Lieferung 19

Karl May

31. März 1883

Waldröschen
oder
Die Rächerjagd rund um die Erde.

Großer Enthüllungsroman
über die
Geheimnisse der menschlichen Gesellschaft

von

Capitain Ramon Diaz de la Escosura.


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besetzt, die einen Hieb doppelt gefährlich machten. Er faßte sie an dem mit edlen Steinen geschmückten Griff und schlich sich hinter dem Deutschen heran.

Dieser ließ so eben eine köstlich gearbeitete Kette durch seine Finger gleiten.

»Prachtvoll!« sagte er. »Lauter Rubine! Sie allein bildet einen bescheidenen Reichthum!«

Er ließ sie im Lichte der Fackel flunkern und wollte sie dann fortlegen, kam aber nicht dazu, denn die Keule saußte auf ihn herab und traf seinen Kopf mit solcher Wucht, daß er sofort zusammenbrach. Die Kette glitt aus seiner Hand, deren Finger sich öffneten.

Jetzt stieß der Graf einen Wilden, unartikulirten Schrei aus.

»Gesiegt! Alles mein, alles, alles, alles!«

Ein fast wahnsinniges Entzücken bemächtigte sich seiner. Er sprang vor Freude empor und schlug die Hände zusammen wie ein Sinnloser. Wer ihn draußen so gesehen hätte, der hätte ihn für verrückt gehalten.

Da, was war das? Er stand plötzlich wie gelähmt; er erbleichte, und seine Augen öffneten sich weit, als ob er Gespenster sehe. Aus der hinteren Ecke löste sich eine Gestalt, die ihre Augen erst erstaunt und dann mit einem grimmigen Leuchten auf ihn richtete. Es war Büffelstirn, welcher von seinem Gange zurückkehrte und anstatt des Freundes einen Andern erblickte, neben dem der Deutsche regungslos am Boden lag.

Mit zwei tigergleichen Sprüngen stand der Indianer beim Grafen und packte ihn.

»Hund, was thust Du hier?« rief er.

Der Gefragte vermochte kein Wort hervor zu bringen. Diesem entsetzlichen Indianer war er nicht gewachsen; das wußte er. Er war verloren - aus dem höchsten Entzücken herab in den kalten, starren Tod gestürzt. Es lief ihm eiskalt über den Rücken, und er zitterte.

»Du hast ihn erschlagen!« sagte Büffelstirn, auf den Deutschen und die am Boden liegende Keule deutend.

Dabei rüttelte er ihn mit einer Gewalt, als ob ein Riese ein kleines Kind gepackt habe.

»Ja,« stöhnte der Graf vor Angst.

»Warum?«

»Diese - diese Schätze sind schuld,« stammelte er.

»Pah! Du bist sein Feind. Sein Tod war Dir schon vorher erwünscht. Wehe Dir, dreifach Wehe!«

Er bückte sich, um den Freund zu untersuchen. Der Graf stand dabei wie eine leb- und bewegungslose Figur. Wie leicht konnte er die Keule erfassen und einen Kampf wenigstens versuchen. Aber er befand sich unter dem Zauber des Schatzes und unter dem Banne dieses berühmtesten der Ciboleros. Es ging ihm, wie die Sage von dem kleinen Vogel erzählt, der auch nicht flieht, wenn die Klapperschlange ihre Augen auf ihn richtet, sondern sich widerstandslos von ihr erwürgen läßt.

»Er ist todt!« sagte Büffelstirn, sich wieder erhebend. »Ich werde Gericht halten über Dich, und Dein Tod soll ein solcher sein, wie ihn noch Keiner hier


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gestorben ist. Du bist der Mörder des edelsten und besten Jägers, den die Erde trug; ich werde Dich tausendfach sterben lassen.«

Er stellte sich mit vor die Brust verschlungenen Armen dem Missethäter gegenüber. Seine riesige Gestalt reckte sich in ihren Muskeln und sein Auge richtete sich fascinirend auf den Grafen.

»Ah, Du bebst!« sagte er verächtlich. »Du bist ein Wurm, eine feige Memme. Wer hat Dir den Weg zu dieser Höhle verrathen?«

Der Gefragte schwieg. Es war ihm, als sei der jüngste Tag hereingebrochen und er stehe vor dem ewigen Richter.

»Antworte!« donnerte der Cibolero.

»Karja,« hauchte der Graf.

»Karja? Meine Schwester?«

»Ja.«

Die Augen des Indianers funkelten wie glühende Fackeln.

»Sagst Du die Wahrheit? Oder lügst Du? Du nennt meine Schwester vielleicht nur, um Gnade zu erlangen und der Strafe zu entgehen!«

»Ich sage die Wahrheit; Du kannst es mir glauben!«

»Ah, so mußt Du teuflische Verführungskünste angewandt haben, um ihr das Geheimniß von El Reparo zu entlocken. Du hast ihr Liebe geheuchelt?«

Der Graf schwieg.

»Rede! Nur die Wahrheit kann Dein Schicksal mildern. Weißt Du, wie Du sterben mußt?«

»Sage es,« bat Alfonzo schaudernd.

»Es giebt da droben am Berge ein Wasserloch; es ist nicht groß, aber es enthält die zehn heiligen Krokodile, in deren Bäuchen die früheren Herrscher dieses Landes die Verbrecher begruben. Die Thiere sind über hundert Jahre alt; sie haben lange Zeit gehungert. Ich werde Dich hinaufschaffen und an einen Baum hängen, so, daß Du lebendig über dem Loche schwebst. Die Krokodile werden emporschnellen nach Dir, Dich aber nicht ganz erreichen. Sie werden sich um Dich zerreißen; Du wirst ihren stinkenden Dunst einathmen und lange Tage und Nächte über ihnen hängen, denn der Strick geht Dir nicht um den Hals. So wirst Du hängen in der Sonnengluth, so wirst Du verschmachten, verhungern und verdursten, und dann erst, wenn Dein Leichnam zu Aas verfault, wirst Du herabstürzen und von den Alligatoren gefressen werden.«

Alfonzo hörte diese Worte mit unbeschreiblichem Entsetzen; seine Zunge war bewegungslos; sie lag ihm vor Furcht wie Blei im Munde; er konnte keine Bitte um Gnade aussprechen.

»Nur ein offenes Geständniß kann dieses Schicksal mildern,« fuhr der Indianer fort. »Also rede! Hast Du meiner Schwester von Liebe gesprochen?«

»Ja,« stieß der Gefragte hervor.

»Aber Du liebtest sie nicht?«

»Nein,« antwortete er. Er gestand und wagte nicht, eine einzige, unwahre Sylbe auszusprechen.

»Sie aber liebte Dich?« forschte der Indianer weiter.

Auch diese Frage bejahte Alfonzo aufrichtig.


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»Wo hattest Du Deine Zusammenkünfte mir ihr?«

»Bei den Oliven am Bache, hinter der Hacienda.«

»Nun - Du hast sie geküßt, und wenn Du auch etwas Weiteres von ihr nicht fordertest, so bist Du trotzdem nach der Sitte dieser Gegend ihr Mann. Du hast ihr versprochen, sie zu Deiner Frau zu machen?«

»Ja.«

»Wann hat sie Dir das Geheimniß verrathen?« war die fernere Frage des Indianers.

»Gestern Abend,« lautete die Antwort.

»Bist Du allein hier?«

»Nein, ich bin von achtzehn Mexikanern begleitet.«

»Ah, sie sollten Dir helfen, diese Schätze fortzuschaffen, und Du hast ihnen das Geheimniß mitgetheilt?«

»Sie wissen nicht, was sie transportiren sollten, und kennen auch die Höhle nicht.«

»Wo sind sie«

»Sie halten eine Strecke von hier, deren Entfernung unbedeutend ist.«

»Gut! Dieser Mann hier bleibt jetzt liegen; Du aber wirst mir folgen. Ich binde und fessele Dich nicht, denn Du kannst mir nicht entgehen. Du bist ein Wurm, den ich mit einem einzigen Griffe zermalme. Komm', und folge mir!«

»Was wirst Du mit mir thun?« fragte Alfonzo voller Angst.

»Das wirst Du erfahren!«

»Tödte mich lieber gleich hier!«

»Pah! Du hast die Tochter der Miztecas getäuscht; Du wirst das sühnen müssen.«

»Wodurch?«

»Dadurch, daß Du sie zu Deinem Weibe machst.«

»O, das werde ich thun!« rief Alfonzo schnell.

»Ah,« lachte der Indianer grimmig. »Du hältst Dich für gerettet! Täusche Dich nicht. Du wirst Karja zum Weibe nehmen; sie wird Gräfin de Rodriganda de Sevilla werden; aber Du wirst sie nicht anrühren dürfen. Komm', und folge mir!«

Er faßte ihn beim Arme und zog ihn nach dem Ausgange. Dort ging er mit ihm in das Wasser und schob ihn, ohne die Faust von ihm zu lassen, an das Tageslicht.

Es war, als ob durch das erneute Wasserbad und durch den Eindruck des Morgenlichtes der Bann von Alfonzo vertrieben werde. Er athmete tief und leichter auf und fragte sich im Stillen, ob er nicht vielleicht doch noch Hoffnung hegen dürfe.

»Wo ist Dein Pferd?« fragte Büffelstirn.

