Lieferung 83

Karl May

16. Juli 1887

Deutsche Herzen, deutsche Helden.

Vom Verfasser des »Waldröschen« und »der Fürst des Elends«.


// 1969 //

»Und wo sind Eure Pferde?«

»Zwei hat er mit der Peitsche fortgejagt, damit wir ihn nicht verfolgen könnten, und auf dem meinigen ist er davongeritten. Hast Du nicht einen Schluck Wotki da?«

»Den habe ich wohl, aber er wird Euch wohl schwerlich dienlich sein.«

»O doch! Er hilft ja gegen alle Schmerzen, also auch gegen die unserigen.«

»Zunächst wird es nöthiger sein, zu untersuchen, welchen Schaden Ihr genommen habt.«

»Das kann nur ein Arzt sehen.«

»Da könnt Ihr warten! Du weißt, daß ich mich auch ein wenig auf die Behandlung von Wunden verstehe. Willst Du erlauben, Euch einmal zu untersuchen?«

»Ja, aber wehe thun darf es uns nicht!«

»Ich werde mich in Acht nehmen. Also zeig einmal Deinen Kopf her!«

Er stieg vom Pferde und trat zunächst zu dem von der Balalaika »Getödteten«. Er legte ihm die Hand auf den Kopf, um denselben zu untersuchen. Aber da schrie der Mann sofort auf:

»Halt, halt! Nicht anrühren! Ich kann es vor Schmerzen nicht aushalten!«

Der Bauer war ein hochgewachsener Mann mit ernsten, energischen aber doch wohlwollenden Gesichtszügen. Sein kluges Gesicht blieb auch jetzt ernst, als er antwortete:

»Da steht es allerdings schlimm mit Dir.«

»Meinst Du?«

»Ja. Du wirsts nicht mehr lange machen.«

»Sterben? Sterben soll ich?«

»Ja. In einer Viertelstunde bist Du todt. Dein Kopf ist ganz zerschmettert.«

»Grad wie die Balalaika! Wußte ich es doch!« jammerte der Mann. »Nun muß ich in der Blüthe meiner Jugend sterben! Dieser verdammte Boroda! Wenn ich ihn droben unter den Seligen treffe, schlage ich ihm alle Knochen entzwei!«

»Schimpfe nicht! Im Himmel giebt es keine Prügelei! Bereite Dich lieber mit ernster Andacht auf Deine letzte Stunde vor!«

»Ist das denn wirklich so nöthig?«

»Ja. Deine Nase wird schon spitz und weiß.«

Da griff sich der Mann schnell mit beiden Händen an die Nase, befühlte sie sorgfältig und seufzte mit brechender Stimme:

»Ja, sie ist schon spitz, fast so spitz wie eine Stecknadel. Mit mir gehts zu Ende; mit mir ists aus. O heilige Kathinka!«

Er faltete die Hände und senkte das Haupt. Der Bauer aber trat zu dem zweiten Kosaken und griff nach dessen Magen.

»Nein, nein!« schrie derselbe auf. »Das kann ich nicht aushalten!«


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»Thut es denn gar so wehe?«

»Ja, sehr!«

»Hm! Das kann ich mir wohl denken. Du hast unter der Haut ein so großes Loch, daß man mit der Faust hineinfahren kann.«

»Richtig, richtig! Ja, ich habe es ja gleich gefühlt. Er hat es mir ja mit der Faust hineingeschlagen. Ist das Loch vielleicht zu repariren?«

»Nein, da giebt es keine Reparatur!«

»O Himmel! Ists so gefährlich?«

»Ja. Einen Magen, wenn er ein Loch hat, kann man doch nicht ausbessern wie eine alte Pauke, welche ein Loch bekommen hat.«

»So muß ich auch sterben?«

»Unbedingt!«

»Vielleicht irrst Du Dich!«

»Nein. Ein Irrthum ist gar nicht möglich. Die Luft kann durch das Loch eintreten, und dadurch wird Dein Magen in ganz kurzer Zeit so sauer werden wie Milch, wenn man das Gefäß nicht ordentlich zugedeckt hat.«

»So muß ich also an einem sauren Magen sterben?«

»Ja. Innerhalb einer Viertelstunde. Gehe in Dich; bereue Deine Sünden, und bereite Dich auf den letzten Gang vor!«

Der Mann streckte sich auf dem Boden aus und gab keinen Laut mehr von sich. Er war zu erschrocken, als daß er hätte viele Worte machen können.

»Nun zu mir!« gebot der Wachtmeister. »Ich werde wohl mit dem Leben davonkommen.«

»Meinst Du?«

»Ja. Mein Kopf ist gesund. Die Rippen liegen ja nicht im Kopfe.«

»Warte nur erst, bis ich Dich untersucht habe. Jetzt kannst Du noch jubiliren. Zeige einmal her!«

Er kniete zu ihm nieder und legte ihm die Hände an beide Seiten der Brust, um diese Letztere ein Wenig zu drücken.

»Donnerwetter!« brüllte der Wachtmeister. »Was fällt Dir denn eigentlich ein!«

»Untersuchen will ich Dich.«

»Aber doch nicht in dieser Weise! Das kann ich unmöglich aushalten. Du mußt doch bedenken, daß mir sämmtliche Rippen entzwei gebrochen sind!«

»Hm, ja. Ich wollte es nicht glauben, jetzt aber fühle ich, daß Du Recht hast.«

»Nicht wahr! Sie sind entzwei?«

»Leider, ja.«

»Alle?«

»Es ist keine einzige mehr ganz.«

»Hoffentlich aber kann ich curirt werden?«

»Nein.«

»Bist Du toll?«

»So viel verstehe ich von solchen Sachen, daß ich Dir keine Hoffnung


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mehr geben kann. Was hilft es, wenn ich Dich tröste, und in einer halben Stunde bist Du todt!«

Der Wachtmeister sah den Sprecher mit großen, erschrockenen Augen an.

»In - einer - halben - Stunde - todt?« stieß er langsam hervor.

»Ganz gewiß!« nickte der Bauer sehr ernst.

»Aber mein Kopf ist doch noch ganz!«

»Pah! Wenn man sämmtliche Rippen gebrochen hat, das ist noch viel gefährlicher als ein Loch im Kopfe.«

»Das glaube ich nicht.«

»Wirst es schon glauben, wenn Du nachher todt hier liegst. Deine Rippen sind so spitz abgebrochen, daß sie in zehn Minuten Dir alle aus dem Leibe heraus stehen werden. Darauf kannst Du Dich verlassen. Fühlst Du es nicht schon jetzt vielleicht?«

Da fuhr der Wachtmeister sich mit den beiden Händen an den Leib, betastete sich voller Angst und bestätigte jammernd:

»Ja, ich fühle es!«

»Nicht wahr?«

»Ja, da sind sie schon. Sie wollen heraus. Rechts drei und links auch drei oder gar viere.«

»So mach Deine Rechnung mit dem Leben quitt! In kurzer Zeit wirst Du eine Leiche sein. Du darfst keinen Augenblick verlieren.«

»O, Ihr Seligen alle! Wer hätte das gedacht! Ich sterben! Der Teufel hole diesen verfluchten Boroda! Bauer, bringe mir Wotki, Wotki, Wotki!«

»Der ist zu nichts nutze.«

»O doch! Wenn ich Wotki trinke, fühle ich die gräßlichen Schmerzen nicht mehr.«

»Da hilft Wasser viel besser.«

»Wasser? Was fällt Dir ein!«

»Ja, Wasser stillt die Schmerzen.«

»Soll ich im Sterben Wasser trinken!«

»Trinken? Nein, trinken sollst Du es nicht. Das muthe ich keinem sterbenden Kosaken zu. Aeußerlich sollst Du es bekommen.«

»Aeußerlich? Wie denn?«

»Auf die Wunden. Es kühlt dieselben.«

»So mach schnell! Kühle sie mir. Dann aber bringst Du mir Wotki!«

»Mir auch!« bat der eine Kosak.

»Und ich will auch welchen!« winselte der Andere.

»Ihr sollt ein Jeder haben, was Euch gehört. Wartet nur wenige Augenblicke.«

Er trat zum Brunnen. Dort an demselben war eine Vorrichtung angebracht, die man im südlichen Sibirien sehr oft findet.

Da es dort nämlich verhältnißmäßig warm ist und die Häuser meist nur aus Holz bestehen, so liegt Feuersgefahr sehr im Bereiche der Möglichkeit. Die


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Gehöfte stehen sehr vereinzelt, und der einsame Besitzer darf nicht auf den Beistand einer Spritze rechnen, wenn bei ihm Feuer ausbricht. Er ist auf sich selbst angewiesen.

