Lieferung 36

Karl May

28. Juli 1883

Waldröschen
oder
Die Rächerjagd rund um die Erde.

Großer Enthüllungsroman
über die
Geheimnisse der menschlichen Gesellschaft

von

Capitain Ramon Diaz de la Escosura.


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Und wenn sie dann Flora betrachtete, so ging ihr das Herz auf. Ja, das war die Dame, welche zu werden bereits das Kind damals versprochen hatte, das war ein Charakter ganz ohne Falsch und Tadel. Sie fühlte sich auf das Innigste zu ihr hingezogen und freute sich daher herzlich, als sie sah, daß Flora sich ihr anschloß, als man nach der Tafel sich eine Zeit lang im Garten erging.

Hier näherten sich die Seelen der beiden Frauen einander mit offener Herzlichkeit. Sie fühlten, daß sie einander nahe stehen, nahe bleiben und sich lieben müßten, und Flora schlang schließlich den Arm um die Taille ihrer einstigen Erzieherin und sagte:

»Meine liebe Frau Sternau, Papa wird Ihnen eine große Bitte vortragen. Werden Sie dieselbe erfüllen?«

»Ja, wenn ich kann,« antwortete die Gefragte.

»Vielleicht werden Sie können; o, ich wünsche es von ganzem Herzen!«

»Welche Bitte wird es sein?«

Nach einem kurzen, nachdenklichen Zögern antwortete Flora:

»Ich bin nicht beauftragt, es ihnen zu sagen, aber es ist besser, ich bereite Sie darauf vor. Papa will Sie bitten - - Herzogin von Olsunna zu werden.«

Das war ein unvermittelt ausgesprochenes, gewichtiges Wort. Es traf mit seiner ganzen Schwere auf Die, an die es gerichtet war. Sie trat mehrere Schritte zurück und sagte ganz erschrocken:

»Herzogin von Olsunna? Ich?«

»Ja, meine liebe, liebe Sennora Wilhelmi,« antwortete Flora, sie schmeichelnd bei ihrem Mädchennamen rufend. »Sie sollen Herzogin von Olsunna werden und also meine Mama. O, wie unendlich würde es mich freuen, wenn Sie diese Bitte meines Vaters erfüllen wollten!«

»Unmöglich! Unmöglich! Ich träume! Was will der Herzog mit einem so ungeheuerlichen Antrag bezwecken?«

Da zog Flora die früher so schwer geprüfte Frau näher an sich und sagte:

»Ich soll die Schwester meines Bruders sein dürfen, meines Bruders, nach welchem ich mich so innig sehne. Karl Sternau soll Don Karlos de Olsunna werden, damit Alles vergessen werde, was früher geschehen ist.«

Da erröthete Frau Sternau so tief wie das jüngste Mädchen. Wer sie jetzt gesehen hätte, dem wäre es wohl beigekommen, daß sie einst ein sehr schönes Mädchen gewesen sein müsse.

»Mein Gott,« sagte sie; »der Herzog hat geplaudert! Sie wissen - - -?«

»Daß Ihr Sohn mein Bruder ist? Ja, das weiß ich. Als Papa zum Sterben darniederlag, hat er es mir mitgetheilt, und ich bin mit großer Freude darauf eingegangen, mir diesen Bruder aufzusuchen und zu gewinnen.«

»Das freut mich um Ihretwillen, mich aber drückt es unendlich nieder, denn ich weiß nicht, ob der Herzog Ihnen Alles erzählt hat.«

Flora ahnte die Gedanken der Sprecherin und antwortete darum schnell:

»Alles, Alles hat er mir gesagt; seine ganze, schwere Schuld hat er mir eingestanden. Auf Ihnen liegt nicht die geringste Spur eines Vorwurfes oder Makels. Aber dennoch würden Sie ihm verzeihen, wenn Sie wüßten wie schwer er bereut!«

»Ich habe ihm verziehen,« erklang es mit milder Stimme.


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»Ich danke Ihnen! Er hat nach Ihnen und nach seinem Sohne geforscht, eine lange Zeit; er hat sich alle Mühe gegeben, Sie aufzufinden, doch vergeblich, bis Herr von Rodenstein zu uns kam und uns sagte, wo Sie sich befänden. O bitte tausend Mal, weisen Sie den Vater nicht zurück! Gräfin Rosa ist eine herrliche Frau; sie hat Ihrem Sohne aus reiner Liebe ihre Hand gegeben; sie hat so unendlich viel gelitten; sie ist es werth, Herzogin von Olsunna zu werden!«

»Verzeihen Sie mir, mein liebes Kind, daß ich nicht sogleich zur Entscheidung komme! Es handelt sich hier um einen so ungewöhnlichen, ja außerordentlichen Schritt, daß man dabei nicht stürmisch sein kann. Ich will Ihnen gestehen, daß ich meinem Gemahle nicht jene heiße, glühende Liebe entgegen gebracht habe, welche auch nach seinem Tode mein ganzes Herz mit Trauer um sein Andenken erfüllen müßte; ich will auch gestehen, daß ich Ihrem Vater nicht mehr zürne, daß ihr Anerbieten einer Anderen unwiderstehlich verlockend vorkommen würde, und daß ich um meines Sohnes, ja auch um Ihretwillen auf einen so ehrenvollen Vorschlag eingehen müßte; aber geben Sie mir Zeit, gewähren Sie mir Sammlung. Es ist eine glanzvolle Zukunft, welche mir entgegenwinkt, aber ich glaube nicht, daß sie mir den Frieden zu ersetzen vermag, den ich hier in der Stille und Einsamkeit gefunden habe und den ich um keinen noch so hohen Preis verlieren oder verkaufen möchte.«

»Ich weiß das. Ich weiß, daß Sie uns ein großes Opfer bringen. Auch mir giebt der trügerische Glanz, der lügenhafte Schimmer nichts, von welchem Sie sprachen. Sie sollen Ihren lieben Frieden uns nicht zum Opfer bringen, denn wir wünschen nichts sehnlicher, als Ihre Einsamkeit zu theilen. Vater ist nur durch die Kunst Ihres Sohnes, meines geliebten Bruders, gerettet worden. Er ist vom Tode erstanden und wünscht, seine Tage nur der Liebe zu den Seinigen widmen zu dürfen. Karl, sein Sohn würde dies billigen, und auch ich bin herzlich gern bereit mich Ihnen anzuschließen.«

»Auch Sie? Sie dürfen Ihrer reich bevorzugten Stellung nicht entsagen. Sie sind berufen, an der Seite eines hochgestellten Mannes die Würden zu vertreten, welche ein Attribut des hohen Standes sind, in dem Sie geboren wurden.«

»O, ich habe bereits entsagt; ich habe mir bereits den Mann gewählt, der mein Glück ist und der dasselbe Glück aus meiner Hand empfangen wird. Es ist kein Herzog kein Fürst; es ist ein - einfacher Maler.«

»Ein Maler! Ists möglich! Und Ihr Vater - -?

»Er billigt meine Wahl; er hat sie gebilligt unter der Voraussetzung, daß Sie seinem Sohne erlauben, der Erbe seiner Reichthümer und Würden zu sein. Sie sehen, daß es nur von Ihnen abhängt auch mich glücklich zu machen.«

»Sie legen da eine schwere Verantwortung auf mich, mein liebes Kind,« sagte Frau Sternau nachdenklich.

»Ja, aber mit dieser Verantwortung lege ich auch die Macht und den Einfluß in Karls Hände, die Feinde der Rodriganda's, welche nun auch die unserigen sind, niederzuschmettern.«

»Das ist allerdings sehr zu beherzigen. Darf ich vielleicht wissen, wer der Maler ist, dem Sie mit Ihrem Herzen ein so köstliches Geschenk gemacht haben?«

»Herzlich gern! Meine Mama wird ja meine beste Freundin und Vertraute


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sein; es soll ihr keine Falte meines Herzens verborgen bleiben. Ueberdies würden Sie ja so recht bald erfahren, wer er ist. Er heißt Rodenstein.«

»Rodenstein?« fragte Frau Sternau überrascht; »doch nicht etwa - - -?«

»Ja, Sie rathen richtig. Er ist Otto von Rodenstein.«

»Der Sohn des Herrn Hauptmannes?«

»Ja.«

»Mein Gott, welch eine Schickung! Welch eine Fügung des Himmels! Wahrlich, die Wege des Herrn sind wunderbar! Wie oft hat dieses unglückselige Zerwürfniß meine ganze, vollste Theilnahme erregt! Herr Otto trägt nicht die mindeste Schuld daran; ich kenne ihn genau; ich liebe ihn sehr; er ist Ihrer Liebe in jeder Beziehung vollständig würdig. Die Starrheit seines Vaters hat ihn schwer darnieder gebeugt, nun schickt der gütige Gott Sie als Engel, der die Versöhnung bringt; ich danke ihm von ganzem Herzen!«

»Und ich bin so unendlich glücklich, auserlesen zu sein, den Frieden bringen zu dürfen. Sie sehen, wir Frauen haben den herrlichen Beruf, die Liebe und Versöhnung ausstreuen zu dürfen. Auch Sie sind dazu berufen, und ich bitte Sie mit aller Inständigkeit, Papa nicht zurückzuweisen. Sie erblicken gewiß in dem Allen die weisen, allgütigen Fügungen des Himmels. Gott will nicht, daß der Sünder untergehe und verderbe. Seien Sie der Dolmetscher, der Vermittler der Vorsehung, und lassen Sie meinem armen, guten Papa die Vergebung finden, nach der er sich so innig gesehnt hat. Wir Alle werden es Ihnen danken, so lange wir athmen. Ihr Sohn hat ja mit seinem außerordentlichen Scharfblicke sogleich erkannt, daß das Leiden meines Vaters keine körperliche Ursache hat, sondern eine Folge des Leides ist, welches seine Seele belastet!«

Sie stand so innig und demüthig bittend vor ihrer einstigen Erzieherin, sie, die herzogliche Prinzessin. In ihren Augen standen große Thränentropfen, und Frau Sternau fühlte sich so tief ergriffen, daß auch sie ihren Thränen nicht gebieten konnte.

"Seien Sie getrost, mein gutes Kind!"

