Lieferung 76

Karl May

19. April 1884

Waldröschen
oder
Die Rächerjagd rund um die Erde.

Großer Enthüllungsroman
über die
Geheimnisse der menschlichen Gesellschaft

von

Capitain Ramon Diaz de la Escosura.


// 1801 //

Euch aber zeigen, daß es einem gar nicht angst zu werden braucht. Kommt doch einmal hierher auf diesen Stuhl!«

Sie faßte ihn bei beiden Händen und zog ihn nach einem Stuhle, auf den er sich setzen mußte. Er gehorchte dieses Mal ohne Widerstreben.

»So, nun habt jetzt keine Angst, ich bin nicht gar so schwer.«

Ein mächtiger Schreck durchzuckte ihn, und es war ihm wie im Traum, als das schöne Mädchen sich auf seinen Schooß setzte.

»Jetzt werde ich Euch den Arm um den Nacken legen, so wie es Eure Frau oder Braut machen würde. Das habe ich Euch ja versprochen.«

Was sie sagte, das that sie auch. Sie legte den vollen, weichen, warmen, nackten Arm um seinen Hals und lehnte sich so fest an ihn, daß er das Wogen ihres Busens und den Schlag ihres Herzens hörte. Er schloß die Augen.

»Sennorita!« sagte er.

Da bog sie sich zu ihm herab und flüsterte ihm zu:

»So ist's recht; schließt die Augen. Die Seligkeiten der Liebe darf man nicht sehen, sondern nur fühlen. Jetzt aber kommt die versprochene Belohnung: Eins! Ihre Lippen legten sich weich und warm auf seinen Mund.

Sie küsste ihn.

»Zwei! Sie gab ihm den zweiten Kuß. Es war ihm, als ob er träume, ja, als ob er geradezu im Himmel sei. Die Würze ihres Athems, das Parfüm ihres Haares und ihres Gewandes waren ihm Wohlgerüche, wie er sie in seinem ganzen Leben gar nicht kennen gelernt hatte. Er hätte aufjauchzen mögen vor Wonne.

»Drei! Dabei legte sie alle beide Arme um ihn und drückte ihn an sich. Das Jäckchen, welches sie heute Abend trug, verschob sich dabei und seine Wange kam an ihren Busen zu liegen. Das Athmen wurde ihm schwer; er verhielt sich so still und bewegungslos, wie ein kleines Kind, welches an der Brust der Mutter schläft.

»So,« sagte sie endlich. »Jetzt habe ich mein Wort gehalten. Seid Ihr zufrieden mit mir, Sennor?«

»O, Sennorita!« war Alles, was er antworten konnte.

»Ich verstehe Euch,« sagte sie ernst. »Ihr seid glücklich, und das ist es, was ich wollte. Da man aber mit der Erfüllung eines Versprechens nicht zu geizig sein darf, so sollt Ihr noch einen Kuß haben, freiwillig gegeben, und dann wollen wir von den Dingen sprechen, denen wir heute Abend entgegengehen.« - -

Unterdessen war Sternau mit dem alten Hausmeister durch einige Straßen gegangen, ohne daß sie von Jemand beachtet worden wären. Es war so dunkel, daß sie kaum gesehen werden konnten. Endlich gelangten sie an eine Thür, vor welcher der Hausmeister stehen blieb.

»Wir sind hier an der hinteren Seite des Stadthauses, Sennor,« sagte er.

»Und dies ist wohl die Thür, an der Ihr mich erwarten werdet?« fragte Sternau.


// 1802 //

»Ja. Bleibt eine kurze Zeit hier. Ich will mit meinem Bruder sprechen.«

Er verschwand um die Ecke und Sternau blieb allein zurück. Es verging wohl eine Viertelstunde, ehe der Hausmeister wieder zurückkehrte. Er war allein.

»Habt Ihr ihn getroffen?« fragte Sternau.

»Ja.«

»Aber er kommt nicht mit. Er hat es wohl vorgezogen, nicht auf unser Vorhaben einzugehen, jedenfalls weil es sowohl für ihn, als auch für uns gefährlich ist?«

»O nein, Sennor. Er hat sofort mit tausend Freuden seine Zusage gegeben; er schlägt nur einen andern Weg ein. Hört Ihr's? Jetzt endlich kommt er.«

Wirklich hörte man jetzt im Innern der Thür ein Geräusch, als wenn Jemand eine Treppe herabgestiegen komme. Dann wurde leise ein Schlüssel in das Schloß gesteckt und die Thür geöffnet.

»Kommt herein,« flüsterte es.

Sofort trat Sternau ein und der Hausmeister folgte. Jetzt wurde die Thür wieder verschlossen und es kam ein Blendlaternchen zum Vorscheine, welches der Schließer unter seinem Gewande trug. Er ließ den Lichtschein auf Sternau fallen und sagte dann:

»Mein Bruder hat mir eine Botschaft gebracht, welche ich kaum glauben kann. Ist sie wahr, Sennor, wirklich wahr?«

»Welche meint Ihr?«

»Daß Benito Juarez in der Nähe ist.«

»Das ist allerdings wahr.«

»Er kommt? Er kommt nach Chihuahua?«

»Ja.«

»Ihr könnt das beschwören?«

»Mit dem besten Gewissen. Ich habe ihn noch heut Vormittag gesprochen; ich eilte voraus, um sein Bote zu sein. Ihr werdet ihm vielleicht noch heut, wohl gar vor Mitternacht dieses Haus hier öffnen.«

»So segne Euch die heilige Jungfrau für ein jedes Wort, was Ihr jetzt sagtet. Ich aber will Euch zu Diensten sein, so viel und gut ich kann.«

»Ihr wißt, um was es sich handelt?«

»Ja. Mein Bruder hat es mir bereits mitgetheilt.«

»Stimmt Ihr seinem Plane bei?«

»Vollkommen. Während er Euch hier erwartet, gehe ich wieder diese Treppe empor. Kommt mit. Ich werde es Euch zeigen.«

Er führte Sternau mit Hilfe des Laternchens die Treppe empor und durch vier Zimmer, bis sie vor einer Thür standen, an welcher er stehen blieb, um zu horchen.

»Es ist Niemand draußen,« sagte er. »Blickt hinaus!«

Er öffnete die Thür ein wenig. Sternau sah einen spärlich erleuchteten Corridor, auf welchem sich kein Mensch befand. Gegenüber lag auch eine Thür.

»Seht,« sagte der Schließer, »hinter jener Thüre stecken die Offiziere. Dort hinein wird man Euch führen und dort erwarte ich Euch. Müßt Ihr fliehen, so


// 1803 //

dreht Ihr drüben schnell den Schlüssel um und springt hier herein. Ich trete hinaus, um später drüben zu öffnen. Ihr aber schließt hier alle Thüren hinter Euch ab und verlaßt durch die Treppe das Haus. Den Hauptschlüssel und die Laterne könnt Ihr meinem Bruder geben.«

»Schön!« sagte Sternau. »Das ist Alles so deutlich, daß ein Kind es verstehen müßte. Wir können also beginnen? Nicht?«

»Ja. Aber Eins bitte ich Euch, Sennor.«

»Was?«

»Nehmt Euch vor dem Schießen in Acht.«

»Habt keine Sorge um mich.«

»Und verrathet mich nicht, wenn die Sache anders abläuft, als wir hoffen.«

»Ihr könnt Euch ganz und gar auf mich verlassen. Jetzt also werde ich gehen.«

»Geht in Gottes Namen.«

Sternau kehrte über die Treppe hinab zu dem Hausmeister zurück und schritt dann nach der andern Seite des Hauses. Dort war das Thor geöffnet und die hohe, breite Flur erleuchtet. Posten aber standen nicht vor der Thür. Dies hatte man in Chihuahua für überflüssig gehalten. Im Flur stand die Thür des Wachtlocales offen. Eben, als er vorüber gehen wollte, trat ein Unteroffizier vor.

»Verzeihung, Monsieur, wohin wollen Sie?« fragte er höflich.

Sternau machte den Eindruck eines seltenen und vornehmen Mannes.

»Ist der Commandant zu sprechen?« fragte dieser.

»So spät!«

»Das ist Ihnen gleichgiltig! Ich frage, ob der Commandant zu Hause ist!«

Diese Grobheit imponirte.

»Ja, Monsieur,« antwortete der Mann.

»Wollen Sie mich melden?«

»Gern. Welchen Namen soll ich nennen?«

»Doctor Sternau.«

Er sah keinen Grund, hier seinen guten Namen zu verheimlichen.

»Sehr wohl! Folgen Sie mir!«

Droben saßen die Herren bei einer Ananasbowle und trieben Politik nach Art der Franzosen, leicht und luftig, Kartenhausschlösser, welche keinen Werth haben. Da trat der Unteroffizier ein und meldete:

»Draußen ist ein Herr, welcher den Herrn Commandanten sprechen will.«

»So spät!« sagte der Erwähnte unwillig.

»Ich erlaubte mir, dies ebenso zu bemerken.«

»Was meinte da der Mann?«

»Er fuhr mich an wie ein Hund die Maus.«

»Ah! Wer ist es?«

»Er nannte sich Doctor Sternau.«

»Ein deutscher Name. Es wird der Feldscheerer oder Chirurg eines der belgischen oder kaiserlichen Bataillone sein. Höchst unangenehm und langweilig; aber wir wollen ihm doch den Zutritt gestatten. Er mag herein kommen.«

»Eintreten!« schnarrte der Unteroffizier, das Zimmer verlassend.


// 1804 //

Aller Augen richteten sich nach der Thür. Anstatt des erwarteten, unterthänigen Pflastermannes trat eine hohe, herkulisch gebaute Figur ein, welche in der reichsten mexikanischen Weise gekleidet war. Sternau sah wirklich wahrhaft gebieterisch aus. Sein Bart machte ihn ganz und gar nicht älter; er ertheilte ihm etwas Unnahbares, keine gemeine Berührung Duldendes.

»Guten Abend, meine Herren,« grüßte er, sich verbeugend.