Wo nun irgend ein Hochquell durch Röhren nach einem Gute geleitet wird, da errichtet man am Röhrtroge ein hohes Holzgestell, auf welches sich zwei Röhren stützen, in welchen das Wasser haushoch emporgeleitet wird. In der einen Röhre steigt es empor, in der anderen wieder nieder. Dadurch erhält es einen ungemeinen Druck, so daß es, wenn man ein Mundstück unten anschraubt, oder gar einen Schlauch anbringt, wie aus einer wirklichen Feuerspritze bis auf die Dächer der Gebäude geleitet werden kann. Der Strahl steigt dann natürlich fast zu derjenigen Höhe auf, welche die beiden Röhren besitzen.

Peter Dobronitsch hatte eine solche Vorrichtung am Brunnen stehen. Der Schlauch nebst Mundstück lag stets daneben im Wasser, damit er nicht austrocknen solle.

Jetzt ging der Bauer zum Brunnen und schraubte den Schlauch an.

»Mach schnell! Schaff Wasser herbei!« gebot der Wachtmeister. »Ich brauche Kühlung.«

»Gleich, gleich! Paß auf!« antwortete der Bauer.

Er richtete das Mundstück auf die drei Kosaken, schraubte den Hahn auf, und sofort schoß ein scharfer, starker, kalter Wasserstrahl mit großer Wucht auf sie ein. Im Verlaufe nur zweier Secunden waren sie fadennaß.

»Himmeldonnerwetter!« kreischte der Wachtmeister. »Hund, was fällt Dir ein!«

Er sprang natürlich auf. Die beiden Kosaken thaten ganz dasselbe, indem sie in kräftige Flüche ausbrachen.

»Seht Ihrs! Der Kerl spritzt uns an!« schrie der Wachtmeister. »Halt auf, halt doch auf, infamer Kerl!«

Aber der Bauer hielt nicht auf. Er ließ den Strahl auf sie treffen, und zwar hatte derselbe eine solche Gewalt, daß sie fast nicht zu stehen vermochten.

»Reißt aus!« rief der von der Balalaika Getroffene.

Er eilte fort, die beiden Anderen folgten. Sie rannten nach der Hausthür zu. Aber der Bauer hielt den Schlauch höher und überschüttete sie mit einer prasselnden Wasserfluth. Das war fast noch schlimmer als vorher.

»Bleibt stehen! So geht es nicht,« gebot der Wachtmeister: Die Hände vor das Gesicht haltend, um wenigstens dieses zu schützen, schrie er dem Bauer zu:

»Willst Du wohl aufhalten! Wir können ja nicht weiter.«

»Kühlung, Kühlung!« antwortete Peter Dobronitsch herzlich lachend.

Es fiel ihm gar nicht ein, aufzuhalten. Aus den Fenstern ertönte das Gelächter der Frauenzimmer. Das steigerte die Wuth der drei Kosaken auf das Höchste.

»Er gehorcht nicht!« brüllte der Wachtmeister. »Der Kerl ist toll ge-


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worden. Wir können uns nicht anders helfen, wir müssen ihn verjagen. Drauf auf ihn!«

Sie wendeten sich zurück und stürmten auf den Brunnen zu. Einen Augenblick lang gönnte der Bauer ihnen Athem. Er hielt das Loch des Mundstückes mit dem Finger zu. Dann aber ließ er den Strahl mit verdoppelter Schärfe auf sie los. Er zielte grad nach ihren Köpfen.

Da war Widerstand unmöglich. Es gab nur Eins, was sie thun konnten, und das thaten sie. Sie warfen sich auf den Boden nieder, mit den Gesichtern der Erde zugekehrt, und ließen die Fluth in scheinbarer Gewalt über sich ergehen.

Aber diese Ergebung war eben nur eine scheinbare, wie sich bald zeigen sollte. Als der Bauer glaubte, sie nun sattsam gekühlt zu haben, hielt er den Finger wieder vor die Oeffnung, denn ganz zuschrauben und den Schlauch weglegen, das konnte er nicht risciren. Damit hätte er sich der Rache widerstandslos ergeben.

»Nun ist's genug?« fragte er.

Sofort sprang der Wachtmeister vom Boden auf und schrie:

»Bist Du fertig? Ah, Hund, das sollst Du bezahlen müssen!«

Er sprang herbei, und seine beiden Kameraden folgten. Sie hatten die sechs Fäuste erhoben, um zuzuschlagen.

»Halt, zurück!« warnte der Bauer.

»Fällt uns nicht ein!«

»Nun, da habt Ihr es wieder!«

Er nahm den Finger von der Oeffnung weg, und nun wurden die Drei von dem wieder auf sie eindringenden Strahle förmlich zurückgeschleudert. Sie schnappten laut nach Athem und warfen sich wieder zur Erde nieder. Jetzt schloß der Bauer das Ventil wieder und fragte:

»Wie steht es? Wollt Ihr Frieden geben?«

»Verdammter Kerl!« knurrte der Wachtmeister. »Ich bin halb todt.«

Er wollte aufstehen, aber der Bauer gebot:

»Bleib liegen, sonst geht es wieder los!«

»Halt auf, halt auf!«

»So gebt Ruhe!«

»Gut! Ich verspreche Dir, daß wir Dir nichts thun werden.«

»Gewiß?«

»Ja. Ich gebe Dir mein Wort.«

»Gut. Ich will es glauben. Wenn Du es aber nicht hältst, so werde ich mich zu wehren wissen.«

Er schraubte den Hahn zu und schritt dann langsam hin, wo sie lagen. Sie standen auf und sahen ihn mit wuthblitzenden Augen an. Der Wachtmeister sagte:

»Peter Dobronitsch, das werde ich Dir gedenken!«

»Das hoffe ich natürlich auch!« antwortete der Bauer mit unverwüstlichem Ernste.


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»Wie, Du hoffst es auch noch?«

»Natürlich!«

»Daß wir uns rächen?«

»Wer spricht davon? Von Rache ist doch gar keine Rede gewesen.«

»Wovon denn?«

»Von Belohnung doch!«

»Du bist wahnsinnig! Dafür, daß Du uns mit Deiner Spritze, beinahe umgebracht hast, sollen wir Dich auch belohnen?«

»Natürlich!«

»Das wird uns freilich nicht einfallen. Ich werde Dich vielmehr anzeigen.«

»Das wirst Du unterbleiben lassen!«

»Oho! Du hast den Rock des Kaisers aufs Schändlichste beleidigt.«

»Was fällt Dir ein! An eine Beleidigung habe ich gar nicht gedacht. Ich habe im Gegentheile dreien tapferen Kosaken meines Herrn und Kaisers das Leben gerettet.«

»Gerettet? Meinst Du?«

»Ja, Ihr seid geheilt.«

»Wäre das möglich?«

»Es ist die Wirklichkeit. Befühle Deine Brust! Deine Rippen, haben sich in Folge der Kälte wieder zusammengefunden.«

Der Wachtmeister betastete seine Brust und rief sodann voller Freude:

»Donnerwetter! Es thut mir ja gar nichts mehr wehe! Du bist ein klügerer Kerl als ich dachte! Nun aber kröne Dein Werk, und gieb uns einen kräftigen Wotki!«

»Den sollt Ihr haben!«

»Ja, den müssen wir haben, wenn wir uns nicht erkälten sollen.«

Der Bauer ging in das Innere des Gebäudes, um den gewünschten Labetrunk zu holen. Der Wachtmeister aber trat nahe zu seinen beiden Leuten heran und fragte sie mit pfiffiger Miene:

»Glaubt Ihr es ihm wirklich, daß er uns gerettet hat?«

»Na, meine Schmerzen sind weg!«

»Meine auch!«

»Ja, das glaube ich wohl, denn Ihr habt ja gar keine gehabt.«

»Oho! Sie waren sogar schrecklich!«

»Schweig! Meine Rippen - na - hm!«

»Waren die etwa auch nicht zerbrochen?«

»Nein. Sie waren ganz. Nur in der Ueberraschung haben wir geglaubt, so schwer verwundet zu sein.«

»Denkst Du? Da kannst Du Recht haben.«

»Freilich habe ich Recht. Dieser Hallunke hat das gewußt und sich einen Spaß mit uns gemacht. Wollen wir uns das gefallen lassen?«

»Nein. Wir sind brave und tapfre Kosaken.«

»Allerdings. Da kommt er. Ihr werdet gleich sehen, wie ich mich


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räche. Nur den Wotki wollen wir erst trinken. Seht, der Geizhals hat uns sogar nur eine einzige Flasche gebracht! Wart, Bursche!«

Jetzt kam der Bauer herbei und gab ihnen die volle Flasche.

