Lieferung 16

Karl May

10. März 1883

Waldröschen
oder
Die Rächerjagd rund um die Erde.

Großer Enthüllungsroman
über die
Geheimnisse der menschlichen Gesellschaft

von

Capitain Ramon Diaz de la Escosura.


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»Am ersten Tage des Karnevals,« ergänzte Sternau.

»Und Ihr vergrifft Euch an mir!«

»Nur ein klein Wenig!« lachte der Erzieher. »Ich hoffe aber nicht, daß diese kleine Begebenheit Einfluß auf die Gewährung meines Wunsches hat, Sennora Wilhelmi zu sprechen.«

»Doch! Ihr werdet sie nicht sprechen.«

»Ah!« sagte der Erzieher mit einem halb lächelnden, halb herausfordernden Blicke. »Wer will mir das verwehren?«

»Ich!«

»Ihr? Wie wollt Ihr dieses fertig bringen?«

»Ich verbiete Euch dieses Haus!«

»Pah! Das wird Euch gar nichts helfen! Ihr könnt mir zwar das Haus verbieten, nicht aber den Zutritt zu Sennora Wilhelmi. Uebrigens habt Ihr ja gar kein Recht, einen Menschen von dem Betreten dieses Palais' auszuschließen. Ihr seid nicht der Besitzer desselben.«

»Ich handle im Auftrage meines Herrn.«

»Beweist dies!«

»Donnerwetter! Ich habe als Haushofmeister Euch gar Nichts zu beweisen. Packt Euch hinaus!«

»Ich werde allerdings gehen, aber nicht hinaus, sondern zum Herzog von Olsunna!«

»Das ist jetzt nicht nothwendig!« erklang es hinter ihm. »Was wollt Ihr bei mir?«

Er wandte sich um und erkannte den Herzog selbst, welcher eingetreten war, um irgend eine eilige Angelegenheit sogleich in der Wohnung des Haushofmeisters zu behandeln.

Auch der Herzog erkannte ihn sofort. Seine Stirn legte sich in Falten und die Adern derselben schwollen an.

»Ah, was thut dieser Mensch hier?« fragte er.

»Er will zu Sennora Wilhelmi,« antwortete Cortejo.

»In welcher Angelegenheit?«

»Das weiß ich nicht - ein Höflichkeitsbesuch soll es sein.«

Der Erzieher verneigte sich ruhig zustimmend, als ob er mit der größten Hochachtung behandelt worden sei, und fügte zu den Worten des Haushofmeisters:

»Ich bin nämlich Erzieher in demselben Hause, in welchem Sennora Wilhelmi konditionirte, ehe sie die gegenwärtige Stellung annahm. Ich halte es für meine Pflicht, ihr eine Visite abzustatten.«

»Das ist nicht nothwendig!« erklärte der Herzog.

»Warum nicht?« frug Sternau. »Ob dieser Besuch ein nothwendiger sei oder nicht, das vermag doch wohl nur ich selbst zu beurtheilen, da nur ich es bin, der seinen Zweck kennt.«

»Sie werden die Sennora nicht sprechen. Gehen Sie!« befahl der Herzog kurz.

Jetzt nahm die Miene des Erziehers einen ganz anderen Ausdruck an, einen Ausdruck, vor welchem die beiden Anderen unwillkürlich zurückwichen.


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»Wenn Sie es wünschen, Durchlaucht, so werde ich allerdings gehen,« erklärte er mit blitzendem Auge, »aber ich werde mit polizeilicher Begleitung zurückkehren, um die Gründe untersuchen zu lassen, in Folge deren meine Freundin für mich unsichtbar bleiben soll.«

»Sie spricht und empfängt überhaupt keinen Menschen.«

Daß der Herzog diese Antwort gab, bewies, daß er den Erzieher einigermaßen fürchtete.

»Ah, wird sie etwa als eine Gefangene behandelt?« fragte dieser.

»Nein. Sie ist krank.«

»Krank? Darf man sich nach dieser Krankheit erkundigen?«

»Ein Blutsturz.«

»Wann?«

»Vor fünf Wochen.«

»Welcher Arzt behandelt sie?«

»Sie befindet sich in guten Händen.«

Sternau blickte die beiden Anderen forschend an und sagte dann mit sehr ernster Miene:

»Sennores, ich kenne meine Stellung, aber auch die Eurige. Wenn Sennora Wilhelmi krank ist, so will ich sie nicht stören, obgleich ich großen Antheil an ihrem Schicksale nehme; sollte sich hier jedoch ein dunkler Punkt herausstellen, so werde ich ihn aufhellen. Verlaßt Euch darauf!«

»Ah, soll das eine Drohung sein?« fragte Olsunna.

»Ja,« antwortete Sternau freimüthig.

Da streckte der Herzog den Arm aus und deutete nach der Thür.

»Hinaus!« gebot er mit erhobener Stimme.

»Pah!« lächelte der Erzieher, indem er einen Schritt noch näher trat. »Wir kennen uns doch, und Sie wissen ganz genau, ob ich der Mann dazu bin, sich einer Unartigkeit zu unterordnen. Der Mann, welcher einen Unverschämten auf der Straße niederschlug und einen zudringlichen Wüstling zur Treppe hinabwarf, geht nur dann, wenn es ihm beliebt. Und da es mir gerade jetzt beliebt, so gehe ich, verspreche jedoch, daß ich wiederkommen werde.«

Er machte eine ironische Verbeugung und verließ das Zimmer.

»Ihm nach, Cortejo!« gebot der Herzog. »Lasse ihn aus dem Thore werfen!«

»Verzeihung!« antwortete der Haushofmeister. »Wollen wir nicht lieber einen solchen Eklat vermeiden? Er geht ja selbst! Und wenn wir ihn von der Dienerschaft fassen lassen, so ist er unverschämt genug, sich zur Wehr zu setzen.«

»Das ist richtig!« rief Olsunna zornig. »Und Körperkräfte besitzt dieser Zwerg für Zehn. Diese Deutschen sind wahre Bären!«

»Aber nachsehen will ich doch,« meinte Cortejo, »ob er sich nicht doch vielleicht den Zutritt zu der Gouvernante erzwingt.«

Diese Vorsichtsmaßregel erwies sich als unnöthig. Sternau verließ das Palais und kehrte nach seiner Wohnung zurück; aber er hatte Verdacht geschöpft und nahm sich vor, Nachforschungen anzustellen. Die Konstitution der Gouvernante war doch ganz und gar nicht zu Blutstürzen geneigt, und wenn sie wirklich unter einem solchen


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Leiden darnieder lag, so mußte der Anfall Gründe gehabt haben, an welche ohne Verdacht gar nicht zu denken war.

Daher kam es, daß Sternau bereits am Abende desselben Tages dem Palais gegenüber stand, um dasselbe zu beobachten. Er hatte einen günstigen Augenblick getroffen, denn er sah den Haushofmeister aus dem Portale treten. Da jetzt selbst der geringste Umstand von Bedeutung sein konnte, so folgte er ihm von Weitem. Cortejo stand im Begriff, Clarissa, seine Geliebte zu besuchen. Sternau sah ihn in das betreffende Haus treten. In dem Hause gegenüber wohnte ein Gehilfe des Buchhändlers, bei welchem er seine sämmtlichen Bücher kaufte; er kannte diesen Gehilfen nicht blos, sondern er war sogar einigermaßen mit ihm befreundet. Er sah an einem offenen Fenster des Hauses, in welches Cortejo eingetreten war, ein Mädchen stehen, welches sich umdrehte, wie um einen Eintretenden zu empfangen; dann kam sie mit Cortejo an das Fenster zurück.

»Ah,« dachte Sternau, »vielleicht eine Liebschaft. Ich werde mich erkundigen.«

Er suchte den Buchhändler auf und fand ihn daheim, aber ohne Licht in der Wohnung zu haben.

»Wer ist es?« fragte derselbe, als Sternau eintrat.

»Verzeiht, Sennor, wenn ich störe!« bat der Letztere. »Ich komme nämlich, um Ihnen -«

»Sie sind es, Sennor Sternau?« unterbrach ihn der Andere. Ich erkenne Sie an der Stimme.«

»Ja, ich bin es. Ich stehe im Begriffe, eine Erkundigung bei Ihnen einzuziehen.«

»Ich bin sofort zu Diensten. Lassen Sie mich nur erst Licht anbrennen.«

»O nein. Ich möchte Sie gerade bitten, das Zimmer dunkel zu lassen.«

»Warum?« fragte der Buchhändler verwundert.

