Lieferung 7

Karl May

6. Januar 1883

Waldröschen
oder
Die Rächerjagd rund um die Erde.

Großer Enthüllungsroman
über die
Geheimnisse der menschlichen Gesellschaft

von

Capitain Ramon Diaz de la Escosura.


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»Gern,« lachte Sternau. »Nun aber fort!«

Als sie aufgestiegen waren und vom Wirthe also nicht gehört werden konnten, frug Sternau den Reitknecht nach den Einzelheiten. Er erfuhr da auch, daß der Advokat das Schloß zu Pferde verlassen habe. Da hielt er sein Pferd an und fragte:

»Können Sie auf Rodriganda entbehrt werden?«

»Jetzt? Ja.«

»Wollen Sie für mich einmal nach Barcelona reiten?«

»Sehr gern, Sennor.«

»So reiten Sie! Sie sollen nämlich im Hafen nachsehen oder sich erkundigen, an welchem Tage das Kauffarteischiff »La Pendola«, Kapitain Henrico Landola, in See geht. Werden Sie dies erfahren können?«

»O, sicher!«

»Aber Gasparino Cortejo kann auch in Barcelona sein, und er darf keineswegs erfahren, nach was Sie sich erkundigen sollen!«

»Keine Sorge, Sennor!«

»So reiten Sie! Ich werde Sie gut belohnen, wenn Sie mir eine sichere Nachricht bringen.«

Der Reitknecht drehte sein Pferd um und ritt davon; der Arzt aber sprengte in gestrecktem Galoppe auf Rodriganda zu.

Er legte die drei Wegstunden in kaum einer zurück. Als er vor der Rampe vor seinem Thiere stand, kam der Kastellan in eigener Person herbei, um das Pferd in Empfang zu nehmen.

»O Sennor, wie so etwas passiren kann!« klagte er. »Verrückt, vollständig verrückt!«

»Es ist nicht glaublich!«

»Und doch ist es wahr; meine Elvira sagt es auch.«

»Wo befindet er sich?«

»In seinem Schlafzimmer. Die gnädige Contezza hat sich da eingeschlossen und läßt keinen Unberufenen eintreten. Graf Alfonzo erklärte sich bereits zum Herrn von Rodriganda und wollte einen Irrenarzt kommen lassen; sie aber hat es nicht zugegeben.«

Sternau nickte nur und eilte dann die Treppe empor. Vor der Vorzimmerthür standen zwei Diener Wache, welche ihn sofort einließen. Als er leise in das Krankenzimmer trat, sah er den Grafen mit verbundenem Kopfe im Bette liegen. An dem letzteren saß Rosa, in Thränen gebadet, und in ihrer Nähe die Engländerin, welche liebevoll Theil an ihrem Schmerze nahm.

Als Rosa den Geliebten erblickte, erhob sie sich und warf sich stürmisch an seine Brust. Sie sagte kein Wort, aber er fühlte ihren Busen konvulsivisch wogen und ihre ganze Gestalt erzitterte unter dem Schmerze, den sie mit Gewalt zu beherrschen versuchte.

Sternau drückte sie an sich

Sternau drückte sie an sich, küßte sie innig auf die Stirn und bat dann leise:

»Laß mich jetzt, mein Leben! Es ist jede Sekunde kostbar.«

»Ja, ach ja!« antwortete sie, von ihm zurücktretend. »O Gott, Carlos, sage, ob er verloren ist!«


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Er trat zu dem Kranken, und von diesem Augenblicke an war sein Antlitz kalt, sein Auge nur scharf und forschend; er schien pur Arzt zu sein. Er nahm die Compresse von der Stirne des Kranken, befühlte dessen Puls und ließ sich dann von den beiden Damen den Hergang erzählen, so weit sie ihn kannten. Dies geschah mit leiser Stimme, unterdessen aber bat der Graf immer fort:

»Thut mir nichts, ich weiß ja, wer ich bin. Ich bin - ich bin - ich bin der treue Alimpo!«

Nun untersuchte Sternau das Athmen und die Augen des Kranken, keine Bewegung, kein Kopfschütteln, kein Zucken seiner Mienen deutete die Gedanken an, welche er hatte. Dann trat er an das untere Ende des Bettes, so daß der Kranke ihn vollständig erkennen konnte, und fragte:

»Wer sind Sie?«

»Ich bin - bin - bin Alimpo,« antwortete der Graf nachdenklich.

»Das ist nicht wahr!« sagte Sternau streng. »Besinnen Sie sich! Sie sind - Sie sind - Nun?«

»Ich bin - bin - bin Alimpo!« lautete in kläglichem Tone die Antwort.

»Schweig, Schurke! Du lügst!« donnerte da der Arzt den Kranken mit der ganzen Macht seiner Stimme an. »Du bist nicht Alimpo! Gestehe, wer Du bist!«

Dabei schlug Sternau drohend mit der Faust auf die Pfoste des Bettes, so daß das letztere krachte. Die beiden Damen waren erschrocken zusammengefahren; der Kranke versuchte, sich mit dem Kopfe unter die Decke zu verbergen; Sternau jedoch zog ihm die letztere hinweg und gebot ihm nunmehr mit wahrhaft brüllender Stimme:

»Nun, wird's bald? Ich will wissen, wer Du bist!«

»O Gott, o Gott, mir bricht das Herz!« flüsterte Rosa.

Der Arzt machte ihr eine strenge, gebieterische Bewegung und ließ den Kranken nicht aus dem drohenden Auge. Dieser wand sich herüber und hinüber und wimmerte endlich die Antwort:

»Thut, thut, thut mir nichts, denn ich bin ja wirklich der treue Alimpo!«

Erst jetzt wandte sich der Arzt wieder vom Bette ab und den beiden Damen zu:

»Verzeihung; ich konnte nicht anders! Bitte schnellstens Wasser, Tücher und Gefäße zum Aderlassen und Erbrechen!«

»Ist es gefährlich?« fragte Rosa angstvoll.

Aber sie erhielt gar keine Antwort, sondern er schob sie rasch zur Seite und eilte hinaus.

»O mein Gott, es ist keine Rettung!« hauchte sie. »Sennor Carlos würde den Vater nicht so angedonnert und mich so zur Seite geschoben haben! Er will keine Sekunde versäumen, keine einzige; das ist der Beweis, daß keine Rettung ist.«

Und trotz ihrer Verzweiflung gab sie Befehl zum schleunigen Herbeischaffen des Nöthigen, und als Sternau nach zwei Minuten wiederkehrte, lag bereits alles bereit. Er hatte eine kleine Hausapotheke, das Verbandzeug und mehreres Andere geholt.

»Was hat der Graf heut genossen?« fragte er.

»Eine einzige Tasse Chokolade,« antwortete Rosa.

»Nichts weiter?«


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»Nein.«

»Wer hat diese Chokolade bereitet?«

»Ich selbst.«

»Wer brachte sie ihm?«

»Ein Diener.«

»Don Emanuel ist vergiftet worden!«

Er sagte dies mit solcher Bestimmtheit, daß die Gräfin in einen Sessel sank.

»Herr mein Heiland!« stöhnte sie.

»Und zwar mit dem Pohon Upas, dem fürchterlichsten der Gifte. Ich kenne seine Wirkung. Ich sollte Ihnen dies verschweigen; daß ich es Ihnen aufrichtig sage, mag Ihnen beweisen, daß ich noch Hoffnung habe. Besorgen Sie Diener her zum Aderlassen!«

Als der Graf die vielen Vorbereitungen um sich her erblickte, wurde er vor Angst still und ließ Alles mit sich geschehen. Er erhielt zunächst ein Brechmittel, welches sofort wirkte, aber ihn anstrengte, ohne den kleinsten Theil der genossenen Chocolade zurückzubringen.

»Ich dachte es,« sagte Sternau. »Es sind fünf Stunden seit dem Genusse des Getränkes vergangen.«

Hierauf ließ er dem Patienten zur Ader, und zwar nahm er das höchste Maß von Blut, bis zu welchem er nach den gegenwärtigen Umständen gehen konnte. Hierauf befahl er, einige Fliegen zu fangen. Als dies unter einiger Verwunderung über diese sonderbare Forderung geschehen war, that er die Fliegen in ein kleines Glasgefäß, auf dessen Boden er von dem Blute des Grafen getröpfelt hatte. Er lud die Damen ein, die kleinen Thiere mit zu beobachten. Die Fliegen naschten von dem Blute, begannen zu beben und zu zittern, krümmten sich und starben.

»Ich habe mich nicht getäuscht, es ist Pohon Upas. Es giebt verschiedene Bereitungen und Zusammensetzungen dieses Giftes, und es kommt darauf an, das richtige Mittel zu treffen. In der Zusammensetzung, an welche ich jetzt denke und die ich auf auf Java kennen lernte, macht es, wenn man zwei bis drei Tropfen genießt, wahnsinnig, fünf bis sechs Tropfen aber geben den Tod. Der Graf hat wohl nur zwei Tropfen erhalten, und ich bin überzeugt, daß man beabsichtigte, ihn wahnsinnig zu machen.«

Diese Worte brachten einen allgemeinen Schreck hervor, und es dauerte lange, ehe sich die Aufregung legte, besonders da Niemand wußte, daß außer dem Diener Jemand, den man in Verdacht nehmen konnte, bei ihm gewesen war.

»Und Sie glauben, daß der Vater noch zu retten ist?« fragte Rosa ängstlich.

