


// 2117 //

Geierschnabel machte es sich nun erst recht bequem, spreizte behaglich die Beine übereinander und antwortete:

»Sachte, sachte, alter Junge. Jeder, der auf diesem Stuhle gesessen hat, darf es sich zur Ehre schätzen, daß ich nun darauf sitze.«

»Also Widerspenstigkeit. Da werde ich Ihm jetzt eine Wohnung anweisen, in welcher Er es sich bequem machen kann, ohne andere Leute zu geniren und zu beleidigen. Komme Er mit!«

»Wohin?« fragte der Amerikaner ruhig.

»In's Loch!«

»In's Loch? Habe verdammt wenig Lust dazu. Das will ich Ihm sagen.«

»Wir fragen den Teufel darnach, ob Er Lust hat oder nicht. Was ich sage, das muß gelten. Vorwärts also!«

Er legte seine Hand auf Geierschnabels Arm. Der Prairiejäger aber schüttelte ihn von sich ab, erhob sich und sagte:

»Mann, höre Er einmal, was ich Ihm jetzt sagen werde. Ich habe nichts Unrechtes gethan und nicht das Mindeste verbrochen. Ich kann mich kleiden, wie es mir beliebt, und wenn mir das Volk nachläuft, so ist es dumm genug. Als ich arretirt wurde, bin ich ruhig gefolgt. Ich werde mich zu legitimiren wissen, gebe aber nur dann Antwort und Auskunft, wenn man mich so behandelt, wie es ein Gentleman verlangen kann.«

Seine Haltung und seine Worte machten ihren Eindruck. Der Polizist blickte ihn befremdet an und sagte:

»Gentleman? Er will doch nicht etwa sagen, daß Er ein Engländer sei. Denke Er nur nicht etwa, daß man Ihm das glauben wird!«

»Pah. Was Er glaubt oder nicht glaubt, das ist mir sehr gleichgiltig. Aber es scheint allerdings, daß Er mit Gentlemen nicht umzugehen versteht, denn diese pflegt man nicht mir »Er« zu tituliren. Wenn Er Polizist sein will, so schaffe Er sich vorher das halbe Loth Menschenkenntniß an, welches dazu nöthig ist!«

Das brachte den Beamten wieder in Zorn.

»Kerl, was fällt Ihm ein,« rief er mit lauterer Stimme, als man hier im Vorzimmer gewöhnlich zu sprechen pflegte. »Ich will Ihn nur darauf aufmerksam machen, daß wir hier das Recht haben, renitente Vagabunden durch eine Tracht Prügel zur Raison zu bringen.«

Da trat Geierschnabel einen Schritt auf ihn zu und rief ebenso laut, wie der Polizist gewesen war:

»Prügel? Die sollte Er mir wohl nicht bieten! Ich haute die ganze liebe Polizei, daß die geehrten Fetzen herumfliegen. Bei mir zu Hause pflegt die bloße Androhung von Prügeln bereits eine Beleidigung zu sein. Darum nehme Er sich ja in Acht, mir dieses Wort noch einmal zu sagen. Für jetzt will ich es Ihm vergeben und so thun, als ob ich es gar nicht gehört hätte. Bei einer Wiederholung aber wird Er augenblicklich erfahren, was geschehen wird.«

Da wurde eine Thür aufgerissen, ein bebrillter Herr steckte den Kopf herein und fragte in verweisendem Tone:

»Was geht hier vor? Ich verbitte mir diese Art von Scandal.«

Die anwesenden Polizisten stellten sich augenblicklich in Positur.


// 2118 //

»Verzeihung, Herr Commissar,« entschuldigte sich der Eine. »Wir haben hier einen Arrestanten, welcher im höchsten Grade widerspenstig ist.«

Der Commissar betrachtete sich Geierschnabel.

»Alle Teufel, was ist das für ein Kerl?« fragte er.

»Wir wissen es nicht.«

»Wieso? Sie haben ihn doch zu fragen!«

»Er verweigert uns jede Auskunft.«

»Haben Sie nach seiner Legitimation gesehen?«

»Es würde vergeblich sein. Ich wollte ihn Ihnen zum Verhör anmelden, da er uns nicht als voll zu betrachten scheint.«

»Weshalb wurde er sistirt?«

»Sein sonderbares Aeußere zog eine Menge Volkes hinter sich her. Ich forderte daher Auskunft über seine Person, erhielt aber keine genügende Antwort. Darum arretirte ich ihn.«

»Folgte er gutwillig?«

»Ja. Aber hier wurde er grob und wagte es sogar, Drohungen auszustoßen.«

»Ah! Warum?«

»Weil - hahahaha! Weil wir ihn nicht als Gentleman behandelten, wie er es lächerlicher Weise verlangte.«

»Nein, sondern weil man mir mit Einsperrung und Prügel drohte,« fiel Geierschnabel ein.

Der Commissar warf ihm einen drohenden Blick zu und sagte:

»Er hat zu antworten, wenn Er gefragt wird.«

»Ich kann nicht warten, bis es irgend Wen beliebt, mich zu fragen,« antwortete Geierschnabel furchtlos. »Meine Zeit ist mir kurz zugemessen, ich muß mit dem nächsten Zuge fort.«

»Wohin?«

»Ich habe keine Veranlassung, das zu Jedermanns Ohren zu bringen.«

»Ah! So, so! Und ich werde es wohl auch nicht erfahren?«

»Wenn Sie die dazu gehörige Competenz besitzen und mich in höflicher Weise befragen, so werde ich die Auskunft nicht verweigern.«

Der Commissar lachte höhnisch.

»Nun, die nöthige Competenz besitze ich, und mit Höflichkeit werde ich Ihn so weit bedienen, als mir angemessen scheint. Was hat Er da in dem Lederschlauche?«

»Eine Büchse.«

»Ein Gewehr? Ah! Hat Er einen Waffenpaß?«

»Ja.«

»Was hat Er da in dem Sacke?«

»Verschiedenes!«

»Das genügt nicht. Zähle Er das Einzelne auf!«

»Das ist nicht meine Sache. Wer hier wissen will, was drin ist, der mag nachsehen. Uebrigens erlaube ich mir die Frage, ob dies hier das Zimmer ist, in welchem Sie mit mir zu verhandeln haben? Ich habe bereits gesagt, daß ich zur Auskunft bereit bin, aber nicht vor Jedermanns Ohren. Es ist kein Wunder, wenn man dann renitent genannt wird.«


// 2119 //

»So trete Er ein!«

Er trat bei diesen Worten in sein Zimmer zurück und gab dem Polizisten dabei einen Wink, den Sack und das Gewehr hineinzubringen.

Geierschnabel trat ein und bemerkte, daß sich noch ein zweiter Herr in dem Zimmer befand. Dieser sah dem Anderen so ähnlich, daß man sofort errieth, daß diese Beiden Brüder seien. Er trug einen langen, dicken, gut gepflegten Schnurrbart und hatte, trotzdem er in Civil gekleidet war, ein entschieden militärisches Aussehen. Was am Meisten an ihm auffiel, das war sein rechter Arm. Aus dem rechten Aermel ragte nämlich ein feiner Glacehandschuh hervor, dem man es ansah, daß er keine lebendige Hand bedecke.