»Weil ich einen unbemerkten Blick da über die Straße hinüber werfen möchte.«

»Ah, dort hin?«

»Ja.«

»Sonderbar! Auch ich brenne gerade wegen jener Beiden kein Licht an.«

»Sie kennen sie?«

»Nur unvollkommen.«

»Ich kam nämlich, um mich bei Ihnen zu erkundigen, ob Sie im Stande seien, mir über jene Dame Auskunft zu ertheilen.«

»Ha! Wenn Sie gewisse Absichten hegen, so kommen Sie zu spät!«

»Ich hege derartige Absichten glücklicher Weise nicht. Es liegt mir nur daran, zu wissen, wer die Dame ist, und in welchem Verhältnisse sie zu dem Herrn steht, der sich bei ihr befindet.«

»Nun, was ich weiß, das sollen Sie erfahren. Jener Herr heißt Gasparino Cortejo und ist Haushofmeister des Herzogs von Olsunna. Von der Dame weiß ich nur, daß sie von ihrem Wirthe Sennora Clarissa genannt wird. Sie ist die Geliebte Cortejo's. Er kommt jeden zweiten Tag um dieselbe Stunde wie heute zu ihr, und ich mache mir das Vergnügen, ihre Intimitäten zu belauschen. Das ist sehr leicht, da unsere Wohnungen gerade gegenüber liegen und das unvorsichtige


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Pärchen stets vergißt, die Gardinen zu schließen. Wollen Sie mit mir Zeuge ihres Glückes werden?«

»Wenn Sie gestatten, ja.«

»So nehmen Sie hier Platz am Fenster.«

Die Beiden sahen nun den Zärtlichkeiten Cortejo's eine Weile zu, und dann entfernte sich Sternau. Er konnte nicht absehen, ob seine jetzige Erfahrung ihm etwas nützen werde.

Er setzte seine Beobachtungen fort, so oft er die nöthige freie Zeit dazu hatte. Er erfuhr, daß die Gouvernante das Palais niemals verließ, und daß sie wirklich krank sei, so daß die kleine Prinzeß Flora anderweiten Unterricht erhalten mußte. Aus dritter Hand hörte er ferner, daß die Zimmer der Kranken nach dem Garten gingen, und darum beschloß er, diesen einmal aufzusuchen.

Dies that er natürlich des Abends. Er fand die Thür, durch welche Zarba früher immer Zutritt genommen hatte, sie war jedoch verschlossen. Er war ein gewandter Turner, und obgleich die Mauer über Manneshöhe besaß, gelang es ihm leicht, dieselbe zu ersteigen und drüben dann hinab in den Garten zu springen. Er durchsuchte erst diesen mit aller Vorsicht, um sich zu vergewissern, daß er nicht selbst beobachtet werde, und dann nahm er die hintere Fronte in Augenschein.

Spätauflage

In der Nähe einiger erleuchteter Fenster stand ein Obstbaum. Er erkletterte ihn und konnte von demselben aus in zwei Zimmer blicken. Das eine war leer, in dem anderen aber saß Cortejo in einem sehr zärtlichen tête-à-tête mit einer jungen Zigeunerin. Diese Letztere hatte Sternau öfters aus dem Palais kommen sehen und von einer Aufwärterin erfahren, daß sie Zarba heiße und die kranke Gouvernante zu pflegen habe.

Aus der Situation, in welcher sich die Beiden in dem Zimmer befanden, mußte Sternau schließen, daß eine wirkliche Liebschaft hier vorliege; Cortejo hatte also zwei Mädchen, von denen er sicher wenigstens die Eine betrog, und das war jedenfalls die Zigeunerin. Sternau beschloß, sich dies zu Nutze zu machen. Er stieg vom Baume herab, voltigirte auf die Mauer und dann wieder in das Gäßchen zurück und ging nach Hause.

Seine Beobachtungen fortsetzend, begegnete er bald darauf der Zigeunerin auf der Straße. Sie wollte an ihm vorüber, er aber hielt sie an.

»Du bist im Palais des Herzog von Olsunna?« fragte er sie freundlich.

»Ja,« antwortete sie.

»Und bedienst Sennora Wilhelmi?«

»Ja.«

»Sie ist krank?«

»Noch immer.«

»An welcher Krankheit leidet sie?«

Die Zigeunerin blickte ihn forschend an und fragte:

»Wer seid Ihr, Sennor, daß Ihr so nach der Sennora fragt?«

»Ich bin ein Freund von ihr und auch von Dir.«

»Von mir?« fragte sie verwundert. »Ich kenne Euch nicht!«

»Aber ich kenne Dich. Du bist die Geliebte von Gasparino Cortejo.«

Trotz ihrer braunen Gesichtsfarbe sah Sternau, daß ihr das Blut mit Gewalt


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in die Wangen schoß. Sie kämpfte einige Augenblicke mit ihrer Verlegenheit, und dann sagte sie:

»Wie könnt Ihr dieses sagen! Ihr kennt mich nicht; Ihr verwechselt mich.«

»Nein, ich verwechsele Dich nicht,« antwortete er. »Ich bin Dein Freund und meine es gut mit Dir. Darum wollte ich Dich vor Cortejo warnen.«

»Warnen?« fragte sie, aufmerksam werdend. »Weshalb?«

»Er betrügt Dich; er hat eine andere Geliebte.«

Da blitzten ihre Augen zornig auf, und ihr kleines Händchen drohend erhebend, sagte sie:

»Sennor, belügt mich nicht! Wen Zarba liebt, der darf keine Andere haben.«

»Und doch hat er eine Andere!«

»Beweist es!«

»Ich werde es Dir beweisen, wenn Du es verlangst.«

»Ich verlange es!«

»Nun gut! Er wird heute am Abend wieder zu ihr gehen. Kannst Du aufpassen, wann er das Palais verläßt?«

»Ja; ich werde es merken.«

»Wenn er fort ist, kommst Du an diesen Ort, wo wir uns jetzt getroffen haben. Ich werde Dich so führen, daß Du ihn belauschen kannst.«

»Sennor, wollt Ihr dies wirklich thun?«

»Ja, herzlich gern!« Sie blickte ihn forschend an und fragte: »Aber wie kommt es, daß Ihr mein Freund seid?«

»Weil Du Sennora Wilhelmi pflegst, deren Freund ich bin.«

»Wie ist Euer Name?«

»Sternau.«

»Ah, den kenne ich!«

»Woher?«

»Sennora Wilhelmi bat mich einmal, mich zu erkundigen, ob Ihr noch beim Bankier Salmonno wohnt.«

»Und Du hast Dich erkundigt?«

»Ja. Ich habe ihr gesagt, daß Ihr noch dort seid.«

»Nun wirst Du mir wohl vertrauen?«

»Ja, ich vertraue Euch, Sennor.«

»Und kommst heute Abend?«

»Ich komme!«

Sie trennten sich. Die Zingarita hatte schon längst bemerkt, daß die Liebe des Haushofmeisters nicht mehr die alte sei, daß es aber so stehe, das hatte sie nicht gedacht. Sobald der Abend angebrochen war, gab sie sorgfältig Acht, und als sie Cortejo das Palais verlassen sah, ging sie auch. Sie traf den Erzieher an dem angegebenen Orte und wurde von ihm zu dem Buchhändler geführt, der sie bereits erwartete, da Sternau ihn auf den Besuch vorbereitet hatte.

»Er ist bereits drüben. Seht hinüber!« sagte er.

Zarba stellte sich an das Fenster und blickte lautlos hinüber. So stand sie


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wohl über eine halbe Stunde, und auch die beiden Männer sagten nichts. Was mußte in ihr vorgehen!

Endlich drehte sie sich um.

»Kommt, Sennor!« bat sie Sternau.

Er ging mit ihr. Unten auf der Straße fragte er sie im Gehen: »Bist Du nun überzeugt?«

»Ja.«

Dieses Ja klang scharf und schneidig wie eine Dolchspitze; dann blieb sie plötzlich stehen und fragte:

»Sennor, habt Ihr einmal geliebt?«

»Ja,« antwortete er aufrichtig.

»Glücklich?«

»Nein.«

»O, sie wurde Euch untreu?«

»Nein, sie liebte mich überhaupt nicht.«

»O, das ist traurig! Aber noch viel, viel trauriger ist es, betrogen zu werden. Ist Diejenige, die Ihr liebtet, in Eurem Vaterlande?«

»Sie ist hier in Saragossa.«

»Sennor, errathe ich recht? Es ist Sennora Wilhelmi?«

»Ja.«

Da faßte sie seine Hand und preßte sie fest zwischen den ihrigen Beiden.

»Rettet sie!« bat sie.

»Retten?« frug er besorgt. »Was ist mit ihr?«

»Ihr Herz ist krank, ihre Seele ist krank, Sennor; das ist schlimmer als der Messerstich, der ja auch bereits zugeheilt ist.«

»Ein Messerstich! Herrgott! Was ist geschehen?«

»Still, sorgt Euch nicht, denn diese Gefahr ist längst vorüber! Ihr seid aufrichtig mit mir gewesen, und so will ich auch mit Euch aufrichtig sein. Habt Ihr Zeit?«

»Ja; so viel Du willst!«

»So folgt mir!«

Sie führte ihn zu dem Gartenpförtchen des Palais, zog den Schlüssel hervor und öffnete.

»Wartet hier! Ich will erst sehen, ob ich Euch unbemerkt hineinbringen kann, Sennor.«

»Zu wem willst Du mich führen?«

»Das sollt Ihr selbst entscheiden. Zunächst geht Ihr mit nach meinem Stübchen.«

Sie huschte fort und kehrte bald darauf zurück. Sie brachte ihn durch die Thür und geleitete ihn zu einer schmalen Seitentreppe, welche sie mit ihm erstieg, um dann ein kleines, einfach möblirtes Zimmerchen zu öffnen, in welches sie eintraten.

