Lieferung 77

Karl May

26. April 1884

Waldröschen
oder
Die Rächerjagd rund um die Erde.

Großer Enthüllungsroman
über die
Geheimnisse der menschlichen Gesellschaft

von

Capitain Ramon Diaz de la Escosura.


// 1825 //

sind, seit Sie den Fuß in mein Land setzten? Soll ich die Unschuldigen rächen, welche in Folge dieses blutigen Decrets ermordet worden sind? Soll ich den Inhalt des Decrets auf seine Verfasser zurückfallen lassen? Soll ich Sie, soll ich Bazaine, soll ich Den, welchen Sie den Kaiser von Mexiko nennen, sobald sie in meine Hand fallen, zur gerechten Vergeltung als Banditen behandeln und stranguliren oder erschießen lassen? Sie nennen sich Kinder eines Volkes, das an der Spitze der Civilisation marschirt; mich aber nennen Sie den Indianer, den Zapoteken, die Rothhaut. Sie, die Söhne der Civilisation, säen Mord und Blut. Was werden Sie von dem Zapoteken ernten? Sie dauern mich, ich schenke Ihnen mein Mitleiden, denn die Selbstliebe und die Ruhmsucht haben Ihre Begriffe verwirrt, und Sie wanken am Gängelbande eines Mannes, welcher einer der größten Schauspieler und Egoisten der Weltgeschichte ist. Aber die Weltgeschichte ist das Weltgericht. Nicht das Jahrtausend, nicht dieses Jahrhundert und auch nicht dieses Jahrzehnt, sondern bereits das gegenwärtige Jahr wird über Sie zu Gerichte sitzen und Ihre Sucht nach Glorie, Ihre Selbstsucht, Ihre Mißachtung aller Gesetze und Rechte mit einem Urtheile belegen, welches den rothhäutigen Zapoteken seinem Volke wiedergiebt und den Völkern in das Gedächtniß rufen wird, daß Gott noch immer der Gerechte ist, welcher zu belohnen und zu bestrafen weiß. Werden Sie aber von der Weltgeschichte gerichtet, so brauche nicht ich Ihr Richter zu sein. Der Zapoteke steht mit Gedanken der Nachsicht vor den Mördern seines Volkes und den Verwüstern seines Landes. Wollen Sie meine Stimme hören, so ist es gut, wo aber nicht, dann wird meine Hand mit aller Schwere auf Ihnen ruhen. Ich bin in diesem Augenblicke Herr von Chihuahua. Wollen Sie mich als solchen anerkennen und sich nach dem Hauptquartiere Bazaine's zurückziehen, natürlich mit dem Versprechen, daß weder Sie, noch die hiesigen Truppen wieder gegen mich kämpfen werden, so gewähre ich Ihnen und den Ihrigen, nachdem die Soldaten entwaffnet worden sind, freien Abzug. Gehen Sie nicht darauf ein, so vernichte ich die hiesige Besatzung bis auf den letzten Mann, Sie selbst aber werden gerade an demselben Orte und zu derselben Stunde nicht erschossen, sondern im Flusse ersäuft, zu welcher Stunde und an welchem Orte die Bürger dieser Stadt erschossen werden sollten. Ich gebe Ihnen volle zehn Minuten Zeit, sich zu besprechen. Ich werde mich bis dahin zurückziehen und Ihre Knebel entfernen lassen; aber neben einem Jeden steht ein Indianer mit dem Messer in der Hand. Wer mehr als halblaut redet oder gar einen Versuch wagt, sich zu befreien, der hat im nächsten Augenblicke die Klinge in der Brust. Ich biete Ihnen die Hand zur Rettung und bitte Sie um Gotteswillen sie nicht zurückzuweisen. Denken Sie auch nicht etwa, daß ich ein Jota von meiner Forderung abgehe. Trete ich wieder ein, so verlange ich ein kurzes Ja oder Nein; Weiteres höre ich gar nicht an!«

Der Mann mit dem glühend patriotischen Herzen und dem eisernen Willen gab den Indianern einen kurzen Befehl. Sofort stand je einer von ihnen neben einem der Offiziere, und mit der Linken dieselben von ihren Knebeln befreiend, zogen sie mit der Rechten die Messer, sie zum tödtlichen Stoße bereithaltend. Hierauf verließ Juarez das Zimmer und begab sich nach der Wachtstube hinab. Dort lagen gegen dreißig Soldaten gefesselt am Boden. Sternau saß, den Präsi-


// 1826 //

denten erwartend, am Tische, und in seiner Nähe, theils auch im Flur, standen die Apachen, in tiefer Schweigsamkeit die Fortsetzung der heutigen Ereignisse erwartend.

Sternau erhob sich, als Juarez eintrat.

»So schnell sind Sie fertig geworden, Sennor!« sagte er verwundert.

»Fertig? O nein!« antwortete der Gefragte. »Ich habe mich entfernt, damit die Sennores ungestört mit einander verhandeln können.«

»Sie haben ihnen also eine Wahl gestellt?«

»Ja. Ich will ein Blutvergießen vermeiden. Ich will meinen Namen nicht in der Weise beflecken, in welcher die Namen meiner Feinde verunreinigt sind.«

»Darf ich fragen, welche Wahl Sie ihnen gelassen haben?«

»Die Offiziere werden entweder ersäuft und die Truppen erschossen, oder man zieht nach der Entwaffnung der Letzteren mit dem Versprechen, nicht wieder gegen mich zu kämpfen, nach Mexiko ab, um zum Hauptquartiere zu stoßen.«

»Das ist eine schwere, bittere Wahl: Auf der einen Seite ein ehrloser, schändlicher Tod und auf der andern ein Rückzug ohne Kampf, ohne alle Waffen. Ich glaube, die Herren werden den Versuch machen, zu verhandeln.«

»Ich habe ihnen gesagt, daß ich keinen solchen Versuch dulde. Ich gab ihnen zehn Minuten Zeit, sich zu entscheiden und füge keine Secunde bei. Hätten Sie vielleicht anders gehandelt?«

»Wohl schwerlich.«

»So mag es dabei bleiben. Wo befindet sich Sennorita Emilia?«

»Im Zimmer des Schließers.«

»Aber natürlich fesselfrei?«

»Das versteht sich ganz von selbst.«

»Ich habe gesagt, daß die Offiziere im Verweigerungsfalle an demselben Orte ersäuft werden sollen, an welchem heute die Execution stattfinden sollte. Auch die Zeit wird dieselbe sein. Die Gerechtigkeit erfordert dieses Arrangement. Wird dies angehen?«

»Ja. Ich mache mich verbindlich, mit Hilfe von zwanzig Apachen die Offiziere nach dem Flusse zu transportieren, ohne daß ein Mensch es merkt.«

»Sennor, einen so brauchbaren Mann wie Sie wird man selten finden. Ich wollte, Sie blieben im Lande. Ich bin überzeugt, daß Sie einer meiner hervorragendsten Offiziere sein würden. Wollen Sie sich diese Sache nicht überlegen?«

»Ich danke Ihnen für dieses Vertrauen, Sennor,« antwortete Sternau höflich, »aber ich bin Arzt; mein Beruf ist, Wunden zu heilen, nicht aber, sie zu schlagen. Außerdem bin ich durch Bande der Liebe an die Heimath gefesselt, von welcher ich, wie Sie ja wissen, so lange Jahre getrennt wurde.«

Juarez drückte dem Deutschen warm die Hand.

»Sie haben recht, Sennor. Ich wünsche Ihnen von ganzem Herzen alles Glück und die vollste Entschädigung für das Furchtbare, was Sie gelitten haben. Sollte es in meiner Macht liegen, Ihnen nützlich zu sein, so wissen Sie, daß Sie zu jeder Stunde über mich verfügen können. Vergessen Sie das ja niemals.«

»Ich werde daran denken und zwar gleich jetzt, Sennor.«

»Ah! Sie haben einen Wunsch?«

»Ja, und einen sehr dringenden.«

»So sprechen Sie!«


// 1827 //

»Die zum Tode verurtheilten Bürger befinden sich in einer schrecklichen Lage. Es ist unsere Pflicht, sie schleunigst von ihrer Todesangst zu befreien.«

»Sie haben recht. Wo befinden sich diese Leute?«

»Ich weiß es nicht, werde aber sofort den Schließer fragen.«

»Thun Sie das, denn ich selbst habe keine Zeit dazu. Es sind neun und eine halbe Minute abgelaufen; ich muß also nach oben gehen.«

Er entfernte sich und Sternau suchte den Schließer auf. Dieser saß mit seiner Frau ängstlich wartend in seinem Zimmer. Emilia befand sich bei ihnen.

»Wie steht es, Sennor Sternau?« fragte diese Letztere schnell, als er eintrat.

»Gut, hoffe ich,« antwortete er. Und sich an den Schließer wendend, fuhr er fort: »Wo stecken die Gefangenen, welche nachher erschossen werden sollten? Im Gefängnisse?«

»Nein. Sie waren bis gestern Abend dort; doch als es dunkel war, hat man sie hierher transportirt, weil sich hier die Hauptwache befindet und man sie in Folge dessen besser bewachen kann.

»Also hier im Stadthause? Das ist gut. In welchem Raume denn?«

»In einem festen Gewölbe, wo sie an den Wänden festgebunden sind.«

»Haben sie Wächter bei sich?«

»Ja. Es befinden sich fünf Soldaten und drei französische Militärgeistliche bei ihnen, die auch mit ihnen eingeschlossen sind.«

»Französische Geistliche? Welch eine Grausamkeit. Der Sterbende will beichten und Vergebung seiner Sünden haben; hier aber können Beichtvater und Beichtkind sich wohl kaum oder gar nicht verstehen. Ich werde einige Indianer holen, und dann führen Sie mich hinab.«

»Sie wollen sie befreien?« fragte der Schließer.

