Lieferung 3

Karl May

30. August 1884

Der verlorne Sohn
oder
Der Fürst des Elends.

Roman aus der Criminal-Geschichte.


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»So hat Einer geschossen, dem an Eurer Aussöhnung nichts gelegen war, oder der gerade das, worüber Ihr Euch veruneinigt, auch gern haben wollte. Erzähle!«

Gustav erstattete so ausführlich Bericht, wie es ihm möglich war. Als er geendet hatte, blieb selbst dem Amtmanne nichts zu fragen übrig. Der alte Forstmann aber sagte:

»Junge, tritt einmal her zu mir! So, gerade vor mich her! Nun guck' mir in die Augen! Fest, ruhig und offen! Ah, Du kannst es ja noch! Du schlägst die Augen nicht nieder! Du bist unschuldig! Dein Vater kennt Dich! Hättest Du nur mit der Wimper gezuckt, so wärest Du der Mörder, und ich hätte selbst Gerechtigkeit geübt, hier und sofort. Siehst Du, da mit der Doppelbüchse: Eine Kugel für Dich und eine für mich. Dann war es schnell aus mit uns und mit der Schande. Da Du aber unschuldig bist, so gehe mit Gott. Sie führen Dich in das Gefängniß; aber das thut nichts! In unserem Lande giebt es einen guten König und gerechte Richter, und über uns wacht der liebe Gott, und Dein alter Vater und Deine alte Mutter werden für Dich beten!«

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Monate waren vergangen; der Winter war gekommen und hatte dem Frühlinge weichen müssen. Dennoch war Vieles nicht anders geworden. Der Gerichtsarzt hatte recht gehabt. Alma war einem sehr gefährlichen und langwierigen Fieber verfallen, und da sie in dem Processe gegen Brandt die Hauptzeugin war, so mußte die Untersuchung bis zu ihrer Genesung ruhen.

Die pflichteifrigen Beamten hielten es nicht für unmöglich, daß der Angeklagte schuldlos sei. Sie thaten Alles, was zu seiner Rettung in ihrer Macht stand, aber der Beweise gegen ihn waren zu viele und klare, und der Baron verhielt sich so schlau, daß es unmöglich war, gegen ihn vorzugehen.

Als die Voruntersuchung beendet war, hatte man Brandt nach der Residenz gebracht, wo so schwere Verbrechen abgeurtheilt zu werden pflegten. Endlich hatte man das Material zusammen; Beweise für oder gegen ihn schienen nicht mehr auffindbar zu sein, und so wurde der Termin zur öffentlichen Verhandlung festgesetzt.

Drei Tage vor diesem Termine schritten zwei Männer, in einem eifrigen Gespräche begriffen, auf der Vicinalstraße dahin, welche von Helfenstein aus in östlicher Richtung durch das Gebirge führt. Es war der Schmied mit seinem Sohne. Was sie besprachen, schien, nach den Gesten zu beurtheilen, mit denen sie ihre Reden begleiteten, für sie von großer Wichtigkeit zu sein.

»Nun sage mir aber auch, wohin wir gehen,« meinte der Sohn.

»Wohin? Kannst Du Dir das nicht denken?« fragte der Vater.

»O doch!«

»Nun, wohin?«

»Nach der Eisenbahn.«

»Hm! Du denkst, wir werden mit der Bahn fahren? Wohin denn?«

»Nach der Residenz.«

»Und was wollen wir dort?«


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»Den Brandt retten. Weißt Du, erst war ich ihm ungeheuer bös, daß er damals der Gesellschaft solchen Schaden gemacht hat, aber er ist mein Schulkamerad und stets ein guter Kerl gewesen, obgleich der ermordete Baron gern einen großen Herrn aus ihm gemacht hätte. Nun werden sie ihn verurtheilen und aufknüpfen, unschuldig, wie wir Beide wissen. Das ist doch sehr traurig, und wir haben ihn auf dem Gewissen!«

»Du redest wahrhaftig wie ein Katechismus!«

»Nun, habe ich nicht Recht? Geht es nach der Residenz?«

»Vielleicht, vielleicht auch nicht. Es hängt das ab von dem Manne, zu dem wir jetzt gehen.«

»Wer ist das?«

»Baron Franz von Helfenstein.«

»Ah! Zu dem willst Du? Was sollen wir bei ihm?«

»Närrischer Kerl, kannst Du Dir das nicht denken?«

»Nein.«

»So bist Du dümmer als Dein Vater.«

»Sage es; da brauche ich nicht zu rathen.«

»Das ist unnöthig. Du wirst hören, was ich mit ihm spreche, und brauchst dann nur immer das zu wollen, was ich will.«

Sie gelangten in ein Dörfchen, welches zu einer Herrschaft gehörte. Der Edelsitz sah eher einem alten Bauernhause als einem Schlosse ähnlich. Er war das einzige und sehr verschuldete Eigenthum des Barons Franz von Helfenstein. Der Sommer war noch nicht in das Land gekommen, die Zeit zu einer Villeggiatur war also noch nicht da; aber der Baron wohnte doch bereits seit einigen Wochen hier. Er war wieder einmal gezwungen gewesen, vor seinen Gläubigern in diese Einsamkeit zu entfliehen.

Er saß höchst mißmuthig in einer nichts weniger als fein möblirten Stube und rauchte eine Cigarre, welche im Tausend gewiß nicht über zwanzig Thaler zu stehen kam. Er hatte Unglück im Spiel gehabt und sich hierher zurückgezogen, um über einen neuen Plan, seine Lage zu verbessern, nachzudenken. Sogar seinen Bedienten hatte er verabschieden müssen, da er nicht im Stande gewesen war, ihm das rückständige Salair auszuzahlen.

Da klopfte es an seine Thür und auf sein mürrisches »Herrein!« sah er den Schmied mit seinem Sohne eintreten, zwei Helfensteiner, welche er recht gut kannte. Sie grüßten ziemlich höflich und blieben an der Thür stehen, um seine Anrede zu erwarten.

»Ihr, Wolf?« sagte er. »Was wollt denn Ihr von mir?«

»Wolf« war nämlich der Familienname der Beiden.

»Wir möchten uns gern einen guten Rath erbitten, Herr Baron,« sagte der Vater.

»Dazu habe ich keine Zeit. Dazu bin ich nicht da!« antwortete er zornig. »Glaubt Ihr denn, wir Freiherren und Barone seien nur da, um Euch Schmieden und Schänkwirthen gute Lehren zu geben!«

»Nicht?« fragte der Schmied gleichmüthig. »Nun, so habe ich es falsch gemacht und umgekehrt ist es richtig!«


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»Was? Wie meint Ihr das?«

»Wir Schmiede sind da, um den Freiherren guten Rath zu geben.«

»Alle Teufel!« brauste der Baron auf. »Ich hoffe doch nicht etwa, daß Ihr gekommen seid, um Euch hier einen unzeitigen Spaß zu machen. Heraus mit dem, was Ihr wollt, und dann trollt Ihr Euch so schnell wie möglich davon!«

»Schön. Wir kommen nämlich von wegen dem Gustav Brandt.«

Er horchte auf. Das war ein Thema, welches ihn höchlichst interessirte. Doch wollte er sich dies nicht merken lassen. Er sagte daher im barschen Tone:

»Was geht der mich an! Was habe ich mit dem zu schaffen!«

»Vielleicht wenig oder gar nichts, unter Umständen aber auch sehr viel. Darf ich dem Herrn Baron vielleicht eine kleine Geschichte erzählen?«

»Hole Euch der Teufel! Ich bin kein Freund von Euren Dorfgeschichten!«

»O, es ist keine Dorf- sondern eine Räuber- und Schloßgeschichte, die Ihnen sehr gefallen wird.«

Der Baron kannte die Art und Weise dieser Gebirgsleute. Sie wissen, was sie wollen, und sind dann schwer von ihrem Vorhaben abzubringen.

»Na, da erzählt meinetwegen Euer dummes Zeug,« sagte er. »Ich hatte grad so eine Art von Langeweile. Vielleicht vertreibt mir Eure Kloster-, ach so, Eure Räubergeschichte die schlimme Laune. Aber ich mache Euch darauf aufmerksam, daß ich kein Freund von allzu langen Geschichten bin.«

»O, gnädiger Herr, was ich erzählen will, das wird gewiß sehr kurzweilig werden. Sie wissen doch, daß die Verhandlung gegen den Brandt in drei Tagen ist?«

»Ja.«

»Sie müssen auch dabei sein?«

»Natürlich.«

»Denken Sie, daß er verurtheilt wird, daß er wirklich schuldig ist?«

»Hören Sie, Wolf, wie kommen Sie mir vor? Was wollen Sie mit Ihren Fragen? Welches ist überhaupt der Zweck Ihrer Gegenwart?«

»Nun, ich wollte Sie gern fragen, ob es nicht jetzt noch möglich ist, sich in dieser Geschichte als Zeuge zu melden.«

Er erhob rasch den Kopf, warf einen forschenden Blick zu dem Sprecher hinüber und antwortete:

»Das können Sie. Haben Sie vielleicht etwas Neues erfahren?«

»Nein; aber etwas Altes könnte ich erzählen.«

»Was?«

»Nun, Sie wissen, daß wir Schmiede zuweilen ein Stück Naturholz brauchen. Man geht da in den Wald und schneidet es sich ab, wo es nichts kostet; das hilft mir wirthschaften. Nun brauchte ich an dem Tage, an dem die beiden Mordthaten vorkamen, das Holz zu einem neuen Schiebkarren. Ich ging also mit meinem Sohne hier hinaus, um mir ein passendes Stämmchen auszusuchen.«

Das war dem Baron doch zuviel. Dieser Mensch kam, um ihn zum Vertrauten seiner Spitzbübereien zu machen!