»So! Man hat uns nicht bemerkt,« sagte sie. »Hier wohne ich. Setzt Euch nieder!«

Sie brannte ein Licht an und nahm ihm gegenüber Platz. Er hatte sie bisher


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nur immer flüchtig betrachtet; nun aber that er es eingehend, und er mußte sich gestehen, daß er noch selten so ein schönes Mädchen gesehen habe. Sie bemerkte seinen bewundernden Blick und sagte herb:

»Nicht wahr, Sennor, ich bin ein schönes Mädchen?«

»Ja,« antwortete er, überrascht von dieser Frage.

Sie schüttelte den Kopf.

»O nein, o nein! Als ich es nicht wußte, da war ich schön, und jetzt, da ich es weiß, bin ich es nicht mehr. Ich bin der arme Schmetterling, der in den Wald fliegt, ohne zu wissen, daß er da den Glanz seiner Flügel einbüßt. Ja, Sennor, Ihr habt Bedauern mit mir; ich sehe es Euch an; bald aber werdet Ihr mich hassen und mir zürnen.«

»Warum? Du hast mir ja nichts Böses gethan!«

»Sehr, sehr viel Böses habe ich Euch gethan, und deshalb nahm ich Euch mit hierher, um Euch Alles zu gestehen und Alles zu sagen. Wollt Ihr mich anhören?«

»Rede!«

»Den Anfang wißt Ihr. Der Herzog sah Sennora Wilhelmi und lockte sie in sein Palais. Ihr hattet sie gewarnt, sie aber hörte nicht auf Euch, denn sie glaubte, daß sie Euch nicht liebe.«

»Woher weißt Du das?«

»Sie hat es mir selbst gesagt. Es wurden ihr hier viele Schlingen gelegt, aber sie widerstand. Es gab nur noch ein Mittel, einen Liebestrank, der die Sinne verwirrt und die - - -«

»Halt ein!« sagte Sternau. »Bist Du bei Verstande! Man wird ihr doch keinen solchen Trank gegeben haben!«

»Man hat ihn ihr gegeben!«

Sternau fuhr mit leichenblassem Gesichte von seinem Sitze empor.

»Und sie hat ihn getrunken?« fragte er.

»Sie trank.«

Da schlug er die Hände vor das Gesicht und fiel auf den Stuhl zurück.

»O mein Gott! Und dann - dann kam der Herzog?«

»Ja. Er hatte sich einen Nachschlüssel machen lassen.«

Es flimmerte dem Erzieher vor den Augen, und es kostete ihm alle Anstrengung, seine äußere Ruhe wieder zu gewinnen.

»Von wem war der Trank?« fragte er dann.

»Von mir,« antwortete sie.

»Von Dir?« wiederholte der Deutsche - »ah, ja, Du bist ja eine Zigeunerin, eine Giftmischerin!«

»Ich wußte nicht, für wen er war; ich hatte Sennora Wilhelmi noch gar nicht gekannt.«

»Das ist keine Entschuldigung!« erklang es rauh aus seinem Munde. »Wer hat den Trank bestellt?«

»Der Herzog bei Cortejo und dieser bei mir. Ihr wißt es, daß Cortejo mein Geliebter war; ich konnte es ihm nicht abschlagen. O, er hat mir zugeschworen, daß ich sein Weib sein solle!«

»Und Du hast ihm geglaubt?«


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»Ja. Die Liebe glaubt so gern. Und ich bin sein Weib bereits gewesen, denn ich trage sein Kind unter dem Herzen, wie Sennora Wilhelmi dasjenige des Herzogs unter dem ihrigen trägt.«

Bei diesen Worten war es dem Erzieher, als ob er durch einen elektrischen Schlag zu Boden gestreckt worden sei. Er taumelte auf seinem Sitze und streckte die Arme aus, wie um einen Halt zu suchen.

»Sein Kind! Sein Kind!« erklang es aus seinem Munde, aber nicht leidenschaftlich, zornig, sondern wie von den Lippen eines Irren. »Redest Du die Wahrheit?«

»Ja,« antwortete sie.

Sie wollte weiter sprechen; er aber winkte ihr, zu schweigen.

Er saß lautlos vor ihr. Sein Auge glühte, seine Schläfen klopften, sein Kopf brannte. Er kämpfte einen Kampf, einen schweren, harten Kampf, und es dauerte lange, ehe er als Sieger aus demselben hervorging.

»Sie ist unschuldig?« fragte er dann.

»Ja, vollständig unschuldig.«

»Ist dies wirklich wahr?«

»Ich schwöre es Euch.«

»Könntest Du es doch beweisen!«

»Ich kann es.«

»So thue es!«

»Als die Wirkung meines Trankes vorüber war, hat sie sich ein Messer in das Herz gestoßen.«

»Ah, das war der Blutsturz, von dem man mir erzählte?«

»Ja.«

»Und dann?«

»Dann lag sie lange Wochen krank. Die Wunde war nicht tödtlich, wurde aber von dem Leiden ihrer Seele verschlimmert. Sie will auch heute noch sterben, denn sie kennt ihren Zustand und - sie liebt Euch!«

Er fuhr empor.

»Mich? Mich liebt sie?«

»Ja, mit allen Kräften ihres Herzens.«

»Das ist nicht wahr!«

»Es ist wahr. Sie hat sich selbst nicht gekannt und verstanden; sie hat erst während ihres Krankenlagers eingesehen, daß Ihr der Einzige seid, dem ihr Fühlen und Denken gehört.«

»O mein Gott! Warum erkannte sie dies nicht früher!«

»Ja, es ist nun - zu spät!« klagte die Zigeunerin.

»Zu spät? O nein, nicht zu spät! Du kennst die wahre Liebe nicht. Sage mir, ob sie es weiß, daß Du heute mit mir gesprochen hast!«

»Nein; ich habe ihr noch nichts gesagt.«

»So weiß sie auch nicht, daß ich mich jetzt im Palais befinde?«

»Sie weiß es nicht.«

»Darf ich zu ihr gehen?«

»Wollt Ihr denn?«


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»Ja, gern!«

»Sie wird diese Ueberraschung wohl aushalten, wenn Ihr nicht böse mit ihr redet, Sennor.«

»Ich werde kein hartes Wort über meine Lippen gehen lassen.«

»So kommt. Ich werde Euch führen.«

Sie erhob sich und geleitete ihn über einen Korridor, auf welchem ihnen kein Mensch begegnete, nach einer Thür, auf welche sie mit dem Finger deutete.

»Hier ist es,« sagte sie. »Tretet ein.«

Er öffnete und zog die Thür dann wieder hinter sich zu. Das Zimmer war leer, aber aus dem nebenan liegenden hörte er eine halblaute, leidende Stimme fragen:

»Bist Du es, Zarba?«

Er antwortete nicht, aber er trat näher. Er hätte nicht ein Wort über seine Lippen bringen können, so bewegt war er. Sie saß am Fenster, noch immer so schön, ja noch schöner als früher, aber ihre Schönheit war eine andere, eine leidende, eine rührende geworden. Ihr Auge zeigte noch die Spur von Thränen, die sie soeben in der Stille vergossen hatte. Sie sah so müd, so theilnahmslos aus; sie blickte nicht einmal nach dem Eingange, obgleich sie das Geräusch des Nähertretenden gehört haben mußte.

»Fräulein Wilhelmi!«

Endlich brachte er diesen leisen Ruf über seine Lippen. Sie fuhr zusammen und wandte ihm das Gesicht zu. Sie erblickte ihn. Ein tiefer Schreck durchzuckte ihr Gesicht und ihre ganze Gestalt.

»O mein Gott!« schluchzte sie. »Sie sind es, Herr Sternau?«

Sie schlug die Hände vor das Gesicht und wendete sich ab. Er sah die Thränen zwischen ihren schlanken Fingern hervorquellen und faßte sich. Er trat näher und zog die Hände von ihrem Gesichte fort.

»Verzeihen Sie mir,« bat er mit leiser, zitternder Stimme, »daß ich Sie überrasche. Ich wollte Sie schon längst besuchen, aber man ließ mich nicht zu Ihnen.«

»Gehen Sie, gehen Sie wieder,« bat sie.

»Sie weisen mich fort?« fragte er. »Hassen Sie mich denn so sehr?«

»Hassen?« fragte sie. »O nein. Sie sind so gut, so stolz, so stark und rein. Ich bin es nicht werth, daß Sie sich in meiner Nähe befinden.«

Da zog ihn seine tiefe Bewegung vor ihr auf das Knie nieder. Er legte seine Stirn in ihre Hände und weinte lange, lange Zeit. Als er dann das Gesicht wieder zu ihr erhob, war es von dieser Thränenfluth benetzt, aber aus seinem Auge glänzte ein Strahl unendlicher Liebe.

»Zürnen Sie mir, daß ich Sie aufsuche?« fragte er.