Von dem Eindrucke seiner Persönlichkeit ergriffen, erhoben sich die Offiziere und erwiederten seinen Gruß.

»Ich bin an den Herrn Commandanten von Chihuahua adressirt.«

»Der bin ich,« sagte der Genannte. »Wollen Sie Platz nehmen? Vorher jedoch erlaube ich mir, Ihnen die Namen dieser Herren zu nennen.«

Sternau nickte bei jedem Namen leicht und vornehm mit dem Kopfe; als aber Oberst Laramel genannt wurde, nahm er die Physiognomie und das Aeußere genauer in Augenschein. Dann setzte er sich nieder.

»Was verschafft mir die unerwartete Ehre, den Herrn Doctor bei mir zu sehen?« fragte der Commandant.

»Ein ganz eigenthümlicher Zufall, welcher mir ebenso unerwartet gekommen ist, wie Ihnen heute meine Gegenwart, Herr Commandant,« antwortete Sternau. »Zunächst die Bemerkung, daß ich ein Deutscher bin.«

Der Offizier nickte kalt mit dem Kopfe.

»Ich errieth dies aus dem Klange Ihres Namens,« sagte er.

»Ich befand mich aus Gründen, welche den Gegenstand nicht berühren und also nicht hierher gehören, längere Zeit in der Südsee. Ich hatte Veranlassung familiärer Art, von da nach Mexiko zu gehen und schlug die Route ein, welche sich gegen die Grenze von Neumexiko neigt.«

»Eh bien!« sagte der Franzose, neugierig werdend.

»Während eines Rasttages hatte ich das unerwartete Vergnügen, einen Mann kennen zu lernen, dessen Namen mit der Geschichte von Mexiko sehr innig verbunden ist. Die Herren errathen vielleicht, wen ich meine?«

»Donnerwetter, jedenfalls Juarez!« rief Oberst Laramel aufspringend. »Habe ich richtig gerathen?«

»Ja, Herr Oberst.«

»Famos! Endlich, endlich hört man etwas Genaues. Wo steckt Juarez?«

»Ich bitte zunächst um die Erlaubniß, in meiner Einleitung fortfahren zu dürfen,« sagte Sternau im höflichsten Tone.

»Das hat Zeit. Beantworten Sie mir zunächst meine Frage. Das ist die Hauptsache.«

Diese Worte wurden in einer rücksichtslosen, fast groben Weise gesprochen, daß Sternau ihnen gar keine Beachtung schenkte. Er fuhr also fort:

»Ja, Juarez war es, den ich kennen lernte; und zwar während - - -«

»Ich habe Sie gefragt, wo Juarez sich befindet!« rief, ihn unterbrechend, der Oberst Laramel in gebieterischem Tone.

Da drehte Sternau sich lächelnd zu ihm herum; aber in diesem Lächeln lag ohne Worte Alles ausgedrückt, was einen Laramel beleidigen konnte. Er sagte:

»Herr Oberst, Sie befinden sich nicht vor der Fronte einer Strafkompagnie,


// 1805 //

sondern Sie sitzen vor einem Mann, welcher gewohnt ist, zu sprechen, wie es ihm beliebt. Ich liebe nicht, unterbrochen zu werden; geschieht dies dennoch, so erfordert die Sitte, daß es in höflicher Weise geschehe. Finde ich diese Höflichkeit nicht, welche doch bereits unter den gewöhnlichsten Straßenkehrern anzutreffen ist, so habe ich festzuhalten, daß ich nur kam, um mit dem Herrn Commandanten zu sprechen.«

Das war eine Zurechtweisung, wie sie dem Obersten wohl noch nie geworden war. Er erhob sich und griff an seinen Degen.

»Monsieur, wollen Sie mich beleidigen?« rief er.

»Keineswegs,« antwortete Sternau ruhig. »Ich habe nur die Absicht gehabt, mir die einem jeden gebildeten Mann gebührende Rücksicht zu nehmen.«

Der Commandant mochte einen ernsten Auftritt befürchten und sagte daher:

»Das genügt jedenfalls. Der Herr Doctor hat erklärt, daß er den Herrn Obersten Laramel nicht beleidigen wollte und den Herrn Obersten ersuche ich freundlichst, den Herrn Doctor aussprechen zu lassen. Somit ist Alles gut. Bitte, fortzufahren.«

Diese Worte waren an Sternau gerichtet und da sie in einem freundlichen Tone gesprochen waren, so verbeugte sich dieser höflich und fuhr fort:

»Ich sagte also, daß ich Benito Juarez kennen lernte. Es geschah dies während einer kleinen Exkursion, welche er von Paso del Norte aus vornahm. Ich glaube nicht ein politisches Verbrechen zu begehen, wenn ich gestehe, daß ich ein lebhaftes Interesse für diesen Mann empfand, und ich hatte das Glück, diese Theilnahme in freundlichster Weise von ihm erwidert zu sehen.«

»Wollen Sie damit sagen, daß Sie ein Freund von Juarez sind?«

Diese Frage sprach der Commandant in einem sehr ernsthaften Tone aus.

»Ja, dies und nichts anderes will ich sagen,« antwortete Sternau furchtlos.

Da runzelte der Commandant die Stirn.

»Sie scheinen eine sehr große Aufrichtigkeit zu besitzen,« sagte er.

»Ich bin gewöhnt, Aufrichtigkeit als eine Tugend zu betrachten.«

»Das ist sie auch; aber diese Tugend kann unter gewissen Verhältnissen verhängnißvoll werden, nämlich sobald sie zur Unvorsichtigkeit wird.«

»Ich hoffe, bis jetzt noch nicht unvorsichtig geworden zu sein,« bemerkte Sternau unter einem gleichmüthigen Lächeln.

»O doch! Sie haben sich ja als ein Anhänger von Juarez legitimirt.«

»Davon weiß ich nichts. Es ist sehr leicht möglich, der persönliche Freund eines Andern zu sein, ohne gerad dessen politischen Grundsätzen zu huldigen. Gehen wir also in friedlicher Weise über diesen Punkt hinweg. Ich wiederhole, daß ich das Glück hatte, Juarez kennen zu lernen und mir sein Vertrauen zu erwerben. Meine Anwesenheit ist ein Beweis für diese letztere Behauptung, denn ich komme als Abgesandter des Zapodeken zu Ihnen.«

»Ah!« rief da der Commandant erstaunt. »Als sein Abgesandter?«

»Ja.«

»Vielleicht gar als sein Bevollmächtigter?«

»Allerdings. Ich besitze die Vollmacht, mit Ihnen zu unterhandeln.«

Da stieß Oberst Laramel ein höhnisches, verächtliches Lachen aus, doch ohne


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ein Wort zu sagen. Sternau beachtete dies nicht und der Commandant meinte:

»Ich schließe mich meinem Kameraden an, der durch sein Gelächter beweist, daß er Ihre Worte mehr als sonderbar findet. Glauben Sie wirklich, daß Juarez der Mann ist, mit dem ein Franzose unterhandeln würde?«

»Das glaube ich allerdings,« antwortete Sternau ruhig.

»Dann machen Sie sich allerdings eines riesigen Irrthums schuldig. Es kann niemals einer Behörde einfallen, mit einem Majestätsverbrecher und Landesverräther zu unterhandeln. Das weiß ein jeder leidlich gebildeter Mann.«

»Ich schließe mich dieser Ansicht gern an, möchte aber doch fragen, ob Sie unter diesem Majestätsverbrecher und Landesverräther vielleicht Juarez verstehen.«

»Natürlich,« antwortete der Commandant erstaunt.

»Aus welchem Grunde?«

»Er conspirirt gegen uns, er leistet uns bewaffneten Widerstand.«

»Eigenthümlich,« meinte Sternau mit leisem Kopfschütteln. »Juarez hat ganz dieselbe Meinung von Ihnen.«

»Ah!« rief es ringsum aus Aller Munde.

»Ja,« antwortete Sternau unerschrocken. »Juarez behauptet, noch Präsident zu sein. Er wurde von Mexiko an diesen Posten berufen und noch nicht wieder abberufen. Er behauptet, daß die Franzosen gegen ihn conspiriren und ihm bewaffneten Widerstand leisten. Er behauptet, daß ein Majestätsverbrecher doch immerhin ein politischer, nicht aber ein gemeiner, ehrloser Verbrecher sei, daß aber die Franzosen gewaltsam in Mexiko eingedrungen seien, wie es zum Beispiele Einbrecher in einem nicht hinreichend bewachten Hause thun würden.«

Da sprang Oberst Laramel auf, legte die Hand an den Degen und rief zornig dem Commandanten zu:

»Herr Kamerad, wollen Sie sich diese Beleidigung gefallen lassen?«

Auch der Commandant stand von seinem Sitze auf.

»Allerdings nicht,« antwortete er. Und zu Sternau gewendet, fuhr er fort: »Sie haben uns mit Ihren Worten als gemeine Einbrecher bezeichnet?«

»Das fällt mir nicht ein,« entgegnete der Gefragte. »Sie bezeichneten Juarez mit einem Namen, den er ganz entschieden zurückweist und ich gestattete mir darauf nur, Ihnen anzudeuten, in welcher Weise er den betreffenden Gegenstand beurtheilt. Von meiner persönlichen Meinung ist keine Rede gewesen.«

»Das wollen wir uns auch sehr verbitten. Ich betrachte Ihren Besuch als einen sehr nutzlosen und ganz entschieden gefahrvollen. Nutzlos ist er für Juarez, da wir nicht mit ihm verhandeln und gefahrvoll ist es für Sie, Monsieur.«

Sternau nahm eine ungläubige Miene an.

