Lieferung 53

Karl May

24. November 1883

Waldröschen
oder
Die Rächerjagd rund um die Erde.

Großer Enthüllungsroman
über die
Geheimnisse der menschlichen Gesellschaft

von

Capitain Ramon Diaz de la Escosura.


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Ravenow fiel sofort mit einer Force aus, als ob es gelte, einen Elephanten niederzuschlagen; doch Curt parirte diesen Herkuleshieb mit einer Leichtigkeit und Grazie, als habe er einen Schulknaben vor sich, der anstatt des Säbels eine Gerte in der Hand trägt. Mit fast mehr als Gedankenschnelligkeit folgte sein Hieb dem meisterhaften Pariren, und in diesem Gegenhiebe, der von der Seite kam, lag eine so außerordentliche Kraft, daß Ravenow der Säbel aus der Hand weit fort geschleudert wurde.

»Mein erster Hieb!« zählte Curt gelassen, indem er seine Waffe senkte.

»Alle Wetter, das geht mit dem Teufel zu!« rief Ravenow. »Das ist mir noch nicht passirt, und wird mir auch nicht wieder passiren!«

Die Sekundanten kreuzten ihre Degen zwischen die Gegner, damit Curt den jetzt wehrlosen Ravenow nicht angreifen könne. Der Arzt hatte den Säbel geholt und gab ihn seinem Besitzer zurück, der nun sofort wieder auf Curt eindrang.

»Herbei, Bursche, jetzt gilts!« brüllte er.

Seine Waffe, oben stärker als am Griffe, sauste mit fürchterlicher Gewalt durch die Luft. Vom Baume her ließ sich ein halblauter Schrei vernehmen. Röschen stieß ihn aus. Es war ihr, als müsse Curt im nächsten Augenblicke mit gespaltenem Schädel zu Boden sinken aber - Niemand wußte, wie das möglich sein könne - er parirte auch diesen Hieb, und im nächsten Momente flog Ravenow's Säbel abermals weit fort.

»Mein zweiter Hieb!« erklang es kalt und fest.

»Alle Millionen Teufel!« zischte Ravenow, indem er selbst die Mensur verließ, um seine Waffe wieder aufzunehmen. »Habe ich es denn mit dem Satan zu thun! Aber ich bin wieder da. Jetzt gilt's das Leben!«

Er holte abermals aus.

»Nein, nur die Hand!« antwortete Curt.

Die zwei schweren Klingen blitzten gegeneinander; ein scharfes Klingen und ein lauter Schrei erscholl. Er kam aus Ravenow's Munde. Sein Säbel flog in einem hohen Bogen über die Lichtung, und mit Entsetzen sahen Alle, daß eine abgehauene Hand den Griff desselben noch umfaßt hielt.

»Mein dritter Hieb!« zählte Curt, indem er abermals den Säbel senkte. »Herr Doktor, sehen Sie, ob einer von uns Beiden dienstuntauglich geworden ist. Das war ja doch die Bedingung des Herrn von Ravenow.«

Dieser stand mit starren Augen unbeweglich auf dem Flecke; aus dem noch vom Hiebe hoch erhobenen Armstumpfe schoß ein dicker Strahl rothen Blutes. Dann wankte er, weniger von seiner Wunde, sondern vor Entsetzen über die fast übernatürliche Geschicklichkeit seines Feindes.

Sein Sekundant trat zu ihm, um ihn zu unterstützen. Der Verwundete brachte keinen Laut hervor. Er ließ sich von dem Arzte in das Gras niederziehen, betrachtete die Stelle, an welcher sich die Hand befunden hatte, und schloß die Augen, jedenfalls theils vor Scham und theils im Eindrucke des Bewußtseins, daß es nun mit seiner Carriére für immer zu Ende sei.

»Nun, Doctor, wie steht es?« fragte Curt.

»Die Hand ist unwiederbringlich fort,« antwortete dieser.


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»Das wußte ich, als sie noch daran war. Ich aber meine, ob eine Bedingung dieses Rencontres erfüllt ist!«

»Ja, der Herr Lieutenant wird aus dem Dienste treten.«

»So habe ich mein Wort gehalten und darf abtreten.«

»Und ich ebenso,« meinte Platen. »Aber ich muß bemerken, daß Herr Lieutenant Helmers bis zum Ende auf der Stelle blieb, welche er bei Beginn des Kampfes einnahm, während Herr von Golzen dem Lieutenant Ravenow erlaubte, die Mensur zu verlassen. Ich muß sehr bitten, solche Unzuträglichkeiten nicht wieder vorkommen zu lassen.«

Und zu Curt sagte er dann leise:

»Aber, um Gotteswillen, was sind Sie denn für ein Mensch? Sie stehen wie ein Gott und fechten wie ein Teufel. So etwas habe ich bisher für unmöglich gehalten! Ravenow wurde noch nie besiegt, und bei seinem zweiten Ausfalle glaubte ich Sie rettungslos verloren. Sie sind wirklich so etwas wie ein überirdisches Wesen. Sie haben sich meisterhaft benommen und eine Gewandtheit entwickelt, die man kaum für möglich hält. Dieses Duell wird von sich reden machen. Sind Sie mit der Pistole ebenso vertraut?«

»Ich denke es.«

»So brauche ich mich um Sie nicht zu sorgen. Aber entschuldigen Sie; ich muß doch einmal nach Ravenow sehen.«

»Gehen Sie immerhin; denn ich habe meine Dame zu berücksichtigen.«

Er schritt auf Röschen zu, welche ihm entgegenkam und ihm beide Hände bot.

»Du Starker, Du Herrlicher!« sagte sie. »Ja, Du bist ein würdiger Schüler meines Vaters; Du bist ein wirklicher und ganzer Held! Ich wußte es, aber einmal durchzuckte mich doch die fürchterlichste Todesangst.«

»Ich hörte Deinen Schrei.«

»Du hast ihn gehört? Ich dachte, Du würdest mitten entzwei gehauen.«

»Liebes Röschen, in dieser Gefahr stand ich allerdings, aber nicht der Ueberlegenheit Ravenow's wegen, sondern eben dieses Schreies wegen.«

»Ach, warum?«

»Dieser Angstschrei hätte das Auge jedes Andern von seinem Gegner ab- und zu Dir hingelenkt. Geschah das auch bei mir, so war ich verloren. In einem solchen Kampfe, bei dem es um das Leben geht und bei welchem zwei solche Fechter ihre Kräfte messen, kann der geringste störende Laut den sofortigen Tod bringen.«

»O, mein Gott, wie unvorsichtig bin ich gewesen!« rief das Mädchen, noch hinterher vor Schreck erbleichend.

»Laß' es gut sein,« beruhigte er sie. »Mich würde selbst ein Kanonenschlag nicht stören. Dein Angstruf ist mir vielmehr von Nutzen gewesen, denn als Du ihn ausstießest, flog das Auge Ravenow's unwillkürlich zu Dir hinüber, seine Aufmerksamkeit wurde abgelenkt, und dadurch gelang mir mein Kunsthieb leichter und besser, als ich erwartet hatte.«

»Aber dennoch werde ich es nicht wieder thun!«

»Ich bitte Dich dringend darum, denn bei dem Obersten würde ein Ablenken meines Blickes, das leiseste Zucken der kleinsten Muskelfaser noch viel gefährlicher für mich sein. Es ist keine Kleinigkeit, bei der vereinbarten Distance auf die Mün-


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dung einer Pistole zu zielen und zugleich den Augenblick zu erhaschen, an welchem der Finger des Gegners den Drücker berührt. Den zehnten Theil eines Momentes zu früh oder zu spät, den fünften Theil einer Linie zu weit rechts oder links, zu weit oben oder unten ist unbedingt verhängnißvoll für mich.«

»O, verlaß' Dich ganz sicher darauf, daß ich nicht die Lippe rühren werde!«

Während dieses Gespräches waren die Andern um Ravenow beschäftigt. Der Arzt arbeitete mit Sonde und Zange, um die Ader zu suchen, an dem glatt abgehauenen Stumpfe herum, und es dauerte lange Zeit, ehe die Blutung bewältigt und die Wunde verbunden war. Man hörte dabei das Knirschen von Ravenow's Zähnen, es mochte vor Wuth und auch vor Schmerz sein. Er hielt die jetzt offenen Augen auf die Hände des Arztes gerichtet und schoß nur zuweilen einen haßerfüllten Blick zu Curt hinüber.

Da trat Platen's Diener herbei und brachte den Säbel, welcher in der Nähe seines Wagens zur Erde geflogen war. Die Waffe bot einen schaurigen Anblick, denn die Hand des Verwundeten hielt noch immer den Griff umspannt. Die Finger mußten einzeln geöffnet werden, um das abgehauene Glied zu lösen. Dieser Anblick gab dem Verwundeten die Sprache wieder.

»Ein Krüppel!« stöhnte er. »Ein elender Krüppel! Oberst, wenn Sie mich nicht rächen, so zeigen alle Kinder auf Sie. Versprechen Sie mir, ihn niederzuschießen?«

»Ich verspreche es!« antwortete der Gefragte, überwältigt von dem Anblick des Verwundeten.

»Sie werden ihn nicht schonen?«

»Nein!«

»Auf Ihr Ehrenwort?

»Auf mein Ehrenwort.«

»Sie weisen jeden Sühneversuch zurück, ganz so wie ich?«

»Das versteht sich ganz von selbst.«

»Gut, das giebt mir meine Kräfte wieder. Doctor, ich muß den Kampf mit ansehen; Sie dürfen nicht widersprechen.«

Der Arzt machte ein bedenkliches Gesicht, sagte aber doch:

»Bei einer Verwundung wie die Ihrige ist jede Aufregung schädlich; aber dennoch will ich gestatten, daß Sie bleiben. Herr von Golzen mag Sie stützen. Eigentlich sollten Sie in Ihrem Wagen sofort nach Hause fahren.«

»Das würde gerade die größte Aufregung geben; sie würde mich tödten. Nein, ich muß diesen Menschen fallen sehen, durchbohrt von der Kugel des Obersten. Dann will ich gern auf meine Hand verzichten und ein Krüppel sein. Lassen Sie mich nicht warten, sondern beginnen Sie sofort.«

Platen hatte dieses Gespräch mit angehört, ohne für Curt das Wort zu ergreifen. Jetzt winkte er dem Adjutanten:

»Herr Kamerad, ich bin bereit, wenn es Ihnen gefällig ist.«

Branden nickte, und die Beiden begaben sich jetzt nach der Mitte des freien Platzes, um hier Wind und Sonne zu vertheilen. Die Distance wurde durch zwei in die Erde gesteckte Degen markirt, und dann holte der Adjutant den Pistolenkasten des Obersten herbei. Als Curt dies bemerkte, verließ er Röschen und kam


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langsam herangeschritten. Er ergriff eine der Pistolen, betrachtete sie mit Kennermiene und sagte:

»Sehr gut, ächte Kuchenreuter. Da ich auf sie nicht eingeübt bin, ist es mir hoffentlich gestattet einen Probeschuß zu thun?«

»Schießen Sie!« sagte der Sekundant seines Gegners kurz.

