Lieferung 14

Karl May

15. November 1884

Der verlorne Sohn
oder
Der Fürst des Elends.

Roman aus der Criminal-Geschichte.


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»Meinen Sie etwa, daß ich ein Bataillon Husaren mitnehmen soll?«

»Das nicht, aber -«

»Was, hm! Ich brauche keinen Menschen! Ich habe zwei Leitern nöthig: Eine bis zum Fenster des zweiten und eine bis zu demjenigen des dritten Stockes. Diese Feuerwehrleitern sind sehr leicht. Ich trage zwei Dutzend und noch mehr.«

»Aber wenn Etwas passirt!«

»Was soll passiren? Denken Sie, daß ich so dumm bin wie mein Bruder, der sich erwischen läßt? Höchstens einen Mann Wache könnte ich gebrauchen, der draußen vor der Hofmauer stehen bleibt und aufpaßt, daß ich nicht unversehens überrascht werde.«

»Gut! Das ist mir lieb! Ich möchte doch gerne gewiß sein, daß Alles ohne Hinderung verläuft.«

»So wollen Sie selbst mitgehen?«

»Ja.«

»Mir auch recht. Wann?«

»Nicht zu früh. Möglichst gegen Morgen, da um diese Zeit die Leute am Tiefsten schlafen.«

»Wo treffen wir uns?«

»Soll ich Sie hier abholen?«

»Ich bin es zufrieden. Haben wir noch Etwas zu besprechen?«

»Wohl nicht. Ich denke, daß wir fertig sein werden.«

»Sie irren sich,« meinte der Riese lächelnd.

»Nun, was noch?«

»Das Geld!«

»Ach ja! Das ist für Sie doch die Hauptsache. Oder nicht?«

»Das will ich meinen! Donnerwetter, ohne Geld würde ich nicht ein einziges Fingerglied bewegen! Also zweihundert Gulden!«

»Ja.«

»Heraus damit!«

»Oho! So schnell geht das nicht! Meinen Sie, daß man eine Arbeit bezahlt, noch ehe sie begonnen worden ist?«

»Ich betrüge Sie nicht!«

»Das weiß ich; auch bin ich gar nicht der Mann, der sich so leicht betrügen läßt!«

»Wollen Sie etwa erst nach Schluß der Oper bezahlen?«

»Eigentlich sollte ich es; denn man kann nicht genug vorsichtig sein!«

»Sackerment! Geht das auf mich?«

»Ja.«

»Das will ich mir verbitten! Ich wiederhole, daß ich Sie nicht betrüge!«

»Und ich wiederhole, daß ich das weiß. In Geschäften sind Sie ehrlich, aber wie steht es denn mit der Zuverlässigkeit?«

»Was meinen Sie?«

Der Rothe deutete auf die leere Schnapsflasche und antwortete:


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»Hier! Wenn ich Ihnen Geld gebe, so werden Sie so lange trinken, bis Sie nicht mehr können. Komme ich dann, so kann ich Sie nicht mehr gebrauchen.«

Der Riese blickte eine Weile vor sich nieder; dann sagte er:

»Hm! So ganz unrecht haben Sie freilich nicht!«

»Nicht wahr?«

»Ja. Ich bin ein verfluchter Kerl! Die Bulle hat es mir nun einmal angethan. Ich möchte gern wieder zu einer Künstlertruppe kommen; aber wenn ich heute trinke, so wird nichts daraus.«

»Also ist es besser, ich zahle jetzt nichts.«

»Gut! Der Gulden reicht bis heute Abend.«

»Abgemacht also! Adieu!«

Er erhob sich und reichte dem Anderen die Hand hin.

»Oho!« sagte dieser und zog die seinige schnell zurück.

»Was denn noch?«

»Jetzt sage ich, wie Sie vorhin, daß es nicht so schnell geht. Wir sind noch nicht fertig.«

»Ich wüßte nichts Weiteres.«

»Es ist auch nichts Weiteres; es handelt sich nur noch um das Geld. Nämlich, Sie sagen, daß ich es heute Abend erhalten soll. Aber zu welcher Zeit denn?«

»Wenn wir fertig sind.«

»Das fällt mir nicht ein! Ehrliches Spiel verlange ich!«

»Ich werde ja ehrlich sein!«

»Nun, so theilen wir die Summe. Die eine Hälfte geben Sie mir, wenn wir aufbrechen, und die andern Hundert erhalte ich, wenn ich mit der Geschichte fertig bin!«

»Auch darauf gehe ich ein!«

»Topp?«

»Topp!«

Sie schlugen mit einander ein und gingen dann auseinander.

Der Rothe blieb in dieser Stadtgegend. Er schritt am Wasser hin, bog in ein enges Gäßchen ein und blieb dann vor einem alten Hause stehen, welches so schmal war, daß neben der niederen Thüre nur zwei schmale Fensterchen Platz gefunden hatten.

Er klopfte. Ein Gesicht erschien an dem einen fast ganz erblindeten Fenster; dann dauerte es immer noch eine Weile, bis die verschlossene Hausthüre geöffnet wurde. Ein langer, hagerer Mann erschien, welcher nur aus Haut und Knochen zu bestehen schien. Sein Kinn war spitz; seine Nase war spitz, und sein Blick war am allerspitzigsten. Er musterte den Ankömmling und fragte dann:

»Zu wem wollen Sie?«

»Zu Ihnen?«

»Kennen Sie mich?«


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»Sehr gut.«

»Wo? Oben oder unten?«

»Unten.«

»Hinten oder vorn?«

»Ganz hinten.«

»Ah! Sie sind - ein - ein -«

»Halten Sie den Mund, und lassen Sie uns eintreten!«

Er drängte sich in den engen Flur und trat in die Stube. Ein entsetzlicher Dunst schlug ihm entgegen. Fünf häßliche Frauenzimmer saßen an einem Tische und waren beschäftigt, Cigarren zu machen. Der angefeuchtete Taback lag auf der Diele, unter dem Tische, unter dem Ofen, unter den Stühlen, auf den Fensterbrettern, kurz überall. Der Brodem war nicht zum Aushalten. Und wie es in der Stube aussah, so sahen auch die Frauenzimmer aus.

Sie glotzten den Ankömmling neugierig an, sagten aber kein Wort, sondern rollten ohne Pause ihre Wickeln weiter.

Der Alte deutete auf die Ofenbank und sagte:

»Setzen Sie sich, wenn Sie nichts Außerordentliches bringen, und brennen Sie sich eine Cigarre an. Neubacken schmecken sie am Allerbesten.«

»Danke, danke!«

»Warum denn nicht? Jette, gieb dem Herrn eine!«

Die, welche angeredet worden war, war die Kleinste und auch die Hübscheste. Aber dennoch hätte ein wahrer Heldenmuth dazu gehört, ihr nur die Hand zu reichen.

Sie nahm einen Wickel, rollte ihn in den Decker, drehte die Spitze an, klebte sie mit Kleister zu, welcher ganz wie Teichschlamm aussah und noch schlimmer stank, und als dieses Bindemittel noch nicht recht halten wollte, spuckte sie darauf und strich es sorgfältig glatt. Dann hielt sie dem Fremden die prachtvolle Habanna caballeros liebreich entgegen.

Er machte ein Gesicht, als ob er im Sterben liege, wehrte mit beiden Händen emsig ab und sagte:

»Danke, danke, Frau Henriette! Ich rauche nie, niemals! Meine Brust ist schwach; sie kann den Taback nicht vertragen.«

»Wie?« fragte der Alte. »So genau kennen Sie meine Familie? Sie wissen, daß Jette verheirathet war?«

»Wie Sie sehen, lieber Doctor!«

»Doctor? Himmelelement, Sie sind ein nobler Kerl!«

»Das bin ich stets, und ich hoffe, es Ihnen auch heute zu beweisen.«

Dabei griff er mit der Hand nach dem rechten Auge, als ob er sich dasselbe auswischen wolle. Der alte, frühere Apotheker sah das. Er erhob sich sofort. Seine Miene wurde respectvoller. Er betrachtete sich den Mann noch einmal genau und sagte dann:

»Entschuldigung! Sie kennen mein Haus unten und ganz hinten; Sie wissen das Zeichen; Sie sind kein gewöhnlicher Mann!«


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»Sie können Recht haben.«

»Womit kann ich dienen?«

»Ich bedarf Ihrer Apotheke.«

»Schön! Kommen Sie herunter!«

Da rief die Stimme der Kleinen:

»Vater! Lieber Vater!«

Und die Stimmen der vier Anderen fielen mit ein:

»Vater! Sollen wir denn nicht mit?«

Der Alte blieb stehen und blickte den Fremden fragend an.