Er betrachtete den Eintretenden mit halb erstaunten und halb belustigten Blicken und sagte dann lächelnd zu dem Commissar:

»Alle Wetter, was für eine Vogelscheuche bringst Du da herein?«

»Ein lebendiges Räthsel, dessen Lösung wir gleich finden werden,« antwortete der Gefragte. Dann wendete er sich an Geierschnabel:

»Sage Er mir also zunächst, wer Er eigentlich ist!«

Der Jäger zuckte die Achseln und antwortete:

»Vorher muß ich doch wissen, ob Sie auch wirklich der Mann sind, dem ich Auskunft zu geben habe.«

»Donnerwetter, hat Er nicht gehört, daß ich Commissar bin?«

»Ja, aber ich glaube es nicht.«

»Das ist allerdings lustig. Warum zweifelt Er daran?«

»Weil ich denke, daß man das Polizeicommissariat nur einem Manne anvertraut, welcher gelernt hat, mit den Leuten höflich zu verkehren.«

»So! Ich bin also unhöflich mit Ihm?«

»Hm! Ich will nur bemerken, daß ich gewohnt bin, einen jeden Menschen so zu behandeln, wie er mich behandelt. Von jetzt an werde ich Sie ganz auch so nennen, wie Sie mich. Sie haben also die Wahl zwischen Sie und Er.«

Der militärisch Aussehende strich sich den Schnurrbart und meinte:

»Ein verteufelter Bengel. Ah, er hat eine Posaune! Jedenfalls ein Bettelmusikant.«

Der Commissar antwortete lachend:

»Also ein Künstler! Nun, so werde ich dieser Stellung Rechnung tragen und mich einstweilen des ehrerbietigen »Sie« bedienen.« Und sich zu Geierschnabel wendend, fuhr er fort: »Sie wünschen also zu wissen, vor wem Sie hier stehen?«

»Ich muß allerdings bitten, mir dies mitzutheilen.«

»Nun, weil Sie ein Künstler sind, werde ich so rücksichtsvoll sein, Ihnen diesen Gefallen zu thun. Ich gebe mir also die Ehre, mich Ihnen als den Polizeicommissar von Ravenow vorzustellen.«

»Danke!« antwortete Geierschnabel kaltblütig auf diese mit sichtlichem Hohne ausgesprochenen Worte.

»Und Sie, mein Herr?« fragte der Commissar.

»Ehe ich darauf Antwort geben kann, muß ich vorher wissen, wer dieser andere Herr ist.«

»Ah, Sie sind verteufelt neugierig. Dieser Herr ist mein Bruder, Lieutenant außer Dienst von Ravenow.«


// 2120 //

»Er ist nicht hier bei der Polizei angestellt?«

»Nein.«

»So muß ich bitten, ihn zu entfernen.«

»Donnerwetter!« rief der Lieutenant, vom Stuhle auffahrend. »Welch eine Frechheit von diesem Menschen.«

Auch der Commissar zog die Brauen finster zusammen und sagte in streng verweisendem Tone zu Geierschnabel:

»Gehen Sie nicht zu weit. Wer hier bleiben kann oder sich entfernen muß, darüber habe ich allein zu entscheiden.«

»Gut, so bitte ich, mich zu entlassen. Ich lasse mich nicht in Gegenwart eines Fremden, welcher nicht hierher gehört, vernehmen.«

»Schön. Entlassen werde ich Sie allerdings, aber nicht in die Freiheit.«

»Wohin sonst?«

»In die Zelle, wo Sie Zeit haben werden, sich anders zu besinnen.«

»Ich verlange in diesem Falle vorher dem Vorstande oder Director der Polizei gemeldet zu werden.«

»Wozu?«

»Das brauche ich Ihnen vielleicht nicht zu sagen, da Sie es sind, über welchen ich mit dem Director zu sprechen beabsichtige. Auf alle Fälle aber werde ich mich erkundigen, ob es wahr ist, daß ich eingesperrt werden kann nur aus dem Grunde, daß ich mich nicht in Gegenwart eines Unberufenen vernehmen lassen will.«

Der Lieutenant räusperte sich und sagte:

»Sperre ihn ein und gieb ihm die Karbatsche!«

Da trat Geierschnabel drohend auf ihn zu und drohte, indem er den rechten Arm wie zum Schlage erhob:

»Sage noch so ein Wort, Bursche, so bekommst Du eine Maulschelle, daß Du Deine Nase für einen Luftballon halten sollst. Wenn Du denkst, Du kannst hier gebieten, weil Du Offizier und Bruder Dessen bist, der mich zu vernehmen hat, so irrst Du Dich gewaltig. Ich bin ganz und gar nicht der Mann, welcher sich von einem Anderen einschüchtern läßt.«

Sein Ansehen war ganz so, daß der Lieutenant sich sagen mußte, die angedrohte Ohrfeige werde beim nächsten Worte erfolgen. Er trat daher schnell einen Schritt zurück, warf einen auffordernden Blick auf seinen Bruder und fragte:

»Was nun? Ich hoffe, daß Du diesen unversch - -«

»Halt!« unterbrach ihn der Commissar. »Kein neues Wort, was Dich in Gefahr bringen könnte, mit den Fäusten eines - na, dieses Mannes in Berührung zu kommen. Es wäre allerdings ungewöhnlich, das Verhör in Deiner Gegenwart vorzunehmen.

Ich ersuche Dich daher, Dich für einige Augenblicke zurückziehen zu wollen. Ich werde mich kurz fassen.«

»Ah! Ich soll also diesem Manne weichen?« fragte der Lieutenant sichtlich geärgert.

Sein Bruder zuckte die Achsel.

»Amtsangelegenheiten,« meinte er.

»Nun, so darfst Du Dich nicht wundern, wenn ich es vorziehe, mich definitiv


// 2121 //

anstatt einstweilen zurückzuziehen. Unsere Angelegenheiten sind, denke ich, genugsam besprochen?«

»Ich habe allerdings nichts hinzuzufügen.«

»Nun, so erlaube, daß ich mich verabschiede.«

Er schritt, ohne ein weiteres Wort seines Bruders abzuwarten, stolz erhobenen Hauptes zur Thür hinaus. Es war dem eingefleischten Aristokraten geradezu unbegreiflich, daß es möglich sei, daß er einem solchen Vagabunden habe weichen müssen. Es lag in seinem hochmüthigen Character, dies seinem Bruder dadurch fühlen zu lassen, daß er sich sofort aus dem Zimmer und dem Hause entfernte.

Dem Commissar war es anzumerken, daß er sich darüber grimmig ärgerte, doch suchte er dies so viel wie möglich zu verbergen. Er wendete sich an Geierschnabel:

»Ihre Büchse!«

Der Angeredete zog die Büchse aus dem Futterale und reichte sie ihm.

»Hier ist sie,« sagte er.

»Ist sie geladen?«

»Nein.«

»Der Waffenpaß!«

»Hier!«

Er griff in die Tasche und zog ein Papier hervor, welches er dem Beamten reichte. Das Dokument war richtig. Es lautete auf den Inhaber, so daß also der Name Geierschnabel nicht angegeben war.

»Oeffnen Sie den Sack!« befahl der Commissar dem Polizisten, indem er den Waffenpaß seinem Besitzer zurückgab.

Der Polizist kam dieser Aufforderung nach und zog zunächst einen Beutel heraus, welcher sehr schwer zu sein schien. Als er ihn öffnete, zeigte es sich, daß der Inhalt aus lauter Goldstücken bestand.

»Woher haben Sie dieses Geld?« fragte der Beamte streng.