Ueber das Gesicht des Verwundeten glitt ein höhnisches Lächeln. Ein guter Schütze hat nicht nöthig einen Probeschuß zu thun.

Curt lud die Pistole und blickte sich nach einem Ziele um. An dem weit hervorragenden Aste einer Fichte hing eine große Zapfe. Er deutete auf dieselbe und sagte:

»Also diese Zapfe treffen!«

Er zielte lange, um seines Schusses sicher zu sein, und drückte dann los. Ein vielstimmiges »Hm« und Räuspern ließ sich hören. Er hatte nicht den Zapfen getroffen, sondern in der Entfernung von einer Eile davon, den Zweig, welcher herabfiel.

»Gott sei Dank, er schießt schlecht!« dachte der Oberst.

Ganz dasselbe dachten die Anderen. Platen nahm Gelegenheit, ihn zur Seite zu ziehen und meinte in höchster Besorgniß:

»Aber um Gotteswillen, lieber Helmers, wenn Sie der Pistole nicht besser mächtig sind, so sind Sie verloren! Der Oberst hat Ravenow sein Ehrenwort gegeben, daß er Sie ohne Gnade und Barmherzigkeit erschießen will.«

»Er mag es versuchen,« lautete die Antwort. »Uebrigens habe ich gefunden, daß diese Pistolen wirklich ausgezeichnet gearbeitet sind.«

»Wie? Sie spaßen noch? Trotz der Güte der Pistole haben Sie Ihr Ziel nicht getroffen.«

»Im Gegentheile, ich habe es sehr genau getroffen. Den Zapfen gab ich nur zum Scheine an; in Wirklichkeit aber zielte ich grad auf den Punkt des Zweiges, den ich getroffen habe. Sie wissen wohl, wem es gelingt, seinen Gegner irre zu leiten, der hat bereits halb gesiegt.«

»Ach, Sie sind, bei Gott, ein fürchterlicher Gegner,« sagte Platen. »Ich möchte mich um keinen Preis mit Ihnen schlagen. Jetzt wollen wir laden!«

Die beiden Sekundanten luden die Pistole mit größter Gewissenhaftigkeit. Es wurde ein Tuch darüber gedeckt, und nun zog sich jeder der Feinde eine der Waffen unter demselben hervor, um sich dann an Ort und Stelle zu begeben. Jetzt war die Zeit wiederum für den Rittmeister gekommen.

»Meine Herren,« begann er, »ich fühle die Verpflichtung -«

»Ruhig, Kamerad!« rief ihm da der Oberst zu. »Ich mag kein Wort hören!«

Er hatte gesehen, wie schlecht Curt scheinbar schoß, und fühlte nun die Ueberzeugung, daß er ihn tödten werde. Dies kräftigte sein Selbstbewußtsein und seine Sicherheit.

»Aber ich ersuche den Herrn Rittmeister, zu sprechen,« meinte Curt. »Man soll sich nicht morden, wenn es andere Wege zum Ausgleiche giebt. Ich erkläre mich für völlig zufrieden gestellt, wenn der Herr Oberst mich um Verzeihung bittet.«


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»Um Verzeihung?« rief dieser. »So kann nur ein Wahnsinniger sprechen! Ich halte unsere Vereinbarung fest, denn ich habe mein Ehrenwort gegeben, daß Einer von uns auf dem Platze bleibt.«

»Das genügt, um Ihrem Ehrenworte das meinige entgegenzusetzen. Wer sein Wort nicht einlöst, also Einer von uns Beiden, ist ein Schurke. Sie geben Ihr Ehrenwort, daß Einer von uns Beiden bleiben soll, und das soll natürlich ich sein; ich aber gebe mein Ehrenwort, daß Einer von uns Beiden dienstunfähig gemacht wird, und das werden natürlich Sie sein. Ich erkläre, daß unsere ersten beiden Schüsse nicht treffen werden, daß ich Ihnen aber mit meiner dritten Kugel die rechte Hand vollständig zerschmettern werde. Beginnen wir!«

»Ja, beginnen wir!« gebot der Oberst mit einem verächtlichen Lächeln. »Wir werden nicht Komödie spielen.«

Die gewöhnliche Aufstellung der Kämpfenden und Zeugenden erfolgte. Die beiden Gegner erhoben ihre Waffen. Der Oberst zielte nach der Brust Curts, dieser aber nach dem Pistolenlaufe des Ersteren. Da begann der Rittmeister langsam zu zählen:

»Eins - zwei - drei!«

Bei »Drei« krachten die beiden Schüsse - keine Kugel hatte getroffen.

»Der erste Schuß!« sagte Curt gleichmüthig, indem er seine Pistole an Platen gab, um sie wieder laden zu lassen.

Nach zwei Minuten war man fertig, und des Rittmeisters Stimme klang:

»Eins - zwei - drei!«

Es blitzte hüben und drüben auf, aber Beide standen abermals unversehrt.

»Der zweite Schuß!« zählte Curt.

Der Oberst zuckte zornig die Achseln.

»Das ist nur ein verdammter Zufall!« rief er. »Zum dritten Male werde ich nicht wieder fehlen. Jetzt gilt es das Leben!«

»Nein, nur die Hand!«

Bei diesen Worten nahm Curt die wieder geladene Pistole in Empfang und erhob sie. Der Oberst zielte so genau wie möglich. Er war bereits unruhig geworden. Woher die Fehlschüsse? Verstand dieser Helmers zu zaubern? Er zählte jetzt die Schüsse in demselben Tone und mit derselben Kaltblütigkeit, wie er vorhin die Hiebe gezählt hatte!

Diese Gedanken raubten dem Oberst seine Unbefangenheit. Curt zielte jetzt nicht auf die Mündung der Pistole sondern auf die Hand, welche dieselbe umspannt hielt. Ein leises Neigen seines Kopfes nach der Seite hin, auf welcher der Rittmeister stand, deutete an, daß er den Kommandoworten desselben jetzt mehr Aufmerksamkeit schenkte als vorher. Es galt jetzt dem Gegner zuvorzukommen; natürlich durfte dies nicht ein so bemerkbares Intervall betragen, daß man es unehrlich hätte nennen können; es handelte sich vielmehr darum, nur einen kleinen, kleinen Augenblick eher abzudrücken. Jetzt begann der Rittmeister zum dritten Male:

»Eins - zwei - drei!«

Die Schüsse krachten.

»Herrgott!« rief zu gleicher Zeit der Oberst und fuhr einige Schritte zurück.

»Der dritte Schuß!« zählte Curt mit unbewegten Gesichtszügen.


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Das abgeschossene Pistol des Obersten fiel zur Erde, während er selbst mit seiner linken Hand nach dem rechten Arme langte.

»Sie sind getroffen?« fragte der Sekundant, indem er herbei sprang.

»Ja, in die Hand,« antwortete der Verwundete.

Auch der Arzt eilte herbei und ergriff den Arm, um die Verwundung zu untersuchen. Er schüttelte den Kopf und blickte mit einer Art von Entsetzen zu Curt herüber, welcher kalt und unbeweglich auf seinem Platze stand.

»Zerschmettert, vollständig zerschmettert,« erklärte er, indem er mit der Scheere den Aermel bis zum Ellebogen aufschnitt. »Die Kugel ist durch die Hand gegangen, hat sodann das Handgelenk zerrissen und ist sodann in den Unterarm eingedrungen, da hat sie die Röhre zerschmettert und ist hier durch den Rock wieder herausgedrungen. Sie kann nicht weit von hier liegen.«

»Kann die Hand gerettet werden?« fragte der Oberst voller Angst.

»Nein, ganz unmöglich; sie muß herunter!«

»Also dienstunfähig?« fragte Curt.

»Vollständig!« antwortete der Arzt, dem es vor Curt fast zu grauen begann.

»So kann ich meinen Posten hier verlassen,« meinte dieser. »Die Herren werden mir zugeben, daß ich mein Ehrenwort eingelöst habe; dasjenige des Herrn Obersten nehme ich mit, er hat nun keins mehr.«

Er warf das Pistol zur Erde und schritt davon. Röschen erwartete ihn leuchtenden Auges. Es lag eine ganze Welt voll Stolz in ihren Blicken.

»Du hast wieder gesiegt!« sagte sie in unterdrücktem, aber doch fast auf jauchzendem Tone. »Ich wußte es, Dich kann Keiner überwinden. Ist seine Hand wirklich verloren, lieber Curt?«

»Ja, er kann niemals wieder den Säbel führen.«

»Das ist gerecht und doch schaurig zugleich. Komm, laß uns fortgehen!«

»Wir müssen doch auf Platen warten, liebe Rosita. Ich will Dir sagen, daß ich jetzt nun wieder Athem hole. Ich bin meines Schusses sicher, aber das Gelingen desselben hängt von Vielem ab. Ich ziele ganz genau auf die Mündung meines Gegners, aber dieser darf während des Abdrückens ein wenig wanken, so treffen sich die Kugeln nicht, sondern uns. Darum muß man dieses Wanken des Feindes verhüten, und zwar dadurch, daß man ihn sicher macht, so daß er ruhig zielt. Zu diesem Zwecke habe ich zuvor einen scheinbaren Fehlschuß gethan.«

»Ah! Du wolltest die Zapfe nicht treffen?«

»Nein. Daß ich sie nicht traf, gab dem Obersten seine ganze Besonnenheit zurück. Sein Visiren war in Folge dessen fest und genau, darum das meinige auch, und so gelangen mir meine drei Schüsse. Doch komm, laß uns einstweilen zum Wagen gehen. Platen wird bald nachkommen.«

Dieser war allerdings auf dem Kampfplatze stehen geblieben. Er konnte nicht begreifen, wie Curt den Verlauf des Kampfes so genau hatte vorher bestimmen können, und sah dem Arzte zu, welcher sein Messer in einer Weise gebrauchte, daß der Oberst den Schmerz nicht verbeißen konnte.