»Hier, trinkt!« meinte er lächelnd.

»Trinken?« fragte der Wachtmeister. »Wer soll davon trinken können?«

»Nun, Ihr.«

»Du irrst, Brüderchen. Wir sind ja drei Personen. Wenn Du uns nur so ein kleines Tröpfchen bringst, können wir nur nippen.«

»So nippt meinswegen!«

»Meinst Du denn wirklich, daß es für drei solche Männer genug sei?«

»Ja, das meine ich. Ich reiche mit allen meinen Leuten zum Frühstücke mit einer einzigen Flasche aus.«

»Das sind aber auch keine Kosaken! Das mußt Du bedenken!«

»Und Du mußt bedenken, daß ich für meine Leute zu sorgen habe, daß mich aber die Kosaken gar nichts angehen. Was diese von mir bekommen, das ist ein Geschenk.«

»Ach so! Ja, wenn Du es als ein Geschenk betrachtest, so müssen wir uns allerdings begnügen. Aber erwärmen können wir uns nicht daran.«

»So wendet andere Mittel an, um wieder warm zu werden.«

»Das ist Deine Sache. Du bist es ja, der uns erkältet hat.«

»Um Euch zu retten. Also trinkt oder trinkt nicht; mir soll es sehr gleichgiltig sein.«

»Na, wenn Du heut so geizig bist, so wollen wir nichts mehr sagen. Ich trinke also.«

Er setzte die Flasche an, und leerte sie bis über die Hälfte; seine beiden Untergebenen theilten den Rest, ohne sich über ihn beschweren zu dürfen. Dann erhielt der Bauer die leere Flasche zurück. Der Wachtmeister nahm nun, da er den Schnaps getrunken hatte, plötzlich eine ganz andere, viel strengere Miene an und sagte:

»Damit sind wir fertig, mit dem Anderen aber noch nicht.«

»Was meinst Du denn?«

»Den Zobeljäger Boroda.«

»Was hätten wir mit dem zu thun?«

»Das möcht ich eben gar zu gern wissen. Wir haben ihn hier bei Dir getroffen.«

»Er geht mich nichts an.«

»Oho! Er hat bei Euch gesungen!«

»Das ist wahr. Meine Tochter hat es mir soeben erzählt.«

»Sie hat mit ihm geplaudert!«

»Auch das.«

»Heimlich und leise!«

»Das ist nicht wahr.«

»Es ist wahr, denn wir haben kein Wort von dem, was sie gesprochen haben, verstanden.«


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»Weil Ihr Euch noch nicht in der Nähe befandet. Ihr habt, als Ihr gekommen seid, Eure Pferde sofort bei Boroda angehalten, und seit diesem Augenblicke hat meine Tochter kein Wort mehr mit ihm gesprochen.«

»Er hat Ihr aber zugelächelt.«

»Dafür kann sie nicht. Du hast ihr auch sehr oft zugelächelt.«

»Ich bin ein Kosak, er aber ist ein Flüchtling. Mein Lächeln darf jedes brave Mädchen glücklich machen. Wenn Deine Tochter gescheidt wäre, ließ sie sich viel öfters von mir anlächeln!«

»Sie dankt aber sehr dafür.«

»Das kann nicht zu ihrem Vortheile sein. Also die Sache ist sehr einfach. Wir haben den Boroda bei Dir gefunden. Bei Dir hat er uns überfallen, und so versteht es sich von ganz selbst, daß Du mit ihm einverstanden sein mußt.«

Der Bauer stieß ein lautes Lachen aus.

»Das ist freilich ein Schluß, welcher Deinem Gehirne alle Ehre macht. Boroda hat gesagt, daß er ein Sänger sei. Niemand von uns hat ihn gekannt. Also ist Niemand schuld, daß er zu uns gekommen ist. Und überfallen hat er Euch auch nicht, sondern Ihr seid es, die Ihr ihn angegriffen habt. Was daraus entstanden ist, das habt Ihr allein zu verantworten.«

»Oho! Denkst Du etwa, wir wüßten es nicht, daß Du stets ein Freund und Beschützer der »armen Leute« gewesen bist?«

»Ich weiß nichts davon.«

»Desto besser wissen wir es!«

»Das ist mir sehr gleichgiltig.«

»Willst Du es etwa leugnen?«

»Du hast mich überhaupt gar nicht nach diesen Sachen zu fragen.«

»So, also bin ich Dir nicht hoch genug?«

»Allerdings.«

»So kann ich dafür sorgen, daß Höhere Dich darnach fragen!«

Der Ton dieses Gespräches war immer spitziger und zorniger geworden. Der Bauer hatte sich, ohne daß die Kosaken auf diesen Umstand weiter achteten, langsam, Schritt auf Schritt bis in die Nähe des Brunnens zurückgezogen, natürlich nicht ohne besondere Berechnung.

»Willst Du mich anzeigen?« fragte er.

»Ja.«

»Weshalb?«

»Wegen Unterstützung der Flüchtigen.«

»Du kannst nichts beweisen.«

»Da irrst Du Dich. Wo kommen die Speisen und Getränke, der Tabak hin, welche Du dort an der Ecke auf das Fenster setzest, wenn es Nacht geworden ist?«

»Das stelle ich hin, damit es kühl bleibt. Des Morgens nehme ich es wieder weg.«


// 1977 //

»So, so! Leere Ausflüchte! Wir wissen gar wohl, daß Du den Engel der Verbannten kennst. Nimm Dich nur in Acht!«

Da zog der Bauer die Brauen finster zusammen und antwortete drohend:

»Höre, Wachtmeister, in diesem Tone lasse ich nicht mit mir reden! Ich heiße Peter Dobronitsch, und kein Mensch hat bisher vermocht, mir eine Gesetzeswidrigkeit nachzuweisen. Wenn Du höflich bist, so will ich Dich nicht hindern, bist Du aber unhöflich, so hast Du bei mir hier nichts zu suchen. Das merke Dir!«

»Oho! Ich bin Grenzbeamter. Mir steht also Alles offen!«

»Nicht immer. Kommst Du in einer amtlichen Angelegenheit, so will ich still sein, sonst aber kannst Du getrost meinem Hause so fern wie möglich bleiben. Bist Du etwa auch jetzt amtlich hier?«

»Ja.«

»In wiefern?«

»Ich suche den Zobelfänger.«

»Er ist fort.«

»Er kann wiederkommen.«

»Willst Du etwa so lange hier bleiben?«

»Ja.«

»So reite erst zurück und bringe mir den Befehl Deines Sotnik, aus welchem ich ersehen kann, daß der Hof des Bauers Peter Dobronitsch in Belagerungszustand erklärt worden ist. Ein Wachtmeister aber hat darüber nicht zu verfügen.«

»Du scheinst die Gesetze sehr gut zu kennen!«

»Allerdings. Wer mit solchen Leuten verkehren muß, wie Du bist, der muß stets gut unterrichtet sein. Also jetzt habe ich keine Zeit mehr für Euch. Ihr könnt gehen.«

»Oho! So schnell geht das nicht!«

»Das geht vielleicht schneller als Du denkst!«

»Ich habe Dich um Pferde zu bitten.«

»Wozu?«

»Die unserigen sind fort. Wir müssen sie wieder einfangen, wenigstens zwei von ihnen, denn das Dritte hat Boroda jedenfalls gestohlen. Du wirst uns also augenblicklich drei gesattelte Pferde geben.«

Er sagte das in einem befehlenden, sehr selbstbewußten Tone. Der Bauer aber antwortete ruhig:

»Nein, die werde ich Euch nicht geben.«

»Oho! Warum?«

»Weil ich nicht will.«

»Du mußt!«

»Sie gehören mir, nicht Euch.«

»So requirire ich sie.«

»Schön! Zeige mir den Schein her!«

»Verdammt!«


// 1978 //

Er knirrschte mit den Zähnen. Der Bauer war ihm mehr als gewachsen.

