Der Rhythmus zum Sonntag
Der Rhythmus zum Sonntag
Heute fiel mir der verunglückte Rhythmus in der Zeile "und ich will mich anbetend vor ihr neigen" in Karl Mays Gedicht "Rigi" auf, und daß es freilich besser "und ich will anbetend mich vor ihr neigen" oder, noch besser, "und ich will anbetend vor ihr mich neigen" hieße. Ich habe nachgeschaut ob es vielleicht in anderen Quellen so heißt, aber das ist nicht der Fall, man findet überall nur besagte Formulierung mit der innerhalb des Gedichtes herausstechenden Holperigkeit. Ob das seinerzeit der Setzer angerichtet hat, oder der vielleicht einen Moment unaufmerksame Autor selber ? Zweite in dem Zusammenhang interessante Frage, warum ist das rhythmisch unglücklich ? Das weiß ich nämlich nicht, das spüre ich nur ... [und kann es auch bei längerem Nachdenken darüber nicht exakt erkennen und formulieren.] Dritte Frage, die ich mir stelle, sollte man die Zeile bei Vortragen des Gedichtes so stehen lassen wie sie da nun halt steht ('Werktreue'), und die Holperigkeit durch entsprechende Verteilung & Dosierung rhetorischen Nachdrucks etwas verschleiern ... (z.B. kriegte das "an", um etwas konkreter zu werden, in dem Fall 'ein bissel mehr mit') (Ich habe gar nicht vor, das Gedicht vorzutragen, und vermutlich auch niemand sonst, aber ich frage mich das freilich trotzdem ...) (Die Angelegenheit (mit immerhin 3 offenen Fragen ...) beschäftigt mich jetzt schon eine ganze Weile. Die Interessen sind verschieden ... )
Re: Der Rhythmus zum Sonntag
Es muss sich ja einer mit beschäftigen, wenn es schon sonst keiner tut...
Re: Der Rhythmus zum Sonntag
Muß nicht aber kann (Hanns Dieter Hüsch in anderem Zusammenhang ).
Dann machen wir doch gleich noch ein Stückel weiter; beim Suppe kochen fiel mir ein daß ich noch die alte Ausgabe von GW 49 in der Schublade habe und das Gedicht vielleicht auch da drin steht, richtig, so ist es, und auch da steht es mit der holperigen Zeile. (C) 1956. Nun ist denkbar daß die Veröffentlichungen im Internet und in der "Chronik" darauf zurückgehen und das vielleicht eine bearbeitete Fassung ist ... Andererseits war es ja wohl Wollschläger der seinerzeit die Gedichte bearbeitet hat, und bei dem gehe ich eher nicht davon aus daß eine bearbeitete Zeile hinterher rhythmisch schlechter daherkommt ... (Geht in der neuen Ausgabe von GW 49 nachgucken in Sachen Lyrikbearbeiter) Aha, es war nicht Wollschläger, es waren andere. Also vielleicht doch eine Vermeintlichschlaumeierbearbeitung (eines, der halbwegs Recht hätte, wenn es denn Prosa wäre ...) ... Kann mal einer im Jahrbuch von 31 nachgucken, wie es da heißt ? (dem würde dankbar ich mich neigen ) (Hier geht nun übrigens auch 'würde ich mich dankbar neigen' ohne sozusagen rhythmischen Qualitätsverlust, es muß irgendwie an dem dreisilbrigen "anbetend" liegen was je nach Worstellung den Rhythmus verunglücken läßt) ("verschimpfieren" schreibt May manchmal ... auch hübsch ... Sowas (bzw. "recognoszieren") wär' nichts für heutige Leser, las ich neulich ... naja wer orientiert sich schon an belanglosen 'heutigen Lesern' ...)