»Gefahrvoll für mich?« sagte er. »Inwiefern, Monsieur?«

»Weil Sie dabei Ihre Freiheit, ja sogar Ihr Leben wagen.«

»Ah! Unmöglich!«

»Und doch. Juarez ist vogelfrei. Ich habe erst gestern den strengen Befehl erhalten, jeden seiner Anhänger als Banditen zu betrachten und zu behandeln, das heißt, ihn erschießen zu lassen.«

»Alle Teufel,« lachte Sternau, »so wird mir wohl das Vergnügen, von Ihnen auch als Bandit betrachtet zu werden?«


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»Sie stehen sehr nahe an dieser Gefahr. Es thut mir leid, Ihnen sagen zu müssen, daß ich erstens einen Bevollmächtigten des Expräsidenten nicht als diplomatische Person anerkenne - - -«

»Und zweitens?«

»Und daß ich zweitens Sie als meinen Gefangenen festhalten werde.«

Da legte Sternau das eine Bein über das andere und antwortete ruhig:

»Ueber den zweiten Punkt wollen wir jetzt nicht richten; dazu ist ja später noch Zeit. Was aber den ersten Punkt betrifft, so werde ich auf alle Fälle und trotz Ihrer Weigerung den mir gewordenen Auftrag ausrichten. Ich habe Ihnen nämlich zu sagen, daß - - -«

Er wurde unterbrochen. Oberst Laramel trat einen Schritt näher und rief zornig:

»Halt! Kein Wort weiter! Jede Silbe wäre eine Beleidigung!«

Sternau zuckte die Achseln.

»Ich habe bereits gesagt, daß ich gekommen bin, um mit dem Commandanten von Chihuahua, nicht aber mit einem Andern zusprechen. Will man von einem Bevollmächtigten seitens Juarez nichts wissen, so kann es doch nichts schaden, einen Mann ruhig anzuhören, dessen Mittheilungen nur Nutzen bringen können.«

»Ihre Mittheilungen können uns nichts nutzen!« sagte der Commandant streng.

»Sie könnten wenigstens weiteren und größeren Schaden verhüten, wenn Sie allerdings auch nicht im Stande sind, Geschehenes ungeschehen zu machen. Wollen Sie Juarez nicht als eine Person anerkennen, mit welcher Sie amtliche Verhandlungen pflegen, so wird er sich durch die Macht der Thatsachen Anerkennung verschaffen.«

»Welche Thatsachen sind das?« fragte der Commandant spöttisch. »Meinen Sie etwa seine Flucht, seine Ohnmacht, seine Hilflosigkeit?«

»Flucht? Er ist nicht geflohen; er hat sich zurückgezogen. Ohnmacht? Nennen Sie einen Mann ohnmächtig, der alle Ihre Unternehmungen vereitelt?«

»Herr, wahren Sie Ihre Zunge!« braußte der Commandant auf. »Ich weiß nicht, was Sie mit Ihrer Vereitelung meinen. Allerdings ist eine meiner Compagnien abgeschlachtet worden, aber es sind bereits Vorkehrungen getroffen, diesen Unfall zu rächen.«

»Glauben Sie, daß diese Rache Ihnen gelingen wird?«

»Unbedingt.«

»So sage ich Ihnen, daß jetzt Sie es sind, der sich eines gewaltigen Irrthums schuldig macht. Ihr Unternehmen ist nämlich bereits vollständig mißlungen.«

Der Offizier machte eine Bewegung des Schrecks.

»Wieso? Was wissen Sie von meinem Unternehmen?«

»O, Juarez war bereits längst von demselben unterrichtet und hat seine Vorkehrungen getroffen. Der Angriff auf Fort Guadeloupe hat allerdings stattgefunden, aber -«

»Aber?« fragte der Oberst rasch.

»Er ist abgeschlagen worden.«


// 1808 //

Da sprangen auch sämmtliche Offiziere auf, die bisher noch gesessen hatten.

»Unmöglich!« rief der Oberst. »Wer hat ihn abgeschlagen?«

»Juarez.«

»So befand er sich in Guadeloupe?«

»Er begab sich dorthin, sobald er von Ihrer Absicht unterrichtet wurde.«

»Sie wissen das genau?«

»Ich befand mich bei ihm.«

»Sie waren bei dem Angriffe zugegen?«

»Ja.«

»Nun, dann wird der Erfolg des Expräsidenten nur ein augenblicklicher und kurzer gewesen sein. Wir haben es nicht erreicht, ihn zu überraschen, aber meine tapferen Truppen werden dennoch das Fort nehmen und ihn, wenn nicht fangen, so doch wenigstens aus demselben vertreiben.«

»Ich muß Ihnen leider sagen, daß dies nicht geschehen wird.«

»Warum nicht?«

»Weil Sie keine Truppen mehr haben.«

Der Commandant erbleichte.

»Wie meinen Sie das?« fragte er stockend.

»Ihre Truppen sind vollständig vernichtet.«

»Herr, beabsichtigen Sie etwa, mir eine Falle zu stellen, eine Schlinge zu legen?«

»Nein, sondern ich sage Ihnen die Wahrheit. Von Ihren Truppen, Franzosen sowohl als auch Comanchen, lebt nur noch ein einziger Mann, und dieser liegt scalpirt in einem Hause in Guadeloupe.«

Einige Augenblicke lang herrschte tiefes Schweigen; dann aber rief Oberst Laramel:

»Das ist eine Lüge, eine ganz abscheuliche Lüge!«

Sternau würdigte ihn keines Blickes, sagte aber zum Commandanten:

»Ich bitte, mich gegen derartige Beleidigungen in Schutz zu nehmen, sonst bin ich gezwungen, zur Selbsthilfe zu greifen.«

»Eine Lüge!« wiederholte Laramel wüthend. »Dieser Mensch ist ein Lügner!«

Er hatte das letzte Wort kaum ausgesprochen, so lag er auch bereits regungslos am Boden. Sternau hatte sich blitzschnell erhoben und ihm die Faust so an den Kopf geschlagen, daß er zusammenbrach.

Der Schreck über diese That machte Alle momentan starr; dann faßte sich der Commandant zuerst und rief drohend:

»Monsieur, was wagen Sie! Sie schlagen einen französischen Regimentscommandeur nieder? Wissen Sie, daß wir das mit dem Tode bestrafen?«

Sternau warf den Kopf stolz zurück und antwortete:

»Pah, ich habe noch ganz andere Kerls niedergeschlagen! Und ich sage Ihnen, daß ich auch jeden Zweiten, Dritten, Fünften und Zehnten niederschlagen werde, der es wagen sollte, mich in ähnlicher Weise zu beleidigen.«

»Ah, Sie wagen es noch dazu, zu drohen?« fragte der Commandant, indem sein Auge aufflammte. »Ich werde Sie sofort festnehmen lassen.«


// 1809 //

Er that einen Schritt nach der Thür.

»Bleiben Sie!« rief Sternau in gebieterischem Tone.

Der Officier hielt in seiner Bewegung ein und starrte Sternau an.

»Herr, sind Sie etwa wahnsinnig, sich dieses Tones zu bedienen?« fragte er.

Er zog den Degen, und auch die Anderen entblößten ihre Klingen.

»Lassen Sie Ihre Waffen in Ruhe, meine Herren!« sagte Sternau. »Ich kam, um von Ihnen gehört zu werden, und ich werde mir Gehör verschaffen. Ihre Degen fürchte ich nicht, wohl aber haben Sie meine Kugeln zu fürchten, welche jedenfalls schneller und gefährlicher sind als Ihre Klingen.«

Bei diesen Worten zog er zwei Revolver hervor und richtete die Mündungen derselben auf die Franzosen. Sein mächtiges Aeußere, sein blitzendes Auge und der gebieterische Ton seiner Stimme machten in diesem Augenblicke einen Eindruck, dem Keiner widerstehen konnte. Der Commandant fuhr erschrocken zurück und fragte:

»Mensch, Sie wollen wirklich schießen?«

»Ja. Ich gebe Ihnen mein Wort, daß ich Jedem sofort, auf der Stelle, eine Kugel geben werde, welcher Miene machen wird, mich anzugreifen oder nach Hilfe zu senden. Sie sind nur mit Ihren Degen bewaffnet, ich bin Ihnen also mit meinen Revolvern überlegen.«

Die Herren sahen die Wahrheit dieser Worte ein.

»Unerhört!« sagte der Commandant, den vorher drohend erhobenen Degen senkend. »Sie sehen doch jedenfalls ein, daß Sie verloren sind!«

»Noch nicht. Vielmehr habe ich die Ansicht, daß Sie selbst verloren sind, wenn Sie nicht meiner Aufforderung folgen, ruhig Platz zu nehmen.«

Er hatte dabei ein so drohendes, gebieterisches Aussehen, daß sämmtliche Officiere ganz unwillkürlich sich wieder niedersetzten.

»Sie bedrohen uns mit bewaffneter Hand!« knirrschte der Commandant dabei.

»Allerdings.«

»Sie schlugen bereits Einen von uns nieder!«

»Gewiß,«

»Man wird dies streng bestrafen.«

»Versuchen Sie dies. Vorher jedoch haben Sie die Güte, mich zu hören und mir zu antworten.«

»Reden Sie.«

Sternau hielt noch immer die Revolver zum Schusse bereit.

»Sie sprachen von einem Befehle, jeden Anhänger von Juarez als Banditen zu behandeln. Werden Sie diesem Befehle gehorchen?«

»Unbedingt!«

»So läßt Juarez Sie warnen. Er wird Repressalien gebrauchen.«

»Wir fürchten ihn nicht.«

»Er läßt Ihnen dennoch sagen, daß er dann auch jeden Franzosen, welcher in seine Hände fällt, als Bandit behandeln wird.«

»Er soll dies um Gotteswillen nicht wagen.«

»Er wagt nicht mehr als Sie. Ferner habe ich Sie aufzufordern, Chihuahua augenblicklich mit Ihren Truppen zu verlassen.«


// 1810 //

Der Commandant stieß ein fast heiseres Gelächter aus.

»Das klingt ja possenhaft!« rief er.

»Ist aber doch ernst gemeint. Juarez wird sie ruhig abziehen lassen, wenn Sie seine Forderungen respectiren.«

Da erhob sich der Commandant abermals.

