Lieferung 84

Karl May

23. Juli 1887

Deutsche Herzen, deutsche Helden.

Vom Verfasser des »Waldröschen« und »der Fürst des Elends«.


// 1993 //

»Wieso?«

»Du sprachst von dem Heile, welches ihr widerfahren soll; also muß sie tief unter Dir stehen!«

»Jede Frau steht tiefer als der Mann.«

»Und in das Reich Gottes willst Du sie einführen. Da muß sie eine Heidin sein.«

»Das habe ich nicht so gemeint.«

»Aber ich habe es so nehmen müssen.«

»Peter Dobronitsch, ich habe nicht geglaubt, daß Du so wenig Verständniß für die Erfordernisse des Reiches Gottes hast. Wie kannst Du glauben, daß ich eine Heidin nehme! Ich habe das Recht, unter den Töchtern des Landes die Beste zu wählen. Oder zweifelst Du daran?«

»Nein. Ich hoffe sogar, daß Du Dir die Allerbeste heraussuchen werdest.«

»Natürlich. Du kennst meinen Besitz, und Du kennst auch meine Person. Bin ich nicht ein stattlicher Mann?«

»Ja,« antwortete der Bauer, indem er sich Mühe gab, ein Lachen zu unterdrücken.

»Ich habe Bildung und Kenntnisse!«

»Das weiß Jedermann.«

»Ich kann mich getrost einem jeden Andern zur Seite stellen und brauche den Vergleich mit ihm nicht zu scheuen!«

»Das ist freilich wahr.«

»Es ist also über allen Zweifel erhaben, daß Diejenige, welche ich erwähle, von einem guten Glück zu reden hat.«

»Ich will es nicht bestreiten.«

»So sind wir also einverstanden?«

»Bis jetzt vollständig.«

»Das freut mich. Ich habe nicht etwa meine Wahl aus Rücksichten getroffen, wie man sie bei den Kindern der Welt findet. Ich will ein gottseliges Leben führen und mit meiner Frau den Herrn loben mit Harfen, Zymbeln und Psalter. Aber dennoch will ich auch meine Augenweide an ihr haben. Darum bin ich besorgt gewesen, mir eine zu suchen, welche nicht häßlich ist.«

»Daran hast Du sehr wohl gethan.«

»Auch soll sie nicht arm sein, damit sie wohl thun kann, wenn Jemand sie bittet.«

»Auch das ist löblich von Dir gehandelt.«

»Und ferner soll sie wirthschaftlich sein. Und diejenige, welche ich meine, ist es.«

»So gratulire ich Dir!«

»Ich danke! Gieb mir Deine Hand!«

»Hier hast Du sie.«

Sie schüttelten sich die Hände, und dann reichte Propow auch der Bäuerin die Hand entgegen, indem er freundlich bemerkte:


// 1994 //

»Die Frau hat zwar keineswegs das Recht, mit in solche Angelegenheiten zu reden; aber ich habe meine Bildung und will darum doch auch fragen, ob Du Dich freust.«

»Natürlich freue ich mich darüber, daß Du eine solche Frau bekommst,« antwortete sie. »Ich gratulire Dir ebenso. Wann wirst Du denn die Verlobung haben?«

»Natürlich heut!«

»Schön! Und die Hochzeit?«

»So bald wie möglich.«

»Hoffentlich ladest Du uns auch dazu ein?«

»Euch - Euch - -?« fragte er.

Er machte dabei ein Gesicht, welches gar nicht dümmer sein konnte.

»Natürlich!« meinte der Bauer. »Wir als Deine nächsten Nachbarn möchten diesen Freudentag doch auch mit Dir feiern.«

»Das - das - versteht - sich ja - - ganz von - - selbst!« stieß er hervor.

»Freut mich, freut mich!«

»Die Eltern müssen doch unbedingt mit dabei sein. Das könnt Ihr Euch doch denken!«

»Natürlich. Hoffentlich dürfen wir bereits heut erfahren, wer die Eltern sind?«

»Heut - erfahren - wer - -«

Er sprang von seiner Stuhlecke auf. Der Mund war ihm vor Erstaunen so weit auf, daß man ihm bis hinter sehen konnte.

»Natürlich, mein liebes Nachbarchen. Die Eltern, die Eltern! Wer sie sind, möchten wir natürlich gern wissen.«

»Donnerwet --! Ah, das wißt Ihr wohl noch gar nicht?«

»Woher sollen wir es wissen? Du hast es uns ja noch gar nicht gesagt.«

»Aber Ihr habt mir doch Eure Hände gegeben!«

»Ja, um Dir zu gratuliren.«

»Um mir - zu gratuliren! Wegen weiter nichts?«

»Was weiter? Wir wüßten nicht, was wir weiter zu thun hätten. Ein kleines Hochzeitsgeschenk wirst Du erhalten. Das versteht sich ganz von selbst. Aber ist es denn gar ein so großes Geheimniß, wen Du erwählt hast? Sage es uns doch!«

Da ließ Propow seinen Hut fallen, schlug die Hände zusammen und rief:

»Herr, vergieb ihnen, denn sie wissen nicht, was sie thun!«

»Was soll das heißen, Nachbar? Ich verstehe Dich nicht.«

»So? Du verstehst mich nicht! Du weißt nicht, wen ich heirathen will? Und doch habe ich nun bereits eine volle Stunde davon gesprochen.«

»Aber den Namen, den Namen!«

»Himmeldonnerwetter! Du wirst doch Deinen eigenen Namen kennen!«


// 1995 //

»Meinen - meinen eigenen Namen? Den kenne ich freilich. Aber der hat ja mit dieser Angelegenheit ganz und gar nichts zu thun.«

»Nicht? Ich denke, daß er im Gegentheile sehr viel damit zu thun hat.«

»Ich glaube nicht.«

»Und ich glaube es sehr. Du sollst ja mein Schwiegervater sein!«

Der Bauer machte ein erstauntes Gesicht.

»Ich? Dein Schwiegervater?«

»Natürlich!«

»Davon aber hast Du ja kein einziges Wort gesagt!«

»War es denn nothwendig, daß ich Deinen Namen nannte?«

»Freilich!«

»O nein. Es verstand sich ja ganz von selbst, daß ich Dich meinte!«

»Nein. Das verstand sich nicht so ganz von selbst. Wir beide haben gemeint, daß Du gekommen seist, uns zu Deiner Hochzeit oder vielleicht zunächst zur Verlobung einzuladen.«

»Da hört aber doch Alles auf!«

»Ja, da hört freilich Vieles auf. Wenn man von einem Schwiegervater redet, muß man doch wenigstens sagen, wer derselbe sein soll!«

»Peter Dobronitsch, Du bist doch sonst nicht so dumm!«

»Bin ich es denn jetzt?«

»Ja.«

»Sapperment! Das ist ja eine Beleidigung!«

»An welcher Du allein schuld bist. Meinst Du, ich kaufe mir einen neuen Rock, nur um Dich einzuladen?«

»Also so ists, so! Du hast unsere Tochter Mila gemeint?«

»Das versteht sich ganz von selbst.«

»Die soll Deine Frau werden?«

»Ja.«

»Das geht aber doch nicht.«

»Nicht? Warum nicht?«

»Du hast gesagt, daß Du Dir die Würdigste erwählt hättest. Das ist sie nicht. Es giebt noch viel Würdigere.«

»Das möchte ich bestreiten.«

»Ja, es giebt noch viele, viele Andere, welche noch würdiger sind, Deine Frau zu werden. Ich will nicht so unbescheiden sein, meine Tochter für die Beste zu halten. Mila ist demüthig. Sie hält sich ganz und gar nicht für das vorzüglichste Mädchen dieser Gegend.«

»Aber ich halte sie dafür!«

»Du täuschest Dich!«

»Mag ich mich immerhin täuschen. Sie hat ihre Fehler, ihre großen Fehler; aber mit Gottes Hilfe werde ich ihr dieselben sehr bald austreiben. Ich werde, wie es in der heiligen Schrift steht, den Stab über sie schwingen, und sie wird durch Trübsal geläutert werden und an meiner Seite zur ewigen Seligkeit gelangen.«


// 1996 //

»Weißt Du denn, ob sie grad an Deiner Seite selig werden will?«

»Ob ich es weiß? Darüber giebt es ja gar keine Frage und gar keinen Zweifel! Oder könntest Du denken, daß sie sich einen andern Mann wünscht?«