»Ja,«

»Das lohne Ihnen Gott, Sennor!«

»O, es leitet mich hierbei nicht blos das Mitgefühl, sondern auch die Klugheit. Wenn diese Männer befreit sind, bewaffne ich sie sofort mit den Gewehren der Franzosen. Wir haben dann eine ansehnliche Unterstützung an ihnen.«

»Sie werden für die gute Sache ihr Leben lassen.«

Nach Verlauf von kurzer Zeit brachte Sternau zehn Indianer, welche mit Allem versehen waren, was zum Fesseln eines Menschen erforderlich ist. Man stieg eine steinerne, massive Treppe hinab und gelangte an eine starke, eiserne Thür, vor welcher sich zwei große dicke Riegel befanden.

»Es befindet sich natürlich Licht in dem Gewölbe?« flüsterte Sternau dem Schließer zu.

»Ja, Sennor.«

»So verlöschen oder verschließen Sie Ihre Laterne. Der Schein derselben würde sonst auf meine Indianer fallen, und es ist besser, sie werden erst dann deutlich bemerkt, wenn es für die Soldaten bereits zu spät ist.«

Der Schließer schob die Laterne in die Tasche und zog die Riegel zurück. Als er die Thür öffnete, sah man einen weiten Raum, welcher nur von einer einzigen, von der Decke herabhängenden Lampe nothdürftig erhellt wurde.


// 1828 //

In dieses Halbdunkel hinein huschten die zehn Indianer. Einer, zwei, drei, vier, fünf laute Schreie erfolgten fast zu gleicher Zeit; ein kurzes Rascheln und Rauschen folgte; dann war es still.

»Ugh!« rief einer der Indianer.

Er wollte damit sagen, daß ihre Arbeit vollendet sei. Sternau trat ein und gebot dem Schließer, seine Laterne wieder hervorzuholen. Dies geschah und nun war es möglich, die Insassen des Raumes besser zu erkennen.

An den Wänden ringsum waren eiserne Haken eingeschlagen, an welche man die Gefangenen mittelst Stricken befestigt hatte. Am Boden aber lagen die fünf Soldaten und die drei Geistlichen gefesselt.

»Macht die Gefangenen los,« gebot jetzt Sternau, »aber so, daß die Stricke nicht verletzt werden, denn wir brauchen dieselben sogleich für andere Leute.«

»Santa Madonna! Sollen wir schon zur Schlachtbank geführt werden?« fragte einer der Mexikaner.

»Nein! Sie sind frei!« antwortete Sternau.

»Frei?« erklang es ungläubig von den Lippen Einiger.

»Ja, frei. Ich habe Ihnen zu sagen, daß Juarez gekommen ist, um Sie vom sichern Tode zu erretten. Er ist grad noch zur rechten Zeit eingetroffen.«

»Juarez!« jubelte es vom Munde von mehr als dreißig Menschen.

Und hundert Ausrufe und Fragen drängten sich durch einander.

»Schweigen Sie jetzt, Sennores!« bat Sternau. »Noch ist die Stadt nicht ganz in unsern Händen, und noch müssen wir vorsichtig sein. Werden Sie, wenn ich Sie jetzt sofort bewaffnen würde, bereit sein, für den Präsidenten zu kämpfen?«

Ein allgemeines, freudiges Ja erscholl.

»Nun gut! Schnell fort mit den Fesseln! Wer losgebunden ist, mag gleich helfen, die Andern zu befreien. Droben liegen gefesselte Soldaten. Wir schaffen sie herab, um sie nebst ihren hierliegenden Kameraden an Ihrer Stelle anzubinden. Ihre Waffen aber erhalten Sie, Sennores. Beeilen wir uns!«

Mit nach solcher Todesangst vor Freude und Entzücken zitternden Händen befreiten die Mexikaner einander; dann folgten sie Sternau nach oben, wo sie auf Juarez stießen, der Sternau gesucht und erst jetzt erfahren hatte, wo dieser sich befand.

Als der Präsident bei den Offizieren eingetreten war, nahmen dieselben, von den Messern der Apachen im Zaum gehalten noch genau dieselbe Stellung ein wie vorher. Er gab einen Wink, und sofort erhielten sie, den Commandanten ausgenommen, ihre Knebel wieder in den Mund. Die Apachen hatten darin eine solche Uebung, daß kein Zusammenbeißen der Zähne dagegen half.

»Die Zeit ist vorüber, Sennor,« sagte Juarez. »Wollen Sie sich ergeben?«

»Ihre Bedingungen sind zu hart. Ich hoffe, daß Sie sich - - -«

»Halt! Kein Wort weiter!« fiel ihm Juarez in die Rede. »Ich habe Ihnen bereits gesagt, daß ich keine Minute zugebe und mich auf keine weiteren Verhandlungen einlasse. Jedes weitere Wort wird ebenso wie Ihr Schweigen von mir so genommen, daß Sie sich nicht ergeben wollen. Also reden Sie! Ja oder nein?«

»Unser Tod würde sofort gerächt werden!«


// 1829 //

»Ich verachte diese lächerliche Drohung. Sie verzichten also auf meinen Langmuth. Gut. Sie denken wohl, daß ich den Muth nicht habe, eine Anzahl französischer Offiziere mexikanisches Wasser kosten zu lassen, bis sie todt sind? O, wir Mexikaner haben französische Bildung und Christlichkeit genossen, bis uns das Wasser an dem Halse stand. Wir verzichten aber, es zu schlucken, und lassen dies lieber Ihnen über. Damit Sie aber sehen, daß es mein Ernst ist und daß ich nicht Comödie spiele, will ich nicht bis zur angegebenen Stunde warten, sondern Ihnen bereits jetzt einen Vorgeschmack Ihres Schicksals geben.«

»Sacre! Was wollen Sie thun?« fragte der Commandant.

Es wurde ihm jetzt wirklich angst.

»Oberst Laramel,« antwortete der Präsident, »ist der Mörder von hunderten meiner Landsleute. Er hat selbst im ehrlichen Kampfe niemals Pardon gegeben; er trägt die Schuld, daß in dieser Nacht abermals eine Massenexecution gegen wackere Bürger stattfinden sollte. Er hat sich wie ein Bandit betragen und wird wie ein solcher behandelt. Ich werde ihn jetzt ohne vorheriges Gericht und Urtheilsspruch an diesem Haken aufhängen lassen.«

»Das werden Sie nicht wagen!« rief der Commandant.

»Ah! Warum nicht?«

»Ein französischer Oberst!«

»Ist unter diesen Verhältnissen ein mehrfacher Schurke als jeder andere Bösewicht. Er hat auf seinem Gewissen die Grausamkeiten aller seiner Untergebenen.«

»Ich verlange ein ordentliches Gericht!«

»Ueber einen Banditen? Pah! Wenn ich ein Gericht constituirte, so würde der Urtheilsspruch auf hängen lauten; darauf können Sie sich verlassen.«

Er wendete sich an den Indianer, welcher neben dem Obersten stand und sagte ihm in der Mundart der Apachen:

»Ni ti selkhi lariat akaya - hänge Diesen mit dem Lasso da hinauf!«

Bei diesen Worten deutete er nach dem krummen Haken, welcher in der Mitte der Zimmerdecke zu dem Zwecke eingeschraubt war, bei festlichen Gelegenheiten einen Leuchter zu tragen.

»Uff!« antwortete der Apache.

Im Nu hatte er sein Lasso losgeschlungen und an dem einen Ende desselben eine Schleife construirt. Dann faßte er mit starker Hand den Obersten und schleuderte ihn nach der Mitte des Zimmers. Mit derselben Geschwindigkeit legte er ihm die Schlinge um den Hals. Da rief der Commandant:

»Halt! Das ist Mord! Ich erhebe allen Ernstes Widerspruch!«

»Dieser Ernst kommt mir höchst lächerlich vor!« antwortete Juarez. »Sie können ihn nur dadurch retten, daß Sie erklären, sich ergeben zu wollen.«

Der Commandant warf einen fragenden Blick auf Laramel. Dieser antwortete dadurch, daß er unter den Fesseln die Fäuste ballte und dabei mit dem Kopfe schüttelte. Dieser verblendete Mensch hielt es auch jetzt noch für unmöglich, daß man es wagen werde, einen französischen Oberst aufzuknüpfen.

»Wir ergeben uns nicht, werden aber eine solche Behandlung nicht länger dulden,« erklärte der ebenso verblendete Commandant.


// 1830 //

»Das ist gradezu eine Verrücktheit. Hier meine Antwort darauf!« sagte Juarez.

Er gab dem Apachen einen Wink. Dieser warf den mittleren Theil des Lasso mit solcher Geschicklichkeit empor, daß der achtfach zusammengeflochtene Riemen in den Haken zu liegen kam. Dann zog er das Lasso an - ein Ruck, ein zweiter und dritter, und der Oberst hing oben an der Decke. Seine convulsivischen Bewegungen boten einen schauderhaften Anblick dar.

»Mord! Mord! Mord!« rief der Commandant.

Auch die Andern bewegten sich im höchsten Grimme unter ihren Fesseln.

»Dieses Schreien will ich Ihnen unmöglich machen,« sagte Juarez.

Ein Wink von ihm genügte und der Commandant bekam den Knebel wieder in den Mund. Der Apache aber, welcher sein Lasso mit beiden Händen festhalten mußte, band das Ende desselben an das Kamingitter fest, so daß er sich nicht mehr anzustrengen brauchte.

Jetzt verließ Juarez das Zimmer, um Sternau aufzusuchen. Er fand ihn nicht in der Wachtstube, hörte aber dort, daß er nach dem Gewölbe gegangen sei, um die Gefangenen zu befreien. Er stieß auf die Letzteren, als diese eben zur Treppe heraufkamen.