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»Kerl,« rief er zornig, »was fällt Dir ein, mir das zu erzählen! Soll ich Dich als Holzdieb arretiren lassen?«

»O nein, Herr Baron. Dazu sind Sie zu fein und nobel. Lassen Sie mich weiter erzählen! Wir kamen in die Nähe der Tannenschlucht. Da stand der Brandt mit Baronesse Alma. Sein Gewehr lehnte an einem Baume. War es nicht so?«

Der Baron war bleich geworden. Was wollte der Mann? Was wußte er?

»Sie träumen wohl?« stieß Helfenstein hervor.

»Nein. Damals war es mir allerdings vor Schreck, als ob ich träume. Die Baronesse ging, zu dem Brandt aber trat der Hauptmann von Hellenbach. Da kam noch Einer; der nahm das Gewehr, schoß dem Hellenbach zwei Kugeln in die Brust, warf das Gewehr weg und sprang davon. Nach einer Minute aber war er wieder da und trat als Kläger auf.«

»Mensch, halte den Mund!« rief der Baron, indem er aufsprang und dem Schmiede mit der Faust drohte.

"Mit einer Schmiedefaust fangen Sie nichts an!"

»Oho!« antwortete dieser, »mit einer Schmiedefaust fangen Sie nichts an, Hauptmannsmörder!«

»Kerls! Ihr seid verrückt!«

»Mag sein. Aber ehrliche Leute sind wir doch, denn wir kommen, um Ihnen ganz aufrichtig zu sagen, daß wir im Begriff stehen, nach der Hauptstadt zu gehen, um zu bezeugen, daß der Brandt unschuldig ist.«

»Ihr irrt! Er ist der Mörder!«

»O nein. Wir haben Alles gesehen. Sie sind der Mörder!«

»Das ist nicht wahr. Es müßte Einer gewesen sein, der mir ähnlich ist.«

»O, für so dumm dürfen Sie uns nicht halten! Damit bringen Sie es bei uns nicht weit!«

Er ging einige Male im Zimmer auf und ab. Er sah ein, daß er verloren sei, wenn diese beiden Männer gegen ihn zeugten.

»Ihr könnt Euch gar nicht mehr melden!« meinte er.

»Warum nicht?«

»Weil Ihr dafür bestraft würdet, daß Ihr bisher geschwiegen habt.«

»Unsinn! Ein solcher Zeuge kommt immer noch zur rechten Zeit. Uebrigens könnten wir sagen, daß Sie gedroht hätten, Sie würden uns erschießen, wenn wir es verrathen.«

»Kerls, Ihr seid ja die richtigen, echten Bösewichter!«

»Aber doch keine Mörder!«

»Aber, warum kommt Ihr denn da zu mir, um mir zu sagen, was Ihr zu thun beabsichtigt?«

»Hm!« meinte der Schmied unter einem schlauen Lächeln. »Vielleicht gehen wir doch nicht nach der Residenz.«

»Ja, das wäre das Gescheiteste.«

»Für Sie allein! Aber dennoch, vielleicht sehen wir ruhig zu, daß der Brandt aufgeknüpft wird.«

»Macht, was Ihr wollt!«


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»Schön! Komm, Junge! Hier sind wir fertig.«

Er machte Miene, zu gehen. Da aber stellte der Baron sich ihm schnell in den Weg und sagte:

»Mensch, bist Du toll! Was hast Du davon, wenn sie den Brandt frei lassen!«

»Ich habe meine Pflicht gethan!«

»Aber nichts dafür bekommen!«

»Bekomme ich für das Gegentheil etwas?«

»Natürlich! Ihr Schufte seid ja doch nur gekommen, um Euch für Euer Schweigen eine Bezahlung zu erpressen!«

»Das gebe ich freilich zu!« gestand der Schmied sehr aufrichtig.

»Nun gut! Wieviel verlangt Ihr?«

»Wieviel bieten Sie?«

»Fünfzig Thaler.«

Da sah ihn der Schmied an, als ob er ein Wunderthier anzustaunen habe, schlug ein schallendes Gelächter auf und rief:

»Fünfzig Thaler? Hörst Du es, Junge? Fünfzig Thaler, lumpige fünfzig Thaler für die Ehre und das Leben eines Barons! Das hätte ich nicht gedacht!«

»Gut, ich gebe hundert!«

»Viel, viel zu wenig!«

»Wieviel wollt Ihr denn?«

»Grad heraus und kurz gesagt, zehntausend Thaler.«

Da fuhr der Baron zurück, als ob er von einer Natter gebissen worden sei. Er sagte:

»Zehntausend Thaler? Mensch, Du bist zehntausendmal verrückt. Das ist ja ein ganzes Vermögen!«

»Freilich!« antwortete der Schmied trocken. »Ich will nämlich reich werden.«

»Was geht das mich an! Wenn ich es auch geben wollte, ich könnte es doch nicht geben. Ich bin ja selbst arm!«

»Borgen Sie es sich!«

»Wer soll mir eine solche Summe borgen!«

»Hm! Ja, ja! Ich weiß gar wohl, daß es mit Ihrem Beutel nicht sehr gut bestellt ist. Aber vielleicht läßt sich da helfen. Geben Sie uns einen Wechsel!«

»Kerls, was versteht Ihr denn von einem Wechsel!«

»Ich meine nämlich einen Wechsel auf Sicht,« fuhr der Schmied ganz unbeirrt fort.

»Der würde Euch ja auch nichts nützen!«

»Warum nicht?«

»Ich könnte ihn ja gar nicht bezahlen!«

»O, wir würden Sie schon so weit bringen, daß Sie im Stande wären, so eine kleine Summe zu bezahlen!«

Er horchte auf und sagte:

»Ich verstehe Euch nicht. Erklärt Euch deutlicher!«


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»Hm! Da giebt es doch nicht viel zu erklären! Sie heißen ja Baron Helfenstein!«

»Was nutzt mir das?«

»Helfenstein ist doch eine große, reiche Besitzung!«

»Aber sie gehört mir nicht.«

»Daran sind Sie selbst Schuld. Sie sind ja der Erbe!«

»Ja, wenn das Kind nicht wäre!«

Der Schmied schnipste mit den Fingern und meinte verächtlich:

»Das Kind! Hm, das Kind! Wem kann ein Kind im Wege sein!«

Der Baron trat an das Fenster und blickte eine Weile lang sinnend hinaus. Tausendmal schon hatte er daran gedacht, das Kind auf die Seite schaffen zu lassen. Er selbst wollte es nicht thun, und wo fand sich Einer, dem er vertrauen konnte? Hier nun boten sich gleich Zwei freiwillig an. Dazu kam, daß, wenn er ihnen das Geschäft übertrug, er sie auch in Beziehung auf die Ermordung des Hauptmannes zum Schweigen brachte. Und da waren zehntausend Thaler keine große Summe. Er drehte sich also zu ihnen um und sagte:

»Wolf, ich glaube, Ihr habt mir einen Vorschlag zu machen?«

»Ja,« antwortete der Schmied schnell.

»Nun, welchen?«

»Sie geben mir heut einen Wechsel auf Sicht über die zehntausend Thaler.«

»Was habe ich dafür?«

»Erstens gehen wir nicht nach der Residenz, und zweitens sind Sie in kurzer Zeit Besitzer der ganzen Herrschaft Helfenstein. Sind Sie es zufrieden?«

»Wann wird der Wechsel präsentirt?«

»Sobald wir merken, daß Sie ihn ohne große Opfer einlösen können. Sie sehen, wir sind sehr gefällig.«

»Hole Euch der Teufel! Aber ich will Euch gestehen, daß ich Euch nicht für solche Spitzbuben, sondern für ganz und gar ehrliche Leute gehalten habe.«

»Hm! Wir zum Beispiel haben Sie stets für einen Spitzbuben gehalten, gnädiger Herr Baron!«

»Mensch! Schlingel! Was fällt Dir ein!«

»O, wenn ich unter Kameraden bin, nehme ich niemals ein Blatt vor den Mund. Sie müssen nämlich wissen, daß ich schon seit einer langen Reihe von Jahren bei den Schmugglern bin.«

»Ah! Wirklich?« fragte er rasch. »Bringt das viel ein?«

»Ungeheuer! Es ist sicherer als das Hazardspiel. Wäre ich ein vornehmer und reicher Herr, ich spielte niemals ein anderes Spiel, als den Schmuggel.«

»Sie mögen recht haben. Wollen später einmal sehen! Also, sind wir einig? Zehntausend Thaler?«

»Ja. Es gilt?«

»Ich bin dabei. Hier meine Hand!«

»Und hier die unserige!«

Die Drei schlugen ein. Der Freiherr hatte sich mit den beiden Schmugglern


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verbündet, um eine Baronie zu bekommen. Als sie von ihm fortgingen, den Wechsel in der Tasche, ahnte er nicht, welchen Einfluß diese unscheinbare Bekanntschaft für seine Zukunft haben werde.

