Lieferung 82

Karl May

10. Mai 1884

Waldröschen
oder
Die Rächerjagd rund um die Erde.

Großer Enthüllungsroman
über die
Geheimnisse der menschlichen Gesellschaft

von

Capitain Ramon Diaz de la Escosura.


// 1945 //

»Wenn er das wirklich gethan hat, was er sagt, so verdient er Gnade.«

»Ich habe ihn überwunden, und er soll sterben!«

Da zog Sternau seinen Revolver, ließ die Hand des Miztecas los und sagte:

»Stich zu, wenn Du es wagst, ihn gegen meinen Willen zu tödten!«

Dabei richtete er den Lauf seiner Waffe gegen ihn. Der Indianer konnte sich dem Eindrucke von Sternaus Persönlichkeit nicht entziehen.

»Du drohst mir, Deinem Verbündeten?« fragte er.

»Ja. Tödtest Du ihn, so bist auch Du eine Leiche.«

»Gut! Ich werde mit Büffelstirn sprechen!«

»Thue das; aber versuche nicht gegen meinen Willen zu handeln!«

Der Miztecas ließ von dem Mexikaner ab und ging zu seinem Häuptlinge. Sternau beachtete das nicht, sondern wendete sich zu dem Manne, der noch immer blutend am Boden lag, jetzt aber wenigstens von der unmittelbaren Todesgefahr errettet.

»Du sagst, Du habest die Gefangenen gespeist?« fragte er.

»Ja, Sennor,« antwortete der Gefragte. »Ich danke Euch, daß Ihr diesem Indianer Einhalt thatet! Ich wäre verloren gewesen.«

»Welche Gefangenen meinst Du?«

»Die Drei, welche unten im Keller liegen. Ich habe ihnen täglich durch ein Loch Brod, Wasser und Licht hinabgelassen.«

»Warum?«

»Einer meiner Kameraden, welcher mit Cortejo fortgehen mußte, bat mich darum. Ich hoffe, daß Ihr das berücksichtigt, Sennor.«

Sternau ahnte, daß der genannte Kamerad jedenfalls der Mexikaner sei, welchem das Gesicht des Haziendero immer erschien und welcher, im Walde am Rio Grande sterbend, noch mit seinen letzten Worten gesagt hatte, daß er den Gefangenen Wasser und Brod gegeben habe.

»Gut,« sagte er, »Du sollst leben. Wie steht es mit Deinen Wunden?«

»Ich weiß es nicht, Sennor.«

Sternau untersuchte ihn schnell; das Ergebniß war kein schlimmes.

»Du bist nicht gefährlich verletzt; der Blutverlust hat Dich geschwächt. Ich werde Dich verbinden.«

Er that dies, so schnell es in der Eile gehen wollte und vertraute ihn dann der Obhut der beiden Miztecas an, welche mit den Fackeln im Hausflur standen. Er war überzeugt, daß man seinen Befehl, diesem Manne nichts zu thun, respectiren werde.

Während sich diese kurze Scene abspielte, war auch der Kampf beendet worden. Die letzten im Hofe befindlichen Mexikaner waren todt. Nur draußen im freien Felde hörte man hier oder da noch einen vereinzelten Schuß fallen. Bärenherz trat zu Sternau, welcher beobachtend am Eingange stand.

»Der Sieg ist unser,« meldete er in seiner einfachen, wortkargen Weise.

»Sind Feinde entkommen?« fragte Sternau.

»Ja.«

»Viele?«


// 1946 //

»Nur Einige.«

»Man mag sie immerhin entwischen lassen. Die Rache ist blutig genug ausgefallen.«

»Lebt Sennor Arbellez?«

»Ja. Wir wollen hinab zu ihm.«

Auch Büffelstirn trat herzu. Er erwähnte kein Wort darüber, daß Sternau einen der Feinde in Schutz genommen hatte. Die Drei begaben sich nach dem Keller, wo sie die befreiten Gefangenen unter dem Schutze der Miztecas fanden, welche Sternau hinabgesandt hatte.

Büffelstirn kniete neben Arbellez nieder.

»Kennt Ihr mich, Sennor?« fragte er.

Der Haziendero nickte.

»Wer hat Euch schlagen lassen? Die Tochter des Cortejo?«

Ein zweites Nicken diente als Antwort.

»Leidet Ihr große Schmerzen?«

Der Verwundete antwortete durch ein leises Stöhnen, welches mehr sagte als viele Worte. Er mußte fürchterlich ausgestanden haben.

»Es sind viele der braven Miztecas im Kampfe verletzt,« sagte Sternau; »aber Sennor Arbellez soll der Erste sein, welchem ärztliche Hilfe wird. Tragen wir ihn hinauf in ein ruhiges Zimmer!«

»Er soll von mir gepflegt werden,« meinte Maria Hermoyes. »Ich werde nicht ruhen, bis seine Wunden wieder geheilt sind.«

Sternau eilte voraus, um ein passendes Zimmer auszusuchen, in welches der Haziendero getragen wurde. Als Sternau ihn untersuchte, stellte es sich heraus, daß die Lappen, mit denen er verbunden worden war, fest an seinen Wunden klebten. Sie mußten langsam und vorsichtig losgeweicht werden. Dann erst sah man, wie geradezu teuflisch er mißhandelt worden war. Er mußte fürchterliche Schmerzen ausgestanden haben.

Als er von Sternau regel- und kunstgerecht verbunden worden war, ließen diese Schmerzen nach. Man sah es ihm an, welche Erleichterung er fühlte. Er ergriff die Hand des Arztes, drückte sie leise und flüsterte:

»Dank, Sennor!«

Mehr konnte er nicht sagen. Büffelstirn legte ihm die Hand auf den Kopf.

»Ich werde meinen Bruder Arbellez rächen,« betheuerte er. »Kein Mensch soll mich daran irre machen. Wo ist Die, welche ihn hat schlagen lassen?«

Am besten konnte Der antworten, welcher soeben eingetreten war, nämlich Helmers. Er hatte die Anwesenden gesucht und bei seinem Eintritte die Frage gehört.

»Sie liegt gefesselt in Emmas Zimmer,« antwortete er. »Wir werden sofort Gericht über sie halten. Vorher aber muß ich den Vater begrüßen.«

Er bog sich über Arbellez herab und küßte ihn auf die bleichen Lippen.

»Das ist der Augenblick, nach welchem ich mich lange, lange Jahre gesehnt habe,« sagte er. »Jetzt ist mein Wunsch erfüllt, und nun kann die Rache beginnen.«


// 1947 //

Arbellez hatte jetzt so viel Kraft, daß er die Arme langsam erheben konnte. Er legte sie Helmers um den Hals und sagte flüsternd:

»Gott segne Dich, mein Sohn!«

Mehr zu thun oder mehr zu sagen, war er zu schwach; aber auf seinem Gesichte sprach sich deutlich das Glück aus, den Sohn wiedergefunden zu haben und nun bald auch die Tochter wiedersehen zu können. Dieser Ausdruck des Glückes mit dem Zuge des Leidens, unter welchem er niederlag, war so rührend, so ergreifend, daß keiner der Anwesenden die Thränen zurückhalten konnte. Selbst Bärenherz sagte:

»Unser kranker Bruder soll wieder gesund werden und glücklich sein. Aber Die, welche ihn gepeinigt hat, soll unsere Rache tragen!«

»Man hole sie!« meinte Büffelstirn. »An seinem Lager soll sie erfahren, welche Strafe sie erwartet.«

»Sie ist ein Weib!« mahnte Sternau.

Sein Ton war ein begütigender. Ihn grauste im Voraus bei dem Gedanken an die Strafe, welche der Angeklagten bevorstand, wenn diese von Rache erfüllten Männer zusammentraten, um ihr Schicksal zu bestimmen.

Da aber legte Büffelstirn ihm die Hand auf den Arm und sagte:

»Sie ist kein Weib; sie ist ein Teufel. Mein Bruder hat es von mir erlangt, daß vorhin einer der Feinde sein Leben erhielt. Mehr aber verlange er nicht. Dieses Weib ist schlimmer als alle unsere andern Feinde. Sie ist der böse Geist, welcher ihren Vater beherrscht. Sie ist es, welcher wir alle Leiden zu verdanken haben. Sie werde gerichtet nach dem, wie sie gehandelt hat. Ich selbst werde sie holen.«

Er ging und brachte nach wenigen Minuten Josefa geführt.

Sie war an Händen und Füßen gefesselt, an den Letzteren jedoch so, daß sie mit kleinen, engen Schritten zu laufen vermochte. Sie sah bleich aus, fürchterlich bleich, theils in Folge der Angst, welche sie jetzt wohl fühlte, theils aber auch in Folge der innerlichen Verletzungen, an denen sie litt und welche ihr jedenfalls Schmerzen bereiteten.

Petro Arbellez warf einen Blick auf sie und schloß dann die Augen. Er mochte sie gar nicht mehr sehen. Auch Maria Hermoyes wendete sich zur Seite, aber Antonio, der Vaquero, sagte:

»Endlich haben wir Dich, Du Teufelin! Du wirst nie wieder meinen Herrn schlagen lassen und mich einkerkern können. Man wird Dir jetzt Dein Urtheil sprechen. Ich möchte nicht an Deiner Stelle sein!«

Sie antwortete nicht; aber aus ihren runden Eulenaugen schoß ein giftiger, haßerfüllter Blick nach dem Sprecher.

»Wer wird sie verhören?« fragte Helmers.