Der Schein von der Laterne des Schließers war nicht hinreichend, den weiten Flur zu erleuchten; darum wurde der Präsident nicht sofort erkannt.

»Ah, diese braven Leute waren hier im Hause eingesperrt?« fragte er.

»Glücklicher Weise, ja,« antwortete Sternau. »Es ist uns da ohne allzugroße Mühe gelungen, sie zu befreien.«

»Wurden sie bewacht?«

»Von fünf Soldaten und drei Beichtvätern. Diese acht Sennores befinden sich jetzt, selbst angebunden, an dem Orte, den sie vorher bewachten.«

»Gut. Aber ich sehe hier ja Einige, welche Gewehre tragen?«

»Ich habe die Absicht, diese Sennores mit den Gewehren der Soldaten zu bewaffnen. Sie sind bereit, für Sie zu kämpfen und zu sterben.«

»Ich danke Ihnen, Sennores!« sagte der Präsident. »Das ist eine ebenso große wie willkommene Hilfe, welche mir wohl noch nöthig werden kann.«

Er streckte ihnen die Hände entgegen und nun erst merkten sie, wer vor ihnen stand. Ausdrücke der Freude und Ehrfurcht erschollen aus Aller Munde, und alle Hände griffen nach den seinigen, um sie ihm zu drücken. Aber diesem Enthusiasmus konnte keine lange Frist gestattet werden. Juarez sagte:

»Bewaffnen Sie sich zunächst, Sennores, und dann werde ich Ihnen zeigen, wie ich die an Ihnen begangene Unbill zu bestrafen weiß.«

Er führte sie nach dem Wachtlokal, wo die Mexikaner mit Flinten und Seitengewehren versehen wurden. Die dort postirten Indianer erhielten den Auftrag, die von ihnen bewachten Franzosen nach dem Gewölbe zu schaffen, und dann begab Juarez sich mit Sternau und den Mexikanern nach oben zurück, wo sich die Offiziere befanden.

Dort konnten die Eintretenden einen Ausruf des Entsetzens nicht verbergen, als sie den Oberst an der Decke hängen sahen. Sein Todeskampf war vorüber. Er hing steif und ohne zu zucken an dem Lasso.


// 1831 //

»Hier, Sennores, sehen Sie den Beginn des Gerichtes, welches ich halten werde,« sagte Juarez. »Dieser todte Franzose ist unser erbittertster Feind gewesen; er trug den größten Theil der Schuld daran, daß Sie erschossen werden sollten. Dennoch war ich bereit, ihm und diesen andern das Leben zu schenken; sie aber waren so verblendet, meine Forderung, die Stadt zu verlassen, nicht anzunehmen, und so habe ich ihn aufhängen lassen, um ihnen zu zeigen, daß ich nicht gesonnen bin, Scherz mit ihnen zu treiben.«

Trotz des schauderhaften Anblickes, welchen der Gehängte bot, ließen sich doch nur Ausdrücke der Befriedigung hören.

»Diese Andern,« fuhr Juarez fort, »werden in kurzer Zeit ersäuft werden, und zwar in derselben Krümmung des Flusses, an welcher Sie erschossen werden sollten. Diesen Act der Gerechtigkeit bin ich Denen schuldig, welche unter den Händen der französischen Mörder sich verblutet haben, und ebenso allen Denen, welche sich noch in der Gefahr befinden, für gemeine Banditen ausgegeben zu werden, weil sie von dem uns Allen angeborenen Rechte Gebrauch machen, sich zu wehren, wenn man ihnen ihren heimathlichen Herd zerstören und ihr wohl erworbenes Eigenthum gewaltsam rauben will.«

Diese Worte machten einen tiefen Eindruck auf alle Anwesenden. Sternau sagte:

»Sie nennen diese gefangenen Offiziere verblendet, Sennor?

Es ist mehr als Verblendung; es ist geradezu Wahnsinn, sich gegen uns zu sträuben. Wir haben das Hauptquartier in unserer Gewalt, wir haben die Stadt besetzt. Was haben die zwei Hände voll Franzosen zu bedeuten gegen unsere fünfhundert Apachen, von denen ein Jeder mehrere Franzosen spielend auf sich nimmt, wie wir bewiesen haben. Rechnen wir noch dazu unsere weißen Jäger und Waldläufer, ebenso die guten Bürger der Stadt, welche nur unsers Rufes warten, um die Waffen zu ergreifen, so ist ein Widerstand der reine Blödsinn. Hier stehen bereits dreißig Bürger und wie schwer ein Jäger wiegt, das haben die Herren Franzosen an dem schwarzen Gérard bemerkt.«

Diese Worte, welche Sternau nicht zwecklos ausgesprochen hatte, verfehlten ihre Wirkung nicht. Der Commandant deutete durch sein Mienenspiel und eine Bewegung seines Körpers an, daß er sprechen wolle.

Auf einen Wink des Präsidenten nahm ihm ein Indianer den Knebel ab.

»Was wollen Sie sagen?« fragte ihn Juarez.

»Werden Sie wirklich Ihre Drohung, uns zu ertränken, ausführen?

Auf diese Frage des Offiziers zuckte Juarez mitleidig die Achsel.

»Wenn Sie jetzt noch daran zweifeln,« antwortete er, »so bin ich berechtigt, ebenso zu zweifeln, nämlich an der Gesundheit Ihres Verstandes.«

»Bedenken Sie, welche Verantwortlichkeit Sie auf sich laden.«

Da ging die Geduld des Präsidenten zu Ende.

»Schweigen Sie, Unverschämter!« rief er mit donnernder Stimme. »Sie haben mein Land überfallen und mein Volk ermordet. Wer kann hier von Schuld und Verantwortlichkeit reden, ich oder Sie? Spielen Sie nur um Gotteswillen nicht den gerechten Pharisäer, sonst gebe ich Ihnen mein heiliges Wort, daß ich Sie auspeitschen lasse, bevor Sie ersäuft werden. Sie sind nicht nur unsinnig, sondern


// 1832 //

Sie sind sogar dumm, mich in Ihrer hoffnungslosen Lage noch zur Rede stellen und mir gar drohen zu wollen. Glauben Sie denn, ich fürchte die Abenteurer, welche sich erdreisten, uns Gesetze vorzuschreiben? Mexiko ward nur einmal erobert; aber ich bin kein vertrauensseliger Montezuma und Ihr Bazaine mag sich nicht einbilden, ein Ferdinando Cortez zu sein. Die Vereinigten Staaten und England senden mir Millionen und sie werden es nicht dabei bewenden lassen, sie werden vielmehr Ihren flittergekrönten Kaiser Napoleon zwingen, die Hand von einem Volke zu lassen, dem er nicht das Mindeste zu gebieten hat.«

Nicht blos die Worte, sondern noch vielmehr der stolze verächtliche Ton des Präsidenten überwältigten den Commandanten. Er sagte in ziemlich kleinlautem Tone:

»Bedenken Sie, daß ich Untergebener bin, der zu gehorchen hat.«

»Das habe ich bereits gelten lassen, indem ich Ihnen die Freiheit und das Leben erhalten wollte. Diese Ihnen erwiesene Gnade konnten nur Leute von sich weisen, welche geradezu in das Irrenhaus gehören. Und dabei erkühnen Sie sich noch, von einer Verantwortlichkeit zu sprechen, die nur Sie allein treffen kann.«

Diese Worte ließen den Commandanten einsehen, daß er von einer Fortsetzung seines bisherigen Verhaltens ganz und gar nichts zu erwarten habe. Er sagte:

»Würden Sie bereit sein, den uns gemachten Vorschlag aufrecht zu halten?«

»Ich gab Ihnen zehn Minuten Zeit, und Sie ließen diese Frist verstreichen, ohne sie zu benutzen. Die Folgen kommen über Sie!«

Jetzt sah der Offizier den schimpflichen Tod unabweislich vor Augen. Dies brach den letzten Rest seines Selbstvertrauens.

»Und wenn ich Sie nun bäte, nicht um meinet-, sondern um der Soldaten willen, welche sterben sollen?«

Juarez zögerte mit der Antwort. Dann wendete er sich an Sternau:

»Was meinen Sie dazu, Sennor?«

»Meine Ansicht ist,« antwortete der Gefragte, »daß Verzeihung christlicher ist, als Rache. Doch berühren die hiesigen Verhältnisse ja mich am Wenigsten.«

»Ich will dennoch Ihre Ansicht gelten lassen,« sagte Juarez.

Und sich zu dem Commandanten wendend, fuhr er in ernstem Tone fort:

»Sie hören, daß ich mich noch einmal zur Milde stimmen lasse; aber ich rathe Ihnen, mir nicht ferner zu widersprechen; Sie würden dann unbedingt dem angedrohten Schicksale verfallen. Also Sie übergeben mir Chihuahua?«

»Ja.«

»Ohne den Versuch zu machen, Ihre Untergebenen zum Widerstande zu bewegen?«

»Ja.«

»Sie übergeben mir Ihre Waffen und alle Kriegsvorräthe, welche sich in Ihrem Gewahrsam befinden?«

»Ja.«

»Sie verlassen die Provinz und ziehen sich, ohne anzuhalten als zur nöthigen täglichen Nachtrast, durch die Präsidios Durango und Guanaxuato direct nach Mexiko zurück?«


// 1833 //

»Ja.«

»Sie versprechen, nie wieder gegen mich zu kämpfen? Unter diesem »Sie« verstehe ich nämlich nicht nur Ihre Person, sondern alle französischen Truppen, welche sich gegenwärtig in Chihuahua befinden.«

»Ich verspreche es.«

»Wir stellen über diese Punkte ein Document aus, und Sie versprechen die exacte Erfüllung derselben schriftlich mit Ihrem Ehrenwort, wobei auch die übrigen Offiziere ihre Unterschrift geben?«

»Ja.«

»Sie treten endlich meinen Befehlen in Beziehung auf die Entwaffnung Ihrer Truppen in keiner Weise entgegen?«

»Nein. Doch hoffe ich, daß dabei jede Gewaltthätigkeit vermieden wird.«

»Tragen Sie keine Sorge! Bisher sind nur die Franzosen gewaltthätig gewesen und ich mag diesen traurigen Ruhm nicht auf mich laden. Aber, da fällt mir Eins noch ein. Die Dame, welche ich bei Ihnen traf, befindet sich in meiner Gewalt. Sie haben dieselbe als Spionin benutzt?«

Der Gefragte schwieg verlegen.

