Lieferung 83

Karl May

17. Mai 1884

Waldröschen
oder
Die Rächerjagd rund um die Erde.

Großer Enthüllungsroman
über die
Geheimnisse der menschlichen Gesellschaft

von

Capitain Ramon Diaz de la Escosura.


// 1969 //

»Kann ihn Einer von Euch nachmachen?«

»Ich,« antwortete Einer.

»Nun gut. Sollte ich die Schlucht nicht gleich wiederfinden, so werde ich diesen Ruf ausstoßen und Ihr antwortet. Man hört ihn in stiller Nacht sehr weit. Ich werde also nicht lange irre zu gehen brauchen.«

»Wann kommt Ihr wieder?«

»Ich weiß es nicht. Vielleicht komme ich gar nicht wieder. Wenn man mich ergreift, so ist es um mich geschehen.«

»Die heilige Madonna mag dies verhüten!«

»Bin ich zum Tagesgrauen noch nicht zurück, so braucht Ihr Euch nicht weiter um mich zu bekümmern und könnt dann Eure eigenen Schritte thun. Mein Pferd lasse ich da. Verhaltet Euch so ruhig, daß Ihr von den jedenfalls herumstreifenden Miztecas nicht entdeckt werdet! Jetzt lebt wohl!«

Der verwegene Jäger verschwand nach diesen Worten im Dunkel der Nacht.

Er hatte gesagt, daß er kein politischer Gesinnungsgenosse von Cortejo sei. Aber hätte er dessen Leben und Thaten genauer gekannt, so wäre es ihm jedenfalls gar nicht eingefallen, einen Schritt für ihn oder zur Rettung seiner Tochter zu thun.

Als er fort war, lagerten sich die Anderen auf dem Boden nieder. Sie theilten sich die von ihnen einzeln erlebten Episoden des heutigen Abends mit und forderten dann Cortejo auf, ihnen auch seine eigenen Erlebnisse wissen zu lassen.

Es lag in seinem Interesse, ihnen nicht Alles wissen zu lassen. Sie durften unmöglich erfahren, daß sein Zug nach dem Rio Grande del Norte vollständig mißglückt sei, und daß alle seine Begleiter den Tod gefunden hatten. Er theilte ihnen darum nur so viel mit, als er für vortheilhaft hielt. Er sagte, daß ihre Kameraden sich an dem soeben genannten Flusse versteckt hätten, um die reiche Beute zu erwarten, welche leider später komme, als vorher berechnet worden sei. Er selbst habe sich auf den Rückweg begeben, da er seine Anwesenheit auf der Hazienda für nothwendig gehalten habe. Dabei sei er in die Hände von Apachenindianern gefallen und am Auge verletzt worden.

Sie nahmen seine Darstellung für baare Münze auf.

»Aber was thun wir nun?« fragte Einer. »Die Hazienda ist zum Teufel!«

»Noch nicht,« antwortete Cortejo. »Es werden außer Euch noch Mehrere entkommen sein.«

»Wohl schwerlich. Wer sich nicht gleich in den ersten Augenblicken zu salviren verstanden hat, um den ist es ganz sicher geschehen.«

»Wir werden ja sehen. Hoffen wir das Beste. Bei Beginn des Tages wird es sich finden, ob Ihr die einzigen Geretteten seid. Giebt es noch Mehrere, so ziehen wir sie an uns, um uns zu verstärken.«

»Und dann? Die Hazienda bekommen wir doch nicht wieder.«

»Warum nicht?«

»Weil wir zu schwach dazu sind.«

»Es fragt sich sehr, ob diese tausend Miztecas da liegen bleiben.«

»Jedenfalls, wenn es so ist, wie dieser Amerikaner meinte, nämlich, daß sie es mit dem Präsidenten Juarez halten.«


// 1970 //

»So werden wir in kurzer Zeit auch wieder stärker sein.«

»In wiefern?«

»Meine Agenten werben unablässig und senden mir Leute aus den südlichen Gegenden herbei. Diese ziehen wir an uns.«

»Ah, sie werden uns nicht finden.«

»Ja, das denke ich auch,« meinte Manfredo. »Sie werden meinen, daß wir uns noch auf der Hazienda befinden und dort den Miztecas geradezu in die Hände laufen.«

»Wir werden das dadurch verhüten, daß wir sie unterwegs auffangen.«

»Wo?«

»An irgend einem passenden Ort, den wir uns erst suchen müssen.«

»Ein bewohnter Ort?«

»Nein, das ist zu gefährlich.«

»Ihr meint, daß wir uns wie Banditen in den Wald legen sollen?«

»In den ersten Tagen bleibt uns nichts Anderes übrig. Sind wir dann wieder stark genug, so ist es ja leicht, uns irgend eines Städtchens zu bemächtigen oder die Miztecas aus der Hazienda zu vertreiben.«

»Ich weiß etwas viel Besseres,« meinte Manfredo.

»Was?«

»Liegt nicht das alte Kloster della Barbara an unserem Wege?«

»Ja, grad an unserem Wege. Aber die Stadt Santa Jaga ist gut juaristisch gesinnt. Ihre Einwohner halten es mit dem Präsidenten.«

»Was geht das uns an, Sennor?«

»Sehr viel. Man würde uns abweisen oder, was noch viel schlimmer ist, gefangen nehmen und an Juarez abliefern.«

»Es ist wahr, daß wir dies zu erwarten hätten, wenn wir uns auf die Stadt verlassen wollten. Aber das Kloster liegt außerhalb derselben.«

»Was nützt uns das?«

»Wir brauchen gar nicht nach der Stadt, sondern wir nisten uns, ohne daß Jemand etwas erfährt, im Kloster ein.«

»Das ist unmöglich!«

»Wieso? Habt Ihr vorhin nicht gehört, daß mein Oheim, Pater Hilario, sich dort befindet?«

»Du meinst, daß dieser uns von Nutzen sein könnte?«

»Ja.«

»Zu welcher Partei hält er?«

»Zu jeder, welche gegen Juarez ist. Juarez hat das Kloster aufgehoben. Es bestand aus einem Mönchs- und einem Nonnenkloster. In dem Letzteren haben sich stets viele Töchter vornehmer Familien befunden, die dort erzogen wurden. Juarez meinte, es sei in den beiden Klöstern allerlei Unfug getrieben worden. Er hob es auf und machte eine Kranken- und Irrenanstalt daraus. Was gingen ihn die Klöster an? Sind die Nonnen und Mönche nicht auch Menschen?«

»Das ist wahr,« lachte Cortejo.

»Mein Oheim war Superior. Jetzt ist er blos ärztlicher Gehilfe. Er glüht von Haß gegen Juarez und wird uns mit Freuden aufnehmen.«


// 1971 //

»Aber die Anderen? Seine jetzigen Vorgesetzten?«

»Um diese kümmert er sich gar nicht; denn sie werden gar nicht bemerken, daß wir uns im Kloster befinden.«

»Ich denke im Gegentheile, daß unsere Gegenwart sofort bekannt werden wird. Man muß uns doch sehen und wird sich dann natürlich auch nach uns erkundigen.«

»Nein, man wird uns nicht sehen. Das Kloster hat so viele heimliche Gemächer und Gänge, daß wir um unsere Sicherheit und um ein gutes Unterkommen gar keine Sorge zu haben brauchen.«

»Sind diese Gänge und Gemächer nicht bekannt?«

»Nein. Mein Oheim ist der Einzige, der sie kennt. Die anderen Brüder des Ordens wurden nach allen Winden zerstreut, und nur Pater Hilarius durfte bleiben, weil er in der Heilkunde sehr erfahren war.«

»Das wäre allerdings sehr vortheilhaft für uns. Ich werde mir diesen Plan überlegen. Jetzt aber wollen wir still sein und ruhen. Wir wissen nicht, welche Anstrengungen der nächste Tag bringen wird. Ihr könnt versuchen, ein wenig zu schlafen. Ich werde wachen.«

Jetzt trat tiefe Stille ein, und da auch die Pferde kein Geräusch verursachten, so hätte ein zufälliger Weise in die Nähe kommender Mensch nicht ahnen können, daß hier dreizehn Mann lagen, welche kaum dem Tode entgangen waren und doch bereits wieder gegen die gesellschaftliche Ordnung ihre Pläne schmiedeten.

Sie Alle brachten es über sich, zu schlafen, nur Cortejo wälzte sich ruhelos hin und her. Sein Unternehmen am Rio Grande, von dem er sich so viel versprochen hatte, war gescheitert und er selbst als halb blinder Mann von demselben zurückgekehrt. Anstatt hier ein Asyl zu finden, hatte er die Hazienda verloren, und auch seine Tochter war gefangen. Geächtet und des Landes verwiesen, wußte er nicht, wo aus noch ein. Er schmiedete jetzt rachsüchtige Entwürfe und wurde in seinem Denken und Grübeln nur durch die Sorge gestört, welche ihm das lange Ausbleiben des Jägers verursachte.

Schon begann sich im Osten ein leichter, grauer Streifen zu bilden, um den Horizont anzudeuten, hinter welchem später die Sonne erscheinen werde, da hörte Cortejo am Eingange der Schlucht ein Steinchen rollen. Sofort sprang er auf und fragte mit halblauter Stimme, indem er zugleich zur Waffe griff:

»Wer ist da?«

»Gut Freund!« antwortete es mit ebenso gedämpfter Stimme.