»Warum nicht?«

»Wa-wa-was? So verrückt wird sie doch nicht sein!«

»Weißt Du denn so genau, daß sie Dich will?«

»Natürlich

»So hast Du bereits mit ihr gesprochen?«

»Kein Wort!«

»Aber, Sergius Propow, man pflegt doch zunächst mit dem Mädchen zu sprechen! Man pflegt sich zuerst zu vergewissern, daß sie Einen lieb hat!«

»Meinst Du, daß ich sie hätte fragen sollen?«

»Ja.«

»Nein. So vergebe ich mir meinen Respect nicht. Das fällt mir nicht ein. Ich bin Mann. Sie muß mich lieb haben. Sie wird gar nicht darnach gefragt.«

»Da hast Du freilich ganz andere Ansichten als ich.«

»Hast Du denn damals Deine Frau auch gefragt, ob sie Dich haben wollte?«

»Gewiß habe ich das!«

»Donnerwetter! Das könnte mir freilich nicht passiren!«

»So könnte Dir dafür etwas Anderes passiren.«

»So? Was?«

»Daß sie Dich nicht mag.«

»Das kann mir nie passiren. Einen Mann wie mich - nicht mögen! Undenkbar! Und wenn sie nicht wollte, so müßte sie. Man würde sie schon zu zwingen wissen!«

»Du irrst. Ich werde mein Kind niemals zu so einem Schritte zwingen.«

»Das ist Deine Sache. Gieb mir nur Dein Jawort; das Uebrige thue ich selbst.«

»Mein Jawort werde ich nur dann geben, wenn Mila Denjenigen, welcher sie zur Frau begehrt, auch wirklich lieb hat.«

»Peter Dobronitsch, Du bist kein Vater, kein Mann!«

Da stand der Bauer von dem Kanapee auf. Er legte die Hände auf den Rücken, ging langsam in der Stube auf und ab, um seines Aergers Herr zu werden, und sagte:

»Nachbar, wir haben da ganz verschiedene Ansichten. Ein Mädchen ist kein willenloses Thier, welches man verkaufen kann.«

»Sollst Du Mila etwa verkaufen?«

»Nein; aber ich soll sie Dir geben, ohne nach ihrem Willen zu fragen.«

»Nun gut, so frage sie!«

»Und wenn sie Nein sagt?«

»So wirst Du als Vater ein befehlendes Wort sprechen. So ein


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Frauenzimmer kann unmöglich erkennen, was zum Glücke dient. Der Vater ist der Gebieter. Er hat zu befehlen, was geschehen soll.«

Die Bäuerin war eine außerordentlich sanfte und gutmüthige Frau; dennoch hatte sie kaum mehr die Kraft, ihren Zorn zurückzuhalten. Ihr Gesicht war geröthet, und ihr Athem flog. Peter Dobronitsch bemerkte das und sagte in beruhigendem Tone:

»Sei still, Mütterchen. Ich werde schon selbst mit dem Nachbar sprechen. Hole Mila herein. Er mag ihr selbst sagen, was er von ihr begehrt, und sie soll ihm ihre Antwort geben.«

Die Frau ging hinaus und holte die Tochter herein. Die Thür zu der Nebenstube war nur angelehnt gewesen, so daß Mila Alles gehört hatte, was gesprochen worden war. Sie ließ sich das aber nicht merken.

»Willkommen, Sergius Propow,« sagte sie kalt, ohne ihm die Hand zu bieten.

Er betrachtete einige Secunden lang das schöne Mädchen schweigend, dann sagte er:

»Mila, Du wirst den heutigen Tag noch im späten Alter segnen, denn er ist ein sehr glücklicher für Dich.«

In ihrem Gesichte lag ein Ausdruck, welchen er nicht zu deuten verstand. Es war ein Zorn, welcher sich mit einer gewissen unüberwindlichen Schalkhaftigkeit paarte.

»In wiefern ist er glücklich?« fragte sie.

»Weil er der Tag Deiner Verlobung ist.«

»Davon weiß ich nichts.«

»Es ist ja eben eine herrliche Ueberraschung für Dich, mein Täubchen.«

»Und wer ist es, der mich überraschen will?«

»Ich bin es.«

»Du? Das glaube ich nicht.«

»Du hörst es aber doch, denn ich sage es.«

»Und dennoch glaube ich es nicht. Ich kenne Dich so genau, daß Du mich gar nicht zu überraschen vermagst.«

»Meinst Du? Das ist sehr schön von Dir! Also Du kennst mich genau. Nun, so sage mir einmal, was Du von mir denkst?«

»Nichts Sonderliches.«

»So! Schau, was für ein kleines Spaßvögelchen Du bist. Hast Du denn wohl geahnt, daß ich Dich heirathen werde?«

»Nein, das habe ich nicht geahnt.«

»Also siehst Du, daß ich Dich gar wohl sehr überraschen kann.«

»Nein, Sergius Propow, überraschen kannst Du mich doch nicht.«

»Ganz gewiß, denn ich werde Dich ja heirathen, ohne daß Du dies geahnt hast.«

»Nein, mein gutes Nachbarchen, Du wirst mich nicht heirathen!«

»O doch!«

»O nein. Das weiß ich ganz genau.«


// 1998 //

»Wie so?«

»Du wirst mich nicht heirathen, weil ich Dich nicht mag.«

»Das ist wieder nur ein Scherz von Dir!«

»Es ist mein Ernst.«

»Kein Mensch wird es Dir glauben.«

»Du vielleicht nicht, aber alle anderen Leute werden es sofort begreifen.«

Sie sagte das in einem so ernsten Tone, daß es ihn doch frappirte. Er war wirklich ganz und gar siegesgewiß. Er zog die Brauen zusammen und sagte:

»Höre, mein Kindchen, das ist eine sehr wichtige und sehr ernste Sache. Da darf man keinen Scherz treiben.«

»Wer sagt Dir, daß ich scherze?«

»Nun, wenn Du es wirklich wagtest, zu mir im Ernste in dieser Weise zu reden, so müßte ich Dir das auf das Strengste verbieten!«

»Daraus würde ich mir gar nichts machen.«

»Nicht? Ah!«

»Ja, denn Du hast mir gar nichts zu verbieten. Du gehst mich gar nichts an.«

»Du irrst. Ich werde Dich bald sehr viel angehen, wenn ich erst Dein Männchen bin.«

»Das wirst Du niemals sein. Ich mag Dich nicht, wie ich Dir ja bereits gesagt habe.«

»Donnerwetter! Sollte es wirklich Dein Ernst sein, Mädchen!«

»Er ist es.«

»So nimm Dich in Acht! Einen Mann, wie ich bin, beleidigt man nicht so ungestraft.«

»Aber uns glaubst Du, ungestraft beleidigen zu dürfen!«

»Euch? Das ist mir gar nicht eingefallen.«

»O doch. Ich habe Alles gehört, was Du mit Vater und Mutter gesprochen hast.«

»So? Das ist sehr gut. Nun weißt Du doch, woran Du bist, und ich brauche nicht mehr viele Worte zu machen.«

»Ganz richtig! Du brauchst überhaupt gar kein Wort mehr zu verlieren.«

»Freut mich, freut mich! Wir sind also fertig und einig? Du willigest ein?«

»Ja, wir sind fertig. Ich willige nicht ein.«

»Kreuzhimmel - -! Mache mich nicht zornig!«

»Ich bin nicht schuld, wenn Du zornig wirst.«

»O doch! Du thust ja so obstinat, als ob Du eine Königin wärst.«

»Die bin ich nicht; aber Dich mag ich deshalb doch noch nicht.«

»So! Und warum denn eigentlich?«

Sie nahm ihn beim Arme und schob ihn zu dem Spiegel, welcher an der Wand hing. Er blickte hinein und schüttelte den Kopf.


// 1999 //

»Wozu soll ich mich denn ansehen?« fragte er. »Um mir zu sagen, wie Du Dir gefällst.«

»Ganz gut natürlich!«

»So hast Du einen sehr schlechten Geschmack. Du hast ein Gesicht, als ob es zehn Jahre lang in Sauerkraut gelegen hätte. Deine Gestalt ist wie gemacht, um die Krähen zu vertreiben. Deine Stimme klingt wie das Knarren eines Wagenrades und Deine - - Hände! Da, schau sie nur einmal an! Das sind wahre Bärentatzen. Ohren hast Du wie ein Elephante, dafür aber keine Zähne. Du bist der häßlichste Kerl, den ich nur kenne. Wie kannst Du da denken, daß ich Dich zum Manne haben will! Geh, und laß Dich nicht auslachen! Da sieht doch ein jeder Korjake oder Tunguse hübscher als Du!«

So Etwas hatte ihm noch Niemand gesagt. Er war ganz steif vor Schreck und vor Entrüstung. Er wollte sprechen, brachte aber zunächst gar nichts hervor.