»Verdient,« antwortete der Jäger kurz.

»Womit?«

»Das ist meine Sache!«

»Oho! Ich muß das wissen, denn dieses Gold läßt sich mit Ihrer Persönlichkeit keineswegs in Einklang bringen.«

»Soll meine Person des Einklangs wegen etwa auch golden sein?«

»Treiben Sie keinen Scherz! Er könnte Ihnen theuer zu stehen kommen. Was ist noch in dem Sacke?«

»Hier! Zwei Revolver,« meinte der Polizist.

»Ah! Abermals Waffen!«

»Ja. Und hier ein großes Messer.«

»Zeigen Sie her!«

Der Commissar untersuchte das Messer genau. Dann fragte er Geierschnabel:

»Was sind das für Flecken hier an der Klinge?«

»Hm. Das sieht doch jedes Kind!«

»Etwa Blutflecke?«

»Ja.«


// 2122 //

»Was für Blut?«

»Menschenblut.«

»Donnerwetter! Sie haben einen Menschen damit erstochen?«

»Ja. Mehrere.«

»Wo?«

»An verschiedenen Orten.«

»Wer oder was waren sie?«

»Habe mir das nicht sonderlich gemerkt. Der Letzte war Offizier.«

Der Beamte blickte ihn ganz starr an.

»Mensch!« rief er. »Das wagen Sie, mir so ruhig zu gestehen?«

»Warum nicht?« fragte Geierschnabel, indem er ruhig lächelte.

»Ich werde Sie in Eisen legen lassen!«

»Meinetwegen in Zucker oder Pfefferkuchen!«

»Entweder sind Sie wahnsinnig oder ein hartgesottener Bösewicht!«

»Entweder sind Sie sehr dumm oder ein ausgezeichneter Kriminalist!«

»Auf diese Worte werde ich Ihnen später antworten. Suchen Sie schleunigst weiter nach.«

Diese Worte galten dem Polizisten, welcher abermals in den Sack griff und verschiedene Kleidungsstücke hervorzog. Sie waren aus den feinsten Stoffen gearbeitet und reich mit goldenen und silbernen Schnüren und Tressen besetzt.

»Was ist das?« fragte der Commissar.

»Ein Anzug,« antwortete Geierschnabel.

»Das sehe ich! Wem gehört er?«

»Mir!«

»Wo haben Sie ihn her?«

»Gekauft.«

»Wozu?«

»Alle Teufel! Zum Anziehen. Wozu sonst!«

»Diese Schnuren und Tressen sind echt. Sie kosten ein schweres Geld. Ein Musikant hat nicht die Mittel, sich einen solchen Maskenanzug zu kaufen.«

»Wer sagt, daß es ein Maskenanzug ist?«

»Das sieht ein Jeder.«

»Pah! Dieser Jeder müßte sehr dumm sein. Und wer sagt Ihnen denn, daß ich ein Musikant bin?«

»Diese Ihre Posaune.«

»O, diese Posaune hat nichts gesagt, sie hat noch keinen einzigen Ton von sich gegeben. Ich habe sie mir erst hier gekauft.«

»Wann?«

»Vor einer halben Stunde.«

»Von wem?«

»Von einem Juden.«

»Wie hieß er?«

»Levi Hirsch. Auch der Anzug, welchen ich jetzt trage, ist von ihm.«

»Heut gekauft?«

»Ja.«


// 2123 //

»Aber, Mensch, wie kommen Sie denn dazu, sich mit einer so auffälligen Kleidage zu behängen?«

»Es gefällt mir so, das ist genug.«

»Wie heißen Sie?«

»William Saunders.«

»Woher?«

»Aus St. Louis.«

»In den vereinigten Staaten?«

»Ja.«

»Was sind Sie?«

»Gewöhnlich Prairiejäger. Zu Kriegszeiten aber bin ich Capitän oder vielmehr Rittmeister der Vereinigten-Staaten-Dragoner.«

»Das glaube Ihnen der Teufel.«

»Der glaubt es allerdings, denn er ist gescheidter als Andere, welche es nicht glauben.«

»Keine Beleidigung! Können Sie Ihre Angaben beweisen?«

»Wodurch müßte dies geschehen?«

»Durch gute Legitimationen.«

»Gilt ein Paß?«

»Ja.«

»Hier.«

Er zog jetzt aus seinem Sacke eine alte Ledertasche hervor, nahm eins der darin befindlichen Papiere heraus und reichte es ihm. Der Beamte blickte hinein, prüfte es und sagte dann erstaunt:

Der Beamte las die Documente durch.

»Wirklich ein giltiger Paß, lautend auf Capitän William Saunders, der sich von New-Orleans nach Mexiko begeben will.«

»Hoffentlich stimmt auch das Signalement?«

»Allerdings. In dieser Nase kann man sich nicht irren. Aber wie kommen Sie nach Deutschland, anstatt nach Mexiko?«

»Ich war dort.«

»Können Sie das beweisen?«

»Ich denke es. Haben Sie vielleicht einmal von einem gewissen Sir Henry Lindsay, Graf von Nothingwell, gehört?«

»Ich glaube. War es nicht jener englische Bevollmächtigte, welcher den Auftrag hatte, Juarez Waffen zu bringen?«

»Ja. Hier ist ein Zeugniß von ihm.«

Er gab ein zweites Papier hin. Der Beamte las es durch und sagte dann, mehr enttäuscht, als erstaunt:

»Sie sind der Führer und Begleiter dieses Mannes gewesen?«

»Ja. Und kennen Sie diesen Juarez, von dem Sie soeben sprachen?«

»Natürlich. Wer sollte den Präsidenten Juarez von Mexiko nicht kennen!«

»Nun, hier haben Sie noch so ein Papier.«

Er reichte ein drittes Papier hin. Jetzt wurde der Commissär ganz betreten. Er rief aus:

»Mann, das ist ja eine ganz warme Empfehlung des Präsidenten, geschrieben in englischer und französischer Sprache!«


// 2124 //

»Allerdings.«

»Kennen Sie ihn persönlich?«

»Sehr gut. Aber, kennen Sie vielleicht auch einen gewissen Sennor oder vielmehr einen gewissen Herrn von Magnus?«

»Meinen Sie etwa den jetzigen preußischen Geschäftsträger in Mexiko?«

»Ja.«

»Was ist mit ihm?«

»Hier.«

Er reichte ein viertes Schreiben hin. Als der Beamte es durchgelesen hatte, betrachtete er sich den Mann noch einmal und sagte dann:

»Das ist ein Paß dieses königlichen Beamten. Wie kommen Sie zu ihm?«

»Er hat ihn mir ausgestellt.«

»Nein, ich meine, wie Sie zu Herrn von Magnus kommen.«

»Ich habe bei ihm gespeist.«

»Eingeladen?«

»Natürlich.«

»Aber, Capitän, das muß ich sagen, Sie haben mich da förmlich an der Nase herum geführt!«

»In wiefern?«

»Diese Waffen sind Ihre Jagdwaffen?«

»Allerdings.«

»Mit diesem Messer sind wohl Menschen erstochen worden - Indianer.«

»O, auch Weiße.«

»Das ist da drüben nichts Ungewöhnliches, uns aber geht es nichts an. Und dieser Anzug ist eine mexikanische Kleidung, die Sie in diesem Reiche getragen haben!«