»Seien Sie getrost, mein gutes Kind!« sagte sie. »Ich werde mit Gott zu Rathe gehen, und er wird Alles zum Besten lenken. Lassen Sie uns jetzt schweigen. Was so tief die Seele bewegt, darf auch nur im Heiligthum des Herzens zur Klarheit gelangen.«

Sie umschlangen sich und setzten in dieser herzlichen Vereinigung nun still und wortlos den begonnenen Spaziergang fort.

Es war gewiß, daß der Herzog keinen besseren Anwalt, keinen glücklicheren Fürsprecher haben konnte, als seine Tochter. Ohne daß er es ahnte, war durch sie sein bedeutungsvolles Anliegen bereits gewonnen worden.

Unterdessen schritt auch der Hauptmann an der Seite des Herzoges im Gespräche dahin. Er fühlte sich hoch geehrt, einen solchen Mann als Gast bei sich sehen zu dürfen, und war ganz entzückt von dem einfachen, anspruchslosen Wesen desselben. Man begab sich in die Stallungen und besichtigte die Wirthschaftsräume; man ging sogar ein Stück in den Wald hinein. Dabei fand der brave, wenn auch etwas schroffe Hauptmann hinreichend Gelegenheit, sich auszusprechen, und als er dann später in sein Zimmer zurückkehrte, fühlte er sich so glücklich wie noch selten in seinem Leben. Und als dann der Gehilfe Ludewig Straubenberger bei ihm eintrat,


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um ihm eine dienstliche Meldung zu machen, fand er den Oberförster in einer ganz seltenen guten Laune. Ja, dieser ließ sich sogar so weit gehen, daß er fragte:

»Wie gefallen Dir unsere Gäste, Ludewig?«

»Zu Befehl, Herr Hauptmann, ganz ausgezeichnet dahier.«

»Der fremde Herr?«

»Ein Baron, ein feiner Kerl!«

»Baron? Pah, ein Herzog ist er!«

»Ein Herzog? Donnerwetter!« rief der brave Ludewig ganz erstaunt.

»Ja, ein Herzog. Er ist nur incognito gekommen, wie es bei solchen hohen Herrschaften die Mode ist.«

»Eine hübsche Mode, Herr Hauptmann! Unsereiner bringt kein Incognito fertig.«

»Ich wollte es mir auch sehr verbeten haben, daß Du einmal so incognito zu mir kämst! Und seine Tochter - was sagst Du zu ihr?«

»Hm!« schmunzelte der Gehilfe, daß ihm die Backen breit wurden.

»Was denn hm?«

»Ein ganz famoses Frauenzimmer! Fast so schön wie unsere liebe Gräfin Frau Sternau dahier!«

»Dummheit! Sie ist ebenso schön wie sie. Die Schönheiten sind nähmlich ganz und gar verschieden. Man theilt sie in verschiedene Kompagnien, Bataillone, Regimenter und Divisionen ein. Es giebt schwarze, braune und blonde Schönheiten; es giebt auch große und kleine, dicke und dünne Schönheiten; es giebt endlich feurige und schmachtende, zärtliche und zurückhaltende, stolze und bescheidene Schönheiten; es giebt Rosen und Veilchen, Himmelschlüsseln und Disteln, Klatschrosen und Vergißmeinnicht unter den Schönheiten; es giebt endlich ächte und künstliche, süße und saure Schönheiten.«

»Brrrr!«

»Ja, brrrr! Du hast Recht. Wir wollen Beide Gott danken, daß wir von diesen sauren nichts zu kosten haben! Aber diese herzogliche Prinzeß hat es mir wahrhaftig angethan. Hätte ich einen Sohn und wäre ich ein Herzog, so - -«

Er stockte mitten in der Rede. Es war bei ihm seit langer Zeit nicht vorgekommen, daß er das Wort Sohn ausgesprochen hatte; jetzt war es ihm doch entschlüpft, und halb zornig, halb verlegen darüber, fuhr er den Gehilfen an:

»Nun, was stehst Du noch da? Wir sind fertig. Oder denkst Du etwa, daß ich meinen Vortrag über die Schönheiten gerade Dir gehalten habe? Ich dachte, Du wärst längst hinaus. Packe Dich!«

»Zu Befehl, Herr Hauptmann!«

Der brave Ludewig ging. Er war diesen Ton bei seinem Herrn längst gewöhnt und nahm sich dergleichen Schroffheiten nicht zu Herzen. Draußen auf dem Corridor traf er auf die schöne Prinzeß, von welcher soeben die Rede gewesen war. Er stellte sich an die Wand, um sie vorüber zu lassen, aber sie blieb bei ihm stehen und fragte:

»Wie ich beim Diner sah, haben Sie die Bedienung bei Tafel?«

»Ja,« antwortete er.

»Heute Abend beim Souper auch wieder?«


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»Ja.«

»Können Sie schweigen?«

»Ganz fürchterlich dahier!« betheuerte er mit Nachdruck.

»Nun, so will ich Ihnen ein Geheimniß anvertrauen: Herr Otto von Rodenstein befindet sich hier in Rheinswalden - - -«

»Donnerw- - Sapperm- - Herrjeh, wollte ich sagen! Entschuldigen Sie dahier! Aber der junge Herr darf ja gar nicht nach Rheinswalden!«

»Leider! Aber ich hoffe, daß sich dies heute noch ändern wird. Er befindet sich jetzt drüben bei Frau Helmers. Wenn heut Abend beim Souper ich Ihnen einen Wink gebe, so springen Sie eiligst hinüber, um ihn zu holen. Lassen Sie dann die Thür nur angelehnt, so wird er unsere Unterhaltung hören und wissen, wann er einzutreten hat. Wollen Sie das thun?«

»Das versteht sich dahier ganz von selbst,« versicherte er.

Sie nickte ihm freundlich zu und ging weiter. Er blickte ihr lange nach und brummte dann vor sich hin:

»Ja, ja, der Herr Hauptmann hat ganz recht; diese Herzogin hat es auch mir angethan. Wäre mein Vater nicht ein Holzhacker, sondern ein Herzog gewesen dahier, so wüßte ich, was ich thäte. Wollen thäte sie mich schon, denn ich bin kein unebener Kerl, und sie hat mich ganz freundlich angelacht. So Eine könnte manchmal immer ein Bischen sauer sein; die macht man bald wieder süß! Also der junge Herr ist da! Hm! Das wird einen schönen Skandal geben; aber ich thue ihr doch den Gefallen und hole ihn. Für so Eine holte ich meinetwegen den Teufel bei den Ohren herbei, besonders wenn sie Einen so zärtlich anblickt, wie mich jetzt eben!«

Es gab zwischen den Bewohnern des Schlosses und ihren Gästen so viel zu erzählen, daß der Nachmittag sehr schnell verging. Zur Abwechslung mußte der kleine Kurt Helmers erscheinen, um seine Künste zu zeigen. So kam der Abend heran und mit ihm das Souper, bei welchem man recht munter war. Der Herzog fühlte sich fast gar nicht mehr als Patient; eine frohe Nachricht hatte ihm seine frühere Spannkraft fast ganz zurückgegeben. Flora hatte ihm nämlich ihre Unterredung mit Frau Sternau mitgetheilt; kurz vor dem Souper hatte eine ähnliche Unterredung stattgefunden; sie war zwar nur sehr kurz gewesen, aber Frau Sternau hatte angedeutet, daß sie entschlossen sei, dem Glücke so Vieler nicht entgegen zu treten. Auch das hatte der Herzog natürlich sofort erfahren und er beschloß, den alten Hauptmann durch einen Handstreich zu überrumpeln, um jede Abweisung von vorn herein abzuschneiden.

Er sah während des Essens die Augen der einstigen Gouvernante so mild und versöhnlich auf sich gerichtet; er hörte aus dem sanften Tone ihrer Stimme ein Etwas, was ihm Muth machte; darum war er so heiter gestimmt, und daher sagte er, als von seiner Krankheit die Rede war und von der Hoffnung, daß er hier in Rheinswalden vollständig genesen werde:

»Gerade deshalb hat mich der Herr Doctor Sternau hergeschickt, und ich danke ihm herzlich dafür; aber es giebt noch einen zweiten Grund meines Kommens; er bezieht sich auf Sie, Herr Hauptmann.«

»Auf mich?« fragte dieser. »Darf ich ihn erfahren, Durchlaucht?«


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»Freilich! Meine Tochter steht nämlich im Begriffe, sich zu vermählen; ich werde dann einsam sein und habe, um diesem zu entgehen, mich entschlossen, denselben Schritt zu thun wie sie.«

»Sich zu vermählen?« fragte der Hauptmann.

»Ja,« antwortete der Herzog.

Frau Sternau wußte, was nun kommen werde, und gab sich alle Mühe, ihre Bewegung zu verbergen. Flora aber gab Ludewig den betreffenden Wink, worauf er sofort aus dem Speisesaale verschwand.

»Zwar bin ich nicht mehr jung,« fuhr Olsunna fort, »und habe mich von meinem Leiden noch nicht erholt, doch hoffe ich bald wieder rüstig zu sein und dann die Befähigung zu besitzen jenes heitere Glück genießen und geben zu können, welches auf gegenseitiger Achtung und freundlicher Zuneigung beruht. Ich habe auch bereits gewählt, nicht eine Spanierin, sondern eine Deutsche, welche auch zu dem Kreise Ihrer Bekannten zählt Herr Hauptmann.«

»Ah, wirklich? Wer ist es?« fragte dieser, vor Erstaunen gar nicht überlegend, daß er mit seiner Frage eine große Indiscretion begehe.

»Ich werde es Ihnen nachher mittheilen. Sie wissen, daß es Gepflogenheit ist, sich in solchen Angelegenheiten an einen Freund zu wenden, welcher das Amt eines Freiwerbers übernimmt. Ich hoffe, Sie glauben meiner aufrichtigen Versicherung, daß ich Sie als Freund betrachte und so kenne ich keinen geeigneteren Herrn, mich ihm anzuvertrauen, als Sie, mein bester Herr Hauptmann. Wollen Sie die Werbung für mich übernehmen?«

Der Oberförster machte ein Gesicht wie noch nie in seinem ganzen Leben. Er saß mit weit geöffnetem Munde da; er war ganz perplex. Er sollte den Freiwerber für einen Herzog machen! Er, der einfache Hauptmann außer Dienst! Welche Ehre! Sein Selbstgefühl dehnte sich in das Unendliche und gab ihm die Fassung zurück. Er sprang rasch auf und rief eifrig:

»Mit allergrößtem Vergnügen, Durchlaucht! Ich werde meine Sache so schön machen, wie kein Anderer; ich werfe mich in die feinste Gala; befehlen Sie über mich! Und der Teufel soll das Frauenzimmer holen, welches es wagt, Sie nicht zu mögen!«

Alle lachten, sogar Frau Sternau mit, über diese drastische Aeußerung, zu welcher er sich von seinem Eifer hatte hinreißen lassen.

