Die Waffen nieder!

Karl Mays allegorisches Spätwerk ist der breiten Bevölkerung unbekannt geblieben, und doch sah der Dichter hierin sein Hauptwerk. Gemeint sind die Romane: ›Und Friede auf Erden!‹, ›Im Reiche des silbernen Löwen III/IV‹, ›Ardistan und Dschinnistan‹, ›Winnetou IV‹, ferner das Drama ›Babel und Bibel‹ sowie die Novellen ›Das Geldmännle‹, ›Abdahn Effendi‹ und ›Merhameh‹ – allesamt literarisch bedeutsam. In Teilen dieser kulturkritisch-pazifistischen Werke verwendete May den Begriff ›Edelmensch‹, den er von der aus Österreich stammenden Friedensnobelpreisträgerin Bertha von Suttner übernahm:

»… dieser uns heute fremd klingende Terminus, kommt nicht vom ›Übermenschen‹ Nietzsches her, und er ist erst recht nicht, wie von Ahnungslosen immer wieder kolportiert wird, eine Ausgeburt jenes berüchtigten ›Wesens‹, an dem die Welt ›genesen‹ sollte; er hat seinen Ursprung in der Weltfriedensbewegung, zu deren Pionieren auch May gehört, und dessen sollten wir mit Achtung gedenken.« [Claus Roxin in seinem Vorwort zum Jahrbuch der Karl-May-Gesellschaft 1971]

Die Begründerin der Friedensforschung Bertha von Suttner (1843–1914) wurde von vielen Zeitgenossen nicht ernst genommen und geradezu verachtet. Beschimpfungen wie: »Friedensfurie«, »Friedensbertha«, »Judenbertha« waren keine Seltenheit. Als Herausgeberin der Revue ›Die Waffen nieder!‹ [1892–1899] erlangte sie Berühmtheit. Doch wäre es beinahe gar nicht zu einem Erscheinen gekommen – ein Verleger wies ihr Vorhaben ab mit den Worten: »Es ist ganz unmöglich, in einem modernen Militärstaat dergleichen zu veröffentlichen.« [Alfred H. Fried: Bertha von Suttner, Berlin 1908, S. 10] Dennoch stellte sich der Erfolg bald ein. Ihre ungewöhnlichen Publikationen trugen dazu bei, dass es zur ersten Haager Friedenskonferenz kam. Man unternahm erstmals den Versuch, Weltkonflikte auf übernationaler Ebene zu regeln.

Wir wissen heute, nach zwei Weltkriegen, dass die Menschheit damals für einen dauerhaften Frieden nicht reif genug war und ob sie es heute ist, dies ist eine philosophische Frage und muss unbeantwortet bleiben.

1905 hielt Bertha von Suttner einen Vortrag in Dresden. Unter den Zuhörern war Karl May mit seiner Frau Klara:

»… wir hatten Sie noch nie gesehen, obgleich wir Ihr großes, segensreiche Wirken und auch alle Ihre Bücher kennen. Wir freuten uns unendlich über die Gelegenheit, Ihre weithin schallende, gewichtige  Stimme zu ... hören. Und wir hörten sie, bis zur tiefsten Erschütterung. Meine Frau, die Gute, weinte, und auch ich wehrte mich der Thränen nicht … [ich] darf … offenbaren, daß Ihre Seele alle meine Bücher belebt, auch das hier vorliegende. Wir, die wir uns von dieser Seele leiten lassen, scheuen weder Haß noch Hohn. Wir gehen ruhig des Weges, den sie uns führen. Schon sehen wir das Ziel; werden es erreichen. Gott segne Sie!« [Brief Karl Mays an Bertha von Suttner vom 17.10.1905. Der Originalbrief befindet sich im Bertha-von-Suttner-Archiv der Vereinten Nationen in Genf.]

Fortan tauschten beide, Bertha von Suttner und Karl May, ihre Friedensgedanken aus. Als May am 22. März 1912 seine große Friedensrede ›Empor ins Reich der Edelmenschen‹ in Wien hielt, war er ihrer Einladung gefolgt. Sie saß vor seinem Rednerpult, als er vor fast dreitausend begeisterten Zuhören sprach. Nur wenige Tage später, am 30. März, starb May. Bertha von Suttner schrieb den Nachruf für das Wiener Blatt ›Die Zeit‹ [5.4.1912]. Hieraus läßt sich ersehen, wie sehr beider Seelen miteinander verbunden waren:

Einige Worte über Karl May.
Von Bert[h]a v. Suttner.

Die Nachricht von Karl Mays Tode wird alle jene, die hier im Sophiensaal dem allerletzten Vortrag, den er gehalten, beigewohnt haben, ganz besonders erschüttern. Er sprach viel vom Sterben und vom Jenseits, von göttlichen und ewigen Dingen, und es lag etwas Seherhaftes, Unendlichkeitssehnendes in seiner ganzen Art. Zwar dachte er nicht an ein eigenes nahes Ende, denn er teilte mit, daß er, der Siebzigjährige, erst sein Hauptwerk schreiben wolle. Einmal aber erwähnte er, der Arzt habe ihm verboten, zu reisen und öffentlich zu sprechen – es könnte ihm – nach kaum überstandener Krankheit - das Leben kosten.

Und richtig, so ist es auch gekommen; kaum von Wien in sein Heim bei Dresden zurückgekehrt, legte er sich und starb. Er hatte noch eine große Freude erlebt. Der Jubel, mit dem ihn die dreitausend Zuhörer umtosten, war ja nicht nur der Ausdruck von dem Schriftsteller gewidmetem Beifall gewesen, sondern vielmehr eine Demonstration von persönlicher Verehrung, ein Protest gegen die Bosheits- und Verleumdungskampagne, die gegen ihn geführt worden und aus der er voll rehabilitiert hervorgegangen war, die ihm aber durch zehn lange Jahre das Leben verbittert hatte.

Wer den schönen alten Mann an jenem 22. März (am 30. März, seinem Hochzeitstag, traf ihn ein Herzschlag) sprechen gehört, durch ganze zwei Stunden, weihevoll, begeisterungsvoll, in die höchsten Regionen des Gedankens strebend – der mußte das Gefühl gehabt haben: In dieser Seele lodert das Feuer der Güte.

Zu diesem Thema ausführlich: Hansotto Hatzig, ›Bertha von Suttner und Karl May‹. In: Jahrbuch der Karl-May-Gesellschaft 1971, Hamburg 1971, S. 246ff.

 

 

Missbraucht im Dritten Reich

Der Pazifist Karl May