»Respectiren? Welche Ausdrücke wagen Sie, zu gebrauchen!« sagte er. »Sie sind ein verwegener Mensch, dessen Revolver mich für einen Augenblick überraschen konnten; aber ich bin französischer Offizier und fürchte Ihre Kugeln nicht. Ich werde Sie festnehmen lassen trotz Ihrer Revolver. Vorher aber will ich Ihnen meine Antwort geben.«

»Ich bin begierig, sie zu hören.«

»Ich sage Ihnen, daß ich den überkommenen Befehl auf das Strengste erfüllen werde.«

»Das ist mir leid, zumeist um Ihrer selbst willen.«

»Pah! Ich werde bereits heut beginnen, meine Pflicht zu thun. Und wissen Sie, wer der Erste ist, den ich noch diese Nacht als Bandit erschießen lasse?«

»Ich ahne es,« sagte Sternau lächelnd.

»Nun?«

»Sie meinen natürlich mich?«

»Allerdings. Sie sind mein Gefangener. Ergeben Sie sich freiwillig. Ihr erster Schuß wird vielleicht Einen von uns tödten, dann aber haben wir Sie fest, ehe Sie den zweiten abfeuern können.«

»Das zu beweisen, dürfte Ihnen schwer gelingen; aber ich liebe es nicht auf eine unnütze Weise Menschenblut zu vergießen; darum will ich meine Waffen wieder zu mir stecken.«

Er schob die Revolver in die Tasche.

»Gut. Sie ergeben sich also?«

»O nein, das kann mir gar nicht einfallen.«

»Aber ich erkläre Ihnen, daß jeder Widerstand unnütz ist.«

»O, es ist auch meine Absicht gar nicht, Ihnen Widerstand zu leisten.«

»Was denn sonst?«

»Ich wünsche nur, mich Ihnen zu empfehlen.«

Er machte eine tiefe, ironische Verbeugung und hatte dann mit drei raschen, weiten Schritten die Thür erreicht.

»Halt! Faßt ihn! Haltet ihn fest!« rief der Commandant.

Er selbst sprang eiligst nach der Thür, aber als er sie erreichte, hatte sie sich bereits hinter Sternau wieder geschlossen.

»Er flieht! Er entkommt! Ihm nach!«

Unter diesen Rufen drängten sich die Herren Franzosen nach dem Ausganges aber sie fanden zu ihrem Aerger die Thür verschlossen. Keiner dachte daran, ein Fenster zu öffnen, um einen Befehl hinabzurufen, sondern ein Jeder vereinigte sich mit den Andern, um die Thür mit den Fäusten zu bearbeiten. Erst nach verhältnißmäßig langer Zeit wurde sie geöffnet. Der alte Schließer stand draußen. Er machte ein ganz und gar erstauntes Gesicht und sagte:


// 1811 //

»Dios mio! Wer hat denn die Sennores eingeschlossen?«

»Mensch, wo warst Du denn jetzt?« fragte der Commandant. »Unten an der Thür, Sennor,« antwortete der Gefragte.

»Hast Du Jemand das Haus verlassen sehen?«

»Ja, Sennor.«

»Wer war es?«

»Der Fremde, welcher vorhin eintrat.«

»Du meinst den hohen, breiten Menschen in mexikanischer Tracht?«

»Ja, denselben.«

»Nach welcher Richtung ging er fort?«

»Er ging nicht, sondern er ritt.«

»Er ritt?« klang die erstaunte Frage. »Er hatte ein Pferd in der Nähe?«

»Ja, Sennor. Ich stand am Thore. Er kam sehr schnell an mir vorüber geeilt und stieß, als er die Straße kaum erreicht hatte, einen Pfiff aus. Da hörte ich Pferdegetrappel. Ein Reiter, der noch ein lediges Pferd führte, kam herbei, er sprang rasch auf und ritt davon.«

»Ah, das hätten wir hören müssen.«

»Ich habe es selbst ja kaum gehört. Die Sennores klopften hier so derb und stark an, daß Anderes nur schwer zu vernehmen war.«

»Das mag sein. In welcher Richtung ritt er davon?«

»Nach links.«

»So wird er uns doch nicht entkommen. Es muß ihm sofort ein gut berittenes Piquet folgen. Wer will das übernehmen?«

Es meldeten sich mehrere der jüngeren Offiziere. Der Commandant traf seine Wahl, und bald ritt der Betreffende in Begleitung von zehn Cavalleristen in der angegebenen Richtung davon.

Sternau hatte, als er den Schlüssel der Thür umdrehte, den auf ihn wartenden Schließer sofort bemerkt. Dieser trat ihm aus der gegenüber liegenden Thür entgegen und drückte ihm sein Laternchen in die Hand.

»Schnell, Sennor!« flüsterte er. »Mein Bruder nimmt die Schlüssel in Empfang.«

Sternau trat da drüben ein und eilte durch die bereits angegebenen Räume, indem er alle Thüren hinter sich verschloß. Der Hausmeister stand auf seinem Posten.

»Gott sei Dank!« sagte er. »Ich hatte bereits große Sorge.«

»Sie war überflüssig. Ich gehe fort. Hier sind die Schlüssel.«

Der Hausmeister nahm sie und die Laterne in Empfang, um sie seinem Bruder zu bringen; Sternau aber eilte zu der Sennorita zurück, was ihm auch unter dem Schutze des nächtlichen Dunkels ganz unbemerkt gelang.

Sie hatte seine Rückkehr mit größter Spannung erwartet. Sie athmete sichtlich erleichtert auf, als sie ihn erblickte und sagte:

»Ich begann bereits, für Sie zu fürchten, Sennor. Ahnt man, daß Sie jetzt bei mir sind?«

»Nein, Sennorita,« antwortete er. »Haben Sie keine Sorge.«

»Wie ist es gegangen? Haben Sie mit den Offizieren gesprochen?«


// 1812 //

»Ja. Sie waren beim Commandanten versammelt. Ich eröffnete ihnen, daß ich ein Abgesandter des Präsidenten sei, und man eröffnete mir, daß man mich in Folge dessen festnehmen, als Bandit behandeln und noch diese Nacht erschießen werde.«

»Mon dieu! Welch eine Gefahr für Sie!«

»Sie war nicht groß. Man drang zwar mit gezückten Degen auf mich ein, doch hielt ich diese Helden mit meinen Revolvern sehr leicht in Schach.«

»Auch den Oberst Laramel?« fragte sie.

»Ihn schlug ich, da er mich beleidigte, mit der Hand nieder.«

»Ah! Ist er todt?«

»Nein, er ist nur besinnungslos, wenn auch eine geraume Zeit vergehen wird, ehe er wieder zu sich kommt. Aber wo ist mein kleiner André, Sennorita?«

»Er ließ sich nicht halten und hat sich entfernt.«

»Wohin?«

»Er ist Juarez und den Apachen entgegen. Er hatte Sorge um Sie und ging, damit nöthigenfalls schnelle Hilfe vorhanden sei.«

»So muß auch ich gehen, damit nichts Zweckloses unternommen wird.«

»Er bat mich, Ihnen im Falle Ihrer Rückkehr zu sagen, daß er Sie bei Ihrem Pferde treffen werde, welches im Walde steht.«

»So muß ich mich dorthin verfügen, obgleich dies eigentlich nicht der rechte Ort ist, an welchen ich jetzt gehöre.«

»Wann werde ich Sie wiedersehen, Sennor?«

»Vielleicht eher als Sie denken. Bis dahin leben Sie wohl!«

Er ging, und verließ ungesehen die Stadt. Er fand sein Pferd noch da, wo er es angebunden hatte; auch dasjenige Andrés war noch da. Der kleine Jäger war also den Apachen nicht entgegengeritten. Noch überlegte Sternau, ob er hier warten solle oder nicht, so hörte er Schritte, welche sich leise näherten. Er drückte sich an einen Baum. Der Mann, welcher kam, ließ ein leises Räuspern hören, woran Sternau ihn erkannte.

»André!« sagte er.

»Ah, Sie sind bereits da?« antwortete der Angerufene. »Verzeihung, daß ich mich entfernt habe! Ich konnte es vor Sorge um Sie nicht länger bei der Sennorita aushalten. Es trieb mich aus der Stadt hinaus.«

»Das war unnöthig, mein Lieber!«

»Hols der Teufel! Sie waren in die Höhle des Löwen gegangen. Welche Garantie hatte ich, daß er Sie nicht zerriß?«

»O, ich bin von einem Stoffe, welcher sich nicht so leicht zerreißen läßt.«

»Das weiß ich, aber viele Hunde sind des Hasen Tod. Man konnte Sie festhalten und mit den Anderen erschießen wollen.«

»Dies beabsichtigte man allerdings.«

»Sehen Sie! Ich eilte also fort, um zu erkundschaften, ob die Unsrigen nicht bald nahe seien.«

»Das ist kaum denkbar.«

»O, diese Apachen reiten famos, und Juarez hat es ihnen gleich gethan.«

»Wie? So ist er mit ihnen bereits hier?«


// 1813 //

»Ja. Sie haben ihre Pferde halb todt geritten.«

»Wer ist es?«

»Juarez, die beiden Apachenhäuptlinge, Ihre sämmtlichen Gefährten und gegen hundert der best berittensten Krieger. Die weniger gut berittenen sind noch zurück.«

»Hundert Krieger? Ah, das genügt! Kommen Sie schnell!«

Die beiden Männer banden ihre Pferde los und verließen das Wäldchen. Bereits nach kurzer Zeit erreichten sie die Apachen. Man konnte sich bei der Dunkelheit nur an der Stimme erkennen. Juarez trat auf Sternau zu und sagte:

»Ah, Sennor, das war der fürchterlichste Ritt, den ich in meinem Leben gemacht habe. Ich bin wie gerädert.«

»So muß man Ihnen Ruhe gönnen. Ich denke, Sie können uns die Arrangements, welche jetzt nöthig sind, wohl überlassen.«

»Nein, nein, Sennor! Ich will bei Allem, was geschieht, dabei sein.«

»Auch wenn Ihre Freiheit, Ihr Leben in Gefahr kommen sollte?«

»Auch dann. Ich bin es meinen Mexikanern schuldig, den fremden Eindringlingen zu zeigen, daß wir bereit sind, der Freiheit unseres Vaterlandes Alles zum Opfer zu bringen. Sennor André sagte mir bereits, daß Sie beim Commandanten waren?«