»Einer besonderen Galauniform bedarf es nicht, mein bester Herr von Rodenstein,« meinte der Herzog. »Die Dame, welche ich meine, ist sehr anspruchslos; Sie können Ihres Amtes gerade in demselben Kostüm warten, welches Sie gegenwärtig tragen. Darf ich Ihnen die Zeit angeben, in welcher ich die Werbung von Ihnen gethan wünsche?«

»Jawohl, jawohl! Ich bin zu jedem Augenblicke bereit!«

»Nun gut, so haben Sie die Güte, sofort zu beginnen!«

»Sofort? Wie meinen Sie das, Excellenz?«

»Ich meine, daß Sie jetzt, in dieser Minute, die betreffende Dame fragen sollen, ob sie mich mit ihrer Hand und uns Alle beglücken will.«

»Jetzt! In dieser Minute! Die betreffende Dame!« rief der Hauptmann ganz verwirrt. »Das klingt ja, als ob die Dame sich hier befände!«


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»Allerdings befindet sie sich hier. Flora, Du sitzest neben dem Herrn Hauptmanne; sage ihm den Namen.«

Flora beugte sich zum Ohre des Hauptmannes hinüber und flüsterte ihm den Namen in das Ohr. Er machte ein Gesicht, als ob er eine Ohrfeige erhalten habe, streckte die Hände wie abwehrend von sich und sagte:

»Sie scherzen, Durchlaucht! Aber ich sage Ihnen, daß meine brave Frau Sternau nicht die Dame ist, mit der ich spaßen möchte!«

Da antwortete Olsunna ernst:

»Sie haben recht. Ich scherze keineswegs. Frau Sternau war in Spanien; sie ist eine Bekannte von mir. Ich habe sie geliebt, als sie noch eine Sennora Wilhelmi war, und dieser Liebe gebe ich jetzt Ausdruck, indem ich ihr meine Hand antrage. Mein Rang kommt hier gar nicht in Betracht; ich trete in das Stillleben zurück und erkläre den Herrn Doctor Sternau für meinen Sohn, der mein Nachfolger, der Träger aller meiner Ehren sein wird.«

Diese Erklärung war für Rosa und Fräulein Sternau fast ebenso überraschend, wie für den Hauptmann.

»Das ist entweder ganz toll, oder die reine Wahrheit!« rief der Letztere.

»Es ist die reine Wahrheit; thun Sie also jetzt Ihre Pflicht, Herr Hauptmann!«

Dieser befand sich noch immer in einer großen Verlegenheit. Die ganze Sache war ihm so ungeheuerlich, daß er nicht daran glauben konnte. Wollte man ihn foppen? War es vielleicht in Spanien erlaubt, solche Scherze zu treiben? Aber der Ton des Herzogs war ein so ernster, fast befehlender. Es war ja Alles möglich. Hatte doch auch Gräfin Rosa den Doctor Sternau zum Manne genommen! Es mußte gesprochen werden, es mochte daraus werden, was nur wolle; darum nahm er eine möglichst würdevolle Haltung an und sagte, zu Frau Sternau gewendet:

»Meine liebe Frau Sternau, ich weiß allerdings nicht, woran ich eigentlich bin, aber Sie haben ja selbst gehört, daß ich nicht anders kann. Seine Durchlaucht, der Herzog Eusebio von Olsunna giebt mir den ehrenvollen Auftrag, Sie für ihn um seine Hand zu bitten. Weiß Gott, diese Hand ist brav; sie ist ebenso viel werth, wie die Hand einer Hofdame! Sie wissen besser wie ich, ob ein Scherz gemeint ist. Ist es aber wirklich ernst, so wünsche ich Ihnen von ganzem Herzen Glück zu dieser Verbindung und ersuche Sie, mir eine klare und offene Antwort zu geben!«

Da stand die Befragte auf, reichte ihre Linke dem Oberförster und ihre Rechte dem Herzoge dar und antwortete:

»Mein bester Herr Hauptmann, es ist wirklich ernst gemeint. Ich danke Ihnen herzlich und erkläre, daß ich bereit bin, die Gemahlin eines Herzoges zu werden, nicht des Glanzes willen, sondern um Derer willen, die ich liebe und welche diese Verbindung wünschen.«

Da sprang Flora auf sie zu und schloß sie in ihre Arme.

»O, Mutter, jetzt habe ich eine Mutter, die ich lieben kann! Wie glücklich machst Du Deine Tochter!«

Das hagere Gesicht des Herzogs glänzte vor Freude.


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Rosa konnte das Alles noch nicht so recht verstehen, auch Fräulein Sternau ging es so, doch traten Beide herbei, um den Verlobten ihre Glückwünsche darzubringen.

An der Thür stand Ludewig wieder.

»Ist dies Komödie oder Wahrheit?« brummte er. »Unsere Frau Sternau eine Herzogin dahier! Das hätte ich ihr doch nicht angesehen! Wie sich so eine Frau doch verstellen kann; vielleicht war sie auch blos incognito auf Rheinswalden!«

Und hinter der Thür lauschte Einer, dem das Herz in banger Erwartung stürmisch klopfte - Otto von Rodenstein. Er wußte, daß jetzt die Entscheidung kommen werde und wünschte nichts sehnlicher, als daß sie bald vorüber sei.

Der Hauptmann begriff jetzt endlich, daß man keinen Scherz getrieben habe; er konnte zwar das ungeheure Glück nicht begreifen, welches seiner Wirthschafterin widerfuhr, aber er blieb nicht zurück und brachte nun auch seine Gratulation an. Dann fügte er hinzu:

»Durchlaucht, Sie nehmen mir da eine Dame fort, welche mir nie wieder zu ersetzen sein wird. Und das Schlimmste ist, daß nun auch Fräulein Sternau nicht mehr wird bei mir bleiben wollen.«

»Tragen Sie keine Sorge!« antwortete Olsunna. »Ich glaube heute nicht, daß wir uns auf weite Entfernungen und längere Zeiten trennen werden, doch werde ich sofort für einen Ersatz sorgen, von dem ich hoffe, daß er Ihnen genügend sein wird.«

»Eine neue Haushälterin?« fragte der Hauptmann zweifelnd.

»Ja, oder wohl etwas noch viel Besseres. Sie haben die Ihnen von mir anvertraute Werbung übernommen, Herr Hauptmann; ich bin Ihnen dafür zu Dank verpflichtet, und der angemessenste Gegendienst, den ich Ihnen dafür zu leisten vermag, ist der, daß ich nun meinerseits bei Ihnen als Freiwerber auftrete.«

»Bei mir?« fragte Rodenstein erstaunt.

»Ja, mein Bester!«

»Ich habe keine Tochter!«

»Aber einen Sohn, und ich hoffe, daß ich keine schlimmere Antwort erhalte, als sie Ihnen von meiner jetzigen Braut gegeben worden ist!«

»Bitte, Durchlaucht, schweigen wir!« sagte da der Hauptmann streng. »Dies ist ein Thema, von dem ich befohlen habe, daß es bei mir niemals berührt werden soll!«

»Sie werden mir erlauben, nicht zu den Unterthanen zu gehören, denen Sie diesen Befehl gegeben haben. Und ferner werden Sie als Derjenige, dessen Gast ich bin, die Höflichkeit besitzen, mich anzuhören!«

Das Gesicht Rodensteins hatte einen ganz anderen Ausdruck angenommen als vorher, dennoch beherrschte sich der sonst so jähzornige Mann und sagte:

»Einem Anderen würde ich eine solche Rede nicht erlauben. Sprechen Sie!«

»Sie haben Ihrem Sohne das Recht genommen, sein Vaterhaus zu betreten,« begann Olsunna.

»Er hat es verdient!« unterbrach ihn Rodenstein.

»Das ist Ihre Meinung, Herr Hauptmann; ich aber will es nicht untersuchen,


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ob es recht oder unrecht ist, einen hochbegabten Sohn zum Sclaven eines Principes zu machen und ihm in Folge dessen zu verbieten, der Stimme Gottes zu gehorchen, welcher ihm sein Talent gegeben hat um Großes zu leisten. Ihr Sohn hat der Stimme Gottes gehorcht, nach schweren Kämpfen; Sie haben ihn von sich verbannt, ihn des Vaterhauses, der Vaterliebe, des Namens beraubt; vielleicht hätten Sie anders gehandelt, wenn die vermittelnde Stimme der Mutter dazwischen hätte klingen können, des Weibes, welches Sie einst geliebt haben und an das Sie denken mußten, ehe Sie den Sohn von sich stießen, denn dieser gehört nicht Ihnen allein.«

»Donnerwetter!« brummte der Hauptmann.

Es war nicht genau zu bemerken, ob dies ein Wort des Zornes sein sollte, oder ob es einen Mißmuth bedeutete über eine zartere Regung, welche sich aus seinem verschlossenen Innern empordrängte. Alle wußten, daß er an seiner verstorbenen Frau mit großer Innigkeit gehangen hatte, und daß gerade der Hader über ihren Verlust ihn so rauh und grillig gemacht hatte. Der Herzog fuhr unbeirrt fort:

»So ist Ihr Sohn also seinen eigenen Weg gegangen, und dieser Weg hat ihn zur Höhe geführt. Trotzdem hat er seinem Ruhme entsagen wollen, um das Vaterherz wieder zu gewinnen. Dieses Opfer war groß, war ungeheuer; es gehörte die ganze Summe einer außerordentlichen Selbstverleugnung und Kindesliebe dazu, es zu bringen; Sie aber haben es nicht angenommen und die Großherzigkeit Ihres Sohnes nicht anerkannt. Ich hege eine bessere Meinung von ihm; er hat sich meine vollste Hochachtung erworben. Er ist ein ungewöhnlicher Mann, auf den Sie stolz sein sollten, und so bin ich bereit, ihm Achtung und Theilnahme auf eine ungewöhnliche Art zu beweisen. Er hat eine junge Dame von sehr ehrenwerther Stellung kennen gelernt, aber er will sich ohne Wissen seines Vaters nicht vermählen; er ist der Künstler, durch den wir den Grafen Rodriganda entdeckt haben; ich bitte an seiner Stelle für ihn um die Erlaubniß, jener Dame seine Hand reichen zu dürfen!«

In dieser Weise hatte noch Niemand mit dem Hauptmann zu sprechen gewagt. Es wurmte ihn gewaltig, aber über sein Gesicht zuckte es doch wie väterlicher Stolz, seinen Sohn von einem solchen Manne so gelobt zu sehen, und wie eine herzliche Rührung, welche er nicht zu unterdrücken vermochte.