»Wissen Sie, was sie meinen?« fragte er ihn.

»Ja, bester Doctor,« antwortete der Gefragte lachend.

»Dürfen sie?«

»Wenn Sie es erlauben?«

»Gern; aber bezahlen müssen Sie!«

»Das versteht sich ganz von selbst! Kommen Sie, meine Damen!«

Die ganze Gesellschaft verließ die stinkende Stube. Der Apotheker versicherte sich erst, daß die Hausthür wirklich verschlossen sei, und öffnete dann eine mitten im Flur angebrachte hölzerne Fallthür. Jetzt zeigte sich eine schmale, steinerne Treppe, welche nach unten in den Keller führte.

Dieser schien im Verhältnisse zur Breite und Tiefe des Hauses ziemlich groß zu sein. Unten wurden einige alte Lampen angebracht, welche den vorderen Theil des Kellers nothdürftig erleuchteten. Hier standen einige halb verfaulte Bänke, auf welchen die fünf Grazien Platz nahmen. In der Ecke stand ein Faß, daneben ein Blechmaß. In das Letztere ließ der Apotheker aus dem Fasse ein und reichte es dem Fremden. Dieser nippte vorsichtig. Es war der armseligste Kartoffelfusel. Er gab das Maß den Damen hin, und diese fielen mit wahrer Gier über das Labsal her.

»Kommen Sie nun weiter!« bat der Apotheker.

Im Hintergrunde gab es eine Thür, welche in einen Nebenraum führte. Dort traten sie ein. Beim Scheine der Lampe, welche der Apotheker in der Hand hielt, war ein wüstes Durcheinander von Kräutern, Blumen, Flaschen, Gläsern, Phiolen, Tiegeln und Ähnlichem zu erkennen. Einige Schemel ragten aus dem Chaos hervor.

»Ist's ein Geheimniß, was Sie haben?« fragte der Alte.

»Ja.«

»So will ich schließen.«

Er schob die Thür zu, verriegelte sie von innen und nahm dann erwartungsvoll auf einem der Schemel Platz. Der Andere setzte sich auch, griff in die Tasche, zog eine große Münze hervor, zeigte sie dem Apotheker und fragte:

»Kennen Sie das?«

»Mein Gott! Der Hauptmann selbst!«

Bei diesen Worten fuhr er wieder von seinem Sitze empor.

»Bleiben Sie sitzen!« gebot der Hauptmann. »Und beantworten Sie meine Fragen!«


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»Ich stehe ganz, ganz, ganz zu Befehl!«

»Giebt es ein Mittel, einen Menschen auf einige Zeit verrückt zu machen?«

»Ja.«

»Wohl sogar mehrere?«

»Sie sind allerdings verschieden, je nach dem Zweck, den man verfolgt.«

»Aber, wohlgemerkt, ich meine nur eine zeitweilige Wirkung.«

»Ich verstehe.«

»Ich brauche ein solches, welches von der Diagnose der Ärzte nicht entdeckt werden kann.«

»Das ist schwierig, sehr schwierig!«

»Aber doch möglich?«

»Ich hoffe es. Aber es wird theuer sein, sehr theuer!«

»Schweigen Sie, Alter! Sie wissen, daß Sie mir mit diesen Faxen nicht kommen dürfen. Ich zahle, was Sie verlangen. Wollen Sie mir dieses Mittel verschaffen?«

»Bis wann?«

»Bis heut um Mitternacht?«

»Donner! Diese Zeit ist zu kurz!«

»Später kann ich es nicht gebrauchen. Wollen Sie oder nicht? Ich habe noch Andre, an die ich mich wenden kann.«

»Nein, nein, nein! Bitte, bleiben Sie! Ich diene Ihnen ja mit dem größten Eifer und Vergnügen! Nur möchte ich um einige Anhaltspunkte ersuchen dürfen.«

»Welche Punkte meinen Sie?«

»Erstens Alter und Constitution des Kranken.«

»Zweiunddreißig Jahre; gebaut wie ein Goliath.«

»Welche Krankheiten hat er gehabt?«

»Niemals die Spur einer solchen!«

»Soll er zum Toben gebracht werden?«

»Nein.«

»Also stiller Wahnsinn?«

»Ja. Er darf nicht phantasiren, nicht irre reden, damit er keine dummen Dinge plaudert. Verstanden?«

»Ich verstehe. Wie lange soll der Wahnsinn währen?«

»Sagen wir zunächst drei Monate.«

»Gut. Das ist nicht so schwer.«

»Kann er nöthigenfalls verlängert werden?«

»Das versteht sich.«

»Wie viele Dosen muß man geben?«

»Eine einzige.«

»Das ist gut, sehr gut! Aber schadet die Gabe seiner Constitution?«

»Das versteht sich! Ich muß aufrichtig mit Ihnen sein.«

»Aber die Folgen sind später zu beseitigen?«


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»Gewiß! Aber es darf nicht allzu spät sein.«

Die Beiden horchten jetzt. Die vordere Kellerthür hatte sich in ihren kreischenden Angeln gedreht. Eine männliche Stimme wurde hörbar, und die Stimmen der Mädchen wurden laut und munter.

»Wer ist das?« fragte der Hauptmann leise.

Der Apotheker lauschte einige Augenblicke und antwortete dann in einem beruhigenden Tone:

»Keine Sorge, Herr! Es ist ein guter Freund von mir.«

»Ein Eingeweihter?«

»Noch nicht.«

»Sie hoffen also, daß er es noch wird?«

»Ja.«

»Ich muß, wenn ich jetzt gehe, an ihm vorüber; darum muß ich es wissen, wer und was er ist.«

»Er ist Diener, und zwar beim Fürsten von Befour.«

»Alle Teufel! Bei Dem! Mann, wie unvorsichtig handeln Sie da! Nehmen Sie sich ja in Acht!«

»Warum?«

»Der Fürst scheint uns feindlich gesinnt zu sein.«

»Ich weiß es; einen desto besseren Freund haben wir an seinem Diener.«

»Ein Spion vielleicht.«

»Keineswegs. Er wird nicht mehr lange in seiner gegenwärtigen Stellung, die er gar nicht lobt, verbleiben.«

»Hat er eine andere?«

»So ziemlich.«

»Wo?«

»Bei - hm - bei mir.«

Der Hauptmann blickte den Alten erstaunt an, schüttelte bedenklich den Kopf und fragte dann:

»Bei Ihnen? Als was?«

»Als - hm, vielleicht als Schwiegersohn.«

»Was? Er will eine Ihrer Töchter heirathen?«

»Ich hoffe, daß er es thun wird!«

»Welche denn?«

»Jette, die Schönste.«

»Ist er denn alt?«

»Nein, jung.«

»Häßlich?«

»Sehr hübsch im Gegentheile!«

»Mann, sehen Sie sich vor! Mir scheint, daß bei dieser Angelegenheit irgend Etwas nicht in Ordnung ist!«

»Alles ist in Ordnung, Alles!«


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»Aber ein hübscher, junger Mensch, der in einem solchen Hause servirt, kann doch unmöglich -«

Er hielt inne, um den Apotheker nicht zu beleidigen. Dieser lächelte siegesgewiß vor sich hin und sagte:

»Ich verstehe, ich verstehe! Ich bin keineswegs in meine Mädel vernarrt. Ich hätte mir also bereits selbst ganz Dasselbe gesagt, wenn nicht ein Punkt wäre, welcher geeignet ist, mich ganz zu beruhigen.«

»Welcher Punkt?«

»Der junge Mann ist Gymnasiast gewesen, hat aber aus Armuth Kellner werden müssen. Sein Lieblingsfach war Chemie. Die hat er auch als Kellner fortgetrieben. Sie liegt ihm im Herzen, in der Seele, im Leibe, in allen Gliedern. Ich weiß, wie das ist, denn es ist mir selbst so gegangen.«

»Versteht er denn etwas?«

»Herr, er ist, bei Gott, gescheidter noch als ich! Sodann kam er in die Dienste des Fürsten von Befour. Auch hier hat er heimlich experimentirt. Der Fürst hat es entdeckt und streng verboten. Als das nichts half, hat er ihm sein ganzes, kleines, mühsam zusammengespartes Laboratorium zertrümmert und vernichtet. Von daher datirt der Groll, die Rache.«

»Ah! Wirklich?«

»Ja. Er brennt vor Verlangen, sich an ihm zu rächen.«

»Wie kam er zu Ihnen?«

»Ich traf ihn ganz zufällig in einer Bierwirthschaft. Wir kamen auf Chemie zu sprechen; ich sagte, daß ich auch Fachmann sei, und als ich bemerkte, daß er ganz darauf versessen sei, bot ich ihm meinen Keller zum Experimentiren an. Jetzt bringt er alle seine freien Stunden hier zu und wird wohl gar nicht wieder von mir fort zu bringen sein. Sein Herr darf natürlich kein Wort davon wissen.«

Der Alte ahnte nicht, daß jenes erste Zusammentreffen in der Bierwirthschaft kein zufälliges gewesen, sondem von dem schlauen Adolf arrangirt worden war.