»Verhören?« antwortete Büffelstirn, indem sich seine Brauen zusammenzogen. »Wozu soll sie verhört werden? Sie weiß, was sie verschuldet hat, und wir wissen es auch. Sie hat den Tod verdient.«

»Ja, den Tod!« sagte Bärenherz.

»Sie muß sterben; das versteht sich von selbst,« stimmte auch Helmers bei.


// 1948 //

»Darüber sind wir also einig,« fuhr Büffelstirn fort. »Aber wo und wie soll sie sterben? Meine Brüder mögen berathen.«

»Ein einfacher Tod ist zu wenig für sie,« erklärte Antonio, der Vaquero.

»Ihr Sterben soll ein zehnfaches sein,« antwortete Büffelstirn. »Ich weiß, welches Urtheil wir über sie fällen müssen.«

»Welches?« fragte Helmers.

»Wir geben sie den Krokodilen zu fressen.«

»Das ist zu wenig!« fiel der Vaquero ein. »Was hätte sie da für Schmerzen auszustehen? Ein Druck und ein Schluck, dann ist sie weg. Das ist keine Strafe für Alles das, was sie auf dem Gewissen hat.«

»Sie soll nicht schnell sterben, sondern die Krokodile werden nach ihr springen müssen,« sagte Büffelstirn. »Wissen meine Brüder, was ich meine?«

»Ja,« antwortete Helmers. »Ich stimme bei.«

»Der Wille meines Bruders ist auch der meinige,« erklärte Bärenherz.

»Und was sagt der Herr des Felsens dazu?« fragte der Miztecas.

Sternau schauderte. Er dachte an die Scenen, welche sich vor Jahren am Teiche der Krokodile abgespielt hatten. Das war ein fürchterliches Urtheil. Sie hatte es verdient, dennoch aber antwortete er:

»Auch ich erkläre, daß sie den Tod verdient hat, aber ich werde meine Einwilligung zu einer solchen Grausamkeit nicht geben.«

»Mein Bruder thut Unrecht, sie zu beschützen,« sagte Bärenherz. »Will er sie erschießen lassen? Eine Kugel wäre eine Belohnung für sie!«

»Es bleibt bei dem, was ich gesprochen habe,« erklärte Büffelstirn.

»Trotzdem ich meine Einwilligung versagte?« fragte Sternau.

»Ja, trotzdem! Mein Bruder hat eine Stimme; wir andern aber überstimmen ihn; er wird sich in unsern Willen schicken müssen!«

»Nach den Gesetzen der Prairie und der rothen Männer ist das richtig. Aber ich habe zu bemerken, daß ich ein größeres Recht als alle Andern auf dieses Frauenzimmer habe.«

»Unser Recht ist eben so groß!« erklärte Büffelstirn.

»Nein. Meine Brüder kennen die Geschichte der Familie Rodriganda. Es giebt da Geheimnisse, welche aufzuklären sind, und Josefa Cortejo kann mir alle Auskunft geben. Es darf ihr nichts geschehen, bevor sie mir Alles gestanden hat. Das fordere ich ganz bestimmt.«

»Mein Bruder hat recht,« sagte Bärenherz. »Aber er braucht ja nicht zu säumen. Hier steht sie; er kann fragen und dann mag sie sterben!«

Josefa hatte bisher kein Wort gesprochen. Sie hielt die Augen nicht etwa verlegen niedergeschlagen, sondern trotzig in die Ecke gerichtet. Sie war in diesem Augenblicke sich bewußt, daß ihr Leben für Sternau einen viel zu großen Werth habe, als daß er in ihren Tod willigen könne. Sie sagte sich, so lange sie nicht gestehe, müsse er sie leben lassen; darum nahm sie sich vor, diesen Vortheil sich um keinen Preis entwinden zu lassen.

Sternau zeigte auf einen Stuhl und sagte zu ihr:

»Setzt Euch, Sennorita! Ich habe mit Euch zu sprechen.«

Sie that, als ob sie seine Worte gar nicht gehört habe.


// 1949 //

»Gut, Ihr werdet auch im Stehen reden können,« meinte er.

»Ihr seid mit den Verhältnissen der Familie Rodriganda gut bekannt?«

Sie antwortete nicht.

»Ich fragte, ob Ihr mit den Verhältnissen der Rodriganda bekannt seid!«

Sie schwieg auch jetzt noch. Sternau zog die Brauen finster zusammen und sagte:

»Ihr habt gehört, daß ich es nicht so schlimm mit Euch meine, wie die Andern. Ich möchte Euch möglichst schonen, werde jedoch davon absehen, wenn Ihr bei diesem herausfordernden Schweigen beharrt. Ich hoffe also, daß Ihr mir jetzt meine Frage beantworten werdet.«

Er blickte sie erwartungsvoll an, doch vergebens.

»Ich sehe ein,« fuhr er fort, »daß man mit Euch anders verfahren muß. Ihr zwingt mich, Euch auf gewaltsame Weise zur Sprache zu verhelfen, die Euch abhanden gekommen zu sein scheint. Wollt Ihr reden oder nicht?«

Sie schwieg.

»Antonio, führe sie hinaus, und gieb Ihr zwanzig Hiebe, aber ebenso tief wie diejenigen, welche Sennor Arbellez erhalten hat!«

Der Vaquero schmunzelte am ganzen Gesichte.

»Das soll sehr gewissenhaft besorgt werden, Sennor,« sagte er. »Soll ich sie dann wieder bringen?«

»Natürlich!«

»Schön! Vorwärts, Sennorita! Ihr sollt nicht zu kurz kommen!«

Er faßte sie beim Arme, um sie zur Thür hinauszuführen. Sie merkte, daß es sich jetzt ganz und gar um keinen Scherz handele; darum brach sie das Schweigen und sagte:

»Was soll ich viel von den Rodriganda's wissen!«

»Ah! Jetzt ist die Sprache wieder da! Für dieses Mal will ich das von mir diktirte Recept nicht in Anwendung bringen. Stellt aber meine Nachsicht nicht zum zweiten Male auf die Probe; es würde Euch schlecht bekommen! Also Ihr wißt nichts über die Verhältnisse der Rodriganda's?«

»Nur so viel, als ich als Tochter eines Mannes weiß, welcher bei den Rodrigandas angestellt ist.«

»Nun, was ist das?«

»Was wollt Ihr erfahren?«

»Ich will kein langes Verhör anstellen, sondern mich kurz fassen. Ihr wißt, daß Alfonzo nicht der Sohn des Grafen Rodriganda ist?«

»Was soll er sonst sein?«

»Der Sohn eines Andern.«

»Wessen?«

»Eures Onkels Cortejo.«

»Das ist lächerlich!«

Sie schlug wirklich eine helle, höhnische Lache auf.

»Ihr werdet nicht lange lachen, Sennorita. Ich sagte bereits, daß ich kein umfangreiches Verhör anstellen will. Ihr habt einfach zu wählen zwischen dem Tode und einem offenen Geständnisse.«


// 1950 //

»Und vorausgesetzt, daß ich etwas zu gestehen hätte, was würde dann mit mir geschehen, wenn ich gestanden hätte?«

»Ihr würdet auf meine Nachsicht rechnen können.«

»Aber nicht auf die Nachsicht der Andern. Uebrigens habe ich Euch nicht das Mindeste zu gestehen.«

»Nicht? Hm! Sagt doch einmal, ob Ihr nicht einen gewissen Henrico Landola kennt!«

»Nein.«

»Auch Euer Vater kennt ihn nicht?«

»Wie soll ich das wissen?«

»Wart Ihr beim Tode des Grafen Ferdinando mit zugegen?«

»Nein.«

»Aber bei seinem Begräbnisse?«

»Ja.«

»Ihr wußtet, daß er nicht todt sei?«

»Ich verstehe Euch nicht! Er war ja todt!«

»Nein; er lebt ja noch!«

»Davon weiß ich nichts.«

»Und der Brief, den Ihr an Euren Vater geschrieben habt?«

»Der geht mich nichts an.«

»Gut, ich sehe, woran ich mit Euch bin. Ich durchschaue Euch. Ihr denkt, Euer Leben sei mir werthvoll, da Ihr im Besitze von Geheimnissen seid, welche ich erfahren will. Ihr denkt, ich werde nicht in Euern Tod willigen, bevor Ihr mir Alles enthüllt habt. Aber Ihr irrt Euch. Eure Geheimnisse sind bereits durchschaut. Euer Schweigen nützt Euch nicht das Mindeste. Ich will nicht in Abrede stellen, daß ein reumüthiges Bekenntniß mich veranlaßt hätte, für Euch einzutreten; nun aber kann es mir gar nicht einfallen, gegen das Urtheil zu sein, welches meine Kameraden über Euch ausgesprochen haben.«

Er sah sie einen Augenblick lang erwartungsvoll an. Ihre Miene zeigte, daß ihre Zuversicht erschüttert war, aber dennoch fiel es ihr nicht ein, die Mahnung Sternaus zu beherzigen.

»Ich habe nichts zu bereuen, und ich habe keine Bekenntnisse abzulegen.«

Nach diesen in trotzigem Tone ausgesprochenen Worten wendete sie sich ab, um anzudeuten, daß man gar nicht weiter in sie zu dringen brauche.