»Aber wer?«

»Grandeprise.«

»Gott sei Dank!«

Diese Worte wurden mit einem so tiefen Seufzer ausgestoßen, daß man deutlich hören konnte, welche Beklemmung ihn bisher beherrscht hatte. Die Anderen waren erwacht und erhoben sich. Grandeprise stand bereits bei ihnen.

»Nun, wie ist es gegangen?« fragte Cortejo.

»Ziemlich gut,« antwortete der Amerikaner.

»Habt Ihr Nachricht?«

»Ich weiß, daß Eure Tochter noch lebt.«


// 1972 //

»Ach! Welch ein Glück! Wie habt Ihr es erfahren?«

»Ich habe es erlauscht. Aber ich weiß auch noch viel Wichtigeres.«

»O, das Wichtigste ist, daß Josefa nicht todt ist. Werden wir sie befreien können?«

»Das ist noch sehr ungewiß, Sennor.«

»Sie muß frei werden. Ich werde mein Leben daran setzen. Und Ihr habt mir ja versprochen, auch Euer Möglichstes zu thun.«

»Hm, ja!« dehnte der Jäger. »Aber ich habe nicht gewußt, welche berühmte Leute wir gegen uns haben.«

»Berühmte? Doch nur diese Miztecas.«

»Ja, wenn es doch nur diese wären! Aber wißt Ihr, unter wem diese Indianer stehen?«

»Nun, doch unter irgend einem ihrer sogenannten Häuptlinge?«

»Allerdings. Aber dieser Häuptling ist ein ganzer Kerl und wiegt schwerer als mancher mexikanische General.«

»Ich kenne keinen Miztecas, auf den man diese Worte anwenden könnte.«

»Nicht? Habt Ihr noch nie von Büffelstirn gehört?«

»Büffelstirn? Der ist ja todt!«

»Fällt ihm nicht ein. Er ist auf der Hazienda.«

»Unmöglich! Das ist ein Irrthum! Dieser Mann ist bereits seit beinahe zwanzig Jahren todt.«

»So hat man allerdings gedacht, aber mit Unrecht. Auch ich habe mir sehr viel von ihm erzählen lassen, und stets wurde hinzugefügt, daß er todt sei. Heute aber bin ich eines Besseren belehrt worden. Er ist es, der gestern Abend durch die Feuersäulen seine Miztecas zusammenberufen hat, um die Hazienda zu entsetzen. Uebrigens habt Ihr mir sehr viel verschwiegen, Sennor!«

»Was?«

»Ihr habt mir Dinge verschwiegen, deren Kenntniß mich jedenfalls abgehalten hätte, Euer Verbündeter zu werden.«

»Was meint Ihr?«

»Ihr habt Sennor Arbellez gefangen genommen.«

»Nur scheinbar!«

»Nennt Ihr das scheinbar, wenn Ihr ihn dabei halbtodt schlagen und dann in einen Keller stecken laßt, um dort zu verhungern?«

»Man hat Euch belogen!«

»Man hat mich nicht belogen, denn man hat gar nicht gewußt, daß ich zugegen bin und horche. Auch die gute Maria Hermoyes, welche mich damals so gastfreundlich aufnahm, habt Ihr eingesteckt.«

»Aus Vorsicht!«

»Wozu diese Vorsicht? Warum habt Ihr überhaupt dem alten Sennor Arbellez seine Hazienda genommen?«

»Weil sie mir gehört. Er hat ein Dokument gefälscht, mit Hilfe dessen er nachweisen will, daß der Graf de Rodriganda ihm diese Besitzung geschenkt oder als Erbe hinterlassen habe.«

»Was geht Euch das an? Seid Ihr der Erbe des Grafen? Zeigt den


// 1973 //

Haziendero bei der Behörde an, wenn er ein Fälscher ist, aber nehmt Euch vor Gewaltthaten in Acht, welche Euch selbst mit den Behörden in Conflict bringen.«

Cortejo antwortete im Tone der Ungeduld:

»Es geht dem Lauscher sehr oft so wie Euch, nämlich daß er Dinge, welche er behorcht, nur halb vernimmt und daher eine ganz falsche Vorstellung von ihnen bekommt. Ihr seid über diese Angelegenheit ebenso falsch berichtet, wie über das Vorhandensein des Häuptlings Büffelstirn.«

»Pah! Ich habe ihn gesehen.«

»Büffelstirn?«

»Ja.«

»Es ist ein Anderer gewesen,« meinte Cortejo überlegen lachend.

»Er war es.«

»Es war auf alle Fälle ein Anderer, der jetzt diesen berühmten Namen trägt.«

»Es war Büffelstirn, denn ich sah ihn an der Seite eines Mannes, mit dem er damals verschwunden ist.«

Jetzt war es Cortejo doch nicht mehr so geheuer.

»Welcher Mann wäre das?« fragte er.

»Bärenherz, der berühmte Häuptling der Apachen.«

»Unsinn!«

»Haltet es immerhin für Unsinn. Was ich aber sehe, das sehe ich.«

»Ihr hättet Bärenherz gesehen?«

»Ja.«

»Habt Ihr ihn denn gekannt?«

»Sehr gut, sehr gut sogar. Ich habe ihn getroffen, als er mit Donnerpfeil, einem deutschen Jäger, welcher eigentlich Helmers hieß, in den Bergen der Sierra Morena jagte.«

»Donnerpfeil? Helmers? Ah, den habt Ihr auch gekannt?«

»Ja,  g e kannt und heut wieder  e r kannt.«

»Erkannt? Was wollt Ihr damit sagen?«

»Nichts weiter, als daß Donnerpfeil sich auf der Hazienda befindet.«

»Wollt Ihr mich wirklich glauben lassen, daß die Todten wieder auferstehen?«

»Nein; aber ich habe gesehen, daß Todtgeglaubte noch leben können.«

»Büffelstirn, Bärenherz und Donnerpfeil sind todt. Ich weiß es ja ganz gewiß!«

»Woher?«

»Von einem Zeugen, welcher sie sterben sah.«

»So gebt diesem Zeugen eine Ohrfeige, wenn Ihr ihn wieder treffen solltet. Leute, welche ich einmal gesehen habe, pflege ich nicht wieder zu vergessen. Und dieser berühmte Sternau, den sie den Herrn des Felsens nannten, der ist nun gleich gar nicht zu verkennen.«

Jetzt fuhr der Schreck doch dem ungläubigen Mexikaner in die Beine.

»Sternau?« fragte er.

»Ja.«


// 1974 //

»Der ist ja todt!«

»Nein, auch er lebt. Ich habe ihn gesehen. Er stand an der Thür der Hazienda.«

»Habt Ihr ihn gekannt?«

»Nein, aber er ist mir beschrieben worden. Er ist derjenige, welcher den Wachtmeister niedergeschlagen hat, und ich vermuthete ganz richtig, als ich ahnte, daß es der riesenhafte Reiter sei, welchen ich bei Juarez sah.«

»Ihr redet wahrhaftig Dinge, welche mir nicht im Traume vorkommen würden!«

»Mir sind sie in der Wirklichkeit vorgekommen.«

»Erzählt das doch ausführlicher!«

»Nun, ich kam ungehindert in der Nähe der Hazienda an, obgleich einzelne Miztecas noch draußen herumsuchten, um noch etwaige Flüchtlinge abzufangen. Ich schlich mich bis an die Palisaden, mitten durch die in Gruppen dort stehenden und liegenden Feinde hindurch.«

»Welches Wagniß,« sagte einer der Mexikaner.

»Nicht so schlimm. Sobald ich sah, daß Jemand in meine Nähe kam, streckte ich mich lang hin und stellte mich todt, grad als ob ich einer der Eurigen sei, der beim Ueberfalle niedergestreckt wurde. So lag ich an den Palisaden und belauschte das Gespräch mehrerer Miztecas. Dadurch erfuhr ich, daß der Herr des Felsens, Donnerpfeil, Bärenherz und Büffelstirn anwesend seien. Ich sah diese Vier auch, einen nach dem Andern, durch eine kleine Lücke in den Palisaden. Drinn im Hofe brannte ein Feuer, welches Alles hell beleuchtete.«

»Und doch muß es eine Täuschung sein!« sagte Cortejo.

»Es ist die Wahrheit. Wollt Ihr Euch überzeugen, so könnt Ihr Sternau auch sehen.«

»Ah! Wo?«

»Bei einem Steinbruche hier in der Nähe, ich weiß aber nicht, wo er liegt.«

»Ist Sternau dort?«

»Jetzt nicht, aber er wird nach dem Anbruche des Tages hinkommen, um die Todten dort zu begraben.«

»Ich muß ihn sehen!«

»Thut das, Sennor Cortejo,« sagte der Jäger, ein wenig ironisch.

»Ihr werdet mich begleiten!«

»Ich? Fällt mir gar nicht ein. Ich habe jetzt meine Haut riskirt; ich werde sie aber nicht bei hellem Tage zu Markte tragen.«

»Ist das so gefährlich?«

»Wollt Ihr am hellen Tage diesen Sternau nebst einigen hundert Miztecas beschleichen? Das bildet Euch um Gotteswillen nicht ein!«

»So muß ich darauf verzichten!«

»Ich rathe es Euch.«

»Ihr seid vollständig überzeugt, daß die vier genannten Männer leben und auf der Hazienda zugegen sind?«

»Ich habe sie ja gesehen!«

Cortejo wußte gar nicht, was er denken sollte. Er sagte sich, daß Landola


// 1975 //

ihn fürchterlich getäuscht haben müsse, wenn es wahr sei, daß diese vier Personen nicht todt seien, und er beschloß, sich an ihm zu rächen, vor allen Dingen aber, die Vier unschädlich zu machen. Zugleich sagte er sich, welche Gefahr seiner Tochter drohe, die sich ja nun in der Gewalt ihrer ärgsten Feinde befand.