»Ja,« antwortete er mit Zuversicht. »Dieses Gift hat in kleinen Gaben die Eigenschaft, daß es wahnsinnig macht, indem es das Gedächtniß suspendirt. Als der Kastellan den Grafen getroffen hat, stand Don Emanuel grad an dem Momente, an welchem das Gedächtniß schwindet. Er hat nur die letzte, menschliche Erscheinung, welche ihm vor Augen kam, fest gehalten und glaubt daher, daß er der Kastellan sei. Einen anderen Namen, eine andere Existenz kennt er nicht. Ich mußte nun sehen, ob die Erinnerung vollständig, ohne eine kleine Spur zurückzulassen, verschwunden sei; darum sprach ich so streng zu ihm, um sogar die Angst wirken zu lassen. Es war vergeblich. Die zwei unendlich fein zertheilten Tropfen des Giftes


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sind bereits vollständig in sein Blut und Hirn übergegangen. Ich entlaste das Letztere durch spanische Fliegen und Senfteige und entgifte das Erstere theilweise durch eine möglichst große Blutentziehung. Das nun noch in dem Körper befindliche Gift werde ich durch ein Gegengift bekämpfen, welches ich leider noch nicht besitze. Ich kann mich nur dann in den Besitz desselben setzen, wenn jemand bereit ist, sich für Don Emanuel aufzuopfern.«

»Aufzuopfern?« fragte Rosa. »O, es wird mir nichts zu theuer sein, um es für den Vater hinzugeben, selbst das Leben nicht!«

»Gnädige Contezza, ich verlange nicht das Leben eines Menschen, und doch ist das, was ich haben will, selbst von der opferfreudigsten Dame nicht zu haben, sondern höchstens von einem robusten Menschen, der allerdings eine Lebensgefahr, einen ungewöhnlichen Schmerz nicht scheut und sich mir anvertraut.«

»Suchen Sie ihn, suchen Sie ihn!« rief Rosa. »Ich werde ihn reich belohnen. Welches Mittel meinen Sie?«

»Don Emanuel kann nur durch den Schaum eines zu Tode gekitzelten Menschen gerettet werden. Dieser Schaum ist eines der stärksten Gifte und giebt, mit Capsicum vermischt, das einzige Gegenmittel zu Pohon Upas. Zu Ihrer Beruhigung bemerke ich, daß es auch genügt, einen Menschen so lange zu kitzeln, bis die ersten Zeichen der Tollwuth eintreten. Befände sich ein Sachverständiger hier, der den Vorgang zu leiten und die Medizin zu bereiten versteht, so würde ich keinen Augenblick zaudern, mich selbst zur Verfügung zu stellen. Da dies aber nicht der Fall ist und ich vielmehr als Arzt unentbehrlich bin, so müssen wir uns nach einem muthigen Menschen umsehen, der es wagt, die Qualen einer so fürchterlichen Folter zu übernehmen.«

»Ach, wer wird dies thun?« klagte die Gräfin.

»Lassen Sie es unter den Bewohnern des Schlosses und Dorfes bekannt machen. Wir müssen den Grafen heilen, um seiner selbst willen und um den Giftmischer zu entdecken. Ich zweifle nicht, wenn Don Emanuel's Gedächtniß wiederkehrt, so wird er sich auf irgend einen Umstand besinnen können, der zur Entdeckung des Thäters führen wird.«

»Auch ich befürchte, daß kein Mensch sich melden wird, da das Mittel so schrecklich ist,« bemerkte Amy.

Da trat der Kastellan, welcher einige Handreichungen gethan hatte, zu seiner Frau, die mit zugegen war.

»Elvira,« fragte er, »nicht wahr, Du hast den gnädigen Grafen lieb?«

»Ja, sehr!« antwortete sie.

»Und die liebe, gute Contezza auch?«

»O, sehr; das weißt Du ja, mein lieber Alimpo!«

»Und Du würdest gern Alles thun, um sie zu erfreuen?«

»Ja, das versteht sich!«

»Nun gut, meine liebe Elvira; ich werde mich melden!«

Alle waren erstaunt über die Heldenmüthigkeit des sonst keineswegs sehr tapferen Mannes. Aller Augen ruhten auf der Kastellanin und Alle waren begierig, ihre Antwort zu hören. Sie merkte dies und wendete sich mit einem stolzen Blicke zu ihrem Manne.


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»Alimpo,« sagte sie, »ich weiß, daß Du kühn und verwegen bist. Ich habe oft um Dich gezittert und Deinen Muth mit aller Gewalt in den Schranken gehalten; hier aber habe ich nichts dagegen. Laß Dich immerhin auf die Folter legen, Du wirst Don Emanuel erretten und ich werde stolz auf Dich sein!«

Das war weit mehr, als man von diesen beiden guten Leuten hätte ahnen können. Hätte man nicht Rücksicht auf den Kranken zu nehmen gehabt, so hätte man ihren Entschluß mit lautem Jubel belohnt. Aller Hände streckten sich ihnen entgegen; der Arzt aber, welcher es vermied, sich hinreißen zu lassen, meinte besonnen:

»Mein theurer Sennor Alimpo, wißt Ihr auch, was Ihr thun wollt?«

»Ja, vollständig.«

»Habt Ihr eine Ahnung der Qualen, die Euch bevorstehen?«

»Ich habe einmal in einem Buche davon gelesen.«

»Und dennoch wollt Ihr sie auf Euch nehmen?«

»Ja. Das sagt meine Elvira auch!«

»Gut, ich werde es mir überlegen. Zunächst muß ich bemerken, daß ich dieses schreckliche Gegengift keineswegs heute oder morgen schon brauche. Der Graf muß sich erst von dem Aderlasse erholen. Wir werden die Bekanntmachung doch noch erlassen und dann unter den sich Meldenden die Auswahl treffen. Für jetzt aber bitte ich um Schonung für den Patienten; er scheint zu schlafen.« -

Am Spätnachmittage desselben Tages kehrte der Notar Gasparino Cortejo von Barcelona zurück. Es begann bereits zu dunkeln und er war kaum noch eine Stunde weit von Rodriganda entfernt, als er plötzlich sein Pferd anhielt. Auf einem freien Waldplatze, über welchen die Straße führte, erblickte er eine Anzahl Hütten und Zelte, welche um ein großes Feuer standen, über welchem ein eiserner Kessel brodelte. Es herrschte ein reges Leben auf dem Platze, denn die Zelte und Hütten bildeten ein Zigeunerlager.

»Sollte das Mutter Zarba sein?« fragte er sich, als er ein altes Weib erblickte, welches hart neben dem Feuer hockte. »Das wäre ja ein ganz und gar glückliches Zusammentreffen!«

Mittlerweile war auch er bemerkt worden und im nächsten Augenblicke wurde er von schreienden und lärmenden Männern, Burschen, Weibern und Kindern umringt.

»Soll ich Euch weissagen, Sennor?« fragte ein Mädchen.

»Nein, ich kann es besser!« rief ein altes Weib.

»Herr, eine kleine Gabe!« brüllten fünf oder sechs Kinder, indem sie sich an sein Pferd hingen.

Er lächelte auf den wüsten Lärm herab und nickte einem alten Burschen freundlich zu:

»Ist das nicht der wackere Garbo, der mich doch kennen sollte?« fragte er.

Der Angeredete trat näher und blickte dem Sprecher unter den breitrandigen Hut.

»Ah, Sennor Cortejo!« rief er. »Willkommen! Ich erkannte Euch nicht sogleich; habt Ihr nicht ein Pfeifchen voll Tabak für einen armen Burschen?«

»Das und noch viel mehr, wenn Du es Dir verdienen willst!«


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»Warum nicht! Ihr habt mir doch schon manchen schönen Duro zu verdienen gegeben. Giebt es vielleicht etwas, Sennor?«

»Möglich!«

»Schwer oder leicht?«

»Weiß noch nicht. Ist Mutter Zarba hier?«

»Ja. Sie sitzt dort am Feuer.«

»So will ich einmal absteigen. Haltet mein Pferd!«

Er stieg vom Pferde und begab sich an das Feuer. In dem Kessel kochten ein paar Hühner, ein Kaninchen, ein Kürbis und einige Heringe.

»Guten Abend!« grüßte er die Alte.

Sie rührte mit einem Stocke in dem Kessel herum, blickte sich gar nicht nach ihm um und fragte nur:

»Wer ist's?«

»Ein alter Freund.«

»Wie heißt er?«

»Das wirst Du sehen, wenn Du Dir ihn einmal ansiehst. Oder ist die einstige Rose der Gitanos so stolz geworden, daß sie ihre alten Bewunderer nicht mehr anblicken will?«

Jetzt endlich drehte sie sich langsam um. Es ist schwer, ja fast unmöglich die Jahre einer alten Zigeunerin zu errathen; ebenso konnte man das Alter auch dieses Weibes nicht bestimmen, aber das sah man noch heute, schön, sehr schön mußte sie in ihrer Jugend gewesen sein.

»Ah, Cortejo!« grüßte sie vertraut.

Sie stützte sich mit dem Stocke, der ihr jetzt als Rührlöffel gedient hatte, und erhob sich vom Boden. Ihr Gewand bestand nur aus Fetzen, aber ihre Haltung war stolz und gebieterisch.

»Ihr lebt also noch, Sennor?« fragte sie, ihn mit ihren blitzenden Augen messend. »Ich dachte, Ihr wäret längst schon dort, wohin Ihr gehört.«

»Und wo ist das?«

»Beim Teufel!«

»Ah,« lachte er, »ich sehe, daß Du noch immer die Alte bist.«

»Zarba bleibt ewig, wie sie ist,« antwortete sie.

»Wie lange bist Du hier?« fragte er.