»Ja. Ich habe mit ihm in Gegenwart aller seiner Offiziere gesprochen.«

»Mit welchem Erfolg?«

»Mit demjenigen, der vorauszusehen war. Das gegen die Republikaner erlassene Decret ist Thatsache. Man wird Sie und Ihre Anhänger als Banditen behandeln. Man erkennt Sie nicht als eine Person an, mit welcher man sich in Unterhandlungen einlassen kann. Auch mich wollte man festnehmen und noch heute Nacht erschießen.«

»Haben Sie gesagt, daß ich Repressalien anwenden werde?«

»Ja, aber man lachte darüber.«

»So wußte man noch nicht, was in Fort Guadeloupe geschehen ist?«

»Man hatte keine Ahnung davon. Ich theilte es ihnen natürlich mit, konnte aber den vollen Eindruck nicht erwarten, da ich bedacht sein mußte, meine Person schleunigst in Sicherheit zu bringen.«

»Und wie steht es mit den Gefangenen, welche erschossen werden sollten?«

»Sie haben keinen Pardon zu erwarten. Man ist entschlossen, die Execution auszuführen. Ich sollte ja mit ihnen erschossen werden, wie ich mit Recht vermuthe.«

»So ist nichts zu thun, als den Augenblick zu erwarten und diesen Mord dann zu vereiteln. Wir umzingeln im geeigneten Augenblicke die Executionsmannschaft und hauen oder schießen sie nieder. Es thut mir allerdings leid um diese Leute, welche ja unschuldig sind, aber es geht ja wohl nicht anders.«

»Wenn Sie Unschuldige schonen wollen, so weiß ich vielleicht einen sichereren und kürzeren Weg, die Execution zu vereiteln.«

»Das würde mir außerordentlich lieb sein, Sennor. Darf ich Ihren Plan erfahren?«

»Gewiß. Wir nehmen einfach sämmtliche Offiziere der Besatzung gefangen und zwingen sie dadurch, Chihuahua ohne Schwertstreich zu übergeben.«


// 1814 //

»Caramba! Wenn das möglich wäre!«

»O, es ist gar nicht schwer, Sennor.«

»In welcher Weise?«

»Die Offiziere sind jetzt beim Commandanten versammelt. Wir schleichen uns ein und bemächtigen uns ihrer. Ich höre, daß hier hundert Krieger zugegen sind. Bereits die Hälfte genügt, um das ganze Quartier gefangen zu nehmen.«

»Würde das Einschleichen gelingen?«

»Vollständig. Der Schließer des Stadthauses steht mit mir im Bunde. Er ist es, dem ich es zu verdanken habe, daß ich vorhin entkommen bin.«

»Ah, wie kommen Sie zu diesem Manne?«

»Der Hausmeister von Sennorita Emilia ist sein Bruder.«

»So läßt es sich begreifen. Kann man die Sennorita ohne Gefahr sprechen?«

»Ja. Ich mache mich verbindlich, Sie zu ihr und auch sicher wieder zurück zu bringen, wenn Sie sich mir anvertrauen wollen.«

»Wirklich? So gehen wir. Er liegt mir daran, mit ihr zu sprechen, ehe ich einen bestimmten Entschluß treffe.«

Die beiden Männer verließen die Truppe und schritten der Stadt entgegen. Sie gelangten nach dem Hause der Sennorita, ohne in irgend einer Weise belästigt zu werden. Es war ihnen nicht einmal Jemand begegnet.

»Das sieht nicht aus, wie eine feindlich besetzte Stadt,« sagte Juarez. »Ich beginne, zu glauben, daß es nicht schwer sein wird, die Herren Franzosen aufzuheben.«

Im Flur des Hauses, wo es dunkel war, stand der Hausmeister.

»Wer kommt?« fragte er.

»Ich bin es wieder, Sternau. Wie ist es im Stadthause gegangen?«

»Sehr gut, Sennor. Mein Bruder hat dem Commandanten gesagt, daß Sie ein Pferd bereit stehen hatten und südwärts davon geritten sind. Man hat Ihnen Verfolger nachgesendet.«

»Das war ein kluger Einfall, welcher die Spur von uns abgelenkt hat. Ist Sennorita Emilia noch zu sprechen?«

»Sie wird für Sie zu jeder Minute zu sprechen sein, Sennor. Soll ich Ihnen die Laterne anbrennen?«

»Nein; ich kenne ja den Weg.«

Er stieg mit Juarez die Treppe empor. Droben traten sie an der Zofe vorüber sogleich in das Zimmer der Sennorita. Als diese den Präsidenten erblickte, stieß sie einen Ruf der Freude aus. Sie streckte ihm die Hand entgegen und sagte:

»Ich heiße Sie willkommen in der Hauptstadt des Presidio und ich bin stolz darauf, die Erste zu sein, welche dies thun kann. Möge Ihr Eingang die Früchte bringen, welche Land und Volk von Ihnen erwarten.«

»Ich danke Ihnen, Sennorita,« antwortete er mit dem an ihm gewöhnlichen milden Ernste. »Dazu, daß ich endlich kommen kann, haben auch Sie redlich beigetragen. Eigentlich sollte ich Ihnen Ruhe gönnen, aber ich bin zur Undankbarkeit gezwungen, indem ich Sie in immer neue Kämpfe sende.«

»Sie bringen mir neue Aufgaben?« fragte sie erfreut.

»Ja. Ich habe die Absicht, Sie nach Mexiko zum Kaiser zu senden.«


// 1815 //

Ihre Wangen rötheten sich vor Entzücken.

»Oeffentlich?« fragte sie.

»Oeffentlich werden Sie auftreten; Ihr Auftrag aber, und in Folge dessen auch Ihre Wirksamkeit wird eine geheime sein. Doch ehe wir hiervon sprechen, müssen wir an den gegenwärtigen Augenblick denken. Welch ein Mann ist der Commandant von Chihuahua?«

»Ein Dutzendmensch, Sennor,« antwortete sie. »Ein Wenig tapfer und ein Wenig feig; ein wenig ehrgeizig und ein Wenig leichtsinnig. Er ist kein Lumen und weder ein selbstständiger Character noch ein gewissenhafter Untergebener.«

»Also nicht zu fürchten?«

»Nein.«

»Giebt es unter seinen Offizieren Leute, welche den Geist besitzen, in einer außerordentlichen Lage sich auch außerordentlich zu benehmen?«

»Nein. Selbst Oberst Laramel, welcher erst angekommen ist, muß mehr ein Wütherich als ein militairisches Talent genannt werden. Er ist ein Bramarbas.«

Juarez runzelte die Stirn.

»Ich habe von ihm gehört,« sagte er. »Ich werde mir den Mann genau betrachten. Sie müssen nämlich wissen, daß Sennor Sternau mir den Vorschlag gemacht hat, gar nicht die Stunde der Hinrichtung zu erwarten, sondern die französischen Offiziers gleich jetzt im Stadthause zu überfallen.«

Ihre Augen leuchteten hell auf.

»Recht so,« sagte sie. »Mit den Offizieren fällt ja die ganze Besatzung, die ganze Stadt in Ihre Hand. Sie werden mit diesem Streich Herr der Provinz.«

»Das ist richtig, falls es gelingt.«

»Es wird gelingen,« sagte Sternau. »Es ist nur nöthig, den Hausmeister zu seinem Bruder zu senden, damit dieser uns das hintere Thor öffnet.«

Er erzählte dem Präsidenten, wie er aus dem Stadthause entkommen war. Dieser neigte nachdenklich den Kopf und meinte:

»Wie viele Franzosen sich in der Stadt befinden, weiß ich bereits durch den kleinen André. Es sind ihrer nicht viele. Meine hundert Apachen genügen, die Offiziere zu fangen und die Besatzung im Zaume zu halten, bis die Uebrigen herangekommen sind.«

»Darf ich Ihnen ein Arrangement vorschlagen, Sennor?« fragte Sternau.

»Sprechen Sie!«

»Wir verwenden sechszig Mann, um die Hauptausgänge der Stadt zu besetzen, Anführer für diese Posten haben wir ja. Ich nenne den kleinen André, Mariano, Büffelstirn, die beiden Apachenhäuptlinge. Nachdem diese Maßregel getroffen worden ist, schleichen wir mit den übrigen Vierzig in das Stadthaus ein und nehmen die Offiziers gefangen. Wir werden sie in der Weise überraschen, daß sie keinen Widerstand zu leisten vermögen. Die Drohung, daß sie auf der Stelle getödtet werden sollen, falls sie sich nicht in unsere Forderungen fügen, wird alle ihre Truppen in unsere Hände bringen.«

»Das ist sehr richtig; das ist der rechte Weg, um Blutvergießen zu vermeiden,« sagte Juarez.