»Schau,« sagte der Letztere, »in diesem Tone erreichst Du nichts bei mir. Ich thue gern Jedermann einen Gefallen; aber einem Spion oder Verräther gebe ich keine Krume Brodes und keinen Schluck Wutki mehr.«

»Nennst Du mich etwa einen Spion und einen Verräther?«

»Habe ich Dich genannt?«

»Nein, aber gemeint hast Du mich.«

»Denkst Du das? Hm! Du willst hier aufpassen? Du willst mich anzeigen, und doch verlangst Du Schnaps von mir und forderst sogar meine Pferde! Sage selbst, wie man das nennen muß! Wir sind fertig mit einander. Ihr könnt gehen.«

»Und wenn ich trotzdem nicht gehe!«

»So kenne ich schon Mittel, Euch fortzubringen. Ich gebrauche mein Hausrecht.«

Der Wachtmeister trat drohend einen Schritt auf ihn zu und fragte:

»Willst Du etwa Gewalt anwenden?«

»Ja, wenn Ihr nicht freiwillig geht.«

»Wage es!«

Er legte drohend die Hand an den Säbel.

»Laß Deine Klinge drin. Gegen meine Waffe hilft sie nichts. Also fort mit Euch, und zwar augenblicklich.«

»Fällt uns nicht ein!«

»Das ist Hausfriedensbruch!«

»Geht Dich nichts an.«

»Wollen sehen! Paßt auf, wie Ihr sogleich davonlaufen werdet!«

Er sprang schnell um sechs, sieben Schritte zurück nach dem Brunnen, drehte den Hahn des Rohres auf und richtete den Schlauch auf den Wachtmeister. Der gewaltige Strahl schoß mit mehr als dreifacher Manneskraft auf die Kosaken. Sie taumelten, wollten sich halten, rissen sich aber nieder, sprangen wieder auf und stolperten und stürzten abermals über einander weg und schrieen, brüllten, fluchten und scandalirten dabei in einer Weise, daß die Frauen aus der Thür gesprungen kamen.

»Laßt sie nicht in's Haus!« rief der Bauer.

Er hielt den Strahl so lange auf die Drei gerichtet, bis dieser sie nicht mehr zu erreichen vermochte. Dort aber blieben sie stehen. Der Wachtmeister erhob drohend die Faust und rief:

»Merke Dir das, Hund! Wir werden Dich noch weit mehr einweichen als Du uns jetzt!«

Der Bauer blieb an dem Spritzenschlauche stehen, um sie gleich wieder zu empfangen, falls es ihnen ja einfallen sollte, zurückzukehren, aber sie gingen jetzt davon, laut raisonnirend und oft nach dem Hofe zurückblickend, bis sie hinter einem Buschwerke verschwanden.

Nun erst verließ der Bauer den Brunnen und schritt nach dem Hause.


// 1979 //

Dort an der Thür standen seine Frau und Tochter. Die Mägde waren wieder nach der Küche gegangen.

Die Frau war eine behäbige Gestalt mit freundlichem Gesichte und mildem Blicke. Es war ihr leicht anzusehen, daß es ihr, wie man zu sagen pflegt, nicht möglich sei, ein Wässerlein zu trüben.

»Aber, Väterchen, bist Du nicht zu streng mit ihnen gewesen?« fragte sie.

»Nein. Es gehört ihnen noch mehr.«

»Sie werden nun Feindschaft hegen.«

»Pah, diese Kerls sind niemals Freunde zu nennen. Sie kommen, machen freundliche Gesichter, essen und trinken sich toll und voll, ohne daß man Etwas davon hat, und dann, wenn es ihnen genehm und bequem ist, drohen sie Einem mit Verrath und Arretur. Es mußte einmal zum Ausbruche kommen. Dieser Wachtmeister ist mir stets verhaßt gewesen. Er ist frech, roh, feig und falsch. Mila, Du hast mir nur kurz sagen können, was geschehen ist. Erzähle es mir doch einmal ausführlich.«

Sie gehorchte, und die Eltern hörten ihr aufmerksam zu. Als sie geendet hatte, sagte der Bauer:

»Also das, das war Alexius Boroda! So habe ich ihn mir gedacht, jung, kühn, umsichtig, klug und verwegen, und dabei stark wie ein Bär. Wie war denn seine Gestalt, sein Aussehen?«

Mila beschrieb den Sänger so gut sie es vermochte - oder vielleicht noch besser als sie geglaubt hatte, es zu vermögen, denn ihr Vater fragte lächelnd:

»Er scheint also ein sehr hübscher, junger Mann zu sein?«

»Ich weiß es nicht,« antwortete sie erröthend.

»Hat er Dir gefallen?«

»Ja.«

Das sagte sie doch aufrichtig. Hätte sie das Gegentheil gesagt, so wäre es eine Unwahrheit gewesen und hätte noch mehr aufgefallen.

»So, so! Weiter, als was Du erzähltest, hat er Dir nichts gesagt?«

»Kein Wort.«

»Hm! So wissen wir leider nichts Genaues.«

»Väterchen, er wird wiederkommen.«

»Meinst Du, Töchterchen?«

»Ja.«

Sie sagte das in einem Tone so fester Ueberzeugung, daß er sie abermals lächelnd fixirte und sodann fragte:

»Hat er es Dir versprochen?«

»Nein, aber ich denke es mir.«

»So müssen wir es abwarten.«

»Ich denke, er wird bereits heut wiederkommen.«

»Das glaube ich nicht. Dazu wird er wohl zu vorsichtig sein, da er hier erkannt worden ist. Man wird ja alle Vorkehrungen treffen, ihn zu fangen, falls er zurückkehrt.«


// 1980 //

»Mein Gott, Denkst Du das?«

»Natürlich denke ich es. Vielleicht umstellt man meine ganze Besitzung mit Wachtposten.«

»So ist er verloren!«

Sie sagte das im Tone innigster Angst. Eine solche Theilnahme hatte sie noch bei Keinem geäußert, obgleich sie schon gar Manchem mit zur Freiheit geholfen hatte. Ihr Vater bemerkte dies gar wohl, sagte aber nichts, sondern fuhr fort:

»Um ihn habe ich keine Sorge. Er hat sich noch in ganz anderen Fährlichkeiten befunden als diejenigen sind, welche ihm hier bei uns drohen. Aber um Andere ist es mir. Wie leicht kann grad heut irgend ein Hilfsbedürftiger zu uns wollen, der dann an Stelle Boroda's ergriffen würde. Und sodann steht alle Tage die Ankunft der großen Anzahl von Flüchtlingen zu erwarten, wegen denen wir zu Karparla gesandt haben. Ich wollte, die Tungusen wären schon da. Da hätten wir reichlichen Schutz.«

»Karparla wird sofort aufgebrochen sein,« meinte Mila.

»Natürlich. Aber in so bedeutender Anzahl reitet man nicht so rasch als alleine. Unser Bote wird erst heut bei ihr in Platowa ankommen. Es ist zwei Tagereisen her zu uns. Wenn nur nicht indessen Etwas geschieht. Man scheint so nach und nach hinter unser Geheimniß zu kommen. Der Wachtmeister behauptete auch so hämisch, er wisse, daß ich den Engel der Verbannten kenne - -«

»Das sagte er auch zu mir.«

»Ah! In welchen Worten? Es kommt bei solchen Sachen sehr oft auf die Worte an.«

»Ich habe sie mir nicht gemerkt; aber das weiß ich noch ganz genau, daß er gar behaupten wollte, ich sei der Engel.«

»So, so! Er hat da also nur auf den Strauch geschlagen; man weiß also nichts Genaues, aber in Verdacht hat man uns, und von heut an wird man ganz gewiß doppelt Obacht auf uns geben.«

»So nehmen wir uns doppelt in Acht.«

»Das ist nicht ausreichend. Wenn der Argwohn einmal erregt ist, so wird der Vogel gefangen, ob früher oder später, aber sicherlich gewiß. Es ist da sehr gut, daß wir nicht länger hier bleiben.«

Die Bäuerin hatte sich bis jetzt nicht an dem Gespräch betheiligt, jetzt aber fragte sie schnell:

»Nicht länger? Also gelingt es? Wirst Du verkaufen?«

»Ja,« nickte er.

»Und wohl bald?«

»Schneller als Ihr denkt,« antwortete er lächelnd. »Seht Euch einmal das Pferd an.«

Er deutete auf das Thier, von welchem er vorhin abgestiegen war, als er ankam. Es stand noch so fromm dort, wie er es stehen gelassen hatte. Zu beiden Seiten des Sattels hingen große Ledertaschen verheißungsvoll herab.


// 1981 //

»Hast uns wohl Etwas mitgebracht aus der Stadt, liebes Väterchen?« fragte Mila.