»Ganz wie Ihr wollt, Sennorita,« sagte Sternau. »Ihr mögt noch auf Rettung hoffen, aber die Erfüllung dieser Hoffnung ist eine Unmöglichkeit. Da Ihr selbst nichts thut, um das Euch drohende Schicksal von Euch abzuwenden, so dürft Ihr auch von mir nichts erwarten.«

»Hütet Euch, mir ein Leid zu thun!« sagte sie drohend.

»Ah, Ihr wollt uns schüchtern machen?«

»Man würde mich fürchterlich rächen!«

»Wer würde das thun?«

»Unsere Anhänger.«

»Hofft auf diese nicht. Sie sind vernichtet. Sollten einige Wenige entkommen sein, so werden sie sich hüten, sich für Euch in Gefahr zu begeben.«


// 1951 //

»Noch lebt der Panther des Südens!«

»Pah, den fürchten wir nicht. Ihr verkennt Eure Lage ganz und gar. Ihr habt nichts, gar nichts mehr zu hoffen.«

»Das müßt Ihr mir erst beweisen!«

Da machte Büffelstirn eine Bewegung der Ungeduld.

»Wozu diese vielen Worte? Dieses Weib ist ja gar nicht werth, die Stimme eines Menschen zu hören.«

»Du hast recht,« antwortete Sternau. »Man schaffe sie fort! Ihr Anblick ist mir widerlich; er erregt mir Grauen und Abscheu.«

»Wohin?« fragte der Vaquero.

»Schließt sie in den Keller ein, in welchem Ihr selbst gesteckt habt. Zwei Männer mögen Wache halten. Sie haften mir mit ihrem Kopfe dafür, daß die Gefangene nicht entkommt.«

»Das soll sehr gern besorgt werden, Sennor. Sie mag das Logis kennen lernen, welches sie uns angewiesen hat. Soll sie auch hungern und dürsten?«

»Natürlich!«

»So kommt, meine schöne Sennorita!«

Antonio legte die Hand an sie, um sie fortzuschaffen. Sie schüttelte mit einer schnellen Bewegung diese Hand von sich ab und sagte:

»Wie, einsperren lassen wollt Ihr mich, Sennor Sternau?«

»Ja,« antwortete er.

»Mich, eine Donna? Mich, die Tochter eines Cortejo?«

»Nennt Euch um Gotteswillen keine Donna! Ihr seid ein Scheusal und die Tochter des größten Schurken, den ich kenne. Führe sie ab, Antonio!«

»Und ich gehe nicht mit!«

Sie stampfte mit dem Fuße und machte Miene, sich trotz ihrer gefesselten Hände zur Wehr zu stellen. Als Antonio dennoch die Hand ausstreckte, um sie anzufassen, spuckte sie ihm ins Gesicht und rief:

»Packe Dich, Mensch! Wie darfst Du es wagen, mich anzurühren!«

Das war dem braven Vaquero denn doch zu viel. Er holte aus und gab ihr eine Ohrfeige, die so kräftig war, daß die Getroffene zu Boden stürzte.

»Was? Anspucken willst Du mich, Canaille?« sagte er. »Das sollst Du nicht zum zweiten Male wagen.«

Er riß sie empor und schaffte sie aus dem Zimmer. Die Ohrfeige hatte sie so eingeschüchtert, daß ihr alle Lust zum Widerstande vergangen war.

»Du willigst jetzt in unser Urtheil?« fragte Büffelstirn Sternau.

»Ja,« antwortete dieser nach einigem Zögern.

»Daß sie von den Krokodilen gefressen wird?«

»Ja. Sie ist eine Milderung dieses Urtheiles nicht werth.«

»So werden wir mit Anbruch des Tages nach dem Berge el Reparo reiten, um sie in den Teich der Krokodile zu werfen.«

»Das ist zu früh,« erklärte Sternau.

»Warum?«

»Es haben noch Andere ihr Urtheil über sie zu sprechen und an ihrem


// 1952 //

Verhöre theilzunehmen. Wir müssen warten, bis Mariano und Graf Ferdinando angekommen sind. Anders geht es nicht.«

»Das wird sehr lange dauern.«

»Wir müssen ja auf alle Fälle einen Boten zu Juarez senden, um ihm zu sagen, daß die Hazienda unser ist und daß tausend Miztecas auf ihn warten, um für ihn zu kämpfen. Das wird das Kommen Marianos beschleunigen.«

»Aber Graf Ferdinando kann nicht kommen. Er ist krank. Und selbst wenn er gesund wäre, würden viele Tage vergehen, ehe er von Fort Guadeloupe nach der Hazienda kommen kann.«

»So müssen wir eben so lange die Vollstreckung unseres Urtheils aufschieben. Wir haben das Mädchen ja sicher in unsern Händen.«

»Sicher?« fragte Helmers. »Man kann nie wissen, was noch kommt.«

»Was sollte noch kommen? Die Wechselfälle des Lebens sind zwar unberechenbar; wir haben dies an uns selbst mehr als zur Genüge erfahren; aber bei nur einiger Vorsicht ist es ja ganz und gar nicht denkbar, wie wir gezwungen sein sollten, unsere Rache aufzugeben.«

»Wenn die Franzosen kommen sollten!«

»Vor ihnen sind wir hier sicher. Uebrigens, was hätte die Tochter eines Cortejo von den Franzosen zu hoffen? Und dabei blieb uns auf alle Fälle die Zeit, das Todesurtheil an ihr zu vollstrecken.«

»Ich sehe, Sie wollen Zeit gewinnen,« meinte Helmers mürrisch. »Was werden Sie von ihr erfahren? Nichts, gar nichts! Sie wissen ja bereits Alles.«

»Sie irren. Noch ist uns Einiges unbekannt und unerklärlich. Und übrigens genügt es keineswegs, daß Mariano hintritt und sagt, er sei der Sohn des Grafen Emanuel de Rodriganda. Es sind Dokumente und Zeugen nöthig, dies zu beweisen. Diese Josefa ist jedenfalls in Alles eingeweiht, und darum ist uns ihre Aussage von der allergrößten Wichtigkeit.«

»Ah, sie soll Zeugniß ablegen?«

»Ja.«

»Das heißt, sie soll so lange leben, bis der Prozeß, welcher in dieser Angelegenheit in Aussicht steht, beendet ist?«

»Diese Frage kann jetzt noch nicht beantwortet werden. Ein Geständniß vor Gericht aus ihrem Munde hätte einen ungeheuren Werth für uns. Doch meine ich, daß auch ein Geständniß an anderer Stelle genügt, wenn es von unparteiischen Zeugen beeidigt wird.«

»Nun, wir sind ja Zeugen!«

»Aber mehr oder weniger betheiligt. Der beste Zeuge wird Juarez sein. Wir müssen auf alle Fälle warten, bis er hier angekommen ist.«

»Ich wiederhole, daß es schade um die Zeit ist. Dieses Weib wird niemals ein Geständniß ablegen. Hier liegt Sennor Arbellez, den ich meinen Vater nenne; wir Alle wissen, was mit ihm geschehen ist. Schreit das nicht nach Rache? Ebenso wissen wir Alle, daß wir unsere früheren Schicksale zum großen Theile dem Einflusse dieses Mädchens zu verdanken haben. Schreit das nicht


// 1953 //

nach Rache und zwar nach augenblicklicher Rache? Wollen wir einen Akt der Gerechtigkeit aufschieben, den zu vollziehen unsere Pflicht ist?«

»Mein Bruder Donnerpfeil hat recht,« sagte Büffelstirn.

»Er hat recht,« stimmte Bärenherz bei.

Helmers fuhr fort:

»Hier giebt es noch andere Personen, deren Meinung zu befragen ist. Sennor Arbellez hat jedenfalls auch eine Stimme dabei. Soll sie sogleich sterben?«

Diese letzten Worte waren direct an den Kranken gerichtet. Die matten Augen leuchteten auf. Er dachte an die Behandlung, welche er erfahren und an die Schmerzen, welche er erlitten und auch noch zu erleiden hatte.

»Ja, sogleich,« antwortete er, zwar leise, aber deutlich hörbar.

»Und Sennora Hermoyes?« fragte Helmers.

»Ich bin ein Weib. Thut, was Ihr wollt,« lautete die Antwort.

»Und Antonio? Er würde, wenn er hier wäre, jedenfalls auch für augenblickliche Execution stimmen.«

»Ich kenne Euch kaum mehr,« sagte Sternau. »Euer Verlangen ist Euren Gefühlen angemessen; es mag vielleicht auch gerecht sein; aber die Rachsucht sollte sich doch von der Klugheit leiten lassen. Ich bestehe allen Ernstes darauf, daß Josefa wenigstens noch so lange leben bleibt, bis Juarez hier eingetroffen ist und mithin Diejenigen, welche wir bei ihnen zurückgelassen haben. Wird mir das nicht versprochen, so erkläre ich ein- für allemal, daß ich mich der Gefangenen bemächtigen werde, um sie an einen Ort zu bringen, wo ich für sie nicht eher etwas zu befürchten habe, als bis ihre Zeit abgelaufen ist.«

Er erhob sich von dem Stuhle, auf welchem er gesessen hatte, zum Zeichen, daß er jetzt sein letztes entscheidendes Wort gesprochen habe. Seine Worte hatten ihren Zweck nicht verfehlt, aber Keiner antwortete. Darum fuhr er fort:

»Ich bin also gezwungen, von Euch die bestimmte Erklärung zu verlangen, daß Ihr das Weib nicht eher tödtet, als bis Juarez anwesend ist.«

Da fragte Bärenherz:

»Was wird mein Bruder thun, wenn wir uns weigern, dies Wort zu sprechen?«

»Ich werde die Hazienda sofort verlassen.«

»Mit dem Weibe?«

»Ja.«

»Und wenn wir es ihm nicht geben?«

»So werde ich es mir mit den Waffen in der Hand erkämpfen. Aber ich bin überzeugt, daß ich dies nicht nöthig haben werde. Der Gedanke der Rache kann doch unmöglich stärker sein, als die Bande, welche die Freunde verbinden.«

»Mein Bruder hat recht. Ich gebe mein Wort, daß ich dieses Weib jetzt nicht tödten werde.«

»Und Büffelstirn?« fragte Sternau.