Dann machen wir doch gleich noch ein Stückel weiter; beim Suppe kochen fiel mir ein daß ich noch die alte Ausgabe von GW 49 in der Schublade habe und das Gedicht vielleicht auch da drin steht, richtig, so ist es, und auch da steht es mit der holperigen Zeile. (C) 1956. Nun ist denkbar daß die Veröffentlichungen im Internet und in der "Chronik" darauf zurückgehen und das vielleicht eine bearbeitete Fassung ist ... Andererseits war es ja wohl Wollschläger der seinerzeit die Gedichte bearbeitet hat, und bei dem gehe ich eher nicht davon aus daß eine bearbeitete Zeile hinterher rhythmisch schlechter daherkommt ... (Geht in der neuen Ausgabe von GW 49 nachgucken in Sachen Lyrikbearbeiter) Aha, es war nicht Wollschläger, es waren andere. Also vielleicht doch eine Vermeintlichschlaumeierbearbeitung (eines, der halbwegs Recht hätte, wenn es denn Prosa wäre ...) ... Kann mal einer im Jahrbuch von 31 nachgucken, wie es da heißt ? (dem würde dankbar ich mich neigen ) (Hier geht nun übrigens auch 'würde ich mich dankbar neigen' ohne sozusagen rhythmischen Qualitätsverlust, es muß irgendwie an dem dreisilbrigen "anbetend" liegen was je nach Worstellung den Rhythmus verunglücken läßt) ("verschimpfieren" schreibt May manchmal ... auch hübsch ... Sowas (bzw. "recognoszieren") wär' nichts für heutige Leser, las ich neulich ... naja wer orientiert sich schon an belanglosen 'heutigen Lesern' ...)
- Wolfgang Sämmer
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Re: Der Rhythmus zum Sonntag
Die betreffende Zeile im Jahrbuch lautet:
und ich will mich anbetend vor ihr neigen
[Rigi. Gedicht von Karl May. In: Karl-May-Jahrbuch 1931. Hrsg. v. Prof. Dr. L. Gurlitt und Dr. E. A. Schmid. 14. Jahr. Karl-May-Verlag, Radebeul, S. 453]
Re: Der Rhythmus zum Sonntag
(dankbar verneig')
(Mein Langzeitgedächtnis meldet übrigens sich an eine Stelle irgendwo in den 'Himmelsgedanken' zu erinnern wo es ebenfalls "vor ihr mich neigen" (also in der Wortreihenfolge) (o.ä.) heißt. Aber ob ich das heute noch heraussuche weiß ich noch nicht ... außerdem kann es sein daß ich mich täusche ...)
(Mein Langzeitgedächtnis meldet übrigens sich an eine Stelle irgendwo in den 'Himmelsgedanken' zu erinnern wo es ebenfalls "vor ihr mich neigen" (also in der Wortreihenfolge) (o.ä.) heißt. Aber ob ich das heute noch heraussuche weiß ich noch nicht ... außerdem kann es sein daß ich mich täusche ...)
Re: Der Rhythmus zum Sonntag
Das ist was Ähnliches ... Wortumstellung gebüßt / einst ginge rhythmisch überhaupt nicht, obwohl es die gleichen Worte und die gleiche Silbenanzahl wären ... [und darüberhinaus in Prosa durchaus korrekter ...]Und Alles, was du jetzt versäumst,
Muß nachgeholt, gebüßt einst werden!
Re: Der Rhythmus zum Sonntag
Als (fast absoluter) Nichtkenner von "Dichterei und Poesie" will ich mich doch an einer Erklärung des "arhythmischen Klangs" versuchen; der liegt wahrscheinlich daran, dass nach dem "Versfuß/Jambus" die "falschen" Silben/Worte betont werden müssten.
Helmut
Helmut
Re: Der Rhythmus zum Sonntag
Mir sagen die Begriffe Versfuß und Jambus nichts ... so haben wir alle unsere blinden Flecken ...