»Ja, mein Kindchen.«

Er stieß einen Pfiff aus, und sogleich kam das Pferd herbei. Nun nahm er die beiden Taschen ab. Sie schienen ziemlich schwer zu sein. Er öffnete eine derselben. Sie enthielten kleine, viereckige Papierpackete und längliche Rollen, welche versiegelt waren.

»Was ist das?« fragte er.

»Geld; das ist Geld!« antwortete jetzt die Bäuerin.

»Ja, liebes Frauchen; das ist Geld, sehr viel Geld.«

»Von wem hast Du es denn?«

»Von dem Käufer.«

»So hast Du bereits schon verkauft?«

»Ja, schon bereits als ich zum letzten Male in der Stadt war.«

»Und uns hast Du nichts davon gesagt!«

»Weil Niemand es wissen darf.«

»Warum?«

»Aus gewissen Gründen, welche Euch schon noch einleuchten werden.«

»Dürfen wir sie nicht erfahren?«

»Natürlich dürft Ihr es wissen. Ihr seid ja als meine Vertrauten dabei betheiligt. Wenn man weiß, daß ich fortziehen will, so paßt man genau auf mich auf. Ich will aber ganz heimlich und plötzlich fort, damit ich recht viele Verbannte mitnehmen kann.«

»Das ist herrlich! Aber wie willst Du sie denn fortbringen?«

»Ich sage, es sind meine Verwandten und mein Gesinde, welche mich begleiten.«

»Und dazu brauchst Du so viel Geld?«

»O nein. Was ich für sie bezahle, ist ganz wenig. Dieses Geld ist der volle Preis für unsere Besitzung hier.«

»Wieviel ist es?«

»Ihr werdet staunen! Ja. Wir sind reicher, als Ihr denkt. Der gute Fürst Bula und seine liebe, dicke Kalyna haben mir damals ihren besten Boden abgelassen, ganz umsonst, nur unter der einzigen Bedingung, daß ich ihnen helfen soll, recht viele Gefangene zu retten. Ich habe gut gewirthschaftet und aus dem Lande Etwas gemacht. Ich hätte noch weit mehr dafür bekommen, wenn ich hätte eine bessere Gelegenheit abwarten können und wenn ich nicht die Bedingung gestellt hätte, daß der Kauf ganz im Geheimen geschehen soll. Erst wenn ich mehrere Wochen fort bin, wird man erfahren, daß mein Hof einen neuen Besitzer hat. Er hat mir rund hunderttausend Rubel dafür bezahlt.«

»Hundert - - -«

Dem erstaunten Mädchen blieb das Wort auf den Lippen schweben.

»Hun - - -!« rief die Bäuerin, die vor freudigem Schreck gar nur die erste Silbe hervorbrachte.


// 1982 //

»Ja, hunderttausend Rubel!«

Er sagte das im Tone selbstbewußter aber keineswegs stolzer Befriedigung.

»Das ist doch gar nicht möglich!«

»Warum nicht?«

»Ich habe das nie geahnt.«

»O, ich habe es gewußt, aber nichts gesagt. Wir kehren in die liebe Heimath zurück und können dort nun ohne schwere Arbeit und ohne alle Sorge leben.«

»So laß es nur nicht hier stehen,« sagte seine Frau.

»Schließe es fest ein.«

»Natürlich lasse ich es nicht hier stehen,« lachte er. »Es wird eingeschlossen. Wißt Ihr, wer sich am Allermeisten darüber wundern und ärgern wird?«

»Nun, wer?«

»Unser nächster Nachbar, Sergius Propow.«

»Ja, weil er nicht hat ahnen können, daß wir gar so reich sind.«

»O, da irrst Du Dich gar sehr!«

»Hätte er es gewußt?«

»Ganz genau. Er weiß recht gut, daß mein Gut eigentlich viel mehr werth ist als Hunderttausend. Er will es haben.«

»Kaufen?«

»O nein. Dazu ist er zu geizig und auch viel zu - klug.«

»Auf welche Weise soll er es sonst bekommen können? So Etwas wird doch nicht etwa verschenkt.«

»Eigentlich verschenkt nicht, und doch verschenkt. Man kann sich ein solches Gut ja erheirathen.«

»Erhei - - -!«

Jetzt blieb der Bäuerin das Wort grad so wie das vorige im Munde stecken.

»Vater!« rief Mila erschrocken.

»Nun, was meinst Du?«

»Dieser Sergius Propow sollte - sollte - sollte mich zur Frau haben wollen?«

»Ja, das ist sein Wunsch.«

»Das sagst Du erst jetzt?«

»Ich habe es erst heut erfahren.«

»In der Stadt?«

»Ja. Vom Schneider, bei welchem er sich einen neuen Rock hat machen lassen. Er hat dem Schneider unter dem Siegel der Verschwiegenheit mitgetheilt, daß er diesen Rock braucht, um Dir einen Heirathsantrag zu stellen.«

»Heilige Maria!«

»Heut früh hat der Rock fertig werden müssen, und Sergius hat ihn sich geholt. Daraus schließe ich, daß er seinen Antrag baldigst machen will.«

»Etwa gar heut noch?«


// 1983 //

»Man könnte nichts dagegen haben.«

»Aber Vater, was wirst Du dazu sagen?«

»Nun, was meinst Du wohl?«

»Du wirst ihm doch nicht etwa Deine Einwilligung geben!«

»Wie könnte ich das beabsichtigen. Ich habe ja verkauft. Wir ziehen fort. Daraus geht doch hervor, daß ich nichts von diesem Menschen wissen will. Kommt herein!«

Er ergriff die beiden Taschen und ging in das Haus, um sein Vermögen in sichere Verwahrung zu bringen. Mutter und Tochter blieben noch für einige Minuten stehen. Mila wäre wohl beweglich genug gewesen, dem Vater gleich zu folgen; aber die Bäuerin legte die fetten Hände klatschend zusammen und seufzte:

»Mein Herr Jesus, ich kann nicht laufen!«

»Was ists, Mütterchen?«

»Was es ist? In die Beine geschlagen ist es mir, in beide Beine zugleich. Ich kann nicht von der Stelle!«

»Was ist Dir denn hineingeschlagen?«

»Die Neuigkeiten. Zunächst diese Hunderttausend. Kind, Töchterchen, weißt Du denn, wie viel das ist?«

»Ja. Ich habe es doch in der Schule gelernt.«

»Nun, wieviel ists denn?«

»Hundert mal tausend.«

»Herrgott! Giebts da wohl Nullen dabei?«

»Ja, sogar fünf.«

»Fünf! Fünf Nullen! Fünf ganze runde Nullen! O, ich habe immer gehört, daß diese Nullen viel zu bedeuten haben.«

»Ja, wenn eine andere Ziffer noch mit dabei steht.«

»Meinst Du? Ich denke, eine Null ist auf jeden Fall etwas Großartiges und Ehrwürdiges. So eine runde, dicke Null, wie eine Hausmutter! Die hat etwas zu bedeuten. Da mag der Mann als Ziffer dabei stehen oder nicht. Was thun wir nur mit dem vielen Gelde?«

»Wir heben es uns auf.«

»Natürlich! Und blos nach und nach kaufen wir uns Etwas davon. Dann aber kommt die zweite Neuigkeit, die von dem Sergius Propow. Das war eine sehr schlechte. Die hat mich außerordentlich erschüttert. Ich werde etwas Niederschlagendes trinken müssen. Hat sie Dich nicht auch ganz und gar elend gemacht?«

»Nein, elend nicht.«

»Nicht? Kind, hast Du Nerven!«

»Nur erschrocken bin ich erst.«

»Ich auch. Ich konnte den blassen, leibhaftigen Tod davon haben. Dieser Propow! Wenn ich an ihn denke! Diese lange, dürre Stange!«

»Mit dem Melonenkopfe!«

»Und der Sichelnase.«


// 1984 //

»Den großen Händen!«

»Den krummen Beinen!«

»Ich kann ihn nicht ersehen. Es wird mir übel, wenn ich in sein Leichenbittergesicht nur blicke.«

»Seine Frömmigkeit und Salbung ist doch nur Lüge und Heuchelei.«

»Er trieft von Honig und ist doch innerlich voller Essig und Galle. Nein, nein! Lieber sterben! Da wäre mir doch - - -«

Sie hielt erschrocken inne. Fast hätte sie Etwas ausgesprochen, was ihr selbst noch nicht klar und bewußt in den Gedanken gekommen war.

»Was denn?« fragte ihre Mutter.

»Nichts, Mütterchen.«

Aber die Bäuerin konnte keinen halb ausgesprochenen Satz leiden. Sie pflegte nicht eher loszulassen, als bis er vollends ausgesprochen war.