»Ihr Schweigen ist mir die deutlichste Antwort. Sie hat als Spionin den Tod des Stranges verdient; aber es bringt mir keinen Ruhm, ein verführtes Frauenzimmer getödtet zu haben. Doch darf ich sie auch nicht in meinem Bereiche dulden.«

»Darf ich eine Bitte aussprechen?«

»Reden Sie!«

»Ich ersuche Sie für diese Dame um die Erlaubniß, sich uns anschließen zu dürfen.«

»Wohin wollen Sie sie bringen?«

»Ich nehme sie mit nach Mexiko.«

»Hm! Und unterwegs werden Sie sie irgendwo stationiren, damit sie von Neuem gegen mich agitiren kann?«

»Das werde ich nicht thun. Ich gebe Ihnen mein Ehrenwort, daß ich Mademoiselle Emilia nur in der Hauptstadt entlassen werde.«

»Nun gut, ich will auf Ihren Vorschlag eingehen. Erklären Sie sich bereit, bereits am Morgen Chihuahua zu verlassen?«

»Ja.«

»So werde ich Ihnen und Ihren Kameraden jetzt die Fesseln abnehmen lassen. Dieser Laramel soll das einzige Opfer sein, welches Ihrem Eigensinn gebracht worden ist. Das Document wird sofort angefertigt.«

Auf seinen Befehl nahmen die Apachen den Officieren die Fesseln und Knebel ab. Papier war vorhanden, und so wurde augenblicklich zur Aufsetzung der Capitulation geschritten. Als dieselbe unterzeichnet war, sandte Juarez mehrere Indianer ab, um alle Mannschaften, welche die Ausgänge der Stadt besetzt hielten, herbei zu holen. Sie nahmen vor dem Stadthause ihre Aufstellung.

Jetzt mußte der Commandant die Reveille trommeln lassen, und in kurzer Zeit befanden sich die französischen Soldaten mit allen ihren Ausrüstungsgegenständen auf dem Wege zum Hauptquartier. Da sie zu so ungewöhnlicher Zeit


// 1834 //

geweckt wurden, so war ein Jeder überzeugt, daß dies nur in Folge eines ebenso ungewöhnlichen Ereignisses geschehen könne.

»Sollen sie sich auf dem Platze in Front aufstellen?« fragte der Oberst.

»Nein,« antwortete Juarez. »Es ist dunkle Nacht, der man nicht trauen darf. Postiren Sie zwei Ihrer Officiere an den Eingang hinab. Diese Sennores mögen einen Soldaten, sobald er sich einstellt, herauf in den Saal commandiren, den ich sogleich erleuchten lassen werde.«

Das geschah, und unterdessen schickte Juarez den kleinen André, welcher sich natürlich auch mit eingefunden hatte, zu dem Wirthe der Venta, um ihn rufen zu lassen.

Er kam sofort und erhielt den Auftrag, diejenigen Personen, welche er als zuverlässige Männer notirt hatte, herbeizurufen.

Der Saal war hinlänglich groß genug, um sämmtliches französische Militär zu fassen. Diese Leute staunten nicht wenig, als sie sahen, um was es sich handelte. Man merkte es ihnen leicht an, daß sie nur mit grimmigem Widerstreben ihre Waffen auslieferten. Bei der Zahl der anwesenden Indianer aber wagten sie keinen offenen Widerstand, sondern verarbeiteten ihren Zorn im Innern.

Unterdessen befand sich, da Sternau die Entwaffnung leitete, Juarez bei Sennorita Emilia, um derselben seine Instructionen für Mexiko zu geben.

Es ist nicht nöthig, dieselben hier anzuführen, da sie sich ganz von selbst aus den später folgenden Ereignissen ergeben werden.

Die Einwohner der Stadt waren natürlich von dem Schlage der Trommeln erwacht. Sie ahnten irgend ein für sie unheilvolles Ereigniß, und die Muthigen von ihnen wagten es, sich, wenn auch mit vorsichtiger Scheu, dem Stadthause zu nähern. Vor demselben war es jetzt ziemlich hell geworden. Das Licht, welches aus den hell erleuchteten Fenstern strahlte, fiel auf die Gruppen der Indianer und Jäger, welche unten postirt standen. In vorsichtiger Entfernung von ihnen fanden sich jene Leute zusammen, um die Situation zu beobachten.

Da trennte sich eine Gestalt von der Masse der Indianer und kam auf die Leute zugeschritten. Es war Mariano. Als er bei ihnen war, sagte er:

»Sie möchten gern wissen, was hier vorgeht, Sennores?«

»Ja,« antworteten einige Stimmen.

»Das will ich Ihnen gern sagen, doch weiß ich nicht, ob Sie sich darüber freuen werden. Die Franzosen ziehen nämlich ab.«

Ein Schweigen der Verwunderung war die einzige Antwort, bis ein Einzelner sich Mariano näherte.

»Sennor,« sagte er, »sind Sie selbst ein Franzose?«

»Nein.«

»Was sonst?«

»Ein Spanier, aber doch ein Freund von Juarez.«

»Von Juarez? Wenn dies wirklich die Wahrheit ist, so werden Sie uns nicht täuschen. Es ist aber unglaublich, daß die Franzosen gehen werden.«

»Warum unglaublich?«

»Was sollte sie zum Abzuge bewegen?«

»Die Gewalt. Wir zwingen sie.«


// 1835 //

»Sie? Was wollen Sie damit sagen?«

»Ich will sagen, daß Juarez mit einer Schaar Apachen und weißer Anhänger im Stillen gekommen ist und sich des Stadthauses nebst sämmtlichen Officieren bemächtigt hat. Den Obersten Laramel hat er aufhängen lassen, die Andern aber gezwungen, einen Vertrag zu unterzeichnen, daß sie mit Tagesanbruch mit allen den Ihrigen abziehen. Soeben befinden sich die französischen Soldaten im Saale da oben, um entwaffnet zu werden.«

»Sennor, ich bitte Sie um aller Heiligen willen, mir zu sagen, ob dies wirklich wahr ist!«

»Ich gebe Ihnen mein Wort!«

»Dürfen wir uns überzeugen?«

»Ja.«

»Dürfen Einige von uns eintreten, um uns Anderen dann Gewißheit zu bringen?«

»Ganz gern. Ich selbst werde sie führen.«

»Und es ist keine Falle, in welche man uns vielleicht locken möchte, um unsere Gesinnungen zu erforschen?«

»Nein.«

»Nun gut, so gehen wir mit.«

Es sonderte sich eine kleine Anzahl ab und begab sich unter Mariano's Leitung in das Haus. Es verging eine geraume Weile bis zu ihrer Rückkehr, und während dieser Zeit vergrößerte sich der Haufe zusehends durch immer neu Ankommende.

Endlich sah man die Abgeordneten wieder kommen. Sie kamen in größter Eile herbei, und Derjenige, welcher vorhin das Wort geführt hatte, rief laut:

»Es ist wahr! Juarez ist da! Alle Franzosen sind gefangen! Unsere Mitbürger, welche man festgenommen hatte, sollten heute Nacht heimlich erschossen werden; Juarez ist gekommen, um sie zu retten. Hoch Juarez! Hurrah die Republik! Eilt fort, Ihr Leute, um es Allen zu sagen, die es noch nicht wissen. Eilt! Und wer ein guter Republikaner ist, der hole seine Waffen und stelle sich dem Präsidenten zur Verfügung. Es gilt, gegen die Feinde der Republik zu kämpfen.«

»Hoch Juarez!« erscholl es da von allen Lippen. »Hurrah die Republik!«

Im Nu hatte sich der Haufe zerstreut, und bald hörte man aus den fernsten Straßen und Gassen die lauten Freudenrufe der glücklichen Bürger der gequälten Stadt.

Die Sendung des Wirthes der Venta wäre gar nicht nöthig gewesen, denn als der Morgen graute, standen in der Nähe des Stadthauses und in den angrenzenden Straßen fast an die tausend Mann, welche alle bereit waren, sich als Kämpfer für die Sache der Republik dem Präsidenten zur Verfügung zu stellen.

Um kein Aufsehen zu erregen, ritt durch ein Nebengäßchen eine kleine Truppe dem südlichen Thore zu. In ihrer Mitte befand sich eine tief verschleierte Dame. Es war Emilia, welche auf diese Weise die Stadt verlassen mußte, um von den Anhängern der Republik nicht verkannt und von den Franzosen nicht nachtheilig


// 1836 //

beurtheilt zu werden. Sie mußte vermeiden, von beiden Seiten als Verrätherin betrachtet zu werden.

Kurze Zeit später zogen auch die Franzosen zu demselben Thore hinaus, ihre Officiere an der Spitze. Es war dies ein nicht leichter Weg für sie, denn hüben und drüben hatten sich die Mexikaner in langen Reihen aufgestellt, um dieses Schauspiel mit triumphirenden Blicken zu betrachten.

Von manchem Munde erscholl ein Fluch oder eine Verwünschung, doch kam es zu keiner Thätlichkeit. Einestheils waren die Mexikaner zu stolz dazu, und anderntheils hatte Juarez die vorsichtige Maßregel getroffen, seine Indianer in einem Spalier aufzustellen, um etwaige Ausschreitungen zu verhüten.