Als sie das Dorf im Rücken hatten, meinte der Sohn:

»Zehntausend Thaler auf einen Schlag, das ist ungeheuer viel. Aber nun dauert mich doch der arme Brandt's Gustav!«

»Warum denn?«

»Er wird jedenfalls hingerichtet!«

»Unsinn! Selbst wenn er zum Tode verurtheilt würde, ist vorauszusehen, daß ihn der König begnadigt.«

»Du meinst, er schenkt ihm die Strafe ganz?«

»O nein. Er bekommt lebenslänglich Zuchthaus.«

»Brrr! Das ist viel, viel schlimmer als der Tod!«

»Möglich! Aber er kommt ja auch gar nicht in das Zuchthaus!«

»Wohin sonst?«

»Er kann gehen, wohin er will!«

»Vater, Du redest wohl irre?«

»Das fällt mir nicht ein! Ich weiß, was ich sage. Oder denkst Du denn etwa, daß ich einen Unschuldigen bestrafen lasse, wenn ich schuld bin, daß er nicht freigesprochen wird? Ich bin ein Schmuggler; aber doch ein ehrlicher Kerl!«

»Aber das Kind, den kleinen Robert von Helfenstein, willst Du doch umbringen!«

»Wer hat denn das gesagt? Kerl, Du mußt noch viel, sehr viel wachsen, ehe Du ein solcher Pfiffikus wirst, wie Dein Vater ist! Der kleine Robert bleibt leben; der Baron aber muß denken, er sei todt. Dann habe ich ihn für alle Zeit in der Hand; denn wenn ich den Robert wiederbrächte, müßte er Alles wieder hergeben.«

»Aber die Sache hat dennoch einen sehr großen Haken!«

»Das sehe ich nun doch nicht ein.«

»Der Robert darf doch nicht verschwinden!«

»Nein, sondern er muß wirklich todt sein.«

»Aber dann kann er doch nicht wieder erscheinen. Oder soll da ein falscher Robert kommen?«

»Nein, sondern der richtige. Hast Du nicht gehört, daß der Botenfrau ihr Kleiner heute Nacht gestorben ist?«

»Ja.«

»Nun, wir holen den Robert und legen den todten Knaben dafür in das Bette.«

»Das kommt ja sofort heraus. Dadurch läßt sich Niemand betrügen. Baronesse Alma kennt ihr Brüderchen zu genau, als daß sie es mit dem Jungen der Botenfrau verwechseln könnte.«

»Das ist richtig! Aber, wenn man nun auf den Gedanken käme, ein Streichholz mit hinzuzulegen?«

»Ah, Du meinst das Bettchen verbrennen?«


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»Ja. Sie denken dann, der kleine Robert sei verbrannt. Und an den verbrannten Ueberresten der Leiche können sie doch nicht sehen, daß eine Verwechselung stattgefunden hat.«

»Dieser Plan ist gut. Wann führen wir ihn aus?«

»In drei Tagen, wenn die Baronesse nach der Residenz ist, um in dem Prozesse als Zeugin zu dienen.«

So war dem Baron ein unerwarteter Zeuge seiner That erstanden. Er ahnte nicht im Mindesten, daß es noch einen Zweiten gebe; aber bereits am anderen Tage stellte sich ein solcher ein. Nämlich ein Wagen hielt vor seiner Thür, und aus demselben stieg zu seiner freudigsten Ueberraschung Ella, die Zofe seiner Cousine.

Was wollte dieses Mädchen? Einen solchen Besuch hätte er gar nicht für möglich gehalten. Das üppig schöne Mädchen war ihm im höchsten Grade willkommen, da er hoffen durfte, ein süßes Schäferstündchen mit ihr zu verleben. Er eilte ihr deshalb bis unter die Thür entgegen und breitete dort seine Arme aus, um sie an sein Herz zu drücken.

»Halt!« sagte sie lachend. »Nicht so sanguinisch, mein lieber Baron! Es giebt noch Mädchen, welche Grundsätze haben!«

»Ich finde das geradezu allerliebst, falls nämlich diese Grundsätze liebenswürdig sind.«

»Es gilt die Probe. Die meinigen scheinen es jedoch nicht zu sein.«

»Warum, schöne Ella?«

»Weil Sie mich selbst nicht liebenswürdig finden.«

»Sie irren sich. Sie irren sich sogar ganz gewaltig. Ich habe ja noch niemals ein so reizendes Mädchen gefunden, wie Sie es sind!«

»Und doch wird es Ihnen so leicht, ein vorher bestimmtes Rendezvous aufzuheben. Ist dies wirklich ein Zeichen, daß ich so reizend bin?«

»Wieso? Ah, ja, ich besinne mich! Damals! Aber da ging es nicht anders. Es kam da der so gewaltsame Tod meines lieben Cousin drein.«

Sie hatten mittlerweile das Zimmer erreicht. Sie nahm ohne alle Umstände auf dem Sopha Platz und er setzte sich neben sie.

»Ja,« sagte sie, fortfahrend. »Es war ein sehr gewaltsamer Tod, ein Verlust, der Sie jedenfalls sehr schmerzlich betroffen hat.«

»Ueber alle Maßen, meine süße Ella. Aber, wollen Sie denn nicht diesen neidischen Umhang ablegen, welcher mir grad den schösten Theil Ihrer Figur verhüllt?«

»Nehmen Sie ihn immerhin weg, mein Lieber. Sie wissen, ich bin nicht prüde, wenn ich mich bei Ihnen befinde.«

»Das ist es ja eben, was mich mit Glück erfüllt.«

Er entfernte den Umhang und zog das verführerische Mädchen zu sich heran und sagte:

»Sie glauben es doch, daß Ihre Anwesenheit mich glücklich macht?«

»Wie könnte ich es glauben? Aber prüfen möchte ich es einmal.«

»Prüfen Sie es,« sagte er, sie wiederholt küssend. »Sie werden finden, daß ich die Wahrheit sage.«


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»Bleibt mir die Art und Weise der Prüfung überlassen?«

»Ja, gewiß. Aber ehe Sie beginnen, erlauben Sie mir erst, Ihre rosigen Lippen zu küssen.«

Er führte aus, was er gesagt hatte, und sie setzte ihm nur wenig Widerstand entgegen.

»So, ist es nun genug?« fragte sie nach einer Weile.

»Eigentlich noch nicht, noch lange, lange nicht! Man möchte den Mund gar nie von dieser Schönheit trennen.«

»So will ich meine Prüfung mit der Frage beginnen, warum Sie diese Schönheit, für welche Sie so begeistert zu sein scheinen, dennoch nicht für Ihr Eigenthum erklären?«

»Kann ich das? Weiß ich denn, ob Sie mein Eigenthum sein wollen, Ella?«

»Sie können das ja mittelst der einfachsten Fragen erfahren.«

Da drückte er sie mit dem Feuer der heißesten Liebesgluth an sich und sagte dann:

»So will ich ja nicht säumen, diese Frage auszusprechen. Wollen Sie mein sein, Ella? Mein unbestreitbares Eigenthum?«

»Auf wie lange, mein Herr?« lächelte sie schnippisch.

»Natürlich für immer und ewig!«

»Dann sage ich von ganzem Herzen ein Ja!«

»Ich danke Dir, Du süßes, entzückendes Wesen! Darf ich denn auch sogleich von meinen Eigenthume Besitz ergreifen?«

»Müßte man nicht vorher das Wort Eigenthum durch eine kleine Beifügung bestimmter bezeichnen?«

»Welche Beifügung meinen Sie?« fragte er neugierig.

»Die Beifügung 'privilegirt'. Ihr privilegirtes Eigenthum werde ich gerne sein, Ihr unprivilegirtes aber niemals.«

Er machte eine etwas enttäuschte Miene. Sie bemerkte das sehr wohl, that aber so, als ob sie gar nicht darauf Acht gebe.

»Was nennen Sie privilegirt?« fragte er.

»Nur der Titel Frau gewährt ein Privilegium.«

Da stieß er ein kurzes, verlegenes Lachen aus und fragte:

»Wie? Sie wollen meine Frau werden? Die Frau eines Freiherrn, die Frau des Barons von Helfenstein?«

»Warum nicht? Sie sagen mir doch, daß Sie mich lieben, daß meine Gegenwart Sie glücklich mache, daß ich Sie prüfen soll.«

»Kind, das kann ja Alles auch ganz gut ohne diese nüchterne, prosaische Verheirathung geschehen.«

»Pah! Die Maitresse eines Mannes, selbst wenn er ein Freiherr ist, mag ich niemals werden!«

»Maitresse! Welch garstiger Name! Läßt sich denn keine andere, bessere Bezeichnung für ganz dasselbe Verhältniß finden?«

»Die Sache bleibt dieselbe trotz der anderen Bezeichnung. Ich habe Sie


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lieb und bin bereit, Sie glücklich zu machen, aber nur unter der Bedingung, daß ich Ihre Frau werden soll.«

»Sie kleiner, süßer Schäker! Sie sprechen doch nur im Scherze?«

»O, ich spreche im Gegentheile sehr im Ernste.«

»So thun Sie mir leid! Meine Frau können Sie nie werden. Aber ich hoffe, daß Sie so verständig sein werden, auf diese Dummheit zu verzichten. Wir können glücklich sein, ohne den Pfarrer erst um die Erlaubniß dazu zu fragen.«

»Ich verzichte auf ein unsanctionirtes Glück. Für wen ich so große und schwere Opfer bringe, dessen Person und Besitz muß mir sicher sein.«

»Opfer? Was meinen Sie? Ist ein Kuß, eine Umarmung ein Opfer? Was Einen glücklich macht, kann doch niemals ein Opfer sein.«

»Von Kuß und Umarmung spreche ich ja nicht. Ich habe Ihnen bisher den Frieden meiner Seele, die Ruhe meines Gewissens zum Opfer gebracht, das thut man nur für den Mann, dessen Weib man ist.«

»Frieden der Seele? Ruhe des Gewissens?« fragte er erstaunt. »Es ist mir unmöglich, Sie zu verstehen.«

»Das begreife ich nicht. Ist es nicht gegen alles Gewissen, einen Unschuldigen verurtheilen zu lassen, während der Schuldige in Ehren lebt?«

Er verfärbte sich. Was wollte dieses Mädchen? Hatte auch sie eine Ahnung von dem eigentlichen Sachverhalte?