»Hier? Seit Mittag erst.«

»Ich sah Euch früh noch nicht. Aber sag', Zarba, sind wir noch die alten Freunde?«

»Ja,« antwortete sie mit einem lauernden Blicke. »Oder haben wir uns beleidigt?«

»Ich weiß nichts davon.«

»Ich auch nicht. Es müßte deswegen sein, daß Ihr uns das letzte Mal so schlecht bezahltet!«

»Du bist bei guter Laune, Alte!« lachte er. »Gasparino zahlt stets gut.«

»Ich weiß es,« nickte sie; »aber er verlangt auch rüstige und verschwiegene Arbeit.«

»Ja, wie zum Beispiel jetzt,« stimmte er bei.


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»Ah, Ihr habt einen Auftrag?«

»Vielleicht.«

»Vielleicht! Was soll das heißen?«

»Das soll heißen, daß ich Euch ganz unvermuthet treffe. Ich bin also auf einen Auftrag nicht so recht vorbereitet.«

»Ihr denkt aber, daß es einen solchen geben kann?«

»Ja, wenn wir einig werden. Wie sind jetzt Eure Preise?«

»Hm, fast noch die alten,« antwortete sie.

»Ein Todter?«

»Tausend Duros.«

»Ein Verschwundener?«

»Fünfhundert Duros.«

»Eine Kasse, die Ihr holt, ohne sie zu öffnen?«

»Fünfhundert.«

»Einen Jungen oder ein Mädchen Euch zur Aufbewahrung übergeben?«

»Dreihundert.«

»Ein Grab öffnen?«

»Hundert.«

»Das sind allerdings die alten Preise. Seit wir uns nicht sahen, habe ich mit einem Anderen handieren müssen.«

»Ich weiß es,« nickte sie. »Mit dem Capitano. Seid Ihr zufrieden?«

»Nein. Ich wollte, ich hätte Euch vor kurzer Zeit gehabt!«

»So versucht es jetzt.«

»Wir wollen sehen! Also ein Todter kostet tausend Duros?«

»Ja, ein Gewöhnlicher nämlich.«

»Und ein Ungewöhnlicher?«

Da richte ich mich nach dem Stand und Reichthum.«

»Ein Graf zum Beispiel?«

»Der Tausend! Ihr wollt doch nicht -«

Sie sprach nicht weiter, deutete jedoch mit der Hand hinter sich nach Rodriganda zu.

»Hm! Möglich!« antwortete er.

»Todt oder verschwinden»«

»Das ist noch unentschieden.Wie würde der Preis sein?«

»Das ist auch noch unentschieden,« lachte sie. »Wir kommen s der Gegend -«

»Von Rodriganda her?«

»Ja.«

»War Eins von Euch auf dem Schlosse?«

»Ja, ich selbst.«

»Ah! Wie steht es dort? Gab es nichts Neues?«

»O doch!«

»Was?«

»Hm, der Graf hatte einen Anfall gehabt.«

»Was für einen?«


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»Das konnte ich nicht erfahren, doch hieß es, daß ihn ein Doktor Sternau herstellen werde.«

»Das soll ihm schwer fallen.«

»Aha! ich ahne. - Ihr scheint mit diesem Anfalle sehr vertraut tu sein!« forschte sie.

»Pah! Merke Dir einmal diesen Namen Sternau. Du wirst den Mann vielleicht bald kennen lernen. Hast Du heute Abend Zeit?«

»Ja.«

»Kannst Du einmal nach dem Parke kommen?«

»Gern. Nach welchem Orte?«

»An die große Korkeiche.«

»Die ich von früher her kenne? Gut, ich komme!«

»Ich verlasse mich darauf. Mit Gott!«

Diese Unterredung hatte unter vier Augen stattgefunden, denn die Zigeuner respektirten ihre Anführerin so, daß sie dergleichen Verhandlungen niemals zu belästigen wagten. Jetzt aber, als der Advokat wieder zu seinem Pferde zurückkehrte, drängte sich die ganze vagabundirende Gesellschaft an ihn heran. Er theilte seinen Tabak und seine Cigarretten aus, warf einige kleine Münzen unter die Kinder und ritt dann davon.

Das Zusammentreffen mit den Gitanos war ihm ein außerordentlich erwünschtes. Er hatte mit diesen Leuten, besonders aber mit ihrer Anführerin, bereits früher in Verbindung gestanden und hoffte, von ihrer jetzigen Gegenwart einen nicht geringen Nutzen zu ziehen.

Als er Rodriganda erreichte, herrschte dort wieder einmal eine tiefe Stille. Er übergab sein Pferd und ging nach seinem Zimmer, verließ dasselbe aber sehr bald, um seine fromme Freundin aufzusuchen. Er erfuhr von ihr Alles, was geschehen war.

»Bei allen Teufeln!« fluchte er. »Dieser Sternau sitzt auf jedem Sattel fest. Also den Schaum eines Gekitzelten verlangt er?«

»Ja.«

»Dann wird er den Grafen allerdings herstellen.«

»Ist dies das richtige Mittel?«

»Ja.«

»Er hat gehofft, daß der Graf, wenn ihm die Besinnung zurückkehrt, Denjenigen kennen werde, dem er das Gift verdankt. Willst Du nicht aufrichtig mit mir sein?«

»Pah!« antwortete er. »Ihr Weiber dürft nicht Alles wissen. Aber, hm, ja, dieser Graf darf seine Besinnung eben nicht wieder erhalten!«

»Wie wolltest Du dies anfangen?«

»Beim richtigen Zipfel!« antwortete er kurz und verließ seine Gefährtin.

In seinem Zimmer schritt er dann ruhelos auf und ab, bis er zu einem Entschlusse kam, den er fest entschlossen war, ausführen zu lassen.

Einige Zeit vor Mitternacht kehrte der Reitknecht von Barcelona zurück, welcher dem Arzte die Nachricht brachte, daß das Schiff den Hafen heute verlassen habe. Nur wenig später schlich sich der Advokat hinaus nach dem Parke. Er war


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heute um eine Erfahrung reicher geworden und benutzte diese, indem er sich sehr bemühte, keine Spuren zurückzulassen. Er traf Zarba an der Eiche seiner wartend. Sie versicherten sich zunächst, daß sie unbelauscht seien, und dann begannen sie ihr Gespräch, von welchem das Wohl und Wehe der besten Menschen abhängig war.

»Habt Ihr Euch nach dem Befinden des Grafen erkundigt?« fragte das Weib.

»Ja. Er muß sterben.«

»Wie habe ich das zu verstehen? Muß er durch seine Krankheit sterben?«

»Nein.«

»Wodurch sonst?«

»Durch Euch.«

»Ah! Das wird sehr viel kosten.«

»Wie viel?«

»Don Emanuel ist ein Graf!«

»Mache es kurz!«

»Und unendlich reich!«

»Ich sage, Du sollst es kurz machen! Wie viel verlangst Du?«

Die Zigeunerin that, als ob sie sich besinne und sagte dann:

»Wie viel bietet Ihr?«

»Ich biete nichts. Du hast zu fordern.«

»Die Bezahlung hängt auch von der Schwierigkeit der Arbeit ab.«

»Das weiß ich,« meinte der Advokat. »Ich habe mir Alles sehr reiflich überlegt. Don Emanuel muß zerschmettert werden.«

»Zerschmettert. Beim Himmel, das ist ein sonderbares Verlangen. Warum denn gerade das?«

»Weil er wahnsinnig ist.«

»Ah, ich verstehe! Er wird als Wahnsinniger bewacht; es gelingt ihm aber, seine Wächter zu täuschen; er entkommt und stürzt von irgend einem Felsen. Ist es so richtig?«

»Gerade so denke ich es mir,« antwortete der Notar.

»Wie aber kommen wir an ihn, wenn er bewacht wird?«

»Eigentliche Wächter hat er nicht. Nur der Arzt oder seine Tochter sind bei ihm. Sie befinden sich meist im Nebenzimmer. An die andere Seite des Krankenzimmers stößt die Bibliothek, zu welcher ich den Nachschlüssel besitze. Ich lasse Euch ein und das Weitere ist dann Sache Deiner Leute.«

»Garbo wird sie anführen.«

»Er ist befähigt zu solchen Streichen. Also was kostet die Sache, wenn sie gelingt?«

»Zehntausend Duros.«

»Waaaas! Du bist zehntausendmal verrückt!«

»Sennor, Ihr kennt mich! Ich bin theuer, aber ich arbeite gut und sorgfältig.«

»Das weiß ich.«

»Ferner müßt Ihr bedenken, welchen Werth der Tod des Grafen für Euch hat, Don Gasparino!«

»Hm! Und wie soll diese Summe bezahlt werden?«


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»Ich hole sie mir von Euch erst nach gelungener That. Seht Ihr nun, daß ich ehrlich bin?«

»Ja, ja, Du arbeitest allerdings anders, als der Capitano, der sich die Hälfte vorauszahlen läßt und dann den Auftrag nicht ausführt.«

»Er sollte sich schämen! Aber sagtet Ihr nicht, daß ich mir den Namen Sternau merken solle?«

»Ja.«

»Es ist der Arzt?«

»Kein Anderer.«

»Was ist's mit ihm?«

»Auch er muß fort!«

»Wann?«

»Nicht sogleich. Zwei Todesfälle würden zu auffallend sein.«

»Und wie soll er sterben?«

»Das werden wir später noch besprechen.«

»Also handelt es sich jetzt nur um Don Emanuel. Wann soll dies geschehen, Sennor Cortejo?«

»Morgen.«

»Wo treffen wir uns?«

»Gerade hier wieder.«

»Zu welcher Stunde?«

»Auch gerade zur jetzigen Zeit; um Mitternacht. Bist Du vielleicht selbst mit dabei?«

»Nein,« antwortete sie. »Solche Aufgaben sind nur für Männer. Ist Euch Garbo nicht sicher genug?«

»O ja.«

»So schlaft wohl, Sennor!«

»Gute Nacht!«

Sie schieden. Der Advokat schlich sich nach dem Schlosse zurück, welches er auch unbemerkt erreichte, und die Zigeunerin suchte ihr Lager zu erreichen, aber nicht allein. Kaum hatte sich nämlich der Notar entfernt, so erhob sich hinter dem Stamme der Eiche eine dunkle Gestalt.