»Nein, o nein. Aber es wird das letzte Mal sein, daß Sie bei mir sind.«

»Warum?«

»Weil ich Ihnen sagen muß, daß Sie Recht gehabt haben in Allem, was Sie mir sagten und wovor Sie mich warnten.«

»Ja, ich hatte Recht in Allem, aber auch darin, daß die Liebe nimmer aufhören kann.«

»Sie wird aufhören!«


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»Nie! Ich fühle es in dieser Stunde.«

Er erhob sich wieder von dem Boden und legte den Arm um sie. Er zog sie an sich und legte seinen Mund auf ihre Lippen. Sie ließ es geschehen, ja, er fühlte sogar, daß sie den Druck seiner Lippen erwiederte. Sie wollte ihm zeigen, daß ihr Herz sich ihm nun zugewendet habe; dann aber wand sie sich aus seinen Armen los und sagte:

»Das war unser Abschied, unser Abschied für immer. Leben Sie wohl!«

Er zog sie wieder an sich und drückte sie innig an sich.

»Nein, das war nicht ein Abschied,« sagte er; »sondern das war der Anfang unsres Glückes.«

»Unmöglich!« rief sie abwehrend.

»Warum unmöglich?« fragte er. »Hassen Sie mich noch?«

»Hassen? O nein, nein!«

»Aber Sie lieben mich auch nicht? O bitte, bitte, sagen Sie mir es doch!«

Da leuchtete es in ihrem Angesichte, und sie antwortete:

»Ich liebe Sie, ja, ich liebe Sie! Ich liebte Sie bereits seit ich Sie zum ersten Male sah; ich habe das zu spät erkannt, o Gott, zu spät, zu spät!«

»Nein, nicht zu spät,« sagte er. »Um glücklich zu sein, ist es immer noch Zeit genug.«

»Bei mir nicht,« flüsterte sie, »denn ich bin des Glückes unwürdig geworden.«

»Sie täuschen sich,« versicherte er, sie immer inniger an sich ziehend; »Sie täuschen sich!«

»Ich täusche mich nicht,« antwortete sie. »Aber Sie, Sie wissen nicht Alles.«

»O doch, ich weiß Alles,« sagte er.

»Alles?« frug sie, von unendlicher Scham erglühend.

»Ja.«

»Wer hat es Ihnen gesagt?«

»Zarba.«

»Mein Gott!«

Sie wendete sich unter einer neuen Thränenfluth von ihm ab; er aber zog sie an sich und küßte ihr die Thränen von den Wimpern.

»Darf ich sprechen?« fragte er.

»Sprechen Sie,« antwortete sie. »Es wird mein Todesurtheil sein.«

»Nein. Ich würde Sie begnadigen, selbst wenn Sie schuldig wären, aber Sie sind unschuldig. Der einzige Vorwurf, der Sie treffen könnte, ist der, daß Sie mir nicht vertrauten. Nun es aber einmal geschehen ist, so soll das meiner Liebe keinen Eintrag thun. Sagen Sie mir, wollen Sie mein Weib, mein liebes Weibchen werden und mich in die Heimath begleiten?«

»O, wie gern, wie so gern, wenn es ginge! Aber es ist unmöglich; es ist unmöglich, denn Sie - wissen ganz gewiß noch nicht Alles!«

»Ich weiß Alles. Um Ihnen das zu beweisen, gebe ich Ihnen hier als vor den Augen Gottes die heilige Versicherung, daß ich dieses arme, arme Kind als das meinige betrachten werde.«

Sie antwortete nicht. Ein tiefer Seufzer erklang durch die Stille, dann lag sie besinnungslos in seinen Armen. Die auf sie mit aller Gewalt eindrängende


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Scham hatte sie zur Ohnmacht geführt. Er that nichts, diesen Zustand zu heben; er hielt sie fest an sein Herz gedrückt und küßte sie immer und immer auf den Mund. Sie schlug die Augen auf, und nun, ja nun schlang sie freiwillig die Arme um ihn.

»Ist es denn wahr, ist es denn möglich?« fragte sie mit bebender Stimme.

»Ja. Ich liebe Dich noch wie vorher.«

»Und verstößest mich nicht?«

»Nein.«

»Und wirst mir niemals entgelten lassen, wofür ich doch nichts kann?«

»Niemals.«

»Und mein - mein - mein Kind nicht hassen um seines Vaters willen?«

»Nein. Ich werde sein Vater sein; ich werde stets so sein, als ob Du dieses unglückliche Haus niemals betreten hättest. Willst Du unter diesen Bedingungen die Meine werden?«

»Ja.«

Dieses Ja erklang im lauten Jubel. Sie warf sich stürmisch an seine Brust, und wenn ja noch ein stachelnder Gedanke bisher in seinem Herzen fest gesessen hatte, so mußte er weichen vor der Fülle des Glückes, welches ihm hier aus den Augen und dem Angesichte der Geliebten entgegen leuchtete.

»Wirst Du auch sofort dieses Haus mit mir verlassen?« fragte er.

»Sofort!«

»Und mir erlauben, die Angelegenheit mit dem Herzog in Ordnung zu bringen?«

Während dieser stürmischen Unterredung fand eine zweite statt, welche allerdings nicht so glücklich endete. Zarba hatte, als sie von Sternau verlassen worden war, die Heimkehr des Haushofmeisters bemerkt und sich sofort zu ihm begeben. Er war seit der letzten Zeit gewöhnt, daß sie ihn erst dann aufsuchte, wenn die kranke Gouvernante eingeschlafen war; daher sagte er:

»So früh heute? Schläft die Wilhelmi bereits?«

»Nein, aber sie bedarf meiner nicht.«

»So komm.«

Er führte sie mit sehr gleichgiltiger Miene nach dem Schlafzimmer und sagte:

»Hier, ruhe Dich aus; ich habe unterdessen noch zu arbeiten.« Sie hielt ihn zurück:

»Warte noch; ich habe mit Dir zu sprechen!«

»Was?«

»Das wirst Du sogleich hören. Komm', setze Dich!«

Sie zog ihn neben sich auf das Sopha nieder und legte den Arm mit verstellter Zärtlichkeit um ihn. Sie sah wohl, wie er leise von ihr fortzurücken suchte, aber sie that, als ob sie es gar nicht bemerke.

»Es betrifft nämlich die Gouvernante,« sagte sie.

»Was geht die uns jetzt an!« meinte er.

»Sehr viel!«

»Inwiefern?«

»Weil sie jetzt wieder genügend hergestellt ist; sie bedarf also auch keiner Pflegerin mehr.«


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»Hm, das ist allerdings wahr,« meinte er mit gespannter Miene.

»Sie wird nun den Unterricht wieder beginnen?« fragte sie.

»Ich weiß es nicht. Ich muß erst hören, was der Herzog beschlossen hat.«

»Und ich?«

»Es ist, wie Du bereits sagtest: Du bist dann entbehrlich geworden.«

»So werde ich wohl entlassen?«

»Wahrscheinlich.«

»Ist dies nicht zu umgehen? Du weißt ja, wie vortheilhaft es ist, daß ich hier im Palais wohne.«

»Es wird sich wohl schwerlich ein Grund für Dein ferneres Verbleiben finden lassen.«

»So meinst Du, daß wir es dann wieder thun wie früher?«

»Wie?«

»Daß ich durch das Fenster steige?«

»Wir werden das erst sehen. Dieses Steigen durch die Fenster ist für uns Beide gefährlich.«

»Es war früher noch gefährlicher!«

»Pah! Man ist ja zuweilen ein Wenig unvorsichtig! Wenn Du das Palais verlassen hast, werde ich Dich besuchen.«

»Wo?«

»Bei den Deinen.«

»Du denkst, daß ich zu ihnen zurückkehren soll?«

»Natürlich!«

»Und mit ihnen gehen, wenn sie weiter ziehen?«

»Ganz wie es Dir beliebt.«

»Es wird mir nicht belieben.«

»Warum?«

»Ich bin Deine Frau.«

»Ah!« sagte er bei dem entschiedenen Tone, in welchem sie das sagte.

»Ja, ich bin Deine Frau!« wiederholte sie.

»Du scherzest, Kleine!«

»Hast Du mir nicht gesagt, daß ich Dein Weib werden solle?«

»Allerdings.«

»Nun, wann wird dies geschehen?«

»Wenn die Verhältnisse günstig sind. Vielleicht in einem Jahre; das habe ich Dir ja bereits öfters gesagt!«

»Du irrst, wenn Du nur nach Deinen Ansichten gehst. Nach Eurer christlichen Anschauung bin ich allerdings nicht Dein Weib, denn wir sind nicht getraut worden; nach den Gebräuchen der Gitanos aber bin ich Dein Weib, denn Du wirst der Vater meines - Kindes sein.«

Er fuhr zurück.

»Alle Teufel, steht es so!« rief er.