»Ihr sagtet, meine Tochter lebe noch?« fragte er.

»Ja. Sie ist gefangen.«

»Wie behandelt man sie?«

»Das weiß ich nicht.«

»Man wird sie in ihrem Zimmer bewachen.«

»O nein. Man hat sie in dem Keller eingeschlossen, in welchem Sennor Arbellez verschmachten sollte.«

»Himmel! So soll sie vielleicht auch verschmachten?«

»Möglich.«

»Woher wißt Ihr das, was Ihr über sie sagt?«

»Die Miztecas sprachen davon.«

»Sie muß befreit werden! Ist jetzt nichts zu thun, Sennor Grandeprise?«

»Gar nichts. Doch müssen wir uns beeilen. Ich sah einige Männer fortreiten und hörte, daß sie bestimmt seien, Juarez Nachricht zu bringen.«

»Alle Teufel! So kommt er vielleicht gar.«

»Das steht zu erwarten. Er wird ein ganzes Heer mitbringen, und dann ist es zu spät, Eure Tochter herauszubekommen.«

»Was thun? Was thun?« fragte Cortejo voller Angst.

»Das läßt sich jetzt noch nicht sagen. Der Tag bricht an. Wir dürfen nicht gesehen werden und müssen uns verbergen. Vielleicht kommt mir während des Tages ein guter Gedanke. Jedenfalls aber werde ich den Abend dazu benutzen, noch einmal zu spioniren, dann wird es sich zeigen, was übermorgen zu thun ist. Länger dürfen wir nicht warten.«

»Schon das ist zu lange.«

»Verlangt nichts Unmögliches, Sennor Cortejo. Hätte ich Euch nicht mein Wort gegeben und meine Hilfe zugesagt, so würde ich mich hüten, gegen Männer zu intriguiren, denen ich nicht gewachsen bin und denen meine ganze Bewunderung gehört. Kennt Ihr einen Platz, wo man ein Versteck findet?«

»Ja.«

»Wo?«

»Im Norden von der Hazienda liegt ein Wald.«

»Das ist nichts. Wir müßten an del Erina vorüber und wären zu einem großen Bogen gezwungen. Dabei würde es völlig hell und wir könnten von den umherschweifenden Miztecas bemerkt werden. Ich entsinne mich, damals, als ich auf der Hazienda war, im Westen einen bewaldeten Berg bemerkt zu haben. Kennt Ihr ihn?«

»Ihr werdet den Berg el Reparo meinen?«

»Er trägt doch viel Wald, in welchem man sich verbergen kann?«

»Ja. Wollt Ihr hin?«

»Es wird das Beste sein. Wir sind da in sicherer Entfernung von der Hazienda und doch auch wieder so nahe, daß ich sie am Abende leicht erreichen kann.«


// 1976 //

»So wollen wir von hier aufbrechen?«

»Ich schlage es vor. Der Morgen wird immer heller. Steigen wir zu Pferde und machen wir uns aus dem Staube, ehe es möglich ist, uns von Weitem zu entdecken. Aber einen Umweg müssen wir trotzdem machen. Man könnte unsere Spur entdecken und ihr eine Zeit lang folgen.«

Dieser Vorschlag wurde sogleich ausgeführt. Die vierzehn Männer stiegen auf und ritten zunächst in nördlicher Richtung davon. Erst als es so licht geworden war, daß man den Berg erblicken konnte, schlugen sie die westliche Richtung ein, in welcher sie ihn erreichen mußten.

Sie langten an seinem nordöstlichen Fuße an und ritten unter dem dichten Dache des Waldes an seiner Seite empor. Dies ging nicht leicht und wurde noch schwerer, als oben die Bäume dichter zusammentraten.

Sie waren jetzt gezwungen, abzusteigen und die Pferde an den Zügeln zu führen. Es gab hier keinen Weg oder irgend Etwas, was einem Pfade geglichen hätte.

»Wollen wir nicht anhalten und hier bleiben?« fragte Cortejo.

Er richtete die Worte an den Amerikaner, dessen ganzes Verhalten die Anderen unwillkürlich gezwungen hatte, ihn stillschweigend als Anführer anzuerkennen. Grandeprise fragte:

»Warum hier, Sennor?«

»Weil wir hier wohl eben so sicher sind als oben und wir den Weg und die Anstrengung nicht haben.«

»Bleibt, wo Ihr wollt! Ich aber reite vollends hinauf.«

»Zu welchem Zwecke denn?«

»Da oben giebt es jedenfalls eine weite Aus- und Umsicht. Vielleicht ist es möglich, eine Stelle zu finden, von welcher aus man die Hazienda, von Weitem wenigstens, beobachten kann.«

Das war ein Grund, den die Anderen anerkannten. Sie arbeiteten sich also, die Pferde hinter sich führend, immer weiter den Berg hinan.

Endlich hörte die Steigung auf. Das Terrain wurde ebener, und man bemerkte, daß das Plateau erreicht sei. Nach kurzer Zeit sah man einen lichten Streifen vor sich durch die letzten Bäume schimmern. Der Amerikaner ging voran und wollte eben zum Rande des Waldes heraustreten, als er schnell wieder zurückfuhr.

»Was giebt es?« fragte Cortejo, der sich hinter ihm befand.

»Pst! Reiter!«

»Wo?«

»Dort links kommen sie zwischen den Büschen hervor. Es muß dort eine Art von Weg geben. Schafft die Pferde zurück, damit ihr Schnauben uns nicht verrathen kann!«

Die Thiere wurden von einigen der Leute genügend weit retour geführt und dort angebunden. Die Anderen hielten unter den Bäumen, um die Reitergruppe zu beobachten, welche jetzt deutlich zu erkennen war.

»Seht Ihr die zwei Vordersten?« fragte der Amerikaner.

Aus Cortejo's Gesicht war alles Blut gewichen.


// 1977 //

»Ja,« antwortete er.

»Kennt Ihr sie oder wenigstens Einen von Ihnen?«

»Mein Gott! Die Todten sind wirklich lebendig geworden! Büffelstirn!«

»Und der Andere?«

»Helmers!«

»Ja, Donnerpfeil. Und weiter - alle Teufel, die Anderen haben ja ein Frauenzimmer bei sich!«

»Heilige Jungfrau!« rief Cortejo beinahe laut. »Das ist Josefa!«

»Eure Tochter?«

»Ja.«

»Welch ein Zufall! Wie gut, daß wir nicht da unten halten geblieben sind.«

»Was wollen sie hier oben? Was wollen sie mit ihr?«

»Das werden wir wohl sehen. Sie reiten da rechts hinüber. Kriechen wir ihnen zwischen den Sträuchern nach, Sennor!«

Sie legten sich auf den Boden und folgten dem Jäger, welcher sich wie eine Schlange fortbewegte. Nach bereits kurzer Zeit hielt er an. Von da aus, wo er lag, konnte man die ganze Scene überblicken.

»Ein Teich!« flüsterte er. »Seht Ihr's, Sennor Cortejo?«

»Ja. Man wird sie doch nicht etwa ertränken wollen?«

»Nein, sicherlich nicht. Um sie hier zu ertränken, hätte man den Ritt nicht gemacht, es wäre bequemer gewesen, sie auf der Hazienda zu tödten. Ihr Zweck muß ein Anderer sein.«

Sie sahen, daß die Reiter abstiegen, Josefa mit ihnen. Sie sahen auch, daß die Letztere gebunden war. Sie bemerkten, daß Büffelstirn mit dem Mädchen sprach, dann an das Wasser trat und einen lauten, klagenden Ruf erschallen ließ. Sofort zeigten sich die Krokodile.

»Gott, mein Gott, jetzt weiß ich, was sie wollen!« sagte Cortejo, indem ein sichtbares Zittern seinen ganzen Körper überfuhr.

»Was?« fragte Grandeprise.

»Sie wollen sie den Krokodilen vorwerfen.«

»Unsinn!«

»O, gewiß! Das ist der fürchterliche Krokodilenteich der Miztecas.«

»Kennt Ihr ihn?«

»Ja.«

»Und doch seid Ihr noch nicht hier gewesen, wie ich denke?«

»Mein Neffe war oben. Er sollte auch von den Thieren gefressen werden.«

»Das wäre ja fürchterlich, geradezu unmenschlich!«

»Ja. Seht Ihr jenen Baum? An ihm hatte man ihn aufgehängt, grad über dem Wasser, damit die Scheusale ihm die Stücke vom Leibe reißen sollten.«

»Sie haben ihn zerrissen?«

»Nein; es ist ihm gelungen, sich zu retten. Seht um Gottes willen; es klettert Einer hinauf und hat ein Lasso bei sich!«

»Allerdings. Aber das braucht doch nicht auf Eure Tochter abgesehen zu sein.«

»O doch, ganz gewiß. Sennor, wir müssen sie retten!«

»Gewiß. Aber warten wir es ab!«


// 1978 //

»Dann ist es zu spät. Rasch, rasch!«

Sein Gesicht war von Angst verzerrt. Er erlitt jetzt nicht geringere Qualen, als seine Tochter, welche den fürchterlichsten Tod vor Augen sah.