»Ja. Ich gehe gewöhnlich mehr als einfach, aber wenn man beim preußischen Geschäftsträger zu erscheinen hat, so legt man etwas Besseres an. Das werden Sie einsehen.«

»Erlauben Sie mir die Frage, was Sie nach Deutschland führt.«

»Familien- und politische Angelegenheiten.«

»Familiensachen? Haben Sie Verwandte hier?«

»Nicht Verwandte, sondern Bekannte.«

»Wo?«

»In Rheinswalden.«

»Ah, ich kenne die dortigen Bewohner. Wen meinen Sie?«

»Alle.«

»Alle? Wie habe ich das zu verstehen?«

»Na, den Herzog von Olsunna nebst allen seinen Verwandten.«

»Wetter! Wie kommen Sie zu dieser Bekanntschaft?«

»Ich? Gerade so wie Sie dazu gekommen sind.«

»Ah! Verzeihung! Es mag sein, daß ich nach diesen Privatsachen kein Verlangen zu fragen habe. Aber Sie sprachen da auch noch von politischen Angelegenheiten. Was habe ich darunter zu verstehen?«


// 2125 //

»Dinge und Verhältnisse, auch Aufträge, von denen ich hier natürlich nicht zu reden habe. Das werden Sie einsehen.«

»Gut. Aber darf ich nicht vielleicht erfahren, wohin Sie von hieraus reisen werden?«

»Nach Berlin.«

»Ah! Mit geheimen Aufträgen?«

»Möglich. Sie sehen also ein, daß ich mich nicht in Gegenwart Ihres Bruders vernehmen lassen konnte.«

»Allerdings.«

»Und daß ich nicht der Mann bin, mir von einem Polizisten Prügel anbieten zu lassen.«

»Ich bitte um Entschuldigung.«

Der Beamte war fest überzeugt, daß Geierschnabel wirklich das sei, wofür er sich ausgab. Die Papiere waren unzweifelhaft echt. Er sagte sich, daß eine Beschwerde dieses merkwürdigen Mannes ihn selbst und seine Untergebenen in Ungelegenheiten bringen könne; daher bequemte er sich zu einer Bitte um Entschuldigung. Aber Vieles war ihm an dem Fremden geradezu unbegreiflich. Darum fragte er:

»Sie waren bereits in Rheinswalden?«

»Ja. Auch in Rodriganda.«

»Und haben mit den Herrschaften gesprochen?«

»Mit allen.«

»Auch mit den Damen?«

»Das versteht sich.«

»Mein Gott! Etwa auch in dieser Kleidung?«

»Fällt mir nicht ein. Ich habe mir diese Sachen ja erst vorhin bei dem Juden gekauft.«

»Ah! Sie haben sich in Ihrer mexikanischen Nationaltracht vorgestellt?«

»Bewahre. Solchen Prassel habe ich nicht gemacht.«

»Was hatten Sie denn an?«

»Dieses Habit, oder wenigstens ein ähnliches.«

Er griff in den Sack und zog Sachen hervor, welche denen, die er in Rheinswalden und Rodriganda getragen hatte, vollständig ähnlich waren: eine alte baumwollene Jacke und Hose, seit mehreren Jahren nicht in die Hand einer Wäscherin gekommen.

Der Beamte trat erschrocken mehrere Schritte zurück und rief:

»In diesen Lumpen?«

»Ja.«

»Die Frau Herzogin hat Sie so gesehen?«

»Natürlich.«

»Die Gräfin Rodriganda?«

»Ja, und auch ihre Tochter, das Waldröschen.«

»Sind Sie gescheidt?«

»Hm. So ziemlich.«


// 2126 //

»Aber Mann! Sie haben ja Geld genug, sich eine andere Kleidung zu kaufen!«

»Das habe ich ja auch gethan.«

»Die Sie jetzt anhaben? Die ist ja noch viel lächerlicher!«

»Pah! Mir gefällt sie. Sie sollten einmal sehen, wie die Apachen und Comanchen staunen würden, wenn ich jetzt so vor sie treten könnte. Sie würden mich für den größten Häuptling der Welt halten, und zwar dieses famosen Frackes wegen.«

»Wieso?«

»Weil an demselben so große Knöpfe sind, wie sie in ihrem ganzen Leben nicht gesehen haben.«

»Aber Sie befinden sich hier doch weder bei den Comanchen noch bei den Apachen.«

»Das ist egal. Ein tüchtiger Apache ist zehnmal gescheidter wie ein Mainzer Polizist.«

»Herr, Sie werden witzig!« lachte der Beamte. »Es mag sein, daß Sie von einem Wilden nicht arretirt worden wären. Hier aber kann ich Ihnen nicht garantiren, daß es nicht noch einmal geschieht. Ich rathe Ihnen wirklich, den Anzug zu wechseln.«

»Er bleibt. Ich thue nichts Böses. Wer mich arretirt, blamirt sich selbst. Hat der Deutsche nicht die Freiheit, sich zu kleiden, wie es ihm beliebt, Herr Commissar?«

»O doch.«

»Nun, so will auch ich von dieser Freiheit Gebrauch machen. Wie steht es, werde ich noch in die Zelle gesteckt?«

»Nun, da Sie sich legitimirt haben, keineswegs.«

»Ich bin auch bereit, zu warten. Schicken Sie, wenn Sie ja noch zweifeln sollten, einen Boten nach Rheinswalden, um sich nach mir zu erkundigen.«

»Das ist nicht nöthig. Sie sind entlassen.«

»Schön. Da will ich Ihnen denn für angenehme Unterhaltung meinen Dank sagen. Wissen Sie nun, warum ich mich so und nicht anders kleide?«

»Nun warum?«

»Nur der Unterhaltung wegen. Ich bin so eine alte Art von Spaßvogel und nichts macht mir mehr Vergnügen, als wenn ich über andere Leute zuletzt lachen kann. Adieu, Sennor Commissario!«

Während der letzten Worte hatte er Alles wieder in seinen Sack zurückgesteckt und diesen nebst der Büchse über die Schulter geworfen. Dann schritt er zur Thüre hinaus.

»Welch ein Mensch,« meinte der Commissar zu dem erstaunten Polizisten. »So ein sonderbarer Heiliger ist mir in meinem ganzen Leben noch nicht vorgekommen.«

»Waren denn die Papiere wirklich echt, Herr Commissar?«

»Natürlich.«

»Aber die Menschen werden wieder hinter ihm herlaufen!«

»Leider! Aber ihm macht das Spaß.«

»Würde es nicht besser sein, einen Collegen in Civil nachzusenden, um wenigstens einen allzugroßen Auflauf zu verhüten?«


// 2127 //

»Das können wir thun. Man muß ihm bis zum Bahnhofe nachgehen.«

Dies geschah. Geierschnabel wanderte, angestaunt und auch gefolgt von neugierigen Menschen, nach dem Bahnhofe. Dort betrachtete er sich die Inschriften über den Thüren, löste sich ein Billet erster Classe, wartete aber bis zum Abgange des Zuges in dem Wartezimmer dritter Classe. Als der Train bereit stand, wurde er erst im letzten Augenblicke von einem Beamten darauf aufmerksam gemacht, daß er schleunigst einsteigen müsse, wenn er noch mit fortkommen wolle. Er eilte hinaus und bemerkte mit einem raschen Blicke seiner scharfen Augen, daß nur ein einziges Coupee erster Classe vorhanden sei. Der Schaffner, an welchen er sich wendete, blickte ihn erstaunt an.

