Harald Mischnick |
»In der unteren Reihe der Niedergasse« |
Am 15. April 1845 verkauft Christiane Wilhelmine
verehelichte May »mit ausdrücklicher Genehmigung« ihres Ehegatten Heinrich
August May das ererbte Wohnhaus »mit Zubehör und Gärtchen« in Ernstthal an den
Webermeister Wilhelm Friedrich August Stiezel um 515 Thaler. Die Verkäuferin
bedingt sich und ihrer Familie kein weiteres Wohnrecht darin aus, hat dieses
folglich zu diesem Zeitpunkt bereits verlassen, ansonsten stünde das
vorübergehende Bleiben im verkauften Haus ausdrücklich im Vertrag.
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Karl Mays Geburtshaus (Vorder- und Hinteransicht) um
1910.
Dieses Haus
war ihr bekanntlich im Erbgange am 2. April 1838 ortsgerichtlich zugeschrieben
worden.[1]
Einige Formulierungen in der Belehnung erweisen sich bei näherer Betrachtung im
Zusammenhang mit Mays Mitteilungen in seiner Autobiografie als hochinteressant.
Im Text der Beleihung steht ausdrücklich, dass zur Verlassenschaft der am 2.
Dezember 1837 verstorbenen Marie Rosine verwitwete Klemm »unter anderem« das
Wohnhaus gehörte. Auf dem Haus lag eine Hypothekenschuld in Höhe von 30
Reichsthalern gegenüber der Kirche, weiterhin mussten für den ortsabwesenden
Schwager der Erblasserin, Christian Gottlob Klemm, 20 Gulden 5 Groschen ihm
zustehender Tagzeitgelder verwahrt und bereitgehalten werden. Tagzeiten
entsprechen heutzutage in etwa Raten und sind Summen, mit denen regelmäßig, aber
gestückelt, um den Haupterben finanziell nicht zu überfordern, Erbberechtigte
ausgezahlt wurden. Weiterhin steht auf dem Haus die ›Folge‹, was bedeutet, dass
der jeweilige Hausbesitzer oder der Lehnsträger im Kriegsfall damit rechnen
musste, unter die Soldaten seines Landesherrn gezogen zu werden, aber auch, dass
gewisse mit dem Hausbesitz verbundene Gerätschaften, die nur von Mann zu Mann
vererbt werden konnten, bereitgehalten werden mussten.
Schon am 7. September 1808, als Marie Rosine Klemm das Haus von ihrem Ehemann um 150 Gulden erwarb, war die Verpflichtung zugunsten dessen Bruders, der damals bereits 26 Jahre abwesend war, vorhanden.[2] Am 15. Februar 1843 konnte die Hypothek samt Zinsen bar gelöst werden, deren Summe höher ist als die Tagzeitgelder für den Verschollenen. Zu diesem Zeitpunkt war Christian Gottlob Klemm bereits 61 Jahre vermisst und hätte über 75 Jahre zählen müssen. Mit seiner Rückkehr war nicht mehr zu rechnen. Dieses Geld wird in die Hypothekenrückzahlung mit eingeflossen sein, doch woher kam die restliche Summe?