»Jetzt kommt er wieder herab,« meinte der Jäger. »Und Büffelstirn nimmt auch sein Lasso. Was haben sie vor?«

»Sie wollen sie aufhängen, grad über den Krokodilen aufhängen,« sagte Cortejo. »Wenn wir sie retten wollen, so ist es die höchste Zeit!«

»Beruhigt Euch, Sennor! Ich glaube nicht daran, daß Eure Tochter auf diese Weise sterben soll. Seht, Büffelstirn legt ihr die Schlinge nicht um den Hals, sondern unter den Armen hindurch.«

»Desto schlimmer! Sie soll lebendig gefressen werden. O Gott, o Gott!«

»Mäßigt Euch! Ihr werdet uns verrathen!«

»Aber ich sterbe vor Angst!«

»Das ist nicht nöthig. Ich vermuthe, daß es nur eine Komödie ist, aber eine fürchterliche. Hoffentlich erhalten wir dabei die Gelegenheit, Sennorita Josefa zu befreien.«

»Der Himmel gebe es! O, ihr Heiligen alle!«

Glücklicher Weise hielt der Amerikaner ihm schnell den Mund zu, sonst wäre der Ruf weithin hörbar gewesen. Es war nämlich in dem Augenblicke, an welchem Josefa emporgezogen wurde.

»Beherrscht Euch, sonst ist Alles verloren!« warnte der Amerikaner. »Es ist allerdings entsetzlich. Seht diese Unthiere schnappen. Aber Eure Tochter hängt so hoch, daß sie von ihnen nicht erreicht werden kann. Sie hängt still, sie ist ohnmächtig. Man will sie nur ängstigen. Ich dachte es!«

»Retten wir sie! Retten wir sie augenblicklich!«

»Wie wollt Ihr das anfangen?«

»Wir erschießen die Kerls!«

»Dummheit. Beim ersten Schusse werfen sie sich nieder und lassen Eure Tochter erst recht in's Wasser fallen. Wir sind dann allerdings Vierzehn gegen Zwölf, aber die Sennorita ist verloren, und Büffelstirn und Donnerpfeil zählen mehr als wir Alle zusammen.«

»Was thun wir? O sagt, was zu thun ist,« bat Cortejo in höchster Angst.

Grandeprise blickte scharf zu den Miztecas hinüber.

»Sie setzen sich,« sagte er. »Sie wollen in aller Ruhe den Augenblick erwarten, an welchem Eure Tochter wieder zu sich kommt.«

»Das wird aber auch der Augenblick ihres Todes sein. O, beeilen wir uns! Ich bitte Euch um Alles willen, was Euch heilig und theuer ist!«

Ueber das Gesicht des Amerikaners glitt ein entschlossener und doch zugleich bissiger, sogar ein wenig lustiger Zug.

»Keine Sorge, Sennor!« sagte er. »Mein Plan ist soeben fertig.«

»Gott sei Dank! Was wollt Ihr thun?«

»Die Hauptsache ist, daß wir Büffelstirn und Donnerpfeil entfernen. Mit den Anderen werden wir leichter fertig.«

»Wie aber fangen wir das an?«


// 1979 //

»Ich laufe mit noch Zweien von diesen Leuten um die Lichtung hinum bis zu jenem großen Baume. Dort zeigen wir uns ihnen.«

»Was soll dies helfen?«

»Ich wette, daß die zwei Erfahrensten und Klügsten von ihnen, also Büffelstirn und Donnerpfeil, sofort aufbrechen werden, um uns anzuschleichen. Wir weichen zurück und locken sie in den Wald hinein, kommen dann schnell zurück und holen Eure Tochter.«

»Aber die zehn Miztecas bewachen sie.«

»Wir schießen sie nieder. Ich thue das nicht gern, aber es bleibt uns nichts Anderes übrig. Ich habe Euch mein Wort gegeben und muß es halten.«

»So eilt, eilt schnell!«

»Halt! Wir lassen unsere Oberkleider da und werfen die Decken nach Indianerart über. Auch die Hüte lassen wir hier und streichen die Haare in die Höhe. Stecken wir dann ein paar Farrenfieder hinein, so sehen wir von Weitem grad wie Indianer aus. Vorwärts. Ihr und Ihr geht mit. Die Anderen warten.«

Er bezeichnete bei diesen Worten Zwei, welche sofort seinem Beispiele folgend, ihre Hüte und Jacken ablegten.

»Nun rasch fort.«

Mehr rennend, als schleichend eilten die drei Männer unter den Bäumen fort, bis sie die angegebene Stelle erreichten.

»Halt!« gebot hier Grandeprise. »Ich trete zuerst hervor. Folgt mir einzeln und gravitätisch, wie Indianerhäuptlinge. Aber wir dürfen nicht so thun, als ob wir hinüber zu ihnen blickten.«

Er verließ die schützende Baumdeckung und trat langsam hervor.

»Ah, sie sehen mich!« sagte er. »Kommt jetzt einzeln nach.«

Die beiden Andern thaten es. Alle drei schienen nach der entgegengesetzten Richtung zu blicken, doch hielt Grandeprise sein Auge auf die Gruppe der Miztecas gerichtet.

»Der Häuptling und Donnerpfeil haben sich niedergeworfen,« sagte er.

»Man zieht die Sennorita empor,« bemerkte der Andere.

»Ich werde sie herunterholen. Ueberlaßt das mir,« meinte der Amerikaner. »Jetzt legen sich auch die Andern nieder.«

»Ich sehe, daß das Gras sich bewegt,« sagte der Dritte.

»Wohin?«

»Nach rechts und links.«

»Richtig; ich bemerke das auch. Sie haben sich getheilt. Der Eine kommt von hüben und der Andere von drüben auf uns zu. Hinter uns werden sie auf einander treffen wollen. Ich kenne diese Weise. Sie werden in gegen zehn Minuten hier sein. Ebenso lange bringen sie zu, um aus unseren Spuren klug zu werden. Das giebt uns genug Zeit, um den Schlag auszuführen. Tretet langsam wieder unter die Bäume zurück.«

Sie thaten dies und Grandeprise folgte ihnen.

»So,« meinte er. »Und jetzt in Galopp zu Cortejo zurück.«

Sie rannten, so schnell sie konnten, denselben Weg zurück, den sie gekommen waren und trafen Cortejo, ihrer ängstlich wartend, noch auf derselben Stelle.


// 1980 //

»Ging es gut?« fragte er.

»Ja,« antwortete der Amerikaner. »Jetzt schleichen wir uns hin. Sobald wir in sicherer Nähe sind, schießen wir die Miztecas nieder. Ich klettere auf den Baum und hole das Mädchen herab - - -«

»Bringt Ihr das allein fertig?« fiel ihm Cortejo besorgt in die Rede.

»Ja. Wir bemächtigen uns ihrer Pferde, steigen auf und sprengen davon, den Weg hinab, den sie gekommen sind. Zwei von uns aber bleiben zurück. Sie gehen zu unsern Pferden, nehmen sie bei den Zügeln und folgen uns nach, sobald sie sehen, daß der Streich gelungen ist. Auf diese Weise bleibt Büffelstirn und Donnerpfeil kein Pferd, um uns zu verfolgen. Behalten sie ein einziges, so sind wir verloren. Also jetzt rasch!«

Die Drei zogen ihre Jacken wieder an und setzten ihre Hüte auf. Dann ging es vorwärts.

Sie gaben sich keineswegs große Mühe, den Schall ihrer Schritte zu dämpfen; dennoch kamen sie ziemlich nahe an die Miztecas heran, ehe sie von diesen bemerkt wurden. Ein Kopf hob sich vorsichtig aus dem Grase empor und zwei Augen blickten nach der Richtung hin, aus welcher die Nahenden kamen. Sofort sprang der Besitzer dieser Augen empor.

»Feinde kommen! Zu den Waffen!« rief er laut.

Auch seine Kameraden fuhren empor, im höchsten Grade überrascht durch diesen Warnungsruf. Sie hatten die Feinde da drüben vermuthet, wo die Indianer gesehen worden waren.

»Jetzt! Nieder mit ihnen!« gebot Grandeprise.

Zwölf Büchsen krachten fast zu gleicher Zeit und sämmtliche Miztecas stürzten nieder; alle zum Tode getroffen.

»Gut so!« rief der Amerikaner. »Nun ihre Pferde, die Hauptsache!«

Während sich die Mexikaner der Pferde bemächtigten und sofort aufstiegen, kletterte er wie ein Eichhörnchen am Baume empor. Er hatte kein Auge für die unter ihm gähnenden Krokodilsrachen. Sich rittlings auf den Ast setzend, zog er Josefa an sich heran und trennte mit einem raschen Schnitte seines Messers das Lasso von dem Baume. Dann schlang er sich den Riemen, dessen Schlinge noch unter den Armen Josefas lag, um den Leib und faßte diese Schlinge mit den Zähnen. Nun hing sie halb an seinen Zähnen und halb war sie mit ihm zusammengebunden. So wurde ihm die Last erleichtert, mit welcher er schnell hinabkletterte.

»Lebt sie?« fragte Cortejo.

Er hielt eines der Pferde beim Zügel und war noch gar nicht aufgestiegen. Da rief von Weitem her eine laute, dröhnende Stimme:

»Halt, Räuber! Herab vom Pferde!«

»Um Gotteswillen, das ist Büffelstirn!« sagte der Amerikaner. »Rasch auf das Pferd und mir nach, Sennor!«

Er selbst sprang auf Büffelstirn's Pferd und Cortejo auf das seinige. Im nächsten Augenblicke aber krachte auch ein Schuß.