»Hast Du Alles gehört, Garbo?« fragte die Zigeunermutter.

»Ja, Alles.«

»Also dieser Sennor Sternau, unser Schützling, soll sterben!« sagte sie höhnisch.

»Hahaha!« lachte der Gitano in sich hinein.

»Und der Graf! Möchtest Du ihn tödten?«

»Nein, Zarba.«

»Aber zehntausend Duros!«

»Ich habe darüber nachgedacht -« flüsterte der Zigeuner geheimnißvoll.

»Ah, Du hast einen Gedanken?«

»Einen vortrefflichen!«

»So laß ihn hören!«

»Als ich heute drüben in Loriba war, hörte ich, daß morgen der Bäcker begraben wird.«


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»Ah! Ich verstehe bereits,« meinte die schlaue Alte.

»Den Bäcker graben wir aus -«

»Ziehen ihm die Kleidung des Grafen an -«

»Und stürzen ihn vom Felsen.«

»So wird es gehen, Garbo. Was aber thun wir mit dem Grafen?«

»Den verbergen wir. Er kann uns später eine große Summe Geldes einbringen.«

»Verbergen, ja; aber wo?«

»Bei meinem Freunde Gabrillon auf dem Leuchtthurm.«

»Wirklich, das geht! Da hinauf kommt kein Mensch; da wird ihn niemals jemand suchen.«

»Also Du stimmst bei, Zarba?«

»Vollständig! Dieser Advokat Cortejo soll uns noch manche Summe zahlen müssen! Jetzt komm!« -

Als am nächsten Morgen der Lieutenant de Lautreville noch nicht wieder zurückgekehrt war, hegte man in Rodriganda nun die feste Ueberzeugung, daß ihm ein Leid geschehen sei. Sternau hielt es für das Beste, über seine Vermuthungen noch zu schweigen, als beschlossen wurde, nach Paris zu schreiben. Er hatte jetzt seine ganze Sorgfalt auf Don Emanuel zu verwenden.

Dieser lag in einer tiefen Schwäche. Er genoß die ihm dargereichten Lebensmittel und flüsterte den Namen Alimpo vor sich hin; das waren die einzigen Lebenszeichen, welche er gab.

Graf Alfonzo ließ sich im Krankenzimmer nicht sehen, Cortejo und die fromme Schwester auch nicht. Diese Drei saßen immer zusammen und hielten Berathung. Alfonzo wollte sich an die Gerichte wenden, um seine Ansprüche geltend zu machen, doch Cortejo veranlaßte ihn zu dem Versprechen, wenigstens noch einen Tag zu warten, ehe er diesen Entschluß zur Ausführung bringen werde.

So verging der Tag und der Abend brach herein.

Ungefähr Dreiviertelstunde im Nordosten von Rodriganda liegt ein nicht gar zu kleines Dorf, welches Loriba heißt. Dort war der Bäcker, ein reicher Mann, gestorben und heute begraben worden. Der Todtengräber, welcher mit im Dorfe, nicht aber in der Nähe des vor dem Orte liegenden Kirchhofes wohnte, hatte es nicht für nöthig gehalten, das Grab sofort aufzusetzen, sondern es nur so weit zugeworfen, daß es der Erde gleich war.

Es mochte um die elfte Stunde sein. Es schien kein Mond vom Himmel, aber die Sterne verbreiteten einen genügenden Schimmer, um zwei oder drei Schritte weit sehen zu können, da kam eine kleine Truppe phantastisch gekleideter Leute leise über die Felder gestiegen und schritt auf den Kirchhof zu. Es waren fünf erwachsene Zigeuner und drei Knaben. Diese Knaben wurden als Wächter ausgestellt, die anderen Fünf aber schwangen sich über die Mauer.

»Hast Du richtig aufgepaßt, Lorro? Weißt Du das Grab?« fragte der Eine von ihnen.

»Ich weiß es,« antwortete der Gefragte. »Kommt!«

Er schritt mit Sicherheit zwischen den alten Gräbern hindurch, denn er war heute während des Begräbnisses Zuschauer gewesen und führte sie zur richtigen


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Stelle. Dort angekommen, begannen sie sogleich ihre Arbeit. Die dazu gehörigen Hacken und Schaufeln hatten sie sich mit Leichtigkeit im Dorfe zusammengesucht.

Da die Erde sich noch nicht gesenkt hatte, sondern locker war, so ging ihre Arbeit nicht nur schnell, sondern auch ziemlich unhörbar von statten, so daß sie bereits nach fünfzehn Minuten auf den Sarg stießen. Nach kurzer Zeit bereits gelang es ihnen, denselben im jetzt offenen Grabe so aufzurichten, daß das Kopfende oben am Rande lehnte; dann öffneten sie ihn.

Derjenige, welcher Lorro genannt worden war, öffnete eine bisher versteckt gehaltene Blendlaterne und leuchtet der Leiche das starre Angesicht.

»Komm heraus, Alter!« sagte er. »Du sollst mit uns spazieren gehen!«

Der in seiner Grabesruhe gestörte Bäcker wurde herausgenommen und neben das Grab gelegt. Den Sarg legte man in seine vorige Lage nieder und dann wurde das Grab wieder zugefüllt und gerade so hergerichtet, wie sie es gefunden hatten. Mit Hilfe der Blendlaterne gelang es ihnen leicht, alle Spuren ihrer Anwesenheit zu beseitigen.

Hierauf nahmen zwei der Zigeuner die Leiche auf die Schulter und verschwanden mit ihr im Dunkel der Nacht; die Knaben kehrten nach ihrem Lager zurück, die übrigen drei Männer aber sputeten sich, noch zur rechten Zeit nach Rodriganda zu kommen.

Dort traf im Parke gerade um die Mitternachtsstunde der Advokat bei der Eiche ein und fand die Gitanos alle versammelt.

»Garbo?« fragte er.

»Hier bin ich,« meinte der Gerufene.

»Sind Alle da, oder müssen wir noch warten?«

»Wir sind vollzählig.«

»So kommt!«

Er schritt ihnen voran und führte sie über Stellen, an denen ihre Füße keine auffälligen Eindrücke hinterlassen konnten. Dann geleitete er sie durch dieselbe Thüre, durch welche er mit den Seeleuten eingedrungen war, in das Schloß. Hier brannte keine Lampe mehr und es wurde also die Blendlaterne hervorgezogen. Es ging mehrere Stiegen empor und wieder hinab, durch eine ganze Reihe von unbewohnten Zimmern hindurch bis in einen Raum, in welchem viele Bücherregale standen. Es war die Bibliothek.

»Wartet!« sagte der Advokat. »Ich werde rekognosziren.«

Er trat zu einer Thüre, welche er geräuschlos ein Spältchen breit aufzog, so daß er in das nebenanliegende Gemach blicken konnte. Er winkte Garbo herbei und fragte ihn flüsternd:

»Blicke hinein! Getraust Du Dich?«

Der Gitano trat an den Thürspalt, warf einen Blick in das Nebenzimmer und sagte leise:

»Ja, sofort.«

»Aber ohne bemerkt zu werden und die Mädchen zu wecken!«

»Jawohl! Ihr könnt uns vollständig trauen!«

»So holt ihn heraus!«

In der Nebenstube lag der kranke Graf. Er hatte ganz das Aussehen einer


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Leiche und regte sich nicht. Auf einem Divan saßen Rosa und Amy, beide in einen festen Schlaf versunken. Das Herzeleid des heutigen Tages hatte Beide so ermattet, daß sie nicht erwachten, als der Zigeuner hinüberhuschte und zunächst die Lampe verlöschte, welche das Krankenzimmer erleuchtete.

Sofort folgten ihm die Anderen. Der Advokat blieb zurück und lauschte. Er hörte nicht das allergeringste Geräusch, nicht einmal das leise Rauschen einer Falte des Bettes. In der nächsten Minute schon kehrten sie zurück, eine regungslose Last in den Händen.

»Schließt wieder zu, Sennor,« bat der Zigeuner, »und leuchtet dann!«

Man verfolgte denselben Weg, den man gekommen war, und gelangte unangefochten bis zur Eiche zurück. Der Advokat hatte weder einen Athemzug noch irgend eine Bewegung des Grafen bemerkt. Darum fragte er:

»Ist er bereits todt?«

»Ich glaube,« erwiderte Garbo. »Um ihn ruhig zu erhalten, mußte ich ihn ein wenig fest anfassen. Ich denke, es ist eins. Nicht, Sennor?«

»Ja,« antwortete der Advokat, indem er sich eines leisen Schauders doch nicht erwehren konnte. »Also Ihr wißt, wohin Ihr ihn zu schaffen habt?«

»Versteht sich!«

»Und wenn die Belohnung darauf ausgesetzt wird, meldest Du dich, Garbo.«

»Tragt keine Sorge, Sennor! Seid Ihr mit uns bisher zufrieden?«

»Vollständig.«

»So bitte ich mir das Geld aus.«

»Hier ist es! Wenn ich mit Euch zu sprechen habe, werde ich Euch aufsuchen. Gute Nacht!«

»Gute Nacht, Sennor!«

Sie entfernten sich mit ihrer Last und fanden am Ende des Parkes einen kleinen Handwagen, den sie hier versteckt hatten. Der Graf wurde auf denselben gelegt und vorsichtig weitertransportirt, bis man die Nähe des Zigeunerlagers erreichte.