»Wenn es so ist,« sagte der Hauptmann, »so möchte ich ihn wohl kennen lernen.«

»Das ist sehr leicht. Wir brauchen uns nur zu ihm zu setzen.«

»Schön! Sind wir denn mit unserer Angelegenheit zu Ende?«

»Bis auf den Preis.«

»Wie viel fordern Sie?«

»Zwanzig Gulden, da Sie nicht handeln, Herr.«

»Hier sind sie!«

Er zog seine Börse und zählte ihm die Summe in die Hand. Dann erhob er sich von seinem Sitze und sagte leise:

»Ich bin Architect und heiße Jacob. Ich bin nicht von hier, will mir aber in der Residenz eine Stelle suchen!«

»Schön! Kommen Sie!«


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Er öffnete die verschlossene Thür, und die beiden traten in den vorderen Raum zurück. Dort saßen die Mädchen um Adolf herum. Sie hatten bereits mehrere Maß geleert, aber es war ihnen noch nicht die mindeste Wirkung des Fusels anzumerken.

»Willkommen, lieber Adolf!« grüßte der Ex-Apotheker. »Haben Sie heute frei?«

»Glücklicher Weise, ja.«

»Wie lange?«

»So lange es mir beliebt.«

»Was? So lange? Ganz nach Ihrem Wohlgefallen?«

»Ja. Ich habe gekündigt und dann um die Erlaubniß gebeten, mich heute nach einer anderen Stellung umsehen zu dürfen.«

»Und das werden Sie wohl auch thun?«

»Fällt mir gar nicht ein! Ich werde niemals wieder ein Herrendiener. Ich will endlich einmal auf eigenen Füßen stehen. Ein kleines Ersparniß habe ich; das reicht hin, ein Geschäftchen anzufangen. Dann kann ich nebenbei nach Herzenslust laboriren. Wenn heut zu Tage Einer ein neues Pflaster oder eine neue Salbe erfindet, kann er in einigen Jahren Millionär sein.«

»Das heiße ich vernünftig gesprochen! Aber wissen Sie, daß zu einem Geschäfte vor allen Dingen eine Frau gehört?«

»Hm! Das weiß ich gar wohl!«

Dabei warf er einen Blick, welcher scheinbar verstohlen sein sollte, aber von Allen bemerkt wurde, auf die kleine Jette, welche eben im Begriffe, stand das Blechmaaß an den Mund zu führen.

»Dann suchen Sie nur so bald wie möglich!« fuhr der Alte fort.

»Werde gar nicht weit zu laufen brauchen! Aber, wollen Sie sich denn nicht ein Bischen mit hersetzen?«

»Auf ein Weilchen, ja. Dieser Herr ist Architect und heißt Jacob. Er sucht sich hier eine Anstellung. Und Dieser hier ist Diener beim Fürsten von Befour, hustet aber auf seine Anstellung. So, nun kennen sich die Herren. Jette, schenk ein!«

Damit waren die Beiden einander vorgestellt. Der alte Apotheker setzte sich zu seinen Töchtern, und auch der 'Hauptmann' ließ sich bei ihnen nieder. Er nahm in der Weise Platz, daß er dem Bedienten des Fürsten gegenüber saß und ihn also genau beobachten konnte. Sein Mißtrauen war verschwunden, und er sagte sich im Stillen, daß er mit seinem Gegenüber eine treffliche Acquisition machen könne. Hatte er im Hause des Fürsten von Befour einen treuen und zuverlässigen Verbündeten, so mußte ihm dies vom allergrößten Nutzen sein.

Es wurde getrunken. Dabei ließen weder der verkleidete Baron, noch der Diener des Fürsten es sich merken, welche Mühe es ihnen kostete, den miserablen Fusel des Apothekers zu überwältigen. Sie thaten vielmehr, als ob ihre Kehlen für dieses Getränk eingerichtet seien, und gaben sich Mühe, die Unterhaltung zu einer recht animirten zu machen. Dabei verfolgte natürlich


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jeder von ihnen den heimlichen Zweck, den Andern auszuhorchen, um sich über ihn Klarheit zu verschaffen.

Trotz alledem aber war die Unterhaltung eine sehr animirte. Besonders glückliche Stimmung zeigte Jette, des Apothekers ›schönste‹ Tochter. Ihr Geliebter befand sich bei ihr. Sie konnte in kurzer Zeit seinen Antrag erwarten; dann war sie seine Verlobte, und nachher würde sie seine Frau sein, die Frau eines so schönen, jungen Mannes! Sie schwamm in einem Meere von Seligkeit, und ihre gute Laune theilte sich ganz natürlicher Weise auch den Anderen mit.

Adolf, der Diener, zeigte sich als ein sehr lustiger, unterhaltender Kamerad. Er steckte voller Witze und Anecdoten und ließ dazwischen Bemerkungen fallen und Ansichten hören, welche den Baron zu der Vermuthung bringen mußten, daß es mit der Moralität und Gewissenhaftigkeit dieses lustigen Burschen nicht auf das Beste bestellt sei.

Darum nahm er sich vor, ihm noch ein Wenig mehr auf den Zahn zu fühlen, als es jetzt in Anwesenheit der Anderen möglich war. Aus diesem Grunde brach er nicht eher auf, als bis auch der Diener des Fürsten von Befour sich zum Gehen anschickte. Beide verließen mit einander das Haus des Apothekers. Draußen gingen sie noch eine Strecke mit einander fort, und dann blieb Adolf an einer Ecke stehen. Er deutete mit der Hand nach der Seitenstraße und sagte:

»Jetzt werden wir uns trennen müssen, mein lieber Herr Jacob. Meine Wohnung, das heißt, das Palais meines gegenwärtigen Herrn, liegt nach dieser Richtung hin.«

»Das ist doch kein Grund, uns so schnell zu trennen!«

»Wie es den Anschein hat, gehen Sie doch gradaus?«

»Ich bin Herr meiner Zeit. Ich kann gehen und kommen, wann, wo und wie es mir beliebt.«

»Sie Glücklicher!«

Dieses Wort war mit einem wohl berechneten Seufzer ausgesprochen. Der Baron hörte dies und sagte im Tone des Bedauerns:

»Sie Ärmster! Ja, Herrendienst ist eine schwere, unangenehme Sache. Sie gefallen mir, und darum nehme ich herzlich Theil an Ihnen. Sind Sie denn gezwungen, schon jetzt nach Hause zu gehen?«

»Nein. Sie haben bereits gehört, daß ich heute frei habe.«

»Nun, warum wollen wir uns da so schnell trennen? Oder muß ich vielleicht befürchten, daß Sie sich in meiner Gesellschaft nicht wohl befinden? Das würde mir um so mehr leid thun, als ich Ihnen, wie gesagt, meine wärmste Sympathie widme und Ihre nähere Bekanntschaft wünsche.«

Der schlaue Geheimpolizist merkte, daß er jetzt zugreifen müsse. Es fiel ihm ganz und gar nicht ein, zu glauben, daß dieser Mann wirklich ein Architect und in der Residenz fremd sei. Er hielt ihn für einen höchst problematischen Menschen, der vielleicht gar mit dem geheimnißvollen 'Hauptmanne' in Beziehung stand. Er ahnte, daß dieser sogenannte Architect seine Bekanntschaft


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wünsche, um irgend einem auf den Fürsten von Befour bezüglichen Plan näher zu treten. Er nahm sich vor, scheinbar darauf einzugehen. Darum antwortete er:

»Wo denken Sie hin! Ihre Unterhaltung hat mir bewiesen, daß Sie ein Mann von ganz bedeutenden Kenntnissen sind. Ihre Bekanntschaft kann mir also doch nur Nutzen bringen. Ich will aufrichtig sein und hinzufügen, daß auch Ihre Person mir sehr sympathisch ist. Auch ich wünsche also, daß wir uns heute nicht zum letzten Male sehen!«

»Schön! So ist es recht! Das nenne ich mir aus der Seele gesprochen! Es wird am Besten sein, wir bleiben gleich jetzt ein Wenig länger bei einander, natürlich, falls Sie derselben Ansicht sind.«