Die Kugel pfiff dem kühnen Jäger am Kopfe vorüber und traf einen Andern, der neben ihm ritt. Dieser wurde vom Pferde noch eine Strecke weit fortgetragen und stürzte dann herab.


// 1981 //

Die Andern entkamen mit Josefa, auch die Zwei, welche die Pferde in ihre Obhut genommen hatten. Grandeprise voran, stürmten sie zum Berge hinab. Unten angekommen, bogen sie rechts ab und hetzten im raschesten Galoppe nach Süden hin, immer der Richtung des Höhenzuges nach, welcher ihnen zur Rechten blieb.

So ging es fast eine ganze Stunde fort, während welcher man fast zwei deutsche Meilen zurückgelegt hatte. Da endlich hielt der Amerikaner sein Pferd an und die Andern folgten seinem Beispiele. Er hatte Josefa bei sich auf dem Pferde gehabt, jetzt stieg er ab und legte sie in das Gras, durch welches ein kleines Wasser floß.

»Ah, das war ein Ritt!« keuchte Cortejo. »Wie ists, Sennor, lebt sie noch?«

»Ja,« antwortete Grandeprise.

»Aber sie regt sich doch nicht.«

»Sie ist unterwegs einige Male aufgewacht, aber immer wieder ohnmächtig geworden. Wir wollen es hier einmal mit dem Wasser versuchen.«

»Haben wir Zeit dazu?«

»Ja. Unser Vorsprung ist groß genug. Ehe Büffelstirn und Donnerpfeil die Hazienda zu Fuße erreichen, wo sie Pferde erhalten können, sind wir längst über alle Berge.«

Auch die Andern stiegen ab. Cortejo und Grandeprise knieten neben Josefa nieder und bespritzten ihr Gesicht mit Wasser. Nach einiger Zeit öffnete sie die Augen. Ihr Blick fiel auf Cortejo.

»Vater, die Krokodile!« lispelte sie.

»Du bist gerettet, Kind!« antwortete er.

»Wo sind sie?«

»Noch auf dem Berge. Wir aber sind weit fort.«

Jetzt erst begann ihr Blick selbstbewußter zu werden.

»Santa Madonna!« sagte sie. »Wo ist Büffelstirn?«

»Du bist in Sicherheit, Josefa!« erklärte ihr Vater abermals.

Sie richtete sich empor und blickte ihre Begleiter an.

»Ah, gerettet!« sagte sie. »Habt Ihr sie erschossen?«

»Ja.«

»Alle? Auch Büffelstirn und Helmers?«

»Nein, diese nicht.«

»Sie sollen sterben, sterben, sterben, eines fürchterlichen schauderhaften Todes, so wie ich sterben sollte!«

»Das werden sie auch, mein Kind.«

»Wann?«

»Erst müssen wir in Sicherheit sein.«

Nun schien sie sich zu besinnen, daß ihr Vater ja am Tage des Ueberfalles gar nicht auf der Hazienda gewesen war.

»Wie kommst Du hierher?« fragte sie. »Ich denke, Du bist am Rio Grande und in Fort Guadeloupe!«

»Was soll ich dort?«


// 1982 //

»Ah! Du hast meinen Brief nicht erhalten?«

»Nein.«

»Die fünfzig Mann, welche ich Dir sandte, sind nicht zu Dir gekommen?«

»Nein.«

»Ja. Sternau hatte meinen Brief. Er hat ihn aufgefangen und die Leute getödtet.«

»So lebt er wirklich noch?«

»Ja. Du weißt das noch nicht?«

»Ich wollte es nicht glauben.«

»O, Vater, sie leben Alle.«

Sie sprachen jetzt leise mit einander und wurden von den Andern nicht gehört, da diese sich rücksichtsvoll zurückgezogen hatten.

»Alle? Wen meinst Du damit?«

»Sternau, Büffelstirn, Bärenherz und Helmers.«

»Das weiß ich nun. Aber sonst noch welche?«

»Ja. Mariano, Emma Arbellez, Karja, die Indianerin, und auch Don Ferdinando ist da.«

Cortejo wurde so weiß wie eine getünchte Wand. Er vermochte für den Augenblick gar nicht, ein Wort hervorzubringen.

»Don Ferdinando?« fragte er endlich.

Aber sie mußte das Wort mehr von seinen blutleeren Lippen lesen, als daß sie es zu hören oder zu verstehen vermochte.

»Ja,« nickte sie.

»Wo sind sie?«

»Die Vier sind auf Erina, die Andern bei Juarez, und Don Ferdinando ist auf Fort Guadeloupe, wo er krank darniederliegt.«

»Welch ein Unheil! Wir sind verloren!«

Da leuchteten ihre Eulenaugen grimmig auf.

»Verloren, sagst Du? O nein! Ich bin gerettet. Das soll mir ein sicheres Zeichen sein, daß wir doch noch triumphiren werden. Alle unsere Leute sind zwar todt, aber wir werben Andere. Hast Du Geld?«

»Genug.«

»Das ist die Hauptsache. Wir müssen fliehen. Schaffe uns zunächst einen sichern Schlupfwinkel. Das Uebrige wird sich finden.«

»Wie fühlst Du Dich? Du hast Fürchterliches ausstehen müssen.«

»Ich denke nur daran, um mich zu rächen. Schmerzen fühle ich nur noch hier. Ich habe einige Rippen gebrochen.«

»Donnerwetter! Wann?«

»Das erfährst Du noch. Jetzt stehen zu viele Lauscher da. Ich muß zu einem Arzte, sonst gehe ich zu Grunde.«

»Gut; das werde ich besorgen. Alles Andere besprechen wir noch.«

Er wendete sich von seiner Tochter weg zu Manfredo.

»Du denkst, daß wir bei Deinem Oheim Aufnahme finden würden?«

»Ganz sicher,« antwortete der Gefragte.

»Er versteht wirklich, Kranke zu behandeln?«


// 1983 //

»Er ist ein erfahrener Arzt.«

»Weißt Du den Weg nach Santa Jaga genau?«

»Sehr genau. Aber ich denke, wir machen einen Umweg!«

»Warum?«

»Weil wir jedenfalls verfolgt werden.«

»Du hast recht. Wann werden wir dort anlangen können?«

»Uebermorgen am Abende.«

»So mag unser Ritt nach Santa Jaga gehen. Ihr werdet uns doch begleiten, Sennor Grandeprise?«

»Das versteht sich ganz von selbst. Ich verlasse Euch nicht eher wieder, als bis Ihr mir gesagt habt, wo ich Landola treffen kann.«

»Das sollt Ihr ganz bestimmt erfahren. Jetzt aber wollen wir versuchen, aus Decken eine Hängematte zwischen zwei Pferden zu Stande zu bringen. Meine Tochter ist krank. Sie darf nicht reiten.« -

Als Büffelstirn und Helmers sich am Krokodilsteiche getrennt hatten, um die vermeintlichen Indianer anzuschleichen, hatte der Erstere den kürzeren Weg zurückzulegen. Er kroch am Boden hin, immer das Ufer des Teiches entlang, wo er von Schilf und hohem Grase verdeckt wurde.

Sodann kroch er nach dem Walde hinüber, hatte aber die Bäume noch nicht erreicht, so bemerkte er, daß die Indianer verschwunden waren. Dies fiel ihm jedoch keineswegs auf. Er setzte seinen Weg mit aller Sorgfalt weiter fort.

Er erreichte, wie er meinte, unbemerkt die Bäume und traf da auf die Spur der drei Wilden. Aber diese Spur erregte sein Bedenken in sehr hohem Grade, so daß er dabei halten blieb, um Donnerpfeil zu erwarten. Es dauerte auch nicht lange, bis dieser herbeigeschlichen kam.

»Sind sie fort?« flüsterte er.

»Ja,« antwortete der Miztecas. »Hier ist die Fährte.«

Helmers prüfte die Eindrücke und blickte Büffelstirn verdutzt an.

»Diese Fährte rührt von keinem Indianer her,« sagte er.

»Nein. Das sind Spuren von weißen Männern. Hier sind sie hergekommen, und daselbst sind sie auch wieder hingegangen.«

»Folgen wir ihnen!«

»Wir müssen wissen, wer es ist.«

Sie gingen mit tief niedergebeugtem Oberkörper auf der Fährte vorwärts. Nicht das Kleinste entging ihren Augen. Da blieb Helmers halten und hob Etwas vom Boden auf.

»Was ist das?« fragte er den Miztecas.

»Das sind zwei junge Zweige eines Farrenkrautes,« antwortete der Gefragte.

»Ja,« nickte Helmers. »Denkt mein Bruder, daß man einen solchen Zweig von Weitem für eine Raben- oder Adlerfeder halten kann?«

»Ugh!« machte der Miztecas erstaunt. Dann aber glitt auch sogleich ein Zug des Verständnisses über sein ernstes Gesicht. »Mein weißer Bruder ist ein kluger Jäger,« sagte er. »Es sind weiße Männer hier, welche sich das Aussehen von rothen Leuten gegeben haben, um uns fortzulocken. Kehren wir schnell zu unsern Pferden zurück.«


// 1984 //

Er richtete sich aus der bisherigen gebückten Stellung empor und eilte vorwärts, so daß Helmers ihm kaum zu folgen vermochte. Allein es war bereits zu spät. Sie hörten mehrere Schüsse zu gleicher Zeit krachen und drangen nun mit doppelter Eile heraus, dem Teiche entgegen.