»Ich bin gezwungen, es auch zu geben,« antwortete dieser.

»Und Sie, Helmers?

Dieser blickte finster und mißmuthig vor sich hin. Dann meinte er:


// 1954 //

»Ich muß antworten wie Büffelstirn. Ich bin gezwungen, das Wort zu geben; aber ich lehne alle Verantwortlichkeit ab, wenn irgend ein Fall eintreten sollte, der die Gefangene unsern Händen entreißt.«

»Ich halte diesen Fall für unmöglich.«

»Wir selbst haben so viele scheinbare Unmöglichkeiten erlebt und an uns erfahren, daß ich mit dem Gebrauche der Worte möglich und unmöglich sehr vorsichtig bin. Also ich verspreche Ihnen, bis zur Ankunft von Juarez von einer Vollstreckung des Todesurtheils abzusehen, aber ich behalte mir vor, die spezielle und strenge Bewachung der Gefangenen zu übernehmen.«

»Es fällt mir nicht ein, Sie daran zu hindern. Es kann mir ja nur lieb und recht sein, wenn ich weiß, daß sie von scharfen Augen bewacht wird. Also genug hiervon. Ich habe also die Pflicht, nach unseren Verwundeten zu sehen.«

Er ging. Die drei Andern, nämlich Büffelstirn, Bärenherz und Donnerpfeil folgten ihm, blieben aber draußen auf dem Corridore wie auf vorherige Verabredung stehen.

»Was sagen die beiden Häuptlinge dazu?« fragte Donnerpfeil halblaut. »Ist es gut, daß wir Sternau seinen Willen gelassen haben?«

»Ugh!« antwortete der Apache. »Der Herr des Felsens ist klug. Er wird wissen, was er will, wenn auch ich es nicht weiß.«

»Nach seinen Gedanken hat er recht,« erklärte auch Büffelstirn.

»Auch ich stelle das keineswegs in Abrede; aber ich dürste nach Vergeltung.«

»Mein Bruder Donnerpfeil braucht ja nicht darauf zu verzichten,« meinte Büffelstirn.

»Ich muß aber doch ja verzichten, wenigstens für jetzt.«

»Nein. Die Rache kann ja bereits jetzt beginnen.«

»Wieso?«

»Man bereite der Gefangenen Qualen, so wie sie welche bereitet hat.«

Helmers wußte sogleich, daß der Häuptling der Miztecas einen bestimmten Gedanken habe. Darum fragte er rasch:

»Welche Qualen meint unser Freund Büffelstirn?«

»Die Qualen des Todes. Dieses Weib soll viele Male sterben. Sie soll die Rachen der Krokodile oft gegen sich geöffnet sehen.«

»Ah, ich begreife! Josefa Cortejo soll nach dem Berge el Reparo geschafft werden und denken, daß die Execution ausgeführt werden soll?«

»Ja. Sie soll alle Tage, bis Juarez kommt, nach dem Teiche der Krokodile geschafft und über dem Wasser aufgehängt werden.«

Helmers Augen leuchteten vor Vergnügen bei dem Gedanken auf, welche Qualen dies dem boshaften Weibe machen werde.

»Das ist gut; das ist schön!« sagte er. »Aber wird Sternau es dulden?«

»Nein,« antwortete Bärenherz.

Der Apache kannte den Deutschen sehr genau.

»So müssen wir es heimlich thun.«

»Ja, wir werden Sternau nichts sagen,« stimmte Büffelstirn bei. »Wird mein Bruder Bärenherz mit uns reiten?«


// 1955 //

»Nein,« antwortete der Gefragte.

»Warum nicht?«

»Sternau ist mein Bruder. Ich thue das, was er wissen darf.«

»Es ist auch mein Bruder,« antwortete Büffelstirn. »Aber noch viel eher war Arbellez mein Freund. Er ist bis auf die Knochen zerfleischt worden und ich habe dies zu rächen. Reitet Donnerpfeil mit?«

»Ja,« antwortete dieser. »Ich hoffe ja nicht, daß Bärenherz Sternau sagen wird, was wir vorhaben.«

»Bärenherz ist kein Verräther,« sagte der Apache einfach. Dann wendete er sich um und stieg die Treppe hinab.

Er war ein goldreiner Character. Seiner indianischen Anschauungsweise nach hatte er allerdings für augenblickliche Rache gestimmt; nachdem er sich aber der Ansicht Sternau's angeschlossen hatte, widerstrebte es ihm, sich an Etwas zu betheiligen, welches diesem verschwiegen bleiben mußte.

Die beiden Andern blieben zurück.

»Wann reiten wir?« fragte Helmers.

»Bei Tagesgrauen,« antwortete Büffelstirn.

»Allein?«

»Nein. Ich nehme mehrere meiner Männer mit. Es sind einige der Feinde entkommen und darum müssen wir vorsichtig sein.«

Das war also abgemacht, ohne daß Sternau eine Ahnung von Dem hatte, was hinter seinem Rücken besprochen worden war. Er war jetzt mit den verwundeten Miztecas vollauf beschäftigt. Gefallen waren ihrer nur Wenige, desto mehr aber verwundet. Die Stube, welche die Mexikaner als Wachstube benutzt hatten, wurde zum Verbandzimmer und Lazareth eingerichtet. Die Nacht war fast vergangen, als der letzte der Verwundeten seinen Verband angelegt erhalten hatte.

Fünf zuverlässige Männer, welche zugleich gute Reiter waren, hatten gleich nach errungenem Siege den Auftrag erhalten, sich auf den Weg nach Cohahuila zu machen, um Juarez von dem Geschehenen zu benachrichtigen. Sie waren auch sofort aufgebrochen und hatten einen Weg gewählt, welcher sie nicht in die Gefahr brachte, Franzosen zu begegnen.

Es fragte sich jetzt, was mit den Leichen der Gefallenen anzufangen sei. Büffelstirn war sofort mit einer Antwort bei der Hand.

»Die Krokodile der Miztecas haben lange kein Fleisch gefressen,« sagte er. »Man lade die Todten auf Pferde und bringe sie nach dem Berge el Reparo.«

Sternau schüttelte den Kopf.

»Das wäre grausig und zugleich zu anstrengend,« sagte er.

»Wie sonst will mein Bruder diese Leichen entfernen?«

»Wir begraben sie.«

»Man müßte eine sehr große Grube haben, und es wäre ebenso anstrengend, sie zu bereiten.«

»Wir brauchen keine Grube zu graben. Ich kenne von früher her die Vertiefung eines Steinbruches hier in der Nähe. Wir werfen die Leichen hinein und werfen Steine und Erde darauf.«


// 1956 //

»Ich kenne den Steinbruch. Er eignet sich sehr gut zum Grabe so vieler Leute. Aber warum sollen wir uns die Arbeit machen, die Leichen zu bedecken? Die Aasgeier werden kommen, um das Fleisch der Gefallenen in ihren Magen zu begraben.«

»Das widerstrebt mir. Ich selbst werde das Begräbniß beaufsichtigen. Will mir mein Bruder Büffelstirn so viele von seinen Männern geben, als ich brauche?«

»Ja, mein Bruder mag sie sich selbst auswählen.«

Der Häuptling der Miztecas gab diese Antwort sehr gern. Um zu dem Steinbruche zu kommen, mußte Sternau ja die Hazienda verlassen, und so konnte er also nicht bemerken, was mit Josefa vorgenommen wurde.

Der Morgen begann sich eben zu lichten, als eine beträchtliche Schaar der Miztecas unter Sternau's Anführung die Hazienda verließ. Sie hatten die Todten auf ledige Pferde geladen und führten alles Werkzeuge bei sich, welches zum Graben geeignet, auf der Hazienda vorhanden gewesen war.

Jetzt suchte Büffelstirn Helmers auf, welcher sich auch sehr leicht finden ließ.

»Es ist Zeit, aufzubrechen,« sagte er.

»Ich bin bereit,« antwortete Helmers. »Aber Deine Leute werden sehen, daß wir Josefa Cortejo mitnehmen!«

»Sie werden nicht davon sprechen. Komm!«

Sie stiegen zum Keller hinab. Dort standen zwei Mann Wache. Helmers trug den Schüssel bei sich und öffnete die Thür. Josefa lag an der Erde und machte keine Anstalt, sich zu erheben.

»Die Tochter Cortejos mag aufstehen und mit uns kommen,« sagte der Häuptling der Miztecas, indem er sie mit dem Fuße anstieß.

»Was wollt Ihr mit mir thun?« fragte sie.

»Das wirst Du sehen.«

Und als sie auch jetzt noch nicht aufstand, faßte er sie beim Arme und riß sie mit starker Hand empor und aus dem Loche heraus. Diese Behandlung verursachte ihr einen solchen Schmerz, daß sie laut aufschrie.