»Auch ich ein Krüppel, auch ich!« rief dieser. »Ravenow, hören Sie es?«

»Ob ich es höre?« antwortete dieser, trotz seiner Schwäche am Arme Golzen's


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herbeitretend. »Ich höre es nicht blos, sondern ich sehe es auch. Mit diesem Menschen ist der Satan im Bunde. Ich hoffe, daß er ihn bald zur Hölle holt!«

»Du irrst,« meinte Platen ernst. »Was Du Satan nennst, besteht nur in einer ganz außerordentlichen Uebung und Geschicklichkeit in Führung der Waffen. Er ist mein Freund und ich darf nicht ruhig zuhören, wenn man nach solchen Beweisen von Muth, Ehrgefühl, Hochsinn und Brauchbarkeit, wie er sie gegeben hat, noch immer fortfährt, ihn zu lästern. Nicht er ist es gewesen, welcher beleidigt hat, und dennoch wollte er kein Blut, trotzdem er den Ausgang genau kannte, den wir hier leider vor uns sehen. Ihr wolltet ihn tödten oder wenigstens dienstunfähig machen, nun seid Ihr es selbst. Dazu kommt die Strafe, die Euch erwartet, und der Ihr nur dann entgeht, wenn Euch sein Einfluß vor ihr rettet. Wer nach Thatsachen, die so laut für ihn sprechen, ihn noch immer schändet, der ist kein Ehren- und auch kein verständiger Mann. Verliere ich wegen dieser meiner Offenheit Eure Freundschaft, so muß ich es tragen, doch die seinige wird mich entschädigen. Gleich sein erstes Auftreten hat mir bewiesen, daß er kein Alltagsmensch sei, den man mit gewöhnlichen Zahlen berechnen muß; das konnte ein jeder Andere ebenso bemerken. Ich habe vermitteln wollen, man hat es jedoch nicht berücksichtigt; ich sage wie vorhin der Herr Rittmeister, als man seinen Sühneversuch zurückwies: Ich wasche meine Hände in Unschuld. Adieu!«

Er ging, ohne eine Antwort abzuwarten, und fuhr mit Curt und Röschen davon. Er hatte als wahrer Freund seines Freundes gehandelt und gesprochen.

»Ich bin ganz steif vor Staunen,« rief Ravenow. »Dieser Platen hat ein sehr gutes Talent zum Beichtvater. Wäre ich nicht verwundet, so forderte ich ihn vor die Klinge, um ihm eine Tonsur zu scheeren!«

»Der Löwe ist verwundet, da bellen ihn die Schakale an,« fügte der Oberst hinzu. »Aber es ist doch noch nicht zu Ende mit uns. Au, Doctor! Was schneiden Sie denn? Glauben Sie, eine Cotellette vor sich zu haben!«

»Sie müssen es aushalten, Herr Oberst,« antwortete der Gescholtene. »Ich habe nur noch diesen Hautfetzen übrig, dann ist die Hand herunter.«

»Daß es auch die Rechte ist!« stöhnte Ravenow vor Grimm.

»Aber ich werde mich mit der Linken üben, und sobald ich einen sicheren Schuß habe, fordere ich ihn. Dann soll er mir nicht zum zweiten Male entgehen!«

»Regen Sie sich nicht weiter auf,« bat der Arzt. »Herr von Golzen, führen Sie den Herrn Lieutenant nach seinem Wagen. Er mag nach Hause fahren, ich werde in einer Stunde bei ihm sein.«

»Meinetwegen,« sagte Ravenow. »Hier ist doch nichts mehr zu thun.« Und mit höhnisch cynischem Lächeln setzte er hinzu: »Herr Oberst, ich bin unwohl, darf ich um einigen Urlaub bitten?«

»Gehen Sie!« brummte der Vorgesetzte. »Ich befinde mich genau in derselben Lage und bin sehr neugierig, wie diese Krankheit sich nach oben hin entwickeln wird. Machen Sie, daß Sie zu Ende kommen, Doctor; oder halten Sie es vielleicht für eine Annehmlichkeit, an Ihr verdammtes Messer geliefert zu sein!«

In kurzer Zeit rollten die Wagen von dannen und die Waldblöße lag im Morgenlichte wieder so still und einsam da wie vorher. Man nennt den Zweikampf ein Gottesgericht, er ist es nicht immer, hier aber war er es gewesen.


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An derselben Ecke, an welcher er sie erwartet hatte, nahmen Curt und Röschen Abschied von Platen.

»Was werden Sie thun?« fragte dieser. »Sich freiwillig melden?«

»Ich weiß es noch nicht,« antwortete Curt. »Die freiwillige Meldung wird wohl das Beste sein. Zunächst bin ich müde und werde mich ausruhen, dann wird es sich ja finden, was zu beschließen ist.«

»Bei mir ist von Schlaf keine Rede, denn der Dienst hält mich wach. Nun fehlen der Oberst und Ravenow. Ich ahne, daß ich heute einen sehr unruhigen Tag haben werde. Adieu, lieber Helmers. Adieu, gnädiges Fräulein!«

Er fuhr mit seinem Wagen davon, während das schöne, junge Paar die kurze Strecke bis zum Palais zu Fuße zurücklegte.

Dort war noch Niemand auf und sie konnten eintreten, ohne bemerkt zu werden. Röschen begleitete Curt zunächst nach seinem Zimmer, der Weg nach dem ihrigen führte dort vorüber. Er öffnete und trat ein und sie folgte, um sich da von ihm zu verabschieden.

»Weißt Du wirklich nicht, was Du thun wirst?« fragte sie ihn.

»Nein. Eigentlich hätte ich meinem Obersten Mittheilung von der Sache zu machen, da dieser aber selbst betheiligt war, so verbietet sich das von selbst. Wir wollen ausruhen, Röschen, dann werden wir uns überlegen, was zu thun ist. Für jetzt danke ich Gott, daß ich dem Tode entgangen bin, dem ich geweiht war. Weißt Du, unter welchem Schutz ich in dieser Gefahr gestanden habe?«

»Nun?«

»Unter dem Deinigen.«

»O nein,« lächelte sie. »Du hättest ja sogar einen dummen Angstruf fast mit dem Leben bezahlen müssen!«

»Aber ich hatte den Talisman bei mir, den Du mir gegeben hast.«

»Ah, meine Schleife! Ja, Du warst ein tapferer Ritter und hast die Ehre Deines Burgfräuleins gar wacker vertheidigt.«

»Was aber soll nun mit dem Talisman werden? Forderst Du ihn zurück?«

Sie erröthete, sagte aber:

»Das wird sich auch mit finden, wenn wir ausgeruht haben. Solche wichtige Dinge müssen genau überlegt sein.«

»Jetzt bist Du einmal eine recht böse Rosita!« schmollte er.

»Warum?«

»Weil Du nicht Wort hältst. Du versprachst mir ja die Entscheidung für jetzt. Sie sollte von dem Kampfe abhängen.«

»Hm, ja, es ist möglich, daß ich dies gesagt habe. Aber ist es mit dieser Entscheidung denn gar so sehr eilig?«

»Das versteht sich!« lachte er fröhlich. »Ich muß wirklich wissen, ob der Talisman ausgelöst werden soll oder nicht.«

»Mit einem Kusse?«

»Ja, mit einem Kusse.«

Sie stand vor ihm so hold und lieblich. Die Morgensonne blickte zum Fenster herein und umarmte das schöne Mädchen mit warmen Strahlen. Waren diese Strahlen schuld oder etwas Anderes, daß ihre Augen auf einmal so tief erglänzten


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und ihre Wangen sich so zaubrisch färbten? Waren es diese Strahlen, welche um die schöne, jungfräuliche Büste wogten, oder war es ihr Busen, welcher sich so tief hob und senkte?

Da legte sie ihm die Hand auf den Arm und sagte:

»Lieber Curt, weißt Du, daß ich mit Dir recht sehr zufrieden bin? Du warst ein wirklicher, echter Held, Du konntest Beide tödten und hast es doch nicht gethan. Du hast, um mich zu rächen, Dein Leben gewagt, darum will ich den Talisman einlösen, wenn es Dir recht ist.«

»Mit einem Kusse?« fragte er, jetzt beinahe selbst erröthend.

»Ja, denn so war es doch ausgemacht.«

»Und jetzt gleich?«

»Natürlich! Du hattest es ja so gar sehr eilig!«

Da griff er in die Brust, zog die Schleife hervor und reichte sie ihr hin.

»Hier ist sie, Rosita.«

»Und hier ist der Kuß!«

Sie gab ihm einen Kuss.

Sie legte ihm schnell die kleinen Händchen auf die Achseln, näherte ihr lieblich gespitztes Mündchen seinen Lippen und gab ihm einen Kuß, so fein, so vorsichtig, so leise tastend, wie ein spielendes Kind seine Puppe küßt.

»Ah, das ist ein Kuß?« fragte er, doch ein wenig enttäuscht.

Er hatte nicht einmal den Arm um sie legen können, so schnell war sie zurückgewichen.

»Ich denke es,« lachte sie schelmisch. »Oder war es etwas Anderes?«

»Es war ein Kuß, aber so einer, wie man zum Beispiel eine alte Tante küßt, die eine recht häßliche, lange Nase hat und einige Warzen darauf.«

»Hast Du schon viele Tanten geküßt, weil Du das so genau weißt?«

»O nein, denn alte Tanten küßt man nicht sehr gern.«

»Wen sonst?«

»Junge, hübsche Röschens!« antwortete er.

»Geh, das sollst Du mir nicht sagen! Dafür muß ich Dich bestrafen. Ich mag nun Deinen Talisman gar nicht. Hier, nimm ihn wieder!«

Er griff hastig nach der Schleife, legte sie hinter sich auf den Tisch und meinte mit einer sehr wichtigen Miene:

»Aber das geht nicht so schnell!«

»Was denn, lieber Curt?«

»Die Rücklieferung eines Talismanes. In so wichtigen Dingen muß man sehr gerecht und uneigennützig handeln.«

»Das bist Du ja stets. Aber wie ist das hier gemeint?«

»Du hattest den Talisman bezahlt. Wenn Du mir ihn wiedergiebst, so bin ich verpflichtet, Dir den Preis zurückzuerstatten.«

Er sah sie mit Augen an, wie sie sie bei ihm noch gar nicht bemerkt hatte. Ihr Herzchen klopfte, es wurde ihr so warm auf der Stirn und an den Schläfen, so heiß auf den Wangen, es war ihr beinahe so, als ob ihre Kniee gar ein wenig zitterten. Und da plötzlich wurde es ihr so roth vor den Augen, noch dunkler und immer dunkler. Sah sie nicht mehr oder hatte sie die Augen zugemacht? Sie wußte es selbst nicht. Sie fühlte nur, daß sich ein Arm ihr um die Schulter legte,


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dann schlang sich ein anderer um ihre Taille. Sie stand gar nicht mehr im Zimmer, sondern sie flog durch den Aether, ja wirklich, sie hatte Flügel, und rund um sie glänzten tausend Sonnen, Millionen Engel sangen wundersüße Psalmen und der liebe Gott blickte so gnädig in all den Jubel drein. Das sah und das hörte, das fühlte sie. Und doch war es nur ein Traum, ein Traum, der höchstens einige Augenblicke gedauert hatte, denn sie war ja wieder auf der Erde, hier im Zimmer. Sie fühlte sich von den beiden Armen leise gezogen, bis ihr Köpfchen an einem Herzen lag, welches sie laut und heftig pochen hörte. Und dann legten sich zwei Finger warm unter ihr Kinn, um dasselbe sanft und leise emporzuheben, und eine Stimme, die sie gar wohl kannte, aber noch nie so mild, so tief erzitternd gehört hatte, sagte in flehendem Tone:

»Rosita, bitte, mache Deine lieben Augen auf!«

Sie konnte nicht antworten, denn ihr Herz war zum Zerspringen voll, aber es war kein einziges Wort darin. Und wieder bat diese klare, innige Stimme:

»Röschen, liebes Röschen, blicke mich doch einmal an!«

»Nein!« hauchte sie, so daß er es kaum hören konnte.