Dort stießen sie auf eine Gruppe stiller Gestalten, deren eine sich bei ihrer Annäherung erhob. Es war die alte Zigeunermutter.

»Ist es gelungen?« fragte sie.

»Vollständig,« antwortete Garbo.

»Und der Graf?«

»Er ist ohnmächtig.«

»Hier sind Kleider für ihn. Zieht sie ihm an. Dann kommt er auf Deinen Wagen, Garbo, und Du bringst ihn sofort aus dem Lande hinaus. Aber ich binde Dir sein Leben auf die Seele! Und hier liegt die Leiche. Wir haben sie bereits ausgezogen. Legt ihr die Wäsche und Alles an, was Don Emanuel jetzt trägt, und dann fort mit ihr!«

Unterdessen war auch der Advokat nach dem Schlosse zurückgekehrt, aber sehr, sehr langsam und vorsichtig. Er war gewitzigt worden und hatte in der Nähe der Eiche einen Federbesen versteckt gehabt, welchen er jetzt benützte, die Spuren zu verwischen. Er erreichte sein Zimmer, ohne von Jemand bemerkt zu werden, legte


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sich aber nicht zum Schlafe nieder, da er an jedem Augenblicke den Hilferuf der beiden Damen erwarten konnte.

Aber es blieb Alles still. Der Morgen tagte, und er hatte sogar nun Zeit, in dem Parke nachzusehen, ob die Vertilgung der Spuren ihm auch wirklich gelungen sei.

Doktor Sternau hatte darauf bestanden, die Nacht bei dem Kranken zuzubringen, aber Rosa hatte ihm seinen Wunsch nicht erfüllt, sondern mit der Freundin die Nachtwache übernommen. Wie bereits bemerkt, waren sie zu ermüdet gewesen und so fest eingeschlafen, daß sie erst erwachten, als die Sonne bereits über den Horizont getreten war.

Auch Sternau war erwacht. Die Sorge um seinen Patienten hatte ihm keine Ruhe gelassen. Er erhob sich von seinem Lager, kleidete sich an und begab sich zu Graf Emanuel. Das Vorzimmer war von innen nicht verschlossen. Er trat ein und hörte in demselben Augenblicke aus dem Krankenzimmer einen zweistimmigen Doppelschrei.

Sogleich etwas Ungewöhnliches ahnend, eilte er hinzu und fand die beiden Mädchen vor dem leeren Krankenbette stehend.

»Ah! Wo ist der Graf?« fragte er.

»Ja, mein Gott, wo ist der Vater?« rief Rosa.

»Sie haben geschlafen?«

»Leider!« gestand sie, tief erröthend.

»Wir Beide zu gleicher Zeit,« fügte Amy hinzu.

Sternau unterließ es, ein rügendes Wort auszusprechen; er bemerkte nur einfach:

»Er kann nicht weit fort sein. Er war zu schwach zum Gehen.«

»War er nicht in einem der vorderen Zimmer?« fragte Rosa.

»Nein.«

»So ist er in der Bibliothek!«

Sternau öffnete die Thüre zu derselben, fand aber den Gesuchten nicht. Er suchte sogar in und unter den Möbels, aber ohne Erfolg.

»Ich begreife nicht, daß er das Bett und das Zimmer verlassen haben kann,« sagte er kopfschüttelnd. »Er war so schwach und litt an keinerlei körperlicher oder geistiger Aufregung. Auch die Fenster sind alle von innen verschlossen, also ein Sturz oder Sprung durch dieselben hinab ist gar nicht möglich. Man muß sofort im ganzen Schlosse nachsuchen.«

Jetzt nun begann sich eine Szene zu entwickeln, die ganz unmöglich beschrieben werden kann. Sämmtliche Bewohner des Schlosses wurden alarmirt und ausgefragt. Keiner hatte den Grafen gesehen und Keiner eine Spur von ihm bemerkt. Es wurde selbst der kleinste und entfernteste Winkel des Schlosses durchsucht und durchforscht, aber ohne allen Erfolg. Während der dadurch hervorgebrachten Aufregung blieben nur Drei vollständig ruhig und scheinbar unberührt - der Advokat, die Schwester Clarissa und Alfonzo. Sie saßen allein im Salon und ließen die Anderen suchen.

»Wo mag er nur sein?« fragte die Schwester.

Der Advokat lächelte überlegen und antwortete:


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»Sagte ich gestern unserem Alfonzo nicht, daß er nur bis heute warten solle?«

»Ah, ist es so!« rief sie, ganz begeistert. »Hast Du eine Ahnung, wo er sich befinden kann?«

»Hm! Er war verrückt; man hat ihn schlecht bewacht und so ist er im Delirium darauf gekommen, das Schloß zu verlassen. Ich befürchte sehr, daß ihm ein arger Unfall geschehen ist!«

»Ha, dann siegen die Gerechten endlich und die Ungerechten müssen unterliegen. Gottes Langmuth ist groß, nimmt aber endlich doch einmal ein Ende. Sollte er verunglückt sein, mein theurer Freund?«

»Das ist sehr leicht möglich.«

»Dann wäre unser Alfonzo ja augenblicklich unbestrittener Besitzer der ganzen Grafschaft!«

»Allerdings.«

»So darf er jetzt nicht länger zaudern. Geh, mein Alfonzo, geh, und nimm die Leitung der Nachforschung in Deine Hände!«

Der Angeredete wollte sich erheben, um diesen Worten Folge zu leisten, aber der Advokat hielt ihn zurück.

»Warte noch, mein Sohn!« sagte er. »Dieser Doktor Sternau hat sich zum Beherrscher der hiesigen Verhältnisse aufgeworfen. Er hat Deine Anordnungen zurückgewiesen und mag nun auch die Folgen tragen. Man wird schon selbst kommen, um auch uns zu fragen!«

Mit dieser Voraussetzung hatte er sehr recht, denn es dauerte nicht lange, so trat Rosa in der allerhöchsten Aufregung herein und rief:

»Aber, Alfonzo, der Vater ist verschwunden, und Du sitzest so ruhig hier!«

Der Angeredete zuckte einfach die Achsel und antwortete sehr gleichmüthig:

»Ich muß mich leider bescheiden; man hat mir ja das Recht, mit zu denken, mit zu reden und mit zu handeln gewaltthätig abgesprochen!«

»Das ist in der Weise, in welcher Du es zu meinen scheinst, ja keinem Menschen eingefallen!«

»Streiten wir uns nicht abermals! Ihr habt gethan, was Euch beliebte und müßt nun auch die Konsequenzen tragen. Wenn meinem Vater ein Unglück passirt sein sollte, so habt nur Ihr es zu verantworten; ich kann meine Hände in Unschuld waschen.«

»Aber der Vater muß sich doch irgendwo befinden!«

»Ist er denn nicht im Schlosse?«

»Nein.«

»So ist er also außerhalb des Schlosses zu suchen. Sennor Cortejo, Ihr seid der Sachwalter meines armen Vaters; nehmt Euch doch seiner und auch meiner an und veranlaßt die nöthigen Schritte, daß er gefunden wird!«

Der Advokat erhob sich mit Würde und fragte die Gräfin: »Wie war Don Emanuel bekleidet, Donna Rosa?«

»O mein Gott, fast gar nicht. Er lag ja krank und so schwach, daß an ein Erheben von dem Lager gar nicht gedacht werden konnte!«

»Das mag die Ansicht Sennor Sternau's gewesen sein; ich aber weiß, daß ein geistig Gestörter selbst beim schwächsten Körper zu fast riesenhaften Anstrengungen


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fähig ist. Ich werde Don Emanuel in der ganzen Umgegend suchen lassen und empfehle Ihnen, Demjenigen, der ihn findet, eine Belohnung ausschreiben zu lassen. Wir feuern damit die Thatkraft aller Derer an, die im Stande sind, uns zu nützen.«

»Ja, thun Sie das, Sennor, thun Sie das!« antwortete Rosa; dann eilte sie wieder fort.

»Nun, hatte ich nicht recht?« fragte Cortejo die beiden Anderen. »Jetzt trete ich als Sachwalter des Grafen auf, und ich will Den sehen, der mich nicht als solchen respektiren will.«

Sternau hatte sich gar bald von den anderen Suchenden getrennt. Ihm schien es unmöglich, daß der durch den Aderlaß so sehr geschwächte Graf auch nur das Bett und Zimmer, viel weniger aber das Schloß verlassen haben solle. Viel wahrscheinlicher hielt er eine gewaltsame Entfernung. Darum ging er hinaus umkreiste das Schloß, um nach Spuren zu suchen. Er fand nicht den geringsten Anhaltepunkt und mußte schließlich unverrichteter Dinge zurückkehren, um Rosa zu überwachen, welche sich in einer außerordentlichen, fieberhaften Aufregung befand.