»Erster Classe wollen Sie fahren?« fragte er.

»Ja.«

»Wirklich erster?« wiederholte der Mann, der es gar nicht begreifen wollte, daß ein so gekleideter Mensch sich der besten Classe bedienen wolle.

»Zum Donnerwetter, ja doch,« antwortete der Gefragte.

»Haben Sie ein Billet?«

»Das versteht sich!«

»Zeigen Sie einmal!«

Geierschnabel gab ihm das Billet. Der Schaffner überzeugte sich, schüttelte den Kopf und meinte dann:

»Na, da steigen Sie schnell ein, es läutet soeben zum dritten Male.«

Der sonderbare Passagier wurde sammt Büchsenfutteral, Leinwandsack und Posaune schleunigst in das Coupee geschoben. In demselben Augenblicke pfiff die Maschine, die Thür wurde zugeschlagen und der Zug setzte sich in Bewegung.

»Kreuzmillion,« tönte es dem Jäger zornig entgegen. »Was fällt Ihm ein?«

Der, welcher diese Worte ausrief, der einzige Passagier, welcher bereits in dem Coupee saß, war kein Anderer als - Lieutenant Ravenow.

»Geht Ihm nichts an,« antwortete Geierschnabel kurz.

Er legte seine Sachen ab und streckte sich behaglich auf das Polster nieder. Damit aber war der einstige Offizier keineswegs einverstanden.

»Hat Er denn ein Billet erster Classe?« fragte er.

»Geht Ihm abermals nichts an!« lautete die Antwort.

Da riß der Lieutenant das Fenster auf, um den Schaffner zu rufen, welcher aber bereits in seinem Dienstcoupee verschwunden war. Er wendete sich wüthend zurück und sagte:

»Das geht mich gar wohl etwas an. Ich muß und will mich überzeugen, ob Er wirklich berechtigt ist, hier einzusteigen.«

»Sei Er doch froh, daß ich Ihn nicht darnach frage. Es ist übrigens eine Ehre für Ihn, daß ich mich herablasse, mit Ihm zu fahren.«

»Kerl, nenn Er mich nicht Er. Wenn Er erster Classe fahren will, so hat Er sich nach den in derselben gebräuchlichen Umgangsformen zu richten, sonst lasse ich Ihn hinausschaffen.«

»Ah, so hat Er wohl ein Billet vierter Classe genommen, weil Er sich der in derselben gebräuchlichen Umgangsformen befleißigt? Wer hat mit dem »Er«


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begonnen, Er oder ich? Wenn Er mich provociren will, so werde nicht ich hinausgeschafft, sondern Er selbst ist es, den ich an die Luft setzen lasse.«

»Himmeldonnerwetter! Will Er eine Ohrfeige haben, Er Lump Er?«

»O, ich kann auch ganz mit derselben Waare dienen. Hier hat Er eine Probe davon. Sie wird wohl gut gerathen.«

Er holte mit der Schnelligkeit des Blitzes aus und gab ihm eine so kräftige Ohrfeige, daß der Getroffene der Art mit dem Kopfe an die Wand flog, daß ihm für kurze Zeit die Gedanken vergingen.

»So,« meinte Geierschnabel. »Ist es Ihm erwünscht, so bin ich bereit, Ihn ganz nach Probe weiter zu bedienen.«

Der Lieutenant hielt eine Zeit lang die beiden Hände vor das Gesicht. Kaum aber war es ihm gelungen, seine Gedanken zu sammeln, so fuhr er wie ein Wüthender empor.

»Hund,« brüllte er. »Du wagst, mich zu schlagen? Ich massacrire Dich.«

Er warf sich auf Geierschnabel, um ihn bei der Gurgel zu fassen, erhielt aber, ehe ihm dies gelang, eine zweite und so gewaltige Ohrfeige, daß er zurückflog und auf den Boden des Coupee's stürzte.

»So, alter Junge!« lachte Geierschnabel. »Die erste für den »Lump« und die zweite für den »Hund«. Hat Er noch mehrere solche Worte in petto, so bin ich zu einer gleichen Antwort gern bereit.«

Ravenow raffte sich auf. Seine Wange brannte, und seine Augen waren vor Grimm von Blut unterlaufen.

»Canaille!« knirschte er, fast sinnlos vor Wuth. »Was mache ich mit Dir? Ich erwürge Dich.«

Er drang abermals auf Geierschnabel ein, ohne zu bedenken, daß er sich ja nur einer Hand zu bedienen vermochte, und daß er soeben den Beweis erhalten hatte, daß er auch mit zwei Händen diesem Manne nicht gewachsen sei.

Jetzt erhob sich auch Geierschnabel, welcher bis jetzt sitzen geblieben war. Er faßte ihn mit der Linken bei der Brust und schüttelte ihn und antwortete:

»Canaille? Gut, Du willst es nicht anders, und ich kann Dir ja den Willen thun!«

Er drängte ihn mit unwiderstehlicher Gewalt in die Ecke, beohrfeigte ihn mit der Rechten auf beiden Seiten und ließ ihn dann in den Sitz niederfallen.

»So,« sagte er dann. »In Deutschland scheint man sich in den Coupees erster Classe ganz angenehm zu unterhalten. Ich bin zur Fortsetzung bereit.«

Er setzte sich unerregt und in größter Seelenruhe wieder nieder. Der Lieutenant aber kochte förmlich. Seine Brust arbeitete mit aller Macht, seine Hand hatte sich krampfhaft geballt, und aus seiner Nase floß das Blut. Er fand vor Aufregung keine Worte, er stöhnte nur, und es war ihm geradezu unmöglich, sich zu bewegen. Und als erst nach geraumer Zeit er Sprache und Beweglichkeit wiedergefunden hatte, gab die Locomotive das Zeichen, daß der Zug sich einer Station nähere.

Ravenow flog an das Fenster und riß es auf.

»Schaffner! Conducteur! Hierher, hierher,« brüllte er, trotzdem der Zug noch lange nicht im Stehen war.


// 2129 //

Die Räder rasselten, und die Hemmungen kreischten, der Train hielt.

»Schaffner, hierher,« brüllte der Offizier abermals.

Der Gerufene hörte dem Tone dieser Stimme an, daß hier Eile gewünscht werde. Er kam rasch herbeigesprungen und fragte:

»Mein Herr, was wünschen Sie?«

»Machen Sie auf und bringen Sie den Zugführer und den Vorstand dieser Haltestation!«

Der Angeredete öffnete, und Ravenow sprang hinaus. Die beiden gewünschten Herren kamen schleunigst herbei.

»Meine Herren, ich habe Ihre Hilfe in Anspruch zu nehmen,« sagte Ravenow.

»In welcher Angelegenheit?« fragte der Zugführer.

»Hier zunächst meine Karte. Ich bin Graf Ravenow, Oberlieutenant. Man hat mich hier in diesem Coupee überfallen.«

»Ah! Wer?« fragte der Stationsvorsteher.

»Dieser Mensch!«

Der Lieutenant deutete bei diesen Worten auf Geierschnabel, welcher behaglich in dem jetzt offenen Coupee saß und sich die Scene in größter Gemüthsruhe betrachtete.

»Dieser Mann? Wie kommt der in ein Coupee erster Classe?«

Die beiden Bahnbeamten traten näher, um sich den Amerikaner genauer zu betrachten.