»Wenn Büffetstirn befiehlt, so hast Du zu gehorchen. Merke Dir das!« sagte er. Und sich zu den Wachen wendend, fuhr er fort: »Donnerpfeil wird wieder zuschließen; Ihr aber bleibt hier, gerade so, als ob dieses Weib sich noch darin befände. Der Herr des Felsens darf nicht wissen, daß wir sie heimlich mitgenommen haben.«

»Wirst Du sie wiederbringen?«

»Ja. Auch die andern alle haben zu schweigen. Sagt ihnen das!«

Josefa wurde nun in den Hof geführt und auf ein Pferd gebunden. Auch die beiden Männer stiegen auf und ritten, von zehn Miztecas begleitet, nach Westen hin davon, in welcher Richtung der Berg el Reparo lag.

Als nach einigen Stunden Sternau zurückkehrte und Büffelstirn suchte, um ihn nach Etwas zu fragen, fand er ihn nicht. Einer der Miztecas berichtete ihn:

»Er ist ausgeritten.«

»Allein?«

»Nein. Donnerpfeil war mit ihm und einige Männer von uns.«


// 1957 //

»Weshalb verließen sie die Hazienda?«

»Ich weiß es nicht.«

»Wohin sind sie?«

»Auch das weiß ich nicht.«

Das kam Sternau sonderbar vor. Er suchte Bärenherz auf und fand ihn, hinter dem Hause liegend, im Schlafe. Der Apache war ermüdet gewesen, hatte aber vorgezogen, seine Ruhe im Freien abzuhalten. Sternau weckte ihn.

»Hat mein Bruder den Häuptling der Miztecas davonreiten sehen?« fragte er.

»Nein.«

»Weiß mein Bruder auch nicht, wohin er ist?«

»Ich weiß es.«

»Nun, wohin ritt er?«

»Ich darf es nicht sagen.«

»Ah! Warum?«

»Ich habe es versprochen.«

»So darf ich auch nicht wissen, was Büffelstirn und Donnerpfeil vorhaben?«

Sternau blickte nachdenklich vor sich hin. Dann sagte er:

»Wenn Bärenherz versprochen hat, zu schweigen, so darf er allerdings nicht reden. Aber ich möchte wenigstens erfahren, ob ich mich über die Abwesenheit der beiden Freunde beruhigen kann.«

»Ich glaube nicht, daß ihnen etwas geschehen wird.«

»Thun sie etwas, was ich nicht billigen würde?«

»Darüber darf der Apache nichts sagen.«

»Ah! Sind sie vielleicht gar nach dem Berge el Reparo geritten?«

»Mein Mund darf nicht reden.«

Nach diesen Worten drehte der Apache sich auf die andere Seite, zum Zeichen, daß er mit dieser Angelegenheit nichts mehr zu thun haben wolle und sie als vollständig erledigt betrachte.

»Ich werde es doch erfahren!« sagte Sternau.

Von einer ganz bestimmten Ahnung getrieben, kehrte er in das Haus zurück und stieg in den Keller hinab. Dort standen die beiden Wachen vor der Thür.

»Wo befindet sich die Gefangene?« fragte er.

»Hier in diesem Loche,« antwortete der Eine.

»Schließt einmal auf!«

»Wir können nicht, wir haben keinen Schlüssel.«

»Wer hat ihn?«

»Donnerpfeil.«

»War Büffelstirn oder Donnerpfeil vorhin bei Euch?«

»Nein.«

»Habt Ihr gehört, daß diese beiden fortgeritten sind?«

»Nein.«

»Ruft einmal die Gefangene. Klopft an die Thür.«


// 1958 //

»Sie antwortet nicht.«

Sternau versuchte es selbst. Er klopfte und rief, erhielt aber keine Antwort.

»Sie ist wie der Käfer, welcher sich todt stellt, wenn er angerührt wird,« meinte der Eine der beiden Wächter.

Dennoch aber fühlte Sternau sich nicht beruhigt. Er fragte nochmals sehr dringlich:

»Sie befindet sich also wirklich da drin?«

»Ja.«

»Wenn Ihr Euch täuschtet, könnte großes Unheil entstehen!«

Da sie ihre Behauptung auch jetzt nicht widerriefen, so verließ er den Keller. Er konnte nicht begreifen, weshalb die Beiden ausgeritten seien, und sah sich gezwungen, trotz des Verdachtes, welchen er noch immer hegte, ihre Rückkehr geduldig abzuwarten.

Diejenigen, um welche es sich handelte, hatten unterdessen längst den Berg erreicht. Sie ritten an der Seite desselben hinauf und hielten an dem Teiche der Krokodile an, stiegen ab und nahmen auch Josefa vom Pferde.

Die Augen der Mexikanerin waren eingesunken und ihre Züge krampfhaft verzerrt. Sie besaß bei Weitem nicht die Zuversicht, welche sie Sternau gegenüber gezeigt hatte. Die Angst machte ihre Beine zittern. Sie sank zur Erde.

Der große seeartige Teich lag so einsam und verlassen da, umstanden von einem düstern Baumwuchse, dessen Spiegelbilder drohend aus der Tiefe emporblickten. Es war ein Ort, ganz einer grausigen Mordthat würdig.

»Warum bringt Ihr mich hierher?« fragte sie voller Angst.

»Das wirst Du bald sehen,« antwortete Helmers.

»Wollt Ihr mich morden?«

»Nein, aber richten!«

Sie schauderte zusammen. Man sah, wie sie die Lippen über einander preßte, um das Klappern ihrer Zähne nicht hörbar werden zu lassen.

»Ihr seid nicht meine Richter,« sagte sie.

»Wer denn, meine schöne Sennorita?«

»Ihr habt nicht das Recht, mich zu verurtheilen. Dazu ist die Obrigkeit da.«

»Ah! Bist Du vielleicht Obrigkeit?«

»Ich? Warum diese Frage?«

»Weil Du Sennor Arbellez verurtheilt hast und dieses Urtheil dann auch ausführen ließest. Wir beanspruchen nur dasselbe Recht wie Du.«

»Das steht Euch nicht zu! Ihr seid nur Jäger; ich aber bin die Tochter des zukünftigen Präsidenten!«

»Seit wann dürfen die Töchter der Präsidenten richten und Urtheil sprechen? Uebrigens machst Du Dich ungeheuer lächerlich. Dein Vater ist ein Schurke, den wir noch fassen werden, und Du bist nichts als der Inbegriff aller Häßlichkeit und Schändlichkeit. Du bist ein ekelhafteres Gewürm als die Krokodile, denen wir Dich als mageren Bissen vorwerfen werden!«

Das hatte ihr noch Niemand gesagt, aber dennoch fühlte sie keine Entrüstung über diese Beleidigung. Die Angst hatte ihren Stolz gebrochen. Sie fühlte sich als Staub, als ohnmächtige Kreatur. Darum bat sie:


// 1959 //

»Habt Erbarmen! Arbellez ist ja nicht gestorben!«

»Wir werden dasselbe Erbarmen haben, welches Du gehabt hast,« antwortete Büffelstirn. »Paß auf.«

Er legte die Hände an den Mund und stieß den klagenden Ton aus, welcher als Krokodilsruf bekannt ist. Sofort gerieth die vorher so ruhige Oberfläche des Wassers in Bewegung. Hier und da hatte man in der Nähe der Ufer Etwas hervorragen sehen, einem dunklen Baumstumpfe, einer großen Wurzel oder einem schwarzen, unförmlichen Steine ähnlich. Jetzt bekamen diese Punkte Leben; es zeigte sich, daß es die Köpfe schlummernder Krokodile gewesen seien. Die Thiere kamen herbeigeschossen, drängten sich, Kopf an Kopf, dicht zusammen, peitschten das Wasser mit ihren Schwänzen und klappten die weiten Rachen auf, um die fürchterlichen Zähne zu zeigen und dann die Kinnladen mit einem lauten Krachen wieder zusammen zu schlagen. Es war ein scheußlicher Anblick.

Josefa überlief es eiseskalt. In diese Rachen, welche von allerlei Gewürm und Blutegeln wimmelten, sollte sie verschwinden, in Stücke zerrissen durch die spitzen, dolchartigen Zähne. Schon der moschusartige Gestank, den diese Bestien ausströmten, konnte Einem das Bewußtsein rauben, und nun erst der Gedanke, von ihnen zerstückelt und verschlungen zu werden.

»O santa Madonna!« rief Josefa. »Ihr treibt nur einen furchtbaren Scherz mit mir. Es ist gar nicht Eure Absicht, mich diesen Scheusalen vorzuwerfen.«

»Nein, vorwerfen werden wir Dich ihnen nicht,« antwortete Büffelstirn, »Dein Leiden wäre da zu kurz. Du hast einen ganz anderen Tod verdient. Du kennst Alfonzo, der sich einen Rodriganda nennt?«

»Ja,« antwortete sie.

»Du weißt, daß er auf der Hazienda del Erina gewesen ist?«

»Ja.«

»Hast Du gehört, was er da erlebte?«

»Er hat es mir erzählt.«

»Hat er Dir auch erzählt, daß er über den Krokodilen gehangen hat?«

Schon die Erinnerung machte, daß es sie kalt überlief.

»Ja,« antwortete sie.