»Dort rechts hängt es an einem Eisenbaum.«

»Und wo sind die Mexikaner?«

»Hinter jenem Hügel zurück.«

»So komm' zu Deinem Pferde!«

Er schritt mit ihm dem Orte zu, welchen Alfonzo angedeutet hatte. Kaum


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jedoch waren sie zwischen den Büschen hervorgetreten, so erblickten sie die Mexikaner, welche kaum dreißig Schritte entfernt von ihnen zu Pferde hielten.

»Hund, Du hast mich belogen!« rief der Indianer, indem er ihn beim Halse packte. -

»Zu Hilfe!« schrie Alfonzo, der sich loszumachen versuchte.

»Hier hast Du Hilfe!« antwortete der Indianer.

Er schlug ihm die Faust auf den Kopf, daß er zusammenbrach, sah sich aber auch bereits von den Mexikanern umringt, welche allerdings noch nicht zu den Waffen griffen, weil sie überzeugt waren, daß dieser eine Mann ihnen gar nicht entgehen könne.

Darin hatten sie sich nun freilich getäuscht. Er hatte seine Schießwaffen beim Pferde gelassen, weil sie durch das Wasser gelitten haben würden, aber er hatte sein gutes Messer im Gürtel. Mit einem blitzesschnellen Sprunge saß er hinter dem Anführer auf dessen Pferde, zog sein Messer und stieß es ihm in die Brust. Im nächsten Augenblicke flog er von dannen, aber nicht in der Gegend nach der Hacienda zu. Er durfte den Berg des Geheimnisses nicht verlassen, um die Höhle nicht preiszugeben. Darum sprengte er gradewegs der kleinen Schlucht zu, in welcher die beiden Pferde standen. Sie bot ihm eine Festung, in welcher er vor den Feinden sicher war.

Die Mexikaner hielten da, einige Augenblicke ganz perplex über den unvermutheten und so erfolgreichen Angriff auf ihren Anführer; dann aber erhoben sie ein wildes Geheul und sprengten hinter dem Flüchtigen her. Das war ein unverzeihlicher Fehler von ihnen. Hätten sie in ruhiger Haltung nach ihren Gewehren gegriffen, so konnte er ihren Kugeln nicht entgehen, nun aber schossen sie zwar ihre Gewehre ab, aber sie konnten im Galoppiren nicht sicher zielen, und so gingen die Schüsse verloren.

Da sahen sie, daß sich der Indianer plötzlich vom Pferde warf und links in die Büsche eindrang, während er das Thier laufen ließ.

»Hurrah, ihm nach! Rächt den Kapitano!«

So riefen die Mexikaner. Auch sie sprangen von den Pferden und stürmten auf die Büsche zu, hinter denen der Cibolero verschwunden war. Kaum aber hatten die Vordersten ihren Fuß zwischen die Sträucher gesetzt, so krachte ihnen ein Schuß entgegen, noch einer, ein dritter und vierter - vier Männer lagen todt am Boden. Die Anderen wichen schnell zurück.

»Verdammt!« rief Einer. »Er hat hier Gewehre gehabt!«

»Hinein, ehe er wieder ladet!« meinte ein Anderer.

»Nein, geht zur Seite!« sagte ein Dritter. »Diese Schlucht ist steil, er kann nur hier wieder heraus!«

Während sie seitwärts hielten und beriethen, hatte der Indianer Zeit, seine und des Deutschen Büchse wieder zu laden. Er kroch mit den beiden Gewehren so weit wie möglich vor, bis er ein gutes Ziel bekam, dann drückte er los. Ehe die Mexikaner weit genug zurückgewichen waren, hatten sie wieder vier der Ihrigen verloren; es waren also von der Hand des kühnen Cibolero neun gefallen.

Aber es drohte ihnen noch eine andere, ebenso große Gefahr.

Der Apache mit seinen zehn Vaqueros und Ciboleros hätte nämlich schon längst


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hier sein sollen, aber die Indianerin hatte sich in der Finsterniß geirrt. Auf diese Weise war ein nicht unbedeutender Umweg entstanden, so daß der kleine Trupp erst nach Alfonzo und seinen Mexikanern anlangte.

»Hier ist der Bach,« sagte Karja zu Bärenherz. »Wir werden gleich an der Höhle sein!«

Der Apache ließ seine Augen aufmerksam umherschweifen.

»Ugh!« rief er aus und deutete nach den Spuren, welche zu sehen waren.

Ein Vaquero sprang ab und suchte am Boden.

»Das waren nicht Zwei, sondern das sind Viele gewesen,« sagte er.

»Der Graf mit seinen Leuten,« sagte Bärenherz kurz, indem er sein Pferd wieder in Bewegung setzte.

Bald jedoch blieb er wieder halten.

»Ugh!« rief er abermals.

Er deutete vorwärts, wo ein menschlicher Körper lag. Sofort sprangen mehrere der Vaqueros von den Pferden, um denselben anzusehen.

»Der Graf! Graf Alfonzo!« meinten sie überrascht.

»Verwundet?« fragte der Apache.

»Man sieht keine Wunde.«

»Todt?«

»Es scheint so!«

Der Apache schüttelte geringschätzend den Kopf.

»Nicht todt,« sagte er. »Ein Hieb nur. Bindet ihn!«

Noch waren sie beschäftigt, den Bewußtlosen zu fesseln, als schnell hinter einander vier Schüsse fielen.

»Was ist das?« frugen die Vaqueros.

Bärenherz ritt zwischen die Büsche hinein und überblickte das jenseits des Baches liegende Terrain.

»Ugh!« rief er zum dritten Male.

Schnell waren die Anderen bei ihm.

»Ah, hier eine Leiche!« sagte ein Vaquero, auf den Körper des Anführers der Mexikaner deutend.

»Und dort noch mehrere,« sagte ein Zweiter.

»Acht!« zählte der Apache. »Noch neun übrig. Absteigen!«

Er stieg mit den Uebrigen ab und nahm seine nie fehlende Büchse in die Hand.

»Alle erschießen!« gebot er.

Er zählte mit den Vaqueros und Ciboleros elf Personen. Sie alle legten an und zielten. Zehn Schüsse krachten zu gleicher Zeit; nur er hatte nicht geschossen, und das mit Vorbedacht. Von den neun Mexikanern stürzten sieben; Zwei blieben unbeschädigt, und nun erst ließ Bärenherz seine Büchse reden. In zwei Secunden waren auch die beiden Letzten todt.

Nun rannten Alle dahin, wo die Gefallenen lagen. Sie hatten den Ort noch nicht erreicht, so trat der Häuptling der Miztecas aus den Büschen heraus.

»Büffelstirn!« riefen die Vaqueros. »Wo ist Donnerpfeil?«

»Todt,« antwortete er.


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»Wer hat ihn getödtet?« fragte Bärenherz in einem Tone, dem man es anhörte, daß das Schicksal des Mörders bereits eine beschlossene Sache sei.

»Graf Alfonzo.«

»Wo?«

»Das kann ich hier nicht sagen,« antwortete Büffelstirn. »Aber, schnell zurück! Ich muß den Grafen haben!«

»Wir haben ihn!« sagte Bärenherz einfach.

»Wo?«

»Dort bei den Büschen.«

»Ist er gebunden?«

»Ja,« antwortete einer der Vaqueros.

Während die Andern den gefallenen Mexikanern ihre Waffen nahmen und sich darein theilten, kehrten Büffelstirn, Bärenherz und Karja an den Ort zurück, an welchem Alfonzo lag. Dieser wurde nun genauer untersucht, und es fand sich, daß der Apache Recht gehabt hatte: er war nur betäubt, aber nicht todt.

Büffelstirn hatte seine Schwester bis jetzt mit keinem Blicke beachtet; jetzt wendete er sich an den Apachen:

»Will mein Bruder dafür sorgen, daß Niemand an den Quell dieses Baches kommt?«

»Ja,« antwortete dieser.

»So werde ich bald zurückkehren.«

Er ging, um die Höhle wieder aufzusuchen. Als er sie erreichte, war die Fackel abgebrannt. Er steckte eine neue an und trat dann zu dem Deutschen. Er bemerkte sofort, daß dieser anders lag, als er ihn verlassen hatte, und beeilte sich in Folge dessen, ihn nochmals zu untersuchen. Er fand zu seiner unaussprechlichen Freude, daß der Puls wieder ging. Der Deutsche mußte während dieser Zeit einmal für kurze Zeit zu sich gekommen sein und sich bewegt haben; jetzt aber lag er in vollständiger Lethargie. Der Indianer faßte ihn und schaffte ihn so sorgfältig und leicht wie möglich hinaus ins Freie. Als er ihn dort in das Gras legte, waren die Vaqueros soeben wieder erschienen. Sie alle hatten trotz der kurzen Zeit, welche sich Helmers auf der Hacienda befand, ihn lieb gewonnen und klagten laut und aufrichtig über ihn. Der Apache schlug mit der Hand auf die empor stehende Mündung seiner Büchse und sagte:

»Wenn mein weißer Bruder stirbt, dann wehe seinem Mörder! Die Vögel des Waldes sollen seinen Leib zerreißen. Shosh-in-liett, der Häuptling der Apachen hat es gesagt!«

»Mein Bruder soll mit zu Gerichte sitzen!« sagte Büffelstirn zu ihm.

