Nummer 25

Der
Gute Kamerad

Spemanns Illustrierte Knaben-Zeitung.

17. März 1888

Der Geist der Llano estakata.

Von K. May, Verfasser von »Der Sohn des Bärenjägers«.


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»Meine Hands kommen heim,« sagte Helmers.

Unter »Hand« versteht der Amerikaner jede männliche oder weibliche Person, welche sich in seinem Dienst befindet. Er hatte sich geirrt. Als der Nahende in den Lichtkreis trat, sah man, daß er ein Fremder sei.

Er war ein langer, starker, vollbärtiger Kerl, vollständig mexikanisch gekleidet, doch ohne Sporen, was hier auffallen mußte. Aus seinem Gürtel blickten die Griffe eines Messers und zweier Pistolen hervor, und in der Hand trug er eine schwere, mit silbernen Ringen verzierte Büchse. Als seine dunklen Augen mit scharfem, stechendem Blicke über die einzelnen Personen der Gruppe flogen, machte er den Eindruck eines physisch starken, aber auch rohen Menschen, von welchem man zarte Regungen nicht erwarten dürfe.

Als sein Blick über das Gesicht des Mormonen streifte, zuckte er auf eine eigentümliche Weise mit der Wimper. Niemand als nur der Mormone bemerkte das. Es war jedenfalls ein Zeichen, welches diesem letzteren galt.

»Buenas tardes, Sennores!« grüßte er. »Ein Abend bei bengalischer Beleuchtung? Der Besitzer dieser Hacienda scheint ein poetisch angelegter Mann zu sein. Erlaubt, daß ich mich für eine Viertelstunde bei Euch ausruhe, und gebt mir einen Schluck zu trinken, wenn überhaupt hier etwas zu bekommen ist.«

Er hatte in jenem spanisch-englischen Mischmasch gesprochen, dessen man sich an der mexikanischen Grenze häufig zu bedienen pflegt.

»Setzt Euch nieder, Sennor!« antwortete Helmers in demselben Jargon. »Was wollt Ihr trinken? Ein Bier oder einen Schnaps?«

»Bleibt mir mit Eurem Bier vom Leibe! Ich mag von solcher deutschen Brühe nichts wissen. Gebt mir einen kräftigen Schnaps, aber nicht zu wenig. Verstanden?«

Seine Haltung und sein Ton waren diejenigen eines Mannes, welcher nicht gewohnt war, mit sich scherzen zu lassen. Er trat ganz so auf, als ob er hier zu gebieten habe. Helmers stand auf, um das Verlangte zu holen und deutete auf die Bank, wo er dem Fremden Platz gemacht hatte. Dieser aber schüttelte den Kopf und sagte:

»Danke, Sennor! Hier sitzen schon viere. Will lieber dem Caballero Gesellschaft leisten, welcher da so einsam sitzt. Bin die weite Savanne gewohnt und habe es nicht gern, so eng bei einander zu kleben.«

Er lehnte sein Gewehr an den Stamm des Baumes und setzte sich zu dem Mormonen, den er mit einem leichten Griffe an den breiten Rand seines Sombrero grüßte. Der Heilige des jüngsten Tages erwiderte den Gruß in ganz derselben Weise. Beide thaten, als ob sie einander vollständig fremd seien.

Helmers war in das Haus getreten. Die anderen verschmähten aus natürlicher Höflichkeit, ihre Blicke in auffälliger Weise auf den Fremden zu richten. Das gab demselben die willkommene Gelegenheit, dem Mormonen zuzuraunen:

»Warum kommst du nicht? Du weißt doch, daß wir Nachricht haben wollen.«

Er sprach dabei das reinste Yankee-Englisch.

»Man läßt mich nicht fort,« antwortete der Gefragte.