»Sie sprechen wirklich in Räthseln!« sagte er. »Sie sprechen von einem Schuldigen und einem Unschuldigen. Wer ist damit gemeint?«

»Das begreifen Sie wieder nicht? Da muß ich Sie an jene Mordnacht erinnern. Sie wissen, daß Gustav Brandt eingestanden hat, bei dem Baron gewesen zu sein.«

»Allerdings. Da hat er ihn ermordet.«

»O nein. Ich weiß das sehr genau, denn ich bin darnach auf einen Augenblick im Zimmer des gnädigen Herrn gewesen, welcher in vollstem Wohlsein an seinem Tische saß.«

»Donnerwetter! Darüber schweigen Sie ja! Man könnte sonst denken, daß Sie ihn umgebracht haben!«

»Ich würde meine Unschuld beweisen können.«

»O, das bezweifle ich sehr! Wie wollten Sie das anfangen?«

»Wie nun, wenn auch nach mir noch Jemand beim Baron gewesen wäre?«

»So spät? Man würde es nicht glauben.«

»Höchst wahrscheinlich doch. Hätte ich den Baron getödtet, so wäre derselbe doch von diesem Jemand todt aufgefunden worden und es hätte sofortige Anzeige erfolgen müssen. Das ist aber nicht geschehen.«

Er warf einen forschenden Seitenblick auf sie und fragte, indem seine Stimme einen belegten Klang annahm:

»So! Hm! Wollen Sie mir nicht eingestehen, daß dieser Jemand in das Reich der Fabel gehört?«

»Haben Sie vielleicht jemals bemerkt, daß ich gern fabulire?«

»Allerdings nicht. Sie sind mir im Gegentheil stets als realistisch, ja


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sogar als materiell oder substantiell vorgekommen. Aber heut will es mir scheinen, daß auch Sie es mit jenem berühmten Unbekannten zu thun haben, welcher in Untersuchungssachen eine so große Rolle zu spielen pflegt.«

»Sie wären zu dieser Vermuthung nur dann berechtigt, wenn mir Derjenige, von welchem ich behaupte, daß er nach mir beim Baron gewesen sei, nicht bekannt gewesen wäre. Ich habe ihn aber so genau recognoszirt, daß er der Strafe unmöglich entgehen kann. Ich weise nach, daß er der Mörder ist.«

»Donnerwetter!« rief er, sich von seinem Sitze erhebend. »Sie scheinen an jenem Abende ja ganz bedeutend spionirt zu haben!«

»Ich gebe das zu, füge aber die Bemerkung bei, daß ich Ursache dazu hatte. Ich war von einem Herrn, welcher vorgab, mich zu lieben, in den Garten bestellt worden. Er nahm diese Bestellung zurück. Dies erregte mein Mißtrauen und darum beobachtete ich ihn.«

Es begann ihm vor den Augen zu flimmern.

»Meinen Sie etwa mich?« fragte er. »Ich entsinne mich, an jenem Abende mit Ihnen ein Rendez-vous für Mitternacht verabredet zu haben.«

»Ja, Sie sind es, welchen ich meine!«

»Sie irren! Sie haben einen Anderen für mich gehalten!«

»O nein!« lächelte sie. »Liebende pflegen einander genau zu erkennen. Ich ahnte allerdings nicht, was geschehen war; aber ich wollte gern wissen, was Sie zu so später Stunde noch bei dem Barone zu thun gehabt hatten. Darum wollte ich mich unter irgend einem plausiblen Vorwand zu diesem begeben, bemerkte aber, daß Sie den Schlüssel abgezogen hatten. Er fand sich in der Tasche Brandt's. Sie haben im Walde Gelegenheit gefunden, ihn da hinein zu eskamotiren.«

»Weib! Mädchen!« rief er. »Was fällt Ihnen ein! Sie wollen sagen, daß ich der Mörder bin?«

»Ja,« antwortete sie ruhig und bestimmt.

»Sie sind nicht bei Sinnen! Sie leiden an Halluzination!«

»Ich habe diese Krankheit niemals gekannt. Sie wissen, daß neben den Anderen auch wir Beide, Sie und ich, in der Residenz zu erscheinen haben, um während der Verhandlung gegen Brandt als Zeuge zu dienen. Ich habe aus Rücksicht für Sie bisher gezögert; nun aber werde ich endlich die Wahrheit sagen müssen.«

»Warum haben Sie bisher geschwiegen?« fragte er beinahe höhnisch. »Man wird Ihnen nun nicht glauben!«

»Vielleicht doch. Ich hatte zwei sehr triftige Gründe, zu schweigen. Ihnen kann ich sagen, daß ich aus Rache gegen Brandt schwieg, da er die eigentliche Ursache vom Tode meines Bruders ist, und aus Liebe zu Ihnen, den ich nicht unglücklich machen wollte. Den Richtern aber werde ich sagen, daß mir die Verantwortlichkeit, welche ich auf mich zu laden habe, anfänglich zu schwer erschienen sei. Es handelt sich jedenfalls um ein Todesurtheil. Ich glaubte, daß man den Schuldigen auch ohne mich entdecken werde. Nun aber, da ich sehe, daß ein Unschuldiger verurtheilt werden soll, muß eine jede falsche


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Bedenklichkeit schwinden. Sie sehen ein, daß meine Aussage eine außerordentliche Wirkung hervorbringen wird.«

»Sie wird aber doch eine falsche sein!«

»O nein! Ich habe ganz genau erkannt und kann tausend Eide schwören, daß Sie es waren. Brandt behauptet, nicht geschossen zu haben, und Sie befanden sich unbemerkt in seiner unmittelbaren Nähe. Man wird diese Aussage mit der meinigen vergleichen; man wird weiter schließen und forschen; man wird zu Ergebnissen kommen. Mit einem Worte: man wird Sie an Brandt's Stelle in die Untersuchungszelle sperren.«

Er mußte einsehen, daß die Perspektive, welche sie ihm hier stellte, eine große Wahrscheinlichkeit für sich habe; er starrte ihr eine ganze Weile lang wortlos in das Gesicht, wendete sich dann rasch ab, schritt einige Male im Zimmer auf und ab und sagte endlich, vor ihr stehenbleibend:

»Wissen Sie, daß Sie ein Ungeheuer sind?«

»Ah! Wer ist ungeheuerlicher und abscheulicher, der Mörder oder die Zeugin, welche ihn seiner That überführt?«

»Aber ich bin ja gar nicht der Mörder!«

Da erhob sie sich von ihrem Sitze, legte die Hand auf seine Schulter und fragte ihn, indem sie ihren Blick flammend in sein Auge bohrte:

»Baron, wollen Sie, daß ich Sie verachte?«

»Verachten? Wieso?«

»Der Mord ist durch das Gesetz verboten; aber der Mörder ist doch ein muthiger Mann, vor dem eine Frau Respect haben muß, ja, für den sie sogar Sympathie empfinden kann. Wer aber seine That leugnet, und zwar vor einem Wesen, welches es herzlich gut mit ihm meint, der ist feig, der ist geradezu verächtlich.«

Sie drehte sich stolz von ihm ab. Sie war in diesem Augenblicke sinnberückend schön. Sie stand am Fenster; er sah ihr zornig schönes Gesicht, ihren glänzenden Nacken, ihre vollen Schultern und Arme, ihren üppigen Busen, welcher sich lebhaft auf und nieder bewegte. Er war ein gott- und rücksichtsloser, ein sinnlicher Mensch; es riß ihn zu ihr hin; er ergriff ihre Hand und fragte:

»Sie behaupten, daß Sie es herzlich gut mit mir meinen? Haben Sie da die Wahrheit gesagt, Ella?«

Sie drehte sich rasch zu ihm herum, warf ihm die Arme um den Nacken, drückte ihn fest und mit mehr als Innigkeit an sich und antwortete:

»Kannst Du daran zweifeln, Franz?«

»Muß ich nicht zweifeln, da Du gegen mich als Anklägerin auftreten willst? Du willst mich also in den Tod treiben!«

»Kann ich anders? Frage Dich selbst und gieb mir dann Antwort!«

»Ich begreife Dich nicht! Meine Antwort kann doch nur so lauten, daß man Den, welchen man liebt, nicht in das Verderben stürzt.«

»Willst Du nicht die Frage nach der Gegenliebe auch mit in Rechnung ziehen? Wenn ich schweige und ein Unschuldiger wird dadurch zum Tode verurtheilt, so bin ich seine Mörderin. Dieser Mord fällt so schwer auf das


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Gewissen, daß die Last nur durch das Glück, wieder geliebt zu werden, ausgeglichen wird.«

»Du meinst, daß Du schweigen würdest, wenn Du meiner Gegenliebe sicher wärst?«

»Ja, das will ich damit sagen.«

»So kenne ich keinen Grund, an meiner Liebe zu zweifeln!«

»Du selbst hast ihn mir vorhin an die Hand gegeben, als ich davon sprach, daß nur die privilegirte Liebe ein wirkliches Glück gewähren kann. Um einen Mord verschweigen zu können, muß ich nicht die Geliebte, sondern die Frau des Mörders sein!«

Da wand er sich aus ihrer Umarmung los und sagte:

»Das soll heißen, Du wirst mich denunziren, wenn ich Dir nicht gestatte, Baronin von Helfenstein zu sein?«

»Genau so!«

»Das ist zuviel verlangt! Das kann ich unmöglich gewähren. Der Stammbaum der Helfenstein darf nicht durch eine Mesalliance be- be- be-«

»Besudelt werden!« fiel sie ein. »Gut, Herr Baron! Wir sind also miteinander fertig, und es wird sich zeigen, wodurch ein Stammbaum mehr befleckt wird, durch eine Ehe oder einen Mord. Sie hatten die Wahl zwischen mir und dem Schafotte; Sie haben gewählt, und ich kann gehen.«

Sie warf mit einer entschlossenen Miene den Kopf zurück, griff zu ihrem Umhang, den sie um die Schultern nahm und entfernte sich.