»Ich stimme bei.«

»Schön! Hier, meine Hand! Lassen Sie uns Freunde sein!«

Obgleich sie auf offener Straße neben einander hinschritten, reichte der Baron dem Andern die Hand hin. Dieser schlug ein und sagte fröhlich:

»Hier! Topp! Es ist für einen Herrendiener allerdings nicht sehr gerathen, sich viel mit Bekanntschaften einzulassen. Man hat keine Zeit dazu, sich seinen Freunden zu widmen! Aber wie ich Ihnen bereits sagte, bleibe ich nicht in meiner jetzigen Stellung. Ich ergreife eine Beschäftigung, welche mir freie Zeit gewährt, und dann werde ich ein Mensch sein, welcher so gesellig leben kann, wie andere Leute.«

»Das freut mich! Also, wir gehen nicht sofort auseinander?«

»Nein.«

»Was aber thun? Ist Ihnen nicht ein Kneipchen hier in der Nähe bekannt, in welchem man recht hübsch und gemüthlich allein sitzen und, ohne Störung befürchten zu müssen, von Diesem und Jenem plaudern kann?«

»Hm!« antwortete Adolf, indem er eine bedenkliche Miene zog. »Ein solches Kneipchen weiß ich gar wohl, aber -«

»Nun, aber? Was für ein Aber giebt es dabei?«

»Ein ganz bedeutendes. Diese Kneipe ist nämlich eine Weinstube.«

»Und das erregt Ihr Bedenken?«

»Ja, natürlich.«

»Warum?«

»Hm! Ich sollte mich eigentlich nicht blamiren.«

»Wieso, blamiren?«

»Nun, ich habe Ihnen bereits gesagt, daß ich mich viel mit chemischen Experimenten beschäftigt habe. Das kostet Geld, und da -«

Er hielt verlegen inne. Der Baron lachte und fragte dabei:

»Da steht es mit Ihrem Beutel nicht zum Besten?«

»Ja,« nickte der Diener, »so ist es.«

»Und das bringt Sie so außerordentlich in Verlegenheit?«

»Gewiß! Es ist nämlich nicht eine gewöhnliche Weinstube. Man bekommt keineswegs Grünberger, die Flasche für zwanzig Kreuzer. Aber Sie wollten ein Kneipchen haben, wo man ungestört sein kann, und das ist in


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dieser Weinstube der Fall. Es giebt da allerliebste kleine Cabinets zu zwei, drei und vier Personen. Dafür aber sind die Preise so, daß wenigstens ich sie nicht zu erschwingen vermag.«

»Das lassen Sie sich nicht anfechten! Ich bin zwar auch kein Crösus, und zudem jetzt ohne Anstellung und Beschäftigung, aber ein Glas Wein kann ich für einen guten Freund doch noch bezahlen.«

Adolf war in Beziehung auf sein Einkommen von dem Fürsten sehr gut gestellt. Er hatte von seiner angeblichen Armuth gesprochen, um von dem Anderen zu erfahren, ob dieser bei Mitteln sei. Ein stellen- und beschäftigungsloser Architect pflegt keine theuren Weine trinken zu können. Ging Jacob also auf die Weinkneiperei ein, so ließ sich vermuthen, daß der Verdacht des Polizisten nicht ganz unbegründet sei. Dieser antwortete also, indem er den Kopfe schüttelte:

»Ein Glas nur? Das reicht nicht. Dort, wo ich meine, wird nicht ein Glas verkauft. Man muß gleich ganze Flaschen bestellen.«

»Nun, das ist auch kein Unglück! Ich werde trotzdem noch nicht Bankerott machen. Bitte, führen Sie mich hin!«

Der Baron kannte alle Hotels und Wirthschaften der Stadt. Er bemerkte zu seiner Freude, daß Adolf ihn allerdings nach einer der nobelsten Weinstuben führte, wo es abgesonderte Cabinets gab. Sie nahmen ein solches, ließen sich nach der Karte Jeder eine Flasche Wein geben und dann, als der Kellner sich entfernt hatte, und sie sich allein befanden, streckte der Baron sich behaglich aus, blickte sich in dem kleinen, eleganten Raume um und sagte:

»Es ist wirklich nicht übel hier. Auch der Wein ist gut, wenn er auch nicht die Sorten erreicht, welche man bei Ihrem Herrn trinkt.«

Adolf machte eine wegwerfende Handbewegung und antwortete:

»Sie wollen sagen, welche mein Herr allein trinkt!«

»Hm! Sie dürfen sich doch auch zuweilen einen Schluck nehmen?«

»Ich? Wir Diener? Was fällt Ihnen ein? Dieser Fürst von Befour ist der ausgesprochenste Geizhals, den es nur geben kann. Er trinkt allerdings nur die feinsten Marken. Wir aber erhalten nur Sonntags pro Person ein Gläschen Moselblümchen. Und was für ein Blümchen ist das! Es schmeckt, als ob man einen ganzen Tragkorb voll Rasirpinsel und Scheuerbürsten verschlucke.«

»Pfui Teufel! Aber wenn er Gesellschaft bei sich sieht, bei Diners, Soupers und Dergleichen, muß er doch Wein geben. Und dann wird wohl auch ein Schluck für Sie mit abfallen?«

»Ja, prosit die Mahlzeit! Gesellschaften bei sich sehen! Durchfragen Sie die ganze Residenz, und Sie werden hören, daß der Fürst noch keinen einzigen Menschen zu sich geladen hat.«

»Wirklich? Ich denke, er ist Millionär?«

»Das ist er auch und zwar was für einer! Ich glaube, er besitzt so viele Millionen, wie ich Pfennige habe.«

»Und ist so geizig?«


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»Geradezu raffinirt geizig! Ich muß Ihnen Einiges erzählen!«

Er war ebenso raffinirt schlau, wie er seinen Herrn als raffinirt geizig hinstellen wollte. Er entwarf von dem Fürsten eine Schilderung, welche der gegenwärtigen Situation und seinen Absichten ganz angemessen war. Er ließ hindurchblicken, daß er nicht nur mit seiner Lage höchst unzufrieden sei, sondern seinen Herrn geradezu hasse; ja, er that sogar einige ihm scheinbar unbemerkt entschlüpfende Äußerungen, welche vermuthen ließen, daß er eine stille Rache hege und gar nicht abgeneigt sei, derselben die Zügel schießen zu lassen, falls sich eine passende Gelegenheit dazu finden sollte.

Der Baron hörte ihm aufmerksam zu. Er hatte nicht die mindeste Ahnung, daß der Sprecher ein verkappter Polizist sei. Er freute sich im Innern, ihn gefunden zu haben, denn er war vollständig überzeugt, in ihm ein Werkzeug seiner Pläne zu engagiren.

»Das ist freilich traurig,« sagte er, als Adolf geendet hatte. »So habe ich mir einen Millionär allerdings nicht vorgestellt! Also, kaum satt zu essen giebt er seinen Leuten!«

»Ja, so ist es!«

»Und Ihnen gönnt er nicht einmal das unschuldige Vergnügen, sich in Ihrer freien Zeit mit Ihrem Steckenpferde zu beschäftigen?«

»Die Retorten und Gläser hat er mir zerbrochen!«

»Ohne Ihnen die Kosten zu ersetzen?«

»Fällt ihm gar nicht ein!«

»Das ist nicht nur ungerecht, sondern man fühlt sich geradezu veranlaßt, es im höchsten Grade fuchsig zu nennen.«

»Anders nicht! Donnerwetter! Ich wollte -«

Er hielt erschrocken inne.

»Nun, was wollten Sie?«

Sein Auge war bei dieser Frage mit Spannung auf den Andern, dessen Gesicht von innerer Aufregung zeugte, gerichtet.

»Ah, es ist nicht gut, davon zu sprechen!«

»Warum nicht?«

»Man soll nicht unvorsichtig sein!«

»Papperlapapp! Halten Sie mich für falsch?«

»Das ganz und gar nicht. Sie sehen wohl ein, daß Einem bei einer solchen Behandlung einmal die Galle überlaufen muß.«

»Natürlich! Ganz natürlich! Ein Anderer wäre ganz sicher nicht so geduldig wie Sie. Er würde - hm!«

Jetzt war er es, der vorsichtig inne hielt.

»Reden Sie weiter! Immer reden Sie weiter!«

»Nun, er würde dem Fürsten Eins auswischen!«

»Das ist wahr! Auswischen! Aber wie!«

»Er würde sich für seine Verluste bezahlt machen.«

»Sie meinen, er würde den Fürsten verklagen?«

»Das nicht. Eine Klage wäre die allergrößte Dummheit. Gegen einen


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solchen Mann kann kein Kläger aufkommen. Nein, hier wäre nur Selbsthilfe am Platze.«

»Selbsthilfe? Hm!«

Er warf dabei einen vorsichtigen Blick um sich und nickte leise, als ob er mit der Ansicht seines Gefährten ganz einverstanden sei.