»So rede doch!« drängte sie.

»Nein, nein!«

»Hast Du etwa kein Vertrauen zu mir?«

»O doch, Mütterchen. Aber ich weiß ja gar nicht mehr, was ich eigentlich habe sagen wollen.«

»So werde ich Dir über die Treppe helfen. Du hattest gesagt, daß es Dir schlimm wird, wenn Du den Propow nur zu sehen bekommst, und wolltest sodann hinzufügen, daß Dir ein Gewisser viel lieber sein würde.«

»Nein, nein!«

»O doch, gewiß. Ich kenne Dich. Du brauchst nur ein Wort zu sagen, so weiß ich den ganzen Satz. Also, wer ist denn wohl dieser Gewisse?«

»Das weiß ich nicht.«

»Kindchen, sei doch aufrichtig!«

»Ich weiß es wirklich nicht.«

»Hast Du etwa heimlich einen Geliebten?«

»Nein.«

»So hat Dir noch Keiner gefallen?«

»Bis heut nicht.«

Kaum war ihr dieses Wort entfahren, so wurde es von ihrer Mutter aufgegriffen:

»Also bis heut nicht, bis heut! Aber heut, heut hat Dir Einer gefallen?«

»Mutter!«

»So sprich doch!«

»Aber, Mütterchen, ich habe doch gar nichts sagen wollen!«

»Das weiß ich; das weiß ich gar wohl, nur zu wohl. Du willst nichts sagen, aber Du mußt. Ich lasse Dich nicht eher los!«

»Ich weiß gar nichts!«

»Geh, geh! Jedes Mädchen Deines Alters weiß Etwas!«

»Du wußtest wohl auch Etwas?«

»Daß ich Deinem Vater gut war, welcher aber natürlich damals Dein Vater noch nicht war. Ebenso gut könntest Du wissen, daß Du Einem gut


// 1985 //

bist, der auch noch nicht - - oh, ah, jetzt hätte ich fast etwas Falsches gesagt. Ich verspreche mich nur wegen Deiner großen Schweigsamkeit. Also sage doch, wer es ist, der Dir heut gefallen hat.«

»Ich kann doch nicht!« behauptete Mila.

»Nun warte, so muß ich es errathen. Wer war da, heut? Der Wachtmeister. Ists der etwa?«

»O nein!«

»Oder einer seiner Kosaken?«

»Nein.«

»Dann ist nur noch ein einziger da gewesen, nämlich der tapfere Zobelfänger Alexius Boroda. Meinst Du vielleicht diesen?«

Mila antwortete nicht.

»So rede doch!«

»Ich weiß ja gar nicht, was ich sagen soll!«

»Ja oder Nein hast Du zu sagen, weiter nichts. Das ist doch klar. Also sprich!«

»Mütterchen, ich bitte Dich, nicht so in mich zu dringen, denn - - Herrgott, wer kommt dort geritten?«

Sie deutete nach rechts, über das offene Feld hinaus, von woher man in sehr bedächtiger Eile einen Reiter nahen sah. Die Bäuerin beschattete die Hand gegen die fast untergehende Sonne.

»Er hat einen hohen Cylinderhut,« sagte sie.

»Schimmert es weiß an seinem Halse?«

»Ja.«

»Das ist die fromme, weiße Halsbinde. Mütterchen, dieser Reiter ist unser Nachbar Sergius Propow. Er kommt, mich von Euch zu verlangen. Ich lasse mich gar nicht sehen.«

»Kind, das geht nicht.«

»Warum nicht?«

»Du mußt ihm doch Deine Antwort sagen.«

»Das könnt Ihr auch thun.«

»Das geht nicht. Das wäre gegen die Sitte des Landes. Du mußt selber mit ihm reden.«

»Wenn ich es doch vermeiden könnte! Dieser steife, ungelenke und dabei heuchlerische Mensch ist mir so zuwider, daß ich eine Kröte lieber sehe als ihn. Komm herein! Wenigstens will ich nicht gleich die Erste sein, die er erblickt.«

Sie verschwanden im Innern des Einganges, und wenige Minuten später ritt der Betreffende vor.

Selbst wer sich aus der Beschreibung, welche die beiden Frauen von ihm entworfen hatten, ein Bild von ihm gemacht hätte, der wäre bald zu der Einsicht gekommen, daß er sich dasselbe nicht abstoßend genug gemacht habe.

Der Mann war spindeldürr. Sein Kopf hatte eine melonenartige, langrunde Form, so daß der hohe, schwarze, rauhhaarige Cylinderhut ganz eigenartig auf demselben saß. Unter einer schmalen Stirn trat zwischen zwei kleinen, grünlich gefärbten Aeuglein eine scharfe, fast sichelförmig gebogene Nase hervor,


// 1986 //

deren Löcher sich so weit aufblähten, daß man ziemlich weit Einsicht in sie nehmen konnte. Das Gesicht war bartlos, wie bei den meisten Frömmlern, die Lippen breit und der Mund voller schwarzer, moderiger Zähne.

Die langen, dürren Arme trugen Hände, aus denen man eigentlich welche für drei andere Menschen hätte schnitzen können, und die krummen Beine endeten in Füßen, welche für einen vorweltlichen Sohlengänger zugereicht hätten.

Diese Gestalt steckte in einem engen, schwarztuchenen Rock, dessen Taille oben zwischen den Schultern saß, während die faltenreichen Schöße bis zu den Knöcheln herab reichten. Der Hals steckte in einer so hohen, weißen Halsbinde, daß der Mann das Kinn genau wagerecht tragen mußte. An den Füßen trug er halb lange, mit Talg eingeriebene Stiefeln, an denen ein Paar mächtige, pfundschwere, eiserne Sporen befestigt waren.

Ueber die Hände hatte er ein paar schwarzlederne Handschuhe gezogen, die elegant sein sollten und daher so eng gewählt worden waren, daß er seine Finger nur nach stundenlanger Anstrengung hineingearbeitet hatte. Nun aber mußten alle zehn Finger steif gradaus stehen, denn wenn dieser Mann die Hände hätte zumachen wollen, so wären ihm sämmtliche Theile und Zwickel der Handschuhe zerplatzt.

Also dieser Adonis hielt sein Pferd vor der Thür an, stieg sehr, sehr langsam und sehr, sehr gravitätisch aus dem Sattel, band sein Pferd sehr vorsichtig an einen dazu in die Erde gerammten Pfahl und stieg dann die Stufen hinan, welche zur Thür führten. Dieses Steigen geschah so, wie es etwa ein Storch gemacht hätte, falls er verhindert gewesen wäre, mit beiden Füßen zugleich von Stufe zu Stufe zu springen.

An der Thür blieb er stehen.

»Sonderbar!« murmelte er. »Kein Mensch ist da! Man muß doch durch die Fenster gesehen haben, daß ich heut in meinem besten Staate komme! Der Rock ist beim Donnerwetter gradezu direct vom Schneider!«

Es geschah nämlich dem frommen Mann zu seinem eigenen Leidwesen zuweilen, daß ihm mitten in der salbungsvollen Rede ein Fluch entfuhr. War er allein, so nahm er es nicht so genau.

Daß dieser Mann der nächste Nachbar von Peter Dobronitsch sei, das hieß hier nichts anderes, als daß er vielleicht zwölf Werst von ihm entfernt wohnte. Als Nachbar aber hatte er nach seiner Meinung ein für alle Mal das Recht, bereits an der Hausthür auf das Freundlichste bewillkommnet zu werden. Daß dies heut nicht geschehen, ärgerte ihn. Er schritt also mißmuthig und gravitätisch in das Haus hinein, aber so langsam, als ob er für einen jeden Schritt einen Rubel zu bezahlen habe, und klopfte an die Thür des Wohnzimmers.

Man antwortete nicht, und zwar aus dem einfachen Grunde, daß Mutter und Tochter schnell in die hintere Stube geeilt waren um wegen dieses Besuches ihren Anzügen noch irgend eine Kleinigkeit hinzuzufügen, während der Bauer von demselben gar nichts wußte und oben in seinem abgelegenen Giebelstübchen


// 1987 //

saß, um sein Geld in die Truhe zu zählen und dann fest zu verschließen. Die Mägde waren in der Küche, die Knechte aber bei den Heerden auf der Weide.

»Man antwortet nicht!« brummte er, nun noch mißmuthiger als vorher. »Ich will es zum zweiten Male versuchen.«

Er klopfte wieder, natürlich aber mit ganz demselben Mißerfolge.