»Väterchen, Mütterchen, habe ich nicht Recht?«

Der Bauer zuckte die Achsel, und seine Frau antwortete:

»Der Nachbar Propow wird Dir freilich Unrecht geben, denn es versteht sich ganz von selbst, daß er sich für einen schönen Mann hält.«

Das gab dem Freiersmann seine Sprache wieder. Er rief:

»Habe - habe ich - recht gehört?!«

»Jedenfalls, denn ich habe doch sehr deutlich zu Dir gesprochen,« antwortete Mila.

»So! So! Ein solches Scheusal bin ich also?«

»Scheusal habe ich Dich nicht genannt. Aber sehr häßlich bist Du. Das würde noch zu überwinden sein, denn nicht der Körper, sondern die Seele ist die Hauptsache - - -«

»Die taugt wohl auch nichts?«

»Gar nichts!«

»Alle tausend Teufel! Das wagst Du mir zu sagen!«

»Ja, es muß Dir einmal gesagt werden, damit Du nicht länger glaubst, das Meisterstück der Schöpfung zu sein. Dich hat Gott in einer sehr zornigen Stunde geschaffen. Was Du Dir einbildest, das bist Du freilich nicht!«

»Maria Petrowna, hört Ihr es, was Eure Tochter sagt?«

»Wir hören es,« antwortete der Bauer.

»Und Ihr duldet das!«

»Ich erlaube gern Jedermann, ungescheut seine Meinung zu sagen. Ich habe es auch geduldet, als Du uns vorhin die Deinige mittheiltest.«

»Das ist etwas Anderes! Das, was Eure Tochter sagt, ist eine fürchterliche Beleidigung für mich, eine Beleidigung, welche bestraft werden muß!«

»So!« antwortete das Mädchen. »Und was haben denn Deine Worte enthalten? Du glaubst, schön zu sein, und bist häßlich. Du hältst Dich für fromm und bist doch ein Heuchler. Du thust, als ob Du Gottes bester Diener seist, und hast doch alle Fehler an Dir, die ein Mensch nur haben


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kann. Du verlangst, daß man Dich fast wie ein höheres Wesen behandle, und bist doch ein ganz ordinärer Kerl. So stolz Du bist, so dumm bist Du auch. Wie kannst Du Dir einbilden, daß ich Dich zum Manne haben möchte! Lieber würde ich mich tödten. Du würdest nur der Henker Deines Weibes sein. Der ärmste Mensch ist mir tausendmal lieber als Du. Wie Du jetzt so vor mir stehst, wundert es mich eigentlich, daß man Dich für einen Mann halten kann. Du siehst grad aus wie ein Pavian. Gehe hin, und heirathe eine Meerkatze! Die paßt für Dich. Aber ein junges, sauberes Mädchen, das bilde Dir ja nicht ein! So, da hast Du meine Antwort! Nun bin ich mit Dir fertig. Lebe wohl, Dummkopf!«

Sie ging hinaus in die Nebenstube und riegelte die Thür hinter sich zu. Er aber machte ein Gesicht, welches die Bezeichnung Dummkopf vollständig rechtfertigte.

Die Bäuerin freute sich königlich über die Zurechtweisung, welche ihm geworden war, und auch der Bauer schien ganz zufrieden mit dem Verhalten seiner Tochter zu sein.

Der abgewiesene Freier rang nach Athem. Er verdrehte die kleinen Augen, als ob er ermordet werden solle.

O - heiliges - Himmeldonn - -!« stieß er hervor. »Mir das! Mir das! Habt Ihr es denn gehört?«

»Natürlich haben wirs gehört,« antwortete der Bauer.

»Und die Erde öffnet sich nicht!«

»Wird sich hüten!«

»Um das Lästermaul zu verschlingen!«

»Das fällt ihr nicht ein.«

»Und Ihr, Ihr steht so ruhig dabei!«

»Was sollen wir denn sonst thun?«

»Sie bestrafen mit der Ruthe, mit der Knute!«

»Nachbar, das kannst Du nicht verlangen!«

»So gebt Ihr ihr wohl gar Recht?«

»Ich werfe mich nicht zum Richter meiner Mitmenschen auf. Du hast gesagt, was Dir beliebte, und sie hat Dir ihre Ansicht dann auch mitgetheilt. Ihr seid quitt. Was habe ich dabei zu schaffen?«

»So fehlt es hier an Zucht und Ordnung.«

»Schwerlich.«

»Die Bibel sagt, daß ein Vater die Ruthe nicht schonen soll, wenn er sein Kind lieb hat!«

»Dazu ist hier keine Veranlassung.«

»Was! Keine Veranlassung! Hat sie mich nicht einen Pavian, einen Dummkopf genannt?«

»Dem guten Kinde ist wohl nicht gleich ein besseres Wort eingefallen. Du kannst es ihr nicht übel nehmen, denn Dein Gesicht hat große Aehnlichkeit mit einem Pavian.«


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»Wie? Was? Wo befinde ich mich denn? Etwa in Sodom und Gomorrha! Dann werde ich sofort Feuer vom Himmel regnen lassen. Hast Du denn schon einmal einen Pavian gesehen?«

»Nein.«

»Wie kannst Du da wissen, daß ich einem solchen ähnlich sehe?«

»Ich kann mir nicht denken, daß ein solcher Kerl ein anderes Gesicht hat als Du.«

»Mensch! Und Du willst mein Nachbar sein!«

»Der bin ich doch!«

»Ein Christ, ein Christ willst Du sein!«

Er ballte vor Wuth die Hände, so daß die Handschuhe zersprangen, worauf er aber in seinem Grimme gar nicht achtete.

»Rege Dich nicht auf!« meinte der Bauer. »Was Mila gesagt hat, ist sehr wahr. Du thust, als ob es eine Barmherzigkeit von Dir und ein wahres Himmelsglück sei, wenn Du meine Tochter zur Frau nimmst. Frage doch erst einmal Andere! Ich glaube nicht, daß Dich so leicht Eine nehmen wird. Wie kannst Du Dir da einbilden, daß das reichste Mädchen der ganzen Gegend Dir vor Freude darüber, daß Du sie heirathen willst, demüthig die Hand küsse! Meine Mila kann wählen. Dich aber braucht sie auf keinen Fall!«

»So habe ich mich allerdings in Euch fürchterlich getäuscht. Ich habe Euch für fromme und gottselige Menschen gehalten, aber - - -«

»Nun, sprich nur weiter! Was sind wir denn, wenn wir nicht fromm und gottselig sind?«

»Der Antichrist bist Du!«

»Sapperment! Also der Teufel?«

»Ja. Die Schlange, welcher ich den Kopf zertreten werde. Ihr habt mich beleidigt; aber Ihr kennt mich noch nicht!«

»O, keine Sorge! Wir kennen Dich!«

»So! Nun, Ihr werdet mich aber noch viel besser kennen lernen. So eine Beleidigung fordert Rache, blutige Rache!«

»Willst Du uns ermorden?«

»Nein, aber verderben werde ich Euch, die beiden Alten mit sammt ihrer jungen Brut!«

»Versuche es!«

»Oho! Meint Ihr, daß Ihr mich nicht zu fürchten hättet!«

»Ja, zu fürchten bist Du; das wissen wir schon längst. Grad solche Menschen, welche den Honigseim der Frömmigkeit Anderen um die Lippen schmieren, sind die gefährlichsten Creaturen. Zu fürchten bist Du wohl; aber Angst haben wir dennoch nicht vor Dir, denn Du kannst uns nicht gefährlich werden.«

»So, so! Nun, sehr gut, daß Ihr das denkt. Ihr werdet bald erkennen, wie sehr Ihr Euch da irrt. Ich werde mich fürchterlich rächen.«