Als die Fläche desselben vor Büffelstirn lag, fiel sein Blick auf Grandeprise, welcher sich eben anschickte, sein Pferd zu besteigen.

»Halt, Räuber! Herab vom Pferde!« rief er.

Zu gleicher Zeit legte er die Büchse an. Die Entfernung war für einen sichern Schuß zu groß. Grandeprise entkam; sein Nebenmann aber stürzte vom Pferde.

Grandeprise entkam

»Vorwärts! Ihnen nach!« rief Helmers, welcher jetzt den Miztecas erreicht hatte. »Sie dürfen auf keinen Fall entkommen!«

Die Beiden sprangen, wie von einer Sehne geschnellt, am Wasser dahin; aber es war ganz unmöglich, noch einmal zum Schusse zu kommen, noch viel weniger aber gar die Pferde einzuholen. Die Flüchtlinge verschwanden hinter den Büschen, zwischen denen der Weg bergabwärts führte.

»Donnerwetter!« rief Helmers, stehend bleibend. »Fort!«

»Fort!« nickte der Häuptling, indem sein Auge vor Wuth blitzte. »Wer waren diese Männer?«

»Ich weiß es nicht.«

»Sie kamen, um die Gefangene zu retten.«

»Ja. Und wir haben uns wie Knaben von ihnen betrügen lassen.«

»Ugh! Büffelstirn hat heut den dümmsten Streich seines Lebens begangen.«

»Ich den meinigen auch. Sogar unsere Pferde haben sie mitgenommen, alle, alle. Wäre nur noch ein einziges da.«

»Sie haben die Pferde genommen, aber ihre Spur werden sie uns lassen.«

»Das ist richtig. Wir werden sie doch ereilen. Vor allen Dingen aber wollen wir nach unsern Leuten sehen.«

Als sie die Lagerstelle erreichten, lagen zehn Leichen dort.

»Keiner lebt! Alle todt,« sagte Helmers traurig.

Büffelstirn blickte finster vor sich hin.

»Ich werde sie rächen,« sagte er. »Mein Bruder Donnerpfeil gehe mit zu dem Mann, den meine Kugel getroffen hat.«

Sie schritten dahin, wo der Blessirte lag. Er krümmte sich am Boden und war augenscheinlich dem Tode nahe. Die Kugel war ihm in die Seite des Kopfes gedrungen und in der Entfernung von drei Zoll wieder hinausgegangen. Er schien die Besinnung noch zu haben.

»Wer bist Du?« fragte Helmers.

Der Mann blickte ihn an, ohne zu antworten.

»Was wolltet Ihr hier?« fuhr Helmers fort.

Jetzt schien der Sterbende sich zu besinnen.

»Josefa befreien,« sagte er.

»Wer führte Euch an?«

»Grandeprise.«

»Grandeprise? Wer ist das?«


// 1985 //

»Ein Yankeejäger.«

»Wie kamt Ihr zu diesem? Du bist doch ein Mexikaner!«

»Cortejo brachte ihn mit.«

»Cortejo?« fragte Helmers erstaunt. »Wo war Cortejo?«

»Hier, bei uns.«

Der Mann schloß die Augen wieder. Der Tod trat ihm näher.

»Hier? Bei Euch? Ist das wahr?«

»Ja,« antwortete der Mann immer leiser.

»Und er ist entkommen?«

»Ja.«

»Wohin will er?«

»Ich weiß es nicht!«

»Du weißt es; Du mußt es wissen! Du mußt es sagen! Deine Sünden werden Dir jenseits nicht vergeben werden, wenn Du es verschweigest!«

Er faßte den Mann an und rüttelte ihn. Dieser begann schon, sich zu strecken. Aber er hatte die Worte doch vernommen und antwortete mit Anstrengung seiner letzten schwindenden Kräfte:

»Vielleicht - nach dem - Kloster della - Bar - - -«

Das Wort erstarb ihm auf den Lippen. Der Mund schloß sich. Ein dicker Schweiß trat auf sein Gesicht, ein Röcheln, ein Schütteln seines ganzen Körpers, und dann war er todt.

»Ah! Zu spät! Er brachte das Wort nicht hervor!« sagte Helmers.

»Die Krokodile sollen ihn fressen!« meinte Büffelstirn zornig.

Er hob den Entseelten auf, trug ihn nach dem Teiche und warf ihn in das Wasser. Es entstand ein kurzer aber desto gräßlicherer Kampf zwischen den häßlichen Amphibien, welche sich den schauderhaften Fraß einander streitig machten, dann war es vorüber.

»Nun aber fort, den Berg hinab!« sagte Helmers. »Wir müssen wissen, in welcher Richtung sie davongeritten sind.«

»Wir müssen laufen wie die Pferde,« stimmte der Miztecas bei.

Nach diesen Worten schoß er davon, wie aus einer Pistole geschossen, im schnellsten Dauerlaufe den Berg hinab, und dabei immer die Spuren der Entkommenen mit dem Auge festhaltend.

Helmers folgte ihm und blieb ihm hart auf den Fersen. Unten wendeten sie sich rechts und rannten weiter. Da aber, wo die Richtung nach der Hazienda abging, blieb Büffelstirn halten.

»Einer muß zu Sternau,« sagte er.

»Das ist wahr. Aber wer? Du oder ich?«

»Ich werde gehen,« meinte der Miztecas. »Mein Bruder folge der Spur weiter, bis wir ihn einholen. Er mag uns den Weg kenntlich machen.«

»Gut. Bringt mir ein braves Pferd mit. Ich lasse mich nicht eher wieder auf der Hazienda sehen, als bis diese Scharte ausgewetzt ist!«

Er schritt auf der Fährte weiter, ohne sich nur noch einmal umzusehen. Der Miztecas dagegen eilte auf die Hazienda zu.

Er hatte jedenfalls nicht das Leichteste erwählt, sondern das Schwerste auf


// 1986 //

sich genommen. Es war keine Kleinigkeit, Sternau das Vorgefallene mitzutheilen und sich von ihm ausschelten zu lassen.

Als er auf del Erina ankam, stand Sternau eben bei Bärenherz, um abermals zu versuchen, etwas über den Ritt der Freunde von ihm zu erfahren. Als er den Miztecas auf sich zukommen sah, heiterte sich sein Gesicht auf. Er hoffte, nun Klarheit zu erhalten, und sie sollte ihm auch werden, allerdings eine Klarheit, die er nicht erwartet hatte.

»Ich sprach mit dem Häuptlinge der Apachen von Dir,« sagte er. »Wo ist Büffelstirn mit Donnerpfeil gewesen?«

Büffelstirn verzog keine Miene, als er antwortete:

»Auf dem Berge el Reparo.«

»Ah, ich ahnte es. Was haben sie da gethan?«

»Sie haben gethan etwas, was ihnen Niemand vergeben kann. Sie haben entkommen lassen die Gefangene meines Bruders Sternau.«

»Meine Gefangene habt Ihr entkommen lassen? Josefa Cortejo?«

»Ja.«

»Diese befindet sich doch im Keller!«

»Nein. Sie war mit auf dem Berge el Reparo.«

»Die Wachen sagten, sie sei im Keller.«

»Sie mußten so sagen, denn ich hatte es ihnen befohlen.«

Das Gesicht Sternaus verfinsterte sich plötzlich.

»Mein Bruder befiehlt seinen Leuten, mich zu belügen?« sagte er. »Von einem solchen Freunde mag ich nichts wissen.«

Er drehte sich um und stand im Begriff, fortzugehen. Da aber zog Büffelstirn sein Messer und sagte:

»Wird der Fürst des Felsens mich verlassen?«

»Ja,« antwortete Sternau.

»So stoße ich mir dieses Messer in die Brust, damit Du siehst, daß ich mich selbst zu bestrafen weiß!«

Sternau kannte ihn genau. Er wußte, daß er Wort halten werde. Darum drehte er sich wieder zurück und fragte:

»Büffelstirn und Donnerpfeil haben die Tochter Cortejos mit nach dem Berge el Reparo genommen?«

»Ja,« antwortete der Gefragte.

»Hat der Häuptling der Apachen es gewußt?«

»Ja.«

»Meine Freunde sind nicht klug gewesen und auch nicht gut und aufrichtig gegen mich. Warum haben sie das Mädchen mitgenommen?«

»Wir haben sie über den Krokodilen aufgehängt, um ihr den Tod zu zeigen, den sie erleiden wird.«

»Was geschah dann?«

»Ihr Vater kam, sie zu retten.«

»Cortejo selbst?«

»Ja.«

»Das ist ja fast unmöglich! Ist es ihm gelungen?«


// 1987 //

»Ja. Er hat uns überlistet und uns seine Tochter gestohlen, zehn Krieger der Miztecas getödtet und unsere Pferde mit fortgenommen.«

Sternau war fast starr vor Erstaunen über diese Nachricht.

»Wo ist Donnerpfeil?« fragte er.

»Er ist auf Cortejos Fährte.«

»Wohin führt sie?«

»Von el Reparo nach Süden.«

»Er hat kein Pferd?«

»Nein. Auch ich bin zu Fuß nach der Hazienda gekommen.«

»Wie viele Leute hat Cortejo bei sich?«

»Zehn oder zwölf.«

»Der Häuptling der Miztecas mag es ausführlich erzählen!«

Büffelstirn berichtete Alles, was geschehen war. Es war dies die fürchterlichste Buße, welche er sich auferlegte. Sternau und Bärenherz hörten ihm schweigend zu, bis er geendet hatte. Dann sagte der Erstere:

»Wir müssen Beide holen, sowohl den Vater wie auch die Tochter.«

»Ich werde sie holen,« erklärte der Miztecas.