Somit war der Anfang gemacht und die nördliche Grenze des Landes von dem Feinde gesäubert. Der berühmte Siegeszug des Zapoteken hatte jetzt begonnen.

In demjenigen mexikanischen Blatte der Hauptstadt aber, welches unter französischem Einflusse stand, konnte man einige Zeit später Folgendes lesen:

»Zur Vermeidung von böswilliger Entstellung der Thatsachen wird hiermit veröffentlicht, daß strategische Rücksichten den Oberstcommandirenden veranlaßt haben, Chihuahua successive zu räumen. Diese Provinz ist zwar ein integrirender Theil des Kaiserreiches, doch herrscht dort eine ungestörte Ruhe und Ordnung, und die Bewohner sind dem Throne so treu ergeben, daß man sich leicht entschließen konnte, die dort stationirenden Truppen dorthin zu ziehen, wo eine kräftige, militärische Hilfe nothwendiger gebraucht wird.«

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Vielleicht eine Woche später brachte dasselbe Blatt die nachfolgende Mittheilung:

»Da es die Hauptaufgabe eines jeden Staatskörpers ist, sich von Innen nach Außen zu krystallisiren, während es als ein großer Fehler zu gelten hat, wenn man die Kräfte des Innern nach der Peripherie verstrahlen läßt, ohne Nutzen davon zu haben, so hat man sich veranlaßt gesehen, die in Cohahuila liegenden Truppen einstweilen nach dem Centrum zu dirigiren.
   »Es steht zu hoffen, daß die Anerkennung der Trefflichkeit dieser Maßregel dieselbe Anerkennung der betreffenden Kreise findet, da sie ja den besten Beweis liefert, mit welcher Treue und Sorgfalt die gegenwärtige Leitung an der Lösung ihrer ebenso schwierigen wie dankbaren Aufgabe arbeitet.«

Wo Zwei zusammensaßen und diese Veröffentlichung lasen, blickten sie einander mit verblüfftem Ausdrucke in die Gesichter. Man wagte nicht, seine Meinung auszusprechen, aber man ahnte, daß die Franzosen begonnen hatten, sich rückwärts zu concentriren, ein Terminus technicus, der ihnen ganz besonders eigen zu sein scheint - - - Cohahuila war nämlich in die Hände des Präsidenten Juarez gefallen.

Dieser dachte jetzt natürlich an Lord Henry Lindsay, mit welchem er ja am Sabinaflusse zusammentreffen wollte.

Die Schaar seiner Treuen war auf mehrere Tausend gewachsen, daher that er seiner Sache keinen Schaden, indem er zweihundert Reiter zu seiner Begleitung beorderte. Es schloß sich ihm natürlich Sternau mit allen seinen Freunden an,


// 1837 //

während eine bedeutende Anzahl von Hirten beauftragt wurden, mit Ochsenwagen nachzufolgen, auf welche alle von Lindsay zu erwartenden Requisiten verladen und nach der Stadt gebracht werden sollten.

Der, welcher unter dieser Schaar am Meisten nach der Zusammenkunft mit dem Engländer sich sehnte, war natürlich Mariano. Die Geliebte war ihm während einer so langen Zeit treu geblieben; sie befand sich an der Seite ihres Vaters. Er sollte sie Wiedersehen. Dieser Gedanke erfüllte ihn mit Entzücken und mit einer Unruhe, welche ihn antrieb, den Ritt auf alle Weise zu beschleunigen.

Die Provinz Cohahuila ist außerordentlich waldig, und es giebt Gegenden, in denen nur an den Flüssen für größere Schaaren ein Fortkommen möglich ist.

Von der Stadt bis zum Sabinaflusse ist es ungefähr einen Breitengrad. Direct bis an die Vereinigung der beiden Wasserläufe, wo Lindsay ankern wollte, breiten sich Wälder aus, während grad nach Osten hin Prairiestreifen sich zwischen den tausendjährigen Forsten hinziehen, welche dann ihre Richtung nach Norden nehmen.

Daher war es gerathen, diese Prairien zu benutzen und zwar einen scheinbaren Umweg einzuschlagen, welcher die Reiter aber nichts desto weniger viel schneller an das Ziel brachte, als die directe Richtung durch die Wälder.

Fast die ganze Gesellschaft hatte frische Pferde unter sich und da man in jenen Gegenden gewohnt ist, meist Galopp zu reiten, so schwanden die Entfernungen förmlich unter den Hufen der dahin saußenden Thiere.

Man war am frühen Morgen aufgebrochen und jetzt begann die Sonne bereits wieder zu sinken. An der Spitze ritten die beiden Apachenhäuptlinge mit Büffelstirn, während Sternau mit Juarez und Mariano folgte. Diese drei Letzteren waren in ein angelegentliches Gespräch vertieft, welches sie aber schnell einstellten, als Bärenherz plötzlich sein Pferd anhielt und aus dem Sattel sprang. Er betrachtete den Boden genau.

»Halt! Nicht weiter!« rief Sternau den hinter ihm folgenden Mexikanern zu. »Es scheint sich hier um eine Fährte zu handeln, welche wir nicht zerstören dürfen.«

Er ritt langsam zu den Häuptlingen heran und stieg auch vom Pferde.

»Sieht mein weißer Bruder diese Spur?« fragte ihn Bärenherz.

Er zeigte auf eine außerordentlich breite Fährte.

»Ja,« antwortete Sternau. »Man kann sie ja von Weitem sehen.«

»Sie ist so breit, wie sie nur die weißen Männer hinterlassen.«

Bärenauge hatte die Breite abgemessen. Er sagte:

»Es sind über zehnmal vier Reiter gewesen.«

»Sie kamen von Süd nach Nord,« fügte Büffelstirn hinzu. »Sie haben ganz unsern Weg und werden den Engländer treffen. Wer mögen sie sein?«

Jetzt betrachtete auch Sternau die Hufspuren genauer.

»Sehen meine rothen Brüder,« sagte er, »daß nur eine kurze Zeit vergangen ist, seit diese Leute hier vorüberkamen?«

»Ja,« antwortete Bärenauge. »Es ist höchstens die Hälfte der Zeit vergangen, welche die Bleichgesichter eine Stunde nennen.«

»Richtig. Wir hätten uns erst später nach Norden gewendet; aber wir dürfen diese Reiter nicht unbeachtet lassen, sondern wir müssen ihnen folgen.«


// 1838 //

»Das ist nicht schwer,« meinte Büffelstirn. »Ich sehe, daß ihre Thiere bereits sehr ermüdet gewesen sind. Sie haben einen weiten Weg zurückgelegt.«

Juarez machte ein besorgtes Gesicht.

»Ueber vierzig Reiter sind es gewesen?« fragte er.

»Ja. Eher mehr als weniger,« antwortete Sternau.

»Das ist verdächtig! Waren es etwa Indianer?«

»Nein. Man sieht aus den Spuren, daß die Thiere keine indianische Dressur haben. Und sodann reiten die Indianer nie so weit aus einander.«

»Vielleicht sind es Vaqueros gewesen!«

»Vaqueros in einer solchen Anzahl beisammen? Das ist nicht gut denkbar.«

»Aber wer sonst?«

»Das müssen wir erfahren. Wir haben nur der Fährte zu folgen.«

»Gut! Vorwärts!«

Der Ritt wurde von Neuem begonnen, ging aber jetzt nach Norden statt, wie früher nach Osten. Nach und nach wurden die Spuren immer frischer; das war ein sicherer Beweis, daß die Truppe schneller ritt, als die Verfolgten.

Sternau beugte sich im Galopp vom Pferde herab und betrachtete die Eindrücke sehr aufmerksam.

»Sie sind jetzt höchstens zehn Minuten voraus,« sagte er zu Juarez, »und ich glaube gar, daß sie im Schritt geritten sind.«

Es verging wieder etwas wie eine Viertelstunde. Die Sonne hatte sich hinter dem Horizonte niedergesenkt, und in kurzer Zeit mußte die Nacht hereinbrechen. Da erhob sich Bärenherz im Sattel und deutete nach vorn.

»Uff!« rief er.

Sternaus scharfes Auge entdeckte sofort, in sehr weiter Entfernung zwar, aber doch noch leidlich innerhalb des Gesichtskreises, eine Art von Linie, welche sich fortzubewegen schien.

»Das sind sie!« sagte er.

»Wollen wir sie schnell einholen?« fragte Juarez.

»Nein,« antwortete der Gefragte.

»Warum nicht?«

»Man weiß nicht, wer sie sind und was sie wollen.«

»Das thut nichts. Wir sind über zweihundert, sie aber höchstens fünfzig. Wir brauchen uns also nicht zu fürchten.«

»Das ist richtig. Wie aber erfahren wir den Zweck, der sie hergeführt hat?«

»Sehr einfach: Wir werden fragen.«

»Hm! Werden sie auch antworten?«

»Sie werden antworten müssen!«

»Ja. Aber ob sie die Wahrheit sagen, das ist sehr fraglich. Ist ihr Zweck ein guter, so werden sie nicht lügen; verfolgen sie aber eine böse Absicht, so werden sie sicher uns zu täuschen versuchen.«

»Sollte uns ihre Absicht gar so sehr interessiren?«

»Das kann man nicht wissen.«

»Nun denn, was beabsichtigen Sie zu thun?«

»Ich werde versuchen, sie zu belauschen.«


// 1839 //

»Das ist schwer!«

»O nein. Es wird bald dunkel sein, und dann lagern sie sich. Auf das Anschleichen versteht man sich schon. Uebrigens muß man sich in Acht nehmen, nicht von ihnen gesehen zu werden. Wir sind mehr Personen als sie; sie können uns also leichter bemerken als wir sie. Ich schlage vor, Einer von uns reitet voran, um sie nicht aus dem Auge zu lassen, und wir folgen ihm in einzelnen Trupps so, daß der Hintere den Vorderen nicht aus dem Auge verliert.«

»Das ist gut,« erklärte Bärenherz. »Ich werde voranreiten.«

Damit gab er seinem Pferde die Sporen.