Christiane Wilhelmine May war als einzige weibliche
Verwandte der Marie Rosine Klemm legitime Besitzerin ihres weiblichen Erbguts,
der so genannten Gerade, geworden. Das Ehepaar Klemm war ohne Kinder geblieben,
und der Hausverkauf des Christian Gottlob an seine Gattin deutet an, dass er
außer dem Verschollenen keine weiteren männlichen Erbberechtigten gehabt haben
dürfte; somit war die klassische männliche Erbfolge, das so genannte Heergereth,
jene an den Bruder. Dieser war der Gesamterbe aller Besitztümer. Die an die
Kirche zurückgezahlte Summe sowie Mays Äußerungen in der Autobiografie
insbesondere die über »einige kleine, leinene Geldbeutel«[3] und das häufig im
seinem Frühwerk auftauchende Motiv überraschender Geldfunde lassen möglich
erscheinen, dass zum Heergereth, also männlichen Erbe, nicht nur »Vetter Klemms
biblisches Bilderbuch«[4] gehörte, sondern auch eine kleine Menge Geldes, eine Art
Notgroschen, die von dem Zeitpunkt an, als die Rückkehr des Abhandengekommenen,
wohl nach 60 Jahren, unwahrscheinlich war, im rein männlichen Erbgange Heinrich
August May zufiel. Wahrscheinlich ist, dass die Notgroschen zur
Hypothekentilgung teilweise mitverwendet wurden. Sie waren zum Zeitpunkt der
Beleihung der Christiane Wilhelmine mit dem Haus für Heinrich August May jedoch
noch nicht verfügbar; allein er als männlicher Erbe durfte nach Freiwerden der
Gelder über deren Verwendung entscheiden. Wenn sich die Mays für diese
Transaktion bei irgendwem hätten Geld leihen müssen, wäre das sicherlich
aktenkundig geworden. Karl Mays »Mutter gab gute Worte, vergeblich«[5], da dieses
Geld ihrer Haushaltsführung nicht unterstand und somit der Rest auch nicht zum
Besten des Familienvermögens eingebracht werden konnte.
Somit waren die Mays
Besitzer eines nun schuldenfreien Hauses, aber arm. Und trotzdem wirtschafteten
sie, wohl aufgrund der finanziellen Vorsicht der Mutter gegenüber dem eigenen
weiblichen Erbe, besser als andere Hausbesitzer in Ernstthal. Am 24. Juni 1839
wird Frau Christiane Wilhelmine Keid gemäß Kauf- und Handelsbuch Ernstthal 10,
Folio 511ff., mit einem »zur Concursmasse weil. Franz Castagna’s allhier
gehörige(n) Wohnhaus mit Zubehör und Gärtchen am 26. Mai 1838, als am
Subhastationstermine, für ihr Meistgebot an 580 Gulden« erstanden, belehnt.
Diesem finanziellen Fiasko, das aufgrund Heinrich August Mays Verhalten nicht
unwahrscheinlich gewesen sein dürfte, ist die Familie entgangen.
Seinerzeit 1838 wird das geerbte Haus lokalisiert als »auf der Niedergasse allhier zwischen Krügers und Richters Häusern sub No: 111.« Beim Verkauf 1845 jedoch steht, dieses sei das »in der unteren Reihe der Niedergasse zwischen Krügers und der Bohnischen Erben Wohnhäuser belegene, mit Nummer 122. bezeichnete, und im Flurbuche hiesiger Stadt unter Nummer 124. aufgeführte, mit 45,00 Steuereinheiten belastete« Wohnhaus. Schon länger war bekannt, dass zwischen Kauf und Verkauf irgendwann einmal in ganz Ernstthal eine Umnummerierung im Brandversicherungskataster vorgenommen worden war.[6] Der bisherige Forschungsstand ist, dass diese erst irgendwann nach der Geburt Karl Mays erfolgte. Seinerzeit wurden, anders als heutzutage fast überall, die Gemeinden nicht straßenweise nummeriert, sondern an einer markanten Stelle eingesetzt und alle Gebäude der Kommune fortlaufend mit Nummern versehen. Später eingemeindete Ortsteile hatten natürlich eigene Nummerierungen, ebenso oft Vorstädte. Nach Jahrzehnten und dem Neubau oder der auch vorkommenden Teilung von Häusern war die Grundkatasternummerierung jedoch in ganz Sachsen einschließlich der Schönburgschen Rezeßherrschaften, zu denen Ernstthal und Hohenstein gehörten, so unübersichtlich geworden, dass eine Neuvergabe notwendig wurde.