»An einem Baume?«

»Ja.«

»Damals ist er leider entkommen; das soll aber bei Dir nicht der Fall sein. Siehe diesen Baum! Es ist derselbe, an welchem er gehangen hat.«

Sie blickte empor. Sie sah den Stamm, der sich vom Ufer aus schräg über das Wasser hinüber streckte; sie sah den Ast, welcher wie dazu gewachsen war, einen Menschen für die Krokodile daran niederzulassen. Sie schloß die Augen. Es war ihr, als ob ihr ganzer Leib, ihre ganze Seele in tausend Atomen auseinander fließe.

»An jenem Aste wirst Du hängen,« fuhr der Miztecas fort. »Die Krokodile sollen Dich nicht auf einmal verschlingen, sondern sie sollen Dich stückweise auseinander reißen.«

»Gnade!« stöhnte sie, ohne die Augen zu öffnen.


// 1960 //

»Gnade?« hohnlachte er. »Hast Du jemals Gnade ausgeübt?«

»Ich verspreche Euch, mich zu bessern!«

»Du kannst nie besser werden. Wenn wir Dir das Leben schenkten, würdest Du schlimmer als vorher gegen uns wüthen!«

»Laßt mir das Leben, so will ich Euch Alles bekennen!«

»Was?«

»Was ich begangen habe!«

»Wir mögen es nicht wissen.«

»Auch was mein Vater und mein Oheim begangen hat!«

»Wir wissen es bereits.«

»Ich werde Euch Alles über Henrico Landola erzählen!«

»Wir mögen über den Schurken gar nichts wissen.«

»Ihr sollt erfahren, welche Bewandtniß es mit Rodriganda hat.«

»Das geht uns ganz und gar nichts an,« antwortete er ebenso kalt und gleichgiltig wie vorher.

»Werft ein Lasso über!«

Sofort schnallte einer der Miztecas sein Lasso von der Hüfte los und kletterte an dem Baume empor. Er legte den Riemen in die Gabel der beiden überhängenden Aeste und kehrte dann, die Enden des Lasso mit den Zähnen haltend, wieder zurück.

Auch Büffelstirn machte seinen Lasso los und legte eine Schlinge.

»So, jetzt kann es beginnen!« sagte er.

»Uebt Barmherzigkeit!« schrie sie, die Hände erhebend.

»Barmherzigkeit gegen Dich wäre ein Verbrechen,« antwortete er, während er sein Lasso mit dem einen Ende des anderen zusammenband.

»Ich gestehe, daß jener Alfonzo nicht der Sohn des Grafen von Rodriganda, sondern der Sohn meines Oheims ist!« rief sie, sich auf die Kniee erhebend und vor Todesangst die Stellung einer Beterin annehmend.

»Das wissen wir auch ohne Dich! Komm her!«

Er warf ihr die Schlinge über und zog ihr dieselbe unter den Armen zusammen. Es traten ihr vor Entsetzen die Augen weit aus den Höhlen.

»O Gott, o Gott, giebt es denn kein Mitleid?« rief sie mit kreischender, weithin schallender Stimme. »Ich werde Alles, Alles gestehen, so daß Ihr die ganze Grafschaft Rodriganda erhaltet!«

»Sie gehört uns nicht; wir mögen sie nicht! Zieht an. Eins - -«

Sie begann, mit Händen und Füßen um sich zu schlagen.

»Ich will nicht, ich will nicht; ich will leben bleiben, ich mag nicht sterben!« schrie sie mit überschnappender Stimme.

»Zwei - - -« kommandirte der Häuptling.

Da klammerte sie sich mit ihren gefesselten Händen an ihm fest und rief:

»So sollst Du mit sterben, Wütherich! Ich lasse Dich nicht los!«

»Drei - - -« erschallte es aus seinem Munde.

Er stieß sie von sich; zu gleicher Zeit zogen zwei der Miztecas das Lasso an - ein fürchterlicher, entsetzlicher Schrei erscholl, und Josefa flog von der festen Erde fort und über das Wasser hin.

Alle Rachen schnappten nach ihr, aber die Miztecas zogen so schnell an,


// 1961 //

daß das Mädchen hoch genug kam, um nicht erreicht zu werden. Dann schwang sie gondelartig am Lasso hin und her, erst in großen, weiten und dann in immer kleineren und engeren Schwingungen, bis sie still und bewegungslos am Riemen hing, grade über den geöffneten Rachen der Krokodile, welche das Wasser zu Schaum peitschten und, miteinander kämpfend, in hundert Schnellungen und Sprüngen ihr Opfer zu fassen suchten.

Helmers hatte bisher wortlos zugesehen.

»Warten wir!« sagte er jetzt. »Sie hat die Besinnung verloren.«

»Soll ich sie untertauchen? Dann kommt sie sofort wieder zu sich!« sagte einer der beiden Miztecas, welche das Lasso hielten.

»Nein,« antwortete Büffelstirn. »Dann würden die Thiere sie sofort erfassen, und sterben soll sie ja noch nicht.«

»So sollen wir sie so hängen lassen, bis sie wieder zu sich kommt?«

»Ja. Bindet das Lasso am Stamme fest, damit Ihr es nicht zu halten braucht.«

Dies geschah. Und dann setzten sich die Männer in das Gras nieder, um den Augenblick des Erwachens in aller Gemächlichkeit zu erwarten.

Sie hatten die Wasserfläche vor sich, in welcher jetzt die Reflexe der Sonne zu glitzern begannen. Das thut dem Auge wehe. Ganz unwillkürlich wendete aus diesem Grunde Büffelstirn den Blick seitwärts. Im nächsten Augenblicke lag er lang am Boden.

»Uff!« sagte er halblaut und warnend.

Donnerpfeil war als guter, erfahrener Prairiejäger den Bewegungen des Häuptlings gefolgt; auch er hatte sich sofort, während die Miztecas ruhig sitzen blieben, zur Erde niedergelegt.

»Was ist es?« fragte er.

»Ein Indianer,« antwortete Büffelstirn.

»Wo?«

»Da drüben unter der großen Cypresse.«

Alle richteten ihre Augen nach dem bezeichneten Punkte. Wirklich, da stand ein Indianer, und gleich darauf trat ein zweiter zu ihm. Sie schienen die Miztecas noch gar nicht gesehen zu haben.

»Zieht das Weib schnell empor, damit sie von dem Laub verdeckt wird,« befahl Büffelstirn.

»Wollen wir sie nicht lieber herunter holen?« fragte ein Miztecas.

»Nein. Man müßte emporklettern, und das würde auffallen.«

Josefa wurde emporgezogen und das Lasso dann wieder am Stamme befestigt. In diesem Augenblicke trat ein dritter Indianer unter den Baum.

»Es scheinen ihrer Mehrere zu sein,« sagte Donnerpfeil. »Man kann nicht erkennen, zu welchem Stamme sie gehören, da es unter der Cypresse zu duster ist. Es kann für uns gefährlich werden. Ich werde sie beschleichen.«

»Allein?« fragte Büffelstirn. »Zwei sind in einem solchen Falle besser als Einer. Ich gehe mit. Schleiche Du Dich rechts um den Teich und ich links, so bekommen wir sie von zwei Seiten und treffen hinter ihnen zusammen.«

»Aber unsere Leute, was thun sie?«


// 1962 //

»Sie warten, bis wir zurückkehren und lassen sich bis dahin nicht sehen.«

Auf dieses Wort legten sich die Miztecas nun auch zur Erde nieder, während Büffelstirn und Donnerpfeil, geschützt durch hohes Gras und Buschwerk, nach verschiedenen Richtungen davon krochen.

Hätten sie geahnt, wen sie vor oder vielmehr hinter sich hatten, so hätten sie jedenfalls ganz andere Maßregeln ergriffen.

In der vergangenen Nacht nämlich kamen trotz der Dunkelheit zwei Reiter von Norden her auf die Hazienda zu. In einem kleinen Thälchen hielt der Eine sein Pferd an und sagte:

»Hier werden wir wohl warten müssen.«

»Warum, Sennor Pirnero?« fragte der Andere.

»Weil wir doch nicht wissen, wie es auf der Hazienda aussieht. Juarez ist in Bewegung, und die Franzosen ebenfalls; da weiß man nicht, ob man Freunde oder Feinde dort trifft. Wir müssen den Tag abwarten, um dann ein wenig zu recognosciren, bevor wir uns sehen lassen können.«

»So werden wir auch auf ein Feuer verzichten müssen. Wie steht es mit Ihren Augen? Fühlen Sie noch Schmerzen?«

»Nein. Ihr Wundkraut hat geradezu Wunder gethan. Das eine ist zwar zerstört, mit dem anderen aber kann ich bereits ebenso gut sehen, wie vorher.«

»Das freut mich. Steigen wir also vom Pferde und warten wir den Morgen ab.«

Sie banden ihre Pferde an ein Gesträuch, um ihnen Gelegenheit zum Fressen zu geben, und lagerten sich dann nahe dabei in das Gras. Da sie müde waren, so verzichteten sie auf eine Unterhaltung.

Es war nach Mitternacht und so still rundum, daß sie nahe daran waren, einzuschlafen, als sie auf einmal durch das Erschallen eines nahenden Hufschlages wieder aufgemuntert wurden.

»Wer mag da kommen,« sagte Derjenige, welchen der Andere Pirnero genannt hatte. »Horch! Da kommt noch Einer.«

Wirklich vernahm man jetzt die Hufschläge noch eines zweiten Pferdes. Sie griffen zu ihren Waffen und lauschten. Da bemerkten sie, daß derjenige Reiter, welcher ihnen am nächsten war, sein Pferd anhielt.