»Ja, es steht so,« sagte sie ruhig. »Du siehst also, daß ich Dich gar nicht verlassen kann!«

»Nicht? Hm!«


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Er lachte kurz und höhnisch auf. Er war der Zigeunerin nun überdrüssig geworden und sah jetzt ein gute Gelegenheit, sie los zu werden. Darum frug er irr Tone der Ironie:

»Du scherzest wohl?«

»Womit?«

»Mit dem Kinde.«

»Es ist Ernst!«

»Pah, was verstehst Du davon! Oder doch! Ihr Zigeuner seid ja erfahren in solchen Sachen. Ihr braut Liebestränke. Giebt es nicht auch einen Trank, der Dich befreit?«

»Es giebt einen,« sagte sie kalt, »aber ich brauche ihn nicht. Dein Kind soll leben.«

»Mein - mein Kind? Denkst Du wirklich, daß ich dies glaube? Wie viele Väter wird es haben?«

In ihrem Angesichte regte sich keine Miene, aber ihr Auge richtete sich stechend auf ihn.

»Was fällt Dir ein!« sagte sie. »Willst Du mich und das Kind verleugnen?«

»Ich habe kein Kind und habe auch keines zu erwarten.«

»Ist dies Dein wirklicher Entschluß?«

»Ja.«

»Diesen Entschluß hat Dir wohl Deine Clarissa eingegeben?«

Er stutzte, faßte sich aber sofort und antwortete:

»Was weißt Du von ihr!«

»Alles!«

»Oho! Ich will Dir allerdings sagen, daß dieses Mädchen meine Geliebte ist. Trage Dein Kind, wohin Du willst.«

Sie lächelte, aber in diesem Lächeln lag das Zähnefletschen einer Tigerin.

»Du kennst mich nicht,« sagte sie.

»Nicht? O, ich habe mich niemals in Dir geirrt!«

»Nun, wofür hältst Du mich?«

»Für ein allerliebstes Spielzeug. Ich werde Dich entlassen und bezahlen.«

»Eine Zingarita, ein Spielzeug, welches man wegwirft und bezahlt!«

Es lag in ihrer Bewegung bei diesen Worten Etwas, als ob sie sich wie eine Boa constrictor auf ihn werfen wolle, um ihn zu umschlingen und zu zermalmen, dennoch aber blieb ihr Gesicht ruhig, und die Miene desselben war fast freundlich zu nennen. Gerade in dieser Selbstbeherrschung lag der Grund, dieses Mädchen für gefährlich, ja für fürchterlich zu halten. Er aber übersah das und sagte:

»Eine Zingarita? Pah! Damit lockst Du keinen Hund vom Ofen. Du bist eine Zigeunerin, und Zigeunerinnen sind Huren und Bettelkinder. Gehe!«

»Du dauerst mich! Die Zingarita ist die zukünftige Königin des Stammes; ihr ist eine Macht gegeben, von welcher Du gar keine Ahnung hast. Wir stammen aus dem fernen Indien, aus welchem wir auszogen, um rund um die Erde zu wandern. Unser Volk scheint untergegangen zu sein, aber es wird einst in alter Herrlichkeit wieder neu erstehen. Eine Zingarita kannst Du nicht bezahlen; sie


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verachtet Dein Geld, denn ihr stehen Schätze zu Gebote, wie Du sie nie gesehen hast und niemals sehen wirst - -«

»Desto besser! So erhalte ich den Preis, den ich freiwillig für das Spielzeug gezahlt hätte.«

»Und meine Rache fürchtest Du nicht?«

»Deine Rache?« fragte er geringschätzig. »Hältst Du mich für ein Kind?«

Jetzt traf ein einziger, blitzesschneller Blick ihres Auges das seinige, aber dieser Blick fuhr ihm in die tiefste Seele. Sofort jedoch spielte wieder ein Lächeln um ihre Lippen.

»Ja, Du bist ein Kind,« sagte sie, »ein unverständiges, unvorsichtiges Kind. Und mit einem Kinde kämpft die Zingarita nicht. Ich werde warten, bis Du ein Mann geworden bist, und dann werden wir ja sehen, wer stärker und mächtiger ist, Du oder ich.«

»Schön,« lachte er; »das wird interessant! Wie lange bleibst Du noch hier im Palast?«

»Ich werde ihn bereits morgen früh verlassen.«

»So können wir wohl jetzt schon Abschied nehmen?«

»Ja, wenn wir uns nicht zufälliger Weise wiedersehen.«

»So lebe wohl!«

Sie streckte ihm freundlich die Hand entgegen und antwortete:

»Lebe wohl, Geliebter! Freue Dich auf den Augenblick, an welchem Du Deinen Sohn zu sehen bekommst!«

»Ah, Du weißt bereits, daß es ein Sohn sein wird?« lachte er.

»Ich hoffe es, und ebenso hoffe ich, daß das Kind des Herzogs ein Sohn ist.«

»Des Herzogs?« fragte er.

»Ja. Die Gouvernante befindet sich in ganz denselben Verhältnissen wie ich.«

»Wahrhaftig, das ist interessant!« rief er.

»O, es wird später noch interessanter; ich verspreche es Dir! Lebe wohl!«

»Lebe wohl!«

Sie ging. Er war eine Sorge los, denn ihre Rache zu fürchten, das fiel ihm gar nicht ein. Er hielt sie für ein Kind, welches ihm nicht im Mindesten gefährlich sein konnte, und ihre Reden von der Macht und den Reichthümern, welche sie besaß, waren leere Phantastereien, die keinen Inhalt hatten. Er wendete sich daher sehr befriedigt seiner Arbeit zu, und indem seine Feder über das Papier glitt, ahnte er nicht, daß er heute in die Seele der Zingarita die Rache in einer Schrift geschrieben habe, welche nie vergehen werde.

Er lag am Morgen noch im tiefsten Schlafe, als er von einem Diener geweckt und zum Herzog gerufen wurde. Er erhob sich sofort und folgte dem Rufe. Als er eintrat, erschrak er. Der Herzog hauchte bleich und haltlos in einem Fauteuil, neben ihm saß Zarba in der Stellung einer Prinzessin und vor Beiden stand Sternau. Es mußte eine sehr aufregende Scene stattgefunden haben, ein Kampf, in welchem der Herzog besiegt worden war; das sah man diesen drei Personen an.

»Wir sehen uns trotz unseres gestrigen Abschiedes doch noch einmal, Sennor Cortejo,« sagte die Zingarita. »Wollt Ihr so gut sein und das Papier unterschreiben, welches hier auf dem Tische liegt?«


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»Was ist es?« fragte er.

»Durchlaucht wird es Euch sagen.«

Er sah den Herzog fragend an, und dieser erklärte:

»Es ist das Geständniß, daß das Kind, welches Sennora Wilhelmi zu erwarten hat, das meinige ist. Du sollst als Zeuge diese meine Erklärung unterschreiben.«

»Aber wodurch hat man - -«

»Still!« unterbrach ihn der Herzog. »Was hier gesprochen worden ist, geht Dich nichts an. Unterschreibe!«

Cortejo that es. Sternau steckte das Papier zu sich und ging. Zarba ging mit ihm. An der Thür drehte sie sich noch einmal um und sagte zu dem Haushofmeister:

»Das ist der erste Beweis, ob die Zingarita Macht besitzt oder nicht. Adieu, Sennores!«

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Die Gouvernante kehrte mit Sternau in ihre Heimath zurück. Ihr erstes Kind war ein Sohn, der nachherige Doctor Karl Sternau, welcher in Rodriganda eine so bedeutende Rolle spielte. Er hatte keine Ahnung davon, daß er der Sohn eines Herzogs sei und war von seinem Pflegevater in all' den ritterlichen Künsten und Fertigkeiten geübt worden, durch welche er ein solches Aufsehen erregte.

Zarba kehrte zu den Ihrigen zurück. Auch ihr Kind war ein Sohn; er erhielt den Namen Tombi und ist derselbe geheimnißvolle Gitano, der später in Rheinswalden bei dem Oberförster Rodenstein als Waldhüter auftrat. Auch er hatte keine Ahnung davon, wer sein Vater sei. - -

______________

Elftes Kapitel.

Die Höhle des Königsschatzes.

»Das Wasser rauscht, die Woge brüllt,
   Entfesselt ist das Element.
Es wird das Herz von Grau'n erfüllt,
   Für das es keine Worte kennt.
Jedoch des Wassers düsterer Grimm,
   Der Woge kalt gefräß'ge Wuth
Ist nicht so schrecklich, nicht so schlimm,
   Als wie der Rache wilde Fluth!

Das Feuer steigt, die Flamme braust,
   Die lodernd in die Wolken brennt,
So daß es selbst dem Kühnsten graust,
   Der sonst des Schreckes Macht nicht kennt,
Jedoch des Feuers heißer Grimm,
   Der Flamme schonungslose Wuth
Ist nicht so schrecklich, nicht so schlimm,
   Als wie der Rache wilde Gluth!« -

Der ununterbrochen und so wunderbar zusammenhängende Verlauf der Ereignisse veranlaßt den freundlichen Leser, über den atlantischen Ocean einen Blick hinüber zu werfen in jenes mittelamerikanische Land, weiches in Rodriganda so viele Male


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genannt wurde, weil da drüben die bedeutenden Besitzungen des Hauses Rodriganda de Sevilla lagen.