»Ja,« fuhr dieser fort. »Rücksichtslosigkeit gegen Rücksichtslosigkeit! Das ist aber nicht Jedermanns Sache.«

»Wie meinen Sie das?«

»Es gehört Klugheit dazu!«

»Halten Sie mich vielleicht für dumm?«

»Das nicht. Aber auch Muth muß man haben.«

»Halten Sie mich für feig?«

»Dieses auch nicht. Ich an Ihrer Stelle wüßte, was ich machte!«

»So sagen Sie es!«

»Werde mich hüten!« meinte der Baron vorsichtig.

»Donnerwetter! Glauben Sie etwa, daß ich ein Mann bin, dem man keinen guten Rath geben darf?«

»Wir kennen uns zu wenig. Dennoch aber gestehe ich Ihnen, daß ich gern Vertrauen zu Ihnen haben möchte.«

»Das können Sie auch! Also reden Sie getrost!«

»Na, ich will es einmal wagen. Also, Sie möchten, wenn Sie Ihre jetzige Stelle aufgegeben haben, sich gern mit Chemie beschäftigen?«

»Das ist mein Wunsch. Chemie ist meine Leidenschaft.«

»Und dabei ein Gewerbe treiben, welches Ihnen genug Zeit für Ihr Steckenpferd giebt und Sie auch gut ernährt?«

»Natürlich!«

»Dazu gehört Geld!«

»Ich habe eine Kleinigkeit erspart, und der alte Apotheker wird auch Etwas hergeben müssen, wenn ich seine Jette heirathe.«

»Gewiß. Aber wird das ausreichen?«

»Ich hoffe es!«

»Ich befürchte das Gegentheil. Uebrigens, sagen Sie mir einmal aufrichtig, ob Sie das Mädchen oder vielmehr diese kleine Jette aus aufrichtiger Liebe heirathen würden?«

»Hm!« brummte Adolf verlegen.

»So ein Prachtkerl wie Sie! Könnten Sie nicht eine andere bekommen, lieber Freund?«

»Aber nicht mit Geld!«

»Pah! Wer von der Natur so ausgestattet wurde, wie Sie, der bekommt allemal ein Mädchen, welches nicht ganz 'ohne' ist. Und wie ich den Alten kenne, hat er kein großes Vermögen. Selbst wenn er es hätte, würde er sich hüten, Ihnen allzusehr unter die Arme zu greifen. Er ist zähe, wenn auch nicht so sehr, wie Ihr millionenreicher Fürst von Befour.«

»Herr, wollen Sie mir Sorge machen?«


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»Nein. Ich will Ihnen nur als Freund die Wahrheit vor die Augen führen. Wie nun, wenn Sie dann die Frau haben, welche Sie des Geldes wegen nehmen, und der Alte giebt Nichts heraus?«

»Das wäre verteufelt ärgerlich!«

»Gewiß! Uebrigens giebt es auch noch andere Mittel, Ihren Zweck zu erreichen.«

»Ich kenne kein einziges!«

»Aber ich!«

Er machte dabei eine sehr geheimnißvolle Miene. Adolf betrachtete ihn aufmerksam und erwartungsvoll und fragte:

»Wollen Sie mir das nicht sagen?«

»Gern! Aber, lieber Freund, können Sie schweigen?«

»Ich bin niemals eine Plaudertasche gewesen!«

»Sprachen Sie nicht davon, eine Restauration oder so etwas Ähnliches zu errichten?«

»Das ist ja mein Ideal!«

»Nun, ich weiß Einen, der Ihnen die Mittel dazu geben würde!«

»Sapperment!«

»Der Ihnen so viel geben würde, daß Sie auch nebenbei Chemie treiben könnten, Ihr Steckenpferd, wie Sie sagen.«

»Dieser Mensch wäre geradezu ein Engel!«

»Das wohl nicht. Er würde es nicht thun, ohne Gegenleistungen zu beanspruchen.«

»Ich würde Alles thun!«

»Auch wenn das, was er verlangte, nicht ganz mit den Gesetzen in Einklang zu bringen wäre?«

»Pah! Was ist ein Gesetz!«

Diese Worte wurden in wegwerfendem Tone gesprochen. Der Baron war sehr erfreut darüber. Er fragte:

»Wie meinen Sie das?«

»Ich meine, daß das Gesetz eine von Menschen gegebene Satzung ist. Als es gemacht wurde, hat man mich nicht um Erlaubniß gefragt; soll ich nun fragen, wenn es mir nicht paßt, wenn mir gerade das Gegentheil von Nutzen ist?«

»Ich sehe, daß Sie kein dummer Kerl sind. Wollen einmal aufrichtig sprechen. Haben Sie von dem Hauptmanne gehört?«

»Ja. Aber was wissen Sie denn von ihm? Ich denke, Sie sind fremd hier?«

»Hat er nicht auch auswärts seine Leute?«

Adolf machte ein erstauntes Gesicht. Er blickte den Andern mit dem Ausdrucke beinahe freudiger Ueberraschung an und fragte:

»Wollen Sie damit sagen, daß -«

»Nun, daß -?« lachte der Andere.

»Daß Sie mit dem Hauptmann zu thun haben?«


// 327 //

»Hm! Wenn das nun so wäre?«

Da sprang Adolf auf, schlug mit der Faust auf den Tisch und rief, indem seine Augen vor Freude leuchteten:

»Sakkerment, da wären Sie mein Mann!«

»Pst! Sachte, sachte! Die Wände scheinen hier ein wenig dünn zu sein!«

»Das ist wahr! Aber, Donnerwetter! Welch ein Glück, daß ich Sie heute getroffen habe!«

»Warum?«

»Weil ich längst den Wunsch gehegt habe, einmal mit dem 'Hauptmann' zusammen zu treffen!«

»Ich bin es aber doch nicht!«

»Aber Sie haben mit ihm zu thun!«

»Auch das habe ich nicht direct gesagt!«

»Ich weiß es. Man muß da vorsichtig sein. Aber Sie sagten vorhin, daß wir aufrichtig mit einander sein wollen, und ich wiederhole jetzt dieses Wort. Wir sind hier allein, und kein Mensch kann uns hören. Sagen Sie mir einmal ganz offenherzig, warum Sie den 'Hauptmann' erwähnt haben?«

»Weil ich weiß, daß er sehr gut bezahlt.«

»Das steht zu erwarten.«

»Daß er seinen Leuten empor hilft. Es würde ihm ein Leichtes sein, Ihnen eine hübsche Restauration zu verschaffen.«

»Aber was er dafür verlangen wird!«

»O, nicht viel. Ich glaube, daß es ihn freuen würde, zu hören, daß Sie sich gern mit Chemie beschäftigen.«

»Ja,« nickte Adolf nachdenklich, »auf diesem Felde würde sich sehr leicht Gelegenheit bieten, ihm dankbar zu sein. Haben Sie ihn vielleicht gesehen? Sind Sie ihm persönlich bekannt?«

»Nein. Aber ich bin im Stande, Sie ihm in jedem Augenblicke zu empfehlen. Ich will Ihnen nun auch gestehen, daß ich gar kein Architect bin.«

Der Polizist fingirte ein großes Erstaunen.

»Was Sie sagen!« rief er aus.