»Warum nicht?«

»Ich kann nicht!«

»Weshalb nicht?«

»Weil - weil ich mich so sehr fürchte!«

»Vor mir etwa? Bist Du mir vielleicht bös, meine Rosita?«

»O nein, Curt!«

»Gar nicht?«

»Gar nicht!« flüsterte sie.

»O, dann will ich Dir die Augen heilen, die Du nicht öffnen kannst!«

Und jetzt fühlte sie zwei warme Lippen erst auf dem rechten und dann auf dem linken Auge. Nun drückten sie sich gar auf die beiden neckischen Grübchen in den Wangen. Das war doch sonderbar, so daß man die Augen wirklich öffnen mußte, wenn auch nur ein ganz, ganz klein wenig. Aber sie schlossen sich sofort wieder, denn sie wurden förmlich geblendet von einem Blicke, welcher von oben herab in sie hineinleuchtete, wie ein heller, wonniger Sonnenstrahl in das krystallene Blau eines tiefen, jungfräulichen Bergsee's. Und dann erschrak sie so sehr, daß sie am ganzen Körper zusammenzuckte, denn die beiden warmen Lippen berührten nun sogar ihren Mund, erst leise, wie sich die Augenwimpern auf die Lider legen, dann fester und fester - war denn das ein Kuß? Nein, das war ein großer, ein gewaltiger Raub, ihre Seele wurde ihr genommen, sie fühlte, wie dieselbe durch die Lippen entwich, hinüber zu Dem, in dessen Armen sie lag, in den Armen, die sich jetzt empor um sie schlangen, so daß ihr Busen warm an seinem Herzen wogte. Und seine Lippen lösten und senkten sich immer wieder auf ihren Mund. Sollte sie sich wehren? O nein, sie war ja gefangen, sie konnte ja nicht. Und bös war sie ja auch nicht auf ihn, denn da jetzt seine leise Frage erklang: »Zürnst Du mir, meine Rosita?« da trieb es aus der tiefsten Tiefe ihres Inneren empor, ihm zu antworten:

»Nein, mein lieber Curt.«

Und nun küßte er sie wieder, sie konnte gar nicht zählen, wie viele Male, bis


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draußen auf dem Corridore der schlürfende Schritt des Hausmeisters erklang, der sein Tagewerk beginnen wollte.

Da, jetzt erst öffnete sie die Augen, denn Curt hatte seine Arme von ihr genommen, so rasch, als ob der alte Hausmeister hätte eintreten wollen. Er stand vor ihr so, wie sie ihn noch gar niemals gesehen hatte. Das waren seine Augen nicht mehr und auch sein Gesicht nicht, und dennoch war er es. Kam es vielleicht daher, daß ihre Seele zu ihm hinüber gegangen war? Und jetzt nahm er sie bei den Händen, schaute ihr tief in die Augen und sagte mit einem Lächeln, wie sie es vorhin bei den Engeln im Himmel gesehen hatte:

»Siehst Du, meine liebe Rosita, das war ein Kuß!«

Bei diesem Tone seiner Stimme kehrte ihr voriges Wesen zurück, so daß sie neckisch fragen konnte:

»Nicht wie bei einer Tante?«

»Bei einer alten!«

»Mit einer langen Nase!«

»Und viele Warzen darauf!«

Und nun lachten die Beiden so herzlich über die Tante und die Nase und die Warzen, daß sie es gar nicht merkte, daß er ihr wieder einen Kuß gab und noch einen und noch mehrere und viele, bis die Nase doch nicht ganz so lang war, wie die lange Reihe von Küssen, und sie endlich vor einander standen und sich nur noch bei den Händen hielten, um Abschied von einander zu nehmen. Sie hatten das Duell vergessen, er hatte ferner vergessen, daß sein Vater ein Schiffer sei, und sie, daß sie die Enkelin eines Herzogs war. Und daran war nur der lange, süße Kuß schuld gewesen.

»Nun gehe ich,« sagte sie, als müsse sie sich entschuldigen.

»O, wie ist das so schade,« antwortete er, als habe er ein entsetzlich großes Recht auf ihre Gegenwart.

Dafür mußte er gestraft werden. Daher entzog sie ihm ihre beiden kleinen Händchen und wandte sich nach der Thür, um zu gehen. Aber der Mensch ist leider so inconsequent; sie drehte sich gleich wieder herum, gab ihm ihre Hände zurück und meinte:

»Ich muß aber dennoch gehen, lieber Curt. Nicht wahr, das siehst Du auch ein?«

Er machte nun zwar ein Gesicht, als ob er das ganz und gar nicht einsehe, aber ein tapferer Ritter giebt seinem Burgfräulein immer recht, er ist ihr dies schuldig, und darum stimmte er so ziemlich bei, indem er antwortete:

»Ja, liebes Röschen, es scheint mir wirklich so, als ob ich es beinahe einsehe.«

»Siehst Du! So schlafe Dich aus. Gute Nacht!«

»Gute Nacht, Rosita!«

Und nun ging sie wirklich, denn sie öffnete wahrhaftig die Thüre, ehe sie dieselbe wieder heranzog, wobei sie eine Miene machte, als ob sie sich auf etwas Hochwichtiges besonnen habe. Dann hob sie warnend den rosigen Finger empor, zog, die dunklen Brauen geheimnißvoll in die Höhe und flüsterte im Tone einer intimen Bekanntmachung:

»Wir hätten eigentlich nicht gute Nacht sagen sollen, sondern guten Morgen.«


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Er sah sich nach dem Fenster um, jedenfalls um zu sehen, ob sie recht habe, doch wunderbar, er kam ihr dabei immer näher, obgleich zwischen ihr und dem Fenster, durch welches er sah, das ganze Zimmer lag. Und als er endlich sich ein genügendes Urtheil über die da draußen herrschende Morgenhelle gebildet hatte und sich umdrehte, da fühlte er, daß auf eine ganz unbegreifliche Weise ihre Hand in die seinige gekommen war. Ihr Gesichtchen befand sich merkwürdig nahe an dem seinigen und er fühlte sich darüber so erschrocken, daß er auf ihre wiederholende Erkundigung: »Nicht wahr, lieber Curt?« zuerst mit einem Kusse antwortete und dann erst in regelrechter Weise sein Gutachten abgab:

»Ja, mir scheint es auch so!«

Er bewies die Wahrheit dieser Ansicht mit einem zweiten Kusse, der eine so feste Ueberzeugung in ihrem Herzen bewirkte, daß sie nun außer allem Zweifel war und in Folge dessen unter einem letzten, herzlichen Händedrucke ihn bat:

»So wollen wir sagen: Guten Morgen, lieber Curt!«

»Guten Morgen, meine liebe Rosita! Ich werde ganz gewiß von Dir träumen!«

»Schönes?«

»Sehr Liebes und Schönes!«

»Du wirst es mir erzählen?«

»Sehr gern!«

»Und nichts weglassen?«

»Gar nichts!«

Aber weil ihm doch von vielen und langen Küssen träumen und er bei der Erzählung vielleicht einen vergessen konnte, war er so klug, sich gerade diesen einen vergeßlichen noch vorweg zu nehmen, wobei Beide bereits draußen auf dem Corridore standen. Doch dauerte dieser Kuß nicht allzu lange, denn die Hausglocke erschallte und ein sehr unmelodisches, blechernes Klirren ließ vermuthen, daß die Milchfrau unten stehe. Die Beiden fuhren auseinander, er in sein Zimmer hinein und sie mit leisen Schritten den Corridor hinunter in das ihrige. Und als sie Beide nun allein waren, stand er hinter seiner Thür und flüsterte, die Hände auf dem Herzen:

»O, wie liebe, liebe, liebe ich sie!«

Und sie stand hinter der ihrigen, holte tief Athem, hielt die Hände über dem Busen gefaltet, der seine Hülle beinahe zersprengen wollte, und flüsterte:

»Was war das? Was habe ich gethan! O mein Gott, das darf ich Mama gar nicht sagen, nein, niemals, niemals!«

Sie ging in ihrem Zimmer auf und ab, sie wußte nicht, was sie fühlte und dachte. So wanderte sie langsam aber ruhelos auf und ab, bis endlich geklopft wurde und sie das Mädchen einlassen mußte, welche sie zu bedienen hatte. Diese wunderte sich, die Herrin bereits wach zu finden; aber ihr Erstaunen wuchs, als sie in das Nebencabinet trat und da das unberührte Bett bemerkte.

»Mein Gott, Sie haben gar nicht geschlafen?« fragte sie.

»Nein,« lautete die kurze Antwort. »Bringe die Chocolade und dann kleide ich mich an.«

»Welche Robe?«


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»Die penseeseidene. Ich fahre aus.«

»So früh?!«

»Es ist nothwendig. Sage dem Kutscher, daß er anspannen möge.«

Es war acht Uhr und noch gar keine Visitenzeit, als der Diener den Schlag öffnete, um sie in die Equipage steigen zu lassen.

»Zum Kriegsminister,« befahl sie dem Kutscher.

Der Wagen rollte fort, ohne daß Curt ihn sah oder hörte, denn er lag jetzt eben in den schönen Träumen, welche er seiner Rosita erzählen wollte.

Seine Excellenz waren noch nicht zu sprechen, und so mußte man warten; der Kutscher unten auf der Straße auf seinem Bocke und Röschen oben im Salon, denn der Diener hatte es nicht gewagt, ihr zuzumuthen, im Vorzimmer zu bleiben.