Es ist nicht nothwendig, langweilige geographische Bemerkungen über Mexiko zu machen; aber wie der Mensch überhaupt von dem Boden abhängig ist, auf welchem er lebt, so ist auch der Charakter des echten Mexikaners demjenigen seines Landes ganz conform. Der Boden des Landes ist zum großen Theile ein vulkanischer, und so glüht auch im Innern des Bewohners ein Feuer, welches oft mächtig und verzehrend emporflammt. An den Küstenstrichen herrschen tödtliche Fieber; so sind auch die politischen Verhältnisse des Landes krankhaft und höchst unzuverlässig; das ganze Leben und Treiben der Nation ist ein reich phantastisches und wechselvolles, und man kann in einer Woche dort mehr Abenteuer erleben, als bei unseren geordneten Verhältnissen in zehn Jahren.

Die Grenze des Landes nach Texas hin, welches zu den Vereinigten Staaten gehört, bildet der Rio Grande del Norte, auch Rio Bravo del Norte, in welchem sich der Conchos, Salados, Sabinas und San Juan ergießen. Zwischen diesem Flusse und den Cordilleren von Cohahuila lagen einige der zerstreuten Besitzungen, welche dem Grafen Ferdinando de Rodriganda gehörten. Dieser war, wie wir bereits gesehen haben, der Bruder des Grafen Emanuel; er lebte ausschließlich nur auf seinen mexikanischen Besitzungen und hatte sich den Sohn seines Bruders, den jungen Grafen Alfonzo hinüber kommen lassen, um seine Reichthümer auf ihn zu vererben.

Ungefähr zwei Jahre vor dem Beginne der unglücklichen Ereignisse in Rodriganda schwamm ein leichtes Kanoe langsam den Rio Grande hinab. Es war aus langen Baumrindenstücken gebaut, die mit Pech und Moos verbunden waren, und trug zwei Männer, welche verschiedenen Rassen angehörten. Der Eine führte das Steuer, und der Andere saß sorglos im Buge, indem er damit beschäftigt war, aus Papier, Pulver und Kugeln Patronen für seine schwere Doppelrifle zu drehen.

Derjenige von den Beiden, welcher das Steuer führte, hatte die scharfen, kühnen Züge und das durchdringende Auge eines Indianers, und auch ohne dies hätte man an seiner Kleidung sofort gesehen, daß er zur amerikanischen Rasse gehöre. Er trug nämlich ein wildledernes Jagdhemde, dessen Nähte phantastisch ausgefranst waren, ein Paar Leggins (Lederhosen), deren Seitennähte mit den Kopfhaaren der von ihm erlegten Feinde geschmückt waren, und Moccassins (Jagdschuhe), welche doppelte Sohlen zeigten. Um seinen nackten Hals hing eine Schnur von den Zähnen des grauen Bären, und sein Haupthaar war in einen hohen Schopf geflochten, aus welchem drei Adlerfedern hervorragten, ein sicheres Zeichen, daß er ein Häuptling sei. Neben ihm im Kanoe lag ein fein gegerbtes Büffelfell, welches ihm beim Gehen als Mantel diente. In seinem Gürtel stak ein glänzender Tomahawk (Schlachtbeil), ein zweischneidiges Scalpmesser und der Pulver- und Kugelbeutel. Auf dem Büffelfelle lag eine lange Doppelflinte, deren Kolben mit silbernen Nägeln verziert war und in dessen Schaft man viele eingeschnittene Kerben bemerkte, um die Zahl der Feinde zu bezeichnen, welche er bereits erlegt hatte. An der Bärenzahnschnur war das Calummet (Friedenspfeife) befestigt, und außerdem sah man aus einer Tasche seines Jagdhemdes die Kolben von zwei Revolvern hervor-


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blicken. Diese beiden bei den Indianern so seltenen Waffen waren ein sicheres Zeichen, daß er mit der Civilisation in eingehende Berührung gekommen sei.

Das Steuer in der Rechten, schien er seinem Begleiter zuzuschauen und sich um weiter gar nichts zu bekümmern, ein aufmerksamer Beobachter aber hätte bemerkt, daß er dennoch unter den tief gesenkten Wimpern hervor die Ufer des Flusses sehr scharf mit jenem eigenthümlichen, maskirten Blicke beobachtete, welcher dem Jäger eigen ist, der in jedem Augenblicke einen Angriff auf sein Leben erwarten kann.

Der Andere, welcher im Vordertheile saß, war ein Weißer. Er war lang und zwar schlank, aber doch ungemein kräftig gebaut und trug einen blonden Vollbart, der ihn außerordentlich gut kleidete. Auch er hatte Lederhosen an, die in den hoch heraufgezogenen Schäften schwerer Aufschlagestiefel steckten. Eine blaue Weste und ein ebensolches Jagdwams bedeckten seinen Oberkörper; der Hals war frei und nackt, und auf dem Kopfe saß einer jener breitkrämpigen Filzhüte, die man im fernen Westen stets zu sehen bekommt. Sie haben die Farbe und Form verloren.

Die beiden Männer mochten in dem gleichen Alter von vielleicht achtundzwanzig Jahren sein, und Beide trugen anstatt der Sporen scharfe Fersenstachel, ein sicherer Beweis, daß sie beritten gewesen waren, ehe sie sich das Kanoe bauten, um den Rio Grande hinab zu fahren.

Indem sie so von dem Wasser des Flusses abwärts getragen wurden, vernahmen sie plötzlich das Wiehern eines Pferdes. Die Wirkung dieses Lautes war eine blitzschnelle, denn noch war der Ton nicht ganz verklungen, so lagen die beiden Männer bereits auf dem Boden des Kanoe, so daß sie von außen nicht gesehen werden konnten.

»Tkli - ein Pferd!« flüsterte der Indianer in der Sprache der Apachen.

»Es steht weiter abwärts,« meinte der Weiße.

»Es hat uns gewittert. Wer mag der Reiter sein?«

»Ein Indianer nicht und ein guter, weißer Jäger auch nicht,« sagte der Weiße.

»Warum?«

»Ein erfahrener Mann läßt sein Pferd nicht so laut wiehern.«

»Was thun wir?«

»Rudern wir an das Ufer. Wir steigen aus und schleichen uns hin.«

»Und das Kanoe bleibt liegen?« fragte der Indianer. »Wenn es nun Feinde sind, welche uns an das Ufer locken und tödten wollen?«

»Pshaw, wir haben auch Waffen!«

»So mag wenigstens mein weißer Bruder den Kahn bewachen, während ich die Gegend untersuche.«

»Gut, ich bin einverstanden!«

Sie leiteten das Kanoe an das Ufer.

Sie leiteten das Kanoe an das Ufer, wo der Indianer ausstieg, während der Weiße mit den Waffen in der Hand sitzen blieb, um seine Rückkehr zu erwarten. Nach einigen Minuten bereits sah er ihn in aufrechter Stellung kommen; das war ein Zeichen, daß keine Gefahr vorhanden sei.

»Nun?« fragte der Weiße.

»Ein weißer Mann schläft dort hinter dem Busche.«

»Ah! Ein Jäger?«

»Er hat nur ein Messer.«


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»Ist weiter Niemand in der Nähe?«

»Ich habe Niemand gesehen.«

»So wollen wir hin!«

Er sprang aus dem Fahrzeuge und band dieses fest; dann ergriff er seine schwere Rifle, zog die beiden Revolver, welche auch er besaß, halb hervor, um kampfbereit zu sein, und folgte dem Indianer. Sie erreichten bald die Stelle, an welcher der Schläfer lag. Neben ihm stand ein Pferd angebunden, welches auf mexikanische Weise gesattelt war.

Der Mann trug jene nach unten weiter werdenden mexikanischen Hosen, ein weißes Hemde und eine blaue, nach Husarenart um die Schultern hängend getragene Jacke. Hemde und Hose wurde durch ein gelbes Tuch zusammengehalten, welches er wie einen Gürtel um die Hüften gewunden hatte. In diesem Gürtel stak außer einem Messer keine einzige Waffe. Der gelbe Sombrero (Hut) lag über seinem Gesichte, um dasselbe gegen die warmen Strahlen der Sonne zu schützen. Der Mann schlief so fest, daß er das Nahen der beiden Anderen gar nicht hörte.

»Holla, Bursche, wach auf!« rief der Weiße, ihn am Arme schüttelnd.

Der Schläfer erwachte, sprang empor und zog das Messer.

»Verdammt, was wollt Ihr?« rief er schlaftrunken.

»Zunächst nur wissen, wer Du bist.«

»Wer seid Ihr denn?«

»Hm, mir scheint, Du hast Angst da vor dem rothen Manne. Das ist nicht nöthig, alter Junge. Ich bin ein deutscher Trapper, Namens Helmers und stamme aus der Gegend von Mainz, und Dieser hier ist Shosh-in-liett, der Häuptling der Jicarillas-Apachen.«

»Shosh-in-liett?« fragte der Fremde. »O, dann habe ich keine Sorge, denn dieser große Krieger der Apachen ist ein Freund der Weißen.«

Shosh-in-liett heißt zu deutsch Bärenherz.

»Nun, und Du?« fragte der Weiße, der sich Helmers genannt hatte, also ganz denselben Namen führte wie der Steuermann in Rheinswalden bei Mainz.

»Ich bin Vaquero,« antwortete der Mann.

Ein Vaquero ist ein Rinderhirte.