»Das ist wohl Deine Frömmigkeit? Das ist wohl die Liebe, welche Du


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stets im Munde führst? Du bist ein Dummkopf sonder Gleichen! Aber trotzdem habe ich es nicht für nöthig gehalten, daß Du Dir einbilden konntest, meine Tochter zu bekommen. Daß Du aber gemeint hast, sie soll das sogar als eine große Ehre, ja als ein Himmelsglück betrachten, das läßt mich vermuthen, daß Du mit dem Verrücktwerden umgehest. Eine größere Bornirtheit ist doch gar nicht zu denken!«

»So, so, ah, oh! Ich könnte die ganze Welt zerreißen! Aber ich bin ein Christ und will mich in Geduld fassen. Ich werde meine Stunde erwarten, und sie wird kommen, viel eher noch, als Ihr denkt. Darauf könnt Ihr Euch verlassen. Dann aber werdet Ihr heulen und schreien vor Entsetzen und wünschen, niemals geboren worden zu sein.«

»Du sprichst ganz wie die Bibel!«

»Ja, ich bin ein Prediger in der Wüste und verkündige Euch das Strafgericht, welches über Euch hereinbrechen wird wie ein gewappneter Mann, gegen welchen es keinen Widerstand giebt. Jetzt verlasse ich Euch. Ich schüttele den Staub von meinen Füßen. Ihr seid das Antheil des Teufels. Ich mag mit Euch nichts mehr zu schaffen haben.«

»Ja, gehe! Auch uns wird es lieb sein, gar nichts mehr von Dir zu sehen und zu hören.«

»O, Ihr werdet mich sehen, und Ihr werdet von mir hören, wenn ich Gericht über Euch halten werde. Ich kenne bereits den Strick, an welchem ich Euch aufhängen werde. Denkt nur an die >armen Leute<, denen Ihr gegen das Gesetz Euern Beistand gewährt! Ich werde es so weit bringen, daß Ihr selbst nach Nertschinsk verbannt werdet, um in den unterirdischen Bergwerken zu arbeiten, bis der Tod Euch in die Hölle sendet!«

Er eilte hinaus, so schnell es seine Gravität und fromme Würde erlaubte, die er auch jetzt noch möglichst beibehielt. Die Bäuerin faltete die Hände und seufzte:

»Sollte man so Etwas denken?«

»Ich hatte es längst erwartet.«

»So! Konntest Du es nicht verhüten?«

»Wie hätte ich das anfangen sollen?«

»Du konntest ihm eine Andeutung geben.«

»Dem! Ich habe es ja versucht, oft versucht; aber er hat es gar nicht verstanden. Ein so von seinen eigenen Vorzügen überzeugter Mensch wird niemals eine solche Andeutung verstehen. Mit welchem Hochmuthe hat er uns behandelt!«

»Mich noch mehr als Dich, bevor Du dazu kamst. Er wird sich rächen!«

»Wenigstens will er es; aber er soll keine Gelegenheit dazu finden. Wir verlassen ja die Gegend.«

»Vielleicht findet er bis dahin eine Handhabe.«

»O nein. Ich werde das zu verhüten suchen.«

»Auch er redete von den >armen Leuten<. Man scheint uns also allgemein im Verdacht zu haben.«


// 2003 //

»Es hat freilich ganz den Anschein dazu. Wir müssen uns in Acht nehmen.«

Jetzt kam Mila herein.

»Gott sei Dank, daß er fort ist!« sagte sie. »Väterchen, Mütterchen, habe ich recht gehandelt?«

»Ja, mein Kind,« antwortete der Bauer.

»Ich bin nicht zu deutlich gewesen?«

»Nein. Es war ganz recht, daß Du ihm endlich einmal die Augen geöffnet hast. So einem Menschen muß man einmal die volle Wahrheit sagen. Er hatte uns beleidigt, und so verdiente er diese kräftige Zurechtweisung vollständig.«

»Und Du fürchtest seine Rache nicht?«

»Nein. Ich hoffe, daß er uns nichts wird anhaben können.«

Der abgewiesene Freier freilich dachte ganz anders. Er brütete, indem er langsam von dannen ritt, darüber, wie er wohl am Besten und Sichersten Rache nehmen könne. Und zufälliger Weise schien sich ihm sehr schnell eine vortreffliche Gelegenheit dazu zu bieten.

Er hatte das Gut bereits weit hinter sich. Sein Pferd trabte auf grasigem Boden dahin. Rechts und links standen Büsche, welche sich hinab nach dem Mückenflusse zogen. Da hörte er von der Seite her das Schnauben eines Pferdes, und gleich darauf kam ein Reiter zwischen den Büschen hervor. Es war der Kosakenwachtmeister.

Beide, Propow und der Kosak, kannten natürlich einander, aber sie liebten sich nicht. Sie hatten noch niemals ein Wort über den Gegenstand verloren, aber sie wußten, daß sie Rivalen seien - Beide trachteten nach Mila's Hand.

Daher machte der Wachtmeister keineswegs ein sehr freundliches Gesicht, als er seinem Nebenbuhler begegnete. Er ergriff vielmehr sofort die Gelegenheit, ihn zu ärgern. Er parirte sein Pferd gerade vor demjenigen Propows, so daß dieser nicht vorüber konnte.

»Was soll das?« fragte der Russe.

»Was?« schnauzte der Kosak ihn an.

»Du stellst Dich mir in den Weg!«

»Wo ist hier ein Weg? Jeder kann reiten und anhalten, wo es ihm beliebt.«

»Aber nicht gerad da vor meiner Nase.«

»Wer will es mir verbieten?«

»Ich!«

»Oho! Und wenn es mir einfiele, mich auf Deine Nase zu setzen, würde ich Dich nicht erst um die Erlaubniß dazu fragen. Mit einem so guten Freunde von Peter Dobronitsch mache ich kein Federlesens.«

Diese letztere Bemerkung kam dem Russen sehr gelegen.

»Was?« fragte er. »Was soll ich sein? Ein Freund von Peter Dobronitsch?«


// 2004 //

»Kannst Du es leugnen?«

»Ich leugne es! Ich möchte Den sehen, der es mir beweisen kann, daß ich der Freund dieses Menschen bin.«

»Nun, da schau mich an! Ich beweise es.«

»Gut! Wo ist der Beweis?«

»Der ist sehr leicht. Bist Du nicht fast täglich bei ihm?«

»Das beweist nichts. Man kann auch einen Feind besuchen. Freilich braucht man es ihm nicht gerade zu sagen, daß man sein Freund nicht ist.«

»So! Aber seine Tochter möchtest Du!«

»Mann, wer hat Dir das weiß gemacht?«

Der Wachtmeister betrachtete ihn mit mißtrauisch forschenden Blicken. Ein schadenfrohes Lächeln glitt über sein Gesicht.

»Das braucht mir Niemand weiß zu machen. Das sehe ich ja!«

»So täuschen Dich Deine Augen.«

»O, meine Augen sind scharf!«

»Sie haben Dich aber doch betrogen.«

»Nein. Denkst Du, ich habe die Blicke nicht gesehen, mit denen Du das Mädchen verschlingst, wenn Du bei ihr bist?«

»Das hast Du Dir doch nur eingebildet. Es fällt mir gar nicht ein, an diese Dirne zu denken. Ihr Vater könnte sie mir anbieten, ich möchte sie doch nicht.«

Er sagte das in zornigem Tone, und seine Miene war dabei so aufrichtig grimmig, daß der Wachtmeister erkannte, daß der Mann jetzt die Wahrheit sprach. Er nickte leise vor sich hin, betrachtete ihn abermals lächelnd und sagte:

»Sergius Propow, Du hast ja einen neuen Rock an?«

»Warum sollte ich nicht?«

»Und Handschuhe dazu!«

»Wie Du siehst.«

»Es scheint heute ein sehr feierlicher Tag für Dich zu sein, ich glaube gar, Du bist auf der Brautschau gewesen?«

»Ich denke gar nicht daran.«

»Leugne nicht! Oder soll ich Peter Dobronitsch fragen? Er würde es mir sofort sagen, was Du bei ihm gewollt hast.«

»Donnerwetter! Was geht es Dich an, was ich bei ihm will und bei ihm suche!«

»Nichts, gar nichts, mein Brüderchen. Aber es ist eine Dummheit von Dir, es mir verschweigen zu wollen. Ich erfahre es doch, und dann habe ich ein Recht, Dich auszulachen!«

»Es giebt da nichts auszulachen!«

»Und ich bin ganz überzeugt davon. Du hast die Mila haben wollen und hast sie nicht bekommen!«

»Was geht es Dich an. Wenn Du mir nicht Platz machen kannst, suche ich mir einen anderen Weg.«


// 2005 //

Er wollte den Wachtmeister umreiten; dieser aber ergriff ihn beim Arme und hielt ihn fest.