»Wer ist diese Dame?« fragte er endlich.

»Hier steht sie,« antwortete der Herzog, »meine Tochter Flora.«

Da that der Oberförster einen Schritt vorwärts und rief:

»Ihre Tochter, die Prinzeß? Wenn vorhin Alles Ernst war, so ist doch dies hier Scherz!«

»Glauben Sie wirklich, daß der Herzog von Olsunna seine einzige Tochter einem armen Teufel geradezu anbietet, um sich nur einen Spaß zu machen? Meine Tochter liebt Ihren Sohn; er ist das werth; sie sollen glücklich sein, darum gab ich ihnen mein Jawort. Jetzt thun Sie, was Sie vor uns, vor Gott und vor Ihrem Vaterherzen verantworten können!«

Da legte der Hauptmann die beiden Hände an seine Stirn und sagte:

»Bin ich irrsinnig! Mein Sohn die Tochter des Herzogs von Olsunna! Sollte ich mich wirklich so gewaltig in ihm geirrt haben! Sollte er wirklich so ein Sapperlot sein, der sich an eine Prinzessin wagt! Hole mich der Kukuk, dann


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wäre ich ja der dümmste Kerl gewesen, den es nur geben kann! Aber, Durchlaucht, wo ist er denn? Wenn sie ihm die Hand Ihrer Tochter geben wollen, so müssen Sie doch wissen, wo er sich befindet.«

»Hier bin ich, Vater, hier!« rief es von der Thür her.

Otto drang herein, eilte auf den Vater zu und faßte ihn bei beiden Händen.

»Was, hier?« fragte der Hauptmann. »Das habe ich Dir verboten. Beweise mir erst, daß Alles wahr ist, sonst glaube ich es nicht!«

»Es ist wahr!« bestätigte da Flora.

Sie trat näher, umarmte und küßte ihren Verlobten und schlang dann auch die Arme um den Hauptmann.

»Nicht wahr, lieber Papa, Sie sind ihm nicht mehr bös?« schmeichelte sie. »Er hat Sie so lieb; er hat so sehr getrauert und ohne Ihre Liebe ist es mir ganz und gar unmöglich, ihn glücklich zu machen!«

Da rieb er sich abermals die Stirn und fragte:

»Prinzeß, Blitzmädel, ist's wahr, Du umarmst den alten Rodenstein?«

»O, ich küsse ihn sogar, denn ich habe ihn bereits recht lieb!«

So antwortete sie, und ehe er sich versah, fühlte er ihre vollen, warmen Lippen ein-, zwei-, dreimal auf seinem bärtigen Munde.

Da warf er jubelnd beide Arme in die Luft und rief:

»Es ist wirklich wahr! Mein Junge heiratet eine Herzogin! Er ist ein Kerl, vor dem sogar ein König Respect haben muß! Victoria! Halleluja! Hosianna, Davids Sohn! Hussa! Hurrah! Ludewig, lauf, renn, hinunter in den Hof! Die Kerls sollen sogleich ihre Jagdhörner hernehmen und dreißigtausend Fanfaren blasen, bis ihnen der Athem ausgeht!«

Im Nu war der treue Jagdgehilfe verschwunden. Der Hauptmann aber breitete die Arme aus so weit er konnte und rief:

»Kommt an mein Herz, Kinder, Alle, Alle! Verzeiht dem alten Rodenstein, daß er ein solcher Dummrian gewesen ist, sich und seinem guten Jungen das Leben so sauer zu machen. Von jetzt an aber soll es anders werden!«

Jetzt flossen allerseits die hellsten Freudenthränen, denn das Glück drängt die heißen Tropfen ebenso aus dem Herzen wie das Leid. Eine solche Freude war auf Schloß Rheinswalden noch gar nicht erlebt worden, und noch bis in die späte Nacht saßen die Versöhnten und Vereinten beisammen, um sich Einer an der Wonne des Anderen zu berauschen.

Die einzigen Schattenpunkte bildeten der Zustand des Grafen Emanuel, der bei all dem Jubel theilnahmlos blieb, und die Abwesenheit Sternau's.

Man beschloß, den Letzteren sofort von Allem zu benachrichtigen sobald man eine sichere Adresse von ihm erfahre. Dies geschah auch später; wir werden noch erfahren, ob dieser Brief an ihn gelangt ist oder nicht. - - -

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Drittes Kapitel.

Ein Wiedersehen.

»Ich lag in tiefer, finsterer Nacht,
   Von Thränen des Grimmes befeuchtet.
Es hat kein Stern mich angelacht,
   Kein Sonnenstrahl mir geleuchtet.

Doch Deine Liebe war mein Stern,
   Und die Hoffnung war meine Sonne.
Ich schrie empor zu Gott, dem Herrn,
   Und dachte des Rächers mit Wonne.

Nun hat der Barmherzige mich erhört;
   0Er weiß auch, was noch ich erflehe:
All' Denen, die mir mein Glück zerstört,
   Ein Wehe, ein dreifach Wehe!«

Nach dem Zusammentreffen mit dem Räuberschiffe dampfte die »Rosa« in den Fluß zurück. Die Nacht war zwar dunkel und die Flußfahrt in Folge dessen nicht ungefährlich, aber Kapitän Helmers hatte während des Tages jede Biegung und Krümmung des Flusses kennen gelernt und getraute sich, die Mission glücklich zu erreichen.

An seiner Seite stand Sternau in einer Aufregung, welche nicht gewöhnlich war. Er war zu wenig Seemann, um die Vorsicht des Kapitäns zu begreifen. Dieser ahnte seine Stimmung und versuchte, sich zu rechtfertigen. Es gelang ihm erst dann, als er nachwies, daß die »Pendola« jedenfalls nach dem Cap segeln werde. Die kleine Yacht war als Dampfer viel schneller und mußte dort eher ankommen; sie konnte ihn erwarten und abfangen.

»Wir gehen sofort nach unserer Landung zum Gouverneur,« sagte Helmers, »und zeigen ihm an, daß die »Pendola« nichts anderes ist als das berüchtigte Piratenschiff der »Lion«. Darauf wird der Gouverneur keinen Augenblick versäumen, alle Maßregeln zu ergreifen, diesen Kapitän Henrico Landola festzunehmen.«

»Aber wenn nun Landola zu klug ist, um nach dem Kap zu gehen?«

»So wird er es wenigstens umschiffen, denn der Neger hat Ihnen doch gesagt, daß der gefangene Husarenlieutenant nach Borneo gebracht werden soll. Wir kreuzen im Kanale von Mozambique und werden ihn selber auffangen.«

»Er kann auch auf die Ostseite von Mozambique zu halten und zwischen dieser Insel und Bourbon hindurch gehen.«

»So kreuzen wir von der Delagoa-Bai bis zum Kap St. Marie hinüber, welches er jedenfalls doubliren muß. Wir treffen ihn, mag er nun in der Kapstadt anlegen oder um das Kap herumsegeln.«

Das war ganz klug gedacht und gesagt, aber der brave Helmers hatte die Verschlagenheit Landola's nicht mit in seine Berechnung gezogen. Ein Pirat darf nicht nur ein tüchtiger Seemann, sondern er muß auch, so zu sagen, ein Stratege,


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ein guter Schachspieler sein, der die Pläne seines Gegners erräth und nach denselben seine Gegenzüge einrichtet. Und das war Landola im hohen Grade.

Dieser hatte am Abende seine Leute ausgeschifft und nach der Mission geführt, diese aber vollständig verlassen gefunden, sein Plan war mißglückt. Erst hatte er die Häuser vor Wuth in Brand stecken wollen, aber seine Klugheit hatte ihm gesagt, daß dies nicht nur zwecklos, sondern sogar gefährlich sei. Die Häuser, welche ja außer dem Missionsgebäude nur Hütten waren, enthielten nichts Werthvolles, da die Bewohner, wie sich herausstellte, Alles mitgenommen hatten; wurden sie verbrannt, so waren ja bald wieder neue hergestellt. Und sodann hätte ein solcher Brand die ganze Gegend beleuchtet und den Rückzug der Piraten auf das Höchste gefährdet. Man wußte nicht, wo die Vertheidiger versteckt lagen und konnte ihren Waffen leicht zum Opfer fallen.

Aus diesen Gründen zog Landola sich zurück, ohne Rache zu nehmen. Am Ufer theilte er verabredeter Maßen seine Leute. Mit der einen Hälfte kehrte er zur »Pendola« zurück und die andere Hälfte sollte die norwegische Barke wieder aufsuchen.

Eben als er sein Schiff erreichte, wurde er von der Dampfyacht angegriffen. Er hatte die Schüsse derselben, denen die Barke erlegen war, gehört, und die Kanonade nicht begreifen können; jetzt aber, nachdem er den »Gruß aus Rodriganda« gehört hatte, ging ihm eine Ahnung auf. Er ließ der verwegenen Yacht eine Breitseite geben, welche aber nicht traf, und befahl dann zu kreuzen. Dem Steuermann war das unerklärlich.

»Wir müssen dieser Nußschale nach; wir müssen sie in den Grund bohren!« sagte dieser.

»Pah!« antwortete der Kapitän. »Wir erreichen sie nicht, denn sie ist schneller als wir, und der Fluß ist uns gefährlich. Wir haben jetzt Ebbe und können nicht aufwärts, und wenn wir es könnten, so wären wir doch verloren. Diese kleine Yacht ist im Flusse ein Gegner, den man nicht gering schätzen darf.«

»Aber warum kreuzen? Ich denke, wir gehen nach dem Kap, wie Sie ja befohlen hatten?«

»Habt Ihr denn die Kanonenschüsse nicht gehört? Ich ahne, daß die Yacht unsere Barke schlecht zugerichtet hat, vielleicht wurde sie gar in den Grund gebohrt, da die Besatzung der Yacht sich gar so verwegen und begeistert zeigte. In diesem Falle kann ja die andere Abtheilung unserer Leute gar nicht an Bord kommen, und wir müssen sie hier aufnehmen. Gebt, damit sie uns finden, einige Schüsse ab, und zieht die gelben Lichter empor!«

Dies geschah, und es zeigte sich, daß Landola recht gehabt hatte, denn die Boote kamen bald herbei und meldeten, daß die Barke untergegangen sei. Sie hatten dies an den Trümmern gesehen, auf welche sie gestoßen waren.