Er ließ sie bis zum Hausflur kommen, dann aber übermannte ihn die Angst. Er wußte, wie resolut sie war, und fühlte sich überzeugt, daß das Bewußtsein, von ihm verschmäht zu sein, sie zur rücksichtslosesten Rache antreiben werde. Er eilte ihr nach, ergriff sie beim Arme und sagte:

»Bitte Ella, nicht so rasch entscheiden! Treten Sie wieder ein! Wir können ja sehr leicht ein Uebereinkommen treffen, welches Sie vollständig befriedigen wird.«

Sie schüttelte sehr ernst den Kopf und antwortete:

»Es giebt nur ein einziges solches Uebereinkommen, und das heißt nicht anders als 'Ehe'. Ich lasse mir nichts abhandeln.«

Da zuckte es wie ein schneller Entschluß über sein Gesicht. Er sagte sich, daß es sich doch nur um eine augenblickliche Befriedigung handele. That sie jetzt noch eine falsche Aussage vor Gericht, so konnte sie später gar nichts erreichen, sie hätte sich dann ja selbst anklagen müssen. Darum ergriff er ihre Hand und sagte im freundlichen Tone:

»Nun, wir werden wohl auch darüber einig zu werden wissen. Treten Sie nur ein, damit wir weiter verhandeln können.«

»Gut, ich will es noch einmal versuchen, sage es Ihnen aber ganz aufrichtig, daß ich nicht mit mir spielen lasse.«

Er führte sie in das Zimmer zurück und begann von Neuem:

»Würden Sie sich mit einer Geldbelohnung begnügen? Ich liebe Sie, ich liebe Sie sogar recht herzlich; aber ich kann doch unmöglich mit den Traditionen meiner Familie brechen!«


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»Indem Sie Mörder wurden, haben Sie mit denselben gebrochen. Oder sind vielleicht die Helfensteins alle und stets Mörder gewesen?«

»Sie nehmen das zu streng!«

»O nein, mein Lieber! Uebrigens, wie wollen Sie mir eine Gratification in Geld bezahlen. Ich weiß ja sehr genau, daß Ihre Verhältnisse vollständig derangirt sind. Sie wären wohl kaum im Stande, mir heut lumpige hundert Thaler zu zahlen. Ich bin ja selbst reicher als Sie, denn da mein Bruder keine Kinder hinterließ, bin ich seine einzige Erbin gewesen. Sie werden niemals ein Vermögen wie das meinige besitzen, obgleich dies kein bedeutendes ist. Auch in dieser Beziehung muß es Ihnen willkommen sein, wenn ich Ihnen meine Hand anbiete.«

»Sie irren! Ich bin der festen Ueberzeugung, daß ich einmal sehr reich sein werde.«

Sie erhob die Hand und drohte warnend mit dem Zeigefinger.

»Herr Baron, ich weiß, woran Sie denken. Ihren Berechnungen vermag ich sehr gut zu folgen!«

»Wieso?«

»Am Abende wurde der Baron ermordet, am anderen Morgen sein projectirter Schwiegersohn; Der, welcher Alma liebte, wird als Mörder hingestellt. Dadurch sind drei Personen aus dem Wege geräumt. Glauben Sie etwa, die Hand Alma's zu erhalten?«

»Nein.«

»Dies ist das einzige, ehrliche Wort, welches Sie mir heute gesagt haben. Alma wird überhaupt nicht die Herrschaft Helfenstein besitzen können; diese gehört ihrem Brüderchen, dem kleinen Robert. Leider aber bin ich überzeugt, daß der Knabe auch bald sterben wird.«

Der Baron erschrak. Ahnte dieses Mädchen seine Pläne wirklich so genau? Er versuchte in dem gleichgiltigsten Tone zu fragen:

»Wie? Sterben? Leidet er denn seit Kurzem an einer Krankheit?«

»Ja, und zwar an einer ebenso lebensgefährlichen wie unheilbaren.«

Seine Augen leuchteten befriedigt auf. So war also der Knabe krank geworden! Welch' ein Glück! Er fragte rasch:

»Welche Krankheit wäre das?«

»Ein Vetter, welcher ihn beerben will.«

Bei diesen Worten richtete sie ihre Augen so überlegen forschend auf sein Gesicht, daß er sich nicht zu beherrschen verstand. Er erröthete bis hinter die Ohren, faßte sich aber schnell und sagte:

»Sie sind boshaft, ganz verteufelt boshaft, Ella!«

»O nein, mein Lieber! Ich verstehe es nur, den Grund Ihrer Handlungen ausfindig zu machen. Doch, streiten wir uns darüber nicht! Sagen Sie mir einfach Antwort auf die Frage, welche ich an Sie richten muß!«

Er wiegte den Kopf hin und her und meinte endlich lächelnd:

»Ob ich mich von Ihnen heirathen lassen will?«

»Ja.«

»Nun, vielleicht finde ich mich d'rein!«


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»Ich mag kein Vielleicht hören! Antworten Sie bestimmt!«

Da legte er den Arm um sie, zog sie an sich und flüsterte zärtlich:

»Mädchen, Mädchen! Wenn ich Dich nur nicht so lieb hätte!«

Dabei küßte er sie auf den Mund, und zwar in jener Weise, welche den frivolen Roué zu kennzeichnen pflegt. Sie durchschaute ihn; sie wußte, daß er daran dachte, sie zu betrügen; aber sie ließ sich das nicht merken. Sie schlang vielmehr auch ihre Arme um seinen Hals, erwiderte seine Küsse so glühend, als ob sie an seine Liebe glaube und antwortete, indem ihr Gesicht vom Glück zu strahlen schien:

»Mehr als ich Dich liebe, liebst Du mich nicht. Also sag', soll ich Dich für immer besitzen? Soll ich Dein Weib werden?«

»Ja, ja, Du süßes, reizendes Wesen. Mögen die Angehörigen meines Standes mich verurtheilen; ich lache über sie, denn ich bin überzeugt, daß wir endlos glücklich sein werden!«

»Wenigstens meine Aufgabe wird es sein, Dich diesen Schritt niemals bereuen zu lassen.«

»Die meinige auch. Aber nun darf ich wohl auch in Beziehung auf Brandt ruhig sein?«

»Ja, mein Lieber! Vorausgesetzt natürlich, daß Du mir Garantieen bietest, denen ich vertrauen kann.«

»Garantieen verlangst Du?« fragte er enttäuscht.

»Natürlich!«

»Aber warum denn nur?«

»Siehst Du das nicht ein?« meinte sie, ihm sehr zärtlich die Wangen streichelnd. »Ich weiß, was für ein kleiner, liebenswürdiger Schäker Du bist. Ich halte Dich sogar für ein Wenig sehr vergeßlich. Wie nun, wenn Du nach der Verhandlung, nach Brandt's Verurtheilung nicht mehr an das dächtest, was Du mir versprochen hast?«

»Das ist ja ganz und gar nicht möglich!«

»O doch, o doch! Ich werde Dich vielmehr ersuchen, mir das Versprechen der Ehe schriftlich zu geben.«

»Alle Teufel! Wo denkst Du hin?«

»Du meinst, daß dies noch immer keine Sicherheit bietet? Ja, da hast Du Recht. Du wirst Dich also nachher mit mir zum Pfarrer bemühen, um ihm zu erklären, daß ich Deine Verlobte bin.«

»Verdammt! Das werde ich allerdings unterlassen!«

Ihr Gesicht nahm einen hoch ironischen Ausdruck an. Sie fuhr fort:

»Und sodann wirst Du mir das schriftliche Bekenntniß geben, daß Du den Baron Otto von Helfenstein ermordet hast.«

Da fuhr er empor, als ob er auf eine Schlange getreten sei.

»Was fällt Dir ein!« rief er. »Hältst Du mich für einen Dummkopf, für einen verrückten Menschen?«

»Nein, nein! Ich halte Dich für das, was Du bist: für einen Bösewicht, dem Alles zuzutrauen ist, dessen Frau ich aber dennoch werden will, weil ich sonst keinen Baron bekomme. Verstehst Du mich? Ich will Baronin von


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Helfenstein werden, oder Du gehst auf das Schafott. Die Ella oder die Guillotine - Du hast die Wahl!«

»Mädchen, ich wähle ja Dich! Aber Deine Forderungen sind ja geradezu beleidigend!«

»Deine Weigerung ist ebenso beleidigend. Ich will doch nicht haben, daß Du denken sollst, eine Frau zu bekommen, welche so leicht zu übertölpeln ist. Nein, Du sollst vielmehr Respect vor mir haben. Du sollst diesen Respect bereits heute bekommen. Du sollst sehen, daß wir einander vollkommen werth sind. Darum sage ich Dir aufrichtig, daß ich Dir nicht das mindeste Vertrauen schenke. Also, erkläre Dich! Ich brenne mir hier eine Cigarette an; wenn ich den letzten Zug gethan habe, ist die Bedenkzeit, welche ich Dir gestatte, zu Ende; dann werde ich handeln.«

Sie langte wirklich nach dem auf dem Tische stehenden Etui, brannte sich eine Cigarette an und begann zu rauchen. Sie legte sich so zierlich in die Lehne des Sophas zurück, als ob es sich um nichts als eine freundschaftliche Unterredung handele. Er aber befand sich in einer Lage, wie in seinem ganzen Leben noch nie.

