Werner Fleischer kam daraufhin mit einigen m.E. recht abgedroschenen und oberflächlichen Argumentationen in Sachen Sinn und Unsinn der Urtexte um die Ecke, auf die ich HIER eingehen möchte, da ich diese Mailingliste wirklich langsam leid bin, es kam wieder einmal eine Mail nicht durch heute Nachmittag, und vom PC zuhause kann ich gar nicht an die Liste schreiben, da sie mit einer Mailadresse verknüpft ist über die ich zuhause nicht verfüge, alles sehr unkomfortabel, aber das hatten wir auch schon mal.
Also, lieber Werner,
„selbst innerhalb der KMG stellt dieser Kreis wahrscheinlich nicht einmal die Mehrheit“ schreibst Du (in Sachen Leute, die auf die Urtexte pochen), da wirst Du leider Recht haben, die KMG ist [nach individuellem Empfinden] wahrlich nicht mehr das, was sie einmal war, aber dieser spür- und weiterhin absehbare Niedergang in Richtung beliebiger Gefälligkeit ist doch nun kein Argument.
„Sprache und Ausdrucksmöglichkeiten des 19. Jahrhunderts“, lieber Mann, auch in modernen „Faust“-Inszenierungen heißt es normalerweise immer noch „hie“ statt „hier“ usw., und guck’ Dir mal Kleist an, ganz schön gestelzt, der Mann, sollen wir den mal bearbeiten („Überarbeitet und gestrafft von Dr. Alfred Rauschmüller“) ? Wir können natürlich auch z.B. in Kafkatexte ein bisschen mehr Sex & Crime & Action einbauen, dann verkaufen die sich sicher auch besser …
(„Die Klassiker haben ihre Werke nicht geschrieben, um den Betrieb des Augsburger Stadttheaters zu gewährleisten“; Bertolt Brecht)
Es geht um die Authentizität eines Autors, und die kommt keineswegs nur zum Tragen, wenn man sich „wissenschaftlich“ mit ihm beschäftigt (das scheint auch so eine Klischeevorstellung von Dir zu sein), und die Leute, die „ein spannendes Buch lesen und einen angenehmen Feierabend haben“ möchten kannst Du gleich an den Kiosk schicken, zu den Groschenheften. Ich empfehle Lassiter, da geht wenigstens ordentlich was ab.
Nein, es geht auch z.B. um so etwas: dieser Tage habe ich einen Menschen kennengelernt, der Karl May nicht weiter kannte aber einigermaßen interessiert an ihm war. Und der hat mich nach einer Buchempfehlung gefragt. Mit „Abdahn Effendi“ (für besagte Person als Streifzug durch das Spätwerk als individuell passend empfunden) gab es noch keine größeren Schwierigkeiten (mal abgesehen von den schrecklichen „wohl bekannten“ statt „wohlbekannten“ Rappen), aber als ich dann hinzufügte, daß „Durch die Wüste“ mein persönliches Lieblingsbuch sei, und ich dann realisierte daß man da komplizierte Erklärungen zur Sachlage abgeben muß und entweder zum Kauf eines Reprints vom KMV raten oder den Kauf per Versand aus Radebeul mit entsprechenden Kosten empfehlen muß, wenn die betreffende Person wirklich Karl May mit all seinen Schrullen und Macken und originell-individuellen Formulierungen und ohne Streichungen lesen will, wurde mir einmal mehr bewusst, daß es um die Verfügbarkeit des echten May wirklich recht schlecht bestellt ist hierzulande, und das ist halt fatal. Natürlich kann man auch den grünen Band lesen, das ist auch zu grob geschätzt 95 oder sogar noch mehr % Karl May, aber es gibt halt Leute, denen kommt es gerade auf diese paar Prozent an … und nicht weil sie Wissenschaftler sind oder Sprachforscher oder sonst etwas, sondern weil sie einen Autor authentisch in allen Einzelheiten kennenlernen möchten. (Stell Dir mal vor Dir schreibt einer einen Brief und Deine Frau bringt ihn Dir und sagt ‚Ein paar Stellen habe ich gestrichen und ein paar Formulierungen geändert’ …)

Grüße
Rüdiger