Der Apache beugte sich über den Deutschen und untersuchte seinen Kopf.

»Es ist ein Keulenschlag,« sagte er. »Die Schale des Gehirns ist zerbrochen. Man mache eine Bahre auf zwei Pferden, damit er nach der Hacienda geschafft werden kann. Ich aber werde gehen, um das Kraut Oregano zu suchen, welches jede Wunde heilt und kein Fieber in dieselbe kommen läßt.«

Während nun die Hirten sich entfernten, um eine Bahre herzustellen und Bärenherz das Wundkraut suchte, blieb Büffelstirn mit seiner Schwester allein zurück.


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»Du zürnest mir?« fragte sie leise.

Er blickte sie nicht an, aber er antwortete:

»Der gute Geist ist von der Tochter der Miztecas gewichen!«

»Er ging nur kurze Zeit von ihr,« sagte sie.

»Aber in dieser kurzen Zeit ist viel Trauriges geschehen. Du liebtest den Grafen?«

»Ja.«

»Du glaubtest, daß er Dich wieder liebe?«

»Ja.«

»Er versprach, Dich zu seinem Weibe zu machen?«

»Ja.«

»Und das glaubtest Du ihm?«

»Ja. Er gab mir eine Schrift, in welcher er es mir versprach.«

»Uff! Und diese Schrift hast Du noch?«

»Sie liegt in meinem Zimmer.«

»Du wirst sie Deinem Bruder geben?«

»Nimm sie!«

»Du liebst ihn noch?«

»Nein. Ich hasse ihn.«

Alfonzo lag neben ihr. Sie trat ihn mit dem Fuße in das Gesicht.

»Warum liebst Du ihn nicht mehr?«

»Er belog mich und liebte eine Andere.«

»Wen?«

»Emma, die Tochter des Haciendero.«

Sie erzählte ihm, daß Alfonzo in das Zimmer der Haciendera gedrungen war, und während dieses Berichtes schlug der Gefesselte die Augen auf. Er hörte jedes Wort, welches gesprochen wurde.

»Er war ein Hund, der alle Knochen liebte,« zürnte der Indianer.

»Wirst Du mir verzeihen?« fragte sie zaghaft.

»Ich werde nur dann verzeihen, wenn Du mir gehorchst.«

»Ich werde gehorchen. Was soll ich thun?«

»Das wirst Du später erfahren. Jetzt besteigest Du das Pferd und reitest nach der Hacienda zurück, um mir alle Indianer, welche Kinder der Miztecas sind, hierher zu senden. Du sagst ihnen, daß Tecalto, ihr Fürst, ihrer bedarf. Sie werden alles Andere im Stiche lassen und kommen.«

»Ich gehe schon.«

Mit diesen Worten bestieg sie das Pferd und sprengte davon.

Der Häuptling sah, daß dem Grafen die Besinnung zurückgekehrt war. Er blitzte ihn mit verächtlichen Augen an und sagte:

»Das Bleichgesicht wird keine Gnade nun finden. Er hat gelogen.«

»Welche Lüge meinst Du?« fragte der Gefesselte.

»Daß die Mexikaner hinter jenem Hügel seien.«

»Ich sagte die Wahrheit. Aber sie sind mir gefolgt, ohne daß ich es wußte.«

»Du riefst dann um Hilfe! Du hättest vielleicht Gnade gefunden, nun aber nicht!«


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Er wandte sich stolz ab und würdigte den Gefangenen keines Blickes mehr. Bald kehrte Bärenherz zurück, legte die ausgedrückten Kräuter auf den Kopf des Deutschen und verband ihn.

Auch die Hirten waren fertig. Sie hatten aus Aesten und den Decken der getödteten Mexikaner eine sehr weiche und bequeme Tragbahre errichtet, welche auf zwei neben einander hergehende Pferde befestigt wurde. Darauf wurde Helmers gelegt.

»Was wird mit dem Grafen?« fragte einer der Vaqueros.

»Der gehört mir!« antwortete Büffelstirn. »Bringt Donnerpfeil nach der Hacienda. Bärenherz wird bei mir bleiben!«

Der Zug rückte ab. Die beiden Häuptlinge standen einige Zeit schweigend neben einander; dann löste Büffelstirn die Beinfesseln des Gefangenen, so daß dieser aufstehen konnte. Als dies geschehen war, band er ihn mit einem unzerreißbaren Riemen an den Schwanz seines Pferdes. Dann sagte er zu dem Apachen:

»Mein Bruder folge mir!«

Beide stiegen auf und ritten davon. Es war für den Grafen keine Kleinigkeit, den beiden Reitern zu folgen; es war vielmehr der qualvollste Weg seines Lebens, den er gegangen war.

Büffelstirn hatte die Leitung übernommen. Er lenkte um den steil abfallenden Hang des Berges herum und dann die Anhöhe hinauf. In Zeit von einer Stunde hatten sie das Plateau des Höhenzuges erreicht, und nun ging es in den dichten Urwald hinein. Mitten in demselben lag, nach allen Seiten von fast undurchdringlichem Gestrüpp umgeben, die Ruine eines alten Aztekentempels. Dieser hatte aus einer abgestumpften Pyramide bestanden, welche von Vorhöfen rund umgeben gewesen war, um welche sich eine hohe Mauer zog. Jetzt lag Alles in Schutt und Trümmern.

In einem dieser alten Vorhöfe hatte sich eine tiefe Lache gebildet, in welcher sich die Feuchtigkeit des Waldes sammelte. Dorthin führte der Indianer den Freund und den Gefangenen.

Die Lache war mit der Zeit zu einem Teiche, fast zu einem kleinen See geworden, bis zu dessen Ufer sich hohe Bäume heranzogen. Dort stiegen die beiden Häuptlinge ab. Der Miztecas setzte sich in das hohe Gras und winkte dem Apachen, neben ihm Platz zu nehmen. Sie saßen nach Indianerart erst eine Weile schweigsam da, dann fragte Büffelstirn:

»Mein Bruder hat den Deutschen lieb, der Donnerpfeil genannt wird?«

»Ich liebe ihn!« antwortete der Apache kurz.

»Dieser Weiße wollte ihn tödten.«

»Er ist sein Mörder, denn vielleicht stirbt unser Freund.«

»Was verdient ein Mörder?«

»Den Tod.«

»Er soll ihm werden!«

Wieder verging eine Weile in düsterem Schweigen, dann begann Büffelstirn von Neuem:

»Mein Bruder kennt das Volk der Miztecas?«

»Er kennt es,« nickte Bärenherz.


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»Es war das reichste Volk in Mexiko.«

»Ja, es hatte Schätze, die Niemand messen konnte,« stimmte der Apache bei.

»Weiß mein Bruder, wohin die Schätze gekommen sind?«

»Er weiß es nicht.«

»Kann der Häuptling der Apachen schweigen?«

»Sein Mund ist wie die Mauer des Felsens.«

»So soll er wissen, daß Büffelstirn der Hüter dieser Schätze ist.«

»Mein Bruder Büffelstirn mag diese Schätze verbrennen. Im Golde wohnt der böse Geist. Wenn die Erde von Gold wäre, würde Bärenherz lieber sterben als leben!«

»Mein Bruder hat die Weisheit der alten Häuptlinge. Aber Andere lieben das Gold. Dieser Graf wollte den Schatz der Miztecas besitzen.«

»Ugh!«

»Er kam mit achtzehn Dieben, um ihn zu rauben.«

»Wer hat ihm den Weg zum Schatze gezeigt?«

»Karja, die Tochter der Miztecas.«

»Karja, die Schwester Büffelstirn's? Ugh!«

»Ja,« sagte dieser traurig. »Ihre Seele war finster, denn sie liebte diesen weißen Lügner. Er versprach ihr, sie zu seinem Weibe zu machen; aber er wollte sie verlassen, sobald er den Schatz hatte.«

»Er ist ein Verräther!«

»Was verdient ein Verräther?«

»Den Tod.«

»Und was verdient ein Verräther, der zugleich ein Mörder ist?«

»Den doppelten Tod.«

»Mein Bruder hat recht gesprochen.«

Es entstand wieder eine Pause des Schweigens. Diese beiden Häuptlinge bildeten einen fürchterlichen und unerbittlichen Gerichtshof, gegen dessen Urtheil es keine Berufung gab. Büffelstirn wäre auch allein mit Alfonzo fertig geworden, aber er hatte den Apachen mitgenommen, um seiner Rache ein gerechtes Urtheil unterzulegen. Die Beiden hielten eines jener sogenannten Prairiengerichte, vor welchen die Verbrecher der Wildniß so große Angst haben.

Sie sprachen in dem Idiom der Apachen, welches Alfonzo nicht verstand; aber er ahnte, daß man jetzt über ihn entscheide. Er bebte vor Furcht; denn er dachte an die Krokodile, von denen Büffelstirn gesprochen hatte. Hier war der Teich, und gerade an dem Orte, wo sie saßen, ragte ein schief gewachsener Cedernstamm weit hinaus über das Wasser, und seine Zweige senkten sich beinahe bis auf den Spiegel desselben herab. Es schwamm dem Spanier vor den Augen, wenn er seinen Blick dorthin richtete.