Bei einer Durchsicht der seit einigen Jahren mikroverfilmten Kauf- und Handelsbücher 10 und 11 von Ernstthal[7] in der Hoffnung, Vorgänge zu finden, die für Karl Mays Biografie vor 1880 interessant oder gar relevant sein könnten, stieß ich auf mehrere Verträge mit Doppelnummerierung der verkauften Häuser. Außerdem konnte ich von mehreren ebenfalls mikroverfilmten Ernstthal betreffenden Archivalien der einstigen Schönburgischen Gesamtkanzlei, für die ich in diesem Beitrag die Kurzbezeichnungen Communkassenbeiträge, Verzeichniß der Hausbesitzer und Verzeichniß der Hausgenossen[8] verwende, Kopien ziehen. Diese Dokumente sind leider undatiert, weisen dem Geburtshaus Mays aber alle die ›122‹ als Hausnummer zu; sämtliche Hausbesitzer von der Reihung von 118 bis 130 sind in den drei Hausbesitzerverzeichnissen identisch. Im Gegensatz zu Com-munkassenbeiträge enthalten diese bedauerlicherweise keine Namen von Mietern und das Verzeichniß der Hausgenossen wiederum keine der Hausbesitzer. Dieses führt jedoch in der ›111‹ als Mieter Heinrich Gotthilf Nadler, einen Weber, und Carl Friedrich Wilhelm Steinbach, einen Strumpfwirker, auf, kann also unmöglich nach der alten Nummerierung erstellt worden sein.
Diese Funde veranlassten mich zu einer erneuten, intensiveren Durchforstung der beiden vorgenannten Kaufbücher. Dabei stieß ich auf einen Vorgang im Kauf- und Handelsbuch 11, Folio 15, der beide Hausnummern enthält: »sub No: 85 alter und 94: neuer Bezeichnung«, datiert stadtgerichtlich vom 5. 6. 1840, während die Belehnung im Amte am 11. 6. 1840 erfolgte. Beides sind folglich Termine vor der Geburt Karl Mays. Stadtrichter Friedrich Wilhelm Layritz verkauft ein »Wohnhaus samt Zubehör und Gärtchen«, das er am 18. Februar 1840 aus dem »Schuldenwesen« des verstorbenen Bürgers und Webers Karl Gottlob Wendler um 390 Thaler meistbietend erstanden hatte, an den Bürger und Weber Christian Wilhelm Vogel um 401 Thaler 22 Groschen 6 Pfennig.
Da nicht auszuschließen war, dass diese Nummerierung ein Einzelfall war, unterzog ich sämtliche Hauskäufe 1839–1841 einer eingehenden Untersuchung. Schließlich stellte sich heraus, dass im Kauf- und Handelsbuch 10 stets die alte Nummerierung verwendet wurde, zuletzt Folio 539ff. bei der Belehnung der Heineschen Erben mit dem hinterlassenen Wohnhaus des Vaters »auf hiesiger Hintergasse sub No: 29. zwischen Ebersbachs und Bohne’s Häusern« im Stadtgericht am 19. Dezember 1839 und im Amte 2. April 1840. Dieses trägt laut Communkassenbeiträge aber die Nr. 30. Wegen des geringen Unterschiedes in der Numerierung 29 zu 30 wurde der vorherige Kaufvertrag im Kauf- und Handelsbuch 10 herangezogen. Am 13. September 1839 verkaufen vor den Stadtgerichten die Wuthschen Erben laut Folio 520ff. das Haus samt Hofraum auf der Niedergasse »zwischen Gottlob Spindlers und Käufers, Gottlob Schülers Häusern sub No: 121.« an den Bürger, Webermeister und Handelsmann Christian Gottlob Schüler um 361 Thaler. In Communkassenbeiträge ist das aber die 132. Schüler verkauft dieses Haus gemäß Kaufbuch 11 Folio 8bff. bereits am 7. Mai 1840 wieder, und zwar an den Bürger und Weber Carl Wilhelm Schwalbe um 350 Thaler (!). Das Haus befindet sich laut diesem Vertrag »zwischen Gottlob Spindlers und seinem, Verkäufers Schülers, Häusern sub No: 132.« Dieser Vertrag jedoch ist nicht der erste Besitzwechsel in jenem Kaufbuch.
Am 9. April 1840 verkauft gemäß Folio 4ff. der Bürger
und Weißbäckermeister Gottlob Friedrich Scheer »sein im hiesigen Leichenwege sub
256. bezeichnetes […] zwischen Mothes’s und Schuberts Häusern gelegenes« Haus
samt Gärtchen an den Bürger und Webermeister Friedrich August Scheer, seinen
jüngsten Sohn, um 700 Thaler. Die Belehnung im Amte erfolgt am 11. Juni 1840.