Landola sah ein, daß er seine Absicht hier unmöglich erreichen werde und segelte nach Süden. Der »Gruß aus Rodriganda« war ihm ein Räthsel. Derjenige, welcher ihm denselben zugerufen hatte, war ein Feind; daran konnte gar nicht gezweifelt werden; aber Landola konnte sich nicht denken, wer es sei. Er sagte sich, daß die Yacht jedenfalls nach dem Kap dampfen werde, um dort Anzeige zu machen, und traf seine Vorkehrungen darnach.


Er selbst mußte eigentlich noch einmal nach der Kapstadt, um dort Nachrichten einzunehmen, welche vor einigen Tagen noch nicht eingegangen gewesen waren, und doch durfte er sich nicht sehen lassen, da die Yacht jedenfalls vor ihm dort anlangte und gewiß sofort Anzeige erstattete. Daher hielt er weit nach West, über den eigentlichen Kurs hinaus, um keinem Fahrzeuge zu begegnen, ging dann nach Süd und lenkte einige Seemeilen vor der Höhe der Kapstadt gerade nach Ost um.

Als er sich in dieser Breite befand, war es Nacht, und er konnte also ungesehen sich der Küste nähern. Dort suchte er einige Zeit vor dem vollen Anbruche des Tages, also beim ersten Morgengrauen, eine einsame Bucht auf, in welcher er vor Anker ging, ohne von Jemand gesehen worden zu sein.

Dann schrieb er einen Brief an seinen Agenten in der Kapstadt, dem er vollständig vertrauen konnte, und welcher die Aufgabe hatte, alle eingehenden Briefe und Depeschen für ihn aufzubewahren. Diesen Brief erhielten zwei Leute, welche ein Fahrzeug bestiegen, ein Segel setzten und nach der Kapstadt fuhren.

Sie erreichten diese unbehelligt, und während der Eine im Boote blieb, ging der Andere zu dem Agenten, welcher den Brief las.

»Es ist ein Glück, daß Ihr Euch versteckt habt,« meinte er, als er fertig war. »Ein Deutscher, welcher gestern Abend auf einer Dampfyacht hier einlief, hat angezeigt, daß Kapitän Landola gleichbedeutend ist mit dem Piraten Grandeprise.«

»Ist er noch hier?« fragte der Mann.

»Ja; er nimmt Kohlen ein; sein Vorrath ist auf die Neige gegangen.«

»Wie heißt er?«

»Sternau. Und der Kapitän der Yacht heißt Helmers. Der Gouverneur hat alle Agenten zu sich beordert, um sie zu warnen, mit Landola auch nur schriftlich zu verkehren, ohne alle Correspondenzen, welche sich auf ihn beziehen, sofort an die Behörde abzuliefern. Auch ich bin gezwungen, vorsichtig zu sein. Zwar werde ich jetzt eine Depesche, welche ich gestern erhielt, noch aushändigen, weiter aber kann ich für die nächste Zeit nichts mehr wagen.«

Er gab dem Manne die Depesche, welche geöffnet, aber in einer Art von Zifferschrift abgefaßt war, und dieser entfernte sich. Er hatte von Landola Weisung erhalten, sich so genau wie möglich nach der Yacht zu erkundigen, und ging deshalb nach dem Hafentheile, an welchem sie vor Anker lag.

Er hatte diesen Ort noch nicht erreicht, so begegnete ihm ein Mann, welcher bei seinem Anblicke wie sinnend stehen blieb und sich dann wieder umwendete, um ihn anzuhalten. Der Fremde trug die Tracht eines gut situirten Seemannes.

»Holla, Junge,« sagte er, »zu welchem Schiffe gehörst Du?«

»Zu den Amerikanern da draußen,« antwortete schnell gefaßt der Pirat. Er deutete auf eine amerikanische Brigg, an welcher er bei seiner Einfahrt in den Hafen vorübergekommen war.

»So, so!« meinte der Andere zweifelnd. »Ich glaube, Dich bei einem anderen Schiffe gesehen zu haben. Kennst Du Funchal, mein Bursche?«

»Ja.«

»Wann warst Du dort?«

»Vor langen Jahren; ich diente damals auf einem Franzosen.«

»So! Da kennst Du wohl auch die lange, dürre Mutter Dry?«


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»Kann mich nicht besinnen. Es ist zu lange her.«

»Hm, ich dachte, Dich vor nicht so gar zu langer Zeit dort gesehen zu haben. Hast Du einmal Etwas vom »Jeffrouw Miete« gehört?«

»Nie.«

»Dann irre ich mich sehr. Ich dachte wirklich, Du gehörtest noch vor Kurzem auf die »Pendola«, Kapitän Landola.«

»Kenne den Mann nicht, habe überhaupt keine Zeit. Adieu!«

Er ging weiter. Aber hinter der nächsten Ecke blieb er einen kurzen Augenblick stehen, um hinter ihrem Schutze vorsichtig zu lugen, und da sah er, daß der Fremde ihm folgte. Er erkannte sofort, daß es gefährlich sei, sich länger aufzuhalten und suchte deshalb rasch seine Zille auf, mit welcher er sofort die Stadt verließ.

Der Fremde, welcher ihn angeredet hatte, war kein Anderer als Helmers, welcher zum Hafenmeister gehen wollte, um seine Papiere zu klaren, denn die Rosa war fertig mit der Aufnahme der Kohlen und sollte wieder in See stechen.

Er erinnerte sich ganz genau des Gesichtes dieses Mannes und schöpfte Verdacht. Daher folgte er ihm von Weitem und kehrte, als er sah, daß er vom Lande stieß, schnell zu der Yacht zurück, auf welcher er Sternau traf.

»Herr Doctor, sehen Sie die Zille, welche dort Außen hält?« fragte er ihn.

»Ja.«

»Es sitzen zwei Kerls darin, von welchen der Eine noch vor Kurzem auf die »Pendola« gehörte. Er sagte mir, daß er auf dem Amerikaner da draußen diene, aber ich glaube es ihm nicht, denn die Zille war verdammt wenig amerikanisch gebaut. Hier giebt es vielleicht eine Spur. Setzen Sie das Boot aus und lassen Sie ihn von zwei Mann verfolgen, aber so, daß er nichts merkt. Ich wäre selbst dabei, aber ich muß auf das Hafenamt.«

Er verließ das Schiff, und Sternau folgte seinem Rathe. Er bemerkte bald, daß die Zille nicht bei den Amerikanern anlegte, sondern an ihm vorüber segelte. Daher beorderte er vier tüchtige Ruderer und einen Steurer in das Boot, welches den Befehl erhielt, die Zille zu verfolgen, ohne sich sehen zu lassen.

Das Meer ging zwar nicht unruhig, aber dennoch waren die Wogen so hoch, daß man das Boot, da es kein Segel führte, von weitem gar nicht sehen konnte, da die Wogen es verdeckten; das Segel der Zille aber leuchtete auf weite Entfernung hin.

Die beiden Piraten hatten eine gute Fahrt. Sie brauchten nicht zu rudern und saßen faul auf der Bank. Der Wind war hinter ihnen, und so erreichten sie in angemessen kurzer Zeit die »Pendola«.

Der Kapitän nahm die Meldung wortlos hin und ging sodann in die Kajüte, um die Depesche zu entziffern. Sie lautete:

»Doctor Sternau, der, welchen wir in Barcelona einschließen ließen, ist hinter Ihnen her. Er weiß Alles. Cortejo.«

Graf Alfonzo hatte nämlich nach seiner Ankunft in Rodriganda Alles erzählt und auch das, was sein Diener Gerard in Rheinswalden erfahren hatte, und so hielt es Gasparino Cortejo für gerathen, den Kapitän zu benachrichtigen. Er hatte ganz dieselbe Depesche an verschiedene Plätze geschickt, von denen er wußte, daß Lan-


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dola dort verkehre. Die Chiffreschrift war einst von ihnen entworfen worden, und sie hatten bereits seit längerer Zeit in derselben mit einander verkehrt.

Kapitän Landola kehrte auf das Verdeck zurück und suchte seinen ersten Offizier auf.

»Laßt den Anker lichten!« sagte er.

»Jetzt?« fragte dieser erstaunt. »Ist es nicht gefährlich, sich bei Tage hier sehen zu lassen?«

»Allerdings, aber noch gefährlicher ist es, hier zu bleiben. Wir gehen direct nach Westindien.«

Der Offizier wußte, daß der eigentliche Cours nach dem indischen Ocean gewesen war; darum machte er ein so erstauntes Gesicht, daß Landola ihm erklärte:

»Wir haben einen Verfolger hinter uns, den wir unbedingt irre führen müssen. Und überdies ist es bekannt geworden, daß die »Pendola« der »Lion« ist. Wir müssen Bau und Takellage verändern und andere Papiere haben. Vorwärts also!«

Als das Schiff die Bucht verließ, hielt das Boot Sternau's nicht viel über eine halbe englische Meile entfernt hart am Ufer, von welchem es nicht gut unterschieden werden konnte. Die fünf Männer blickten der »Pendola« nach, so lange sie zu sehen war und kehrten sodann nach der Capstadt zurück, die sie, da sie den Wind gegen sich hatten und den Weg per Ruder zurücklegen mußten, erst spät erreichten.

Die »Rosa« wartete ihrer bereits mit geheiztem Kessel. Sternau und Helmers hörten ihren Bericht mit an, fragten genau nach den Manoeuvren der »Pendola« und dann sagte Helmers:

»Er reißt aus; er geht nicht um das Cap.«

»Aber wohin sonst?«

»Ha, das ist schwer zu errathen. Man muß ihm augenblicklich folgen. Ich habe so einen Gedanken, der zwar falsch sein, aber auch das Richtige treffen kann.«

Er ging einige Male über die Breite der Yacht hin und her und meinte dann:

»Landola weiß nun, daß er verrathen ist. Er muß, um sicher zu sein, sein Schiff und auch den Namen desselben verändern. Und wo kann er das thun? Auf einer öffentlichen Werft nicht.