Als der Minister sich erhob, hörte er, daß ein Fräulein Sternau ihn um eine Unterredung ersuche, die so eindringlich sei, daß sie es gewagt habe, ihn in so früher Stunde zu belästigen. Er kannte diesen Namen nur zu gut und beeilte sich in seiner Toilette so, daß er bereits nach zehn Minuten vor ihr stand.

Der im Vorzimmer postirte Diener hörte die Dame viel und zusammenhängend sprechen, sie schien etwas zu erzählen. Dann folgte ein angeregtes Zwiegespräch, und als Fräulein Sternau den Salon verließ, glänzte auf ihrem Gesichte die Freude eines errungenen Erfolges. Seine Excellenz begleitete sie höchstselbst bis zum Wagen und gab, nach seinem Zimmer zurückkehrend, den Befehl, sofort den Lieutenant Platen von den Gardehusaren zur Audienz zu beordern.

Als Röschen nach Hause zurückkehrte, fand sie die Ihrigen versammelt. Man hatte sich gewundert, daß sie ausgefahren war, und als sie fallen ließ, daß sie vom Kriegsminister komme, richtete man eine solche Menge von Fragen an sie, daß sie es endlich am Gerathensten hielt, Alles zu erzählen.

Unterdessen erschrak Platen nicht wenig, als er erfuhr, daß er zum Kriegsminister solle. Er befand sich auf dem Kasernenhofe und eilte schleunigst nach seiner Wohnung, um die große Uniform anzulegen. Er war überzeugt, daß es sich nur allein um das Duell handele; aber woher hatte der Minister Kenntniß davon erhalten?

Als er in das Vorzimmer trat, schien er von dem Diener bereits erwartet worden zu sein, denn dieser fragte:

»Herr Lieutenant von Platen?«

»Ja.«

»Excellenz sind noch beschäftigt. Treten Sie einstweilen hier herein!«

Er führte ihn an mehreren Thüren vorüber nach einem Eingange, welchen er öffnete. Platen fuhr beinahe erschrocken zurück, denn er sah vor sich einen kleinen, höchst reich ausgestatteten Damensalon, in welchem die - Ministerin saß, mit einem Buche in der Hand. Bei seinem Anblicke erhob sie sich leicht, nickte ihm wohlwollend zu und sagte:

»Treten Sie nur näher, Herr von Platen! Mein Mann hat noch eine Kleinigkeit zu ordnen und so habe ich Sie zu mir führen lassen, um mich bei Ihnen unterdessen nach einem höchst interessanten Ereignisse zu erkundigen, dessen Zeuge Sie gewesen sind, wie man mir berichtet hat.«

Er nahm nach einem ehrfurchtsvollen Gruße auf dem Fauteuil Platz, welches


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sie ihm bezeichnete, und wartete gespannt des Weiteren. Eine Thür, welche in ein Nebenzimmer führte, war um eine kleine Spalte geöffnet und durch diese Spalte fiel ein Schatten herein, der nur von einem Menschen herrühren konnte. Diese Beobachtung ließ dem Lieutenant die ganze Situation begreifen: Der Minister hatte über das Duell Nachricht erhalten, er hatte Gründe, die Angelegenheit zunächst nicht auf dienstlichem Wege kennen zu lernen, und so sollte Platen der Ministerin erzählen, während der Minister im Nebenzimmer Wort für Wort hörte und dann seine Entschließungen treffen konnte. Daß man gerade ihn, den Secundanten Curt's, herbeigerufen hatte, ließ ihn vermuthen, daß man besonders um des Letzteren willen solche Rücksicht walten lasse.

»Man sagt, Sie kennen den Lieutenant Helmers von den Gardehusaren?« begann die hohe Frau.

»Ich habe die Ehre, sein Freund zu sein,« antwortete Platen.

»So bin ich also richtig unterrichtet worden. Lassen Sie mich ohne Umschweife auf den Gegenstand eingehen. Dieser Lieutenant hat sich heute früh geschlagen?«

»Allerdings. Ich habe keinen Auftrag, die Thatsache in Abrede zu stellen.«

»Mit wem?«

»Mit seinem Obersten und dem Lieutenant Ravenow von seiner Schwadron.«

»Und der Ausgang dieser außerordentlichen Affaire?«

»Helmers hat Ravenow die rechte Hand abgehauen und dem Herrn Oberst die rechte Hand vollständig zerschmettert. Beide sind dadurch unfähig geworden, länger zu dienen.«

»Mein Gott, welch ein Unglück! Aber Beiden die rechte Hand! Gewiß ein Zufall!«

»Verzeihung, Excellenz, es war nicht Zufall, sondern Absicht.«

»Absicht? Schrecklich! Erzählen Sie! Aber ausführlich und objectiv!«

Platen berichtete der Frau des Kriegsministers von der förmlichen Verschwörung, welche sich gegen Helmers' Eintritt in das Regiment entsponnen hatte, von dem Empfange, welcher ihm bei allen Vorgesetzten geworden war, von der geradezu empörenden Art und Weise, in welcher man ihn behandelt hatte, und von dem männlichen, besonnenen Benehmen des Angegriffenen. Er schilderte die Wahrheit, und zwar als Freund, so daß auf Helmers nicht der leiseste Schatten eines Vorwurfes fiel. Und so kam es, daß, als er geendet hatte, die Dame im Tone des allerhöchsten Interesses ausrief:

»Ich danke Ihnen, Herr Lieutenant. Ihr Freund ist ja ein ganz außerordentlicher Mensch. Nach dem, was ich von Ihnen höre, hat er das Zeug, sich eine glänzende Zukunft zu schaffen. Was aber beabsichtigt er zu thun, um den Folgen dieses unglücklichen Duells zu entgehen?«

»Zu entgehen?« fragte Platen. »Excellenz, Helmers ist nicht der Mann, den Consequenzen eines Ereignisses, zumal wenn er dasselbe nicht verschuldet hat, zu entgehen. Ich bin überzeugt, daß er sich der competenten Behörde stellen wird.«

»Sie scheinen ihm Ihr ganzes Vertrauen zu widmen.«

»Excellenz, es giebt Menschen, welche sich das Vertrauen im Sturme erobern und gar nicht im Stande sind, es jemals zu täuschen. Helmers gehört zu ihnen.«


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»Dennoch bleibt diese Angelegenheit höchst fatal. Man spricht nicht gern von ihr, und auch ich ersuche Sie dringend, nicht zu erwähnen, daß sie Gegenstand unseres Gespräches gewesen ist.«

Er bemerkte jetzt, daß der vorhin erwähnte Schatten verschwunden war, mit demselben jedenfalls auch der Minister. Die Dame machte ihm unter einem protegirenden Lächeln die Abschiedsverbeugung und er empfahl sich ihr durch eine tiefe Verneigung. Kaum hatte er draußen die Thür zugedrückt, so bat ihn der Diener, in das Cabinet Seiner Excellenz einzutreten, welcher nun jetzt zu sprechen sei.

Er trat in das Arbeitscabinet des Ministers und fand diesen anscheinend in ein Actenheft vertieft, welches vor ihm lag. Beim Erscheinen des Lieutenants jedoch schlug er dieses Heft zusammen, erhob sich und nickte ihm mit mildem Lächeln zu. Nachdem er die elegante Erscheinung des jungen Mannes mit prüfendem Blicke überflogen hatte, begann er in freundlichem Tone:

»Ich habe Sie rufen lassen, um Ihnen einen etwas ungewöhnlichen Auftrag zu geben, Herr von Platen.« Und nachdem er einige Augenblicke wie nach Worten gesucht hatte, fuhr er fort:

»Ich höre, Sie sind heute Morgen bei einem kleinen Jagdunternehmen betheiligt gewesen, Lieutenant?«

Platen wußte sofort, woran er war. Der Minister wollte das Rencontre als Jagdparthie gelten lassen, bei welcher zufälliger Weise zwei Offiziere verwundet worden seien. Darum antwortete er mit einer leichten, zustimmenden Verneigung:

»Zu Befehl, Excellenz!«

»Leider vernehme ich,« fuhr der Minister fort, »daß dieses Unternehmen nicht ganz glücklich abgelaufen ist. Zwei der betreffenden Herren scheinen nicht beachtet zu haben, daß man mit gefährlichen Waffen stets vorsichtig umzugehen hat. Sie sind verletzt worden?«

»Leider, Excellenz.«

»Schwer?«

»Lebensgefährlich zwar nicht, unglücklicher Weise aber doch so, daß nach dem Ausspruche des Arztes eine dauernde Dienstuntauglichkeit die Folge sein wird.«

»Das ist schwer zu beklagen. Ich habe mir sagen lassen, daß die Schuld diese beiden Herren ganz allein trifft. Ist die Angelegenheit bereits in weitere Kreise gedrungen?«

»Ich bin vom Gegentheile überzeugt, Excellenz.«

»So wünsche ich, daß man bis auf Weiteres das tiefste Schweigen beobachte. Sie begeben sich sofort zu den betheiligten Herren, um ihnen dies streng anzudeuten. Die beiden Verwundeten werden wohl kaum die Absicht haben, ihr Zimmer zu verlassen; es soll aber auch Niemand ihren Zustand sehen, und darum befehle ich ihnen durch Sie, keinen Besuch anzunehmen. Die Herren haben sich ganz so zu verhalten, als ob sie mit Zimmerarrest belegt seien. Ich habe Conferenz mit der Majestät und werde diese Angelegenheit dabei zum Vortrage bringen. Punkt elf Uhr melden Sie sich dann bei mir, um das Weitere zu vernehmen.«

Eine leichte Handbewegung deutete dem Lieutenant an, daß er entlassen sei. Er ging, und zwar zunächst zum Obersten. Er nahm sich vor, weder mit diesem noch mit Ravenow in zu großer Milde zu verhandeln.