Da begann Büffelstirn wieder:

»Weiß mein Bruder, wo der doppelte Tod zu finden ist?«

»Der Häuptling der Miztecas mag es mir sagen!«

»Dort!«

Er deutete hinaus auf das Wasser. Der Apache warf keinen Blick hinaus, sagte aber, als ob sich das von selbst verstehe:


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»Das Krokodil wohnt dort?«

»Ja. Du sollst es sehen.«

Er trat an das Wasser, streckte die Arme aus und rief:

»Yim-eta - kommt

   "Kommt!" rief er.

Auf diesen Ruf begann es im Wasser zu rauschen. Neun oder zehn Furchen bildeten sich von verschiedenen Richtungen her, und eben so viele Krokodile schossen herbei. Sie blieben am Ufer halten und streckten die häßlichen, nach Moschus stinkenden Köpfe heraus. Es waren theils Brillen-, theils Hecht-Kaimans, und keiner hatte eine Länge unter vierzehn Fuß. Ihre Leiber glichen schlammbedeckten Baumstämmen; ihre Köpfe boten den häßlichsten und zugleich Furcht erweckendsten Anblick, den man sich denken kann, und während sie die langen Schnauzen aufrissen und zuklappten, um ihren Hunger zu zeigen, sah man ganze Reihen fürchterlicher Zähne, welche gewiß Nichts frei ließen, was sie einmal gefaßt hatten.

Ein Schrei des Entsetzens erscholl. Alfonzo hatte ihn ausgestoßen.

Die beiden Indianer warfen ihm einen verächtlichen Blick zu. Der Indianer zuckt selbst unter den fürchterlichsten Qualen mit keiner Wimper. Er glaubt, daß Einer, der am Marterpfahl einen einzigen Klageton ausstößt, nicht in die ewigen Jagdgründe komme, welche den Himmel der Rothhäute bilden. Darum werden die Kinder bereits an das Ertragen der Schmerzen gewöhnt, und die Weißen werden meist auch deshalb von ihnen verachtet, weil sie eine feinere Constitution besitzen und gegen alle Arten des Schmerzes empfindlicher sind als die Indianer.

»Siehst Du sie?« sagte Büffelstirn. »Es sind wackere Thiere, von denen keines unter zehn mal zehn Sommer alt ist. Und siehst Du auch die Lasso's, welche ich mitgebracht habe? Ich nahm sie den Mexikanern ab, welche wir erschossen.«

»Ich verstehe meinen Bruder,« sagte der Apache kurz.

»Wie hoch denkst Du, daß ein Krokodil aus dem Wasser springen kann?«

»Es kann die Schnauze höchstens vier Fuß weit aus dem Wasser bringen, wenn der Grund tiefer ist als sein Leib.«

»Und wenn es den Grund mit dem Schwanze berühren kann?«

»So schießt es noch einmal so weit hervor.«

»Nun wohl. Der Grund ist tief. Die Füße dieses Mannes sollen also vier Fuß über dem Wasser hängen. Wer soll auf diesen Baum klettern? Du oder ich?«

»Ich will es thun,« sagte der Apache.

Beide erhoben sich von ihren Sitzen und traten zu Alfonzo. Sie banden ihm die Hände auf den Rücken und zogen ihm einen Lasso doppelt unter den Armen hindurch. Dadurch wurde dieser Lasso so stark, daß er unzerreißbar genannt werden konnte. An ihm wurden wieder zwei andere Lasso's befestigt, deren Enden der Apache in seine Hände nahm, um an dem Baume empor zu klettern.

Jetzt endlich merkte der Graf, daß man Ernst machte. Der Angstschweiß trat ihm in großen Tropfen aus der Stirne, und vor den Ohren begann es ihm zu rauschen, wie im Sturmwind.

»Gnade, Gnade!« bat er jammernd.

Die beiden Rächer hörten nicht darauf.


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»Gnade!« wiederholte er. »Ich will Alles thun, was Ihr wollt nur hängt mich nicht für diese Krokodile auf!«

Auch dieses Flehen fand keine Antwort. Büffelstirn faßte ihn und zog ihn nach dem Baume hin.

»Thut es nicht, thut es nicht! Ich will Euch Alles geben, meine Grafschaft, meine Besitzungen, ganz Rodriganda. Ich verzichte auf Alles, was ich habe, nur schenkt mir das Leben!«

Jetzt endlich antwortete der Häuptling der Miztecas.

»Was ist Rodriganda?« sagte er. »Was ist Deine Grafschaft, und was sind Deine Besitzungen! Du hast die Schätze der Miztecas gesehen, die ich nicht mag, und Du bietest mir Deine Armuth an! Bleibe ein Graf, und stirb! Sieh diese Thiere, die noch nie einen weißen Grafen gefressen haben. Du wirst vier oder fünf Tage am Baume hängen und Deine Füße empor werfen, wenn sie nach ihnen schnappen; sobald Du aber schwach und müde wirst, werden sie Dir dieselben abreißen. Dann verblutest Du Dich und stirbst. Und wenn nachher Dein Leib verfault, so stürzt er herab und wird von ihnen verzehrt. Das ist das Ende eines weißen Grafen, der eine verachtete Indianerin betrügen wollte.«

»Gnade, Gnade!« flehte er abermals in höchster Todesangst.

»Gnade? Hast Du Gnade gehabt, als Du den Freund der Häuptlinge mit der Keule erschlugst? Hast Du Gnade gehabt, als Du mich in die Hände der Mexikaner gabst? Hast Du Gnade gehabt, als Du das Herz in der Brust der Indianerin tödtetest? Und sind dies Deine einzigen bösen Thaten gewesen? Wahkonta hat dem Menschen versagt, Alles zu wissen; ich kenne Dein Leben nicht, aber wer so Böses thut wie Du, der hat bereits vorher viel Böses gethan. Wir rächen es mit dem zu gleicher Zeit, was Du an uns gethan hast. Die Krokodile werden Dich fressen, aber Du bist noch schlimmer als eins dieser Thiere. Wahkonta hat sie geschaffen, um Fleisch zu fressen, den Menschen aber hat er geschaffen, damit er gut sein soll. Deine Seele ist böser als die ihrige!«

Er schob ihn näher an das Wasser hin. Alfonzo wehrte sich nach Kräften. Er hatte die Beine frei und stemmte sich mit verzweifelter Anstrengung auf dem Boden fest. Da schlang ihm der Miztecas einen Riemen um die Füße und band dieselben zusammen, so daß er nun völlig wehrlos war.

»Gnade! Erbarmen!« wimmerte und stöhnte er.

Es half ihm nichts. Der riesenstarke Häuptling trug ihn nach dem Baume und der Apache kletterte hinauf, die Enden der Lasso's zwischen den Zähnen. Oben angekommen, setzte er sich fest und ließ die nun zehnfach zusammen geflochtenen Riemen über einen starken Ast laufen. Nun zog er den Grafen mit den Lasso's am Stamme empor. Büffelstirn schob; es ging langsam, aber sicher.

»O, laßt mich los, laßt mich doch los!« rief der zu einem so fürchterlichen Tode Verurtheilte. »Ich will Euch dienen und gehorchen als der geringste von Euren Knechten!«

»Ein Graf hat Knechte, ein freier Indianer aber nicht!« lautete die Antwort.

Der Anblick der Alligatoren war jetzt entsetzlich. Die Lache war zu klein für sie, sie fanden keine Nahrung mehr in derselben. Sie hatten jahrelang gehungert, und nun sahen sie, daß sie Speise bekommen sollten. Sie hatten aus Mangel an


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Nahrung bereits sich selbst angefressen; dem Einen fehlte ein Fuß und dem Anderen irgend ein Stück seines Leibes. Jetzt drängten sie sich gerade unter dem Baume zu einem scheußlichen Klumpen zusammen. Ihre furchtbaren Schwänze peitschten das Wasser zu Schaum; ihre kleinen, tückischen Augen schossen giftige, begehrende Blitze, und ihre geöffneten Rachen schlugen mit einem Geräusche zusammen, welches gerade so klang, als ob man zwei starke Bretter zusammen schlage. Diese zehn Ungeheuer bildeten einen Knäuel, den man für einen einzigen gräßlichen Drachen mit zehn Rachen und eben so vielen Schwänzen halten konnte.

Der Gefangene sah das und schauderte.

»Laßt mich frei, Ihr Ungeheuer!« brüllte er.

»Mein Bruder mag kräftiger ziehen!«

Diese Aufforderung an den Apachen war die einzige Antwort Büffelstirns.

»So seid verflucht und vermaledeit in alle Ewigkeit!«

Diese Worte kreischte der Graf, indem seine blutunterlaufenen Augen vergebens nach Rettung suchten.