»Wie kommen Sie hier herein?« fragte in strengem Tone der Stationsvorsteher, welcher es übernommen zu haben schien, in dieser Angelegenheit das Wort zu führen.

»Hm. Eingestiegen bin ich,« lachte Geierschnabel.

»Das versteht sich ganz von selbst. Aber Sie gehören doch nicht in dieses Coupee.«

»So? Ah! Warum nicht?«

»Haben Sie ein Billet erster Classe?«

»Das hat er,« bestätigte der Schaffner des betreffenden Wagens.

»Auch nicht übel,« meinte der Vorsteher. »Solche Leute und erster Classe. Herr Graf von Ravenow, darf ich Sie fragen, was Sie unter dem Worte »überfallen« verstehen?«

»Er ist über mich hergefallen und hat mich geschlagen.«

»Ist das wahr?« fragte der Inquirirende den Amerikaner.

»Ja,« nickte dieser sehr freundlich.

»Warum? Welchen Grund hatten Sie dazu?«

»Er nannte mich zunächst einen Lump, sodann einen Hund und zuletzt gar eine Canaille. Für jedes dieser Worte habe ich ihm eine Ohrfeige gegeben. Haben Sie etwas dawider?«

Der Vorsteher beachtete diese Frage nicht, sondern wandte sich an den vormaligen Lieutenant:

»Ist es wahr, daß Sie sich dieser Ausdrücke bedienten?«

»Es fällt mir nicht ein, es zu leugnen. Sehen Sie den Menschen an. Soll ich mir etwa gefallen lassen, mit dergleichen Gelichter zusammen zu treffen, wenn ich erste Classe bezahle?«

»Hm! Ich kann Ihnen allerdings nicht widersprechen, denn - -«


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»Oho,« unterbrach ihn Geierschnabel. »Habe ich etwa nicht ganz dasselbe bezahlt?«

»Das mag sein,« meinte der Vorstand achselzuckend.

»Gehe ich zerrissen oder zerlumpt?«

»Das grad nicht, aber ich meine - -«

»Oder bin ich mit einem häßlichen Gebrechen behaftet?«

»Man sieht freilich nichts davon.«

»Oder bin ich betrunken?«

»Das müßte untersucht werden.«

»Schön! Untersuchen Sie es. Ich bin neugierig, wie Sie das anfangen werden.«

In diesem Augenblicke gab der Maschinist durch einen kurzen Pfiff das Zeichen, daß die Zeit verflossen sei.

»Meine Herren,« meinte da Ravenow, »ich höre, daß man fertig zum Abfahren ist. Ich verlange die exemplarische Bestrafung dieses frechen Menschen.«

»Frech?« rief Geierschnabel. »Willst Du eine vierte Ohrfeige?«

»Ruhe,« gebot ihm der Stationsvorsteher. »Wenn Sie seine Bestrafung verlangen, so muß ich Sie ersuchen, die Reise zu unterbrechen, um Ihre Aussage zu Protokoll zu geben.«

»Dazu habe ich keine Zeit. Ich muß zur bestimmten Zeit in Berlin sein.«

»Das thut mir leid. Ich brauche Ihre Gegenwart.«

»Soll ich eines obscuren und frechen Menschen wegen meine kostbare Zeit opfern?«

»Das ist allerdings wahr.«

»Ich halte es übrigens gar nicht für nothwendig, hier ein Protokoll abzufassen. Arretiren Sie den Kerl einfach, lassen Sie ihn vernehmen, und dann mögen die Acten nach Berlin geschickt werden, um meine Aussage aufzunehmen. Meine Adresse haben Sie ja auf dieser Karte.«

»Ich stehe zu Diensten, gnädiger Herr.«

Mit diesen Worten trat der Beamte an die Thür des Coupee's.

»Steigen Sie aus,« gebot er Geierschnabel.

»Ich? Warum?« fragte dieser.

»Sie sind Arrestant!«

»Alle Wetter! Ich muß nach Berlin, ganz ebenso wie dieser Graf.«

»Geht mich nichts an.«

»Ich habe ebenso bezahlt wie er.«

»Ist gleichgiltig.«

»Er selbst ist schuld an dem ganzen Vorgange.«

»Das wird sich finden. Steigen Sie aus!«

»Fällt mir nicht ein.«

»So werde ich Sie zu zwingen wissen.«

»Machen Sie keine Umstände mit ihm,« meinte Ravenow.

»Ich war dabei, als er bereits in Mainz arretirt wurde. Er ist ein Vagabund, der aus potenzirter Frechheit erster Classe fährt.«

»So, so! Also bereits einmal arretirt. Steigen Sie aus.«

»Wenn ich zum Aussteigen gezwungen werde, verlange ich ganz dasselbe auch für den Grafen,« erklärte Geierschnabel.


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»Halten Sie den Mund. Sie haben sich an ihm vergriffen.«

»Er hat bereits gestanden, daß er mich vorher beleidigt hat.«

»Sie gehören nicht in die erste Classe.«

»Das zu beweisen, dürfte Ihnen große Mühe machen. Ich erkläre, daß ich ganz dieselben Rechte beanspruche, da ich ganz dasselbe Geld bezahlt habe.«

»Ihr Recht wird Ihnen werden. Aussteigen.«

»Ich bin bereit, mich zu legitimiren.«

»Dazu ist nachher Zeit.«

»Donnerwetter, ich will es aber jetzt.«

»Zügeln Sie Ihr Mundwerk. Wollen Sie endlich aussteigen, oder soll ich meine Hilfsarbeiter herbeirufen?«

»Gut. Sie lassen mich nicht weiter fahren?«

»Nein.«

»Ich mache Sie darauf aufmerksam, daß Sie den Schaden zu tragen haben werden.«

»Wollen Sie mir noch drohen?«

»Ich komme schon, alter Freund.«

Bei diesen Worten stieg Geierschnabel aus, warf Leinwandsack und Gewehr über, ergriff seine Posaune und wartete, was nun mit ihm geschehen werde. Die Blicke der sämmtlichen anwesenden Menschen waren auf ihn gerichtet, er jedoch achtete gar nicht darauf.

Der Graf stieg mit triumphirender Miene ein und verabschiedete sich mit einem gnädigen Kopfnicken von den Beamten. Der Stationsvorstand gab das Zeichen, daß der Zug abgehen könne, ein drittmaliges Läuten der Glocke, ein kurzer Pfiff des Zugführers, und die Räder setzten sich in Bewegung.

»Kommen Sie,« gebot der Stationsvorstand seinem Gefangenen.

»Wohin?« fragte dieser.

»Zum Verhöre.«

»Hm! Da bin ich neugierig.«

Sie begaben sich nach der Expedition des Vorstehers, welcher nach Polizei schickte. Die betreffende Station war ein kleiner Ort, an welchem zwar ein Gensdarm stationirt war, der aber wegen seiner anderweiten Pflichten nicht bei jedem Zuge auf dem Bahnhofe zu erscheinen hatte. Darum dauerte es einige Stunden, ehe er herbeigeschafft werden konnte.

Geierschnabel hatte sich bis dahin ganz ruhig verhalten, zumal auch der Vorstand sich nicht die Mühe gegeben hatte, ein Gespräch mit ihm anzuknüpfen. Jetzt aber theilte der Letztere dem Gensdarmen das Geschehene mit.

Der Gensdarm betrachtete sich den Gefangenen mit hochmüthigen Blicken und fragte ihn dann:

»Sie haben den Grafen von Ravenow beohrfeigt?«

»Ja,« antwortete Geierschnabel.