Sternau fuhr fort:


// 1816 //

»Während wir bis zum Morgen das Stadthaus besetzt halten und dann mit Anbruch des Tageslichtes leichter sehen können, was zu thun ist, werden sich unsere Nachzügler einfinden und die Einschließung der Stadt vervollständigen.«

»O, Sie brauchen sich ja nicht ganz allein auf sich selbst zu verlassen,« fiel die Sennorita ein. »Unter den vierzehntausend Einwohnern der Stadt giebt es tausende von treuen Männern, welche auf die Kunde, daß der Präsident zurückgekehrt ist, sofort zu den Waffen greifen werden. Ich kenne sie alle. Ich werde, obgleich es Nacht ist, sofort ein Circular erlassen, um sie zu benachrichtigen, wenigstens die Hervorragendsten von ihnen.«

»Auch dieser Plan ist gut,« stimmte Juarez bei; »nur wünsche ich, daß Sie dabei aus dem Spiele gelassen werden, Sennorita. Ich habe meine bestimmte Absicht dabei. Schlagen Sie mir lieber einen Mann vor, an den ich mich in dieser Beziehung wenden und auf den ich mich verlassen kann.«

»Dann nenne ich Ihnen einen sehr einfachen Mann, der aber bereit ist, für Sie zu sterben. Er kennt alle national gesinnten Einwohner.«

»Wer ist es?«

»Der Wirth der Venta, welche mir gegenüberliegt.«

»Ah, derselbe, von dem mir der kleine André erzählt hat, daß er bei ihm eingekehrt ist?«

»Ja, derselbe.«

»Wird er jetzt noch wach sein?«

»Vielleicht. Aber auch im andern Falle ist er leicht zu wecken.«

»Gut, so werde ich jetzt beginnen, meine Maßregeln zu treffen. Sennor Sternau, ich und Mexiko gehen Ihnen zwar weniger an, aber Sie haben mir bisher eine so rege Theilnahme gewidmet, daß ich auch jetzt hoffe, auf Ihre Hilfe rechnen zu dürfen.«

»Gewiß,« antwortete Sternau; »ich stelle mich Ihnen zur Verfügung. Bestimmen Sie, was ich für Sie thun soll.«

»So bitte ich Sie, jetzt zu den Unserigen zu gehen, und die Vorkehrungen zu treffen, von denen Sie gesprochen haben. Versuchen Sie, die fünfzig Mann hierher zu bringen, ohne daß es gemerkt wird; dann begeben wir uns nach dem Stadthause. Im Fortgehen haben Sie die Güte, mir den Hausmeister herauf zu schicken.«

Sternau ging und kurze Zeit darauf trat der Hausmeister ein. Dieser hatte, da es im Flur dunkel war, Juarez nicht gesehen. Als jetzt sein Auge auf ihn fiel, machte er eine Bewegung der freudigsten Ueberraschung.

»Gott, der Präsident!« rief er. »O, Sennor, ist das die Möglichkeit?«

In seinem Gesichte spiegelte sich das ungeheucheltste Entzücken ab. Dies mußte Juarez erkennen. Er reichte dem Alten die Hand entgegen und sagte:

»Ja, ich bin es. Sie kennen mich also persönlich?«

»Ja. Ich habe Sie gesehen, wie Sie von hier nach Paso del Norte gingen. Aber, Sennor, wissen Sie, was Sie wagen, so allein nach Chihuahua zu kommen?«

»Das Wagniß ist nicht zu groß. Ich hoffe im Gegentheile, die Stadt noch heute in meine Hand zu bekommen und dabei rechne ich auf Ihre Hilfe.«

»O, was ich thun kann, das soll mit der größten Bereitwilligkeit geschehen.«


// 1817 //

»Gut. Sind Sie Ihres Bruders sicher, welcher Schließer des Stadthauses ist?«

»Vollständig sicher, Sennor. Er ist ein ebenso guter Republikaner wie ich.«

»So gehen Sie jetzt zu ihm, um ihm zu sagen, daß er mir, grad so wie vorher Sennor Sternau, die Hinterthür öffnen soll.«

»Sie wollen zu den Offizieren?«

»Ja.«

»Welch eine Kühnheit. Man wird Sie gefangen nehmen, Sennor.«

»Man hat Sennor Sternau auch nicht gefangen genommen, obgleich er allein war; ich aber werde fünfzig Indianer mitbringen und, ganz im Gegentheile, die Herren Offiziers gefangen nehmen.«

»Fünfzig Indianer? O, das genügt; das ist etwas ganz Anderes. Dieser Streich wird gelingen und dann gehört Chihuahua unser. Ich eile, meinen Bruder zu benachrichtigen, Sennor. Er wird Ihnen alle Thüren öffnen.«

»Schön. Vorher aber gehen Sie hinüber, nach der Venta und sagen dem Wirth, aber so, daß es Niemand hört, daß er jetzt gleich herüberkommen soll.«

Der Hausmeister ging und bald trat der Wirth ein, mit allen Zeichen einer freudigen Aufregung im Gesichte. Er war ganz glücklich, Juarez zu sehen und den Auftrag, die Namen der hervorragendsten Republikaner aufzuschreiben und dieses Verzeichniß zum Gebrauche bereit zu halten.

Es war nach seiner Entfernung noch keine lange Zeit vergangen, so kehrte Sternau zurück, um zu melden, daß die Apachen bereit seien.

»Sind sie vielleicht bemerkt worden, Sennor?« fragte der Präsident.

»Nein. Die rothen Männer verstehen es, selbst bei heller Beleuchtung sich ungesehen anzuschleichen; heut aber ist es so dunkel, daß sie im Stande wären, mitten in der Stadt ihren Kriegstanz unbemerkt aufzuführen.«

»So wollen wir aufbrechen. Sie werden unser Führer sein.«

Emilia bat dringend, sich der größten Vorsicht zu befleißigen und schon schritt Juarez der Thür zu, als er sich rasch wieder umdrehte und zu ihr sagte:

»Da kommt mir ein Gedanke, Sennorita. Hätten Sie den Muth, uns zu begleiten?«

»Gewiß,« antwortete sie schnell. »Wenn ich mitgehen kann, werde ich nicht diese Sorge auszustehen haben, als wenn ich zurückbleiben muß.«

»Ihr Mitgehen hat noch ganz andern Zweck. Sie werden nach Mexiko zum Kaiser gesandt werden und da gilt es, Sie als eine Anhängerin desselben zu legitimiren. Ihre Instructionen erhalten Sie morgen. Jetzt gehen Sie mit uns und treten vor uns bei den Offizieren ein. Sie sagen denselben, daß Sie durch einen Ihrer Spione gehört haben, daß ich auf Chihuahua marschire und jeden Augenblick hier sein kann. Sie sagen ferner, daß ich jedenfalls sofort durch die Stadt nach dem Rathhause eilen würde, um mich in den Besitz desselben zu setzen. Sie rathen dringend, sofort Maßregeln zur Vorsicht zu ergreifen. Was Sie sonst noch sagen werden, überlasse ich ganz Ihrem Scharfsinne. Es versteht sich ganz von selbst, daß ich im geeigneten Augenblick erscheinen werde. Jetzt mit Ihrer Toilette Zeit zu versäumen, brauchen Sie nicht. Es muß ja scheinen, als ob Sie sich sofort nach Empfang der Nachricht in größter Eile auf den Weg gemacht haben.«


// 1818 //

»So genügt es, eine Mantille über mich zu nehmen; dann bin ich bereit.«

Als einige Augenblicke später die Drei das Haus verließen, war es ihnen unmöglich, einen Indianer zu erkennen.

»Wo sind sie?« fragte Juarez.

»Sie liegen längst der Häuserreihe hin am Boden,« antwortete Sternau. »Gehen wir nur fort, sie werden uns folgen, ohne daß wir uns darum zu bekümmern brauchen.«

Sie gingen mit möglichst gedämpften Schritten vorwärts, durch mehrere Gassen, bis sie die hintere Seite des Stadthauses erreichten. Dort stand der Hausmeister wartend an der Thür.

»Ist Alles in Ordnung?« fragte Juarez.

»Alles, Sennor,« antwortete der Alte.

»Wo befindet sich Ihr Bruder?«

»Er steht mit der Blendlaterne drin auf der Treppe, um Sie zu führen, während ich den Letzten mache, um die Thür zu schließen.«

»Die Offiziere sind noch beisammen?«

»Ja. Aber sie kommen allein! Wo sind die Indianer?«

»Allerdings, wo sind sie?« wendete Juarez sich an Sternau.

Er hatte bis jetzt noch keinen einzigen der Apachen erblickt; kaum aber hatte er diese Frage, und noch dazu mit sehr gedämpfter Stimme ausgesprochen, so richtete sich neben ihm eine dunkle Gestalt empor und antwortete leise:

»Hier sind wir!«

Im Nu standen alle fünfzig Rothhäute neben diesem Einen.

»Dann vorwärts, aber ja so leise wie möglich.«

Dieses Gebot war eigentlich den Indianern gegenüber nicht nothwendig.

Hätte Jemand eine Minute später das obere Stockwerk des Stadthauses sehr genau beobachtet, so hätte er einen blassen Lichtschein gedankenschnell über das oder jenes Fenster blitzen sehen. Dieser Schein kam von der Blendlaterne des Schließers, welcher die ganze Colonne führte.

Zu derselben Zeit hatte sich Oberst Laramel von dem Faustschlage erholt, der ihm von Sternau versetzt worden war. Die Besinnung war ihm zwar bereits längst zurückgekehrt, aber sein Gehirn war doch so erschüttert, daß er noch immer mit einer Art von Betäubung zu kämpfen hatte.

»Hätte ich diesen Kerl da!« zürnte er. »Ich ließ ihn zu Tode peitschen.«

»Wir fangen ihn jedenfalls,« tröstete der Commandant; »und dann soll er eine Strafe erhalten, deren Strenge Sie jedenfalls befriedigen wird.«

In diesem Augenblicke wurde sehr höflich an die Thür geklopft, und als sie sich gleich darauf öffnete, erhoben sich alle die Herren vor Verwunderung von ihren Stühlen. Emilia war es, welche eintrat.

»Sennorita, Sie hier?« fragte der Commandant. »Zu so später Stunde?«

»Es ist allerdings jetzt nicht die gebräuchliche Besuchszeit,« antwortete sie; »aber die Pflicht gebietet mir, Sie dennoch aufzusuchen.«

»Die Pflicht? Das klingt sehr ernsthaft.«

»Es ist auch sehr ernsthaft, Sennores. Ich habe Ihnen Wichtiges mitzutheilen.«


// 1819 //

»Nehmen Sie Platz und sprechen Sie.«

Er bot ihr einen Sessel an; sie aber wies denselben zurück und sagte:

»Verzeihen Sie, Sennor, daß ich gar nicht erst Platz nehme. Wie Sie mich hier sehen, komme ich in höchster Eile zu Ihnen, um Ihnen zu sagen, daß Sie von einer sehr, sehr großen Gefahr bedroht werden.«

Seine bisher höflich lächelnde Miene verwandelte sich in eine sehr ernste.

»Von einer Gefahr? Welche könnte das sein?«

»Ich will Ihnen in einem Worte sagen, daß Juarez im Anzuge ist.«

»Ah! Das beruhigt mich!« antwortete er.