Er muß vielmehr einen verborgenen Ort aufsuchen, und den findet er am Besten in Westindien, hinter den Antillen, auf einer der kleinen Inseln, die dort zu Hunderten zu treffen sind. Ich glaube, daß meine Vermuthung die richtige ist.«

»So müssen wir ihm schnell nach!«

»Das ist schwer. Er wird alle gebahnten Seewege vermeiden, und so ist er nicht leicht aufzufinden. Den Golfstrom aber muß er aufsuchen, und wenn wir ihm nach dort vorausdampfen, so finden wir ihn sicher.«

»Ich begreife das nicht.«

»Herr Doktor, Sie sind kein Seemann. Für uns giebt es ebenso genau führende Straßen wie für den Fuhrmann zu Lande. Verlassen Sie sich auf mich; er entgeht uns nicht. Und zu Ihrer Beruhigung will ich ein Stück nach West gehen und dann zwischen Nord und Süd kreuzen, wo wir ihn ganz sicher zu sehen bekommen. Dann werden wir ja finden, welchen Kurs er einhält.«

»Wir greifen ihn sofort an!«

»Das geht nicht. Wir können ihn nur verwunden, er aber kann uns tödten.


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Er hat Bote, um sich zu retten, wenn es uns gelingen sollte, sein Schiff anzuschießen; trifft aber uns eine einzige unglückliche Kugel, so sind wir verloren. Unsere zwei Bote fassen nicht die Hälfte unserer Leute; sie sind gebaut für kurze Ruderstrecken, nicht aber, um über den Ocean zu fahren.«

Sternau mußte dem verständigen und erfahrenen Kapitän Recht geben und bemerkte also, daß er sich seiner besseren Einsicht fügen werde. In kürzester Zeit fuhr darauf die »Rosa« zum Hafen der Kapstadt hinaus, um die hohe See zu gewinnen. -

- - - Es war zwei Wochen später, da saß drüben in Mexiko ein wunderhübsches Mädchen in ihrer Hängematte und hielt zwei Briefe in der Hand. Den einen hatte sie bereits gelesen, und der andere, auf welchem jetzt ihr schönes Auge ruhte, lautete:

                        »An Miß Amy Lindsay, Mexiko.
      Theure Miß.
Es waren sehr eigenthümliche Verhältnisse, unter denen Sie Rodriganda verließen, und da ich wohl annehmen darf, daß Sie die Entwickelung derselben zu hören wünschen, so glaube ich, auf Ihre Verzeihung rechnen zu können, wenn ich mich zum Berichterstatter aufwerfe.
   In der Anlage erhalten Sie, da ich grad dazu jetzt Muse besitze, eine ausführliche Darstellung aller Ereignisse bis auf den heutigen Tag, und Sie werden aus dem Schlusse ersehen, daß ich diese Zeilen hier in Greenock auf einem Ihrer Wohnsitze, und als Gast des Herrn Advokaten Millner schreibe. Morgen reise ich ab, und so Gott will, finde ich die Spur des Herrn von Lautreville, der sich als Gefangener an Bord der »Pendola« befindet.
   Da Sie heut die gegenwärtige Adresse von Rosa erfahren, so darf ich vielleicht hoffen, daß dieselbe ein freundliches Lebenszeichen von Ihnen erhält. Sobald ich nur einigen Erfolg habe, wird Ihnen derselbe gemeldet von
      Ihrem ergebenen
                               Karl Sternau.«

Dies war der Begleitbrief. Nun begann sie die vielseitige Einlage zu lesen. Sie erfuhr aus derselben Alles, was sich seit ihrer Abreise von Rodriganda ereignet hatte, auch die Vermählung ihrer Freundin mit Sternau, und dies brachte sie auf den trüben Gedanken von dem unerklärlichen Verschwinden ihres eigenen Geliebten.

Wie oft, wie so sehr oft hatte sie an diesen gedacht, und nun erfuhr sie, daß er als ein unfreiwilliger Gefangener mitgeschleppt werde hinaus in die weite Welt, hinaus auf das unendliche Weltmeer. Warum? Was hatte er verbrochen? Warum besaß er so grausame Feinde? Würde es Sternau, diesem braven, starken, kühnen Manne gelingen, ihn zu befreien? Sie saß und sann und merkte gar nicht, daß ihr dabei eine Thräne um die andere aus den schönen Augen perlte.

Da wurde sie aus ihrem trüben Sinnen gestört. Die Dienerin erschien und meldete ihr Sennorita Josefa Cortejo.

Sie wischte schnell die verrätherischen Thränen fort und hatte noch nicht Zeit gehabt, die Briefe wegzulegen, als die Angemeldete erschien.

Die beiden Damen hatten sich in einer Tertullia kennen gelernt. Unter einer Tertullia versteht man in Mexico eine gesellige Zusammenkunft von Herren und Damen, welche nur den Zweck der Unterhaltung hat. Bei einer solchen Gelegenheit


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war Josefa Cortejo ihr vorgestellt worden und hatte sich nicht wieder von ihrer Seite fortbringen lassen.

Diese Dame Cortejo mit den unangenehmen Eulenaugen war ihr widerwärtig; sie hatte sie daher auch gar nicht aufmunternd behandelt, war aber von ihr bei ähnlichen Zusammenkünften immer aufgesucht worden, und gestern hatte Sennorita Josefa sogar um die Erlaubniß gebeten, Miß Amy besuchen zu dürfen. Amy konnte diese Bitte nicht abschlagen, ohne ganz und gar unhöflich zu sein, und die Folge war der jetzige Besuch.

Als die Angemeldete eintrat, erhob sich Amy mit einem Lächeln, welches zwar höflich aber nicht sehr freundlich war. Diese Josefa war förmlich zudringlich, trotzdem Amy sich nicht einmal erkundigt hatte, wer oder was ihr Vater eigentlich sei. Sie pflegte das bei Personen, welche ihr gleichgiltig oder gar unsympathisch waren, niemals zu thun.

»Sie verzeihen, beste Miß, daß ich hier störe,« sagte Josefa mit einer Verneigung, welche verbindlich sein sollte, zu welcher aber ihre Gestalt die nöthige Eleganz nicht besaß.

»O bitte; ich heiße Sie willkommen,« lautete die kühle Antwort.

Als ihr ein Sitz angewiesen war, fuhr sie fort:

»Ich würde von der mir gestern gewährten Erlaubniß so baldigst keinen Gebrauch gemacht haben, wenn mir nicht ein Besuch meines Vaters die Gelegenheit geboten hätte. Er befindet sich gegenwärtig bei Don Lindsay.«

»Ach, ihr Vater ist bei dem meinigen?« fragte Amy verwundert.

»Ja. Es ist eine Geschäftsangelegenheit, welche Vater mit dem Ihrigen als dem Vertreter Englands zu besprechen hat. Ich schloß mich ihm sofort an, weil ich mich so freue, die Bekanntschaft einer Dame von wirklicher Distinction gemacht zu haben. Man ist in dieser Beziehung hier fast nur auf sich selbst angewiesen.«

Amy warf einen verwunderten Blick auf die Besucherin; diese kam ihr doch gar nicht so sehr vornehm und distinguirt vor.

»Ich denke doch, daß Mexiko sehr viele hervorragende Familien zählt!« bemerkte sie.

»Hm, vielleicht!« sagte Josefa mit einem widerwärtigen Nasenrümpfen. »Hervorragend, aber doch nicht wirklich vornehm. Ich als Braut des reichsten Grundbesitzers Mexiko's habe in der Wahl meiner Freundinnen vorsichtig zu sein.«

So eben erschien die Dienerin und brachte die in Mexiko gebräuchliche Chokolade. Als sie sich wieder entfernt hatte, setzte Amy das Gespräch mit der Frage fort:

»Sie sind verlobt?«

»Oeffentlich noch nicht, da gewisse diplomatische Gründe zu berücksichtigen sind.«

»Ach, ihr Verlobter ist Diplomat?«

»Eigentlich nicht,« antwortete Josefa mit einiger Verlegenheit, »aber ich durfte diesen Ausdruck gebrauchen, da ihm drüben im Vaterlande eine bedeutende Zukunft offensteht, welche er grad jetzt im Begriffe steht, anzutreten.«

»Dann gratulire ich!«

»Ich danke, Miß Lindsay. Sie haben doch von dem Grafen de Rodriganda gehört?«


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»Von dem Grafen de Rodriganda?« fragte Amy überrascht.

»Ja. Der Name scheint Sie zu frappiren?«

Amy hatte sich schnell gefaßt und antwortete:

»Ich habe eine Freundin dieses Namens.«

»Eine Spanierin?«

»Ja. Rosa de Rodriganda y Sevilla. Ihr Vater war der Graf Emanuel Rodriganda.«

Die Eulenaugen Josefas zogen sich zusammen wie bei einem Raubthiere. Sie fragte:

»Wo lernten Sie Rosa kennen?«

»In Madrid. Später besuchte ich sie auf Rodriganda.«

»Wann?«

Dieses »Wann« war in einem förmlich inquisitorischen Tone ausgesprochen worden. Er berührte Amy unangenehm, und darum gab sie unwillkürlich nicht die Zeit an, sondern sagte nur:

»Einige Zeit nach unserm ersten Zusammentreffen.«

»Wann war dies, Miß?«

Der Ton dieser Frage war förmlich streng. Amy war keine Politikerin, auch kein polizeiliches Talent, aber sie hatte soeben brieflich von Sternau erfahren, was vorgegangen war, und so kam ihr der Gedanke, hier vorsichtig sein zu müssen. Darum erlaubte sie sich eine kleine Unwahrheit, indem sie antwortete:

»Vor beiläufig sechs Monaten.«

»Es muß später gewesen sein!« sagte Josefa zudringlich.

Amy erröthete, aber nicht vor Scham, sondern vor Aerger über den Ton, in welchem dieses Mädchen zu sprechen sich erlaubte.

»Wie schließen Sie das?« fragte sie kurz.