Mittlerweile hatte der Advokat die Nachforschung in die die Hand genommen. Laufende und reitende Boten durcheilten die Umgegend, um die Bewohner zu Hilfe zu rufen und Demjenigen, welcher den Aufenthaltsort des Vermißten nachweisen könne, eine Belohnung von fünfhundert Duro's zu versprechen. Doch schien auch diese Maßregel ohne Erfolg zu sein. Der Tag verging, und der Abend brach herein; auch die Nacht ging, ohne daß sich eine Spur gefunden hatte, obgleich Hunderte von Menschen sich auf den Beinen befanden, um wo möglich die Belohnung zu verdienen. Am Morgen saß man im Speisesaale beim gemeinsamen Frühstücke, aber Keiner rührte die Speisen an. Das Unglück schien die Feindseligkeit der Partheien ausgeglichen zu haben, denn es hatten sich Alle eingefunden, die in letzter Zeit sich schroff begegnet waren. Da trat ein Diener ein und meldete einen Zigeuner, welcher den Herrschaften etwas zeigen wolle. Er wurde natürlich sofort eingelassen, da die Vermuthung nahe lag, daß er in der Angelegenheit komme, mit welcher sie sich Alle so außerordentlich beschäftigten.

Er trat ein. Es war Garbo. Er trug Sandalen, welche mit Riemen um die nackten Füße und Waden befestigt waren, eine kurze, zerrissene Hose, eine eben solche Jacke, und drehte den hohen, spitzen Hut sehr eifrig zwischen den Fingern, als wolle er mit dieser Beschäftigung gegen die Verlegenheit ankämpfen, die er in einer so vornehmen Gesellschaft empfinden mußte.

»Wer bist Du?« fragte ihn der Advokat.

»O nichts, als nur ein armer Gitano, Sennor,« antwortete er.

»Was willst Du hier bei uns?«

»Ich wollte Euch etwas zeigen.«

»Was ist es?«

»Erlaubt, daß ich es Euch erzähle!«

»So rede!«

Der Gitano spielte seine Rolle ganz vortrefflich. Sein Gesicht war so ehrlich und bieder, als ob niemals ein falscher Zug auf demselben Platz gehabt habe. Er räusperte sich und sagte dann:


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»Ich bin ein armer Gitano und verdiene mir mein Brot mit der Heilung aller Krankheiten der Menschen und der Thiere. Daher gehe ich viel in die Berge, um Kräuter zu suchen. Dies that ich auch heute Morgen. Ich kam an eine sehr steile Felsenwand, und da hing an einem Dorn ein Stückchen so feine Leinwand, wie ich noch gar keine gesehen habe. Es war eine Krone darauf, und darunter stand ein R. und ein S. - - -«

»Mein Gott, unser Wappen!« rief Rosa. »Mann, hast Du das Leinwandstück mitgenommen?«

»Ja. Ich hörte, daß ein reicher Don gesucht wird und nahm den Fetzen von dem Zweig hinweg. Dann stieg ich in die schauerliche Tiefe hinab, und da - und da fand ich - da fand ich - - -«

Er schüttelte sich, als ob er noch jetzt ein Grausen fühle, so daß er die Worte nicht aussprechen könne; aber Rosa war aufgesprungen, auf ihn zugetreten und befahl ihm:

»Sprich weiter, Mann! Was fandest Du?«

Halt!« sagte da Sternau, indem er näher trat. »Ich bitte die Damen, sich zu entfernen, ehe dieser Mann weiter erzählt!«

»Nein, ich bleibe; ich muß hören, was er spricht!« antwortete die Gräfin.

Sie stand so entschlossen da, und ihre Stimme klang so entschieden, daß Sternau jeden weiteren Einwand unterließ.

»Soll ich weiter erzählen?« fragte der Gitano.

»Ja, ich befehle es sogar!« antwortete sie.

»Ganz unten in der Tiefe lag - eine Leiche.«

»Eine Leiche!« rief sie, die Hände in Verzweiflung an einander schlagend. »O mein Vater, mein lieber, lieber, theurer Vater!«

Da legte ihr Sternau die Hand auf den Arm und sagte:

»Donna Rosa, fassen Sie sich! Noch ist nicht jede Hoffnung verloren. Die Leiche kann diejenige eines Fremden sein, oder der scheinbar Todte hat noch Leben in sich.«

»Nein, lebendig ist er nicht mehr, denn er ist ganz zerschmettert« sagte der Gitano.

»Hast Du den Leinwandfetzen mit?« fragte Graf Alfonzo.

»Ja.«

»Wo?«

»Hier ist er.«

Er zog aus der Tasche ein dreieckig gerissenes Stück feinster französischer Leinwand hervor und gab es dem jungen Grafen. Dieser warf einen Blick darauf und entschied sogleich: Unser Wappen! Ja, das ist es!«

»Zeige her!«

Mit diesen beiden Worten sprang Rosa auf ihn zu, zog die Leinwand aus seiner Hand und betrachtete das Wappen.

»Todt! Wirklich todt! O mein Gott, mein Gott!« hauchte sie, indem sie, um nicht zusammenzubrechen, sich auf den Tisch stützen mußte.

»Können Sie das genau sagen, Contezza?« frug Sternau in tiefster Bewegung.


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»Ja,« klang es matt zwischen ihren erbleichten Lippen hervor. »Es ist ein Stück des Oberhemdes, welches ich selbst ihm zuletzt noch anlegte, als der Aderlaß vorüber war. Ich erkenne es an der Nummer.« Und sich an den Zigeuner wendend, fuhr sie fort: »Sage schnell, wo er liegt!«

»Er liegt tief unten in dem Abgrunde, den man die Bateria nennt.«

Das spanische Wort Bateria bedeutet einen Mauer- oder Felsenbruch, also eine wilde, gefährliche Stelle. Als die Anwesenden dieses Wort hörten, wußten sie, daß von einem noch Lebendigsein gar keine Rede sein könne, denn die Bateria war eine mehrere Hundert Fuß tiefe Schlucht, die einen fürchterlichen Abgrund bildete, dessen Wände fast lothrecht hinabfielen. Wer in diesen Schlund stürzte, der war sicher vollständig zerschmettert und zermalmt.

»Ich weiß genug!« jammerte Rosa. »O mein Gott, ich bin seine Mörderin! Ich habe geschlafen, während er starb! Nie werde ich dies vergessen und überwinden können. Mein Vater! Mein Vater!«

Sie verließ, den Leinwandfetzen in der Hand, den Saal, und Amy Lindsay folgte ihr, um ihr in dieser schweren Stunde beizustehen.

»Kann man ohne Lebensgefahr zu der Leiche kommen?« fragte der Advokat den Zigeuner.

»Ja, wenn man die Felsen kennt.«

»Du kennst sie?«

»Ja.«

»Willst Du uns führen?«

»Ich werde es thun. Aber Sennor, ich bin ein armer Zigeuner!«

»Schon gut! Du wirst fünfhundert Duro's erhalten, wenn es wirklich die Leiche Dessen ist, den wir suchen. Don Alfonzo, Sie werden mitgehen müssen, um Ihren Vater zu recognosciren!«

Der Angeredete nickte schweigend. An Sternau erging keine Aufforderung, sich anzuschließen; er hatte dies auch nicht anders erwartet, obwohl es sich ganz von selbst verstand, daß er nicht zurückbleiben werde. Die Kunde, daß die Leiche des Grafen gefunden worden sei, verbreitete sich wie ein Lauffeuer durch das Schloß. Ein Jeder wollte mitgehen, sie aufzusuchen, und als sich endlich der Sachwalter nebst Alfonzo auf den Weg begaben, schlossen sich aus Schloß und Dorf so viele Begleiter an, als ob ein Wallfahrtszug gebildet werden sollte.

Sternau hatte erst noch bei Rosa angeklopft. Es war ihm, als könne das, was er jetzt erfahren hatte, nicht wahr sein, und er wollte der Geliebten so gern ein Wort des Trostes sagen, wurde aber gebeten, später wieder zu kommen, wenn der erste, niederschmetternde Eindruck der Trauerbotschaft überwunden sei. So machte also auch er sich zu dem schweren Gange fertig, aber er schloß sich nicht dem Advokaten und dessen Begleitern an, sondern er zog es vor, den Weg unter der alleinigen Begleitung des braven Kastellans zurückzulegen.

Die Bateria lag ungefähr eine halbe Stunde weit in der Richtung nach Manresa von Rodriganda entfernt. Auf ihrem dunklen Grunde floß ein Bach, dessen kaltes Wasser aber nur wenig Vegetation zu befeuchten hatte, da die Sonne niemals bis zum Boden der engen Schlucht dringen konnte. Es kam da selten ein Mensch hinab; die Schlucht war schwer zugänglich, aber Alimpo erklärte dem Arzte, daß er


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in früherer Zeit öfters unten gewesen sei und einen Zugang kenne, von welchem der Zigeuner wohl nichts wissen werde.

Der Advokat hatte einen reitenden Boten nach Manresa zu Doktor Cielli geschickt und auch den Alcalden von Rodriganda mitgenommen, so daß also die Besichtigung der Leiche einen obrigkeitlichen Character bekam. Auch mit einer Tragbahre hatte man sich versehen, um den Verunglückten gleich aufheben und mitnehmen zu können.

Da der dicke Alimpo kein großer Läufer war, so kam Sternau mit ihm später an der Bateria an, als der Advokat mit seinem Gefolge. Da aber der Zugang, welchen der Kastellan kannte, bequemer war, als der beschwerliche Abstieg, auf welchem der Gitano die Andern zur Tiefe führte, so erreichte Sternau zu gleicher Zeit mit der andern Partei den Grund der Schlucht.

Hier bot sich ihnen ein wahrhaft entsetzlicher Anblick. Hart am Ufer des Wassers lag die Leiche des Herabgestürzten. Sie war während des Sturzes auf den Felsenkanten und emporragenden Spitzen aufgeschlagen und dadurch so zerschmettert und zerrissen worden, daß sie keine menschliche Form mehr besaß. Sie bildete ein wirre, breiartige Masse, deren Anblick schaudern machte. Der Kopf war so zerschmettert, daß man weder die Gesichtszüge noch die Tour des Haares erkennen konnte. Der Leib war aufgerissen, und die Eingeweide hingen heraus; sie hatten sich um den Körper geschlungen, sahen vor Fäulniß bereits schwarz und verbreiteten einen Gestank, der kaum zu ertragen war.