»Halt! So schnell kommst Du nicht fort von mir!«

»Was willst Du, so rede!«

»Hier nicht. Wie leicht könnte Jemand dazu kommen. Wo willst Du hin?«

»Ueber den Fluß hinüber, nach Hause.«

»Ich reite mit. Ich begleite Dich bis zum Flusse. Du erlaubst es mir doch?«

»Es liegt mir nichts daran!«

»Weil Du mich für Deinen Feind hältst?«

»Bist Du es etwa nicht?«

»Nein. Auch ich habe Dich für meinen Gegner gehalten. Jetzt aber sehe ich ein, daß ich mich getäuscht habe. Komm, zögere nicht.«

Jetzt ritten sie neben einander in der Richtung, welche Propow ursprünglich verfolgt hatte. Der Wachtmeister beobachtete ihn verstohlen von der Seite und fragte nach einer Weile:

»Hatte ich Recht? Du warst bei Peter Dobronitsch?«

»Ja.«

»Er hat Dir seine Tochter abgeschlagen?«

»Was soll ich es leugnen. Er wird es doch allüberall erzählen.«

»Also doch! Was hat er denn eigentlich für Gründe, Dich abzuweisen, angegeben?«

»Gründe? Er hat keine.«

»Das machst Du mir nicht weiß!«

»Keinen einzigen!«

»So hätte er Dir die Mila doch gegeben!«

»Er wollte einfach nicht.«

»So muß er doch eine Ursache haben! Und die muß er Dir doch auch wohl nennen!«

»Ist ihm nicht eingefallen.«

»Sapperment! Was bist Du da für ein Kerl! Wenn ein Vater meine Werbung zurückweist, so muß er mir sagen, warum!«

»Und wenn er aber nicht will!«

»So zwinge ich ihn dazu.«

»Du, ja. Du bist ein Krieger, ich aber bin ein Mann des Friedens, ein Sohn des Glaubens, der keinem Wurm gern wehe thut.«

»Lassen wir das! Ich kenne Dich, und Du hast nicht nöthig, mir Etwas weiß machen zu wollen, was ich doch nicht glaube. Gründe hat er gehabt. Das ist sicher. Aber welche? - Du bist doch ein reicher, und noch dazu ein reputirlicher und angesehener Mann.«

»Ich möchte allerdings wissen, wer gegen meinen guten Ruf Etwas einzuwenden hätte.«

»Auch von Gestalt und Ansehen gut und sehr wohl erhalten.«


// 2006 //

Der Russe warf einen mißtrauischen Blick auf den Kosaken, antwortete aber, als dieser Letztere eine sehr ernste Miene zeigte:

»Wenigstens denke ich, daß ich kein Scheusal bin.«

»Nein, das bist Du nicht. Du kannst mit Deinem Aeußeren vollkommen zufrieden sein. Und was Dein Gemüth und Deinen Verstand betrifft, so kannst Du Dich getrost mit einem jeden vergleichen. Ein Dummkopf bist Du nicht.«

»Aber grad einen Dummkopf hat mich der Peter Dobronitsch genannt.«

»Ah! Wirklich?«

»Ja. Und seine Tochter auch!«

»Und das hast Du gelitten?«

»Was sollte ich dagegen machen?«

»Hm! Ja, da Du ein Mann des Friedens bist, so mußtest Du schweigen. Ich aber hätte ihm den Säbel über den Kopf gehauen!«

»Verdient hätte er es!«

»Einen Mann von den Geistesgaben, welche Du besitzest! Hält er sich etwa für gescheidter und klüger als Du?«

»Das versteht sich natürlich!«

»Der Esel!«

Propow glaubte wirklich, daß der Kosak es aufrichtig meine. Darum gestand er in seinem Grimme:

»Ich könnt Dir noch viel mehr sagen. Wenn ich nicht ein treuer Sohn der Kirche wäre, dem Demuth und Vergebung als schöne Tugenden gelten, so hätte ich alle Veranlassung, diesem Menschen Rache zu schwören.«

»So! Was haben sie Dir denn noch gethan?«

»Geschimpft haben sie mich, entsetzlich geschimpft! Einen Pavian haben sie mich genannt.«

Der Kosak stieß ein lautes Gelächter aus.

»Was giebt es da zu lachen? Meinst Du, daß Sie Recht haben?«

»O nein, nein! Ich lache nur, weil Dobronitsch selbst so ein Pavian ist. Der Kerl sollte sich doch um sich selbst kümmern!«

»Da hast Du Recht. Jetzt könnte er mir sein Mädchen an den Hals werfen, ich möchte es nicht. Ich bereue es überhaupt, um die Hand dieses eingebildeten Dinges angehalten zu haben. Ich weiß, daß Du ihr auch gut bist -«

»So! Da täuschest Du Dich gewaltig!«

»Gewiß nicht. Jetzt stehe ich Dir nicht mehr im Wege. Ich will sie Dir überlassen.«

»Ah, das ist sehr freundlich von Dir! Wie kommst Du denn dazu?«

»Nun, Du erkennst wenigstens daraus, was für ein gutes Gemüth ich habe.«

»Ja. Du überlässest mir Etwas, was Dir ein für alle Mal versagt worden ist!«

»Oho! Wenn ich sie wirklich ernstlich wollte, so würde ich sie ganz gewiß bekommen!«


// 2007 //

»Desto freundlicher von Dir, daß Du sie mir freiwillig abtrittst.«

»Ja. Du kannst nun um sie anhalten.«

»Das werde ich freilich bleiben lassen.«

»So! Warum?«

»Weil ich sie nicht mag.«

»Das sagst Du nur.«

»Es ist mein Ernst.«

»Wirklich? So hättest Du keine Absicht auf sie gehabt? Da habe ich mich freilich getäuscht.«

Der Kosak warf ihm einen verstohlenen, höhnischen Blick zu und antwortete:

»Ich will aufrichtig mit Dir sein. Ich hatte allerdings mein Auge auf sie geworfen.«

»Dachte es mir! Bist wohl meinetwegen zurückgetreten?«

»Deinetwegen? Das wäre mir im ganzen Leben nicht eingefallen.«

»Nun, warum denn?«

»Weil - nun, weil sie mir gesagt hat, daß sie mich nicht mag.«

»Donnerwetter!« rief Propow mit schlecht verhehlter Schadenfreude. »Ist das wahr?«

»Würde ich es sonst erzählen? Es ist ja eine Schande für mich!«

»Allerdings!«

»Allerdings? So! Dann ists auch für Dich keine Ehre, abgewiesen worden zu sein. Daß ich es Dir freiwillig erzähle, mag Dir beweisen, daß ich ein aufrichtiger Kerl bin und es gut mit Dir meine.«

»So! Gut meinst Du es mit mir? Davon habe ich freilich noch nichts gewußt.«

»Wir sind Beide abgewiesen worden, folglich sind wir eigentlich Schicksalsgenossen. Wir sollten uns verbinden, um gemeinschaftlich Rache zu nehmen.«

»Rache? Nein, die fühle ich nicht. Die Rache ist mein; ich will vergelten, spricht der Herr!«

»Ich sage Dir abermals, daß Du mir nicht mit solchen Flausen kommen sollst. Bei mir ist diese Mühe vergeblich.«

»Flausen? Die sind es nicht, nein gewiß nicht. Ein guter Christ ist nicht rachsüchtig; aber er wird der Gerechtigkeit Gottes auch nichts in den Weg legen. Das kann ich sagen.«

»Nun, das ist ganz dasselbe. Vielleicht wird ein guter Christ es für seine Pflicht halten, die Gerechtigkeit Gottes nach Kräften zu unterstützen?«

»Natürlich!«

»Und was verstehst Du unter dieser Gerechtigkeit Gottes?«

»Jede Gelegenheit, den Sünder zu strafen.«

»So sind wir ja einig, nur daß Du das ganz anders nennst, was ich Rache heiße.«

»Streiten wir uns nicht über leere Worte! Ich will eingestehen, daß ich auf diese Menschen ein strenges Strafgericht herabwünsche.«