(Schön übrigens daß man jetzt Dein neues Avatarbild mal sieht. Ich entdeckte es heute und dachte, eigentlich schade, keiner kriegt es mit ... )
(Schön übrigens daß man jetzt Dein neues Avatarbild mal sieht. Ich entdeckte es heute und dachte, eigentlich schade, keiner kriegt es mit ... )
Re: Der Rhythmus zum Sonntag
Zu Trochäen (klingt irgendwie nach Veterinärmedizin ...), Jamben und alledem gab's hier auch schon mal einen Thread, bzw., das tauchte alles darin auf bzw. wurde besprochen ... habe ich gerade wieder gefunden. Und auch dies (wiederum in einem anderen Thread)
»Und jetzt nach diesem Alibibeweise werden Sie so rechtlich denkend sein, mir zuzugeben, daß ich Sie in den Wissenschaften überflügelt habe und Ihnen ganz besonders in der Weltgeschichte überlegen bin. Nich?«
»Ja, wir geben es zu,« lachte Fred. »Sogar in der Dichtkunst sind Sie unser Meister. Sie haben es in derselben, wie ich eben hörte, so weit gebracht, die Anfänge dreier Volkslieder in einer einzigen Strophe zu bringen.«
»O, das is gar nich schwer. Bei mir kommen die Jamben eben nur so gesäuselt. Ich gloobe nich, daß ich mich in Beziehung off die Künste und Wissenschaften vor eenem anderen zu verstecken brauche. Ich habe sogar schon off dem Kamme geblasen. Doch will ich mich nich etwa überheben. Das sind angeborene Vorzüge, off welche sich een bescheidener Charakter nichts einbildet, und darum nehme ich es Ihnen ooch gar nich etwa übel, wenn Sie sich mal von Ihrem Irrtume hinreißen lassen, zu denken, daß Sie gescheiter sind, als ich es bin. Da habe ich gern Nachsicht, denn ich weeß doch, wer ich bin, und denke im Schtillen bei mir: Ubi bene, ibi patria, zu deutsch: Ohne Beene kann man nich aus dem Vaterlande. Und da ich so glücklich aus dem meinigen gekommen bin, so muß ich doch also een Kerl sein, der, sozusagen, Arme und Beene, Hände und Füße hat.«
»Und jetzt nach diesem Alibibeweise werden Sie so rechtlich denkend sein, mir zuzugeben, daß ich Sie in den Wissenschaften überflügelt habe und Ihnen ganz besonders in der Weltgeschichte überlegen bin. Nich?«
»Ja, wir geben es zu,« lachte Fred. »Sogar in der Dichtkunst sind Sie unser Meister. Sie haben es in derselben, wie ich eben hörte, so weit gebracht, die Anfänge dreier Volkslieder in einer einzigen Strophe zu bringen.«
»O, das is gar nich schwer. Bei mir kommen die Jamben eben nur so gesäuselt. Ich gloobe nich, daß ich mich in Beziehung off die Künste und Wissenschaften vor eenem anderen zu verstecken brauche. Ich habe sogar schon off dem Kamme geblasen. Doch will ich mich nich etwa überheben. Das sind angeborene Vorzüge, off welche sich een bescheidener Charakter nichts einbildet, und darum nehme ich es Ihnen ooch gar nich etwa übel, wenn Sie sich mal von Ihrem Irrtume hinreißen lassen, zu denken, daß Sie gescheiter sind, als ich es bin. Da habe ich gern Nachsicht, denn ich weeß doch, wer ich bin, und denke im Schtillen bei mir: Ubi bene, ibi patria, zu deutsch: Ohne Beene kann man nich aus dem Vaterlande. Und da ich so glücklich aus dem meinigen gekommen bin, so muß ich doch also een Kerl sein, der, sozusagen, Arme und Beene, Hände und Füße hat.«
Re: Der Rhythmus zum Sonntag
Die beiden "Verbesserungen" gehen metrisch überhaupt nicht, hier würde eine Hebung auf die Silbe "-tend" von "anbetend" fallen, und das ist nun eindeutig eine völlig unbetonte Stelle. Karl May setzt die verwendeten Metren meist sehr starr ein, und ich bin sehr sicher, dass die Betonung der zweiten Silbe des Wortes (das Beten eben) beabsichtigt ist. Von dieser kleinen Härte abgesehen, ist der Vers völlig in Ordnung (wenn man beachtet, dass die Zeile mit einem unbetonten "und" beginnt). Prosodisch bietet sich an, vor "anbetend" eine kleine Pause zu machen, ja man kann das Wort als Einschub interpretieren: "und ich will mich - anbetend - vor ihr neigen". Ich sehe kein metrisches oder rhythmisches oder sonstiges Problem. (Ok, das "mich" ist etwas überbetont, aber es ist ja KM.)rodger hat geschrieben:Heute fiel mir der verunglückte Rhythmus in der Zeile "und ich will mich anbetend vor ihr neigen" in Karl Mays Gedicht "Rigi" auf, und daß es freilich besser "und ich will anbetend mich vor ihr neigen" oder, noch besser, "und ich will anbetend vor ihr mich neigen" hieße.