»Und ich werde mitgehen,« fügte Bärenherz hinzu.

Er sah ein, daß seine Verschwiegenheit auch mit Schuld an dem unglücklichen Ausgange des unvorsichtigen Rittes gewesen war, und daher wollte er selbst mitwirken, die Folgen wieder quitt zu machen.

»Die Verfolgung dieser Leute ist mir so wichtig, daß ich sie selbst in die Hand nehmen werde,« sagte Sternau.

»Warum will mein Bruder nicht hier bleiben?« fragte Büffelstirn. »Ich und der Häuptling der Apachen, wir werden die Beiden fangen und nach der Hazienda bringen.«

»Ich muß selbst dabei sein. In zehn Minuten reite ich.«

Er sprach diese Worte in einem nicht unfreundlichen, aber so bestimmten Tone, daß ein Widerspruch gar nicht möglich war, und ging fort.

»Der Fürst des Felsens will mir keine Vorwürfe machen, aber er ist sehr zornig auf mich,« sagte Büffelstirn zu Bärenherz.

»Er ist zornig auch auf mich, da ich gewußt habe, wo Ihr seid,« antwortete dieser. »Ich werde mein Pferd satteln und Alles thun, um seinen Zorn zu zerstreuen.«

Auch er ging.

Büffelstirn war außerordentlich niedergeschlagen. Er hätte lieber die schärfsten Vorwürfe mit angehört, als die wortlose Mißbilligung gesehen, welche Sternau im Gesichte gezeigt hatte. Er begab sich zu dem zweiten Häuptlinge der Miztecas, auf den er sich verlassen konnte.

»Ich werde die Hazienda verlassen,« sagte er zu ihm. »Auch der Fürst des Felsens und Bärenherz gehen mit. Mein Bruder ist also der einzige Anführer und Häuptling, welcher zurückbleibt. Er mag Arbellez gut beschützen und Juarez die Kinder der Miztecas zuführen, sobald er kommt.«

»Wohin geht mein Bruder?« fragte der Häuptling.

»Ich weiß es nicht.«


// 1988 //

»Wann kommt er zurück?«

»Auch das weiß ich nicht.«

»Sollen ihn keine Krieger begleiten?«

»Es mögen zehn Männer mitreiten, welche gut verstehen, eine Fährte zu lesen. Mehr brauche ich nicht.«

Damit war Alles abgemacht. In der von Sternau angegebenen Zeit ritt er mit den beiden Häuptlingen in Begleitung von zehn Miztecas von der Hazienda fort. Einer dieser Letzteren führte ein für Helmers bestimmtes Pferd am Zügel. -

Nicht weit von der Nordgrenze der Provinz Zacatecas liegt das Städtchen Santa Jaga. An und für sich durch nichts erwähnungswerth, wurde es doch sehr oft genannt, weil auf dem Berge, an dessen Fuße es liegt, sich ein hoher, alterthümlicher Doppelbau erhebt, welcher noch heut das Kloster della Barbara heißt, obgleich das Kloster säcularisirt wurde und nun anstatt nur religiösen, jetzt auch mehr menschlicheren, werkthätigeren Zwecken dient. Es ist eine Heilanstalt für Irre und allerlei körperlich Kranke.

In dem Städtchen gab es jetzt reges Leben. Vor einigen Tagen war nämlich eine Schaar von Franzosen hier eingezogen. Von Norden kommend, hatten diese Leute weder Waffen noch sonstige Ausrüstungsgegenstände bei sich gehabt, und bereits nach kurzer Zeit brachte man in Erfahrung, daß diese Truppe die Besatzung von Chihuahua gebildet hatte und von Juarez gezwungen worden war, die Waffen zu strecken und das Versprechen abzulegen, nicht wieder gegen ihn zu kämpfen.

Der Kommandant dieser in Ruhestand versetzten Truppen hatte eine Stafette um Verhaltungsmaßregeln nach dem Hauptquartiere abgeschickt und mußte bis zur Rückkehr derselben hier verweilen.

Ueber alles dies war nicht viel zu sprechen. Das Einzige, was in der Stadt den Gegenstand der besonderen Aufmerksamkeit bildete, war der Umstand, daß mit diesen Leuten eine Dame gekommen war, eine Dame von so wunderbarer Schönheit, daß sie den Neid der Frauen und die Bewunderung der Männer im Sturme erobert hatte, trotzdem sie nur erst zweimal in der Kirche zu sehen gewesen war.

Sonderbarer Weise hatte sie sich nicht in der Stadt, sondern droben im alten Kloster eine Wohnung gesucht, und zwar bei dem jetzigen Pförtner und Heilgehilfen der Anstalt, welcher unter dem Namen Pater Hilario allgemein bekannt, aber keineswegs beliebt war.

Es war Abend, und Pater Hilarius saß in seiner Klause, über alten medizinischen Schriften brütend. Seine Stube war höchst einfach eingerichtet. Das einzige Auffällige hier waren die vielen Schlüssel, welche rund an den Wänden hingen.

Der Pater war ein kleines, hageres Männchen mit Kahlkopf. Sein vollständig glattrasirtes Gesicht zeigte jene Verbissenheit, welche man nicht bei Menschen, sondern nur bei Bulldoggen suchen möchte und doch bei den Ersteren zuweilen findet. Er mochte im Anfange der siebziger Jahre stehen, schien aber noch ziemlich rüstig zu sein.

Da klopfte es leise an die Thür. Er hörte es dennoch sogleich, und es ging ein Lächeln über sein Gesicht, ein Lächeln, welches nur sehr schwer zu be-


// 1989 //

schreiben ist. Könnte der Stößer lächeln, wenn er das Nahen einer ahnungslosen Taube gewahrt, so würde sein Lächeln genau dasjenige des Paters Hilario sein.

»Herein!« sagte er im freundlichsten Tone, der ihm möglich war.

Die Thüre öffnete sich, und wer trat ein? Sennorita Emilia, welche wir bereits von Chihuahua her kennen.

»Guten Abend, ehrwürdiger Herr!« grüßte sie.

»Hoch willkommen, schöne Sennorita!« antwortete er, indem er sein Buch zuklappte und sich vom alten Stuhle erhob.

»Ich hoffe doch nicht, daß ich störe?« lächelte sie.

»Stören, Sennorita? Wo denkt Ihr hin. Ich stehe Euch zu jeder Zeit, bei Tage und bei Nacht, mit tausend Freuden zur Verfügung. Darum habe ich mir ja auch erlaubt, bei Euch anfragen zu lassen, ob Ihr die Gewogenheit haben wollt, an meiner Abendchocolade theilzunehmen.«

»Und ich bin Eurer Einladung sehr gern gefolgt, weil ich dabei Gelegenheit finde, die Langeweile des Abends ein wenig zu verplaudern.«

»O, an dieser Langeweile seid Ihr ja selber schuld!«

»Wieso?«

»Warum habt Ihr Euch bei mir und nicht unten in der Stadt einquartirt? Da unten hätte es an Kurzweile nicht gefehlt.«

»Ich danke für diese Kurzweile! Eine Unterhaltung mit einem Charakter, dem ein langes Leben Gelegenheit gegeben hat, zu krystallisiren, ist mir mehr werth, als jene Zerstreuungen.«

Sie nahm nachlässig auf dem Sopha Platz, welches in dem Zimmer stand. Aber diese Nachlässigkeit war eine so fein berechnete, daß dabei die Schönheit ihrer vollen elastischen Formen auf das Deutlichste hervorgehoben wurde.

Der frühere Mönch ließ seine Augen mit gierigen Blicken auf ihr ruhen. Es war, als ob er sie verschlingen möchte. Sie aber that, als ob sie dies gar nicht bemerke.

»Wollt Ihr etwa sagen, daß Ihr mich für so einen krystallisirten Charakter haltet?« fragte er.

»Gewiß,« antwortete sie unter einem Aufschlage ihrer Augen, der so fromm, so unbefangen und unbewußt war und doch das älteste Herz mit jugendlicher Gluth durchfeuern konnte. »Ich hasse das Unfertige, Unvollendete, auch in Beziehung auf den Umgang mit den Menschen. Ich würde nie mit einem Manne sympathisiren, dessen Inneres und Aeußeres noch zu wachsen, sich noch zu entwickeln hat.«

»Ihr vergeßt aber, daß beim Menschen in demselben Augenblicke, an welchem das Wachsthum aufhört, auch sofort der Niedergang wieder beginnt.«

»O, was nennt Ihr Niedergang, Sennor Hilario? Wenn der Mensch von den Kräften seines Körpers und Geistes übergeben kann, so ist dies doch nur ein Beweis, daß er ein überreichliches Quantum dieser Kräfte besitzt.«

»Sonach würde es für Euch ja gar kein Alter geben!«

»Allerdings nicht.«

»Auch in der Liebe nicht?« fragte er mit unsicherem Nachdrucke.