»Weil Sie vorhin von jener Rosa sagten, ihr Vater war der Graf Emanuel.«

»Vor sechs Monaten ist er es noch gewesen. Ich erfuhr später, daß er todt sei.«

»Wann?«

»Heut.«

»Heut? Ach Miß Lindsay, von wem?«

»Von einem Freunde.«

»Und wer ist dieser Freund?«

Das war Amy denn doch zu viel. Sie erhob sich und sagte mit ihrem kühlsten Tone:

»Sennorita, rechnet man es hier in Mexiko zu den Höflichkeiten, sich in einer so - polizeilichen Weise nach Privatverhältnissen zu erkundigen?«

Das Mädchen mit den Eulenaugen ließ sich nicht aus der Fassung bringen. Sie antwortete:

»Man rechnet es hier zu den Beweisen der Theilnahme.«

»So nehmen auch Sie es als Theilnahme, wenn ich Sie frage, wer Sie sind.«

»Ich wurde Ihnen vorgestellt, Miß!«

»Einfach als Sennorita Josefa.«

»Mein Name ist Cortejo.«


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»Das erfuhr ich nachträglich. Aber wer ist Sennor oder Don Cortejo?«

»Er ist Sekretär des Grafen Ferdinando de Rodriganda gewesen und ist dasselbe heute noch bei Graf Alfonzo.«

»Sekretär! Also Schreiber!« sagte Amy, indem sie einen Schritt zurücktrat. »Wissen Sie, was ein englischer Lord bedeutet?«

»Ganz genau!«

Da blitzten die schönen Augen Amys erzürnt auf; sie trat den Schritt wieder näher und sagte:

»Und Sie wissen, daß mein Vater ein solcher ist.«

»Ja, Miß Amy.«

»Und Sie, die Tochter eines Schreibers, wagten es, sich mir vorstellen zu lassen und mich zu besuchen! Aber das mag sein; das erlaube ich dem einfachsten Mädchen, wenn ich sie lieben kann. Aber Sie wagen es, mich auszufragen wie ein spanischer Alkalde eine Zigeunerin? Was fällt Ihnen ein. Bitte verlassen Sie meine Wohnung!«

Josefa wurde kreidebleich. Sie griff nach ihrer Mantille, welche sie abgelegt hatte und fragte:

»Das ist Ihr Ernst, Miß?«

»Ja, mein voller Ernst. Ist Ihr Vater mit Gasparino Cortejo in Rodriganda verwandt?«

»Ja; sie sind Brüder und außerdem die innigsten Freunde.«

»So ist meine Antipathie gegen Sie doch begründet gewesen. Ich habe Sie stets nur mit Widerwillen sehen können. Ihr Oheim Gasparino ist ein Bösewicht, dem man das Handwerk legen wird. Er macht Grafen und Gräfinnen wahnsinnig; er läßt Menschen verschwinden, um sie über das Meer zu versenden; er - - ah, gehen Sie! Ich mag Sie nicht mehr sehen!«

Sie wandte sich und verließ das Zimmer. Josefa stand allein, fast steif vor Ueberraschung und Wuth. Der Grimm wirkte fast wie ein Starrkrampf auf ihre Glieder, aber endlich bewegte sie sich doch. Sie ballte die beiden Fäuste, erhob sie drohend gegen die Thür, hinter welcher Amy verschwunden war und knirrschte:

»Das sollst Du mir büßen, Du stolzer Wurm! Und zwar bald!«

Sie ging und als sie das Zimmer verlassen hatte, kehrte Amy zurück. Sie war durch das Zusammentreffen und die Unterredung mit der Mexikanerin zornig aufgeregt, beruhigte sich aber bald wieder, als sie schaukelnd in der Hängematte lag und an ihre Freundin Rosa dachte, welche jetzt so glücklich verheirathet war.

Nach einiger Zeit trat die Dienerin abermals ein und meldete den Lord. Lindsay befolgte auch seiner Tochter gegenüber die Höflichkeit, sich bei ihr stets anmelden zu lassen. Sie ging ihm entgegen und empfing ihn mit einem Kusse.

»Wie gut, daß Du kommst, Pa!« sagte sie.

Pa ist die Abkürzung für Papa, ebenso wie man Mama in Ma abkürzt. Diese Zärtlichkeitsform wird besonders in Amerika häufig, aber auch in England angewendet.

»Hast Du mich erwartet?« fragte er.

»Nein; doch wird Deine Gegenwart mich wieder aufheitern. Ich habe mich sehr geärgert.«


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»Du?« fragte er lächelnd. »Worüber?«

»Ueber diese Josefa Cortejo.«

»Ihr Vater war bei mir. Er sagte mir, daß seine Tochter bei Dir sei. Ist sie Deine Freundin?«

»Nein. Sie wollte es sein; sie ist mir verhaßt, diese Tochter eines - - Schreibers!«

Er machte eine Geberde komischen Erstaunens und fragte:

»Wie kommt es, daß meine gute Amy plötzlich so stolz geworden ist?«

»Stolz? Stolz bin ich nicht; aber leiden kann ich sie nicht. Sie drängte sich stets an mich heran, ließ sich nicht zurückweisen, machte mir heute sogar einen Besuch und wagte es dabei, mich nach ganz privaten Dingen auszufragen wie ein Schulmeister.«

»Was thatest Du?«

»Ich wies ihr die Thür.«

»Ganz so, wie ich es mit ihrem Vater gethan habe,« sagte der Lord.

»Du hast ihn fortgejagt?«

»Ja.«

»Warum?«

»Er wollte mich betrügen. Er hat gehört, daß ich die Absicht habe, mich in Mexiko anzukaufen; da bot er mir kürzlich eine große Besitzung an, welche im Norden liegt, eine Hazienda, »del Erina« heißt sie, und ein gewisser Petro Arbellez sollte dort Inspector sein. Heute kam er wieder, um meinen Bescheid zu hören.«

»Und da hast Du ihn fortgejagt?«

»Ja, denn ich habe unterdessen erfahren, daß die Hazienda diesem Arbellez gehört; Cortejo hat gar nicht das Recht, sie im Auftrage des Grafen Rodriganda zu verkaufen.«

»Sie hat dem Grafen Rodriganda gehört?«

»Ja, und Graf Ferdinando hat sie ihm geschenkt. Aber, weshalb ich zu Dir komme: Du reisest gern?«

Sie horchte auf.

»Ja, das weißt Du doch,« antwortete sie.

»Du hast bereits sehr weite Reisen ganz allein unternommen; ich weiß, daß ich um Dich keine Sorge zu tragen brauche, jetzt aber kann ich mich doch nicht so leicht entschließen.«

»Hast Du eine Reise für mich, Pa?«

»Ja. Ich habe dem Gouverneur von Jamaika sehr wichtige Depeschen zu überbringen, Depeschen, welche einen solchen Werth haben, daß ich sie gar nicht fremden Händen anvertrauen darf. Es liegt ein Kriegsschiff im Hafen von Vera Cruz, welches sie überbringen soll, aber ich darf sie dem Offizier desselben nicht in die Hände geben, denn er ist kein Diplomat. Ich weiß kein anderes Mittel, als Dich zu senden. Zwar hat eine Dame eigentlich keinen Zutritt auf einem Orlogschiff, aber man muß hier eine Ausnahme machen, wenn ich es wünsche.«

Da sprang Amy auf.

»Vater, ich reise! Ueberlaß diese Sendung getrost mir!«


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»Gut!« nickte er. »Ich vertraue Dir und dachte nur, Dir beschwerlich zu fallen. Aber ich sehe, daß Du eine ächte Engländerin bist, welche sich vor einem solchen Ausfluge nicht fürchtet. Doch ist die Angelegenheit eine sehr dringende. Wann kannst Du fertig sein?«

»Bereits morgen früh.«

»So mache Dich fertig. Ich werde Dich bis Vera Cruz begleiten und auf das Schiff bringen. Der Gouverneur von Jamaika ist mein Freund, an den ich Dir einen Privatbrief mitgebe. Er wird Dich hoch willkommen heißen; darauf kannst Du Dich verlassen.«

Am anderen Morgen brach eine Cavalcade von zwanzig Reitern auf, welche den Wagen begleiteten, in diesem Lindsay seine Tochter nach Vera Cruz brachte. Sie wurden von dem Befehlshaber des Kriegsschiffes mit Auszeichnung aufgenommen. Er räumte Amy seine eigene Kajüte ein, und nachdem der Vater von der Tochter Abschied genommen und ihr seine wichtigen Depeschen anvertraut hatte, verließ das Schiff den Hafen.

Das Wetter war günstig und die Fahrt darum eine schöne und schnelle. Am Tage saß Amy unter einem Zeltdache, welches die Sonnenhitze von ihr abhielt, und des Abends erfreute sie sich an der wunderbaren Klarheit des westindischen Meeres, welches ja sowohl wegen seiner Gefährlichkeit berüchtigt, als auch wegen seiner Schönheit berühmt ist.

Keine See leuchtet so herrlich, wie diejenige, durch welche das Kriegsschiff dampfte. Man sah wie durch flüssiges, krystallenes Gold bis hinab auf den tiefen Grund. Man sah die wunderbaren Gestalten der Thiere und Pflanzen des Meeres. Vorn am Bug spritzte der leuchtende Gischt in glühenden Funken empor, und hinten am Steuer bildete sich eine brillirende Furche, welche durch den Lauf des Schiffes immer von Neuem gebildet und belebt wurde.

So ging die Fahrt durch die Campeche-Bay nach dem Canale von Yukatan und dann in das Karaibische Meer hinein. Man hatte die Honduras-Bay zur Rechten und die Insel Cuba zur Linken. Es ging an Groß- und Klein-Cayman vorüber und dann kam man in die Nähe von Jamaika. Um die Hauptstadt Kingston zu erreichen, mußte man die gefährliche Petro-Bank passiren, welche mit ihren Korallenriffen bereits Hunderten von Schiffen gefährlich geworden ist.

Das war am Vormittage. Die Sonne stand noch nicht hoch und man konnte kaum auf der spiegelnden Fläche der See mit dem Auge verweilen, ohne in demselben Schmerzen zu fühlen, wie es in diesen sonnendurchglänzten Breiten immer der Fall zu sein pflegt. Da meldete der Mann auf dem Ausguck ein Segel in Sicht. Als dasselbe näher kam, erkannte man eine kleine Dampfyacht, welche sich neben des Dampfes auch noch zweier Raasegel zum Fortkommen bediente.

Amy saß unter ihrem Zeltdache und der Kapitän stand bei ihr.