Er schritt in seinem Zimmer auf und ab und suchte nach Gründen, auszuweichen; aber er fand sie nicht. Der Schweiß trat ihm auf die Stirn. Er wußte, daß sie nicht ein Pünktchen von ihrer Forderung streichen werde, und sah doch keine Möglichkeit, sich ihrer Hand zu entwinden. Da, jetzt warf sie das nicht zu rauchende Endchen von sich und sagte:

»Nun? Die Entscheidung! Ich gehe!«

Da blieb er vor ihr stehen und fragte in stockendem Tone:

»Was wirst Du machen, wenn ich nicht auf Deine Forderung eingehe?«

Sie zeigte ihm ein ruhiges, überlegenes Lächeln und antwortete:

»Etwas, woran Du gar nicht gedacht haben wirst.«

»Ach! Was könnte das sein?«

»Ich lasse Dich arretiren.«

Kaum hatte er diese Worte gehört, so war aus seinem Gesichte alle Farbe gewichen. Daß sie so etwas beabsichtigen könne, war ihm allerdings nicht in den Sinn gekommen; aber er kannte sie und wußte, daß sie dazu fähig sei.

»Arretiren?« fragte er. »Warum? Was fällt Dir ein?«

»Warum? Aus Vorsicht! Du könntest fliehen, ehe ich meine Aussage gethan habe. Oder Du könntest nun, da Du erfahren hast, was ich weiß, auf irgend eine Weise meinen Angaben zuvorkommen. Es ist daher allerdings am Besten, ich lasse Dich festnehmen.«

Sie stand vor ihm, als ob sie sein Richter sei.

»Weib,« sagte er, »Du bist wirklich ein Teufel!«

»O, nur eine Teufelin, Du aber ein Satan. Du siehst, wir passen sehr gut zusammen. Schade, daß Du es nicht willst!«

»Die Arretur würde Dir wohl nicht gelingen!« stotterte er.

»Warum nicht?«

»Weil es in diesem elenden Neste Niemand giebt, der sich an mir zu vergreifen wagen würde.«


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»Das ist wahr; aber ich habe meine Vorkehrungen getroffen. Deine Person ist mir sicher, entweder als Gemahl oder als Gefangener.«

Da machte er einen letzten Versuch. Er wollte sehen, ob sie einzuschüchtern sei. Daher meinte er, die Achsel zuckend:

»So sicher denn nun wohl nicht. Ich glaube vielmehr, daß ich Dich viel sicherer habe als Du mich.«

Sie zuckte ebenso die Achsel wie er und fragte lächelnd:

»Wieso?«

»Nun, ich habe Dich ja hier in meiner Behausung! Wie nun, wenn Du dieselbe nicht wieder verläßt, wenigstens nicht lebendig?«

Ihr Gesicht zeigte nicht eine Spur von Angst oder Schreck. Sie sagte:

»Du beurtheilst mich viel, viel zu falsch. Ich weiß, daß ein Mörder im Stande ist, eine zweite Person zu tödten, wenn er sich dadurch Sicherheit verschaffen kann. Daher habe ich meine Maßregeln getroffen. Ich bin nicht ohne Begleitung hier. Man hat mich bei Dir eintreten sehen; man wird mich, wenn meine Abwesenheit zu lange dauert, hier abholen und von Dir fordern. Uebrigens bin ich nicht unbewaffnet und würde mich zu wehren wissen. Also entscheide Dich! Ich brauche nur einen Wink durch das Fenster zu geben, so kommen meine Begleiter und Du bist Arrestant. Dein Unglück ist dann nicht mehr rückgängig zu machen.«

Was sie sagte, war keineswegs Alles wahr! Sie befand sich ganz allein hier und dachte gar nicht an seine Arretur. Aber als sie jetzt an das Fenster trat und dasselbe zu öffnen begann, überkam ihn eine entsetzliche Angst. Er sagte sich, daß er jetzt nicht in der Lage sei, es mit diesem Weibe aufzunehmen und daß ihm die nächsten Tage oder Wochen vielleicht bessere Chancen bieten würden, sie loszuwerden. Daher hielt er ihren Arm zurück und sagte:

»Halt! Rufen Sie Niemand herbei! Sie sollen Ihren Willen haben!«

Sie wendete sich langsam zu ihm um und fragte:

»Das heißt, ich soll Baronin von Helfenstein werden?«

»Ja.«

»Sie geben mir die schriftliche Zusicherung nebst Siegel und Unterschrift?«

»Ja.«

»Gehen mit mir zum Pfarrer?«

»Zum Teuf - - ja, zum Pfarrer!«

»Und schreiben dann auch nieder, daß Sie der Mörder des Barons sind?«

»Ja. Ich gebe Ihnen Siegel und Unterschrift dazu.«

Da glitt ein überlegenes Lächeln über ihr Gesicht.

»Sie halten mich für dümmer, als ich bin,« sagte sie. »Auf diesem Documente würde mir Datum und Siegel nur schaden, auch die Unterschrift. Durch das Datum würde nachgewiesen, daß wir unser Uebereinkommen vor Brandt's Verurtheilung getroffen haben; ich würde also Ihre Mitschuldige, eine Verbrecherin sein und könnte, ohne mich selbst in die größte Gefahr zu bringen, von diesem Documente gar keinen Gebrauch machen.«

»Verdammt raffinirt!« stieß er hervor.

»Allerdings! Das muß man sein, wenn man mit lachender Miene einen


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Mörder heirathet! Wie leicht können Sie auf den Gedanken kommen, auch mich aus der Welt zu schaffen, um wieder in den Besitz Ihrer Unterschrift zu kommen. Aber ich fürchte mich nicht. Ich werde meine Maßregeln so treffen, daß Sie mir nichts anhaben können, ohne sich selbst zu verderben. Ich werde Ihnen das, was Sie über den Mord niederschreiben, dictiren.«

»Ah! Warum?«

»Das werden Sie merken, ohne daß ich es Ihnen sage. Wir werden da mitten im Satze und ganz oben auf der ersten Seite eines Briefbogens beginnen, so daß das Document als Theil eines Briefes erscheint, den Sie fortschicken wollten, aber nicht fortgeschickt haben.«

»Mädchen! In Ihnen wohnt, weiß Gott, eine ganze Hölle!«

»Aber auch ein ganzer Himmel, lieber Franz!« lachte sie. Und indem sie ihn umarmte und küßte, fuhr sie fort: »Du wirst die Wahl zwischen dieser Hölle und diesem Himmel haben. Komm, sei gescheit, und wähle den Letzteren. Nimm Papier zur Hand und schreibe. Dann gehen wir zum Pfarrer, und die Sache ist abgemacht!«

Er konnte nicht anders. Halb gezwungen und halb ihren verführerischen Liebkosungen folgend, brachte er die nöthigen Schreibrequisiten zum Vorschein. - Eine Stunde später sah man sie Arm in Arm durch das Dörfchen gehen und hinter der Thür des Pfarrhauses verschwinden. - -

Der Tag, an welchem die Untersuchung gegen Brandt verhandelt werden sollte, kam heran. Er war durch die Zeitungen verkündigt worden, und alle Welt nahm an dieser Angelegenheit den regsten Theil.

War er schuldig oder unschuldig? So fragte man sich. Die Stimmen waren getheilt; aber die große Hältte derselben fand sich auf seiner Seite. Es war nicht das Mindeste verschwiegen geblieben. Da der Untersuchungsrichter nichts Neues aufzufinden vermocht hatte, so befand sich das Publikum im vollsten Besitze aller Thatsachen, welche für oder gegen ihn sprachen. Mit dem lebhaftesten Bedauern sagte man sich, daß der Mensch Theil für ihn nehmen müsse, der Jurist ihn aber verurtheilen werde.

Da der Andrang zur Verhandlung voraussichtlich ein übermäßiger sein wurde, so waren Karten ausgegeben worden. Nur bevorzugte Persönlichkeiten hatten Zutritt erlangt. Aber draußen vor dem Gerichtspalaste hatte sich bereits am frühen Morgen eine ansehnliche Menschenmenge versammelt, um die Zeugen ankommen und aussteigen zu sehen.

Als dieselben ihre Plätze eingenommen hatten, wurde der Angeklagte in den Saal geführt. Die Monate lange Haft war nicht ohne Wirkung auf sein Äußeres geblieben; aber der Eindruck, welchen er machte, war ein durchaus guter.

Weder furchtsam und frech, sondern offen und muthig, mit dem Ausdrucke eines Mannes, welcher sich zwar in einer gravirenden Lage, aber schuldlos in derselben weiß, blickte er sich im Saale um. Sein Auge blieb nur an Zweien haften, auf Baronesse Alma und auf seinem Vater, welche Beide auch als Zeugen anwesend waren.

Die Erstere hielt die Augen niedergeschlagen; der Letztere aber sah seinen


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Sohn an und blickte dann wie triumphirend zu den Richtern hinüber, als wollte er ihnen sagen:

»Seht ihn an, Ihr Herren! Hat er das Aussehen eines Mörders, eines Menschen, der sich schuldig fühlt! Hört, Ihr werdet ihn wohl freisprechen müssen!«

Er konnte nicht hinüber zur Anklagebank, aber er winkte Gustav einen freundlichen Gruß hinüber und machte dabei ein Gesicht, dem man es ansah, daß es nichts Anderes bedeuten solle als:

»Kopf hoch, mein Junge! Sie werden Dir nichts anhaben können!«

Es wurde begonnen. Der Vorsitzende machte das Auditorium mit dem vorliegenden Falle bekannt; der Angeklagte wurde vernommen und dann die einzelnen Zeugen. Gustav antwortete ruhig und ernst; es war ihm keine Aufregung, weder diejenige der Angst, noch die des Zornes anzumerken. Er gab der Wahrheit die Ehre, und mehr konnte er nicht.