»Wie, das beruhigt Sie?« fragte sie erstaunt.

»Ja. Ich dachte erst, Sie brächten uns eine viel schlimmere Nachricht.«

»Sie sehen mich ganz und gar überrascht. Ist dies nicht die allerschlimmste Nachricht, welche Ihnen gebracht werden kann?«

»Ganz und gar nicht. Uebrigens bin ich auf diese Kunde bereits vorbereitet. Man sagte mir heut Abend schon einmal, daß Juarez El Paso del Norte verlassen habe, um sich der Provinz Chihuahua wieder zu bemächtigen.«

»Nun, so sehen Sie, daß meine Warnung eine ganz und gar dringliche ist.«

»Nicht so sehr, wie Sie denken. Dieser Indianer, welcher sich einbildet, Präsident von Mexiko zu sein, ist uns ganz und gar nicht gefährlich.«

»Sie irren, Herr Oberst. Man sagte mir vorhin, daß Juarez Ihre Truppen geschlagen habe.«

»Das sagte man auch mir bereits,« antwortete er.

»Und Sie nehmen das mit einem Lächeln hin?«

»Ja, denn es ist eine Lüge, welche man ausspricht, um mich zu schrecken.«

Er selbst glaubte nicht, daß es eine Lüge sei, aber er wollte dies der Sennorita gegenüber nicht eingestehen oder zugeben. Sie fuhr im dringlichen Tone fort:

»Ich bin überzeugt, daß es nicht eine Lüge sondern die Wahrheit ist. Der Mann, welcher mir die Nachricht brachte, ist in höchstem Grade zuverlässig.«

»Wer ist er?«

»Sie wissen, daß ich überall meine Verbindungen habe, welche mich befähigen, Ihnen nützlich zu sein. Unter diesen Leuten befindet sich auch ein mexikanischer Goldsucher. Er befand sich in der letzten Zeit in Fort Guadeloupe und ist Zeuge des dort stattgehabten Kampfes gewesen.«

»Ah! Wo ist er jetzt?«

»In meiner Wohnung. Er traf heute Abend bei mir ein.«

»Könnte man ihn vielleicht sehen und sprechen?«

»Ja. Ich werde ihn morgen zu Ihnen schicken, wenn es dann noch Zeit ist.«

»Das klingt ja außerordentlich eilig.«

»Es ist auch Gefahr im Verzuge. Der Mann ist von Fort Guadeloupe aus bis hierher in einer Tour geritten und sagt, daß Juarez ihm auf dem Fuße folge.«

»Das kann allerdings nur ein Goldsucher sagen. Juarez wird sich nicht in die Gefahr begeben, von uns gefangen genommen und erschossen zu werden.«


// 1820 //

»Sie denken, er kommt in geringer Begleitung?«

»Es könnten sich ihm doch nur einige wenige Abenteurer anschließen.«

»Da irren Sie wieder. Er hat mehrere hundert Apachen bei sich.«

»Pah! Mehrere Tausende von ihnen wären nicht im Stande, Chihuahua zu nehmen. Der Indianer ist unfähig, eine Stadt zu erobern, zumal eine Stadt von der Größe und Einwohnerzahl der unserigen.«

»Aber beschleichen kann er sie.«

»Was will das sagen,« meinte er unter einem geringschätzenden Achselzucken.

»O, wer giebt Ihnen Sicherheit, daß Juarez sich mit seinen Apachen nicht bereits in der Stadt befindet? Er hat zahlreiche Anhänger hier.«

Da nahm jetzt auch Oberst Laramel das Wort:

»Ihre Nachricht in Ehren, Sennorita,« sagte er; »aber wenn Juarez sich auch jetzt schon in der Stadt befände, so genügt ein Commando von mir, und meine Rothhosen putzen ihn mit sammt seinem Anhange von der Erde hinweg.«

»Versucht es doch einmal!«

Diese laut gesprochenen Worte klangen von der Thüre her. Unter derselben stand ein in mexikanische Tracht gekleideter Mann, dessen Gesicht die indianische Abkunft nicht verleugnen konnte. Sein dunkles Auge überflog blitzend die Gesellschaft, und um seine Lippen spielte ein stolzes, selbstbewußtes Lächeln.

»Ah! Wer wagt es, einzutreten?« fragte der Commandant. »Wer sind Sie?«

»Ich bin Juarez, der Präsident von Mexiko,« antwortete der Mann einfach.

»Alle Teufel!« rief da Oberst Laramel, indem er den Degen zog. »Ja, er ist es. Ich habe seine Photographie gesehen. Nehmt ihn gefangen!«

»Wer hier Gefangener sein soll, das habe ich zu bestimmen,« antwortete Juarez. »Sennores, ergeben Sie sich freiwillig. Widerstand hilft Ihnen nichts.«

»Unsinn! Ergreift ihn!«

Mit diesen Worten schritt Laramel auf Juarez zu. Dieser trat zur Seite, so daß man sehen konnte, was sich, während er unter der Thüröffnung gestanden hatte, hinter ihm befand.

»Vorwärts!« gebot er.

Dieses Wort war kaum ausgesprochen, so hatte sich das Zimmer auch bereits mit Apachen gefüllt. Sie quollen förmlich herein, und zwar mit einer Schnelligkeit, welche ganz unbegreiflich erscheinen mußte. Ehe die Offiziere es sich nur versahen, befanden sie sich zwischen den Rothen so zusammen gedrückt, daß an eine Gegenwehr gar nicht zu denken war. Ein Jeder von ihnen war von den Andern im Nu abgeschnitten worden und befand sich zwischen vier oder fünf Rothhäuten, welche kurzen Prozeß mit ihm machten; ein Jeder sah sich im Handumdrehen seiner Waffe beraubt und dann gebunden und geknebelt am Boden liegen.

»Sennor Sternau!« rief jetzt Juarez.

Der Gerufene trat herein. Er hatte sich bisher noch außerhalb des Zimmers befunden. Als Laramel ihn erblickte, bäumte er sich unter seinen Fesseln hoch


// 1821 //

auf und stieß durch die Nase ein Röcheln der Wuth aus. Hätte er den Mund öffnen können, so wäre ihm gewiß ein grimmiger Fluch entfahren.

»Lassen Sie mir zehn Mann,« sagte Juarez zu Sternau; »ich habe genug an ihnen, und begeben Sie sich mit den Uebrigen nach dem Wachtlocal, um die dort befindlichen Franzosen fest zu nehmen. Vorher aber wollen wir sehen, was mit diesem Mädchen zu thun sein wird.«

Er wendete sich mit strenger Miene zu Emilia, welche in die hinterste Ecke zurückgedrängt worden war und scheinbar von der größten Angst beherrscht wurde.

»Ich habe einige Ihrer Worte gehört,« sagte er. »Wer sind Sie?«

Sie schwieg, scheinbar in tiefster Verlegenheit.

»Antworten Sie!« fuhr er sie an.

»Man nennt mich Emilia,« sagte sie in jenem halblauten, heiseren Tone, welcher deutlich verrieth, daß man sich fürchtet.

»Sennorita Emilia? Ah, dieser Name ist mir sehr wohl bekannt,« meinte er, indem sein Blick befriedigt aufleuchtete. »Sie sind eine meiner größten Feindinnen. Sie haben mir mehr Schaden gethan, als eine ganze Brigade von Franzosen. Ich werde mich beeilen, Sie unschädlich zu machen. Wo befindet sich Ihre Wohnung?«

»In der Strada del Emyrado.«

»Man wird diese Wohnung genau untersuchen. Finden sich Verdächtigkeiten vor, so lasse ich Sie einfach aufhängen wie den ersten besten Spion. Sennor Sternau, nehmen Sie dieses Frauenzimmer mit. Sie wird gebunden und in strenger Haft gehalten, bis ich weiter über sie entscheide.«

Sternau nahm sein Lasso und schlang und band es so um die Sennorita herum, daß es den Anschein hatte, als ob sie sehr fest gefesselt sei.

»Marsch, hinaus!« gebot er ihr in rauhem Commandotone.

Dabei stieß er sie zur Thür hinaus und winkte den Apachen, ihm zu folgen. Draußen aber nahm er ihr das Lasso sofort wieder ab und bat:

»Verzeihen Sie, Sennorita. Ich mußte etwas barsch verfahren.«

»Ich hatte es nicht anders erwartet, Sennor,« sagte sie. »Wie aber werden Sie nun über mich verfügen?«

»Sie sind natürlich frei.«

»So darf ich bei Ihnen bleiben?«

»Ich bitte, davon abzusehen. Man weiß nicht, ob sich Diejenigen, welche wir jetzt überrumpeln wollen, zur Wehr setzen werden. Dort steht der Schließer. Lassen Sie sich von ihm nach seiner Wohnung geleiten, wo Sie bald erfahren werden, ob uns der Handstreich geglückt ist oder nicht.«

Sie befolgte dieses Gebot, während Sternau sich nach dem Wachtlocale begab.

Dort hatte man keine Ahnung von Dem, was eine Treppe höher geschehen war. Die Ueberrumpelung der Officiere war eben mit einer solchen meisterhaften Schnelligkeit geschehen, daß Keiner von ihnen hatte daran denken können, einen Hilferuf auszustoßen.

Die Leute saßen auf ihren Bänken, die gewöhnlichen Kasernenwitze reißend, und erschraken nicht wenig, als sich plötzlich die Thür öffnete, worauf vierzig


// 1822 //

Apachen hereinkamen und sich im Nu der an den Wänden hängenden Gewehre bemächtigt hatten. Bei der Gurgel gepackt oder vor den Kopf geschlagen, wurden die Soldaten mit ungeheurer Geschwindigkeit widerstandslos gemacht und dann gebunden.

Hierauf ließ Sternau das Thor schließen, so daß Alles, was in dem Stadthause geschehen war und noch vor sich ging, unbemerkt bleiben konnte.