»Ja,« lächelte der Baron. »Ich bin etwas ganz Anderes, als ich scheine. Ich brauche mich gar nicht sehr anzustrengen, wenn es gilt, Ihnen nützlich zu sein.«

»So ist heute der beste und glücklichste Tag meines Lebens. Was meinen Sie, soll ich diese Jette laufen lassen?«

»Immerzu!«

»Aber was dann weiter?«

»Das wollen wir besprechen. Es kommt darauf an, ob ich überzeugt sein darf, daß Sie verschwiegen sind.«

»Stellen Sie mich getrost auf die Probe!«


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»Das werde ich natürlich auch.«

»Wann?«

»Wann? Nun, heute schon.«

»Ich habe nichts dagegen und werde die Probe bestehen!«

Da erhob sich der Baron. Er schritt einige Male nachdenklich in dem kleinen Cabinette auf und ab. Dann streckte er sich wieder auf den Sessel nieder, nippte von seinem Glase und sagte:

»Wer von dem Hauptmann engagirt wird, muß ihm vorher den Schwur der Treue leisten!«

»Ich bin bereit dazu!«

»Wer diesen Schwur bricht, wird mit dem Tode bestraft!«

»Ich werde ihn nicht brechen!«

»Bevor er in den Bund aufgenommen wird, muß er eine Probe ablegen, ob er auch brauchbar ist!«

»Ich bin bereit zu dieser Probe!«

»Sie sagen das so gleichmüthig, und doch müssen Sie gewärtig sein, daß etwas Schweres von Ihnen verlangt wird!«

»Ich hoffe, daß man nichts verlangt, was mir unmöglich ist, und daß ich auch angemessen dafür belohnt werde!«

»Natürlich! Ich meine, daß es für uns Beide vortheilhaft ist, wenn wir uns nicht mit unnützen Einleitungen abgeben. Gehen wir also gerade auf das Ziel los! Ich kenne eine Restauration, welche für Sie passen würde.«

»Wirklich? Welche meinen Sie?«

»Ist Ihnen die Restauration zur 'Eintracht' bekannt?«

»Sehr gut! Sie soll verpachtet oder gar verkauft werden.«

»Der 'Hauptmann' wird Ihnen gern den Pacht zahlen. Und wenn er dann sieht, daß Sie treu sind, ist es sehr wahrscheinlich, daß er es Ihnen ermöglicht, das Haus zu kaufen.«

»Himmelelement! Da bin ich bereit, Alles zu thun!«

»Nur nicht zu hitzig! Ich kann mir ungefähr denken, was der 'Hauptmann' als Probe von Ihnen verlangen wird.«

»Was?«

»Sie sollen sich an Ihrem gegenwärtigen Herrn rächen.«

»Na, etwas mir Angenehmeres kann er ja gar nicht fordern! Das heißt ja, zwei Fliegen mit einem Schlage treffen?«

»Allerdings! Ist Ihnen das Palais des Fürsten von Befour genau bekannt?«

»Natürlich! Ich wohne ja da!«

»Ich meine, ob in allen seinen Räumlichkeiten?«

»Ich bin überall gewesen.«

»Es scheint des Nachts erleuchtet zu sein?«

»Es brennen auf allen Corridoren Gasflammen.«

»Das ist unangenehm, höchst unangenehm!«


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»Warum?«

»Wenn man nun Lust hätte, sich die Einrichtung des Palastes, die eine äußerst kostbare sein soll, bei Nacht zu betrachten?«

»Warum nicht am Tage?«

Der Baron schüttelte den Kopf und antwortete:

»Sie fragten vorhin, ob ich Sie für einen Dummkopf halte!«

»Pah! Ich bin keiner! Ich frage nur, um mich zu orientiren.«

»Nun, so beantworten Sie mir meine Frage!«

»Handelt es sich nur um eine Besichtigung des Palastes?«

»Hm! Es ist möglich, daß am andern Morgen nicht Alles in genauer Ordnung gefunden würde.«

»Das würde mich nur freuen!«

»Wirklich?«

»Ja. Wer aber soll die Besichtigung vornehmen?«

»Ein Mann, der sich Ihnen mit einem Zeichen zu erkennen giebt, welches wir vorher besprechen würden.«

»Ein einzelner Mann?«

»Vielleicht hätte er einen Begleiter mit.«

»Ich verstehe. Begleiter mit gewissen Werkzeugen?«

»Meinetwegen!«

»Was werde ich erhalten, wenn ich die Herren, welche diese Besichtigung vornehmen wollen, herumführe?«

»Sie erhalten die Mittel, sich eine gemüthliche Zukunft zu gründen, vorausgesetzt, daß Sie nach dieser Probe auch bereit sind, in den Bund zu treten und ihm gegen Belohnung auch fernerhin zu dienen.«

»Dann bin ich einverstanden!«

»Wirklich?«

»Wirklich!«

»Hier meine Hand! Schlagen Sie ein! Topp?«

»Topp!«

Sie schlugen ein. Der Baron behielt die Hand des Polizisten in der seinigen, blickte ihm fest in die Augen und sagte:

»Aber gehen Sie diesen Pakt nicht etwa leichtsinnig ein. Ich habe Ihnen gesagt, daß es sich um Leben und Tod handelt!«

»Ich weiß es!«

»Das heute Abend soll nur eine Probe sein. Hegen Sie um Gotteswillen keine hinterlistigen Absichten! Das Schwert wird vom ersten bis zum letzten Augenblicke über Ihrem Haupte hängen!«

»Ich habe keine Angst!«

»Das ist mir lieb um Ihretwillen. Das Palais ist an seinen Parterrefenstern mit eisernen Läden verschlossen. Ich weiß auch, daß die Thürschlösser patent sind. Durch Gewalt ist kaum einzudringen. Sie werden öffnen?«

»Ja. Ich werde dafür sorgen, daß ich die Schlüssel habe.«

»Wann?«


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»Das ist allerdings unbestimmt. Der Fürst pflegt sehr spät nach Hause zu kommen und dann noch einige Zeit zu arbeiten.«

»Das thut nichts. Es ist jetzt sehr lange Nacht. Wird es vielleicht um drei Uhr passend sein?«

»Ich hoffe es.«

»Gut! Das Palais liegt etwas von der Landstraße zurück, von welcher es durch einen Vorgarten getrennt wird. Punkt drei Uhr, wenn es diese Stunde auf der Hauptkirche schlägt, wird ein Mann langsam und leise vorübergehen - -«

»Ich werde da am Gitterthore stehen.«

»Ja. Der Mann wird gerade vor diesem Thore sein weißes Taschentuch verlieren. Die Gasflammen brennen. Sie müssen also das Tuch bemerken. Es ist das Zeichen, daß es Derjenige ist, auf den Sie zu warten haben.«

»Soll ich ihn anreden.«

»Ja, Sie werden das thun. Er darf dies nicht, da zufälligerweise ein Anderer als Sie dort stehen könnte.«

»Was soll ich sagen?«

»Sie fragen ihn leise, ob er vom Hauptmann kommt. Das Uebrige wird sich dann ganz von selbst ergeben.«

»Schön! Ich werde dafür sorgen, daß wir die Inspection des Palastes ganz ungestört vornehmen können.«

»Pflegt der Fürst seine Möbels fest zu verschließen?«

»Ja. Nur in dem Zimmer, in welchem er sich zeitweilig befindet, wendet er diese Vorsicht nicht an.«

»Sie meinen?«

»Daß zum Beispiel die Schränke und Kästen seines Studierzimmers so lange offen stehen, als er sich in demselben befindet.«

»Und daß also auch die Kästen seines Schlafzimmers unverschlossen sind, während er schläft.«

»Ja.«

»Das ist günstig. Hat er einen leisen Schlaf?«

»Im Gegentheil einen sehr festen. Er ist des Morgens schwer zu erwecken. Man muß oft zweimal kommen.«

»Auch das ist vortheilhaft. Ueber unser Vorhaben giebt es für jetzt weiter nichts zu bemerken. Aber einige anderweitige Fragen möchte ich noch an Sie stellen. Geht Ihr Herr viel aus?«

»Fast gar nicht.«

»Auch nicht im Geheimen?«

»Das fällt ihm natürlich nicht ein!«

»Haben Sie von dem Fürsten des Elendes gehört?«

»Natürlich! Alle Welt hat von ihm gehört.«

»Ich will Ihnen gestehen, daß ich den Gedanken hatte, er und Ihr Herr könne eine und dieselbe Person sein.«

Da schlug Adolf ein lautes Gelächter auf und antwortete:


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»Welch' ein Gedanke! Der und der Fürst des Elendes sein! Nehmen Sie es mir nicht übel; aber das ist doch zu drollig! Dieser Geizhals und solche Ausgaben machen, wie sie der Fürst des Elends macht!«

»Vielleicht stellt er sich nur geizig, um die Spur von sich abzulenken! Das ist doch möglich.«

»Nein. Das muß ich am besten wissen.«

»Allerdings! Sie sind sein Diener. Sie müßten es also genau wissen, wenn er sich heimlich in der Stadt herumtriebe.«

»Sicher! Wenn Sie ihn da in Verdacht haben, so geben Sie diesen Gedanken getrost auf!«

»Ich will Ihnen glauben. Nun aber ist meine Zeit verflossen. Sie sehen ein, daß gewisse Vorbereitungen für heute Abend zu treffen sind. Ich gehe also; Sie aber können getrost noch bleiben und gemüthlich austrinken!«

»Gern, aber - die Bezahlung?«

»Hier ist Geld. Sie sehen, daß ich nicht knausere. Und der 'Hauptmann' hat noch ganz andere Mittel, Sie zu belohnen. Also, ich verlasse mich auf Sie. Adieu!«

»Adieu!«

Der Baron ging. Er hatte einige Goldstücke auf den Tisch geworfen. Adolf nahm sie in die Hand, betrachtete sie und murmelte:

»Nicht übel! Ich hätte nicht geglaubt, heute so eine wichtige Bekanntschaft zu machen. Wäre es dunkel, so würde ich diesem Kerl nachschleichen, um zu sehen, wohin er geht. Na, er kommt ja heute Abend wieder. Ich muß auf alle Fälle wissen, wer er ist.«

Er nahm das Glas, that einen langsamen tiefen Zug, schnalzte mit der Zunge und fuhr dann in seinem Selbstgespräch fort:

»Jetzt sehe ich ein, was für ein gescheidter Kerl dieser Fürst von Befour ist. An ihm ist ein Polizist, wie er im Buche steht, verdorben. Alles klappt und schnappt. Er wird den 'Hauptmann' fangen, obgleich er ihm noch Freiheit läßt. Jetzt aber gehe ich auch. Ich muß zum Goldschmied.«

Er klingelte, bezahlte und verließ das Lokal. Draußen wendete er sich den noch tiefer liegenden und noch ärmeren Gäßchen zu, bis er ein Haus erreichte, welches fast einzubrechen drohte.