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Er fand den Obersten im Bette liegen, umgeben von den Gliedern seiner Familie. Die Hausfrau trat ihm mit vor Zorn geröthetem Angesichte entgegen und rief:

»Ah, Lieutenant Platen, ich habe Ihnen zu sagen -«

»Bitte,« unterbrach er sie schnell, »so kurzweg Lieutenant Platen werde ich nur von Kameraden genannt, und zwar auch nur von denen unter ihnen, welchen die Freundschaft die Erlaubniß ertheilt, sich in dieser sonst nicht gebräuchlichen Kürze auszudrücken!«

Sie stockte, fuhr aber dann mit noch mehr erhöhter Stimme fort:

»Nun wohl, mein verehrtester Herr Lieutenant von Platen, ich habe Ihnen zu sagen, daß es geradezu eine Schändlichkeit ist, meinen Mann in dieser Weise zuzurichten!«

Platen erwartete natürlich, daß der Oberst diesen gewaltsamen Ausfall mit einer Zurechtweisung bedenken werde, da dies aber nicht geschah, so antwortete er:

»Wenn hier von einer Schändlichkeit die Rede sein kann, so ist sie wenigstens nicht dem Herrn Obersten widerfahren. Ich will über diesen starken Ausdruck hinwegsehen, weil Sie eine Dame sind und als Gattin die Angelegenheit nicht unparteiisch beurtheilen.«

»O, ich beurtheile diese Angelegenheit sehr gerecht. Ich werde mich noch an diesem Vormittage zum General begeben und verlangen, daß man diesen Menschen, welcher seine Vorgesetzten verstümmelt, zur Rechenschaft ziehe.«

»Ich bin in der Lage, Ihnen diesen Schritt zu ersparen, denn ich komme als Ordonnanz Seiner Excellenz, des Kriegsministers.«

»Ah!« sagte sie erschrocken.

Der Verwundete erhob überrascht den Kopf und auch die anwesenden Kinder desselben gaben Zeichen ihres großen Erstaunens.

»Von der Excellenz?« frug der Oberst. »Was werde ich hören!«

»Ich habe Ihnen den Befehl zu überbringen, daß kein Mensch über unsere Angelegenheit bis auf Weiteres sprechen solle. Sie dürfen Ihr Zimmer nicht verlassen und auch keinen Besuch empfangen.«

»Ah, so bin ich Gefangener?«

»Das eben meinte Excellenz. Uebrigens bewahrheitete sich das, was ich Ihnen sagte, bevor ich das Rendez-vous verließ: Mit Rücksicht auf meinen Freund Helmers hat der Minister die außerordentliche Gewogenheit, anzunehmen, daß Sie auf einer Jagdparthie zufälliger Weise verwundet worden sind. Es steht also zu erwarten, daß der Einfluß Ihres verachteten Gegners Sie vor der Festungsstrafe bewahren wird. Adieu, Herr Oberst!«

Nach einer sehr ceremoniellen Verbeugung schritt er hinaus, ohne sich um den Eindruck zu bekümmern, welchen seine Worte hinterließen.

Ravenow, zu dem er nun ging, nahm den Befehl mit grimmigem Schweigen entgegen. Nachdem dann die beiden Secundanten, der Ehrenrichter und der Arzt benachrichtigt waren, begab sich Platen zu Helmers. Da dieser noch schlief, wurde er einstweilen von dem Herzoge von Olsunna empfangen, welcher den Schlafenden wecken ließ. Dieser war ganz erstaunt, zu hören, daß der Minister bereits Kenntniß von der Sache habe, und als Platen äußerte, daß er sich diesen Umstand aller-


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dings auch nicht erklären könne, erzählte der Herzog, was er von Röschen erfahren hatte. Er bat Platen, ihn vorstellen zu dürfen, doch mußte dieser sich entschuldigen, da er vom Dienste gerufen werde. Doch versprach er, wieder zu kommen, sobald er vom Minister entlassen sei. Er empfahl sich und die beiden Anderen begaben sich in den Gesellschaftssalon, wo sich die übrigen Bewohner des Hauses befanden.

Hier ergriff Curt die Hand Röschen's und sagte unter einem Lächeln des Dankes:

»Du also bist bereits für mich thätig gewesen! Aber weißt Du, Röschen, daß Du sehr viel gewagt hast?«

Sie lächelte so lieblich, so schelmisch, daß er sie am liebsten hätte umarmen mögen, trotz der Zeugen, welche zugegen waren, und antwortete ihm:

»Ich mußte ja handeln, da Du es vorzogst, zu schlafen. Ob ich sehr viel gewagt habe, das ist nicht so sicher und gewiß. Die Entscheidung des Ministers scheint vielmehr das Gegentheil zu beweisen.«

Auch Rosa, ihre Mutter, war zugegen, ebenso Lord Lindsay mit Amy, seiner Tochter. Das Gespräch, welches sich auf das Duell bezog, war natürlich ein sehr angeregtes. Curt hatte eine Menge freundliche Vorwürfe anzuhören, welche sich ebenso auch gegen Röschen richteten, welche seine Vertraute und Begleiterin gewesen war, ohne ihn zu verrathen. Rosa, ihre Mutter, zitterte bei dem Gedanken, daß ihr zartes, schönes Töchterchen es gewagt hatte, einem Kampfe beizuwohnen, bei dem es die beiden Gegner auf das Leben Curt's abgesehen gehabt hatten.

»Sie ist ein echtes Kind ihres Vaters,« bemerkte der Herzog mit heimlichem Stolze darauf, daß er der Vater dieses Vaters sei.

»Und Sie haben wirklich noch keine Nachricht von ihm, von Herrn Doctor Sternau?« fragte da der Engländer.

»Leider nicht die geringste,« antwortete der Herzog. »Was Sie uns gestern erzählten, ist das Letzte, was wir von ihm hörten.«

Der Lord hatte nämlich berichtet, was er von dem alten Haziendero erfahren hatte.

»Aber die Sendung des Haziendero haben Sie erhalten?« fragte Amy.

»Welche Sendung?«

»Nun, sie war allerdings nicht an Sie, sondern an Herrn Lieutenant Helmers gerichtet.«

Curt horchte auf.

»An mich?« fragte er. »Ich habe nichts erhalten.«

Jetzt kam die Reihe, zu staunen, an Amy und ihren Vater.

»Sie sind ja doch der Sohn des Steuermannes Helmers?« fragte der Letztere.

»Allerdings,« lautete die Antwort.

»Nun, ich habe, allerdings in Ihrer Abwesenheit, gestern das Erlebniß Ihres Oheims in der Höhle des Königsschatzes erzählt. Ihr Oheim hat von Büffelstirn einen Theil dieser Schätze erhalten, einen verschwindend kleinen Theil, der aber doch ein großes Vermögen repräsentirt. Sodann ist bestimmt worden, daß die Hälfte davon nach der Heimath gesendet werden solle, um Ihnen die Mittel zu Ihrer Ausbildung zu bieten. Man wußte in Mexico nicht, daß Sie hier so freundliche Gönner und Beschützer gefunden haben. Nach dem Verschwinden Sternau's kam


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der Haziendero Petro Arbellez nach Mexico und übergab die Werthsachen dem damaligen Oberrichter Benito Juarez, welcher sie nach Europa sendete.«

»Ich habe nicht das Mindeste erhalten,« wiederholte Curt. »Die Sendung ist entweder verloren gegangen oder an eine falsche Adresse gerichtet worden.«

»Der Haziendero kannte Ihre Adresse gar nicht, er wußte nur, daß Sie auf einem Schlosse in der Nähe von Mainz zu finden seien, daß Ihr Vater der Seemann Helmers sei und daß dies Schloß von einem Hauptmanne von Rodenstein bewohnt werde. Darum wurde die Sendung an ein Mainzer Bankhaus adressirt, dessen Chef Sie ausfindig machen sollte.«

»Er müßte mich gefunden haben. Die Sendung ist unterwegs verunglückt!«

»Der Oberrichter hat sie versichert.«

»So bliebe der Werth mir doch erhalten. Es gälte nur, zu erfahren, welches Bankhaus es gewesen ist.«

»Ich habe den Namen aus dem Munde des Haziendero gehört, ihn aber im Laufe der später folgenden Ereignisse aus dem Gedächtnisse gelassen. Doch wird eine Nachforschung jedenfalls zum Resultate führen. Ich wurde mit meiner Tochter vom Panther des Südens des Nachts gefangen genommen und nach dem südlichsten Theile von Mexico transportirt. Dort sind wir gefangen gewesen, bis der Einfluß von Juarez sich so ausdehnte, daß er auch unsere Berge erreichte. Ich erhielt erst vor acht Monaten meine Freiheit wieder. Sie werden mir gewiß verzeihen, daß ich einen Namen vergessen habe, der doch eigentlich mich weniger interessiren konnte.«

»O, Mylord, es kann Sie ja nicht der geringste Vorwurf treffen. Ich bin Ihnen im Gegentheile herzlich dankbar, daß ich durch Sie von dieser Sache erfahre. Sie sprechen von Werthsachen. Geld also war es wohl nicht?«

»Nein. Obgleich ich die Gegenstände nicht gesehen habe, weiß ich doch, daß sie in Geschmeide und Kostbarkeiten bestanden, Ketten, Armbänder, Ringe, aus den Zeiten des alten Mexico stammend und mit kostbaren Steinen besetzt.«

»Ah!« machte Curt nachdenklich.

Er hatte an der Hand seines Freundes Platen einen Ring gesehen, dessen sonderbare Form ihm aufgefallen war. Der Reif trug eine eigenthümlich gebildete goldene Sonne, deren Mittelpunkt aus einer erhabenen Mosaik von Smaragden und Rubinen bestand. Die Arbeit war eine echte, alt mexicanische gewesen.

»Sie haben einen Gedanken?« fragte Amy.

»Ich glaube, irgendwo bei einem meiner Bekannten einen Ring gesehen zu haben, dessen Fassung mexicanisch zu sein schien,« antwortete er ausweichend. »Doch steht dies jedenfalls in keinem Zusammenhange mit unserer Angelegenheit. Ich würde also ein Vermögen besitzen, wenn ich mein Eigenthum erhalten hätte. Dieser Gedanke hat etwas Eigenthümliches. Ich bin keineswegs geldgierig, aber ich werde dennoch in Mainz Nachforschungen anstellen. Ich bin dazu verpflichtet, schon um des Vaters und des Oheims willen, als deren Vermächtniß ich die Gegenstände betrachten muß.«

Während diese Angelegenheit im Verlaufe des Gespräches weiter verfolgt wurde, gab sich Platen seinen dienstlichen Pflichten hin und fuhr dann zum Minister, bei welchem er sich punkt elf Uhr melden ließ. Dieser empfing ihn freundlich. Er stand an einem Tische, auf welchem mehrere versiegelte Schreiben lagen und sagte:


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»Sie sind pünktlich, Herr Lieutenant, das ist mir lieb, da ich weiß, daß die Herren Ihres Regimentes sich jetzt zum zweiten Frühstücke versammeln werden. Sie nehmen jedenfalls theil?«

»Ich bin es so gewohnt, Excellenz,« antwortete Platen.