// 2008 //

»Dieser Wunsch kann ja erfüllt werden.«

»So, inwiefern meinst Du das?«

»Hm! Willst Du mich etwa nur ausfragen? Und es dann dem Dobronitsch verrathen?«

»Was fällt Dir ein!«

»Du könntest denken, daß Du dafür dann vielleicht die Mila zur Frau bekämst!«

»Was für einen Unsinn schwatzest Du da!«

»Ich sage Dir, daß die Mila mich abgewiesen hat. Sie mag mich nicht. Dafür soll sie bestraft werden. Willst Du sie etwa dafür, daß sie auch Dich beleidigt hat, belohnen?«

»Fällt mir doch nicht ein!«

»So brauchst Du mir auch nicht zu mißtrauen. Hier, hast Du meine Hand. Wollen von heut an Freunde sein und fleißig nachdenken, wie wir uns rächen können!«

Er hielt dem Russen die Hand hin. Dieser schlug ein und sagte:

»Recht hast Du. Nachsicht wäre hier nur eine Sünde. Wir wollen uns verbinden, und es müßte mit dem Teufel zugehen, wenn wir nicht einen Weg entdeckten, auf welchem wir zum Ziele gelangen.«

»Ich denke mir immer, daß Dir ein solcher Weg bereits bekannt sein wird.«

»O nein.«

»Wirklich? Hm! Ich habe bisher geglaubt, daß er aufrichtig mit Dir gewesen ist, und zwar in Bezug der armen Leute.«

»Da giebt es freilich nichts.«

Der Kosak warf einen seiner durchdringenden Blicke auf den Russen. Dieser lachte:

»Meinst Du, daß Peter Dobronitsch mich etwa zu seinem Vertrauten gemacht habe?«

»Das habe ich allerdings geglaubt.«

»Da kennst Du ihn schlecht.«

»Du giltst für einen frommen Mann. Es steht zu erwarten, daß ein guter Christ seine Frömmigkeit und Nächstenliebe dadurch bethätigt, daß er die »armen Leute« unterstützt.«

»Und dadurch mit der Polizei in Conflict geräth? Sollte mir einfallen!«

»Also nicht! Ich dachte mir wirklich, daß Du ein heimlicher Helfershelfer von Peter seist.«

»Das ist mir niemals eingefallen.«

»So weißt Du in dieser Beziehung wirklich nichts, gar nichts von ihm?«

»Nichts. Ich ahne zwar, daß er den Flüchtlingen Hilfe gewährt, etwas Sicheres darüber aber habe ich niemals erfahren können.«

»So so! Ich glaubte, Du seist besser als ich unterrichtet, da Du so überzeugt sprachst.«

»Ueberzeugt bin ich auch, aber beweisen kann ich leider nichts.«

»Es soll


// 2009 //

aber gar nicht lange dauern, so werde ich den Kerl fangen. Heut zum Beispiel war Alexius Boroda, der berüchtigte Zobeljäger, bei ihm.«

»Sollte man es glauben! Hast Du den Boroda gefangen?«

»Leider nein. Der Kerl hat den Teufel im Leibe.«

Er erzählte jetzt den Vorgang, natürlich so, daß kein schlechtes Licht auf ihn selbst fiel.

»Er ist,« fuhr er dann fort, »gar nicht weit geritten, denn ich fand mein Pferd bereits nach einer Viertelstunde. Das kluge Thier war ganz einfach dahin zurückgelaufen, wo es mich verlassen hatte. Ob meine beiden Leute ihre Thiere auch wiederhaben, weiß ich nicht. Wir haben uns getrennt, und ich habe sie noch nicht wieder getroffen.«

»Hm! Da kommt mir ein Gedanke, welcher vielleicht nicht übel ist. Der Boroda hat Dein Pferd nur so weit benutzt, als es nöthig war, aus Deiner Nähe zu kommen. Was folgt daraus?«

»Nun?«

»Daß er gar nicht die Absicht gehabt hat, diese Gegend zu verlassen. Er ist noch hier.«

»Das denke ich auch.«

»Willst Du ihn nicht fangen?«

»Welche Frage! Es sind tausend Rubel auf sein Ergreifen gesetzt.«

»Die kannst Du Dir verdienen.«

»Ich will es versuchen.«

»Aber klug mußt Du es anfangen.«

»Das versteht sich ganz von selbst. Mein Plan ist bereits schon fertig.«

»Darf ich ihn erfahren?«

»Ich habe nun einmal Vertrauen zu Dir gefaßt; darum will ich nicht hinter dem Berge halten. Ich weiß, daß Boroda bei Peter Dobronitsch zu finden ist.«

»Sapperment! Das ist auch mein Gedanke.«

»Siehst Du!«

»Er ist gekommen, um sich von Dobronitsch Hilfe zu holen; dabei hast Du ihn erwischt und vertrieben. Er kommt wieder.«

»Ganz gewiß!«

»Aber nicht am Tage.«

»Das wird ihm einfallen! Er schleicht sich in der Nacht herbei; das ist gewiß.«

»Richtig! Und das giebt eine vortreffliche Gelegenheit, Dobronitsch zu bestrafen.«

»Wir haben die gleiche Ansicht, und so denke ich, daß unsere Vermuthung uns nicht täuschen wird.«

»Ganz gewiß nicht. Er kommt.«

»Er soll auch kommen. Ich werde ihn empfangen. Meine Maßregeln werden gut getroffen.«

»Wie willst Du es anfangen?«


// 2010 //

»Ich lege meine Kosaken in den Hof. Wenn er dann kommt, ergreifen wir ihn.«

»Deine Kosaken? Wie viele stehen Dir zur Verfügung?«

»So viele, wie der Sotnik mir giebt.«

»Du wirst ihn nicht fangen, weil der Sotnik das Geld selbst wird verdienen wollen.«

»Donnerwetter! Da hast Du Recht.«

»Er wird, wenn Du ihm die Meldung machst, sich selbst in das Gut legen.«

»Daran habe ich gar nicht gedacht. Da komme ich um das schöne, schöne Geld.«

»Du würdest auch so drum kommen, denn Du würdest den Boroda nicht fangen.«

»Ich würde ihn fangen, wenn er überhaupt käme.«

»Das ists ja! Er würde nicht kommen.«

»Warum?«

»Wenn Du Dich mit zwanzig oder dreißig Kosaken in das Gut legtest und Posten ausstelltest, denkst Du, daß er das nicht merken würde?«

»Nein.«

»Da kennst Du so einen Zobeljäger schlecht. Der kommt eben ganz so wie ein Zobel, wie ein Raubthier herbeigeschlichen.«

»Wir würden höchst vorsichtig sein!«

»Er ist noch schlauer. So ein Kerl hat durch die Uebung Augen, mit denen er auch des Nachts sehen kann. Nein, sobald Du den Hof förmlich besetzest, wirst Du ihn nicht fangen.«

»Wie soll ich es aber denn thun?«

»Heimlich, mit größter Heimlichkeit. Wenn Du Dich mit so viel Leuten in den Hof legest, so wird Peter Dobronitsch ihm sicherlich ein Zeichen geben, daß Gefahr vorhanden ist. Dobronitsch darf also selbst nicht wissen, daß sein Hof bewacht ist.«

»Du, dieser Gedanke ist nicht übel!«

»Siehst Du! Ich denke mir, daß Boroda heimlich sich herbeischleichen wird. Kennst Du die kleine Kammer, hinter deren Fenster das Licht zu brennen pflegt?«

»Ja. Er stellt Essen und Trinken hin.«

»Dafür sollte er bestraft werden!«

»Das geht nicht. Jedermann kann seine Vorräthe aufbewahren, wo es ihm beliebt. Wer sie wegnimmt, nun, das ist eben seine Sache. Also weiter!«

»Natürlich wird Boroda mit Dobronitsch reden wollen. Wie aber kommt er zu ihm?«

»Hm! Vielleicht durch eine offene Thür?«

»O nein, sondern eben durch das offene Fenster.«

»Du kannst Recht haben.«


// 2011 //

»Boroda steigt durch das Fenster in das Kämmerchen. Befindet er sich dann einmal im Innern des Hauses, so ist es ihm leicht, Dobronitsch zu wecken und mit ihm zu sprechen.«