»Wo?«

»Jenseits des Flusses.«

»Bei wem?«

»Beim Grafen de Rodriganda.«

»Und wie kommst Du herüber?«

»Alle Teufel, sagt mir lieber, wie ich hinüberkomme! Ich werde verfolgt.«

»Von wem?«

»Von den Comanchen.«

»Das scheint sich nicht zu reimen. Du wirst von den Comanchen verfolgt und legst Dich in aller Gemüthsruhe hier schlafen!«

»Der Teufel schlafe nicht, wenn man so müde ist!«

»Wo trafst Du auf die Comanchen?«


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»Grad im Norden von hier, nach dem Rio Pecos zu. Wir waren fünfzehn Männer und zwei Frauen, sie aber zählten über sechzig.«

»Donnerwetter! Habt Ihr gekämpft?«

»Ja.«

»Weiter, weiter!«

»Was weiter? Sie überfielen uns, ohne daß wir von ihrer Gegenwart etwas ahnten; darum machten sie die Mehrzahl von uns nieder und nahmen die Frauen gefangen. Ich weiß nicht, wie Viele noch außer mir entkommen sind.«

»Wo kamt Ihr her und wohin wolltet Ihr?«

Der Vaquero war nicht gesprächig; er ließ sich jedes Wort abkaufen; er antwortete:

»Wir waren nach Forte del Guadeloupe geritten, um die beiden Damen abzuholen, welche dort zu Besuch gewesen waren. Der Ueberfall geschah auf dem Heimwege.«

»Wer sind die Damen?«

»Sennora Arbellez und Karja, die Indianerin.«

»Wer ist Sennora Arbellez?«

»Die Tochter unsers Inspectors.«

Man erinnert sich, daß Petro Arbellez damals den kleinen Alfonzo von Rodriganda nach Mexiko geholt hatte.

»Und Karja?«

»Sie ist die Schwester von Tecalto, des Häuptlings der Miztecas.«

Da horchte Bärenherz auf.

»Die Schwester von Tecalto?« fragte er.

»Ja.«

»Er ist mein Freund. Wir haben die Friedenspfeife mit einander geraucht. Die Schwester seines Herzens sollte nicht gefangen bleiben. Gehen meine weißen Brüder mit, sie zu befreien?«

»Ihr habt doch keine Pferde!« sagte der Vaquero.

Der Indianer warf ihm einen geringschätzigen Blick zu und antwortete:

»Bärenherz hat ein Pferd, wenn er eins braucht. In einer Stunde wird er den Hunden der Comanchen eins genommen haben.«

»Verdammt, das wäre stark!«

»Nein, das versteht sich ganz von selbst,« sagte der Weiße.

»Wieso?«

»Wann seid Ihr gestern überfallen worden?«

»Am Abend.«

»Und wie lange hast Du hier geschlafen?«

»Wohl kaum eine Viertelstunde.«

»So werden die Comanchen bald hier sein.«

»Alle Teufel!«

»Sicher!«

»Warum?«

»Du bist ein Vaquero und kennst die Gebräuche der Wilden nicht. Was für eine Absicht denkst Du wohl, daß sie mit den Damen haben werden? Haben sie dieselben wohl wegen eines Lösegeldes gefangen genommen?«


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»Nein, sicherlich nicht. Sie werden sie mitnehmen, um sie zu ihren Weibern zu machen, denn Beide sind sehr schön.«

»Ja, ich habe gehört, daß die Mädchen der Miztecas wegen ihrer Schönheit berühmt sind. Wenn also die Comanchen die beiden Damen nicht wieder herausgeben wollen, so müssen sie dafür sorgen, daß man den Aufenthaltsort derselben nicht entdecken kann; sie müssen ihre Spur verbergen. In Folge dessen dürfen sie also auch Keinen von Euch entkommen lassen, und darum haben sie sich ganz gewiß aufgemacht, um Dich zu verfolgen, damit Du keine Kunde nach Hause tragen kannst.«

»Das leuchtet mir ein!« sagte der Vaquero.

»Die Comanchen waren natürlich zu Pferde?«

»Ja.«

»Sie werden Dich also auch zu Pferde verfolgen; sie werden auf Deiner Spur reiten und Pferde haben, wenn sie hier ankommen.«

»Verdammt, das ist sehr leicht zu denken, obgleich ich nicht daran gedacht habe!«

»Ja, ein sonderlicher Scharfsinn scheinst Du nicht zu sein! Dachtest Du Dir denn nicht, daß man Dich verfolgen würde?«

»Natürlich!«

»Warum legst Du Dich da zum Schlafen?«

»Ich war zu müde.«

»Du mußtest wenigstens erst über den Fluß gehen!«

»Er ist hier zu breit, und das Pferd zu angegriffen.«

»Danke Gott, daß wir keine Indianer sind! Du wärst hier eingeschlafen und dann im Paradiese ohne Kopfhaut erwacht. Hast Du Hunger?«

»Ja.«

»So komm mit nach dem Kahne, führe aber zunächst Dein Pferd weiter hinter die Büsche, damit man es von Weitem nicht sehen kann!«

Dieses Gespräch war nur von Helmers und dem Vaquero geführt worden. Bärenherz hatte sich nach dem Kanoe zurückbegeben, wo er ruhend auf der Büffelhaut lag. Der Vaquero erhielt Fleisch; Wasser gab es im Flusse, so war für Alles gesorgt.

Nachdem er sich satt gegessen hatte, fragte ihn Helmers nach seinen näheren Verhältnissen und erfuhr dabei alle Umstände, welche auf die Familie Rodriganda Bezug hatten. Als einige Zeit vergangen war, verließ Helmers den Kahn, um das etwas erhöhte Ufer zu erklettern und Ausguck zu halten. Er hatte die Höhe kaum erreicht, als er einen Ruf der Ueberraschung ausstieß:

»Holla, sie kommen! Bald hätten wir die rechte Zeit versäumt.«

Der Indianer stand im Nu bei ihm.

»Sechs Reiter!« sagte er.

»Kommen auf jeden drei.«

Der deutsche Trapper schien gar nicht daran zu denken, daß der Vaquero auch einen der Feinde auf sich nehmen könne.

»Wer nimmt das Pferd?« fragte Bärenherz.

»Ich,« antwortete der Deutsche.


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Der Indianer nickte und sagte dann:

»Von diesen Comanchen darf kein Einziger entkommen!«

»Das versteht sich ganz von selbst,« meinte Helmers. Dann wandte er sich an den Vaquero: »Du hast nur Dein Messer?«

»Ja.«

»So kannst Du uns bei dieser Sache gar nichts nützen. Du bleibst im Kanoe liegen, und ich nehme einstweilen Dein Pferd.«

»Aber wenn es erschossen wird!« sagte der Mann ängstlich.

»Dummheit, so bekommen wir sechs andere dafür!«

Der Mexikaner mußte dieser Anordnung Folge leisten. Er versteckte sich in das Kanoe, während die beiden Andern sich nach dem Orte begaben, an welchem sie ihn gefunden hatten. Sie stellten sich neben das hinter den Büschen des Ufers versteckte Pferd und warteten.

Die Reiter, welche Helmers zuerst als sechs dunkle Punkte in der Ferne erkannt hatte, kamen schnell näher. Man konnte bereits ihre Bekleidung und Bewaffnung erkennen.

»Ja, es sind die Hunde der Comanchen,« sagte Bärenherz.

»Sie haben sich mit den Kriegsfarben bemalt, geben also keinen Pardon,« bemerkte Helmers.

»Sie sollen selbst keinen erhalten!«

»Die beiden Hintersten müssen zuerst daran glauben; die Vordersten bleiben uns dann gewiß.«

»Ich nehme die Hintersten,« sagte der Apache.

»Gut!«

Die Comanchen waren jetzt auf einen halben Kilometer herangekommen; sie ritten noch immer im schnellsten Galopp. In einer Minute mußten sie sich im Bereiche der Büchsen befinden.

»Wie dumm sie sind!« lachte der Deutsche.

»Diese Comanchen haben kein Hirn; sie vermögen nicht zu denken!«

»Sie könnten doch wenigstens vermuthen, daß der Vaquero sich hier versteckt hat und auf sie wartet! Aber jedenfalls meinen sie, daß er sofort über den Strom geritten ist.« 

»Ugh!« sagte der Apache.

Mit dieser Aufforderung zur Aufmerksamkeit erhob er seine Büchse. Helmers that dasselbe. Zwei Schüsse krachten und noch zwei. Vier der Comanchen wälzten sich am Boden. Im nächsten Augenblicke saß Helmers auf dem Pferde des Vaquero und brach mit demselben durch die Büsche. Die beiden übrig gebliebenen Comanchen stutzten und hatten gar nicht Zeit, ihre Pferde zu wenden, so war der Deutsche schon bei ihnen. Sie erhoben ihre Tomahawks zum tödtlichen Schlage, er aber hielt den Revolver bereit. Zwei Mal drückte er ab, und auch diese Zwei stürzten von den Pferden.

Dieser Sieg war in weniger als zwei Minuten Zeit errungen. Die Pferde der Gefallenen wurden mit leichter Mühe eingefangen.