»Es ist genug,« sagte der Miztecas, der mit den Augen eines Kenners die Entfernung des Astes vom Wasser mit der jetzigen Länge des Lasso's verglich. »Mein Bruder schlinge das Lasso um den Stamm des Baumes und mache einen festen Knoten!«

Der Apache folgte diesem Gebote. Büffelstirn hatte jetzt mit einer Hand sich am Baume gehalten, während er mit der anderen den Gefangenen gepackt hielt. Es gehörte eine riesige Körperstärke dazu. Wäre die Ceder nicht so stark gewesen, so hätte sie bei ihrer schrägen Lage unter der Last der drei Männer brechen müssen. Jetzt war der entscheidende Augenblick gekommen. Alfonzo sah und fühlte das und rief mit beinahe unartikulirten Lauten:

»Seid Ihr denn keine Menschen, seid Ihr Teufel?«

»Wir sind Menschen, die einen Teufel richten,« antwortete der Miztecas. »Fahre hin!«

Ein gräßlicher, weithin tönender Schrei erscholl. Der Sprecher hatte Alfonzo losgelassen und ihm noch dazu einen kräftigen Stoß gegeben. Dieser Stoß schleuderte den Gefangenen vom Baume herab und über die Wasserfläche hinaus. Er schwang am Lasso hin und her, und allemal, wenn er während dieser Pendelsbewegungen dem Wasser nahe kam, schossen die Krokodile empor, um ihn zu packen. 

»Es ist gut. Mein Bruder komme herab!«

Der Apache folgte dieser Aufforderung Büffelstirns und stieg mit diesem vom Baume. Sie standen am Ufer und sahen dem grauenhaften Schauspiele zu, bis die Schwingungen immer kleiner wurden und der Verurtheilte endlich von dem Aste grad hernieder hing.

Jetzt zeigte es sich, daß der Miztecas ein sehr gutes Augenmaß gehabt haben mußte. Alfonzo hing so, daß die aus dem Wasser empor schnellenden Krokodile gerade noch seine Füße packen konnten. Dadurch war er gezwungen, dieselben emporzuziehen, sobald eines der Thiere darnach schnappte. Ging ihm die Kraft zu dieser Bewegung aus, so war er verloren. Er hatte viel gesündigt, aber dieser Tod und diese Todesangst wog viele, vielleicht alle seine Sünden auf.


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»Es ist vollbracht. Wir wollen gehen,« sagte der Apache, welchen selbst schauderte.

»Ich folge meinem Freunde,« stimmte Büffelstirn bei.

Sie stiegen auf und ritten davon, noch lange verfolgt von dem Angstgeheul des Grafen.

Sie konnten jetzt schneller reiten als bergaufwärts, wo der Gefangene am Pferdeschwanze gehangen hatte. Als sie unten am Bache ankamen, fanden sie bereits mehrere Indianer vor. Sie Alle gehörten zu dem dem Untergange geweihten Stamme der Miztecas und waren von Karja herbeigeschickt worden. Ihr Häuptling wandte sich an den Apachen:

»Ich danke meinem Bruder, daß er mir geholfen hat, das Bleichgesicht zu richten und zu bestrafen. Er kann nun nach der Hacienda zurückkehren und nach der Wunde Donnerpfeil's sehen. Ich kann erst morgen nachkommen, denn ich habe hier noch Vieles zu thun.«

Bärenherz ritt sofort davon. Der Miztecas winkte die Indianer zu sich, welche einen Kreis um ihn bildeten, um seine Befehle zu vernehmen. Er blickte ernst umher und begann:

»Wir sind die Söhne eines Stammes, welcher sterben muß. Die Bleichgesichter geben uns den Tod. Sie trachteten nach unseren Schätzen, aber sie haben sie nicht erhalten. Eure Väter haben den meinigen geholfen, diese Schätze zu verbergen, und Keiner von ihnen hat den Ort verrathen, wo sich dieselben befinden. Würdet auch Ihr so schweigsam sein?«

Sie Alle senkten bejahend die Köpfe, und der Aelteste von ihnen antwortete in Aller Namen:

»Verflucht sei der Mund, welcher einem Weißen den Ort verrathen könnte!«

»Ich glaube Euch. Ich habe gewußt, wo sich die Schätze befinden, aber ein Bleichgesicht hat sie entdeckt. Dieses Bleichgesicht hat einen Theil derselben gefunden, und dieser Theil muß nun an einem anderen Orte verborgen werden. Wollt Ihr mir helfen?«

»Wir helfen.«

»So schwört bei den Seelen Eurer Väter, Eurer Brüder und Kinder, daß Ihr das neue Versteck nicht verrathen und auch den geringsten Theil der Schätze niemals antasten wollt?«

»Wir schwören es!« erklang es im Kreise.

»So sorgt zunächst für Eure Pferde, und dann kommt!«

Nachdem den Pferden gehörige Weide gegeben worden war, verschwanden die rothen Gestalten im Eingange zur Höhle, in welcher nun ein geheimnißvolles Regen und Treiben begann. Nur ein Einziger blieb im Freien zurück, um über die Sicherheit der Pferde und des Unternehmens zu wachen.

Diese Arbeit dauerte die ganze Nacht hindurch, und erst als der Tag anbrach, kamen die Miztecas einer nach dem Anderen aus der Höhle gekrochen. Ein Jeder brachte eine Last mit, welche sie Alle auf einen gemeinschaftlichen Haufen legten. Es waren die größten Nuggets und Goldbrocken nebst dem Geschmeide, welches Helmers sich ausgewählt hatte.

»So!« sagte Büffelstirn, indem er den Haufen betrachtete. »Schlagt es in die


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Decken und ladet es auf das Pferd. Dies ist das Geschenk der Miztecas an den einzigen Weißen, der die Schätze der Könige gesehen hat, weil ich es ihm erlaubte. Möge er durch dasselbe glücklich werden!«

Als das Packpferd, welches er gestern früh mit dem Deutschen mitgebracht hatte, beladen war, kehrte er noch einmal in das Innere der Höhle zurück. Die vorderste Abtheilung derselben, welche Helmers und Alfonzo gesehen hatten, war jetzt vollständig leer und ausgeräumt. Büffelstirn blickte sich noch einmal um, dann trat er in eine Ecke, wo eine Zündschnur aus der Erde ragte. Er brannte sie mit seiner Fackel an und verließ dann schleunigst die Höhle.

Draußen zogen sich Alle weit zurück und warteten. Es vergingen einige Minuten; dann ließ sich ein dumpfes Krachen vernehmen; die Erde bebte, ein dunkler Qualm stieg aus der vordern Seite des Berges auf; die Felsen barsten, die Erde senkte sich langsam, und dann brach sie mit einem rollenden Getöse zusammen. Der Eingang zur Höhle und der vorderste Theil derselben war verschüttet. Der Bach schäumte über die Trümmer, erst wild kämpfend, bald aber hatte er sich einen Weg nach seinem Bette gebahnt - der Zugang zu den Schätzen der Könige der Miztecas war verschlossen.

»Reicht Euch die Hände und schwört noch einmal, daß Ihr schweigen wollt bis zum Tode!« gebot Büffelstirn seinen Leuten.

Sie leisteten den Schwur, und es war jedem Einzelnen anzusehen, daß er lieber sterben als seinen Schwur brechen werde. Noch einen letzten Blick warfen sie auf die Stätte, die während der letzten vierundzwanzig Stunden so Ungewöhnliches gesehen hatte, dann ritten sie davon. -

Während dieser Zeit ritt der Apache ernst und trübe gestimmt nach der Hacienda zurück.

An seinem Geiste zogen alle die Ereignisse vorüber, welche in den letzten Tagen ihn und seine Freunde betroffen.

Insbesondere beschäftigte ihn das Schicksal Donnerpfeil's, an dessen Aufkommen er zweifelte.

Die Sonne war über das mexikanische Land bereits hoch gestiegen und senkte heiß und brennend ihre Strahlen auf Thiere und Menschen.

Der Apache fühlte die Hitze nicht, denn sein Geist war zu sehr beschäftigt, und fast wie sinnverloren und unempfänglich für das, was ihn umgab, ritt er weiter.

Sein Pferd, das den Weg genau kannte, führte, ohne daß es sein Reiter lenkte, ihn nach der Hacienda, in der Donnerpfeil bereits untergebracht worden war.

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Zwölftes Kapitel.

Lebendig begraben.

»Trau nicht dem heit'ren Sonnenlicht,
   Das mild hernieder leuchtet,
Und trau der Thauesperle nicht,
   Die hell die Flur befeuchtet!
Hast Du denn nicht des Donners Hall
   Von Weitem schon gehöret?
Bald wird der Thau zum Wogenschwall,
   Der Feld und Fluß zerstöret.

Trau nicht dem Menschenangesicht,
   In dem Du Treu' gelesen,
Und trau auch selbst dem Freunde nicht,
   Der Dir stets lieb gewesen!
Es kann wohl über Nacht schon sein,
   So wird der Freund zum Feinde;
Es war der Liebe ja nur Schein,
   Die ihn mit Dir vereinte. -«

Als der Apache vom Berge El Reparo, wo er Büffelstirn verlassen hafte, nach der Hacienda zurückkehrte, fand er die Bewohner derselben in tiefer Trauer. Emma befand sich bei ihrem verwundeten Verlobten und ließ sich nicht sehen. Ihr kurzes Glück hatte sehr bald eine sehr schlimme Trübung erlitten. Karja war bei ihr, um ihr in der Pflege des Kranken beizustehen und sie zu trösten. Der Haciendero hatte sofort einen seiner besten Reiter auf dem schnellsten Pferde nach Monclova geschickt, um einen erfahrenen Arzt herbeizurufen. Als er den Häuptling der Apachen vom Pferde steigen sah, kam er herbeigeeilt, um sich zu erkundigen. Er bequemte sich dabei dem Gebrauche der Wilden an, indem er ihn »Du« nannte.