»Wer kommt noch?« rief er nach rückwärts.

Sofort hielt auch der zweite Reiter sein Pferd an.

»Wer ruft da vorn?« fragte er.

»Einer, der losschießen wird, wenn nicht gleich Antwort erfolgt.«

»Oho! Ich habe auch eine Büchse.«

Zu gleicher Zeit vernahm man das Knacken eines Hahnes.

»Antwort!« rief der Erste. »Was ist Deine Losung?«

»Losung?« fragte der Zweite. »Ah, Du sprichst von einer Losung. Da bist Du ein civilisirter Kerl und keiner von den verdammten Indianern.«

»Ich ein Indianer? Der Teufel hole die Rothhäute! Du redest spanisch, wie die Weißen. Gehörtest Du auf die Hazienda del Erina?«

»Ja.«

»Ein Vaquero wohl?«


// 1963 //

»Nein. Ich gehöre zu Sennor Cortejo.«

»Alle Teufel, da sind wir Kameraden!«

»So bist auch Du ausgerissen?«

»Ja. Es ist mir Gott sei Dank gelungen, durchzuschlüpfen.«

»So brauchen wir einander nicht die Hälse zu zerbrechen, sondern können zusammen bleiben.«

»Gewiß. Komm her!«

Der, welchen sein Kamerad Pirnero genannt hatte, war diesem kurzen Zwiegespräch mit der größten Spannung gefolgt. Jetzt trat er einige Schritte vor und sagte:

»Erschreckt nicht! Hier befinden sich auch noch Leute, aber Freunde von Euch.«

»Donnerwetter,« flüsterte sein Kamerad in warnendem Tone. »Was fällt Ihnen ein. Die gehören ja zu diesem dummen Cortejo.«

Die beiden Mexikaner waren im ersten Augenblick vor Ueberraschung wortlos geworden. Jetzt aber fragte der Eine:

»Auch noch Leute hier? Wer seid Ihr? Auch Flüchtlinge?«

»Nein.«

»Sapperlot, da muß man vorsichtig sein. Wie viele Köpfe zählt Ihr?«

»Nur zwei.«

»Das glaube Euch der Teufel! Wo kommt Ihr her?«

»Vom Rio Grande del Norte.«

»Und wohin wollt Ihr?«

»Nach der Hazienda del Erina.«

»Zu wem?«

»Zu meiner Tochter und zu Euch.«

»Zu Eurer Tochter? Wer seid Ihr denn?«

»Kennt Ihr mich nicht an der Stimme? Ich bin ja Cortejo selbst.«

»Unsinn!« flüsterte sein Kamerad. »Wir spielen da ein gewagtes Spiel.«

»Cortejo?« fragte der Mexikaner. »Macht uns nichts weiß. Cortejo käme nicht mit nur einem Manne zurück.«

»Und doch ist es so! Ihr sollt es gleich sehen. Ich komme hin zu Euch.«

»Aber ja allein. Ich halte das Gewehr schußbereit.«

Der zweite Reiter hatte sich unterdessen dem ersten zugesellt. Die Büchsen schußfertig in den Händen lauschten sie auf die Schritte des Nahenden. Sie hörten, daß es nur Einer sei und das beruhigte sie. Cortejo kam ganz nahe an sie heran, blieb da stehen und fragte:

»Hat Einer von Euch ein Zündholz mit? Ich komme aus der Wildniß und kann kein Feuer machen.«

»Feuer? Wozu?« fragte der Andere.

»Ich meine ja nicht ein großes Feuer, sondern nur ein Zündholzlicht, damit Ihr mich erkennen könnt.«

»Das ist etwas Anderes. Haltet das Gesicht nahe.«

Er griff in die Tasche. Im nächsten Augenblicke flammte ein Zündholz auf, mit welchem der Mann Cortejo in das Gesicht leuchtete.


// 1964 //

»Alle Teufel!« rief er. »Wahrhaftig, Ihr seid es, Sennor Cortejo. Wo habt Ihr die Andern gelassen?«

»Das werdet Ihr später erfahren. Sagt zunächst, was auf der Hazienda geschehen ist, daß Ihr fliehen müßt.«

»Da wollen wir zunächst absteigen. Wir sind weit genug entfernt, um sicher zu sein. Und vielleicht gelingt es uns, noch Einige der Unserigen zu uns heran zu ziehen.«

Die beiden Männer stiegen von ihren Pferden.

»Kommt mit in die Schlucht hinein,« sagte Cortejo. »Da können wir uns nöthigenfalls verstecken. Und kommen ja noch Freunde von uns in dieser Richtung, so müssen sie an uns vorüber und wir können sie anreden.«

Sie folgten ihm dorthin, wo sein Kamerad stand. Dieser hatte ihren Fragen und Antworten schweigend zugehört. Jetzt aber legte er Cortejo die Hand an den Arm und sagte:

»Sennor, ist es wirklich wahr, daß Sie Cortejo sind?«

»Ja,« antwortete der Gefragte.

»Sie heißen also nicht Pirnero?«

»Nein.«

»Und kommen jedenfalls auch nicht vom Fort Guadeloupe?«

»Nein, mein Freund.«

»Sprecht dieses Wort nicht aus. Ihr habt mich getäuscht und belogen. Da kann von einer Freundschaft und Kameradschaft keine Rede sein.«

»Ereifert Euch nicht,« meinte Cortejo in beruhigendem Tone. »Ich war gezwungen, Euch zu täuschen; aber ich habe dabei nicht die Absicht gehabt, Euch Schaden zuzufügen.«

»Aber Ihr habt während unseres Rittes oftmals gehört, was ich von Cortejo halte.«

»Das ist wahr, und gerade deshalb zog ich es vor, Euch meinen Namen nicht zu nennen. Aber meinen Verpflichtungen gegen Euch werde ich trotzdem pünktlich nachkommen; denn ich habe Euch viel zu danken.«

Der Jäger Grandeprise - denn dieser war es - schwieg eine Weile, jedenfalls um seinen Aerger zu besiegen und das Für und Wider genau abzuwägen. Dann fragte er:

»Ich pflege zwar Dem, der mich einmal belogen hat, niemals wieder Glauben zu schenken, dennoch aber ersuche ich Euch um Antwort darüber, ob es wirklich wahr ist, daß Ihr Henrico Landola kennt.«

»Es ist wahr,« antwortete Cortejo.

»Ihr belügt mich nicht?«

»Nein.«

»Und ebenso ist es wahr, daß Ihr mit ihm zusammentreffen werdet?«

»Ganz gewiß.«

»Könntet Ihr das nöthigenfalls beschwören?«

»Ich beschwöre es.«

»Gut, so will ich Euch das Andere verzeihen. Ihr brauchtet Hilfe und ich habe sie Euch geleistet, weil Ihr ein Mensch waret und ich bin auch einer. Eure


//1965 //

Lage war allerdings so, daß Ihr vorsichtig sein mußtet und so will ich es Euch nicht übel nehmen, daß Ihr mich getäuscht habt. Aber ich erwarte ganz bestimmt von Euch, daß Ihr das Versprechen erfüllt, welches Ihr mir gegeben habt.«

»Ihr meint die Geldzahlung?«

»Diese ist die Hauptsache nicht. Ich will Landola haben.«

»Ihr sollt ihn bekommen. Hier meine Hand.«

Der Amerikaner schlug mit ein.

»Abgemacht also,« sagte er. »Ich bin kein politischer Gesinnungsgenosse von Euch. Ihr dürft in dieser Beziehung nicht auf mich rechnen. Aber in persönlichen Angelegenheiten werde ich Euch zur Seite stehen, da ich doch nun bei Euch bleiben werde, bis Landola zu fassen ist.«

»Sennor Cortejo, wer ist dieser Mann?« fragte einer der beiden Mexikaner.

»Ein Jäger aus den Vereinigten-Staaten herüber,« antwortete Cortejo.

»Wie heißt er?«

»Grandeprise.«

»Grandeprise, ah! Den kenne ich. Wie schade, daß es so dunkel ist.«

»Ihr kennt mich?« fragte der Jäger. »Woher?«

»Mein Oheim hat mir von Euch erzählt. Kennt Ihr den Pater Hilario?«

»Den Pater Hilario? Der früher im Kloster della Barbara zu Santa Jaga gewesen ist?«

»Ja.«

»Ob ich den kenne. Er hat mir ja das Leben gerettet.«

»Ja. Ihr seid damals auf einer Reise oder auf einer Jagdfahrt gewesen und ganz krank und hinfällig nach Santa Jaga gekommen.«

»Das Fieber hatte mich ergriffen. Der Pater nahm sich meiner an, gab mir Medicin und pflegte mich. Ohne ihn wäre ich gestorben. Wenn Ihr sein Neffe seid, so müssen wir Freunde werden. Hier meine Hand.«

Eben als die beiden Männer einschlugen, ließ sich das nahende Getrappel von mehreren Pferden hören. Es mochten gegen zehn Reiter sein, welche daherkamen und in die Schlucht einbogen.

»Verdammter Weg bei Nacht,« sagte Einer. »Man könnte den Hals brechen.«

»Immer besser, als von den Indianern bei lebendigem Leibe geschunden und scalpirt zu werden,« antwortete ein Anderer.

Daraus entnahm Cortejo, daß diese Männer zu seinen Leuten gehören mußten. Er rief sie daher an:

»Halt! Wartet! Hier sind noch Andere!«

Die Reiter hielten ihre Pferde augenblicklich an. Man vernahm das Knacken von Hähnen.