// 1990 //

»Auch da nicht. Ich könnte mein Herz niemals einem Manne schenken, dessen Jahre nicht Ehrerbietung von mir forderten.«

»Aber auch einem Greise nicht?«

»Warum nicht? Was nennt Ihr einen Greis? Wir haben jugendliche Greise und grauköpfige Jünglinge. Habt Ihr noch nicht gehört, daß es Mädchen giebt, welche eine Vorliebe für graues Haar besitzen?«

»Ja, es soll solche geben. Aber gehört vielleicht auch Ihr zu ihnen?«

»Ja.«

Er wollte mit Eifer weiter sprechen, wurde aber unterbrochen, denn es trat eine alte Frauensperson ein, welche die Chocolade brachte. Aber sogleich, als diese sich wieder entfernt hatte, goß er seinem schönen Besuche eine Tasse voll und sagte:

»Trinkt, Sennorita. Es ist zum ersten Male, daß eine Dame mir diese Ehre erweist, und ich würde viel darum geben, wenn ich dieses Glück täglich genießen könnte.«

»Haltet Ihr es wirklich für ein Glück?« fragte sie in einem Tone, der sein altes Blut in Wallung brachte.

»Ja,« antwortete er. »Es ist das größte Glück, welches es nur geben kann. Ich wollte, Ihr wäret nicht nur Gast, sondern Bewohner des Hauses. Wie schade, daß Ihr es verlassen müßt, sobald die Franzosen wieder aufbrechen!«

»Die Franzosen? Was gehen mich diese an?«

Er horchte auf.

»Ich denke, Ihr gehört zu ihnen?« fragte er.

»Warum denkt Ihr das, Sennor?«

»Weil Ihr mit ihnen gekommen seid. Man meint hier allgemein, Ihr seid die Frau oder die Wittwe eines ihrer Offiziere.«

Sie schlug eine helle, melodische Lache auf, deren Klang alle seine Fibern erbeben ließ. Er hatte noch nie ein so entzückendes, hinreißendes Lachen gehört. Dann sagte sie:

»Da irrt man ganz außerordentlich. Sagt einmal aufrichtig, habe ich das Aussehen einer alten Frau oder einer Wittwe?«

Sein Auge glühte auf ihre schöne, reizvolle Gestalt herüber, als er antwortete:

»Einer alten? O, Sennorita, was denkt Ihr! Ihr würdet ganz sicher selbst Venus besiegen, wenn sie es wagen wollte, sich in einen Wettstreit mit Euch einzulassen!«

»Ein zu starkes Compliment ist kein Compliment, Sennor!«

»O, ich sage die Wahrheit!« rief er begeistert. »Ihr gehört also nicht zu den Franzosen?«

»Nein.«

»Aber warum reist Ihr mit ihnen?«

»Weil sie den Auftrag haben, mich zu beschützen, mich sicher nach Mexiko zu bringen. Ich hatte die Absicht, Chihuahua, wo ich sehr einsam wohnte, mit der Hauptstadt zu vertauschen, und bei den Wirren, unter denen unser Land jetzt leidet, war es mir höchst willkommen, mich einer solchen Begleitung anschließen zu können.«


// 1991 //

»Ihr hattet keine Verwandte in Chihuahua?«

»Nein.«

»Aber in Mexiko findet Ihr welche?«

»Auch nicht. Ich stehe ganz allein im Leben da.«

»Aber was treibt Euch nach Mexiko, Sennorita?«

Sie schlug die Augen nieder und erröthete so natürlich, wie man es nur durch die größte Uebung zu Stande bringen kann.

»Ihr bringt mich fast in Verlegenheit mit dieser Frage, Sennor,« antwortete sie.

»So bitte ich um Verzeihung! Aber ich nehme einen so freundlichen, einen so innigen Theil an Euch, daß ich glaubte, diese Frage aussprechen zu dürfen.«

»Ich danke Euch und sehe ein, daß Euch gegenüber eine Prüderie ganz und gar nicht am Platze wäre. Ich achte und schätze Euch und will Euch dies beweisen, indem ich Eure Frage beantworte. Ein von der Natur nicht ganz und gar vernachlässigtes Weib muß fühlen, daß es nicht für die Einsamkeit bestimmt ist.«

»Ah, fühlt Ihr das, Sennorita?« fragte er rasch.

»Ja. Gott hat uns die herrliche Aufgabe zugetheilt, zu lieben und durch die Liebe glücklich zu machen. Ich bin noch nicht an diese Aufgabe herangetreten, in Folge meines einsamen Lebens.«

»Ihr hättet noch nicht geliebt?«

Bei diesen Worten ruhte sein Auge mit wahrer Gier auf ihrer Gestalt. Sie senkte abermals die langen, seidenen Wimpern, und ihr schöner, voller Busen hob sich unter einem tiefen, sehnsüchtigen Seufzer. Er fühlte, daß er vor Liebe zu diesem Weibe verrückt werden könne.

»Nein, noch nie,« antwortete sie leise, als ob sie sich dieser Antwort schäme.

»Und doch besitzt Ihr Alles, was einen Mann bis zum Wahnsinn glücklich machen kann,« antwortete er mit sichtbarer Begeisterung.

»Ich habe das leider noch nicht erfahren. Ich lernte noch Keinen kennen, bei dessen Anblicke ich mir sofort gesagt hätte, daß ich sein Eigen sein möchte. Doch Mexiko ist größer als Chihuahua. Ich will nicht länger einsam sein. Das ist der Grund, daß ich nach dieser Stadt ziehe.«

»Ah, Ihr wollt Euch dort einen Mann suchen?«

Sie erröthete, doch sah es aus, als ob sie ihr Schamgefühl zu beherrschen suche. Ihr Auge fest und offen auf ihn richtend, antwortete sie:

»Ich will das Euch gegenüber nicht leugnen, obgleich ich bei einem Anderen wohl nicht so aufrichtig sein würde.«

»Muß dies grad in Mexiko sein, Sennora? Giebt es anderwärts nicht Männer, welche Euren Werth zu schätzen wissen würden?«

»Ihr mögt recht haben. Aber wer einen Baum sucht, der soll in den Wald gehen, wo ihrer viele zu finden sind, und nicht auf das offene Feld, wo im glücklichen Falle ein einziger zu finden ist.«

»Ihr habt recht. Aber wenn man nun auf dem Wege zum Walde einen Baum trifft, dem darnach verlangt, daß die grüne Ranke sich um ihn schlingen und an ihm blühen möge?«


// 1992 //

Sie machte eine überraschte Bewegung mit der Hand, stimmte einen neckisch-heiteren Ton an und antwortete lachend:

»So bleibt man stehen, um ihn sich anzuschauen.«

»Und wenn er Einem gefällt?«

»Nun, so rankt man sich getrost an ihm hinauf. Nicht, Sennor Hilario?«

Auf seinem Faungesichte glänzte das helle Entzücken.

»Gewiß, Sennorita,« antwortete er. »Nur fragt es sich, welche Eigenschaften und welches Alter dieser Baum haben müßte oder haben dürfte.«

»Nun, er dürfte nicht jung und schwankend sein. Ehrwürdigkeit ziert einen Baum, und das Moos verleiht ihm hochpoetische Reize.«

»Sennorita, Ihr seid ein Engel!« rief er ganz entzückt.

»Das könntet Ihr wohl schwerlich beweisen.«

»Ich fühle es, und das ist genug. Darf ich einen solchen Baum für Euch suchen?«

»Thut es immerhin. Es steht mir ja doch frei, mich für ihn zu entscheiden oder nicht.«

»Ja, das steht Euch allerdings frei,« sagte er tief aufathmend, da er seine innere Erregung kaum bemeistern konnte. Und mit heller, beinahe bebender Stimme fügte er hinzu: »Der Baum steht nämlich hier in Santa Jaga.«

»Hier? Wo?« fragte sie mit gutgespielter Verwunderung.

»In unserem Kloster della Barbara.«

»Im Kloster, Sennor? Ich habe da noch keinen Baum gesehen.«

»O doch. Er steht ja vor Euch.«

Er stieß diese Worte mit hörbarer Gewalt hervor. Um seinen Mund lag jenes angstvolle Lächeln, welches geeignet ist, selbst das schönste Gesicht zu verzerren. Sie schien das nicht zu bemerken. Sie blickte ihn groß an und fragte:

»Ihr? Meint Ihr Euch, Sennor?«

»Ja.«

»Ach, bei Gott, das hatte ich nicht erwartet!«

Sie legte wie in heller, mädchenhafter Verwunderung die schönen, weißen Hände zusammen und blickte ihn mit einem Ausdrucke an, der unbedingt ein Meisterstück der Verstellungskunst genannt werden mußte. Es war darin zu lesen freudige Ueberraschung und Genugthuung, Glück und Schadenfreude, Wonne und Hohn, aufleuchtende Liebe und stiller Ekel, Gewißheit der Erhörung und der Triumph der weiblichen Schlauheit und Berechnung. Aber grad diese Contraste machten das schöne Mädchen in diesem Augenblicke geradezu unwiderstehlich. Er hätte jetzt ihr zu Liebe einen Mord ausführen können und fragte:

»Nicht erwartet habt Ihr dies? Warum? Ihr selbst habt ja den Baum zum Vergleichsbilde gewählt. Habt Ihr mich nicht verstanden?«

»Verstanden habe ich Euch, Sennor,« lächelte sie. Und mit einem himmlisch-diabolischen Lächeln fügte sie hinzu: »Ihr meint unter dem Baume den Mann, den ich suche?«

»Ja, allerdings, Sennorita.«

»Und dieser Mann wolltet Ihr selbst sein?«

»O, wie gern. Ich wollte Alles, Alles aufbieten, um Euch glücklich zu machen.«


Ende der dreiundachtzigsten Lieferung - Fortsetzung folgt.



Karl May: Waldröschen

Karl May – Forschung und Werk