Unter den Zeugen wurde besonders Baronesse Alma scharf beobachtet. Es war ja von gewisser Seite die Behauptung aufgestellt worden, daß Brandt ihr heimlicher Geliebter gewesen sei und nur deshalb ihren Vater und Verlobten beseitigt habe, um desto ungehinderter in ihren Besitz zu gelangen. Sie wurde sogar über diesen Umstand vernommen, blieb aber bei der entschiedenen Behauptung, daß zwar ein brüderlich zärtliches, nicht aber ein sogenanntes Liebesverhältniß zwischen ihnen obgewaltet habe. Zuletzt noch befragt, ob sie den Angeklagten wirklich für des Mordes an dem Hauptmanne schuldig halte, erklärte sie, indem ihre Stimme zitterte und ihr schönes Angesicht die Bleiche des Todes angenommen hatte:

»Ich weiß, welches Gewicht man auf meine Antwort legen wird. Mein Herz gebietet mir, Milde walten zu lassen; aber ich hörte den Wortwechsel zwischen ihm und dem Hauptmanne; ich sah den Todten liegen und die Flinte in der Hand des Angeklagten rauchen; ich bin überzeugt, daß er der Thäter ist. Ich darf nicht meinem Herzen, sondern ich muß meiner Pflicht und meinem Gewissen folgen. Gott wird mir verzeihen und gnädig sein, wenn ich mich irre!«

Nach diesen Worten brach sie kraftlos zusammen.

Eine tiefe, unheimliche Stille war eingetreten. Aller Augen hingen an Brandt, um zu sehen, welchen Eindruck diese Worte auf ihn gemacht hatten. Aber als dann der Vorsitzende fragte: »Was hat der Angeklagte dazu zu sagen?« da erhob sich Gustav und antwortete in festem aber mildem Tone:

»Gott wird ihr verzeihen, denn sie spricht aus Ueberzeugung. Sie kann nicht wissen, was in der einen Minute, welche zwischen ihrem Gehen und ihrer erschrockenen Wiederkehr lag, geschehen ist. Ich zürne ihr nicht; ja, ich würde sie weniger achten können als jetzt, wenn sie anders gesprochen hätte.«

Der Eindruck dieser Antwort war ein günstiger. Es ging ein Flüstern durch den Zuhörerraum, aus dem man die Worte entnahm:

»So kann nur ein Unschuldiger sprechen!«

Die Aussagen des Barons und der Zofe waren natürlich im höchsten Grade beschwerend. Sie warfen eine Last auf den Gefangenen, welche derselbe nicht abzuschütteln vermochte. So, wenn auch weniger, war es auch mit den Deponirungen der meisten anderen Zeugen.


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Jetzt erhob sich der Staatsanwalt. Seine Rede war scharf und schneidig wie das Schwerdt, dem der Angeklagte verfallen sollte. Als er geendet hatte, sagte sich das Auditorium, daß Brandt verloren sei.

Dann begann der Verteidiger sein Plädoyer. Er erging sich nicht in kühnen Wortspielen, er appelirte nicht mit schön klingenden Worten an das Gefühl der Richter. Er sprach einfach und würdevoll. Der Hauptpunkt seiner Rede bestand in dem Versuche, nachzuweisen, daß sein Client nicht der Einzige sei, auf den der Verdacht zu fallen habe.

»Wer hat,« fragte er, »der Comtesse von Helfenstein erwiesener Maßen eine fruchtlose Liebeserklärung gemacht? Wer hat sich dahin geschlichen gehabt, wo die beiden Schüsse fielen? Wer befand sich im Schlosse als Gast, so daß der Zutritt zum Barone ihm an jedem Augenblicke möglich war? Was beweist das Rasirmesser und der Schlüssel? Das erstere ist dem Angeklagten gestohlen und der letztere ihm unbemerkt in die Tasche gesteckt worden.«

Bei dieser Auslassung richteten Aller Augen sich auf Baron Franz. Er war erbleicht, aber er schien gänzlich unberührt zu bleiben. Der Verteidiger fuhr fort:

»Der, welchen ich meine, hatte Absicht auf die Baronesse. Um zu ihrer Hand zu gelangen, mußte er Diejenigen entfernen, welche ihm hinderlich waren - ich meine ihren Vater, ihren Verlobten und ihren Milchbruder, den er für ihren heimlich Geliebten hielt. Die Ersteren entfernte er, indem er sie tödtete, den Letzteren dadurch, daß er den Verdacht des Mordes auf ihn warf. Die Umstände kamen ihm dabei ganz trefflich zu statten, und er verstand es, sie mit teuflischer Schnelligkeit zu benutzen. Gegen ihn sprechen wenigstens ebenso viele Gründe und Beweise wie gegen den Angeklagten.«

Der brave Mann stand der Wahrheit wirklich so nahe, wie er überzeugt war; aber er wurde von dem Staatsanwalte zurückgewiesen, welcher den Grund, der Brandt noch so spät in das Schloß getrieben hatte, gradezu unsinnig nannte. Der Ruf, welchen die Pascher ausgesprochen haben sollten, der Ruf der Rache »an den Helfensteiner«, war seiner Ansicht nach so unglücklich ersonnen, daß diese offenbare Lüge dem Angeklagten mehr Schaden als Nutzen bringen müsse.

Nach diesem wurde das Resummee gezogen und dann der Angeklagte gefragt, ob er noch etwas zu bemerken habe. Er erhob sich und erklärte mit lauter, sicherer Stimme:

»Meine Herren! Der Angriff gegen Denjenigen, welchen ich allein für schuldig halte, ist abgewiesen worden. Gott wird ihn richten. Ich stehe hier vor dem Allwissenden und Ihnen. Der Vater im Himmel, welcher die Gedanken seiner Kinder kennt, weiß, daß ich unschuldig bin. Sie, meine Herren, können dies nur ahnen und fühlen, aber Sie müssen nach dem Buchstaben des Gesetzes entscheiden. Dieses Gesetz steht über mir und Ihnen; aber wenn Sie mich zum Tode verurtheilen, begehen Sie einen Justizmord, so wahr ich hoffe, trotz eines durch das Schwert erlittenen Todes dennoch selig zu werden. Meine Herren, thun Sie jetzt Ihre Pflicht!«

Hundert Augen standen unter Thränen. Gustav Brandt wurde abgeführt


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und die Geschworenen traten in das Berathungszimmer. Sie nahmen es mit diesem Falle so genau und ernst, wie er es verdiente; ihre Abwesenheit währte über zwei Stunden. Während dieser Zeit hatte sich von der Zuhörerschaft kein Mensch und von den Zeugen nur ein Einziger entfernt: Alma von Helfenstein, welcher es natürlich unmöglich war, länger zu bleiben.

Endlich kehrten die Geschworenen zurück und der Angeklagte wurde wieder geholt. Er richtete sein Auge fest und forschend auf den Obmann der Ersteren, und dieser verkündigte, daß die Herren, obgleich sehr viel für den Angeklagten spreche, doch die überzeugendsten Gründe gegen ihn seien, ungern, aber nach bester Ueberzeugung ein »Schuldig« ausgesprochen hätten.

Ein lautes Summen ging durch den Saal. Das hatte man kaum erwartet. Man vergaß, daß die Geschworenen nur die Schuldfrage zu beantworten haben; sie hatten nicht anders gekonnt.

Brandt's Angesicht war starr und ausdruckslos. Er hatte gewußt, was kommen werde, ja kommen müsse. Aber nun es gekommen war, mußte er seine ganze Selbstbeherrschung zusammen nehmen, um zu verbergen, mit welcher Gewalt ihn der erwartete Schlag getroffen hatte.

Auf Grund des Verdictes wurde verkündigt, daß er zum Tode durch das Schwerdt verurtheilt sei, daß man aber beschlossen habe, Seiner Majestät, dem Könige, ein Gesuch um Verwandlung der Todesstrafe zu unterbreiten.

Diese Entscheidung war kaum ausgesprochen, so sprang der alte Förster von seinem Platze auf. Er war von dem Urtheile ebenso schwer betroffen worden wie sein Sohn; er hatte sich wie zerschmettert gefühlt; aber das, was er jetzt hörte, war ihm zu viel. Diese Zumuthung war seiner Anschauung nach zu stark. Darum rief er mit lauter Stimme:

»Junge, Du bist unschuldig! Gott und mein Herz sprechen Dich frei. Ein Unschuldiger bedarf der Gnade nicht. Wer um Gnade nachsucht, giebt seine Schuld zu. Darum laß' Dich hinrichten, laß' Dich hinrichten! Das ist mir keine Schande. Aber Dich lebenslang im Zuchthause zu wissen, weiß Gott, das giebt mir und Deiner Mutter den augenblicklichen Tod!«

Das war so schnell gekommen, daß der Vorsitzende gar keine Zeit gefunden hatte, ihm das Wort zu verbieten. Jetzt aber drehte sich der Alte selbst zum Gehen um und rief:

»Leb wohl, Gustav! Vor Deinem Tode siehst Du mich und die Mutter noch einmal. Halte den Kopf hoch! Ich sterbe nicht eher, als bis ich den Schuldigen massacrirt habe!«

Damit war der brave Forstmann zur Thür hinaus. Daß er wegen dieses herzhaften Verhaltens bestraft werden könne, kam ihm gar nicht bei.

Der Verurtheilte wurde abgeführt, und die aufgeregte Zuhörerschaft verlief sich nur langsam aus dem Saale. Die vor dem Palaste versammelte Menge zerstreute sich lärmend, um das Urtheil in der Residenz zu verbreiten.

Alma war nach ihrem Hotel gegangen, um das Ergebniß dort zu erwarten. Was sie in letzter Zeit erlitten hatte, schien so schwer, daß sie sich wunderte, es ertragen zu haben.

Jetzt ging sie weinend und händeringend im Zimmer hin und her.