Droben indessen hatte Juarez mit dem Commandanten eine höchst ernsthafte Verhandlung eingeleitet. Diesem Letzteren war der Knebel abgenommen worden, so daß er sprechen und antworten konnte. Er durfte sich auf einen Stuhl setzen, während die Anderen am Boden lagen. Juarez sagte zu ihm:

»Ich habe einen Theil Ihres Gespräches mit der Sennorita belauscht und dabei ersehen, daß Sie der Commandant von Chihuahua sind. Ist das richtig?«

»Ja,« antwortete der Gefragte kurz.

»Gut, so werde ich mir eine kleine Auseinandersetzung erlauben.«

Da fiel jedoch der Commandant schnell ein:

»Erwarten Sie nicht, daß ich ein Wort sage, bevor mir die Fesseln abgenommen worden sind. Es ist nirgends als bei Barbaren Gebrauch, Officiere zu binden.«

»Sie haben sehr recht, Monsieur,« antwortete Juarez ruhig. »Die Franzosen haben meine Officiere, unter denen sich sogar zwei Generäle befanden, gefesselt und ohne Recht erschossen, also ermordet; ich habe in Folge dessen alle Veranlassung, diese große Nation als Barbaren zu betrachten und zu behandeln. Ein vernünftiger Mensch wird das einsehen und sich nicht im Geringsten darüber beschweren.«

»Der Vergleich ist falsch. Diese Erschossenen waren Aufrührer!«

»Bin ich ein Aufrührer, wenn ich einen Menschen verjage, welcher sich in mein Haus, sei es mit Gewalt oder List, eindrängt, um mich um mein Eigenthum zu bringen? Machen Sie sich nicht lächerlich! Es kann mir sehr gleichgiltig sein, ob Sie mit mir sprechen wollen oder nicht. Ich hatte die Absicht, so schonend wie möglich zu verfahren, eben weil ich kein Franzose, kein Barbar bin. Wollen Sie die Bethätigung dieser Absicht vereiteln, so haben Sie die Folgen zu tragen.«

»Ich fürchte diese Folgen nicht!« knurrte der Andere.

»Das ist eine höchst unglückliche Verblendung, Monsieur. Sie scheinen sich ganz und gar über meine Hilfsmittel und Ihre gegenwärtige Lage im Unklaren zu befinden. Ich bin jedoch nicht so machtlos, wie Sie irrthümlich anzunehmen scheinen.«

»Ich antworte hierauf nicht, meine Truppen werden es thun.«

»Ihre Truppen? Pah! Ich halte in diesem Augenblicke Chihuahua umzingelt, so daß kein Mensch ohne meinen Willen aus oder einpassiren kann. Die ganze Hauptwache und Sie Alle befinden sich in meiner Gewalt. Die gegen mich ausgesandten Truppen sind geschlagen und aufgerieben. Die Bürgerschaft von Chihuahua wird auf die Kunde von meiner Anwesenheit sich wie ein Mann erheben. Stehen Ihnen etwa Tausende zur Verfügung? Ihre paar hundert Mann werden in fünf Minuten von mir erdrückt sein. Eine Prahlerei von Ihrer Seite


// 1823 //

würde ganz vernunftlos sein. Jetzt frage ich Sie, ob Sie mit mir reden wollen oder nicht?«

»Ich kann Sie aber nicht als eine Person anerkennen, mit der ich unterhandeln darf.«

Die Brauen des Zapoteken zogen sich finster zusammen. Er sagte:

»Diese Bemerkung haben Sie bereits meinem Bevollmächtigten gemacht. Sie haben es sogar gewagt, ihm mit Gefangenschaft und Tod zu drohen. Sie haben gewagt, ihn und mich, den rechtmäßigen Beherrscher von Mexiko, als Banditen behandeln zu wollen. Und doch ist der Fall ein umgekehrter. Sie sind die Eindringlinge, Sie könnte ich Banditen nennen. Und wenn Sie mich als keine Ihnen politisch und rechtlich ebenbürtige Person anerkennen wollen, so habe ich Ihnen dagegen zu bemerken, daß ich es bin, der sich tief erniedrigt, sobald ich überhaupt mit Ihnen spreche und verkehre.«

»Ah!« rief der Commandant. »Das müssen Sie beweisen.«

»Dieser Beweis fällt mir nicht sehr schwer. Sie sind entehrt, vollständig entehrt.«

»Donnerwetter! Wäre ich nicht gebunden, so würde ich Ihnen zeigen, wie ein französischer Officier eine solche Beleidigung straft.«

»Pah! Es kann von einer Beleidigung keine Rede sein. Der schwarze Gérard hat Ihnen einen Faustschlag versetzt. Dies wäre bei einem Civilisten ohne alle Folgen auf seine Reputation, ein Officier aber wird dadurch entehrt. Gérard hat Ihnen sogar die Epaulettes abgerissen, die größte und unheilbarste Schmach, die einem Officier widerfahren kann. Sie sind dadurch infam geworden, und ich steige tief, tief hernieder, wenn ich Sie überhaupt eines Blickes würdige. Mit Oberst Laramel ist es ganz ähnlich. Er ist von Sennor Sternau mit der Faust niedergeschlagen worden. Ich habe allen Grund, überzeugt zu sein, daß ich mich gegenwärtig keineswegs in einer hochfeinen Gesellschaft befinde. Jetzt frage ich Sie abermals: Wollen Sie mit mir reden oder nicht?«

Der Offizier schwieg. Er fand kein Wort, die Erklärungen des Präsidenten zu entkräften; er fühlte, daß er von Gérard allerdings infamirt worden sei.

»Ihr schweigendes Verhalten scheint anzudeuten, daß Sie mir nicht Unrecht geben,« fuhr Juarez fort. »Uebrigens kommt es hier gar nicht in Rede, wer von uns Beiden verhandlungsfähig ist. Die Thatsachen haben zu sprechen. Sie befinden sich in meiner Gewalt, und Sie werden wohl thun, so lange Sie mein Gefangener sind, von aller Selbstüberhebung und Selbstverherrlichung abzusehen. Sagen Sie mir also, ob das Decret vom dritten October in Ihre Hände gekommen ist?«

Der Commandant sah ein, daß er sich im Nachtheile befand, und daß es besser sei, sich wenigstens scheinbar in das Unvermeidliche zu fügen.

»Ja,« antwortete er.

»Wer hat es Ihnen übermittelt?«

»Oberst Laramel.«

»In diesem Decret sind die Republikaner als vogelfrei erklärt?«

»Ich kann es nicht leugnen.«


// 1824 //

»Es war Ihnen der Befehl gegeben worden, uns ganz als Banditen zu behandeln?«

»Ja.«

»Zu erschießen, überhaupt zu tödten?«

»So ist es.«

»Sie waren bereit, zu gehorchen?«

»Gehorsam ist die Pflicht des Soldaten.«

»Sie hatten sogar bereits den Befehl gegeben, meine treuen Anhänger, welche sich in Ihrer Hand befinden, heute Nacht erschießen zu lassen?«

»Donner! Woher wissen Sie das?«

»Das ist mein Geheimniß. Aber daß ich es überhaupt weiß, muß Ihnen ein sicheres Zeichen sein, daß Sie sich selbst auf Ihre eigenen Leute nicht verlassen können. Ich wäre einige Tage später hier eingetroffen, um jedoch die Armen von dem unverdienten Tode zu retten, kam ich bereits heute. Ich sendete Ihnen vorher meinen Bevollmächtigten. Sie haben ihn nicht nur als solchen abgewiesen, sondern ihm das Leben nehmen wollen. Hat er Ihnen gesagt, daß ich Repressalien gebrauchen will?«

»Allerdings.«

»Sie sind trotzdem bei Ihrem Verhalten verharrt. Nun erkläre ich jeden Fremden, welcher mit der Waffe in der Hand in Mexiko eingedrungen ist, für einen Banditen. Mexiko schuldete an England, Spanien und Frankreich einige Summen. Ein großer Theil dieser Schuld war das Ergebniß eines raffinirten Schwindels. Man forderte dennoch Bezahlung dieser Schuld. Das Land befand sich in Anarchie, und ich wurde durch die Stimme des Volkes zum Präsidenten erwählt. Ich nahm diese Würde an. Sie war fürchterlich schwer, aber ich fühlte die Kraft in mir, die Wirren zu lösen. Es gelang mir. Ich brachte dem Lande den Frieden und die Ruhe; ich bezahlte die Schulden regelmäßig; als ich mich jedoch weigerte, auch die Schwindelmillionen zu bezahlen, traten England, Frankreich und Spanien zusammen, um mich zur Zahlung zu zwingen. England und Spanien traten aber freiwillig zurück, denn sie erkannten, daß ich recht hatte. Frankreich jedoch wollte sein Unrecht nicht eingestehen; es schleuderte Blut und Brand über das unschuldige Land; es sandte seine Legionen, gegen welche ich augenblicklich zu schwach war; es borgte für seine Horden Hunderte von Millionen Dollars zusammen, welche wir bezahlen sollten und leider auch bereits gezwungener Weise bezahlen müssen. Und nun der Mexikaner dies nicht dulden will, wird er zu einem Banditen gemacht, welchen man strangulirt. Ist denn aller Sinn für Recht und Gerechtigkeit in Euch erloschen? Kann eine fremde Stadt den Bürgermeister einer anderen absetzen? Kann ein französischer Regent, der sich selbst rechtlos auf den Thron geschwungen hat, einen amerikanischen Regenten absetzen? Nein! Niemals! Man kann der Macht der Rohheit, der Gewalt der Waffen weichen, man kann seine Zeit abwarten, aber wer mir sagt, daß ich nicht mehr Präsident von Mexiko sei, der ist entweder unzurechnungsfähig, oder er hat kein Gewissen und gehört zu den Räubern unseres rechtmäßigen Eigenthums. Im alten Testamente steht: »Auge um Auge, Zahn um Zahn!« Soll ich dieses Gesetz auf Sie anwenden, Sennores? Soll ich die Todten rächen, welche gefallen


Ende der sechsundsiebzigsten Lieferung - Fortsetzung folgt.



Karl May: Waldröschen

Karl May – Forschung und Werk