Jetzt kam der Vaquero herbei. Er hatte vom Kanoe aus Alles beobachtet.

»Verdammt!« meinte er, »das war ein Sieg!«


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»Pah!« lachte der Deutsche. »Sechs Comanchen, was ist das weiter. Man sollte eigentlich mit Menschenblut sparsamer umgehen, denn es ist der köstlichste Saft, den es giebt; aber diese Comanchen verdienen es nicht anders.«

Man nahm den Todten ihre Waffen ab und warf sie in den Fluß, nachdem Bärenherz den Beiden, die er getödtet hatte, die Skalpe löste, um sie sich an den Gürtel zu hängen.

»Was nun?« fragte der Deutsche. »Brechen wir sofort auf?«

»Ja,« antwortete der Apache. »Die Schwester meines Freundes soll nicht vergebens auf Hilfe rechnen.«

»Nehmen wir den Vaquero mit?«

Bärenherz musterte diesen und sagte dann:

»Thue, was Du willst!«

»Ich gehe mit!« erklärte der Mexikaner.

»Ich glaube nicht, daß wir Dich brauchen können,« meinte Helmers.

»Warum?«

»Ein Held bist Du nicht.«

»Ich hatte ja keine Waffen jetzt!«

»Aber bei dem gestrigen Ueberfalle bist Du doch auch geflohen.«

»Nur, um Hilfe herbei zu holen.«

»Ach! So! Nun, wirst Du den Platz wiederfinden können, an welchem Ihr überfallen wurdet?«

»Ja.«

»So magst Du uns begleiten.«

»Darf ich mir von den Waffen der Indianer nehmen?«

»Ja. Nimm Dir auch ein Pferd von ihnen. Das Deinige lassen wir frei; es ist zu sehr abgetrieben und würde uns nur hinderlich sein.«

Die drei besten Pferde wurden bestiegen und die übrigen frei gelassen; dann setzte sich der kleine Zug in Bewegung.

Es ging nach Norden immer dem Rio Pecos zu. Der Weg führte zunächst durch offene Prairie, dann erhob sich eine Sierra vor ihnen, deren Berge mit Wald bestanden waren; sie ritten durch Thäler und Schluchten und gelangten gegen Abend auf eine Höhe, von welcher aus man eine kleine Savanna überblicken konnte.

»Ugh!« rief der Apache, welcher voranritt.

»Was giebt es?« fragte der Deutsche.

»Siehe!«

Bärenherz streckte die Hände aus und deutete nach unten.

Dort lagerte ein Trupp Indianer, in dessen Mitte man die Gefangenen erblickte. Der Deutsche nahm ein kleines Fernrohr aus der Tasche, stellte es, hob es an das Auge und blickte hindurch.

»Was sieht mein weißer Bruder?« fragte der Apache.

»Neunundvierzig Comanchen.«

»Pshaw!« sagte der Apache geringschätzend.

»Und sechs Gefangene.«

»Sind die Frauen mit dabei?«

»Ja, zwei.«


// 383 //

»Wir werden sie befreien!«

Diese Worte sagte der Häuptling mit so großer Seelenruhe, daß man glauben mußte, es verstehe sich ganz von selbst, er nähme es ganz allein mit einem Schock Comanchen auf.

»Am Abend?« fragte der Deutsche.

»Ja,« nickte der Apache.

»Aber wie?«

»Wie ein Häuptling der Apachen!« sagte Bärenherz stolz.

»Ich bin dabei. Diese neunundvierzig Comanchen können nicht hundert Wachen aufstellen«

»Wir wollen uns verbergen.«

»Warum?« fragte der Vaquero.

»Willst Du Dich etwa sehen lassen?« antwortete Helmers.

»Nein. Aber hier können sie uns ja gar nicht sehen.«

»Es können ja auch noch Andere außer Dir entkommen sein. Die hat man gewiß auch verfolgt, und wenn die Verfolger zurückkehren, können sie uns sehr leicht bemerken. Halte die Pferde. Wir Beide wollen zunächst dafür sorgen, daß unsere Fährte ausgewischt wird.«

Er kehrte mit Bärenherz eine Strecke weit auf dem Wege, den sie gekommen waren, zurück, um die Hufspuren unsichtbar zu machen; dann wurde im dichtesten Gebüsch der Anhöhe ein Versteck ausgesucht und auch gefunden, worin sie sich mit ihren Thieren verbargen.

Die Sonne ging unter und es wurde Abend. Die finstere Nacht brach an, und noch regte sich nichts in dem Verstecke. Die beste Zeit zum Ueberfalle war kurz nach Mitternacht.

»Nun, hast Du Dir ausgesonnen, wie es zu machen ist?« fragte der Deutsche den Apachen.

»Ja,« antwortete dieser.

»Wie?«

»Wie es tapfere Männer machen. Kannst Du eine Wache tödten, ohne daß sie einen Laut von sich giebt?«

»Ja.«

»Gut! So schleichen wir uns hinzu, tödten die Wachen, schneiden die Fesseln der Gefangenen durch und entfliehen mit ihnen.«

»Natürlich mittelst der Pferde?«

»Ja.«

»So wird es Zeit, zu beginnen, denn das Anschleichen ist eine langweilige Sache.«

»Aber dieser Vaquero bleibt zurück?« fragte der Apache.

»Ja; er hat die Pferde zu halten.«

»Wo erwartet er uns?«

»Da, wo wir die Comanchen zuerst erblickten. Wir müssen dort vorüber, da wir doch jedenfalls nach dem Rio Grande zurückkehren.«

»So laß uns beginnen!«


// 384 //

Die beiden muthigen Männer ergriffen ihre Gewehre und schritten, nachdem sie dem Vaquero die nöthigen Instruktionen ertheilt hatten, davon.

Unten im Thale brannte ein einziges Wachtfeuer; rund um dasselbe lagen die schlafenden Comanchen und bei ihnen die gefesselten Gefangenen. Die Wachtposten waren jedenfalls außerhalb dieses Kreises zu suchen. Als die Beiden das Thal erreichten, sagte Bärenherz:

»Ich gehe links, und Du gehst rechts.«

»Gut. Auf alle Fälle befreien wir zunächst die beiden Frauen.«

Sie trennten sich.

Helmers umschritt das Lager nach der rechten Seite hin. Natürlich geschah dies nicht in aufrechter Stellung, sondern in der Weise, wie sie in der Prairie gebräuchlich ist. Man legt sich auf den Boden nieder und schiebt sich wie eine Schlange langsam und vorsichtig weiter. Man darf dabei weder gehört noch gesehen werden, auch muß man dafür sorgen, daß die Pferde keine Witterung bekommen, weil sie sonst durch ihr ängstliches Schnauben die Nähe des Feindes verrathen.

So that es Helmers. Erst einen weiten Bogen schlagend, machte er denselben allmälig enger, bis er eine dunkle Gestalt erblickte, welche langsam auf und nieder schritt. Das war eine Wache. Er schlich sich mit der größten Vorsicht heran. Es war ein Glück, daß die Nacht finster war und das Feuer nicht mehr leuchtete. Er kam der Wache bis auf fünf Schritte nahe, dann schnellte er sich plötzlich auf dieselbe zu, packte sie von hinten mit der Linken bei der Kehle, schnürte diese so fest zu, daß ein Laut unmöglich war, und stieß ihr mit der Rechten das lange Bowiemesser in die Brust. Der Mann sank nieder, ohne ein Wort zu sagen oder das leiseste Geräusch machen zu können.

So gelang es ihm, nach vielleicht einer Viertelstunde eine zweite Wache unschädlich zu machen; dann stieß er mit Bärenherz zusammen, welcher auf ganz dieselbe Weise auch zwei Comanchen getödtet hatte.

»Nun die Frauen!« flüsterte der Indianer.

»Vorsicht!« bat der Deutsche.

»Pshaw! Der Apache ist muthig, aber auch vorsichtig. Vorwärts!« war die Antwort.

Sie wandten sich vollständig unhörbar durch das ziemlich fußhohe Gras nach dem Feuer hin. Die Frauen waren an der hellen Farbe ihrer Kleidung leicht zu unterscheiden. Helmers erreichte sie zuerst und näherte seine Lippen dem Ohre der Einen. Dabei sah er trotz der Dunkelheit, daß sie die Augen offen hielt und ihn beobachtet hatte.

»Erschrecken Sie nicht und halten Sie sich still!« flüsterte er. »Erst wenn ich auch Ihrer Freundin die Fesseln durchschnitten habe, eilen Sie zu den Pferden hin.«

Sie verstand ihn. Die Frauen lagen neben einander. Sie waren an Händen und Füßen gefesselt. Der Deutsche durchschnitt die Riemen, die ihnen in das Fleisch gedrungen waren.

Sobald der Apache bemerkte, daß der Deutsche sich der beiden Damen annahm, suchte er die männlichen Gefangenen auf. Es waren ihrer Vier, und sie lagen in der Nähe. Er kroch zu ihnen heran. Auch sie schliefen nicht. Er nahm das Messer


Ende der sechzehnten Lieferung - Fortsetzung folgt.



Karl May: Waldröschen

Karl May – Forschung und Werk