»Ah, dabei sollte ich sie erwischen, aber wie es anfangen!«

»Du brauchst nur vorher einzusteigen.«

»Richtig. Ich verstecke mich! Aber, da fällt mir ein: Wenn Boroda in das Kämmerchen steigt und ich befinde mich bereits dort, so sieht er mich doch! Zwar kann ich ihn sogleich ergreifen, und die tausend Rubel sind mein; aber dem Dobronitsch können wir nichts anhaben. Er wird sagen, daß er von dem Boroda gar nichts wisse.«

»Da laß mich sorgen! Ich kenne das Haus. Neben dem Kämmerchen, auf dessen Fenster die Nahrung für die »armen Leute« gestellt wird, liegt die Räucherkammer, in welcher alles Fleisch und die Fischvorräthe für den Winter geräuchert werden. Da hinein stecken wir uns.«

»Uns? Du auch mit?«

»Natürlich, Du mußt doch bedenken, daß Du den Boroda nicht allein bezwingen kannst.«

»Ich würde einige Kosaken mit hinein in das Räucherkämmerchen nehmen.«

»Es ist nur für zwei Personen Platz, und Du müßtest mit ihnen theilen. Wir Zwei aber sind Manns genug, ihn zu überwältigen; wir werden uns so gut bewaffnen, und dann gehört die ganze Summe Dir.«

»Wenn es so ist, so bin ich vollständig einverstanden. Ich sehe ein, daß Du ein tüchtiger Kerl bist. Ich freue mich, Vertrauen zu Dir gefaßt zu haben!«

»O, Du wirst mich noch viel besser kennen lernen, Wachtmeister! Vor allen Dingen müssen wir uns besprechen, wann und wo wir uns treffen.«

»Wann? Natürlich heut Abend.«

»Das versteht sich ganz von selbst, denn bereits heut Abend, nicht aber später, wird dieser Boroda zurückkehren.«

»Ja, und zwar denke ich, daß er nicht warten wird, bis die Nacht so ziemlich vergangen ist. Wer weiß, wie lange er mit Peter Dobronitsch sprechen will und was er Alles bei ihm zu thun hat. Er wird also so zeitig wie möglich kommen. Darum dürfen auch wir uns nicht zu spät einstellen.«

»Ich bin kurz nach Eintritt der Dunkelheit bereit.«

»Ich auch.«

»Aber wo finden wir uns?«

»Hm, an einem Orte natürlich, wo wir nicht gesehen werden können, also nicht zu nahe an der Wohnung des Bauers.«

»Das denke ich auch. Es muß an einer Stelle sein, welche leicht zu finden ist, die aber auch ein gutes Versteck bietet.«

»Die riesige Pechtanne, welche am Felsen steht, wenn man von hier hinab nach dem See geht, würde sich am besten dazu eignen. Kennst Du sie?«

»Natürlich! Es ist der größte Baum wohl hundert Werst in der Runde.


// 2012 //

Also dort, eine Stunde nach Einbruch der Dunkelheit, das wird also ungefähr neun Uhr sein, wollen wir uns treffen.«

»Und ich werde keinem meiner Kosaken diesen Plan verrathen, auch keinem Vorgesetzten.«

»Aber zwei der Kosaken wissen doch, daß Boroda da ist. Sie waren vorhin bei Dir und haben ihn gesehen.«

»Ich werde sie täuschen. Ich sage Ihnen, daß dieser Kerl gar nicht Boroda gewesen ist.«

»Sehr gut! Dann wirst Du Dir das Geld allein verdienen. So laß uns scheiden. Da ist der Fluß. Ich muß hinüber. Ich hab zu Hause noch Mehreres zu besorgen und kann mich sputen, wenn ich zur rechten Zeit bei der Tanne sein will.«

»Laß mich nicht warten! Kommst Du zu Pferde?«

»Ja. Ich kann doch den weiten Weg nicht gehen, das wäre zu viel verlangt.«

»So bring aber Dein Pferd nicht mit zur Tanne, sondern binde es vorher irgendwo an. Es könnte uns verrathen.«

Sie waren am Ufer des Stromes angekommen. Der Mückenfluß hatte hier, kurz vor seiner Vereinigung mit dem Baikalsee, eine ziemliche Tiefe und Breite. Ein Sibirier fürchtet sich zwar keinesweges durch einen Fluß zu reiten, immerhin aber wird man naß dabei, was man möglicher Weise zu vermeiden sucht. Eine Brücke war hier in dieser wenig belebten Gegend nicht anzubringen; darum hatte Peter Dobronitsch, welchem der Grund und Boden gehörte, eine Fähre gebaut. Sie bestand aus einem kräftigen, fest zusammen gezimmerten Flosse, welches an einem Seile von einem Ufer zum andern lief. Dieses Seil war hüben und drüben an dem hohen, felsigen Ufer befestigt.

Der Russe ritt auf dieses Floß und stieg dann vom Pferde, um sich am Seile hinüber zu ziehen. Er hatte die Mitte des Stromes noch nicht erreicht, so erschienen drüben zwei Reiter, welche, wie es schien, die Fähre benutzen wollten, um herüber zu kommen.

Der Kosak war noch nicht umgekehrt, sondern er hielt noch am linken Ufer des Flusses, um Achtung zu geben, wie sein Verbündeter das rechte Ufer erreichen werde. Er sah die beiden Reiter. Als Grenzwächter hatte er die Verpflichtung, auf Alles zu achten. Das Mißtrauen war ihm zur zweiten Natur geworden. Darum war er sofort gewillt, zu warten, bis die beiden Reiter herüberkommen würden.

Jetzt langte Sergius drüben an. Er kannte den einen der Reiter sehr gut.

»Gisa, Du bist es?« sagte er. »Wie kommst Du hierher?«

Es war wirklich Gisa, welchen Karparla ihrem Geliebten als Führer nach dem Mückenflusse mitgegeben hatte. Der Andere war Georg Adlerhorst, der flüchtige Kosak Nummer Zehn. Er trug jetzt nicht die Uniform, sondern ein tungusisches Gewand, welches Gisa ihm unterwegs verschafft hatte.

»Ja, ich bin es,« antwortete der Tunguse. »Wie geht es Dir, Sergius?«


// 2013 //

»Sehr gut. Dir auch?«

»Ich befinde mich wohl.«

»Und was willst Du so allein oder vielmehr zu nur Zweien hier am Mückenflusse?«

»Ich will zu Peter Dobronitsch.«

»Ihn besuchen?«

Bei dieser Frage überflog sein Auge prüfend die Gestalt Georgs.

»Nein, nicht zum Besuch. Ich führe diesen Herrn zu ihm.«

»Ah, ein Herr ists? Er trägt doch die Kleidung der Tungusen!«

»Weil er meint, daß dies bequemer ist.«

»So so! Was will er denn bei Dobronitsch?«

»Brüderchen, wir haben nicht viel Zeit zum Verplaudern. Du wirst es noch erfahren, wenn Du zu Peter Dobronitsch kommst. Du bist ja ein guter Freund von ihm.«

»Gewesen!«

»Brüderchen, Brüderchen! So hast Du Dich mit ihm veruneinigt?«

»Nein, sondern er sich mit mir.«

»O wehe! Weshalb denn?«

»Das wirst Du erfahren, wenn Du zu ihm kommst. Auch ich habe keine Zeit zum Schwatzen übrig. Lebe wohl, Brüderchen!«

»Sage mir erst, wer da drüben am andern Ufer hält! Meine alten Augen sind schwach. Es ist ein Reiter. Er sieht aus wie ein Kosak.«

»Er ist auch einer, und zwar der Wachtmeister Wassilei von der oberen Stanitza.«

»So so!«

»Fürchtest Du ihn?«

Diese Frage war in mißtrauischem Tone ausgesprochen worden. Gisa hatte sein Gesicht nicht in der Gewalt gehabt. Als er den Namen des Wachtmeisters hörte, war es wie ein kleiner Schreck über seine Züge gegangen; das hatte Propow bemerkt.

»Fürchten?« fragte Gisa. »Warum soll ich mich vor diesem Wachtmeister fürchten?«

»Weiß ich es? Es war mir ganz so, als ob es Dir nicht lieb sei, daß er sich da drüben befindet.«

»O, es ist mir sogar sehr lieb.«

»Bist Du ein Freund von ihm?«

»Du weißt, daß ich überhaupt keines Menschen Feind bin.«

»Ja, aber der allerbeste Freund bist Du wohl den »armen Leuten«, Brüderchen.«

»Wer hat das gesagt?«

»Alle Leute sagen es.«

»Da irrt man sich sehr.«

»O nein, Dein Herz ist zu weich und zu gut. Nimm Dich in Acht, und lebe wohl!«


// 2014 //

Er schwang sich auf sein Pferd und ritt davon, aber nicht ohne vorher Georg Adlerhorst noch einmal genau betrachtet zu haben.