»Dreimal?«

»Ja.«

»Warum?«

»Weil er mich dreimal beleidigte.«


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»Er hat Sie nur darauf aufmerksam gemacht, daß Sie nicht in ein Coupee erster Classe gehören.«

»Donnerwetter! Mit eben demselben Rechte könnte ich sagen, daß die gegenwärtige Angelegenheit Ihnen nichts angeht!«

»Das würde ich mir verbitten!«

»Ebenso habe ich mir die Bemerkungen des Grafen verbeten. Er hat mich Lump, Hund und Canaille genannt, nachdem ich ihm nicht das Geringste zu Leide gethan hatte. Wer ist da der Schuldige?«

»Sie hatten nicht zu schlagen.«

»Er hatte nicht zu schimpfen. Uebrigens gestehe ich Ihnen aufrichtig, daß ich auch Sie beohrfeigen würde, wenn Sie sich erlauben wollten, in gleicher Weise unhöflich gegen mich zu sein.«

»Was! Sie drohen mir?«

»Unsinn! Ich vertheidige nur meine Ansicht, daß auf ein solches Schimpfwort eine Ohrfeige gehört.«

»Sie hätten ihn anzeigen können.«

»Habe keine Zeit dazu. Ebenso konnte er mich anzeigen, anstatt mich zu beschimpfen, wenn er wirklich meinte, daß ich nicht in sein Coupee gehörte.«

»Sie scheinen allerdings nicht in die erste Classe, sondern viel eher in die vierte zu gehören.«

»Himmeldonnerwetter! Wollen Sie es ebenso machen wie dieser ehrenhafte Graf, so dürfen Sie sich auch nicht beklagen, wenn ich Sie ebenso behandele wie ihn!«

»Ah! Meinen Sie etwa Ohrfeigen?«

»Ich meine gar nichts; aber ich will Ihnen sagen, daß bei mir Wort und Hieb zusammenzufallen pflegt. Mich hat man arretirt und den wirklich Schuldigen mit großen Complimenten entlassen. Aber wir wollen sehen, ob ich einem Lieutenant nachzustehen brauche. Wissen Sie, wer und was ich bin?«

»Das werde ich schon erfahren,« meinte der Polizist. »Haben Sie Legitimation bei sich?«

»Das versteht sich. Ich habe mich bereits dem Herrn Stationsvorsteher legitimiren wollen, er aber hat es mir nicht erlaubt. Den Schaden wird er natürlich zu tragen haben.«

»So zeigen Sie her!«

Geierschnabel zog alle die Documente hervor, welche er bereits dem Polizeikommissar zu lesen gegeben hatte. Der Gensdarm las sie durch und sein Gesicht wurde dabei immer länger. Als er fertig war, sagte er:

»Himmelelement, ist das eine verdammte Geschichte!«

»Was?« fragte der Stationsvorsteher neugierig.

»Dieser Frack und dieser verdammte Anzug können Einen irre machen. Wissen Sie, Herr Vorsteher, was dieser Herr ist?«

»Nun?«

»Zunächst Prairiejäger und dabei amerikanischer Offizier, nämlich Capitän.«

»Unmöglich!«

»Nein, wirklich! Mein bischen Schulfranzösisch reicht gerade zu, um diese


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anderen Papiere passabel zu entziffern. Der Herr Capitän ist Gesandter des Präsidenten Juarez von Mexiko.«

Der Bahnbeamte erbleichte.

»Wirklich?« fragte er. »Sind diese Papiere denn richtig?«

»Das versteht sich. Und da ist noch eine Empfehlung des Herrn von Magnus, welcher preußischer Geschäftsträger in Mexiko ist.«

»Wer hätte das gedacht!«

Die beiden Männer blickten einander ganz fassungslos an.

»Na, wie steht es nun?« fragte Geierschnabel.

»Aber, mein Herr, warum kleiden Sie sich in dieser Weise!« rief der Stationsvorsteher.

»Darf ich mich etwa nicht kleiden, wie es mir beliebt?«

»O doch. Aber Ihr Gewand ist schuld, daß wir Sie für etwas ganz Anderes gehalten haben, als Sie sind.«

»Mein Gewand? Pah! Suchen Sie keine Entschuldigung. Nicht mein Gewand ist schuld, sondern Sie selbst haben sich anzuklagen.«

»Ich wüßte nicht, weshalb.«

»Ich habe Ihnen angeboten, mich zu legitimiren. Sie haben mir das nicht erlaubt; das ist die Schuld. Was wird nun geschehen?«

»Sie sind natürlich frei,« sagte der Gensdarm.

»Trotzdem ich den Lieutenant beohrfeigt habe?«

»Ja. Es ist das eine gegenseitige Beleidigung, welche nur auf Antrag bestraft wird. Der Graf mag diesen Antrag stellen; mich geht das nichts an.«

»So. Hm. Das ist interessant! Weil ich Offizier und so weiter bin, läßt man mich laufen, wäre ich das nicht, so hätte man mich eingesperrt, weil der hochgnädige Graf es haben wollte. Der Teufel hole diese liebenswürdige Art der Gerechtigkeit!«

»Entschuldigung, Herr Capitän,« meinte der Bahnbeamte. »Der Graf sagte, Sie hätten ihn angefallen.«

»Was weiter?«

»Daraus mußte ich schließen, daß es sich um einen strafbaren Angriff handele.«

»Unsinn! Er hat zugegeben, daß meine Ohrfeigen nur die Antworten auf seine Beleidigungen seien.«

»Aber Ihr Aeußeres! Ihre Posaune!«

»Schweigen Sie! Meine Posaune hat hierbei gar nichts verschuldet. Wissen Sie überhaupt, ob der Mensch, welchen ich beohrfeigt habe, wirklich Graf von Ravenow ist, für den er sich ausgab?«

»Natürlich.«

»So? In wiefern denn?«

»Er hat sich ja legitimirt!«

»Davon weiß ich nichts.«

»Er gab mir seine Karte.«

»Donnerwetter! Meine Legitimationen wurden gar nicht angesehen und die Karte dieses Menschen hatte Geltung. Eine solche Karte kann sich jeder Schwindler


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anfertigen lassen. Ihre Unvorsichtigkeit wird Ihnen noch ganz bedeutend zu schaffen machen!«

Der Bahnbeamte erschrak.

»Ich hoffe, daß der Herr Capitän sich mit meiner Bitte um Verzeihung zufrieden giebt,« sagte er.

»Zufrieden? Ich? Na, meinetwegen! Ich bin einmal eine alte, gute Seele. Wie aber Andere die Sache aufnehmen werden, das weiß ich nicht.«

»Andere? Darf ich fragen, wer da gemeint ist?«

»Hm. Eigentlich nicht. Aber unter dem Siegel des Dienstgeheimnisses will ich es Ihnen anvertrauen. Ich gehe zu Herrn von Bismarck.«

Der Stationsvorsteher trat einen Schritt zurück.

»Zu Bismarck!« rief er, ganz und gar erschrocken.