Das Versmaß ist übrigens der Blankvers (fünfhebiger Jambus), den Shakespeare meisterhaft beherrschte ("To be or not to be, that is the question") und den Lessing in "Nathan der Weise" eingesetzt (und damit im Deutschen hoffähig gemacht) hat. KM hat ihn auch in "Babel und Bibel" verwendet.
Re: Der Rhythmus zum Sonntag
Lachhaft.Rajog hat geschrieben:
Die beiden "Verbesserungen" gehen metrisch überhaupt nicht
Re: Der Rhythmus zum Sonntag
Wünsche wohl gelacht zu haben!rodger hat geschrieben:Lachhaft.Rajog hat geschrieben:
Die beiden "Verbesserungen" gehen metrisch überhaupt nicht
Gemeint war natürlich: geht nicht innerhalb des verwendeten Metrums (siehe gegebene Begründung). Wenn Rüdiger den Nachweis führen kann, dass (und warum) Karl May gerade in dieser Zeile ein anderes Versmaß verwenden wollte als in allen übrigen 31 Zeilen, so wäre das sicher sehr spannend.
OT: Die gängige Übersetzung des zitierten Shakespeare-Verses (Sein oder nicht sein, ...) ist metrisch übrigens eine Hinrichtung des ursprünglichen Blankverses. (Schlimmer geht immer.)
Re: Der Rhythmus zum Sonntag
Ich habe vor knapp vierzig Jahren „Die Kunst, Schiller zu sprechen“ von Ernst Bloch erstanden und eben noch mal aus dem Regal geholt, darin steht allerhand über das was im Titel steht aber rein gar nichts über das Betonen von Silben ... [und auch sonst nichts über „Technik“; dafür gibt’s den „Kleinen Hey“;] und das ist auch gut so. Ich kenne die Fachbegriffe nicht bzw. habe sie wieder vergessen, Jambus, Blankvers, sonstnochwas, aber in Sachen Sprechen, Vortragen kenne ich mich, denke ich, einigermaßen aus ... Und wenn ich beim (inneren) Vortragen merke, dass die gedruckte Fassung besagter Zeile gegenüber den beiden erwähnten anderen Möglichkeiten in Sachen Satzmelodie holperiger herüberkommt und sich diese Wahrnehmung auch nach mehrmaliger Überprüfung und (inneren) rhetorischen Experimentierens nicht ändert, dann wird schon etwas daran sein ... Glauben Sie’s mir.
Re: Der Rhythmus zum Sonntag
Und ich will mich
anbetend vor ihr neigen
das ist nicht schön,
das ist nur eigen
Und ich will anbetend
Mich vor ihr neigen
Das, Worte knetend,
ergibt ’nen Reigen
Und ich will anbetend
Vor ihr mich neigen
Dem, stellvertretend,
erklingen Geigen
anbetend vor ihr neigen
das ist nicht schön,
das ist nur eigen
Und ich will anbetend
Mich vor ihr neigen
Das, Worte knetend,
ergibt ’nen Reigen
Und ich will anbetend
Vor ihr mich neigen
Dem, stellvertretend,
erklingen Geigen
Re: Der Rhythmus zum Sonntag
Der Schippel und der Stolzing
Mit denen ist's ein toll's Ding
Die beiden können singen
Die ander'n um Begriffe ringen ...
(Heiß heute)
Mit denen ist's ein toll's Ding
Die beiden können singen
Die ander'n um Begriffe ringen ...
(Heiß heute)