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»Ich konnte nicht anders; ich konnte wahrhaftig nicht anders!« schluchzte sie. »Ich werde schuld sein, daß man ihn zum Tode verurtheilt; aber ich werde es wieder gut machen, indem ich sofort zum König eile und persönlich um Gnade für ihn bitte. Der Wagen wartet angespannt vor der Thür.«

Endlich, nach mehr als zwei langen, langen Stunden kam ihr Diener, den sie im Verhandlungssaale zurückgelassen hatte. Sie stürzte sich ihm förmlich entgegen, um zu fragen:

»Nun? Schnell, schnell! Was für ein Urtheil ist gefallen!«

"Schuldig!"

»Schuldig!« antwortete der Mann, welcher selbst sehr tief ergriffen war.

»Schuldig!« schrie sie auf. »O, mein Gott! So ist er zum Tode verurtheilt worden?«

»Ja! Und gnädiges Fräulein, jedermann schwört darauf, daß er unschuldig ist. Sie müssen ihn retten!«

»Sofort, sofort! Der Wagen steht doch unten?«

»Ja, wie verabredet war.«

»So komm! Ich muß augenblicklich in das königliche Schloß!« - -

Gegen den Abend desselben Tages ging es bei dem Todtengräber von Helfenstein sehr hoch her. Es war sein Geburtstag, und da hatte seine Alte einen mächtigen Napfkuchen gebacken. Es war zwar wenig Butter und gar kein Zucker zu demselben verwendet worden, dafür aber war er gewaltig angebrannt, so daß die Hausfrau den Napf hatte zerbrechen müssen, um zu dem Kuchen zu kommen.

Sie saßen Beide mit einander am Fenster und blickten sehnsüchtig den Berg hinab. Der Gottesacker lag nämlich oben auf der Höhe und stieß an den dichten Wald. Ein Weg führte hinab in das Dorf, und auf diesem Wege mußten die beiden Männer, welche sie geladen hatten, heraufkommen - der Schmied und sein Sohn.

Der Todtengräber hatte einen Sohn, bei welchem der Schmied Pathe gestanden hatte. Dieser Sohn war Soldat gewesen und dann in einem Gasthöfchen der Residenz Hausknecht geworden, hatte sich aber seit längerer Zeit nach einer anderen Stelle umgesehen. Er wäre für sein Leben gern in 'königliche Dienste' getreten, wie er sich ausdrückte, um 'Staatsdienste' zu bezeichnen. Er war gewohnt, den Eltern alljährlich am Geburtstage des Vaters einen Schreibebrief zu senden. Dieser Brief war heut auch pünklich angekommen, da aber der Schreiber desselben keineswegs zu den 'Helden der Feder' gehörte, und weder der Todtengräber noch seine Frau gelernt hatten, egyptische Hieroglyphen zu entziffern, so hatten sie sich hierbei stets auf fremde Hilfe verlassen müssen.

Der Schmied war also der Gevatter der beiden alten Leute, stand aber zu dem Todtengräber auch noch in einem anderen, freilich sehr geheimen Verhältnisse. Der Letztere gehörte nämlich grad so wie der Erstere, zu den Schmugglern. In einem alten Erbbegräbnisse, welches in der hinteren Ecke des Kirchhofes lag, befand sich nämlich eine verborgene Niederlage von Schmuggelwaaren, von deren Vorhandensein nicht einmal die Todtengräberin eine Ahnung hatte. Darum kam der Schmied mit seinem Sohne oft herauf, um den Gevatter zu besuchen, und


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hatte auch gestern die Einladung erhalten, den Napfkuchen mit verzehren zu helfen.

Er hatte freundlichst zugesagt und versprochen, außer seinem Sohne auch noch ein Fläschchen echten, guten Nordhäuser mitzubringen. Ein Spielchen verstand sich von selbst.

Jetzt stand der Napfkuchen bereit; die Karte lag dabei und der Brief ebenso. Der Schmied konnte lesen; das verstand sich ja ganz von selbst, da er zugleich Schänkwirth war, und ihm oder seinem Sohne fiel also die Aufgabe zu, die Epistel des Hausknechtes zu enträthseln.

Lange hatten die Beiden vergeblich gewartet. Endlich erblickten sie die so sehr Ersehnten, welche mit langsamen, weiten Schritten dahergestiegen kamen. Sie wurden freundlich empfangen, und als der Wirth die Flasche aus der Tasche zog, war die Freude eine doppelte. Man setzte sich. Der Napfkuchen wurde angeschnitten. Zwar wollten beim Kauen die Zähne zusammenkleben, aber der Nordhäuser biß sie wieder auseinander. Da sah der Wirth den Brief liegen.

»Aus der Residenz?« fragte er.

»Ja,« nickte die Alte ganz selig.

»Schon gelesen?«

»Nein. Er ist ja noch zu.«

»Warum lest Ihr ihn denn nicht?«

»Hm!« schmunzelte sie. »Mein Alter hat seine Brille verlegt, und in meiner Nasenquetsche ist ein Glas zerbrochen. Der Glaser hatte kein passendes. Wer soll da lesen!«

»Na, so will ich Euch helfen. Soll ich ihn aufmachen und vorlesen?«

»Ja, sei doch so gut, Gevatter!«

Der Brief steckte in keinem Couverte; er bestand in einem dicken Bogen Notenpapier, welches zusammengelegt und mit Mehl und Wasser zugeklebt war. Der Schmied versuchte, das wieder auseinander zu bringen. Es gelang, und dann las er unter vielen Mühen folgendes:

          »Libber Vater und treue Mudter!
Ich ergreife die zwei Väter, die ich gekaubt hawe, um Eich zu Schreiwen, das Ihr gesund und wohl Ich Eich winsche; Graht so auch wie ich!!! Eier Geburzdach ißt zwaar nur dem Vater seiner, abber mein Hertze freiet sich doch könichlig, weil ich itzt entlich könichliger Diehner pin!!!!!!!! Ich habbe nähmlig 1ne Stehle bekomm alls Schliesßer beim könichligen Landesgerricht, wo itzt der Brandts Gußdav zum Dohte verurrdeilt wärden soll. Ich habbe es kut; abber Ich mechde dem Wagdmeißter 1 Sahk Kahrdoffeln schänken. Schiekt Mir 1en Sahk Kahrdoffeln!!!! Die Stiffelbahndoffln gönnt Ihr behallden, weil Ich stähts inn Uhnifform seun muhst. Habt Ihr viel Dohdte bei Euch? Grießt und kißt mir die Garliene und die Kußtel. Wellge von den 2 Ich heurade, daß weuß Ich noch niecht, denn Sieh möggens Ruig abwahrten!!!! Bleubt gedrei eiern guhten Soohn unt Krißtjan!!!!«

Der Inhalt dieses Briefes brachte bei den Eltern natürlich große Freude hervor. Ihr Sohn Schließer beim königlichen Landesgerichte! Das mußte


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natürlich so bald wie möglich das ganze Dorf erfahren, aber sie konnten doch unmöglich die beiden Gäste verlassen!

»Schließer beim Landesgerichte!« meinte der Todtengräber. »Das muß ein bedeutender Posten sein!«

»Natürlich!« antwortete der Schmied, indem er seinem Sohne einen heimlichen Blick zuwarf.

»Da hat er wohl auch Brandts Gustav gesehen?«

»Wahrscheinlich. Vielleicht ist er sogar in der Verhandlung gewesen, welche heut abgehalten wird.«

»Dabei hätte ich auch sein mögen! Wie wohl das Urtheil ausfallen wird?«

»Er wird jedenfalls zum Tode verurtheilt.«

»Herrgott!« meinte die Alte, indem sie die Hände zusammenschlug. »Ich will aber wetten, daß er unschuldig ist!«

»Ich auch,« meinte ihr Mann, indem er zur Bekräftigung seiner Meinung einen Nordhäuser tödtete.

»Ich ebenso!« fügte der Schmied bei. »Ein Trost ist es, daß man ihn nicht hinrichten wird. Der König muß ihn begnadigen.«

»So kommt er wieder frei?«

»Bewahre! Wer zum Tode verurtheilt ist, kann nur zu lebenslänglichem Zuchthause begnadigt werden.«

»Herr Jesus! Ist das nicht noch schlimmer als der Tod?«

»Freilich, freilich! Aber wer weiß, was geschieht! Der Brandt ist kein Dummkopf, der sich ruhig einstecken läßt.«

Dabei warf er abermals einen heimlichen Blick auf seinen Sohn, den dieser mit einem leisen Nicken beantwortete. Dann fuhr er fort:

»Was hat denn da im Briefe Euer Christian mit den Stiefelpantoffeln gemeint?«

»Er hat sie hier gelassen, als er zum letzten Male auf Urlaub zu Hause war. Wir sollten sie ihm nachschicken. Aber weil er jetzt nun in großer Uniform geht - - hm, die Stiefelpantoffel müssen doch für einen königlichen Schließer nicht gut passen!«

»Das glaube ich auch. Und was meint er mit den Kartoffeln?«

»Hm! Das weiß ich selbst nicht. Er will sie dem Wachtmeister schenken. Vielleicht hat dieser ihm zu der Stelle verholfen.«

»So wird es sein. Wie aber wollt Ihr den Sack Kartoffeln nach der Residenz bringen?«

»Ja,« meinte der Alte, indem er sich hinter den Ohren kratzte. »Das ist ein schlimmes Ding! Mit der Eisenbahn oder mit der Post?«

»Vielleicht weiß ich Hilfe. Ich will übermorgen einen Verwandten besuchen, und da komme ich an der Residenz vorbei.«

»Ah! Willst Du so gut sein und die Kartoffeln mitnehmen?«

»Gern!«

»Abgemacht, Gevatter! Ich sacke sie morgen ein und bringe sie Dir hinunter. Aber, da, hm, ich muß hinaus. Da kommt ja schon das Begräbniß!«


Ende der dritten Lieferung - Fortsetzung folgt.



Karl May: Der verlorne Sohn

Karl May – Forschung und Werk