»Kreuzhimmeldonnerwetter!« fluchte er. »Wenn ich komme, da muß es klappen. Was ist denn das für eine hochsträfliche Unachtsamkeit! Ein Mann wie ich ist natürlich einen ganz anderen Empfang gewöhnt. Ich werde das diesen Leuten deutlich erklären!«

Er klopfte zum dritten Male, und als auch da sich keine Stimme vernehmen ließ, welche ihn zum Eintreten aufforderte, so sagte er höchst zornig zu sich selbst:

»Nun, so lasse auch ich jede Rücksicht bei Seite und gehe hinein!«

Er öffnete und trat ein.

»Ah! Kein Mensch da!« brummte er. »Ein Anderer würde sagen, da sei es zu entschuldigen, daß Niemand auf mein Klopfen geantwortet habe; ich aber kenne das besser und sage, daß es höchst ungezogen ist gar nicht zu merken, daß ich komme. Ich werde, wenn Mila meine Frau ist, ein strengeres Regiment einführen. Sie ist zwar ein leckerer Bissen, an dem man sich eine Güte thun kann, aber Zucht und Ordnung, Aufmerksamkeit und Sorgfalt muß sein. Ich werde es ihr angewöhnen, jedem meiner Winke zu gehorchen. Was thue ich nun?«

Er blickte sich noch einmal aufmerksam im Zimmer um. Dabei hörte er, daß in der Nebenstube Jemand vorhanden sei.

»Ah, da drinnen sind sie! Von dort gehen auch Fenster nach der Front des Hauses hinaus. Man muß mich also unbedingt gesehen haben. Ich werde diesen Leuten einen Verweis geben.«

Er griff dabei in die Schooßtasche seines Rockes, zog eine riesige, aus Birkenrinde gefertigte Schnupfdose hervor, öffnete sie, roch lüstern hinein und fütterte dann seine Sichelnase mit einem Geräusch, welches dem Zischen einer Locomotive zu vergleichen war. Die beiden Frauen hörten das. Die Mutter öffnete die Thür und trat herein.

»Ach, Sergius Propow!« sagte sie. »Willkommen bei uns!«

Sie reichte ihm die Hand entgegen.

Er steckte sehr langsam seine Dose ein, sog den Tabak schnaubend in das hinterste Heiligthum seiner Nase und verbeugte sich schweigend, ohne ihre Hand zu ergreifen.

»Willkommen, Nachbarchen!« wiederholte sie.

Er verbeugte sich abermals ohne Antwort und ohne ihre Hand anzurühren.

»Ich hab gar nicht gewußt, daß Du da bist!«

Sie zog während dieser Worte ihre ausgestreckte Hand zurück. Jetzt nun endlich ließ er seine Stimme hören:


// 1988 //

»Maria Petrowna Dobronitscha, wer steht höher, ein Heiliger, der bei den Seligen weilt, oder ein sündhafter und sterblicher Mensch?«

Sie war von ihm dergleichen Auslassungen gewöhnt. Darum antwortete sie ihm:

»Der Heilige natürlich.«

»Was bist Du?«

»Ein sterbliches Weib.«

»Und wo hast Du Deinen Heiligen?«

»Dort in der Ecke.«

Sie deutete nach der Ecke der Stube, wo wie in jeder griechisch-katholischen, also auch russischen Familie, das eingerahmte Bild des Hausheiligen hing, unter demselben ein kleines Gefäß voller Weihwasser. Man pflegt diesen Heiligen beim Kommen und Gehen zu grüßen.

»Nun,« sagte der Nachbar salbungsvoll, »so erlaube, daß ich erst den Heiligen begrüße, ehe ich mit Dir spreche. Du solltest wissen, daß ich das zu thun habe.«

»Ich weiß es ja.«

»Warum störst Du mich da in der Ausübung meiner frommen Pflichten! Soll ich Deinetwegen mein Seelenheil verscherzen!«

Er näherte sich dem Bilde, machte drei sehr langsame und möglichst tiefe Knixe, bekreuzigte sich und nahm dann einige Tropfen geweihten Wassers, um dieselben sich mit den Fingerspitzen auf die Brust zu spritzen. Erst dann wendete er sich wieder zu der Frau.

»Nun,« sagte diese freundlich. »Jetzt wirst Du wohl nun Zeit haben, mir die Hand zu reichen?«

Er schüttelte sehr streng den Kopf.

»Warum nicht? Du hast sie mir doch stets gegeben, wenn Du zu uns gekommen bist!«

»Du verdienst diese löbliche Auszeichnung nicht mehr von mir, Maria Petrowna.«

»So? Aus welchem Grunde?«

»Du hast mich beleidigt, gröblich beleidigt, ja, so sehr beleidigt, daß ich es Dir gar nie vergeben könnte, wenn mir nicht die ewige Liebe geböte, Barmherzigkeit zu üben.«

»So sage mir schnell, womit ich eigentlich gegen Dich gesündigt habe!«

»Du hast mich nicht empfangen.«

»Ich konnte nicht. Ich wußte ja gar nicht, daß Du heut gekommen bist!«

»Wo hast Du Dich denn befunden?«

»Da im Nebenzimmer.«

»Führen von dort nicht Fenster hinaus nach dem Vorplatze des Hauses?«

»Ja.«

»So hättet Ihr mich sehen sollen.«


// 1989 //

»Wir hatten viel zu thun und konnten keine Achtung auf das haben, was draußen vor dem Hause geschah.«

»So Etwas sieht man ganz unwillkürlich. Ich bin ein sehr treuer Freund von Euch, aber wenn solche Dinge geschehen, dann schüttelt man den Staub von den Füßen und geht weiter.«

»Du bist sehr streng, Sergius Propow!«

»Das muß man sein, wenn man erfährt, daß man auf diese Weise mißachtet wird.«

»Von einer Mißachtung ist keine Rede. Wir können unmöglich wissen, wann es Dir beliebt, zu uns zu kommen. Wie kannst Du von uns verlangen, daß wir uns aufs Gradewohl an das Fenster stellen sollen, um aufzupassen, wann Du uns Deinen Besuch machen wirst. Dazu haben wir keine Zeit. Wir müßten täglich von früh bis spät am Fenster stehen und Du mußt ja wissen, daß wir mehr zu thun haben.«

Diese Worte waren in einem ziemlich unwilligen Tone gesprochen. Anstatt aber zuzugeben, daß sie Recht habe, nahm er den Einwurf übel. Er zog seine Dose hervor, nahm höchst geräuschvoll eine gewaltige Prise, zog die Stirn in tiefe Falten und sagte:

»Maria Petrowna, es ziemt sich nicht für ein Weib, zu einem Manne in dieser Weise zu sprechen. Ein Weib muß stets bescheiden und höflich sein; aber Beides bist Du jetzt nicht gewesen. Ich habe also große Ursache mich über Dich zu beklagen.«

»So kann ich es nicht ändern, und bin wirklich neugierig zu erfahren, bei wem Du Dich über mich beklagen willst.«

»Bei Deinem Manne natürlich!«

»Daran will ich Dich nicht hindern. Wenn Du es für ehrenhaft hältst, eine Frau gegen ihren Mann schlecht zu machen, so thue es. Du wirst ja wohl erfahren, ob Dir das Nutzen bringt oder nicht.«

»Mir kann es nichts schaden, für Dich aber wird es sehr vortheilhaft sein, denn Du wirst Dir dann mehr Bescheidenheit aneignen.«

»Es kann auch Männern nichts schaden, bescheiden zu sein. Hier kommt mein Mann, Du kannst also Deine Beschwerde gleich anbringen.«

Dobronitsch war eingetreten. Er sagte dem Besuche einen freundlichen Gruß und bot ihm die Hand. Propow aber ergriff dieselbe nicht. Er machte eine sehr gemessene Verbeugung und antwortete auf die freundliche Anrede des Bauers in strengem Tone:

»Peter Dobronitsch, Du kennst mich. Du weißt, daß ich einer der wohlhabendsten und geachtetsten Bewohner dieser Gegend bin; außerdem bin ich Dein nächster Nachbar. Ich habe zu verlangen, daß ich mit Achtung behandelt werde. Warum ist das nicht geschehen?«

»Hat man Dich denn mißachtet?« fragte der Bauer ruhig.