»Nun wohl. Die interessante Jagdparthie, von welcher wir heute sprachen, hat sich im Casino angesponnen und soll dort ihr Ende finden. Das ist folgerichtig. Sie begeben sich zu Oberst Märzfeld von der Infanterie und übergeben ihm diese Documente. Er hat dieselben im Casino zu öffnen und vorzulesen, und zwar in Gegenwart Ihres Freundes Helmers, welchen Sie benachrichtigen. Das ist Alles. Ihr Verhalten in dieser Affaire hat meinen Beifall. Adieu!«

Während dieser Worte hatte er die Schriftstücke in ein gemeinschaftliches Couvert geschlossen, welches er Platen übergab. Dieser entfernte sich mit freudeerfülltem Herzen. Das directe Lob eines solchen Mannes ist eine Seltenheit.

Er nahm, um rascher vorwärts zu kommen, eine Droschke und fuhr zunächst bei Helmers vor, um diesen zu benachrichtigen. Er wurde geladen, länger zu bleiben, mußte aber dem ihm gewordenen Befehle Folge leisten und sich zum Obersten begeben.

Curt war begierig, zu erfahren, was es im Casino geben werde; er säumte daher nicht, sondern machte sich sogleich auf den Weg. Als er das Local betrat, war Platen noch nicht da, doch gab es fast keinen leeren Platz im Raume. Die Soiree des Großherzogs mußte besprochen werden und daher hatten sich Alle eingefunden.

Nur der Oberst und Ravenow fehlten. Man ahnte, weshalb, aber man fragte nicht, obgleich der Ehrenrichter und die beiden Secundanten, welche zugegen waren, Auskunft hätten ertheilen können.

Als Curt eintrat, machte sich doch eine sichtbare Verlegenheit geltend. Man hatte gegen ihn Front gemacht, aber auf der Soiree gesehen, unter welcher mächtigen Protection er stehe. Sich selbst desavouiren wollte man nicht, aber ignoriren durfte man ihn doch auch nicht, und so erwiderte man seinen Gruß in jener Art und Weise, welche weder höflich noch beleidigend ist. Er kehrte sich nicht daran, sondern nahm Platz, ließ sich ein Glas Wein geben und beschäftigte sich mit einer Zeitung.

Nach einiger Zeit trat Platen herein und setzte sich zu ihm.

»Kommt der Oberst?« fragte Curt.

»Natürlich,« antwortete Platen. »Er war ganz erstaunt über den Befehl, welchen ich ihm überbrachte. Ich habe so meine Gedanken über das, was er hier soll.«

»Das ist nicht schwer zu errathen. Oberst Märzfeld erhält unser Regiment; da er von der Linieninfanterie ist, so ist dies eine außerordentliche Bevorzugung für ihn, für das Offizierscorps unseres Regimentes aber eine Strafe, welche gar nicht größer und fühlbarer sein könnte.«

»Aber die anderen Schreiben? Was enthalten sie?«

»Wir werden es abwarten.«

Und sie brauchten nicht lange zu warten, denn bereits nach Kurzem erschien der Oberst. Als er eintrat, wendeten sich Aller Augen mit Befremden nach ihm.


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Ein Oberst von der Linieninfanterie? Was wollte er hier? Warum kam er in großer Uniform, mit seinen Orden auf der Brust?

Man erhob sich allgemein, um ihn seinem Range gemäß zu begrüßen. Der Oberstlieutenant und die Majors gingen ihm entgegen, um ihn zu bewillkommnen. Er drückte den Dreien die Hand und sagte:

»Ich danke für den Willkommen, meine Herren! Es führt mich eine dienstliche Angelegenheit zu Ihnen, nicht aber der Wunsch, an Ihrem Frühstücke theilzunehmen.« Er zog das Couvert, welches er empfangen hatte, hervor und fuhr fort: »Seine Excellenz, der Herr Kriegsminister, schickt mir nämlich durch den Herrn Lieutenant den Befehl, hier vor Ihnen, meine Herren, dieses Couvert zu öffnen, um Ihnen Mittheilung von dem Inhalte desselben zu machen.«

Ein allgemeines »Ah!« der Verwunderung ließ sich hören. Eine ministerielle Bekanntmachung im Casino? Kein Regimentsbefehl? Das war noch niemals dagewesen! Und diesen Befehl sollte ein Oberst von der Linieninfanterie publiciren? Platen hatte ihm denselben überbracht? Wie kam der dazu?

Die Blicke der Anwesenden schweiften zwischen dem Obersten und Platen hin und her. Der Letztere that, als bemerke er es nicht, der Erstere aber öffnete das Couvert und zog die verschiedenen versiegelten Schreiben hervor, welche es enthielt; sie waren nummerirt.

»Ich ersuche um Ihre freundliche Aufmerksamkeit, meine Herren. Nummer eins!«

Er las die kurzen, gedrängten Zeilen vor. Sie enthielten den Abschied des Regimentsobersten, ohne Pension, da er nicht im Dienste unfähig geworden sei. Diese Bekanntmachung rief eine förmliche Sensation hervor. Man trat von Einem zum Anderen, man sprach wirr durch einander. Man fragte, ob ein Duell wirklich stattgefunden habe und welches der Ausgang desselben gewesen sei.

»Nummer zwei, meine Herren!« rief der Oberst in die Aufregung hinein. Der Lärm verstummte augenblicklich. Doch was man hörte, war ebenso erstaunlich wie das Vorherige. Lieutenant Ravenow wurde verabschiedet, ebenso ohne Pension wie der Oberst. Es war von keinem Abschiedsgesuche die Rede. Die beiderseitige Verabschiedung kam also geradezu aus heiterem Himmel.

»Nummer drei!«

Man lauschte mit erhöhter Spannung. Der Oberlieutenant von Branden wurde seiner Adjutantur enthoben und mit dem Lieutenant von Golzen zum Train versetzt. Dies war dem Regiments-Commandeur des Letzteren, welcher ja bei den Gardekürassieren stand, zu melden.

Die beiden Betreffenden waren anwesend. Auf ihren bleichen Zügen lagerte der Schreck. Von der Garde zum gemeinen Train versetzt, das war eine geradezu ehrenschändende Degradation! Man wollte ihnen condoliren, aber man wagte es nicht. Aller Blicke richteten sich auf Curt. Man begriff, daß dieser es sei, dem eine so schneidige Genugthuung gegeben werden solle.

»Nummer vier!«

Also noch nicht zu Ende? Was sollte noch kommen? Sie sollten es nur gar zu bald erfahren. Der Oberstlieutenant, der Major, der Rittmeister von Curt's Schwadron wurden zur Linie versetzt - auf ihr eigenes Verlangen, wie es hieß. Auf diese Weise überzuckerte man die Pille, welche sie zu nehmen hatten.


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Nummer fünf ernannte den Obersten von Märzfeld zum Commandeur des Gardehusarenregimentes, worüber er selbst am meisten in Erstaunen gerieth, allerdings in ein höchst freudiges. Platen wurde zum Oberlieutenant ernannt und dem Obersten als Adjutant beigegeben. Zum Schlusse wurde auch Curt's Name verlesen. Auch er erhielt seine Ernennung zum Oberlieutenant der Gardehusaren, wurde jedoch zum Generalstab versetzt.

Das war nun allerdings eine Auszeichnung, um welche man den besten Freund beneiden konnte, wie viel mehr ihn, dem man so feindlich entgegen getreten war. Und dem setzte der Oberst die Krone auf, indem er zu Curt trat, ihm die Hand kräftig schüttelte und laut sagte:

»Herr Premierlieutenant, es freut mich, daß ich es bin, durch den Sie Ihre Beförderung erfahren. Es thut mir zwar leid, Sie einstweilen nicht in den Reihen meines Regimentes zu sehen, doch bin ich überzeugt, daß Sie beim großen Stabe, wo man Sie zu kennen und zu schätzen scheint, Ihr Glück eher machen werden, als in Reih und Glied, wo die Befähigung so leicht Gefahr läuft, verkannt oder übersehen zu werden. Ich habe Ihnen zum Schlusse noch zu bemerken, daß Seine Excellenz punkt vier Uhr bereit sind, Ihren Dank persönlich entgegen zu nehmen.«

Jetzt mußte der Neid die höchste Spitze erreichen, nur bei Einem nicht, nämlich bei Platen. Dieser umarmte den Freund herzlich und flüsterte ihm zu:

»Wer hätte, als ich Dir aus reinem Mitleide nachlief, gedacht, daß ich Deinetwegen avanciren würde! Schau, Curt, wie die stolzen Herren von der Garde dem alten Märzfeld gratuliren! Sie wünschen ihn zum Teufel, gehen aber theilweise selbst zu diesem, nämlich zum Train. Komm, laß uns aufbrechen, Dir ist die glänzendste Genugthuung geworden; wir haben hier nichts mehr zu suchen. Ich will mich nur vom neuen Commandeur verabschieden und um einen Urlaub bitten. Ich muß nach Mainz.«

»Nach Mainz?« fragte Curt. »Also in die Nähe meiner Heimath.«

»Ja. Onkel Wallner schreibt. Es handelt sich nämlich um eine kleine Erbschaftsregelung, so daß er mich persönlich sprechen muß. Ich glaube, daß ich den Urlaub erhalte, der alte Märzfeld wird jedenfalls selbst eine Zeit brauchen, um sich zu orientiren Von einem sofortigen Antritte kann keine Rede sein.«

»Ist nicht Dein Oheim Banquier?«

»Ja, ich sagte es Dir bereits, daß er gerade so wie ich mit unserem bisherigen Major verwandt sei.«

Er trat zu dem Obersten heran, um sich den Urlaub zu erbitten, und erhielt ihn; dann verließen die beiden Freunde das Local, nachdem sie sich dem neuen Vorgesetzten empfohlen hatten. Curt lud Platen zu sich ein und dieser sagte zu, heute Abend zu kommen. Sie trennten sich auf der Straße, ohne daß Curt Gelegenheit gefunden hatte, den Ring in Erwähnung zu bringen.