Auch laut Communkassen-beiträge ist dieses Haus nummeriert mit der 256. Die
Eintragung der Vorgänge erfolgte eindeutig stets erst nach der amtlichen
Belehnung. Unzweifelhaft ist nun jedoch, dass die Neunummerierung sämtlicher
Häuser in Ernstthal im Jahr 1840 vor Karl Mays Geburt erfolgte. Nur wenige
Einträge im Kauf- und Handelsbuch 11 nennen beide Hausnummern; der des Verkaufs
des Geburtshauses Karl Mays ist möglicherweise deren letzter. Folglich ist Karl
May im Haus Niedergasse 122 geboren worden.[9]
Die
bisherige Sekundärliteratur, die stets auf die alte Hausnummer 111 verweist,
muss dahingehend korrigiert werden. Inzwischen hat Hainer Plaul auf eine weitere
Quelle hingewiesen.[10]
Ausriss aus der Ernstthaler
Brandkataster-Abschrift von 1839 mit der neuen Nr.122. Faksimile: Hainer Plaul.
Schmuck an der Gedenktafel zu Mays 140.
Geburtstag durch Adolf Stärz am 25. Februar 1982 angebracht.
Die Nummer 122
war damals noch erkennbar. – Archiv: Wolfgang Hallmann.
Im Rahmen meiner Nachforschungen war ich auch selbst
zweimal im Stadtarchiv von Hohenstein-Ernstthal, jedoch waren damals Teile der
Bestände wegen der sachsenweit erfolgten Neuerfassung und umfangreicher
Verfilmungsmaßnahmen nicht zugänglich.
Aufgrund dieser Erkenntnisse war jedoch eine genauere
Datierung von Communkassenbeiträge und Verzeichniß der Hausbesitzer notwendig,
die beide der neuen Nummerierung folgen, ebenso wie das später zu behandelnde
Verzeichniß der Hausgenossen, da sich hieraus Rückschlüsse auf Namen von
Nachbarn und Stadtbewohnern ergeben, die der junge Karl May gekannt haben kann.
Zudem stellen diese Archivalien einen Vorläufer späterer Adressbücher dar. Nach
Abgleich der mir vorliegenden Verträge ergab sich der Zeitraum zwischen 12. Mai
1842 und 31. Dezember 1842 für Communkassenbeiträge, denn Verzeichniß der
Hausbesitzer enthält den Besitzstand nach letztgenanntem Kauf, der am 8.
September 1842 zum 1. Januar 1843 abgeschlossen wurde. Demzufolge dürfte
ersteres, das auch die Mieter, geordnet nach Hausnummern, enthält, die
Haushaltungsvorstände in den Monaten knapp nach der Geburt Karl Mays nennen.
Der Markt in Ernstthal um 1843. Archiv: Wolfgang
Hallmann.
Eine weitere Quellensichtung galt den Kaufverträgen
jener beiden Häuser am Markt in Ernstthal, in welchen die Mays nach dem Verkauf
ihres Hauses in der Niedergasse nacheinander lebten. Noch ist unbekannt, wann
sie aus dem Knoblochschen in das Selbmannsche wechselten. Den Knoblochschen
Vertrag fand bereits vor Jahrzehnten Hainer Plaul.[11] Der Kauf vom 14. April 1803
enthält einige Einzelheiten der Baulichkeit, die die Wohnung der Mays innerhalb
des Hauses ein wenig genauer lokalisierbar machen könnten. Außerdem stellte sich
heraus, dass Carl August Knobloch das »Wohnhaus und Garten, wie solches am
hiesigen Markte zwischen August Friedrich Lohsens, und Christian Friedrich
Meyers Häußern innenlieget, und mit No. 166 signiret« nicht direkt vom Vater
übernahm, da dieser schon lange verstorben war, sondern von Bruder Carl
Friedrich sowie der Mutter Anna Rosina verwitwete Johann Gottfried Knobloch
geborene Marsteller als zweiter Ehefrau und leiblicher Mutter der beiden im
Kaufvertrag genannten Söhne um 600 Gulden erwarb. Mutter und älterer Bruder
hatten dieses Haus zusammen nach dem Tode des Ehegatten und Vaters in Lehn am
25. September 1776 erhalten. Laut Communkassenbeiträge war das Haus mit 81,81
Steuereinheiten eingetragen, zur Berechnung wurden jedoch nur deren 75
herangezogen.