Die Anderen theilten sich und folgten ihm in einzelnen Abständen, so wie Sternau es angedeutet hatte. In dieser Weise war es den Verfolgten unmöglich, zu sehen, daß sie eine Ueberzahl von Reitern hinter sich hatten.

So ging der Ritt noch einige Zeit fort. Da hielt Bärenherz sein Pferd an und ließ die Anderen herankommen.

»Sind weg,« sagte er.

Sternau blickte nach vorn, konnte aber, so sehr er sein Auge auch anstrengte, die Reitertruppe nicht mehr sehen.

»Wohin?« fragte er.

»In den Wald hinein.«

»Wurden sie verscheucht?«

»Nein. Sie werden sich ein Lager suchen.«

»So dürfen wir jetzt nicht weiter. Lassen Sie uns absteigen, Sennor Juarez.«

»Hier? Mitten in der Prairie?«

»Ja. Es bringt uns dies keine Gefahr. Während Sie hier zurückbleiben, werde ich mit Bärenherz fortgehen, um zu sehen, wo die Leute sind.«

»Sennor, das ist eine Unvorsichtigkeit. Nehmen Sie mehr Leute mit.«

»Sie irren. Je weniger, desto besser.«

Damit warf er Helmers den Zügel seines Pferdes hin und schritt fort. Bärenherz, welcher auch abgestiegen war, folgte ihm.

Die Prairie war hier nicht breit; sie bildete nur einen schmalen Streifen, dessen linker Rand sehr nahe lag und von Unterholz gebildet wurde, welches zwischen den Stämmen riesiger Bäume wucherte. In diesem Rande waren die Verfolgten verschwunden und zwar in einer Entfernung von vielleicht drei Viertheilen einer englischen Meile.

Sternau schritt auf den Rand zu und schlich längst desselben weiter, den Apachenhäuptling hart hinter sich. Es war hier unter den Bäumen beinahe vollständig dunkel und da in jenen Gegenden die Dämmerung eine äußerst kurze ist, so brach nach einigen Minuten die vollständige Nacht herein.

»Uff,« sagte der Häuptling, Sternau mit der Hand berührend.

»Was?« flüsterte dieser.

»Man hat gesprochen.«

Sternau hatte nichts gehört. Er blieb stehen und horchte.

»Wo?« fragte er.

»Da vorn.«

»Weit von uns?«


// 1840 //

»Nein.«

Die beiden Männer horchten schweigend in das Dunkel hinein und bald darauf hörten sie allerdings in ziemlicher Nähe eine Stimme, welche rief:

»Alfredo!«

»Was?«

»Komm. Wir haben Holz genug. Die Feuer brennen schon.«

Von jetzt an war es wieder still. Die Beiden warteten eine Weile und schlichen sich dann wieder vorwärts. Nach kurzer Zeit hörte Sternau, daß Bärenherz die Luft prüfend durch die Nase zog. Auch er bemerkte einen brenzlichen Geruch.

»Riecht mein weißer Bruder Etwas?« fragte der Apache.

»Rauch,« antwortete Sternau.

»Die Feuer brennen. Gehen wir dem Geruche nach.«

Indem sie dies thaten, bemerkten sie bald grad vor sich einen hellen Schein, welcher zwischen den Bäumen bei jedem Schritte sichtbarer wurde.

»Dort ist es,« sagte der Häuptling.

»Theilen wir uns, so geht es schneller.«

»Wo treffen wir uns?«

»Unter dem Baume, an welchem wir jetzt stehen, wenn wir uns nicht vorher jenseits begegnen.«

»Wie gehen wir?«

»Du rechts und ich links. Suchen wir vor allen Dingen zu erfahren, wo die Pferde stehen. Ihr Schnauben kann uns verrathen.«

Einen Augenblick später war der Apache verschwunden.

Sternau pürschte sich jetzt allein vorwärts. Von Baum zu Baum huschend, horchte er, ob das Lager noch in Bewegung sei oder ob man sich bereits niedergelassen habe. Es schien dies Letztere der Fall zu sein.

So kam er näher und näher, bis er Alles deutlich vor sich liegen sah.

Er zählte fünfzig Männer, welche sich in einem länglichen Kreise gelagert und zwei Feuer zwischen sich hatten, über welchen Fleisch gebraten wurde. Sie waren in der Tracht des Landes gekleidet, schienen aber aus verschiedenen Provinzen zusammen gewürfelt zu sein.

Jetzt legte er sich auf die Erde nieder und schob sich kriechend fort, bis er so weit an sie herangekommen war, daß nur noch einige Bäume zwischen ihm und ihnen standen und er jedes Wort hören konnte.

Zwei, welche nicht weit von ihm saßen, sprachen sehr laut mit einander.

»Und ich sage Dir, daß wir uns verirrt haben,« meinte der Eine.

»Wo denkst Du hin,« antwortete der Andere. »Wir sind sehr weit rechts von Candela.«

»Und ich behaupte, daß wir uns zu sehr weit westlich befinden. Vielleicht hatten wir schon Marin zur Rechten. Wir müßten den Rio San Juano längst erreicht haben.«

»Unsinn! Ich war einmal bereits in dieser Gegend und kenne sie.«

»Dennoch wäre es besser, wenn wir uns erkundigt und nicht allein auf Dich verlassen hätten. Was soll Sennor Cortejo sagen.«


// 1841 //

Sternau zuckte beinahe erschrocken zusammen, als er diesen Namen hörte. Gab es hier einen Cortejo? Und wer war dann dieser Mann?

»Cortejo? Pah!« antwortete der Andere ziemlich verächtlich.

»Oder was soll seine Tochter sagen, Sennorita Josefa, die Holde.«

Es ging Sternau wie ein Stich durch das Herz. Sie hatten Cortejo genannt und seine Tochter Josefa. Es war also derselbe gemeint, den auch er kannte, denn es war ja nicht sehr wahrscheinlich, daß es einen andern Cortejo geben werde, der auch eine Tochter Namens Josefa hatte. Sternau sollte übrigens sehr bald überzeugt werden, daß seine Vermuthung die richtige sei.

»Was mache ich mir aus ihr,« hörte er den Andern sagen.

»Ich denke, Du bist verliebt in sie,« erklang es lachend.

»Dann müßte ich verrückt sein.«

»Du trägst aber doch ihre Photographie bei Dir.«

»So wie Ihr Alle, um mich als seinen Anhänger ausweisen zu können.«

»Ja und Minister zu werden, sobald er Präsident von Mexiko geworden ist.«

»Scherze nicht. Ich bin auch nicht dümmer, als Andere und zu Ministern werden gewöhnlich nicht die Klügsten ausgewählt. Uebrigens ist gar nicht unmöglich, daß er Etwas erreicht. Warum ist er nach dem Norden gekommen?«

»Doch zunächst, um diesem Engländer sein Geld abzunehmen.«

»Und die Gewehre.«

»Welche für Juarez bestimmt sind, hahaha. Der Zapoteke wird sich ganz verteufelt ärgern, wenn er erfährt, daß ihm sein Rivale zuvorgekommen ist. Aber, alle Teufel, es war mir, als ob ich dort hinter dem dritten Baume ein Paar Augen hätte leuchten sehen.«

Er erhob sich, griff zu seinem Messer und kam herbei.

Er glitt retour.

Sternau hatte im ungeheuren Interesse für Das, was er hörte, den Kopf etwas zu weit hervorgeschoben; er war bemerkt worden. Sobald er sah, daß der Mann auf ihn zuschritt, glitt er blitzschnell retour, erhob sich vom Boden und setzte sich nach rückwärts in schnelle Bewegung. Ein Glück, daß er sich im Dunkeln befand.

»Hm,« brummte der Mann. »Ich dachte, die Augen deutlich gesehen zu haben.«

»Wem sollten die Augen gehören,« sagte sein Kamerad.

»Irgend einem Menschen.«

»Welcher Mensch sollte sich grad hierher verlaufen. Du hast Dich geirrt.«

»Möglich. Aber besser ist besser.«

Er ging zurück, zog einen brennenden Ast aus dem Feuer und kam wieder, um die Stelle zu untersuchen. Sternau hatte jedenfalls eine Spur zurückgelassen, wurde diese gefunden, so war seine Anwesenheit verrathen.

Zum Glück schien der Mann nicht zu den Scharfsinnigen zu gehören oder keine Erfahrung zu besitzen. Er fuhr mit dem Brande einige Zeit zwischen den Bäumen herum, ohne dem Boden die nöthige Aufmerksamkeit zu schenken und sagte dann:

»Es ist Niemand hier.«

»O, doch,« lachte der Andere.


// 1842 //

»Nun, wer denn?«

»Du doch selbst.«

»Albernheit. Die Augen habe ich gesehen. Vielleicht ist der Kerl, dem sie gehören, ausgerissen, als ich kam. Man kann nicht vorsichtig genug sein. Ich werde ein wenig besser aufpassen.«

Nach diesen Worten kehrte er an seinen Platz zurück.

Sternau hatte einstweilen genug gehört, um zu wissen, woran er war. Er wollte sich nicht unnöthig einer weiteren Gefahr aussetzen und darum begab er sich nach dem Baume, unter welchem er den Apachen treffen wollte.

Für einen Andern wäre es höchst schwierig gewesen, in der tiefen Finsterniß diesen Baum zu finden; aber man glaubt gar nicht, welche Fertigkeit ein tüchtiger Jäger in dieser Beziehung besitzt. Er wird außerdem von einem gewissen Instincte geleitet, welcher in vielen Fällen dem Scharfsinne trefflich zu Hilfe kommt.