»Wer denn?«

»Dieser verdammte Nigger da.«

»Der kein Auge von dir verwendet? Was hat er denn?«

»Er behauptet, daß ich seinem Herrn Geld gestohlen habe, und will mich lynchen.«

»Mit dem ersteren kann er das Richtige getroffen haben; das letztere aber mag er sich aus dem Sinne schlagen, falls er es nicht riskieren will, daß wir ihm mit unseren Peitschen sein schwarzes Fell blutrot färben. Gibt es etwas Neues hier?«

»Ja. Sechs Diamond - boys wollen mit bedeutenden Summen über die Llano.«

»Alle Teufel! Sollen uns willkommen


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sein! Werden ihnen 'mal in die Taschen gucken. Bei der letzten, armseligen Gesellschaft war ja gar nichts zu finden. Doch still! Helmers kommt.«

Der Genannte kehrte mit einem Bierglase voll Schnaps zurück. Er stellte es vor den Fremden und sagte:

»Da, wohl bekomme es, Sennor! Habt heut' wohl einen weiten Ritt hinter Euch?«

»Ritt?« antwortete der Mann, indem er fast den halben Inhalt des Glases hinuntergoß. »Habt Ihr keine Augen? Oder vielmehr, habt Ihr zu viele Augen, so daß Ihr seht, was gar nicht vorhanden ist? Wer reitet, muß doch ein Pferd haben!«

»Gewiß.«

»Nun, wo ist denn das meinige?«

»Jedenfalls da, wo Ihr es gelassen habt.«

»Válgame Dios! Ich werde doch wohl mein Pferd nicht 30 Meilen weit zurücklassen, um bei Euch einen Brandy zu trinken, der nicht für den Teufel taugt!«

»Laßt ihn im Glase, wenn er Euch nicht schmeckt! Uebrigens besinne ich mich nicht, von 30 Meilen gesprochen zu haben. So wie Ihr hier vor mir sitzt, seid Ihr ein Mann, der jedenfalls ein Pferd hat. Wo es steht, das ist nicht meine Sache, sondern die Eurige.«

»Das denke ich auch. Ihr habt Euch überhaupt um mich nicht zu bekümmern. Verstanden!«

»Wollt Ihr mir das Recht bestreiten, mich um diejenigen zu bekümmern, welche hier auf meiner einsamen Farm einkehren?«

»Fürchtet Ihr Euch etwa vor mir?«

»Pah! Ich möchte denjenigen Menschen sehen, vor welchem John Helmers sich fürchtet!«

»Das ist mir lieb, denn ich möchte Euch nur fragen, ob ich in Eurem Hause für diese Nacht ein Lager bekommen kann.«

Er warf bei diesen Worten einen lauernden Blick auf Helmers. Dieser antwortete:

»Für Euch ist kein Platz vorhanden.«

»Caracho! Warum nicht?«

»Weil Ihr selbst gesagt habt, daß ich mich nicht um Euch zu bekümmern habe.«

»Aber ich kann doch nicht noch in der Nacht bis zu Eurem nächsten Nachbar laufen, bei welchem ich erst morgen mittag ankommen würde!«

»So schlaft im Freien! Der Abend ist mild, die Erde weich und der Himmel die vornehmste Bettdecke, welche es nur geben kann.«

»So weist Ihr mich wirklich fort?«

»Ja, Sennor. Wer mein Gast sein will, muß sich einer größeren Höflichkeit befleißigen, als Ihr uns gezeigt habt.«

»Soll ich Euch etwa, um in irgend einem Winkel schlafen zu dürfen, zur Begleitung der Guitarre oder Mandoline ansingen? Doch, ganz wie Ihr wollt! Ich brauche Eure Gastfreundschaft nicht und finde überall einen Platz, an welchem ich vor dem Einschlafen darüber nachdenken kann, wie ich mit Euch reden werde, wenn wir uns einmal anderswo begegnen sollten.«

»Da vergeßt aber ja nicht, bei dieser Gelegenheit auch mit an das zu denken, was ich Euch darauf antworten würde!«

»Soll das eine Drohung sein, Sennor?«

Der Fremde erhob sich bei diesen Worten und richtete seine hohe, breite Gestalt gebieterisch dem Wirte gegenüber auf.