»Wer ist hier?« fragte Einer.

»Ich bin es!« antwortete der Neffe des einstigen Paters Hilario.

»Ach, Du, Manfredo! Dich kenne ich an der Stimme. Ihrer wie Viele seid Ihr hier?«

»Vier. Sennor Cortejo ist auch dabei.«

»Sennor Cortejo? Ah, ist das die Möglichkeit?«


// 1966 //

»Ja. Er stand eben im Begriff, nach der Hazienda zu kommen, als wir hier auf ihn trafen. Steigt ab und kommt herbei!«

Dies geschah. Die Pferde wurden angebunden, und die Männer traten in der Nähe von ihnen zusammen. Die Zehn hatten sich zusammengefunden und den Beschluß gefaßt, nach Norden zu retiriren, weil sie dort Cortejo mit den andern Kameraden wußten, auf welche sie glücklichen Falls zu treffen hofften.

»Aber um Gotteswillen, was ist denn geschehen?« fragte Cortejo.

»Die Hazienda ist überfallen worden,« lautete die Antwort.

»Von wem? Von Indianern, wie ich höre?«

»Ja.«

»Und Ihr flieht? Ihr habt nicht gekämpft?«

»Nicht gekämpft, Sennor? O, wir haben uns nach Kräften gewehrt; aber sie waren uns ja an Zahl vielfach überlegen.«

»So befinden sie sich im Besitze der Hazienda?«

»Leider!«

»Wie viele waren es?«

»Wer konnte diese Teufels zählen! Es müssen über tausend gewesen sein.«

»Mein Gott, wo ist da meine Tochter?«

»Wer weiß das!«

»Ihr wißt es nicht?« fragte Cortejo erschrocken. »Ihr müßt sie doch gesehen haben!«

»Gesehen? O nein! Die Rothen kamen so plötzlich über uns, daß sich der Eine gar nicht um den Andern bekümmern konnte.«

»Welch ein Unglück! Was für Indianer waren es? Apachen vielleicht?«

»Nein. Ich hörte, daß Einer von ihnen sich einen Krieger nannte. Sie waren nicht gekleidet wie Wilde.«

»Ich muß wissen, was mit meiner Tochter geschehen ist! Ich kann diese Gegend nicht eher verlassen!«

»Beruhigt Euch, Sennor!« sagte Grandeprise. »Die Miztecas sind nicht wie die Apachen und Comanchen. Wie ich sie kenne, so tödten sie kein Frauenzimmer.«

»Das ist eine Art von Trost. Aber ich muß doch erfahren, welches ihr Schicksal geworden ist.«

»Ich begreife das und Ihr sollt es auch erfahren.«

»Aber wie? Ich selbst darf mich nicht erkundigen, und auch keiner dieser Leute darf es wagen, nach der Hazienda zurück zu kehren.«

»Ueberlaßt das mir. Ich verstehe es, einen Ort auszulauschen. Nöthigenfalls gehe ich morgen nach der Hazienda. Vor allen Dingen muß man da wissen, weshalb die Miztecas sie überfallen haben.«

»Wer weiß das!« meinte der bisherige Sprecher.

»Einen Grund haben sie auf alle Fälle. Ist nicht vielleicht vorher etwas Auffälliges geschehen?«

»O doch!«

»Was?«

»Gestern um Mitternacht leuchtete auf einem nahen Berge eine riesige Flamme auf.«


// 1967 //

»Das kann zufällig geschehen sein.«

»Nein; es muß ein Zeichen gewesen sein, denn bald darauf leuchteten an verschiedenen Stellen ähnliche Feuer auf.«

»Rundum?«

»Rundum!«

»So muß man darin allerdings ein Zeichen erblicken. Ich denke, die Miztecas haben sich gerufen, um Euch aus Freundschaft für Juarez aus dem Lande zu treiben. Das setzt aber eine einheitliche Leitung voraus. Wer war der Anführer dieser Leute?«

»Wir hatten keine Zeit, dies zu bemerken.«

»War kein Weißer dabei?«

»O doch, zwei sogar.«

»Ah! Vielleicht sind wir jetzt beim Richtigen. Wer waren diese Männer?«

»Niemand weiß es. Sie kamen und stiegen ab. Sie gingen nach der Wachtstube und sagten da, daß sie mit Sennorita Josefa reden wollten.«

»Dies wurde ihnen erlaubt?«

»Nein. Man verweigerte es ihnen. Der Eine von ihnen aber schlug den Wachtmeister nieder, und dann gingen die Beiden hinauf zur Sennorita.«

»Und dann?«

»Nun, dann fiel oben bei der Sennorita ein Schuß. Zu gleicher Zeit ertönte rund um die Hazienda ein schreckliches Geheul, und von allen Seiten drangen die Feinde auf uns ein.«

»Wie viele Männer befanden sich in der Wachtstube?«

»Es mögen über zwanzig gewesen sein.«

»Ueber zwanzig?« wiederholte Grandeprise halb erstaunt und halb spöttisch. »Und diese Zwanzig ließen es sich gefallen, daß der Wachtmeister niedergeschlagen wurde?«

»Was wollten wir dagegen machen?«

»Ihn selbst niederschlagen!«

»Ah! Ihr hättet ihn sehen sollen! Er sagte nicht, wer er war. Er trat so auf als ob er ein Bote oder ein Verbündeter von Sennor Cortejo sei. Er that ganz so, als ob er hier zu befehlen habe.«

»Wie ich nach Allem, was ich erfahren habe, vermuthen darf, hatte doch nur Sennor Cortejo auf der Hazienda zu befehlen!«

»Allerdings! Aber Einige hielten ihn für den Panther des Südens.«

»Der ist allerdings Verbündeter von Sennor Cortejo. Aber sagtet Ihr nicht, daß dieser Mann ein Weißer gewesen sei?«

»Ja.«

»Und der Panther des Südens ist ja doch ein Indianer!«

»Wer denkt in einem solchen Augenblicke an Alles!«

»Beschreibt mir den Mann einmal!«

Dies geschah. Grandeprise hörte aufmerksam zu, schüttelte nachdenklich den Kopf und sagte dann:

»Einen solchen Mann, so riesenhaft gebaut, mit einem so langen Barte und


// 1968 //

genau so gekleidet und bewaffnet, habe ich neben Juarez da unten am Sabinaflusse gesehen. Ob es Der sein wird?«

»Wer war es?« fragte Cortejo.

»Ich weiß es nicht. Aber Juarez schien sehr viel auf ihn zu geben.«

»Sagtest Du nicht, daß im Zimmer meiner Tochter ein Schuß gefallen sei?« fragte Cortejo den Sprecher.

»Ja.«

»Heilige Jungfrau! Man hat sie erschossen!«

»Das glaube ich nicht,« meinte Grandeprise. »Nicht wahr, so bald der Schuß erschollen war, begann der Ueberfall?«

»Ja,« antwortete der Berichterstatter.

»Nun, so ist der Schuß einfach das Zeichen des Angriffes gewesen und Ihr braucht keine Angst zu haben, daß Eurer Tochter Etwas geschehen ist.«

»Aber dann ist sie jedenfalls doch wenigstens Gefangene!«

»Allerdings.«

»Man muß sie befreien!«

»Nöthigenfalls. Ich werde Euch dabei helfen, so gut und so viel ich kann.«

»Wäre es da nicht gerathen, gleich jetzt die nöthigen Schritte zu thun?«

»Hm!« brummte der Jäger. »Das ist gefährlich. Welche Schritte meint Ihr denn dabei, Sennor?«

»Ich weiß es nicht. Aber sagtet Ihr nicht, daß Ihr es verständet, einen Ort zu belauschen?«

»Das habe ich gesagt. Aber dieser Ort ist hier von tausend Indianern umgeben und bewacht.«

»Morgen auch. Und jetzt bei Nacht ist das Lauschen leichter als morgen am hellen Tage.«

»Das denkt Ihr blos. Jetzt suchen die Rothen noch die ganze Gegend nach Flüchtlingen ab. Erwischt man mich, so hält man mich für einen von Euren Leuten, und ich bin verloren. Morgen am Tage aber, wenn ich offen nach der Hazienda reite, wird man es glauben, daß ich ein Amerikaner bin.«

»Aber was kann bis dahin Schlimmes geschehen!«

»Das ist allerdings richtig,« meinte Grandeprise nachdenklich.

»Sennor Grandeprise, ich bitte Euch um Gottes willen; thut, was Ihr thun könnt, und thut es so bald wie möglich.«

»Es ist sehr, sehr gefährlich! In welcher Richtung liegt die Hazienda?«

»Gerade dorthin,« antwortete der Berichterstatter, den Arm ausstreckend.

»Und wie lange geht man, um sie zu erreichen?«

»Eine halbe Stunde ungefähr.«

»So will ich es wagen. Ich gehe hin.«

»Ich danke Euch!« sagte Cortejo. »Ihr sollt es nicht bereuen, Euch für mich und meine Tochter in Gefahr begeben zu haben!«

»Haltet Wort, Sennor. Ich erinnere Euch an Henrico Landola. Aber es ist in dieser Dunkelheit nicht leicht, diese Schlucht zu finden. Kennt Ihr den Ruf der großen mexikanischen Wasserunke?«

»Wir alle.«


Ende der zweiundachtzigsten Lieferung - Fortsetzung folgt.



Karl May: Waldröschen

Karl May – Forschung und Werk