»Du kommst allein?« fragte er. »Wo ist Tecalto?«

»Noch am Berg El Reparo.«

»Was thut er dort?«

»Er sagte es mir nicht.«

»Ich hörte, daß er sich Indianer hat schicken lassen. Wozu?«

»Ich frug ihn nicht.«

»Und wo ist Graf Alfonzo?«

»Ich sage es nicht.«

Der Haciendero trat einen Schritt zurück und meinte unmuthig:

»Er sagte es mir nicht - ich frug ihn nicht - ich sage es nicht! Solche Antworten wünscht man nicht!«

Der Apache machte eine abwehrende Handbewegung und sagte:

»Mein Bruder mag mich nicht nach Dingen fragen, über welche ich nicht sprechen kann. Der Häuptling der Apachen liebt die Thaten aber nicht die Worte.«

»Aber wissen möchte ich doch, was da draußen am Berge geschehen ist«

»Die Tochter der Miztecas wird es ihm sagen.«

»Auch diese schweigt.«


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»So wird Büffelstirn kommen und es erzählen. Mein Bruder führe mich an das Lager Donnerpfeils, damit ich dessen Wunde sehe!«

»So komm!«

Als sie das Zimmer des Deutschen betraten, fanden sie die beiden Mädchen am Lager desselben, Emma in Thränen und die Indianerin in schweigende Trauer gehüllt. Der Kranke wälzte sich in seinem Bette hin und her. Er hatte sicher Schmerzen auszustehen, hielt aber die Augen geschlossen und gab keinen Laut von sich. Als Bärenherz den Kopf betastete, zog der Patient sein Gesicht in schmerzhafte Falten, blieb aber stumm.

»Wie steht es?« fragte der Haciendero.

»Er wird nicht sterben,« antwortete der Häuptling. »Man lege immer neues Wundkraut auf.«

»Morgen wird der Arzt kommen.«

»Das Kraut Oregano ist klüger als der Arzt. Hat mein Bruder einen Vaquero, der ein guter Reiter und Jäger ist?«

»Mein bester Jäger und Schütze ist der alte Franzesko.«

»Man hole ihn und gebe ihm ein gutes Pferd!«

»Wozu?«

»Er soll mich begleiten.«

»Wohin?«

»Zu den Comanchen.«

»Zu den Comanchen? O Gott, was wollt Ihr bei denen?«

»Kennt mein Bruder die Comanchen nicht? Wir haben ihnen die Gefangenen abgenommen; wir haben viele ihrer Krieger getödtet. Sie werden kommen, um Rache zu nehmen.«

»Nach der Hacienda?«

»Ja.«

»So weit?«

»Der rothe Mann kennt keine Entfernung, wenn er sich rächen und den Skalp seines Feindes holen will. Die Comanchen werden sicher kommen.«

»Und warum wollt Ihr ihnen entgegen?«

»Um sie zu sehen und zu erfahren, wann und auf welchem Wege sie kommen.«

»Ist es nicht besser, Du bleibst hier, und wir stellen Posten aus?«

»Der Häuptling der Apachen sieht lieber mit eigenen Augen als mit den Augen Anderer. Donnerpfeil, mein Bruder, wollte den Hunden der Comanchen entgegen gehen. Nun ist er krank, und ich thue es an seiner Stelle.«

»So reitet in Gottes Namen. Ich will Franzesko rufen lassen.«

In Zeit einer Viertelstunde war der Vaquero zur Stelle. Man sah es seinem ganzen Habitus an, daß er die geeignete Persönlichkeit zu einem solchen Ritte sei. Als er hörte, um was es sich handele, gab er freudig seine Bereitwilligkeit zu erkennen, den Apachen zu begleiten. Sie versahen sich also mit dem, was zu einem solchen Kundschafterritte nothwendig ist, und brachen alsobald auf.

Als die beiden Mädchen sich wieder allein mit dem Kranken befanden, begannen die unterbrochenen Thränen Emma's wieder zu fließen. Es war überhaupt eigenthümlich, welchen Eindruck ihre Nähe auf den besinnungslosen Kranken ausübte.


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Wenn sie ihm ansah, daß er Schmerzen fühlte, so ergriff sie seine Hand, und sofort glättete sich sein Angesicht. Drückte sie zuweilen einen leisen Kuß auf seine bleiche Stirn oder seine Lippen, so zog ein freudiges Glänzen über seine Züge und er schien seine Schmerzen nicht mehr zu empfinden.

»Siehst Du, daß er mich kennt!« sagte sie zu der Indianerin.

»Er sieht Dich ja nicht,« antwortete diese.

»O, er fühlt mich. Nicht sein Körper, sondern seine Seele empfindet die Nähe derjenigen, die ihn liebt. O, wäre er doch nie nach dem Berg El Reparo gegangen! Wie zürne ich Deinem Bruder Tecalto, daß er ihn mitgenommen hat!«

»Tecalto meinte es gut. Er wollte ihm den Schatz der Könige zeigen und ihm davon schenken.«

»Und diesen Schatz wolltest Du dem Grafen geben!« sagte sie bitter.

»Kannst Du mir nicht verzeihen?« bat die Indianerin.

»Ich verzeihe Dir, denn ich weiß, daß die Liebe mächtiger ist als Alles. O, wenn er doch nur wieder gesund würde!«

»Das Kraut Oregano wird ihm Hilfe bringen. Aber, willst Du nicht in die Säcke blicken?«

»Nein. Thue Du es. Ich mag nichts sehen, was diesem Alfonzo gehört.«

Man hatte nämlich bei den Leichen der beiden Diener die Effekten des Grafen gefunden. Sie bestanden in zwei ziemlich gut gefüllten Reitsäcken, welche die Indianerin jetzt öffnete. Sie fand nichts Auffälliges, bis sie auf den Boden des letzten Sackes kam. Dort lag ein Brief. Es hatte ganz den Anschein, als sei er aus der Tasche eines der Kleidungsstücke gefallen, welche der Sack enthielt. Sie las die Adresse. Es war diejenige des Grafen Alfonzo. Sie las auch den Brief. Es war derselbe, welchen die Estafette gebracht hatte. Karja beobachtete die Freundin, und als sie bemerkte, daß diese nur Acht auf den Kranken hatte, steckte sie den Brief rasch zu sich. -

Die mexikanischen Pferde sind von einer sehr großen Ausdauer und Schnelligkeit. Bärenherz und der Vaquero flogen auf ihren Thieren wie der Wind dem Norden zu. Sie erreichten noch vor Abend die Stelle, wo sie bei der Rückkehr von der Reise mit den beiden Damen ihr letztes Nachtlager gehalten hatten. Sie rasteten nicht und verfolgten den Weg immer fort, den sie damals gekommen waren.

Da, der Abend begann bereits heranzubrechen, hielt der Apache plötzlich sein Thier an und blickte zu Boden. Der Vaquero that dasselbe.

»Was ist das hier?« fragte der Letztere. »Das sind ja Spuren!«

»Von vielen Reitern!« nickte der Apache.

»Sie kommen von Norden her!«

»Und sind nach West eingebogen.«

»Sehen wir sie genauer an!«

Sie stiegen ab und untersuchten die Hufeindrücke sehr sorgfältig.

»Es sind Viele,« sagte der Apache.

»Wohl Zweihundert,« fügte der Vaquero hinzu.

Der Andere nickte zustimmend und deutete dann auf einen Hufeindruck, dessen Kanten noch ganz scharf gezeichnet waren.


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»Ja,« sagte der Vaquero mit besorgter Miene. »Wir haben von Glück zu sagen. Sie sind vor kaum einer Viertelstunde hier gewesen.«

Der Apache richtete sich unter einem schnellen Entschlusse rasch vom Boden auf.

»Vorwärts! Ich muß sie sehen!«

Sie bestiegen ihre Pferde wieder und folgten der Fährte. Sie führte tief in die Sierra hinein, und gerade, als das letzte Licht des Tages verglomm, erblickten sie auf dem Kamme einer vor ihnen liegenden Höhe eine dunkle Schlangenlinie, welche aus lauter Reitern bestand.

»Comanchen!« sagte der Apache.

»Ja, richtig! Donnerwetter, die haben es auf die Hacienda abgesehen!«

»Sie verbergen sich bis morgen in den Bergen,« nickte der Häuptling.

»Was thun wir?«

»Mein Bruder kehrt zurück, sogleich, um dem Haciendero zu melden, daß der Feind kommt.«

»Und Du?«

»Bärenherz bleibt auf der Fährte des Feindes. Er muß wissen, was sie thun.«

Er drehte sich um und ritt weiter, ohne sich darum zu bekümmern, ob der Vaquero seiner Weisung Folge leiste.

»Per Dios!« murmelte dieser. »So ein Indianer ist doch ein eigenthümlicher Mensch! Wagt sich an zweihundert Comanchen! Stolz wie ein König. Er sagt, was ich thun soll, und reitet fort, ohne nur Abschied zu sagen oder zu sehen, ob ich ihm auch gehorsam bin.«

Er wandte sein Pferd wieder dem Süden zu und ritt denselben Weg zurück, den er gekommen war.

Es galt, die schlimme Nachricht so bald wie möglich nach der Hacienda zu bringen. Darum strengte er sein Pferd an, und es war kaum Mitternacht, als er die Hacienda erreichte.