Er brauchte nicht lange zu warten, so kam Bärenherz.

»Mein Bruder mag kommen,« flüsterte er.

Sie schlichen sich aus dem Walde hinaus auf die Prairie, wo sich unterdessen auch die Finsterniß der Nacht eingestellt hatte.

»Fünf mal zehn Männer,« sagte der Apache.

»Ich habe ebenso viele gezählt,« antwortete Sternau. »Und die Pferde?«

»Sie sind schlecht. Kein Einziges hat geschnauft.«

»Mein Bruder war bei ihnen?«

»Ja. Es sind lauter Haziendapferde.«

»Wo befinden sie sich?«

»Sie sind angebunden zwei mal zehn mal zehn Schritte vom Feuer weg in den Wald hinein.«

»Hat mein Bruder die Leute belauscht?«

»Ja.«

»Hat er etwas Wichtiges gehört?«

»Der Eine sprach von einem Haziendero, welcher gepeitscht worden ist.«

»Das scheint nichts Wichtiges!«

»Er sagte, daß er das Gesicht des Gepeitschten immer sehe.«

»Der Mann ist jedenfalls ein Schurke, welcher eine Missethat begangen hat und nun von seinem Gewissen gefoltert wird. Hörte mein Bruder sonst Etwas?«

»Nein. Ich mußte die Pferde suchen und kam dann wieder zu Dir.«

»So wollen wir schnell die Unserigen aufsuchen.«

»Hat mein weißer Bruder mehr vernommen als sein rother Freund?« fragte der Apache, indem sie weiterschritten.

»Ja, viel mehr.«

»Was?«

»Ich werde es Juarez berichten, so wird mein Bruder es auch hören.«

Damit gab Bärenherz sich zufrieden.

Sie stießen nach kurzer Zeit zu ihren Leuten, von denen sie bereits mit Ungeduld erwartet wurden. Sie standen zwar nahe beisammen; aber ein Jeder hatte sein Pferd am Zügel, um es grasen zu lassen.

»Haben Sie die Leute entdeckt?« fragte Juarez.


// 1843 //

»Ja, sehr leicht. Sie sprachen so laut im Walde, daß man sie bereits von Weitem hörte,« antwortete Sternau.

»Für was halten Sie sie? Oder bleiben Sie darüber im Unklaren?«

»Nein. Ich weiß, wer sie sind. Wenn Sie es erfahren, so werden Sie sich wundern oder vielleicht gar erschrecken.«

»Ah! Sprechen Sie! Schnell!«

»Es sind Anhänger von Cortejo.«

»Meinen Sie Pablo Cortejo, meinen lächerlichen Nebenbuhler?«

»Ja.«

»Wie kämen diese Leute hierher? Ich denke, Cortejo befindet sich im Süden!«

»O nein. Er ist nach dem Norden gekommen.«

»Welcher Wahnsinn.«

»Nach dem, was ich belauscht habe, ist das, was er vor hat, nicht so sehr wahnsinnig.«

»Was könnte dies sein? Concurrenz will er mir machen. Er gleicht dem Frosche in der Fabel, welcher so groß sein wollte wie ein Ochse, dabei aber zerplatzte.«

»O, Sennor, es ist sehr ernst. Dieser Cortejo weiß nämlich, daß Sir Lindsay kommt, um Ihnen Geld und Anderes zu bringen.«

»Alle Teufel!« sagte Juarez erschrocken.

»Er hat diese Truppe abgesandt, um sich des Engländers zu bemächtigen.«

»Unglaublich!

»Ich habe es mit meinen Ohren gehört. Zwei sprachen davon.«

»Dann müssen wir uns unbedingt dieser Leute bemächtigen.«

»Natürlich. Wie gut also, daß wir darauf verzichteten, sie in der Prairie einzuholen und nach ihren Absichten zu fragen! Wir hätten nichts erfahren. Uebrigens scheint es, als wenn sie sich verirrt hätten.«

»Wohin wollten sie?«

»Nach dem Rio San Juano.«

»Ah, dort haben sie den Engländer auflauern wollen. Aber sie wären doch zu spät gekommen, denn er ist längst an der Mündung dieses Flusses vorüber, da er uns bereits am Sabina erwartet.«

»Dies ist noch nicht so ganz sicher. Uebrigens muß Cortejo nicht ohne eine ziemliche Anzahl von Anhängern sein, da er fünfzig Mann detachiren kann.«

»Das ist eine Dummheit von ihm. Diese Leute haben ja gar keine Transportmittel mit, um, gelungenen Falls, ihren Raub in Sicherheit zu bringen.«

»Das ist wahr. Etwas abenteuerlich unternommen scheint mir dieser Zug zu sein; doch ist immer zu erwarten, ob sich noch etwas Weiteres herausstellt.«

»Sie werden uns beichten müssen.«

»Das werden sie. Wann wünschen Sie, daß wir sie festnehmen?«

»So bald wie möglich. Wir dürfen keine Zeit verlieren, denn eigentlich sollte unser Zusammentreffen mit Sir Lindsay noch diesen Abend stattfinden.«

»So bitte ich um Ihre Befehle.«


// 1844 //

»Meine Befehle? Ich bin kein Kriegsmann und noch weniger ein Jäger. Ich werde wieder Ihnen das ganze Arrangement überlassen.«

»Dann bitte ich, daß die Pferde hier zurückbleiben dürfen.«

»Warum?«

»Sie finden hier besseres Futter. Im Walde, wo sie nichts zu fressen haben, könnten sie laut werden und uns verrathen.«

»Das ist richtig.«

»Wir pflocken sie an und lassen zehn Mann bei ihnen; das genügt. Wir Andern theilen uns. Die Hälfte wird von mir und die andere von Bärenherz angeführt, da wir Beide das Lager genau kennen. Wir umzingeln dasselbe, und dann wird sich das Uebrige von selbst ergeben.«

»Wenn die Kerls klug sind, so lassen sie es gar nicht zum Kampfe kommen. Ich möchte nicht gern Blut vergießen, besonders auch deshalb, weil wir dann von den Todten nichts erfahren könnten.«

»Dann will ich einen Vorschlag machen, Sennor.«

»Welchen?«

»Einer oder Zwei von uns begeben sich nach dem Lager und geben sich für Jäger aus. Ich glaube nicht, daß sie irgend welche Gefahr laufen. Sie können irgend eine Einleitung treffen und dann ahme ich den Ruf der Eule nach; das ist das Zeichen, daß die Umzingelung gelungen ist. Die Beiden geben sich dann zu erkennen und fordern, daß die Truppe sich ergiebt. Auf diese Weise umgehen wir eine plötzliche Ueberrumpelung, welche viel Blut kosten würde.«

»Sie mögen recht haben, Sennor. Aber die Rolle dieser Beiden ist doch eine höchst gefährliche. Wer würde sich zu einer solchen hergeben!«

»Ich!« rief es aus Verschiedener Munde.

»Sie sehen, daß wir solche muthige Leute besitzen,« sagte Sternau, »wie wir sie brauchen.«

»So treffen Sie selbst die Wahl,« sagte Juarez.

»Das ist schwierig, da ich Keinen beleidigen will. Indianer sind natürlich ausgeschlossen. Ich selbst möchte zwar gern dabei sein, aber ich habe ja meine Truppe anzuführen. Ich glaube, daß es am Besten sein würde, unsern Mariano mit Donnerpfeil zu schicken.«

Die Beiden erklärten sich mit Freuden bereit dazu.

»Aber warum ich nicht?« fragte der Steuermann Helmers.

»Und warum mich nicht?« fragte Bernardo, der spanische Gärtner.

»Weil Sie, Freund Helmers, sich nicht gut für einen Jäger ausgeben können,« antwortete Sternau. »Und dies ist bei Sennor Bernardo ebenso der Fall.«

»Nein,« sagte Mariano. »Ich gehe, und kein Anderer soll meine Stelle einnehmen.«

»Und die meinige auch nicht,« erklärte Anton Helmers.

»Gut! So können Sie aufbrechen.«

»Zu Pferde?« fragte Mariano.

»Natürlich!« antwortete Sternau. »Ueberlasse Dich nur der Leitung Deines Gefährten. Er ist in solchen Dingen erfahrener als Du.«


// 1845 //

»Wo ungefähr befindet sich das Lager?« fragte Helmers.

»Dreiviertel englische Meilen von hier, nur einige Schritte in den Wald hinein. Ich glaube, man muß das Feuer von der Prairie aus sehen können.«

»Das ist höchst unvorsichtig von diesen Leuten, aber sehr gut für uns, denn es wird unser Erscheinen so ziemlich legitimiren. Kommen Sie, Sennor Mariano!«

Die Beiden pflockten ihre Pferde los, stiegen auf und ritten davon.

»Für was geben wir uns denn aus?« fragte Mariano während des kurzen Rittes.

»Für Jäger natürlich,« antwortete Helmers.

»Allerdings. Aber welcher Nationalität?«

»Nun, ich bin ein Deutscher; dabei bleibe ich.«

»Und ich? Ah, ich bin ein französischer Fallensteller.«

»Und merken Sie sich, ich heiße Helmers; ich verändere dieser Kerls wegen meinen Namen um keinen einzigen Buchstaben.«

»Und ich? Ich heiße Lautreville. Ich bin ja bereits früher so genannt worden. Aber wo kommen wir her, und wo wollen wir hin?«

»Das müssen wir uns allerdings überlegen. Ich bin früher, als ich mit Bärenherz jagte, einmal hier im Präsidio gewesen und weiß also glücklicher Weise ein Wenig Bescheid. Es ist am Besten, wir geben eine andere Richtung an, als sie verfolgen.«

»So kommen wir aus Texas herüber.«

»Ja, gut. Wir sind in Laredo über den Rio del Norte gesetzt und wollen hierauf nach - nach - - nach - ah, wir wollen zu den Franzosen, um gegen diesen verfluchten Juarez zu kämpfen.«

»Vortrefflich,« lachte Mariano. »Also vorwärts jetzt.«

Sie ritten im Galopp einen Bogen, so daß sie scheinbar von der entgegengesetzten Seite, von Norden kamen, und hielten dann, langsamer reitend, ihre Pferde dicht am Rande des Waldes hin.