»Ja.«

»Ich hoffe, daß da das fatale Vorkommniß nicht in Erwähnung genommen wird.«

»Nicht? Im Gegentheile! Ich muß es sehr ausführlich erwähnen.«

»Dürfte das nicht zu umgehen sein, Herr Capitän?«

»Nein. Ich muß doch sagen, warum ich zu der anberaumten Conferenz nicht erscheinen kann.«

Jetzt war es dem Beamten, als ob er eine fürchterliche Ohrfeige erhalten hätte. Er blickte den Amerikaner ganz erstarrt an und fragte:

»Eine Conferenz?«

»Ja, eine wichtige, diplomatische Conferenz, welche ich nun versäumen werde. Hätten Sie meine Legitimationen gelesen!«

»Mein Gott, ich bin verloren!«

»Das glaube ich auch; aber mich geht es ganz und gar nichts an.«

»Kommen denn der Herr Capitän nicht noch zur rechten Zeit, wenn Sie den nächsten Zug benutzen?«

»Nein. Es war genau auf die Viertelstunde ausgerechnet.«

»Welch ein Malheur! Was ist da zu thun?«

»Gar nichts. Oder glauben Sie etwa, daß ich, um Ihre Dummheiten gut zu machen, einen Extrazug nehmen werde?«

Da athmete der geängstigte Mann tief auf.

»Einen Extrazug?« fragte er. »Ah, das ginge! Das wäre das einzige Mittel, die verlorene Zeit wieder einzubringen.«

»Das ist freilich wahr; aber ich werde mich nicht dazu verstehen.«

»Darf ich fragen, warum?«

»Ihr ganzes Verhalten war eine einzige große Beleidigung gegen mich. Soll ich diese Beleidigung etwa noch belohnen?

Soll ich sie etwa noch mit dem Preise für einen Extrazug bezahlen?«

»Herr Capitän, das verlange ich ja gar nicht.«

»Nicht? Was denn?«

»Ich stelle Ihnen eine Maschine mit Wagen kostenfrei zur Verfügung.«

»Hm. Das ließe sich vielleicht überlegen.«


// 2135 //

»Die Maschine bringt Sie, wenn Sie den Zug nicht eher erreichen, bis Magdeburg, wo Sie ihn dann sicherlich noch treffen.«

»Wann könnte es hier fortgehen?«

»Gleich allerdings noch nicht. Ich muß nach Mainz um die Maschine und den Wagen telegraphiren.«

»Eine verdammte Geschichte!«

»Sie können überzeugt sein, daß es mir ebenso unangenehm ist. Ich bitte ganz dringend, auf meinen Vorschlag einzugehen. Ich bedaure, einen Fehler begangen zu haben, aber Sie werden mir nicht die Gelegenheit versagen, ihn wieder gut zu machen.«

Geierschnabel blickte ihm nachdenklich in das Gesicht. In seinen Zügen zuckte es eigenthümlich. Er rieb sich die Nase, machte sodann ein pfiffiges und höchst vergnügtes Gesicht und fragte:

»Sagte dieser Graf nicht, daß er nach Berlin wolle?«

»Ja.«

»Fährt er über Magdeburg?«

»Bebra und Magdeburg.«

»Muß er in Magdeburg aussteigen?«

»Er wird aussteigen. Es ist ein längerer Aufenthalt da.«

»Und ich kann den Zug vor Magdeburg noch einholen?«

»Es kann eingerichtet werden, daß Sie ihn auf einer Nebenstation überholen.«

»So daß ich also eher in Magdeburg bin als der Graf?«

»Ja.«

»Gut. Ich gehe auf Ihren Vorschlag ein.«

»Sie erlauben also, daß ich telegraphire?« fragte der Mann erfreut.

»Ja.«

»Und werden die Güte haben, meinen Irrthum nicht zu erwähnen?«

»Na, ärgerlich war die Geschichte, doch, ich will sie hingehen lassen. Aber sagen Sie, haben Sie hohes Einkommen?«

»Nein.«

»Und der Extrazug ist theuer?«

»Ich werde leider sehr lange Zeit an den Folgen dieser Ausgabe zu leiden haben.«

»Hm. Es ist Ihnen schon recht, mich aber dauert es. Wie wäre es, wenn wir die Kosten unter einander theilten?«

Da klärte sich das Gesicht des Mannes blitzschnell auf.

»Herr, ist das wahr?« fragte er.

»Ja. Was will ich denn weiter thun, wenn ich Sie nicht unglücklich machen will!«

»Ich danke Ihnen. Sie zeigen hier, daß Sie in Wahrheit ein Amerikaner sind.«

»Wieso?«

»Gentleman.«

Geierschnabel fühlte sich geschmeichelt. Er machte abermals ein höchst pfiffiges Gesicht und sagte:

»Besser wäre es aber wohl, wenn ich sämmtliche Kosten trüge?«


// 2136 //

»So, daß ich gar nichts zu bezahlen brauchte?«

»Ja.«

»Allerdings wäre mir das am Allerliebsten, Herr Kapitän.«

»Na, da mag es sein. Ich zahle also Alles.«

»Wirklich? Wirklich?« beeilte sich der Beamte zu fragen.

»Ja. Ich mache aber die Bedingung, daß ich vor dem Grafen in Magdeburg bin.«

»Ich werde dafür sorgen, daß dies geschieht.«

»Und sodann verlange ich von Ihnen einige Zeilen.«

»Welchen Inhaltes?«

»Daß ich mich legitimirt habe und daß Sie in Folge der Angaben des Grafen in Unannehmlichkeit gerathen sind.«

»Darf ich erfahren, welchen Gebrauch Sie mit diesen Zeilen machen wollen?«

»Der Graf wird mich in Magdeburg sehen und wohl von neuem Händel suchen. Ihre Zeilen sollen mir als Ausweis dienen, daß ich Ihnen nicht etwa entflohen bin.«

»Ich werde sie Ihnen schreiben, sobald ich die Depesche nach Mainz besorgt habe.«

»Thun Sie das. Nun Sie, Gensdarm! Ich bin also entlassen?«

»Ganz und gar, Herr Capitän,« antwortete der Polizist.

»So sind Sie unnütz bemüht worden.«

Der Mann zuckte die Achsel und meinte:

»Das muß man sich gefallen lassen.«

»Wirklich? Na, weil Sie sich so guten Muthes darein finden, will ich Ihnen diese Stimmung nicht verderben. Hier, nehmen Sie.«

Er griff in die Tasche, langte zwei Thalerstücke hervor und reichte sie ihm hin. Der also Beschenkte bedankte sich auf das Höflichste und verließ dann mit dem Stationsvorstande, welcher die Depesche besorgen wollte, das Zimmer. Draußen blieben die Beiden noch einige Minuten bei einander stehen.

»Eine eigenthümliche Geschichte,« meinte der Gensdarm.

»Und ein eigenthümlicher Kerl,« flüsterte der Bahnbeamte.

»Sie konnten da in bedeutende Verlegenheiten kommen.«

»Das ist richtig. Aber der Teufel mag es diesem Manne ansehen, daß er eine so wichtige Persönlichkeit ist!«

»Hm, dieser Frack!«

»Dieser Hut!«

»Diese Weste!«

»Lederhosen!«

»Ein Leinwandsack!«

»Eine alte Posaune! Unbegreiflich!«

»Aber Geld muß er haben, und zwar nicht wenig!«

»Das versteht sich ganz von selbst. Aber begreifen kann ich nicht, daß er in einem solchen Habite läuft.«

»Hm, ich habe einige amerikanische Reisen gelesen und dabei erfahren, daß


Ende der neunundachtzigsten Lieferung - Fortsetzung folgt.



Karl May: Waldröschen

Karl May – Forschung und Werk