»O nein,« lächelte dieser furchtlos. »Solange ich nicht zum Gegenteile gezwungen werde, bin ich ein sehr friedlicher Mann.«

»Das will ich Euch auch geraten haben. Ihr wohnt hier beinahe am Rande der Llano des Todes. Da erfordert die Vorsicht, daß Ihr mit den Leuten möglichst Frieden haltet, sonst könnte der Geist der Llano estakata einmal ganz unerwartet den Weg zu Euch finden.«

»Kennt Ihr ihn etwa?«

»Habe ihn noch nicht gesehen. Aber man weiß ja, daß er am liebsten aufgeblasenen Leuten erscheint, um sie in das Jenseits zu befördern.«

»Ich will Euch nicht widersprechen. Vielleicht sind alle diejenigen, welche man, vom >Geiste< durch einen Schuß in die Stirn getötet, in der Llano gefunden hat, einst aufgeblasene Wichte gewesen. Aber eigentümlich ist es doch, daß diese Kerls alle Räuber und Mörder gewesen sind.«

»Meint Ihr?« fragte der Mann in höhnischem Tone. »Könnt Ihr das beweisen?«

»So leidlich. Man hat ohne eine einzige Ausnahme bei diesen Leuten stets Gegenstände gefunden, welche früher solchen gehörten, die in der Llano ermordet und ausgeraubt worden waren. Das ist doch Beweis genug.«

»Wenn das so ist, so will ich Euch freundschaftlich warnen: Macht ja nicht einmal hier auf Eurer abgelegenen Farm einen Menschen kalt, sonst könntet Ihr auch einmal mit einem Loche in der Stirn gefunden werden.«

»Sennor!« fuhr Helmers auf. »Sagt noch ein solches Wort, so schlage ich Euch nieder. Ich bin kein Mörder, sondern ein ehrlicher Mann. Viel eher könnte man denjenigen einer solchen That für fähig halten, der sein Pferd versteckt, um die Meinung zu erwecken, daß man es nicht mit einem Bravo, sondern mit einem armen, ungefährlichen Manne zu thun habe.«

»Gilt das etwa mir?« zischte der Fremde.

»Wenn Ihr es Euch annehmen wollt, so habe ich nichts dagegen. Ihr seid heut bereits der zweite, der mir vorlügt, kein Pferd zu besitzen. Der erste ist dieser Heilige der letzten Tage. Vielleicht stehen eure beiden Pferde bei einander. Vielleicht stehen auch noch andere Pferde und auch noch Reiter dabei, um auf eure Rückkehr zu warten. Ich sage Euch, daß ich in dieser Nacht mein Haus bewachen und morgen mit Tagesanbruch die Umgegend säubern werde. Da wird es sich höchst wahrscheinlich zeigen, daß Ihr sehr gut beritten seid!«

Der Fremde ballte beide Fäuste, erhob die rechte zum Schlage, trat um einen Schritt näher an Helmers heran und schrie:

»Mensch, willst du etwa sagen, daß ich ein Bravo sei? Sage es mir deutlich, wenn du Mut hast; dann erschlage ich -«

Er wurde unterbrochen.

Bloody-fox hatte diesem Manne weniger Aufmerksamkeit geschenkt als dessen Gewehre. Als der Fremde sich erhoben hatte und dem Baume nun den Rücken zukehrte, stand der Jüngling auf und trat an den Stamm, um das Gewehr genau zu betrachten. Sein bisher gleichgültiges Gesicht nahm einen ganz anderen Ausdruck an. Seine Augen leuchteten, und ein Zug eiserner, gnadenloser Entschlossenheit legten sich um seinen Mund. Er wendete sich zu dem Fremden und legte demselben, ihn in der Rede unterbrechend, die Hand auf die Achsel.

»Was willst du, Junge?« fragte der Mann.

»Ich will dir an Helmers' Stelle Antwort geben,« antwortete Bloody-fox in ruhigem Tone. »Ja, du bist ein Bravo, ein Räuber, ein Mörder. Nimm dich vor dem Geiste der Llano in acht, den wir den Avenging-ghost nennen, weil er jeden Mord mit einer Kugel durch die Stirn an dem Mörder zu rächen pflegt.«


Ende des siebten Teils - Fortsetzung folgt.



Karl May: Der Geist der Llano estakata