Der gute Alimpo schlug entsetzt die Hände über dem Kopfe zusammen und brach in Thränen aus.

»O, die liebe, gute Erlaucht! Welch ein Tod, welch ein fürchterlicher Tod! Diesen Anblick werde ich niemals, niemals vergessen können!«

Auch die Andern brachen in Thränen und laute Klagen aus. Der Advokat stand wortlos dabei; Graf Alfonzo näherte sich den Ueberresten seines Vaters und versuchte, vor denselben niederzuknieen, fuhr aber zurück und sagte schaudernd:

»Unmöglich! Dieser Geruch ist nicht auszuhalten; er ist gradezu höllisch!«

Sternau warf einen ernsten Blick auf ihn und trat zu dem formlosen Klumpen. Er bückte sich nieder, um ihn genauer in Augenschein zu nehmen und zu untersuchen.

»Halt!« sagte da der Advokat mit einer abwehrenden Handbewegung. »Ich verbitte mir jede Berührung des Todten, bevor Sennor Cielli aus Manresa herbei gekommen ist!«

Sternau trat zurück und antwortete im Tone tiefster Verachtung:

»Ich will nicht untersuchen, ob Ihr das Recht habt, hier einen solchen Befehl auszusprechen; aber Doktor Cielli ist Gerichtsarzt, und so mag er der Erste sein, welcher diese Leiche berührt.«

»Ich habe als Sachwalter des seligen Grafen nicht nur das Recht, sondern sogar die Verpflichtung, darauf zu sehen, daß hier Alles nach Form des Gesetzes vorgenommen wird,« antwortete der Notar. Ich habe erklärt, daß der Graf wahnsinnig ist; ich habe darauf gedrungen, ihn streng bewachen zu lassen; Ihr habt mir widerstanden und ihn entspringen lassen; Ihr also seid ganz allein schuld an seinem schrecklichen Tode und dürft nicht erwarten, daß man auch fernerhin ruhig zusieht, daß Ihr Verwirrung und Unglück anrichtet an einem Orte, wo Ihr nicht hin gehört.«


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Sternau zuckte nur verächtlich die Achsel; einer wörtlichen Entgegnung hielt er den Notar nicht werth.

Es dauerte eine geraume Weile, bis der Manresaer Arzt kam. Während dieser Zeit hatten die Anwesenden Gelegenheit, über das Verhalten Sternaus sich zu verwundern. Er durchschritt die ganze Sohle des Thales und untersuchte jeden Fußbreit desselben. Er betrachtete jeden Stein, jede Felskante. Er stieg sogar unter Lebensgefahr an den steilen Felsen empor und untersuchte diejenige Stelle des Schluchtrandes, von welcher der Todte muthmaßlich herabgestürzt war.

Der Advokat beobachtete dieses mit höhnischen Blicken; es war ersichtlich, daß er sich darüber ärgerte, aber er konnte nichts dagegen thun.

Endlich kam Cielli. Er hatte, um rascher sein zu können, ein Pferd genommen, ließ dasselbe oben und stieg in den Abgrund hinab.

»Willkommen, Sennor!« rief ihm Cortejo entgegen. »Ich habe mit Schmerzen auf Euch gewartet.«

»Konnte nicht schneller, Don Gasparino,« lautete die Antwort.

»Ihr habt bereits gehört, um was es sich handelt?«

»Ja; Euer Bote erzählte es. Der arme Graf! So ein Ende! Ah, wer ist denn das, der da oben herumklettert, als ob er Hals und Beine brechen wollte?«

Er deutete nach oben, wo Sternau noch zwischen den Felsen und Steinen suchte.

»Es ist Euer berühmter Herr Kollege,« antwortete der Advokat. »Er scheint an der Wand dort oben Eiderdunen auszunehmen oder indianische Vogelnester zu suchen.«

Jetzt bemerkte Sternau, daß Cielli angekommen war, und stieg sofort hernieder. Dies geschah mit einer Schnelligkeit, daß den Zuschauern schwindlig wurde.

»Der Kerl klettert wie eine Katze,« meinte Cortejo.

»Schon mehr wie ein Affe, der er ja auch ist,« fügte Cielli bei. »Er will nichts versäumen.«

»Ich hoffe nicht, daß Ihr ihm irgend eine Bemerkung erlaubt, Sennor Doktor!«

»Fällt mir nicht ein!« antwortete Cielli. »Ich bin Gerichtsarzt und kenne meine Obliegenheiten. Uebrigens hat dieser Mann sich kein Verdienst um mich erworben, so daß ich zu irgend einer Freundlichkeit gegen ihn verpflichtet wäre. Wollen wir beginnen?«

»Ja.«

Diese Unterredung war mit halblauter Stimme geführt worden, so daß Niemand etwas davon hören konnte, desto deutlicher aber sprachen die Blicke, mit welchen Sternau, der jetzt herbeikam, empfangen wurde.

Der Alkalde erhielt einen Wink und trat mit dem Advokaten und Cielli zur Leiche.

»Ihr habt zunächst zu erklären, ob noch Leben in diesem Körper ist, Sennor!« sagte Gasparino Cortejo zu dem Arzte.

Dieser warf einen Blick auf die zermalmten Ueberreste und meinte:

»Leben? Unmöglich! Der Zerschmetterte ist vollständig todt!«

»Nehmt dies zu Protokoll, Alkalde!« gebot Cortejo. »Hierauf gilt es, zu bestimmen, welcher Art der Tod gewesen ist.«


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»Ein Sturz in den Abgrund,« antwortete der Arzt.

»Nehmt es zu Protokoll, Alkalde! Die Hauptsache ist nun, den Verunglückten zu rekognosziren. Er hat das Negligee des Grafen Emanuel de Rodriganda an; er ist barfuß gewesen, wie dieser im Bette gelegen hat; der Graf ist in einem Anfalle von Wahnsinn entsprungen - es ist kein Zweifel, dieser Todte ist der Graf. Stimmt Ihr bei, Doktor?«

»Ja.«

Cortejo wandte sich an den Kastellan:

»Sennor Alimpo, wißt Ihr, welches Gewand der Graf während der letzten Nacht getragen hat?«

»Ja; ich sah es, als meine Elvira es holte,« lautete die Antwort.

»Ist es dieses?«

Er deutete dabei auf die blutigen Leinwandfetzen, welche in dem Chaos von Fleisch, Knochen und Eingeweiden zu erkennen waren.

Der Kastellan trat näher und bückte sich über den Todten.

»Ja,« sagte er, »es ist das Nachtgewand des Grafen.«

Da deutete Cortejo nach einer bestimmten Stelle und sagte:

»Dieser Gitano hat oben am Felsen einen Fetzen des Gewandes gefunden; wir haben das Stück zwar nicht mitgebracht, aber es hat augenscheinlich hier an diese Stelle gehört. Es trägt das Wappen des Grafen. Er ist es. Die Anwesenden, welche Don Emanuel alle gekannt haben, mögen herbeitreten und sagen, ob sie glauben, daß es der Graf oder ein Anderer ist! «

Sie thaten es schaudernd, und Alle ohne Ausnahme erklärten, daß es Don Emanuel sei. Alimpo machte sogar eine nicht unwichtige Entdeckung:

»Sennores,« sagte er, »seht hier die Hand! An dem Finger befindet sich der Ring des gnädigen Herrn. Es ist sein Trauring; er hat niemals einen anderen getragen.«

Es war so, wie er sagte. Die Zigeuner hatten die Klugheit gehabt, dem Grafen den Ring abzuziehen und ihn der Leiche anzustecken.

»So ist kein Zweifel mehr vorhanden, daß es der Graf ist,« sagte Cortejo. »Alkalde, nehmt es zu Protokoll!«

Der Alkalde, welcher in Spanien so ziemlich die Stelle einnimmt, wie in Deutschland der Ortsrichter oder Bürgermeister, ließ sich von Cortejo das Protokoll diktiren, welches nach einigen weiteren Bemerkungen und Hinzufügungen unterschrieben wurde.

»Nun ladet ihn auf die Bahre,« befahl der Notar. »Wir schaffen ihn nach dem Schlosse!«

Die Träger nahten sich; da aber trat Sternau herzu, welcher den Vorgang bisher nur von weitem beobachtet hatte.

»Halt! sagte er. »Ich protestire gegen das Fortschaffen der Leiche. Sie gehört nicht auf das Schloß!«

»Ah!« machte Cortejo. »Glaubt Ihr, daß Ihr hier auch mit zu sprechen habt?«

»Sicher!«

»Aus welchem Grunde, oder in welcher Eigenschaft?«


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»Weil ich der Arzt des Grafen bin.«

»Jetzt nicht mehr!«

»Nun gut, so protestire ich gegen das Fortschaffen der Leiche in meiner Eigenschaft als Mensch; das ist genug. In einem Falle, wie der gegenwärtige ist, haben die Vertreter des Gesetzes die Verpflichtung, einen Jeden anzuhören, welcher eine wesentliche Bemerkung zur Sache zu machen hat.«

»Zugegeben, Sennor! Aber Eure Bemerkung schien mir keine wesentliche, sondern eine sehr sonderbare oder geradezu lächerliche zu sein. Weshalb gehört diese Leiche nicht auf das Schloß?«

Aller Augen richteten sich auf Sternau. Der Notar hatte in einem stolzen, wegwerfenden Tone gesprochen und Doktor Cielli gab sich die größte Mühe, ein höhnisches Lächeln hervorzubringen; auch der junge Graf schüttelte höchst malitiös und beleidigend mit dem Kopfe; aber die Anderen waren alle dem deutschen Arzte gewogen und warteten mit Spannung auf seine Erklärung. Er sagte sehr ruhig:

»Dieser Verunglückte gehört nicht auf das Schloß, weil er nicht Graf Emanuel, sondern ein vollständig Anderer ist.«

Während den Anderen ein Ausruf der Verwunderung entfuhr, ließen die Gegner Sternau's ein heiteres Gelächter hören.