»Ein gefährlicher Mensch!« sagte Gisa. »Was ist er?«

»Ein Bauer, ein sehr frommer Christ.«

»Ah, diese Sorte kennt man; sie ist stets die allergefährlichste.«

»Dieser ganz besonders. Aber er macht mir keine Sorgen. Wenn ich Bedenken hege, so ist es wegen des Kosaken da drüben.«

»Ist er zu fürchten?«

»Leider. Es ist ein tüchtiger Grenzer. Tag und Nacht im Sattel, unermüdlich, listig, falsch, heimtückisch und dabei sehr freundlich in's Gesicht.«

»Hm! Warten wir etwa, bis er da drüben fort ist?«

»Wie Du denkst.«

»Ich halte es nicht für gut. Wenn wir hier warten, glaubt er, wir haben Veranlassung, ihn zu fürchten. Da wird er gerade erst recht nicht weichen.«

»Das ist wahr. Aber er wird mit Dir sprechen und Dich ausfragen, mein Söhnchen!«

»Immerhin.«

»Er sieht an Deinem Gesichte, daß Du kein Tunguse bist. Was willst Du antworten?«

»Ich bin ein Bauer aus der Gegend von Jekaterinenburg und will mich hier ankaufen.«

»Hast Du eine Reise-Erlaubniß?«

»Das laß meine Sorge sein.«

»Ganz wie Du willst! Also Du meinst, daß wir hinüberfahren?«

»Auf alle Fälle.«

Sie stiegen von ihren Pferden und führten dieselben auf das Fährfloß, mit welchem sie sich an den Seilen nach dem jenseitigen Ufer zogen. Dort hielt der Kosak noch immer. Er betrachtete die beiden Ankommenden mit argwöhnischen Augen.

Gisa hatte zu Propow gesagt, daß seine Augen schwach geworden seien.

Das war nicht wahr. Er sah sehr scharf. Er hatte den Wachtmeister erkannt und sich durch die Erkundigung nur überzeugen wollen, ob er wirklich richtig gesehen habe. Er nahm, als sie jetzt die Fähre angebunden, ihre Pferde wieder bestiegen hatten und nun die Uferböschung hinanritten, eine möglichst unbefangene Miene an. Auch Georg von Adlerhorst zeigte nicht die mindeste Spur von Besorgniß oder gar Angst in seinem Gesicht. Selbst wenn entdeckt würde, daß er ein entflohener Gefangener sei, befürchtete er nicht, ergriffen zu werden. Er getraute sich, es mit einer ganzen Zahl von Verfolgern aufzunehmen. Vor diesem Einen, dem Wachtmeister, war ihm aber gar nicht bange.

Das Gesicht dieses Letzteren schien freilich nichts Gutes verheißen zu wollen. Sein Blick, den er auf Georg richtete, war so spitz, so scharf und


// 2015 //

forschend, daß kein gutes Resultat dieser Betrachtung zu erwarten war. Er wendete sich an Gisa:

»Du hier?« sagte er. »Was suchest Du schon wieder hier am Mückenflusse?«

»Was ich hier suche?« antwortete der Gefragte in scherzhaftem Tone. »Mücken natürlich. Was soll man sonst am Mückenflusse suchen?«

»Hm! Vielleicht befinden sich die Mücken, welche Du finden willst, nur in Deinem Kopfe.«

»So? Na, ein Jeder hat einige Mücken in seinem Kopfe. Dir wird es auch nicht daran fehlen.«

»Schweig!« herrschte der Wachtmeister ihn an. »Mit einem Kosakenunterofficier seiner Majestät des Zaren von Rußland spricht man nicht in einem solchen Tone!«

»Brüderchen, hast Du nicht selbst erst diesen Ton angeschlagen? Scherz bringt wieder Scherz.«

»Ich habe keine Lust zum Scherzen.«

»So sprich auch nicht von Mücken in meinem Kopfe! Was Dir recht ist, ist mir billig.«

»Du hast ja heute einen sehr strengen Ton!«

Er sagte das höhnisch. Der Tunguse antwortete ihm in dem ernsthaftesten Tone:

»Ich pflege so zu reden, wie man vorher zu mir spricht. Laß Dir das gefallen!«

»Ich lasse mir von Dir gar nichts gefallen. Ich befinde mich als Grenzwächter hier.«

»Wir sind aber nicht an der Grenze.«

»Aber im Grenzbezirke. Ich frage Dich, was Du am Mückenflusse willst. So viel ich weiß, lagert Ihr jetzt bei Platowa.«

»Meine Stammesgenossen sind dort; ich aber befinde mich hier, wie Du siehst. Oder bin ich etwa kein freier Mann? Darf ich nicht dahin reiten, wohin es mir beliebt?«

»Das darfst Du, Du nämlich. Aber Andere sind nicht frei. Sie dürfen nicht thun, was ihnen beliebt.«

»Das geht mich nichts an!«

»Es geht Dich doch Etwas an. Wer mit verdächtigen Menschen reitet, macht sich selbst verdächtig.«

»Davon weiß ich gar nichts. Es befindet sich doch nur dieser Herr bei mir. Ist er verdächtig?«

»Herr? Ein Herr soll er sein?« lachte der Wachtmeister höhnisch. »Willst Du mich täuschen?«

»Fällt mir nicht ein!«

»Nun, so hat er Dich selbst getäuscht.«

»Ich möchte wissen, inwiefern.«

»Wirst es gleich hören.«

Er drängte sein Pferd an dasjenige Georgs heran, so daß dieser sich nur


// 2016 //

nach dem Flusse zu wenden konnte; er schnitt ihm also den Fluchtweg nach dem Lande ab und fragte ihn:

»Darf ich vielleicht erfahren, wer Du bist?«

»Warum nicht? Ich bin ein Kaufmann und Ackerbauer.«

»Woher?«

»Bei Jekatarinenburg.«

»Wie ist Dein Name?«

»Skobeleff.«

»Donnerwetter! Da hast Du ja einen sehr berühmten Namen.«

»Allerdings.«

»Bist wohl gar der General Skobeleff!«

»So sehe ich nicht aus. Verwandt bin ich mit ihm; das ist Alles. Er ist mein Vetter.«

»So bist Du wohl auch Soldat?«

»Nein.«

»Und was willst Du hier in dieser Gegend?«

»Wir möchten uns hier gern ankaufen.«

»Wir? Wer ist das?«

»Meine Eltern und Geschwister, überhaupt sämmtliche Glieder meiner Familie.«

»Ach so! Hast Du einen Paß?«

»Ich nicht.«

»Schön! Dachte es mir! Weißt Du es denn nicht, daß man ohne Paß nicht reisen darf?«

»Das weiß ich; wir haben einen Paß; er lautet auf meinen Vater nebst Familie. Darum hat er ihn natürlich bei sich.«

»Ach so! Wo befindet er sich?«

»In Platowa zum Jahrmarkte.«

»So ist es sehr unvorsichtig von ihm, Dich ohne Paß fortzulassen. Du hättest Dir von dem dortigen Kreishauptmanne eine Legitimation ausstellen lassen sollen.«

»Das wollte ich; aber der Kreishauptmann sagte, daß es dessen nicht bedürfe.«

Der Kosak lachte laut auf.

»Das soll ich glauben!«

»Glaube es oder nicht; mir ist das egal!«

»Oho, mein Brüderchen, das kann Dir nicht so gleichgiltig sein, wie Du Dir den Anschein giebst! Ein Paß muß bezahlt werden, und ich kenne den Kreishauptmann. Eine Gelegenheit, Geld einzunehmen, läßt er nicht unbenützt vorübergehen. Wenn Du also sagst, daß er Dir keinen Paß hat geben wollen, so lügest Du.«

»Ich will Dir dieses Wort verzeihen. Du bist ein Kosak, und Kosaken sind nie höflich.«

»Donnerwetter! Wahre Deine Zunge!«


Ende der vierundachtzigsten Lieferung - Fortsetzung folgt.



Karl May: Deutsche Herzen, deutsche Helden

Karl May – Forschung und Werk