»Ja.«

»In wiefern?«


// 1990 //

»Ich habe geklopft und Niemand war in der Stube um mich zu empfangen.«

»So ist meine Frau beschäftigt gewesen.«

»Wenn ich komme, darf das sein?«

»Können wir wissen, wann Du kommst? Keins von uns ist allwissend.«

»Aber ich verlange, daß man mich nicht stehen und warten läßt.«

»Wenn wir vorher wissen, daß Du zu uns kommst, wirst Du Dich nicht zu beklagen haben. Wünschest Du, sofort empfangen und begrüßt zu werden, so brauchst Du uns doch nur einen Boten zu senden, durch welchen Du uns von Deiner Ankunft benachrichtigest. Unterlässest Du das aber, so hast Du auch kein Recht, Dich zu beklagen. Setze Dich nieder!«

Er schob ihm einen Stuhl hin. Propow aber nahm denselben nicht an. Er blieb stehen, griff sich mit den großen, behandschuhten Fingern an der Halsbinde herum und antwortete:

»Kein Mensch kann verlangen, daß ich mir bei jedem Besuche eine Stafette vorausreiten lasse. Man kann Achtung geben, wenn ich komme!«

Da war es mit dem Gleichmuthe des Bauern zu Ende. Er sagte:

»Es scheint, ich kenne Dich gar nicht!«

»Ja, das scheint ganz so!«

»So wäre es mir lieb, zu erfahren, wer Du eigentlich bist.«

»Ich verstehe Dich nicht. Ich bin Sergius Propow, Besitzer großer Heerden und Dein Nachbar.«

»Nun, das stimmt ja. Grad dafür habe ich Dich auch gehalten. Du bist also weiter nichts als was ich auch bin. Ich bin wohl noch viel reicher als Du. Du aber thust ganz so, als ob Du Generalgouverneur von ganz Sibirien seist. Selbst der Czar wird nicht verlangen, daß wir für ihn bereit stehen, wenn er kommt, ohne daß wir vorher davon gewußt haben; Du aber verlangst das. Du bildest Dir da zu viel ein.«

»Und zu mir hat er gesagt, daß ich in Zukunft höflicher und bescheidener sein möge,« warf die Bäuerin ein.

»So! Dann will ich Dir sagen, Sergius Propow, daß Du selbst bescheidener sein möchtest. Wir sind nicht nur für Dich allein vorhanden. Dein Verhalten ist nicht höflich, sondern grob und rücksichtslos. Ich hoffe, daß Du das in Zukunft ändern wirst.«

Propow machte ein Gesicht, als ob er etwas ganz Unbegreifliches vernommen habe. Er starrte den Bauer mit großen Augen an und fragte:

»Das - das ist - Dein Ernst?«

»Ja.«

»So hast Du gar keine Ahnung, was ich eigentlich bei Dir will. Oder weißt Du es?«

»Wie könnte ich das wissen!«

»So schau mich doch nur an!«

Er drehte sich einige Male um sich selbst, so daß die beiden Andern ihn von allen Seiten betrachten konnten.


// 1991 //

»Nun,« fragte er, »bemerkt Ihr nichts?«

»Nein, etwas besonderes nicht.«

»Hm! Daß ich Handschuhe trage!«

»Ja, das sehe ich freilich.«

»Und einen neuen Rock anhabe, einen funkelnagelneuen Rock!«

»Was ist das so außerordentliches!«

»Etwas sehr außerordentliches. Wenn ich in einem solchen Staat zu Euch komme, muß der Zweck meines Besuches ein ungewöhnlicher sein.«

»Ach! Jetzt begreife ich! Ist Jemand gestorben?«

»Gestorben? Bist Du toll!«

»Nun, ich denke, Du kommst als Leichenbitter.«

»Fällt mir nicht ein! Da hätte ich einen Flor um den Hut, wie das der Brauch erheischt. Sehe ich denn wie ein Leichenbitter aus?«

»Die Miene hast Du ganz genug dazu, und die Laune auch. Man möchte sich vor Dir fürchten.«

»Das könnte ich nun wieder fast als eine Beleidigung ansehen. Ich bin im Gegentheile überzeugt, daß ich ein ganz festliches und frohes Aussehen habe.«

»Davon bemerke ich gar nichts.«

»Hm! Ich kann das nicht begreifen. Ich habe um meines heutigen Besuches Willen mir sogar diesen neuen Rock machen lassen. Die Angelegenheit, in welcher ich komme ist eine sehr glückbringende für Euch.«

»So! Das soll mich freuen. Darf ich also erfahren, was Dich zu uns führt?«

»Ja. Eigentlich freilich sollte ich gleich wieder gehen, ohne es Euch gesagt zu haben; aber ich besitze einen so versöhnlichen Charakter; ich bin ein Christ und weiß, daß es die Pflicht eines solchen ist, zu verzeihen. Darum will ich Euch die Unaufmerksamkeit gegen mich nicht anrechnen. Ihr sollt erfahren, welche Freude Euch durch mich bescheert sein wird.«

Er setzte sich langsam und gravitätisch nieder, allerdings nur auf die äußerste Ecke des Stuhles, um dadurch anzudeuten, daß er sich beleidigt fühle und eigentlich mit solchen Leuten keine innige Freundschaft zu hegen brauche.

Er zog seine Dose heraus, nahm eine gewaltige Prise und hielt die Dose dann auch dem Bauer hin.

»Danke!« sagte dieser abwehrend.

»Du schnupfest nicht?«

»Nur zuweilen, aus Gefälligkeit.«

»So kannst Du doch mir diese Gefälligkeit jetzt erweisen!«

»Du scheinst es nicht als eine Gefälligkeit meinerseits, sondern deinerseits zu betrachten!«

»Wieso?«

»Gewöhnlich nimmt sich der Besitzer der Dose zuletzt die Prise, nicht vorher.«


// 1992 //

»Die Dose ist mein Eigenthum. Ich habe das erste Recht auf den Tabak. Merke Dir das!«

»Schön!« lachte der Bauer. »Also wir sind bereit; Du kannst Deine Mittheilung beginnen.«

Er setzte sich auf das Kanapee, und seine Frau nahm neben ihm Platz. Propow wirbelte die Dose zwischen seinen steifen Fingern, machte eine sehr feierliche Miene und begann:

»Weißt Du, was im ersten Buche Mosis zu lesen ist?«

»Die Schöpfungsgeschichte.«

»Richtig. Man kann da lesen, daß Gott den Menschen erschaffen hat, den Mann natürlich zuerst. Dann sah Gott ein, daß es nicht gut sei, daß der Mensch allein sei; er schuf auch die Frau, nachträglich nur, woraus eine jede Frau deutlich ersehen kann, daß der Mann weit höher steht als sie. Trotzdem ist es wirklich wahr, daß der Mann, bei Licht besehen, eine Frau braucht. Meinst Du nicht auch?«

»Einverstanden!«

»Ich habe das auch eingesehen und bin entschlossen, mir ein Weib zu nehmen.«

»Daran thust Du sehr recht.«

»So etwas bedarf natürlich der reiflichen Ueberlegung. Es ist kein Spaß, seine schöne Freiheit einem Wesen zu opfern, welches nach Gottes unerforschlichem Rathschlusse so tief unter Einem steht. Fast hätte ich ganz davon abgesehen; aber ich bin ein frommer Mann und fühle die Verpflichtung, einen Hausstand zu gründen, um die Glieder desselben dem Reiche Gottes entgegen zu führen. Ich handle also als Christ, wenn ich mich verheirathe. Eine jede nehme ich freilich nicht. Das wirst Du begreiflich finden!«

»Ja. Jede kannst Du nicht nehmen, denn dann würdest Du ja Alle nehmen. Da blieb für Andere Keine übrig.«

»Peter Dobronitsch!« brauste er auf. »Willst Du scherzen?«

»Nein.«

»So schweig! Ich habe meinen Blick umhergeworfen und mir nach langem Zögern und Ueberlegen endlich Eine erwählt, von welcher ich denke, daß sie es einsehen werde, welch ein Heil ihr widerfährt, wenn sie so einen Mann bekommt, wie ich bin.«

»So! Hm! Wer ist sie?«

»Kannst Du Dir das nicht denken?«

»Die Person freilich nicht; aber im Allgemeinen kann ich es doch errathen, was für Eine Du Dir nehmen willst.«

»Nun?«

»Eine Tungusin, Ostjakin oder Kirchisin.«

Propow machte ein sehr erstauntes Gesicht.

»So Eine! Ach! Ist das Dein Ernst?«

»Natürlich! Nach Deinen Reden kann ich doch gar nicht anders denken.«


Ende der dreiundachtzigsten Lieferung - Fortsetzung folgt.



Karl May: Deutsche Herzen, deutsche Helden

Karl May – Forschung und Werk