»Ah! Wie köstlich!« rief der Notar. »Diese Leiche soll nicht Don Emanuel sein! Ich glaube, dieser Sennor Sternau leidet an derselben Krankheit, an welcher der gnädige Herr leider zu Grunde gegangen ist. Nehmt die Leiche auf, und fort damit! «

»Halt!« sagte Sternau. »Diese Leiche bleibt liegen, bis ich meine Gründe zu Protokoll gegeben habe. Dann könnt Ihr thun, was Euch beliebt.«

»Eure Gründe brauchen wir nicht. Vorwärts, Ihr Leute!«

»Verzeiht, Sennor Cortejo,« sagte der Alkalde. »Ich stehe hier an Stelle des Gesetzes und weiß, daß Sennor Sternau gehört werden muß. Eigentlich dürfte die Leiche nicht eher aufgehoben werden, als bis der Corregidor zugegen ist. So war es mit den Räubern, welche Sennor Sternau im Parke und Sennor de Lautreville bei Pons erschlug; sie mußten liegen bleiben. Hier glaubte ich eine Ausnahme machen zu können, weil nicht ein Verbrechen, sondern nur ein Unglücksfall vorzuliegen schien und weil diese Leiche mit größter Bestimmtheit als diejenige des Grafen recognoscirt wurde. Das liegt jetzt anders und nun hat hier kein anderer Mensch zu befehlen, als nur ich. Sennor Sternau, sprecht!«

Dieser nickte befriedigt und sagte:

»Ich frage Euch, Alkalde, wie lange Don Emanuel vermißt wird.«

»Seit gestern früh,« antwortete der Beamte. »Wie lange also kann er höchstens todt sein?«

»Nicht viel über einen Tag.«

»Nun wohl, seht Euch diese Leiche an! Sie ist bereits so von der Verwesung ergriffen, daß sie wenigstens vier Tage lang der Fäulniß verfallen ist. Seht diese Eingeweide! Sie sind bereits schwarzblau und zersprungen. Man braucht gar nicht Arzt zu sein; man braucht nur die Augen zu öffnen, um zu sehen, daß dieser Todte nicht vor erst vierundzwanzig Stunden gestorben sein kann. Dazu kommt, daß es hier unten kalt und feucht ist; kein Sonnenstrahl dringt herab. Eine Leiche in diesem


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Zustande müßte wenigstens zwei Wochen hier gelegen haben. Ich wende mich an das Denkvermögen der braven Bewohner von Rodriganda; sie werden sich von keiner verbrecherischen Gaukelei täuschen lassen - - -«

»Halt!« unterbrach hier der Notar den Sprecher. Ich verlange, daß dieser Mann zum Schweigen gebracht wird!«

Der Alkalde antwortete:

»Sennor Cortejo, ich werde Sennor Sternau vollständig anhören und dann selbst wissen, was ich zu thun habe!« Und sich zu Sternau wendend, sagte er: »Fahrt fort, Sennor!«

»Ich habe gesagt, daß ich mich an Euer Denkvermögen wende. Schlachtet eine Ziege, Alkalde, und legt sie hierher. In welcher Zeit wird sie wohl von der Fäulniß so angegriffen sein wie diese Leiche?«

»Ihr habt Recht; in wenigstens zwei Wochen,« antwortete der Beamte.

»Hört!« lachte Doktor Cielli. »Einen Menschen mit einer Ziege zu vergleichen!«

Sternau wandte sich mit größter Kaltblütigkeit an ihn:

»Ich gebrauchte dieses Beispiel, um mich diesen braven Leuten zu erklären. Bei ihnen hat es hingereicht, wie ich an ihren Mienen sehe, bei Euch aber nicht, der Ihr ein Arzt sein wollt. Das ist traurig genug!«

»Ich hoffe nicht, daß Ihr es wagen wollt, meiner zu spotten!« brauste Cielli auf.

»Ich bin von der Wichtigkeit dieses Augenblickes so überzeugt, daß ich nur im allerheiligsten Ernste spreche, Sennor. Und ich möchte Euch ersuchen, ebenso wie ich, unsere Verhandlungen nicht leicht zu nehmen! Den ersten Grund meiner Vermuthung habe ich angegeben. Jetzt kommt der zweite: Man messe hier den rechten Fuß der Leiche. Er ist noch vollständig ganz erhalten. Ich habe den Fuß des Grafen entblößt gesehen. Dieser gehört einem andern Manne an. Er ist breiter und größer als derjenige des Grafen und hat eine dicke, zerrissene Sohle und eine so hornartige Ferse, wie es bei einem Edelmanne, der nie barfuß geht und seine Füße pflegt, gar nicht vorkommen kann. Blickt her, Alkalde, und sagt, ob ich nicht recht habe!«

Die Leute aus Rodriganda traten herzu und gaben dem Deutschen Recht. Seine drei Feinde konnten nichts bemerken. Nur indirect entgegnete der Notar:

»Und das Gewand des Grafen?«

»Man wird es diesem Manne angelegt haben.«

»Und den Ring?«

»Hat man ihm angesteckt.«

»Ah, Ihr vermuthet also ein Verbrechen?«

»Allerdings! Seht Euch die Leiche genau an! Sie ist zwar aus einer schrecklichen Höhe herabgestürzt und dabei wiederholt auf dem Felsen aufgeschlagen, trotzdem aber kann sie dadurch nicht so ganz und gar zu Brei zermalmt werden, wie man es hier sieht. Ich behaupte, man hat diesen Mann aus der Höhe herabgestürzt, ist ihm dann nachgestiegen und hat diejenigen Theile seines Körpers, welche noch unverletzt waren und also verrathen konnten, daß es der Graf nicht ist, vollends zerstört.«

»Ah! Eine wirklich wahnwitzige Idee!« rief Alfonzo.

»Er ist nicht zu heilen!« sagte der Notar.


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Der Zigeuner war erbleicht, und selbst die Andern alle hielten die Ansicht des Deutschen für eine unbegründete und irrige. Dieser aber fuhr fort:

»Ich werde den Beweis meiner Behauptung sofort antreten.«

Er entfernte sich eine Strecke weit, hob dort einen Stein auf, brachte denselben dem Alkalden und frug:

»Was seht Ihr an diesem Stein?«

»Blut.«

»Nein. Es ist kein Blut. Zeigt ihn dem Sennor Cielli. Er wird Euch sagen, was es ist.«

Der Alkalde hielt dem Doktor den Stein entgegen. Dieser konnte nicht anders; er betrachtete ihn und sagte:

»Es ist kein Blut. Es ist Gehirn. Der Todte wird mit dem obern Theile des Kopfes darauf gefallen sein.«

»Nein,« antwortete der Deutsche. »Ich werde das Gegentheil beweisen. Folgt mir, Sennores!«

Er schritt der entgegengesetzten Seite, als diejenige war, wo der Stein gelegen hatte, zu, und deutete auf eine Vertiefung in im Boden, in welche der Stein genau paßte.

»Seht, Sennores, hier hat der Stein ziemlich fest in der Erde legen; er ist mit Anwendung von einiger Gewalt hinweg genommen worden. Da drüben habe ich ihn gefunden, und dazwischen liegt die Leiche. Man hat ihn also aufgehoben, der Leiche mit ihm den Kopf zerschmettert, so daß noch jetzt das Gehirn an ihm zu sehen ist, und ihn dann fort geworfen. Derjenige, welcher dies gethan hat, ist sehr unvorsichtig gewesen.«

»Wahrhaftig, es ist so!« rief der Alkalde erstaunt.

»Unmöglich! Das ist Alles nur Phantasie!« meinte Graf Alfonzo.

»Folgt mir nach oben, Sennores; ich will Euch noch etwas zeigen!« meinte Sternau.

Er stieg voran, und die Andern Alle folgten unwillkürlich hinter ihm drein. Oben am Rande der Bateria angekommen, wendete er sich rechts und blieb dann an der Kante des steilsten Felsenabfalles stehen.

»Seht her, Sennores!« sagte er. »Dies ist der Ort, von welchem die Leiche hinunter gefallen ist. Hier hat sie gelegen. Das Gras ist hoch und fett; es hat sich noch nicht wieder aufgerichtet. Der Eindruck hat ganz die Gestalt eines liegenden Menschen. Und um diesen Eindruck rundher haben wir die Tapfen verschiedener Füße. Es ist kein Zweifel; hier sind mehrere Männer gewesen; die Leiche hat hier gelegen und ist dann hinabgeworfen worden. Und dies ist heut in der Nacht geschehen, wie die Deutlichkeit der Spur beweist.«

»Welch' ein Scharfsinn!« rief der Alkalde.

»Verdammter Kerl!« brummte der Notar für sich.

Der Zigeuner war noch blässer geworden als vorher. Sternau, der alle Anwesenden scharf beobachtete, bemerkte es und fuhr, gegen den Alkalden gewendet, unerbittlich fort:

»Ich werde gleich sehen, ob auch Ihr ein wenig Scharfsinn besitzt, Sennor.


Ende der siebenten Lieferung - Fortsetzung folgt.



Karl May: Waldröschen

Karl May – Forschung und Werk