Hier lag bereits Alles im tiefen Schlafe, und nur Emma wachte am Lager des Geliebten. Deshalb wendete sich der Vaquero zunächst an sie. Sie weckte natürlich sogleich ihren Vater, der den alten Franzesko sofort zu sich kommen ließ.

»Ist's wahr, was mir Emma sagte?« fragte Arbellez.

»Was sagte sie?«

»Daß die Comanchen kommen.«

»Ja, das ist wahr, Sennor.«

»Wann? Doch nicht etwa noch heute!«

»Nein, heute sind wir noch sicher.«

»Sind es Viele?«

»Wohl zweihundert.«

»Heilige Madonna, welch' ein Unglück! Sie werden die Hacienda verwüsten.«

»Das befürchte ich nicht, Sennor,« sagte der muthige Alte. »Wir haben ja Arme und auch Waffen genug.«

»Aber habt Ihr auch richtig gesehen?«

»Das versteht sich!«

»Es scheint mir gar nicht möglich, daß die Kundschafter der Comanchen in


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so kurzer Zeit eine solche Schaar aus ihren Weidegründen können herbeigeholt haben.«

»Das ist auch gar nicht der Fall, Sennor!«

»Was denn?«

»Als Sennor Helmers mit dem Apachen die Damen befreite und dabei einen Comanchen erstach, begann die Blutrache. Es ist ganz sicher gleich von dort aus ein Bote nach den Weidegründen abgegangen, die ja gar nicht weit vom Rio Pecos liegen. Während die Sennores dann am Rio Grande gegen ihre Verfolger kämpften, waren bereits die Zweihundert aufgebrochen. Die späteren Flüchtlinge sind dann zu ihnen gestoßen und haben ihnen erzählt, daß sie abermals geschlagen worden sind. Das hat den Verfolgungsritt beschleunigt.«

»Wie weit entfernt ist der Punkt, an welchem Ihr sie sahet?«

»Sechs Stunden bei gewöhnlichem Ritte.«

»Und sie hielten nicht gerade auf die Estanzia zu?«

»Nein. Das fällt ihnen auch gar nicht ein. Sie haben sich in die Berge geschlagen, um nicht entdeckt zu werden, und werden vor morgen Nachts sich sicherlich nicht blicken lassen.«

»Wir werden dennoch sofort Vorsichtsmaßregeln treffen. O, wenn doch Sennor Helmers nicht verwundet wäre!«

»Auf den Häuptling der Apachen und auf Büffelstirn können Sie sich ebenso verlassen.«

»Büffelstirn ist noch am Berge El Reparo. Ich werde ihn holen lassen.«

»Sogleich?«

»Ja.«

»Soll ich reiten?«

»Du bist ermüdet.«

»Ermüdet?« lachte der Alte. »Mein Pferd wohl, aber nicht ich. Ich nehme ein anderes Thier.«

»Weißt Du, wo der Häuptling zu finden ist?«

»Nein.«

»Am Auslaufe des mittleren Baches.«

»Gut, ich werde ihn ganz sicher finden. Soll ich jetzt die Leute wecken?«

»Ja, wecke sie. Es ist besser, wir sind bereits heute auf der Hut.«

Der alte Franzesko schlug Lärm, dann saß er auf, um nach El Reparo zu reiten, und eine Viertelstunde nach seinem Wegritte brannten rund um die Hacienda mehrere Feuer, welche die Umgebung so erleuchteten, daß es sicher kein Indianer gewagt hätte, dem Hause zu nahen.

Büffelstirn, der Häuptling der Miztecas, war eben mit seinen Indianern von El Reparo aufgebrochen, als der alte Vaquero auf ihn stieß. Er dachte natürlich sofort, daß Etwas geschehen sei, und erkundigte sich also durch die schnelle Frage:

»Warum kommst Du? Was ist's?«

»Schnell zur Hacienda! Die Comanchen kommen!« rief Franzesko.

Die Augen des Indianers leuchteten vor Vergnügen auf.

»So schnell! Wer sagte es?« fragte er.

»Ich selbst habe sie gesehen.«


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»Ah! Wo?«

Franzesko erzählte seinen gestrigen Ritt.

»Ist es so, da haben wir noch Zeit,« meinte Büffelstirn. »Diese Comanchen werden auf der Hacienda del Erina einige Scalps verlieren. Ist Bärenherz hinter ihnen her?«

»Ja.«

»So brauchen wir keine Sorge zu tragen. Sie entgehen uns nicht.«

Es ging im Galopp auf die Hacienda zu, wo sie Alles in Eile und Aufregung fanden. Der Haciendero empfing den berühmten Cibolero selbst und fragte ihn nach seiner Meinung. Der Miztecas blickte umher und schüttelte den Kopf, als er die kriegerischen Vorbereitungen erblickte.

»Halten Sie die Comanchen für Diggerindianer?« fragte er.

»Nein,« antwortete Arbellez. »Die Diggers sind dumm.«

»Aber die Comanchen nicht. Warum also diese Vorkehrungen?«

»Heilige Madonna, sollen wir uns vielleicht nicht wehren!«

»Wir werden uns wehren, aber anders, Sennor!«

»Wie denn?«

»Die Comanchen werden Kundschafter aussenden, um uns zu beobachten.«

»Natürlich!« »Sie werden uns nicht am Tage überfallen.«

»Das denke ich auch.«

»Wenn wir sie zurückweisen wollen, so dürfen sie nicht ahnen, daß wir wissen, daß sie kommen.«

»Ah, da hast Du Recht!«

»Wir müssen unsere Vorbereitungen also im Stillen treffen. Wie viele Männer haben Sie überhaupt?«

»Vierzig.«

»Das genügt. Jeder hat ein Gewehr?«

»Sie Alle haben gute Gewehre.«

»Und Munition ist auch vorhanden?«

»Genug. Ich habe sogar Kanonen.«

»Kanonen?« frug der Indianer erstaunt.

»Ja, vier Stück.«

»Davon weiß ich nichts. Woher sind sie?«

»Der Schmied hat sie gebaut, als Du nicht hier warst.«

Der Häuptling schüttelte ungläubig den Kopf:

»Der Schmied hat sie gebaut! Taugen sie etwas?«

»Ja, wir haben sie probirt. Der Lauf ist vom festesten Eisenholz gebohrt, um welches starke, fünffache Bänder geschmiedet worden sind. Vom Zerspringen ist keine Rede.«

»Dann geht es. Wir schießen mit Glas, Nägeln und altem Eisen; das wirkt furchtbar. Sodann brauchen wir mehrere Feuer.«

»Wozu?«

»Der Ueberfall wird wohl bereits in der nächsten Nacht geschehen. Dabei muß Alles dunkel sein, damit die Comanchen uns im tiefsten Schlafe denken.


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Sobald sie nun kommen, brennen wir die Feuer an und erleuchten die ganze Umgebung der Hacienda, damit wir ein sicheres Zielen haben.«

»So machen wir die Feuer auf dem platten Dache des Hauses.«

»Das ist klug. Es wird an jeder Ecke ein großer Haufen errichtet und mit Oel begossen. Das genügt für den ganzen Platz.«

»Und wohin stellen wir die Kanonen?«

»Wir errichten an jeder Ecke des Hauses, sobald es dunkel geworden ist, eine Verschanzung, hinter welche die Kanonen kommen. Sie müssen so stehen, daß sie zwei Seiten bestreichen können. Während des Tages aber lassen wir uns nichts merken, und ein Jeder geht ruhig seiner gewohnten Beschäftigung nach. Ah!«

Dieser letzte Ausruf galt einem Reiter, der auf dampfendem Rosse durch das Thor kam. Es war - der Apache.

»Bärenherz!« rief der Haciendero. »Wo kommt Ihr her?«

»Von den Comanchen,« antwortete dieser, vom Pferde springend.

»Wo sind sie?«

»Auf dem El Reparo.«

»Auf dem El Reparo?« fragte Büffelstirn. »Hatten sie dort ihr Lager?«

»Ja. Ich bin ihnen bis auf den Berg gefolgt. Sie erreichten ihn erst nach Mitternacht.«

»Auf welcher Seite lagerten sie?«

»Auf der Seite nach Mitternacht.«

»Uff! Wenn sie - -« er unterbrach sich und fügte leise hinzu, so daß ihn nur der Apache hören konnte: »Wenn sie den Grafen finden!«

»Den werden die Krokodile gefunden haben,« sagte der Apache ebenso leise.

Diese Annahme war nun allerdings nicht richtig.

Die Comanchen zählten wirklich zweihundert Mann. Sie wurden angeführt von einem ihrer berühmtesten Häuptlinge, welcher Tokvi-tey, der schwarze Hirsch hieß. Ihm zur Seite ritten zwei Kundschafter, von denen der Eine die Gegend um die Hacienda genau kannte, während der Andere zu Denen gehört hatte, welche von den Mexikanern unter Anführung des Deutschen und des Apachen besiegt worden waren. So konnten sie sich in der Richtung nach der Estanzia gar nicht irren.

Sie ritten, ohne zu ahnen, daß sie von dem berühmten Apachenhäuptling verfolgt wurden, nach indianischer Weise über die Berge, nämlich immer Einer hinter dem Anderen, und gelangten schließlich an den nördlichen Fuß des El Reparo, dessen Abhang sie erstiegen, um dann unter den dichten Bäumen des Waldes Halt zu machen.