Daheim angekommen, richtete er mit der Nachricht, daß er zum Oberlieutenant avancirt und zum großen Generalstab commandirt sei, große Freude an. Zur angegebenen Zeit fuhr er dann zum Kriegsminister, von welchem er mit Auszeichnung empfangen wurde. Nachdem er seinen Dankgefühlen Ausdruck gegeben hatte, sagte die Excellenz:

»Sie wurden uns sehr warm empfohlen, man stellte mir eine Abschrift der


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militärischen Berichte zu, welche Sie für Ihren bisherigen Kriegsherrn ausarbeiteten, und so konnte ich mir die Ansicht bilden, daß Sie zu verwenden sind. Daher habe ich bestimmt, daß Sie dem Stabe zugesellt werden, natürlich aber unter der Voraussetzung, daß Sie sich künftighin vor gewissen Jagdabenteuern hüten, in Folge deren man sehr leicht dienstunfähig wird.«

Er sprach diese Worte in scherzhaft drohendem Tone und fuhr dann fort:

»Einstweilen will ich jedoch unterlassen, Sie unserem Generalstabschef vorzustellen. Es ist nämlich möglich, daß man Sie zunächst mit einer Mission beauftragen wird, welche zwar auch eine militärische ist, jedoch einen mehr diplomatischen Character hat. Man bedarf dazu eines Mannes, welcher den Muth des Mannes, die Schlauheit des Polizisten und die Kaltblütigkeit des Alters besitzt und dabei doch so jugendlich ist, so unerfahren und ungefährlich erscheint, daß er nicht eine unbequeme Aufmerksamkeit auf sich zieht. Dazu scheinen Sie der geeignete Mann zu sein. Sie sind noch sehr jung und können, wenn Sie wollen, recht ungefährlich erscheinen, obgleich Sie während Ihrer Jagdparthie bewiesen haben, daß Sie es nicht sind. Es wird sich dabei jedenfalls um eine längere Reise handeln. Bereiten Sie sich zu derselben vor. Ich gebe Ihnen eine Woche Zeit, behalte mir aber die Kenntniß Ihres Aufenthaltes vor, damit ich Sie benachrichtigen kann, falls man Ihrer eher bedürfen sollte.«

Das waren Worte, welche Curt hoch beglückten. Sie enthielten eine Auszeichnung, die selbst einen hoch gestellten Offizier stolz gemacht hätten. Er antwortete:

»Excellenz, ich bin zu jung, um meiner in jeder Beziehung gewiß zu sein, aber ich werde alle Kraft anstrengen, um die Aufgabe, welche man mir ertheilt, zu lösen. Mein Aufenthalt während dieser Woche wird Seiner Hoheit, dem Herzoge von Olsunna, bekannt sein.«

»Ihre Bescheidenheit ist eine Ehre für Sie. Ich entlasse Sie mit der Bitte, mich dem Herzoge zu empfehlen.«

Curt verließ den Minister, um eine Stufe glücklicher noch, als er bereits vorher gewesen war. Er beschloß natürlich, nach Rheinswalden zu gehen, um vor der langen Abwesenheit, die ihm in Aussicht gestellt worden war, seine Mutter und den Hauptmann zu sehen. Er hatte sich von ihnen zu verabschieden, obgleich er nicht wußte, wohin diese Reise gehen werde.

Zu Hause angekommen, erzählte er seine Unterredung und richtete damit große Freude an. Des Abends kam Platen und blieb bis gegen Mitternacht. Da er morgen nach Mainz wollte, so wurde beschlossen, daß die beiden Freunde mit einander fahren sollten. Da der Lord mit Amy nach Wien wollte, und zwar in sehr kurzer Zeit, da politische Gründe seine dortige Anwesenheit baldigst erforderten, so nahm Curt von den Beiden Abschied.

Der Morgen brach an, als die beiden Husarenoberlieutenants mit einander im Coupee saßen und ihrem Ziele entgegen dampften. Während ihrer Unterhaltung zog Platen den Handschuh ab, um Curt eine Cigarre anzubieten. Dabei fiel die Morgensonne auf den Ring an seiner Hand und die Reflexe zuckten blitzend in dem kleinen, behaglichen Raume erster Klasse umher.

»Ah, welch ein Ring!« sagte Curt, indem er that, als habe er ihn noch gar nicht gesehen. »Er ist gewiß ein altes Erb- und Familienstück?«


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»Allerdings,« antwortete Platen. »Aus meiner eigenen Familie stammt er freilich nicht, er ist vielmehr ein Geschenk meines Onkels.«

»Des Banquiers, den Du besuchst?«

»Ja. Ich leistete ihm einst einen Dienst, welcher ihm wichtig genug erschien, mir eine kleine Belohnung zu ertheilen. Er ist sehr geizig; mit Geld, was einem Offizier doch stets das Allerliebste ist, rückte er nie heraus, und so gab er mir den Ring, der zwar höchst werthvoll ist, ihm aber jedenfalls nichts gekostet hat. Willst Du Dir ihn einmal betrachten?«

»Ich bitte darum.«

Platen zog den Ring vom Finger und gab ihn Curt, welcher ihn einer genauen Untersuchung unterwarf und die Steine nach allen Richtungen hin spielen ließ.

»Das ist keine neue Arbeit,« sagte er endlich.

»Auch keine deutsche. Ich bin mir überhaupt sehr im Zweifel, wie ich diese Arbeit unterbringen soll.«

»Ich halte sie für mexicanisch.«

»Ich auch. Aber wie sollte Onkel Wallner zu diesem Steine kommen. Seine Familie hat niemals Verbindung mit Mexico oder Spanien gehabt.«

»O, was das betrifft, so kann ein Banquier sehr leicht in den Besitz eines solchen Gegenstandes kommen,« meinte Curt, indem er dem Kameraden den Ring retour gab. »Ich wäre wirklich neugierig, zu erfahren, ob es wirklich ein Erbstück, ein verfallenes Pfand oder so etwas Aehnliches ist. Du mußt nämlich wissen, daß ich mich für solche Sachen lebhaft interessire. Ein Jeder hat sein Steckenpferd, und das meinige ist die Liebhaberei für altes Geschmeide.«

»Diese Frage kann ich Dir genau beantworten. Dieser Ring ist wirklich ein Famillenstück. Der Onkel besitzt noch andere Sachen, mit denen er aber sehr besorgt thut. Er zeigt sie keinem Menschen. Einmal aber habe ich ihn doch überrascht, als ich unerwartet in sein Arbeitszimmer trat. Er hat nämlich außer dem Comptoir noch ein Privatarbeitszimmer im Gartenhause. Dort befindet er sich sehr oft des Nachts und schläft auch dort. Ich trat unvermuthet bei ihm ein und sah einige Schmuckgegenstände auf seinem Tische liegen. Es waren kostbare Ketten, Diadems, Armringe und anderes Geschmeide von einer außerordentlich fremdartigen Arbeit. Er erschrak sehr und ich mußte lachen, daß ich in sein Geheimniß eingedrungen war.«

»In sein Geheimniß?«

»Ja,« meinte Platen sorglos. »Es hängt nämlich in diesem Arbeitszimmer eine alte Schwarzwälder Uhr an der Wand. Diese hatte er abgenommen, und nun sah ich, daß sich hinter derselben ein Loch befand, welches durch ein eisernes Thürchen verschlossen werden konnte. In diesem Loche schien noch anderes Geschmeide zu liegen, denn ich bemerkte da ein Kästchen, aus welchem ein Halsband herabhing.«

»Wie lange ist dies her?«

»Bereits drei Jahre.«

»So wird er das Geschmeide seit dieser Zeit an einem anderen Orte aufbewahrt haben; das ist sehr leicht zu denken,« meinte Curt, indem er sich den Anschein der Gleichgiltigkeit zu geben suchte.


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Platen bemerkte auch wirklich das Interesse nicht, welches Curt an dieser Unterhaltung nahm, und antwortete lachend:

»O nein. Er scheint keinen anderen Ort zu wissen, denn ich mußte ihm bei meinem Offizierswort geloben, ihn nicht zu verrathen. Das verstand sich ja eigentlich ganz von selbst, und das feierliche Gelöbniß kam mir daher höchst spaßhaft vor. Ich glaube auch nicht, daß ich es gebrochen habe, indem ich zu Dir davon spreche, denn bei Dir ist dieses höchst entsetzliche Geheimniß ja ebenso gut aufgehoben wie bei mir. Ich glaube nicht, daß Du Lust hast, beim Onkel einzubrechen.«

Er lachte bei diesen Worten abermals. Der Gedanke, den Freund sich als Einbrecher vorstellen zu sollen, kam ihm denn doch zu komisch vor. Curt blickte eine Minute lang ernst zum Fenster hinaus und sagte dann:

»Und wenn ich nun doch Lust hätte, den Einbrecher zu machen?«

»Unsinn!«

»Wenigstens mir das Geschmeide einmal zu betrachten?«

»Weshalb? Was sollte das Dir nützen?«

»Viel oder wenig, je nach dem. Du weißt gar nicht, wie werthvoll mir Deine Mittheilung ist.«

»Du setzest mich in Erstaunen!« meinte Platen. »Was interessirt es Dich, ob mein Oheim Goldschmuck besitzt oder nicht?«

»Lieber Platen, wir sind Freunde und wollen als solche handeln. Es ist unbeschränktes Vertrauen von Dir, daß Du von dem Verstecke Deines Oheims zu mir gesprochen hast; ich will dasselbe Vertrauen auch zu Dir haben.«

»Mensch, Du machst mich wirklich neugierig!« meinte Platen, indem er sich eine neue Cigarre ansteckte und sich dann zurecht setzte, um die jedenfalls interessante Mittheilung des Freundes bequem entgegen zu nehmen.

»So höre!« begann Curt. »Mein Vater ging nach Mexico und traf dort seinen Bruder. Dieser war auf eine Weise, von welcher ich Dir später erzählen werde, in den Besitz eines Schatzes gekommen, welcher aus alten, kostbaren, mexicanischen Schmucksachen bestand -«

»Alle Teufel, das beginnt wirklich interessant zu werden,« meinte Platen.

»Weiter. Die beiden Brüder befanden sich bei einem Haziendero, dessen Tochter die Braut meines Oheims war. Eine Art Kriegszug rief sie ab und seitdem sind sie verschollen. Der Onkel hatte bestimmt, daß die Hälfte dieses Schatzes mir gehören solle; die Gegenstände sollten mir geschickt werden, um sie hier zu verwerthen und mit dem Ertrage zunächst die Kosten meiner Ausbildung zu bestreiten und mir mit dem Uebrigen einen festen, pecuniären Halt zu geben.«

»Glückskind!« lächelte Platen.

»Daran dachte der alte Haziendero, als die beiden Brüder verschollen waren und nicht zurückkehrten,« fuhr Curt fort. »Als ein Jahr vergangen war, ohne daß er etwas von ihnen vernommen hatte, nahm er meinen Antheil und trug ihn zur Hauptstadt, wo er ihn Benito Juarez übergab.«

»Dem Präsidenten?«

»Ja; dieser war aber damals noch Oberrichter. Juarez übernahm es, die Gegenstände sicher nach Deutschland zu schicken.«

»Das klingt ganz und gar wie ein Roman! Woher weißt Du das Alles?«


Ende der dreiundfünfzigsten Lieferung - Fortsetzung folgt.



Karl May: Waldröschen

Karl May – Forschung und Werk