»Ein kleines, verteufeltes Fahrzeug,« sagte er. »Es kommt mit einer Geschwindigkeit daher, wie ich sie gar nicht für möglich gehalten habe. Sehen Sie, Miß Lindsay!«

Sie trat mit ihm an den Bord des Schiffes, um die Yacht besser sehen zu können. Jetzt löste der Kriegsdampfer eine Kanone, um das kleine Fahrzeug zum Beidrehen aufzufordern.


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»Was für ein Fahrzeug?« fragte der Deckoffizier hinüber.

»Privatyacht Rosa!« lautete die Antwort.

»Wem gehörig?«

»Karl Sternau in Deutschland!«

Bei diesem Namen stieß Amy einen Ruf der Ueberraschung aus. Sie strengte ihre Augen mehr an und sah nun auch die hohe Gestalt Sternau's am Steuer stehen.

»Kennen Sie den Mann, Miß?« fragte der Kapitän, der ihren Ruf gehört hatte.

»Ja, Sir; es ist einer meiner besten Freunde. O bitte, darf er nicht an Bord kommen?«

»Gewiß, wenn Sie es wünschen.«

Und die Hände um den Mund legend, fragte er nach der Yacht hinüber:

»Ist Mr. Sternau selbst an Bord?«

»Ja,« ertönte die Antwort.

»Kommen Sie an Bord!«

»Ich habe keine Zeit,« erwiderte der Aufgeforderte, trotzdem er wohl wußte, daß er gezwungen war, an Bord zu kommen, sobald er von einem Kriegsschiffe dazu aufgefordert wurde.

»Miß Amy Lindsay ist hier!« erklärte der Kapitän.

»Ah, ich komme!«

Bald stieß ein Boot von der Yacht ab, und je mehr es sich dem Kriegsschiffe näherte, desto besser konnten sich die Beiden erkennen. Sie ließ ihr Taschentuch wehen und er seinen Hut. Endlich stieg er das Fallreep empor und stand auf Deck. Seine erste Begrüßung galt natürlich dem Kapitän, und dann wendete er sich an Amy, die ihn mit hoher Freude bewillkommnete.

»Ich glaubte Sie in Afrika!« sagte sie, nachdem sie ihm beide Hände gereicht hatte.

»Ich habe den »Lion« bis hierher gejagt,« antwortete er.

»Den »Lion«? Welchen »Lion«? Doch nicht etwa das Piratenschiff?« fragte der Kapitän.

»Allerdings, Sir,« antwortete Sternau. »Ich habe nicht viel Zeit; ich darf es nicht aus den Augen lassen. O, Sir, wenn Sie mir helfen wollten, diesen Kapitän Grandeprise zu fangen!«

»Sofort, Sir, sofort!« rief der Engländer ganz erregt. »Es ist das ja ein Glück, welches ich sogleich festhalten muß. Wo ist er?«

»Er ist hinter der Pedro-Bank. Wenn Sie Steuerbord fahren und ich Backbord, bekommen wir ihn in die Mitte.«

»Aber wie kommen Sie mit Ihrer Nußschale um Gottes willen dazu, diesen Grandeprise zu verfolgen?«

»Ich habe jetzt keine Zeit, dies zu erklären, Sir. Hier steht Miß Amy, welche Ihnen indessen Alles erzählen soll. Nur das will ich noch sagen, daß ich ihm an der Küste von Südafrika bereits ein Schiff in den Grund gebohrt habe. Wir müssen uns beeilen, ihn hinter der Petro-Bank zu treffen.«

Er machte Miene, das Fallreep wieder hinabzusteigen. Der Kapitän hielt ihn noch einen Augenblick zurück.


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»Sir,« sagte er, »sollte der Pirat den Kampf vermeiden wollen, so treiben wir ihn einfach entweder auf die Serranilla- oder auf die Rosalind-Bank, wo er zwischen den Felsen stecken bleiben wird. Jetzt gehen Sie!«

Sternau kehrte nach der Yacht zurück und lief mit derselben mit vollem Dampfe um die Petro-Bank herum. Nach einer halben Stunde sah er die »Pendola« vor sich. Der Kapitän des kleinen Schiffes lächelte vor sich hin, blickte auf die Seekarte und sagte dann zu Sternau:

»In zehn Minuten hat er die Bank umsegelt. Er wird uns nicht kennen und uns also heranlassen. Wir schießen ihm das Steuer weg; dann ist er vollständig hilflos.«

»Gut! Aber schießt nicht unter die Wasserlinie; dort steckt jedenfalls der Gefangene. Das Schiff darf um keinen Preis sinken.«

»Dasselbe müssen wir auch dem Engländer sagen.«

Die Yacht that, als ob sie sich um den Piraten gar nicht kümmere. Das Fahrwasser war sehr eng, und so fiel es nicht auf, daß sie sich nahe zu ihm hielt. Als er wieder in freieres Meer gekommen war, lenkte sie plötzlich auf ihn zu, strich hart hinter seinem Stern vorüber und feuerte erst die eine, dann die andere Breitseite so wohlgezielt ab, daß das Steuer geschossen wurde und augenblicklich brach.

Dieses ebenso kühne wie unerwartete Manoeuvre erregte auf der »Pendola« natürlich den größten Schrecken. Alles eilte auf das Verdeck; auch Landola kam herauf.

»Das ist derselbe Schurke!« rief er. »Gebt es ihm!«

Aber die »Pendola« war nicht klar zum Gefechte. Hier in der Nähe so vieler Häfen hatte man die Luken maskirt und die Geschütze versteckt. Die wenigen Büchsen, welche schnell herbeigeschafft und zur Hand genommen wurden, reichten bereits nicht mehr zur Yacht hinüber. Dort stand Sternau aufrecht auf dem Decke.

»Ein Gruß von Rodriganda!« rief er.

Im Nu hatte er seine Büchse erhoben und zielte. Das weittragende Gewehr krachte, und sofort brach Kapitän Landola zusammen.

»Ich habe ihn nicht getödtet, sondern nur tödtlich verwundet. Der Schuß ist durch die Achsel gegangen und hat die Knochen zerschmettert. Der Mann muß ja noch reden!«

Diese Worte sagte Sternau; dann krachte auch bereits sein zweiter Schuß. Der erste Offizier, welcher an seiner Standarte kenntlich war, fiel todt um.

Sternau ließ die Maschine stoppen, so daß die Yacht sich ruhig wiegte, und lud die beiden Läufe wieder. Sein nächster Schuß traf den Steuermann und der vierte nahm dem zweiten Offizier das Leben.

»So ist's richtig, jetzt sind sie ohne Offiziere!« rief Helmers. »Und sehen Sie, da kommt auch bereits der Engländer.«

Das Panzerschiff kam gerade jetzt um das Riff herum und legte sich vor den Piraten.

»Hallo!« rief der Kapitän zu Sternau herab. »Sie haben ihn lahm gemacht? Bravo!«

»Und ihm die vier Offiziere getödtet,« fügte Sternau hinzu. »Schonen Sie den Gefangenen, welcher im Kielraume steckt.«


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»Soll geschehen!«

Der Engländer gab einen Schuß ab, dessen Kugel über das Deck der Piraten hinflog, zum Zeichen, daß er die Flagge zeigen solle. Er zog die spanische.

»Welches Schiff?« fragte der Engländer.

»La Pendola, Kapitän Landola.«

»Wie viel Mann an Bord?«

»Vierundzwanzig!« lautete die Antwort.

»Verdammter Lügner! Herüber mit den Leuten auf mein Schiff!«

Die »Pendola« war verloren; sie konnte nicht gesteuert werden. Für ihre Bemannung gab es keine andere Rettung als die Flucht. Man that, als ob man den Befehl des Engländers befolgen wolle, und ließ die Boote in See, doch anstatt herüber zu steuern, ruderten sie mit aller Macht gegen das Land von Jamaika zu. Die Leute hatten keine Zeit gehabt, Etwas mitzunehmen; sie retteten nichts als das nackte Leben. Aber auch dies sollte ihnen nicht gegönnt werden. Sternau war im Nu mit seiner windesschnellen Yacht hinter ihnen her. Er sah, daß sie keinen Gefangenen bei sich hatten, und segelte zwei von den Booten einfach in den Grund, während er das dritte und vierte zusammenschoß.

Jetzt kehrte er zu dem Schiffe zurück.

Auch der Engländer hatte seine Boote herabgelassen und steuerte nun auf den Piraten zu. Auf dem Decke desselben fand man drei Leichen; es war der Steuermann mit den beiden Offizieren. Der verwundete Kapitän fehlte. Man hatte ihn mit in eins der Boote genommen, welche Sternau zusammengeschossen hatte. Nun war von ihm allerdings keine Auskunft mehr zu erlangen.

Jetzt begann die genaue Durchsuchung des Schiffes. Man fand die deutlichsten Beweise, daß es ein Seeräuberschiff gewesen war. Um diese Sachen aber bekümmerte Sternau sich nicht. Er brannte sich eine der vorgefundenen Laternen an und stieg hinab in den Kielraum. Quimpo war bei ihm, um ihn zu führen.

Damit ein Schiff nicht nach der Seite falle, sondern tief im Wasser gehe, wird der unterste Theil seines Raumes mit Steinen oder Sand beladen. Dies nennt man den Ballast. Hier bei der »Pendola« bestand er aus lauter Sand. Und da ein jedes Schiff Wasser schöpft, so war dieser Sand vollständig durchfeuchtet. In diesen nassen Sand hinein nun hatte man eine Grube gegraben und mit starken Bohlen ausgelegt. Sie glich einem niedrigen Schweinestalle, und in diesem verpesteten Räume stak, mit Ketten fest angehängt, das lebendige Skelett eines Menschen, der ganz genau einer der bekannten Abbildungen des Todes glich.

Als er die Beiden kommen hörte, klirrte er mit den Ketten.

»Wer ist da?« fragte er.

Der Grabeston dieser Stimme war erschütternd. Sternau trat näher und sagte:

»Herr Lieutenant, es kommen Freunde.«

»Welch eine Stimme! Ist's wahr, oder irre ich mich?«

Er richtete sich mühsam im Sande empor und starrte die beiden Männer an.

»Quimbo!« sagte er. »Du wieder hier! Und dieser andere Herr, wer ist es?«

Sternau hob die Laterne so, daß sein Gesicht in den Schein derselben kam.

»O mein Gott,« rief da der Gefangene. »Sennor Sternau!«


Ende der sechsunddreißigsten Lieferung - Fortsetzung folgt.



Karl May: Waldröschen

Karl May – Forschung und Werk