»Weiß mein Sohn hier einen Ort, an dem wir uns während des Tages verbergen könnten?« fragte der schwarze Hirsch den Einen der Führer, welcher die hiesige Gegend kannte.

Der Gefragte sann nach und antwortete dann:

»Ich weiß einen.«

»Wo?«

»Auf der Höhe des Berges.«

»Was ist es für ein Ort?«


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»Es ist die Ruine eines alten Tempels, dessen Vorhöfe Platz für tausend Krieger haben.«

»Kann man da verborgen sein?«

»Ja, wenn kein Auge uns kommen sieht.«

»Weiß mein Sohn den Ort genau?«

»Ich werde nicht irren.«

»Und glaubt mein Sohn, daß wir ihn erst auskundschaften müssen?«

»Es ist besser und sicherer so.«

»So werden wir Beide gehen, während die Anderen warten.«

Sie stiegen von ihren Pferden, nahmen die Waffen zur Hand und drangen in den Wald ein.

Der Indianer besitzt für Oertlichkeitsverhältnisse einen angeborenen Instinkt und einen so gut geübten Scharfsinn, daß er sich fast nie verirren kann. Der Führer strich mit einer bewundernswerthen Sicherheit gerade auf die Ruine zu durch den nächtlich stockfinsteren Wald. Der Häuptling folgte ihm. Trotz der Schwierigkeiten, welche die Dunkelheit bot, erreichten sie die verfallenen Mauern des Tempelwerkes und begannen, dasselbe zu durchsuchen.

Sie fanden nicht die mindeste Spur von der Anwesenheit eines Menschen und hegten schon die Ueberzeugung, daß sie sicher seien, als sie plötzlich anhielten und lauschten. Es war ein Schrei erklungen, ein Schrei, welcher aus keiner menschlichen Kehle zu stammen schien.

»Was war das?« fragte der schwarze Hirsch.

»Ein Schrei, aber von wem?«

»Es klang fast wie der Todesschrei eines Pferdes.«

»Ich habe einen solchen Laut noch nie gehört,« erklärte der Führer.

Da erklang der Schrei abermals, lang gezogen und gräßlich.

»Ein Mensch!« sagte der Häuptling.

»Ja, ein Mensch,« stimmte der Führer jetzt bei.

»In Todesangst!«

»In tiefster Verzweiflung!«

»Wo war es?«

»Ich weiß es nicht. Das Echo täuscht.«

»Man muß diese Mauern verlassen.«

Sie kletterten über das Trümmerwerk hinaus in das Freie, und als der markerschütternde Ruf nun abermals erscholl, hörten sie, welches die Richtung war.

»Grad vor uns,« sagte der Führer.

»Ja, grad vor uns. Wir wollen sehen, was es ist!«

Sie schlichen sich vorsichtig weiter und gelangten an den Rand des Teiches, dem sie entlang gingen, bis der Schrei grad vor ihnen ausgestoßen wurde. Die Wilden konnten sich eiserner Nerven rühmen, aber sie erschraken doch, als diese fürchterliche Stimme so in ihrer unmittelbaren Nähe erscholl.

»Hier ist es,« sagte der Führer, »im Wasser.«

»Nein, über dem Wasser ist es,« verbesserte der Häuptling. »Horch!«

»Das plätschert und klappt, als seien es Krokodile.«

Ein phosphorescirender Schein ging von dem Wasser aus, welches durch die Thiere bewegt wurde.


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»Sieht mein Sohn diesen Schimmer?«

»Ja.«

»Es sind Krokodile.«

»Und der Mensch unter ihnen? Unmöglich!«

»Nein, der Mensch über ihnen, auf diesem Baume.«

Er deutete dabei auf die Ceder, an welcher sie standen.

»So muß er angebunden sein!«

»Sicher!«

Nun erschallte der Schrei abermals, und sie hörten, daß er aus der Luft kam, zwischen dem Wasser und der Krone des Baumes.

»Wer ruft?« fragte da der Häuptling mit lauter Stimme.

»Oh!« antwortete es im Tone des Entzückens.

»Wer ist es?«

»Hilfe!«

»Wo bist Du?«

»Ich hänge am Baume.«

»Ugh! Ueber dem Wasser?«

»Ja. Kommt schnell.«

»Wer bist Du?«

»Ein Spanier.«

»Ein Spanier, ein Bleichgesicht,« flüsterte der schwarze Hirsch seinem Begleiter zu. »Er soll hängen bleiben!«

Dennoch aber fragte er weiter:

»Wer hat Dich aufgehängt?«

»Meine Feinde.«

»Wer sind sie?«

»Zwei Rothhäute.«

»Uff!« flüsterte der Häuptling. »Er hängt zur Rache hier.«

Dann fragte er, welche Rothhäute es gewesen seien.

»Ein Miztecas und ein Apache. O kommt, helft! Ich kann nicht mehr; die Krokodile werden mich zerreißen!«

»Ein Apache und ein Miztecas,« sagte er leise. »Das sind unsere Feinde. Er soll vielleicht gerettet werden. Zuerst aber muß ihn das Feuer beleuchten.«

Er ging zu einem Gestrüpp, von welchem er vorhin beim Hindurchschlüpfen bemerkt hatte, daß es dürr und trocken sei, riß es aus und trug den Haufen an das Ufer. Dann zog er sein Punks (Prairiefeuerzeug) hervor und zündete den Haufen an. Das Feuer loderte hell empor und beleuchtete die ganze Scene: Von dem Baume herab hing ein Bleichgesicht bis nahe über das Wasser und schwang die Füße hoch empor, so bald eines der Krokodile nach ihnen schnappte.

»Das ist eine große Rache!« sagte der schwarze Hirsch. »Er soll uns jetzt antworten, ohne die Alligatoren zu fürchten.«

Er kletterte auf den Baum empor, faßte den Lasso und zog den daran Hängenden weiter empor, so daß sich dieser nun vor den Ungeheuern in Sicherheit befand. Das Feuer beleuchtete auch die Indianer, und an ihrer Bemalung sah Alfonzo, daß


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es Comanchen seien, die sich auf dem Kriegspfade befanden. Er errieth Alles und betrachtete sich bereits als halb gerettet.

»Warum hingen Dich die rothen Männer hier auf?« fragte der Häuptling weiter.

»Weil ich mit ihnen kämpfte, um sie zu tödten. Wir waren Feinde.«

»Warum hast Du die Hunde nicht getödtet? Die Apachen und Miztecas sind Feiglinge.«

»Es war Bärenherz, der Häuptling der Apachen.«

»Bärenherz!« rief der Comanche.

»Er war hier?«

»Ja, er und Büffelstirn, der Häuptling der Miztecas.«

»Und Büffelstirn!« rief der Comanche abermals. »Wo sind sie?«

»Befreie mich, so sollst Du sie haben!«

»Schwöre es!«

»Ich schwöre es!«

»So sollst Du frei sein!«

Er zog mit aller Anstrengung an dem Lasso und brachte den Grafen auch glücklich so weit empor, daß dieser sich mit dem Oberkörper auf den Ast legen und stützten konnte. Dadurch bekam der Comanche die Hand frei. Er zog sein Messer und durchschnitt das Lasso und die Banden des Spaniers, der sich nun selbst fest zu halten vermochte.

»Ah!« rief dieser. »Frei! Frei! Frei! Aber nun Rache! Rache! Rache!«

Er brüllte in unendlichem Entzücken diese Worte überlaut in die Nacht hinaus.

»Rache sollst Du haben,« sagte der Comanche, der in Ihm einen brauchbaren Verbündeten ahnte. »Aber warum schreist Du so? Der Wald hat Ohren. Ist Niemand in der Nähe?«

»Kein Mensch! Es befand sich Niemand auf dem Berge als nur ich und diese verdammten Krokodils. Mein Leben lang werde ich diese Nacht nicht vergessen!«

»Vergiß sie nicht, und räche Dich! Jetzt aber steige mit mir herab!«

Sie kletterten von dem Baume hernieder, und nun erst, als Alfonzo den festen Boden unter sich fühlte, wußte er genau, daß er gerettet sei.

»Ich danke Euch!« sagte er. »Verlangt, was Ihr wollt, ich werde es thun!«

Sein Entzücken trieb ihn, dieses übermäßige Versprechen zu thun. Der Comanche sagte ruhig:

»Setze Dich zu uns, und sage uns, was wir Dich fragen!«

Sie setzten sich in das Gras, und der Graf streckte seine gepeinigten Glieder mit einer Wonne aus, welche er in seinem Leben noch niemals gefühlt hatte.

»Ihr seid vom Volke der Comanchen?« fragte er.

»Ja.«

»Du bist ein Häuptling derselben?«

»Ich bin Tokvi-tey, der schwarze Hirsch,« antwortete der Comanche stolz.

»Und Ihr befindet Euch auf einem Kriegszuge?«

Der Häuptling nickte und fragte:

»Kennst Du die Hacienda del Erina?«

»Ich kenne sie.«


Ende der neunzehnten Lieferung - Fortsetzung folgt.



Karl May: Waldröschen

Karl May – Forschung und Werk