Hinter einem der Parterrefenster sah man allerlei fragliche Schmucksachen ausgelegt, und an der oberen Fensterscheibe klebte ein Papier mit den Worten: »Einkauf von Juwelen, Gold, Silber und Schmucksachen.«

Er trat in den Flur und dann in das ärmliche Lädchen, welches gar nicht nach Juwelen und Schmucksachen aussah. Bei seinem Gruße erhob sich ein kleines, buckeliges Männchen von dem Stuhle, welcher an dem einzigen Tische stand, der vorhanden war.

»Ah, der Herr Adolf des Herrn Fürsten!« sagte der Kleine. »Ihr Herr sendet Sie?«

»Ja. Sind die Sachen fertig?«

»Gestern habe ich letzte Hand angelegt. Ich hätte sie abgeliefert,


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wenn mir nicht befohlen worden wäre, zu warten, bis Sie kommen. Wollen Sie die beiden Kästen mitnehmen?«

»Ja. Wie steht es mit der Rechnung?«

»O, ich bin bereits vorher bezahlt. Seine Durchlaucht haben mich aus dem tiefsten Elend gezogen. Ich habe doppelt soviel erhalten, als ich zu fordern hatte.«

Er ging in einen Nebenraum und brachte zwei Holzkästen hervor, welche nicht sehr groß waren, aber ziemlich schwer zu sein schienen.

»Hier sind sie und hier auch die beiden Schlüssel,« sagte er. »Wollen Sie das Alles selbst tragen, oder soll ich helfen?«

»Danke! Ich brauche Niemand. Adieu!«

Er schlug nun die grade Richtung nach der Palaststraße ein. Als er nach Hause kam, schritt er sofort auf die Gemächer des Fürsten zu. Die beiden Kästen setzte er im Vorzimmer ab. Dann trat er ein. Der Fürst befand sich in seinem Arbeitszimmer. Er warf einen Blick auf den Diener und sagte sofort:

»Ah, Du bringst etwas Neues und Gutes?«

»Ja, Durchlaucht. Ich habe einen Fang gemacht, oder vielmehr, wir werden heute einen Fang machen!«

»Wen? Deinem Gesicht nach ist dieser Fang ein bedeutender. Du meinst doch nicht etwa den Hauptmann?«

»Gerade diesen!«

»Nun, so sage ich Dir, daß ich ihn nicht fangen werde.«

Der Diener machte ein ganz verdutztes Gesicht.

»Es liegt mir an diesem Fange noch nichts,« fuhr der Herr fort. »Doch, man muß ja doch mit den Verhältnissen rechnen. Erzähle!«

Adolf berichtete, was er erlebt und erfahren hatte. Der Fürst hörte ihm zu, trat dann an das Fenster und blickte, in tiefes Nachdenken versunken, hinaus. Nach einer Weile drehte er sich wieder in das Zimmer zurück und sagte:

»Für wen hältst Du diesen Architekten?«

»Natürlich für einen Vertrauten des Hauptmannes.«

»Ich nicht. Es ist der Hauptmann selbst gewesen.«

»Donnerw - - -!« entfuhr es dem Diener. »Auf diesen Gedanken bin ich allerdings nicht gekommen!«

»Er hat ein sehr wichtiges Arrangement mit Dir getroffen, das konnte nur der Hauptmann thun. Du meinst also, daß er heute in der Nacht kommen wird?«

»Gewiß! Punkt drei Uhr!«

»Und was räthst Du mir?«

»Er wird nicht allein kommen, sondern seine Spießgesellen mitbringen. Wir lassen sie ein und nehmen sie Alle gefangen.«

Der Fürst ließ ein überlegenes Lächeln sehen. Er erhob, spaßhaft drohend, den Finger und sagte:

»Du willst ein Polizist sein?«


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»Ich bin es, selbst in Ihrem Dienste!« antwortete Adolf, indem dem Tone seiner Stimme eine kleine Kränkung anzuhören war.

»Und Du hältst Dich natürlich für einen guten Polizisten?«

»Ich thue möglichst meine Pflicht.«

»Ich bin davon überzeugt; aber ich sage Dir, daß ich heute die Einbrecher nicht fangen werde.«

»Nicht?« fragte Adolf, beinahe erschrocken.

»Nein!«

»Aber die prächtige Falle, die ich ihnen gestellt habe!«

»Ich werde mich trotz dieser Falle bestehlen lassen und ruhig zusehen, daß die Diebe entwischen.«

»Aber, bitte tausendmal um Entschuldigung, das begreife ich nicht!«

»Ich will den Hauptmann fangen!«

»Er wird ja kommen!«

»Meinst Du? Wenn er käme, so wäre er werth, mit Ruthen gezüchtigt zu werden wie ein dummer Bube, der nichts lernen will. Er wird nicht kommen; er wird die Besten seiner Leute schicken. Er kann sich ja noch gar nicht auf Dich verlassen. Er stellt Dich auf die Probe, und dieser Probe wegen wird er nicht seine Person, seine Freiheit, sein ganzes Werk auf das Spiel setzen.«

Adolf zog ein etwas beschämtes Gesicht. Er sagte:

»Durchlaucht, Verzeihung! Ich sehe wieder einmal ein, daß Sie stets und immer unser Meister sind!«

»Du meinst also, daß ich Recht habe?«

»Gewiß!«

»So werde ich Dir ferner sagen, wie Alles kommen wird. Längst vor drei Uhr wird mein Palais von den Leuten des Hauptmannes umzingelt sein. Sie werden sich im Garten und überall verstecken. Sie erwarten, bei mir einen glänzenden Fang zu thun; daher werden sie zahlreich kommen. Bei ihnen wird allerdings der Hauptmann sein; aber in das Innere des Hauses wird er sich nicht wagen.«

»Das leuchtet mir allerdings ein.«

»Einer seiner besten Leute wird an das Thor kommen; aber sobald Du öffnest, werden Mehrere hinzutreten. Sie werden sich Deiner Person versichern, um Dich sofort zu tödten, wenn sie eine Spur von Verrath merken.«

»Ah, das klingt gefährlich!«

»Ist es aber nicht, da ich mich ruhig bestehlen lassen werde.«

»Aber, mein Gott, die Kostbarkeiten?«

»Pah! Sie werden sich täuschen. Was wirklich kostbar und unverschlossen ist, das werden wir entfernen. Sie werden weiter nichts finden als meine Juwelen.«

»Diese sind aber Millionen werth!«

»Die ich im Schranke habe, ja. Aber Du wirst jetzt zu dem kleinen


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Juwelenhändler gehen und die Geschmeidesachen holen, die ich ihm zur Reparatur gegeben habe; dann - -«

»Ich war bereits bei ihm.«

»Ach! War er fertig?«

»Ja. Ich habe die Sachen mit.«

Er ging in das Nebenzimmer zurück und holte die beiden Kästen herein; dann gab er seinem Herrn die Schlüssel. Dieser öffnete und packte den Inhalt aus, um Stück für Stück genau zu untersuchen. Adolf stand ganz geblendet dabei. Das war ein Schatz, ein Reichthum, dessen Höhe er nicht im Entferntesten zu taxiren vermochte. Als der Fürst das letzte Stück betrachtet hatte, legte er es befriedigt fort und sagte:

»Alle diese Sachen werden mir heute Nacht gestohlen werden.«

Adolf konnte nicht an sich halten. Er sagte:

»Durchlaucht, wenn Sie diese Kostbarkeiten nun dann nicht wieder zu erlangen vermögen?«

»Pah!« lächelte der Fürst. »Wie hoch schätzest Du ihren Werth?«

»Auf Millionen natürlich!«

»Wenn das wirklich wäre, so würde ich ihren Verlust nicht riskiren. Alle diese Sachen zusammen sind nicht tausend Gulden werth.«

Der Diener warf einen langen, erstaunten Blick auf seinen Herrn. Dieser nickte ihm vergnügt zu und meinte:

»Und diese tausend Gulden wende ich daran, um zu erfahren, wer der Hauptmann eigentlich ist. Was Du hier siehst, ist Alles, Alles unecht. Dieses Gold wird in vier Wochen schwarz sein; die Perlen sind nachgemacht, und die Steine sind nichts als Glasfluß, allerdings höchst täuschend gearbeitet. Meine echten Kleinodien werden fortgeräumt und die falschen an ihre Stelle gelegt. Der Hauptmann wird aus seinen Himmeln fallen, wenn er erkennt, daß er betrogen wurde.«

»Ah, Durchlaucht, da wird mir das Herz wieder leicht. Das ist ein Streich, wie nur Sie ihn ersinnen konnten. Wann räumen wir diese Sachen in den Schrank?«

»Jetzt noch nicht. Ich vermuthe, daß vorher eine Person kommen wird, der ich die echten zeigen muß. Wenn mich meine Berechnung nicht täuscht, werde ich heute den Besuch einer Dame bekommen. Ich werde mich mit ihr in meinem Zimmer unterhalten. Du wartest im Vorzimmer. Wenn ich klingele und ein Glas Wasser verlange, so ist dies ein Zeichen für Dich, an Deinen Posten zu gehen - -«

»An welchen?« fiel der Diener ein.

»Du bringst mir das Glas Wasser und sagst mir dabei, daß der Haushofmeister mir die gewünschte Rechnung vorlegen wolle. Du kehrst in das Vorzimmer zurück, verlässest dasselbe aber so leise wie möglich. Dort steckst Du Dich unter den Tisch, dessen Decke Dich vollständig verbergen wird. Du nimmst eine solche Stellung ein, daß Du den Geschmeideschrank im Auge hast, und wartest, was da kommen werde. Du kennst Stück für Stück der Kleinodien, welche sich dort befinden?«


// 335 //

»Sehr genau.«

»Sollte etwas passiren, so siehst Du dann nach, was fehlt, schreibst es mir auf, steckst den Zettel in ein Couvert als einen Brief, welcher soeben abgegeben wurde. Ist es nöthig, so schreibe ich die Antwort, welche Du öffnest und im Vorzimmer liesest, um Dich darnach zu richten! Hast Du Alles verstanden?«

Das Gesicht, welches der Diener machte, berechtigte allerdings zu dieser Frage.

»Verstanden wohl, aber nicht begriffen,« antwortete er.

»Nun, die betreffende Dame wird, wie ich vermuthe, sich während meiner Abwesenheit in mein Toilettenzimmer begeben, um sich mit dem Schranke zu beschäftigen. In welcher Weise sie dies thun wird, das weiß ich jetzt noch nicht, werde es aber dann sofort durch Dich brieflich erfahren. Laß sogleich anspannen. Anton fährt mit.«

Während der Diener diesen Befehl vollführte, brachte der Fürst das falsche Geschmeide in Verwahrung und machte dann Toilette. Als er dann unten in den Wagen stieg, befahl er:

»Zum Baron von Helfenstein!«

Dabei warf er einen bezeichnenden Blick auf Anton. Dieser verneigte sich verständnißinnig und sprang hinten auf. Die Equipage setzte sich in Bewegung. Am Palaste des Barons angekommen, begab sich der Fürst zur Baronin; der Diener blieb nicht beim Wagen, sondern trat auch ein, um womöglich ein Wort mit der Zofe sprechen zu können.

Ella von Helfenstein war sehr erfreut, als sie den Fürsten bei sich eintreten sah. Auf seine Entschuldigung, daß er bereits wieder bei ihr vorspreche, erwiderte sie:

»Sie sind stets hoch willkommen, Durchlaucht. Wie gut aber, daß Sie nicht eine Viertelstunde später kommen.«

»Sie wollten ausfahren? Ah, ich bedaure! Ich werde Sie also um meine sofortige Verabschiedung bitten müssen.«

»O nein, nein! Ich wollte nur auf einige Augenblicke zu Oberst von Hellenbach, um mich nach Fanny's Befinden zu erkundigen.«

»Auch ich will nachher zum Oberst, und zwar zu dem gleichen Zwecke. Die junge Dame ist aller Theilnahme werth. Sie hat sich wirklich heldenmüthig bewiesen. Sie befand sich in Lebensgefahr.«

»Meinen Sie wirklich?«

»Gewiß! Dieser Bormann soll ja ein Mensch sein, dem selbst das Schlimmste zuzutrauen ist.«

»Das habe ich bisher auch gedacht. Aber wird sich ein solcher Mensch denn wirklich mit einem maladen Subject verbinden, wie Derjenige ist, den man mit ihm gefangen hat?«

»Sie meinen den Schreiber? Ich las von ihm. Beinahe aber möchte ich sagen, daß ich an der Schuld dieses jungen Mannes zweifle.«

»Ah! Warum?«


// 336 //

»Wie soll er zu dem Riesen gekommen sein?«

»Diese Frage wird die Untersuchung beantworten. Aber, Durchlaucht, sind Sie gekommen, damit wir uns mit einem so außerordentlich widerwärtigen Thema beschäftigen?«

»Allerdings nicht. Ich beabsichtigte, dem Oberst meinen Besuch zu machen und im Vorüberfahren Ihnen meine Ergebenheit zu beweisen.«

»Nur im Vorüberfahren?« fragte sie schmollend.

»Wünschen Sie, daß ich eine längere Pause mache?«

»Gewiß. Oder wäre Ihnen unsere letzte Unterredung wieder entfallen? Das wäre ja beinahe beleidigend für mich.«

»Ich bin ganz glücklich, daß ich mich eines ausgezeichneten Gedächtnisses erfreue, wenn sich dasselbe auch leider oft mit Dingen zu beschäftigen hat, welche viel, viel weniger interessant sind als der Gegenstand unserer Unterhaltung.«

»Darf ich vielleicht erfahren, welche Dinge dies sind?«

»Ich beschäftige mich sehr viel mit Wissenschaften.«

»Darum sind Sie so ernst. Hätte ich das Recht, Ihnen zu befehlen, so würde ich Ihnen diese Beschäftigung verbieten.«

»Sie würden mir etwas entziehen, was im Stande ist, dem Menschen die reinsten Freuden und Genüsse zu gewähren.«

»Genüsse? Sollten diese alten, trockenen Bücher wirklich glücklich machen können? Ich meine, man sollte sein Glück ganz anderwärts suchen. Die Wissenschaft macht menschenscheu; sie drängt zur Einsamkeit. Darum schließen auch Sie sich ab, während Sie doch berufen sind, der Oeffentlichkeit anzugehören. Sie sind reich, sogar unermeßlich reich, wie man sagt. Sie besitzen eine Einrichtung, wie es keine zweite in der Residenz giebt. Warum öffnen Sie Ihr Haus nicht den Kreisen, welche sich nach der Erlaubniß sehnen, bei Ihnen Zutritt zu erlangen?«

Er bemerkte gar wohl, welches Ziel sie mit ihrer Frage zu erreichen strebte, darum antwortete er:

»Sollte es wirklich Jemand geben, den es so sehr verlangte, meine Räume zu betreten?«

»Gewiß, gewiß!«

»Darf ich vielleicht um Namen bitten?«

»Ich könnte sehr viele nennen, aber ich will mich mit einem begnügen, zumal ich annehme, daß dieser eine hinreichend sein wird, Sie zu überzeugen, wie grausam Sie handeln, indem Sie sich abschließen.«

»Ich bin ganz Ohr, diesen Namen zu hören.«

»Ella von Helfenstein.«

»Ah, das ist ja der Ihrige!«

»Allerdings. Genügt er nicht, Sie zur Besserung zu bewegen?«

Er blickte ihr voll in die Augen. Dieser Blick hatte etwas Triumphirendes an sich. Er erkannte ja, daß er mit seinen Vermuthungen, die immerhin verdienten, kühn genannt zu werden, das Rechte getroffen hatte. Sie aber


Ende der vierzehnten Lieferung - Fortsetzung folgt.



Karl May: Der verlorne Sohn

Karl May – Forschung und Werk