Da, wirklich, da erblickten sie einen Lichtschein, welcher zwischen den Bäumen hindurch auf die Grasfläche heraus schimmerte. Auch Stimmen, welche mit einander sprachen, konnte man hören. Sie hielten an, und Helmers rief mit lauter Stimme:

»Hallo! Was ist das da für ein Feuer im Walde?«

Sofort verstummte das Gespräch, und nach einigen Augenblicken wurde gefragt:

»Wer ist da draußen?«

»Zwei Jäger sind wir.«

»Nur zwei?«

»Ja. Darf man zu Euch kommen?«

»Wartet erst.«

Es erhoben sich mehrere Männer vom Lager, nahmen Feuerbrände in die Hand und kamen herbei, um die beiden Ankömmlinge zu beleuchten. Einer von ihnen, der eine sehr stolze, finstere Miene machte, fragte:

»Sind etwa Mehrere hinter Euch?«


// 1846 //

»Fällt gar Niemandem ein!« lachte Mariano.

»Ich kann Euch doch nicht gebrauchen.«

»Aber wir Euch.«

»Wozu?«

»Donnerwetter!« fluchte Helmers. »Wozu, fragt Ihr? Freut man sich denn nicht, wenn man da in dem wilden Walde menschliche Gesichter trifft?«

»Da freut Ihr Euch umsonst.«

»Seid kein Thor. Wir sind den ganzen Tag geritten und wollten uns soeben hier irgendwo in der Nähe zur Ruhe legen. Da sahen wir Euer Feuer. Wenn wir uns mit daran wärmen, wird es Euch wohl keinen Schaden machen.«

Der Mann beleuchtete die Beiden abermals genau und sagte dann:

»So kommt. Aber hütet Euch. Handelt Ihr mit faulen Fischen, so macht Ihr bei uns jedenfalls ein sehr schlechtes Geschäft.«

Die Beiden stiegen ab und zogen ihre Pferde hinter sich her, den voranschreitenden Mexikanern nach. Als sie bei den Feuern anlangten, hatten sich mittlerweile auch die Uebrigen erhoben, um den ungewöhnlichen Besuch in Augenschein zu nehmen. Helmers und Mariano grüßten furchtlos, und dann fragte der Erstere:

»Wo ist der Platz für Eure Pferde, Sennores, daß wir auch die unserigen hinführen.«

»Das werden wir selbst besorgen,« sagte der frühere Sprecher.

Er gab zweien seiner Leute einen Wink und diese machten Miene, die Pferde fortzuführen. Helmers aber wehrte mit der Hand ab und sagte:

»Halt, Sennores. So schnell geht das nicht. Wir sind Jäger und wissen, was wir uns und den Pferden schuldig sind. Sie brauchen Ruhe und wir ein Kopfkissen; also zunächst mit den Sätteln herab. Dann könnt Ihr sie fortführen.«

Die Beiden schnallten die Sättel herunter und legten sie in die Nähe des Feuers, um sie als Kopfkissen zu gebrauchen. Dann streckten sie sich behaglich nieder.

Derjenige, welcher sie ausgefragt hatte, war Derselbe, welchem Josefa Cortejo den Brief übergeben hatte. Auf seinen abermaligen Wink entfernte man die Pferde, und Alle legten sich wieder nieder. Dann wendete er sich an Helmers:

»Ihr werdet mir wohl einige Fragen erlauben, Sennor?«

»Fragen? Warum grad Euch?«

»Weil ich der Capitano dieser Männer bin.«

»Ah, Ihr seid der Anführer? Das ist etwas Anderes. So fragt einmal los.«

»Ihr seid Jäger?«

»Ja.«

»Woher?«

»Von überall her. Man sucht sich sein Wild, wo man es findet. Nicht?«

»Ich meine es anders. Wo seid Ihr geboren?«

»Ich bin ein Deutscher und heiße Helmers.«


// 1847 //

»Und Euer Kamerad?«

»Ist ein Franzose und heißt Lautreville.«

»Woher kommt Ihr?«

»Von drüben über den Rio Grande herüber.«

»Ah, so seid Ihr Yankees, die der Teufel heute lieber holen mag als morgen?«

Da lachte Helmers lustig auf und antwortete:

»Sennor, mit Eurer Geographie scheint es auch nicht besonders gut zu stehen!«

»Donnerwetter! Warum?«

»Seit wann werden denn Deutsche und Franzosen zu den Yankees gerechnet?«

»Wenn Ihr da drüben herumjagt, so seid Ihr Yankees. Ihr kommt mir überhaupt verdächtig vor. Seit wann seid Ihr über den Fluß herüber?«

»Seit gestern.«

»Das stimmt. So weit kann es ungefähr sein. Wo seid Ihr übergesetzt?«

»In Laredo.«

»Und wo wollt Ihr hin?«

»Müßt Ihr das so genau wissen?«

»Ja.«

»Nun, ich kann Euch den Gefallen thun. Seid Ihr aber etwa Leute des Juarez?«

»Fällt uns gar nicht ein. Wir dienen keinem Indianer.«

»Das ist gut. Mein Kamerad ist also ein Franzose und hat Sehnsucht nach seinen Landsleuten. Ich aber habe von früher her mit dem Juarez noch ein Ei zu schälen, wie man zu sagen pflegt, und so sind wir auf den Gedanken gekommen, nach Mexiko zu gehen, um zu sehen, in welcher Weise man dem Zapoteken an das Leder kann.«

»Das heißt, Ihr wollt Euch anwerben lassen?«

»So ähnlich.«

»Aber warum grad bei den Franzosen?«

»Weil sie die Landsleute meines Kameraden sind.«

»Das wäre allerdings ein Grund. Aber der Bazaine braucht keine Leute.«

»Da wäre ja der ganze weite Ritt umsonst.«

»Ja, umsonst wird er wohl sein, wenn Ihr nicht einen guten Rath annehmt.«

Der sogenannte Capitano schien sein Mißtrauen verloren zu haben.

»Einen guten Rath, den hört man immer gern,« meinte Mariano.

»Nun, ich könnte Euch sagen, wo Ihr sofort ein Unterkommen finden würdet.«

»Wo denn?«

»Hier bei uns!«

»Bei Euch? Hm! Wer seid Ihr denn?«

»Habt Ihr vielleicht einmal von dem Panther des Südens gehört?«

»O, oft genug.«

»Und von Cortejo?«


// 1848 //

»Könnte mich nicht sogleich besinnen.«

»Nun, diese Beiden haben sich zusammengethan, damit Cortejo Präsident wird.«

»Alle Wetter. Der Kerl scheint nicht dumm zu sein!« sagte Helmers.

»Er wirbt Leute an. Gelingt es ihm, so kann ein Jeder, der ihm jetzt dient, auf irgend eine gute Stelle oder so etwas Aehnliches rechnen.«

»Das läßt sich hören.«

»Und außerdem führt man ein prachtvolles Leben bei ihm. Da giebt es kein Exerciren und Drillen, wie bei den Franzosen, keinen Kasernen- und Gamaschendienst. Man lebt wie ein Prälat und nimmt das, was man braucht, da, wo es ist.«

»Das ist höchst bequem.«

»Ja. Nun seht Ihr wohl ein, daß wir im Dienste dieses Cortejo stehen?«

»Ja; ich beginne allerdings, es zu ahnen.«

»Habt Ihr keine Lust, einzutreten?«

»Hm. Das müßte man sich doch vorher ein Wenig überlegen. Wir kennen Euch nicht.«

»Ich Euch ja auch nicht. Die Hauptsache ist, daß man sich gut steht.«

»Und das ist also bei Euch der Fall?«

»Ja.«

»Wo befindet sich denn dieser Cortejo?«

»Auf seiner Hazienda.«

»Ihr antwortet sehr undeutlich, Sennor. Es giebt tausende von Haziendas.«

»Nun, so will ich sagen, auf der Hazienda del Erina.«

Fast wäre Helmers vor Ueberraschung emporgesprungen. Er mußte alle Selbstbeherrschung anwenden, um scheinbar ruhig zu bleiben. Mariano ging es ebenso.

»Del Erina?« fragte Helmers. »Die ist sein Eigenthum?«

»Natürlich. Kennt Ihr sie?«

»Ja. Ich habe da vor Jahren eine Nacht geschlafen. Damals aber war der Besitzer ein Anderer. Ich glaube, er hieß - hieß - hieß - - -«

»Arbellez!« fiel der Mann ein.

»Ja, richtig! Arbellez. Der Mann ist wohl todt?«

»O nein, aber doch so ähnlich.«

»Nicht todt, aber ähnlich? Also krank?«

»Vielleicht. Wir haben ihm einfach die Hazienda weggenommen. Cortejo bekam das Haus, und wir Andern erhielten Alles, was sich darin befand.«

»Donnerwetter!«

Die Augen des Jägers blitzten. Am Liebsten hätte er diesem Menschen augenblicklich eine Kugel durch den Kopf gejagt. Der verstand ihn aber falsch und sagte:

»Nicht wahr, das wäre auch so etwas für Euch?«

»Natürlich. Aber was sagte denn dieser - dieser Arbellez dazu?«

»Viel Kluges nicht, denn er ist ganz gehörig ausgepeitscht worden.«

»Ausgepeitscht?« fuhr Helmers empor. »Ist das wahr, Sennor?«


Ende der siebenundsiebzigsten Lieferung - Fortsetzung folgt.



Karl May: Waldröschen

Karl May – Forschung und Werk