Ein gewisser Carl Friedrich Knobloch, Bürger und Weber in Ernstthal, entweder der Bruder des Carl August oder dessen Sohn, erwirbt übrigens am 13. Oktober 1821 von »Demoiselle Amalia Friedericka Trüben-bachin« deren »alhier am Markte zwischen Mattheßens Hauß und dem Martinischen Gärtgen befindliches Wohn=Hauß, mit Hofraum No. 236 bezeichnet,« um 260 Thaler. Dieses Haus ist unter der späteren Nummer 266 laut Communkassenbeiträge noch immer im Besitz eines Carl Friedrich Knobloch und oben am Marktplatz lokalisierbar, nahe der Einmündung des Leichenwegs (heutige Bergstraße). Laut Verkauf des Wohnhauses samt Gärtchen der Eva Rosine verwitwete Motheß an ihren Schwiegersohn, den Bürger und Weber Karl Friedrich Beyer, am 18. September 1841 um 450 Thaler ist das mit diesem Vertrag verkaufte Gebäude »am Markte sub No: 1« »zwischen Knobloch’s und Matthäß’s Häusern« zu suchen und somit dieses knoblochsche das letzte Privatgebäude in der Nummerierung; danach folgen nur noch Jägerhaus und die Kirche. Schließlich erwirbt am 3. Februar 1821 der Bürger und Glaser Johann Christian Knobloch das Haus samt Garten »neben Lachs« in der Nähe des Malz- und Brauhauses unter der alten Nummer 177 von seiner kranken Ehefrau Johanna Christiana geborene Schultz geschiedene Selbmann um 500 Gulden. Meister Christian Friedrich Selbmann, Bürger und Leinewebermeister in Ernstthal, verzichtet seinem Stiefvater Johann Christian Knobloch wegen ihm gemäß Testament der Mutter aus vorstehendem Kauf zustehender 210 Thaler als seinem Erbteil bereits am 24. April 1824.[12] Zu Zeiten von Communkassenbeiträge befindet sich dieses Haus in anderen Händen.
Der Lehnschein für das Selbmann-Haus vom 10. September 1840 liegt in Kopie vor. Er ist im Kauf- und Handelsbuch 11, Folio 71ff., enthalten. Seinerzeit wurde die Witwe Johanne Christiane des Bürgers und Webers Christian Friedrich Selbmann mit dem ererbten »Wohnhaus mit Zubehör und Gärtchen« belehnt, da beide Söhne noch unmündig waren, Sohn Christian Friedrich laut Gerichtsbuch 20½ Jahre, Sohn Carl Heinrich, dessen Altersangabe im Kaufvertrag fehlt, 8¼ Jahre. Diese beiden verkauften das ererbte Haus samt Gärtchen »sub No: 168 alter und 185. neuer Bezeichnung am Markte zwischen Christian Friedrich Haase’s Gasthofe und der Mädchenschule« – laut Communkassenbeiträge identisch mit dem Kantorat – an die Mutter um 490 Thaler alter oder 503 Thaler 18 Neugroschen 3 Pfennig neuer Währung. Die Kaufsumme wird jedoch nicht ausbezahlt, sondern mit vier Prozent Verzinsung auf dem Haus als Hypothek eingetragen, da das Geld den Söhnen zur Sicherstellung ihres Erbteils dient; davon stehen Carl Heinrich 436 Gulden 6 Neugroschen 7½ Pfennig zu, Sohn Christian Friedrich 70 Thaler 13 Neugroschen 6½ Pfennig. Auch hier lassen gewisse Einzelheiten des Vertrages Rückschlüsse auf das Grundstück zu.
In welcher familiären Beziehung der Glaser Knob-loch zu den Webern Knobloch stand und ob er deren Stiefbruder war, bedarf noch der Klärung. Diese könnte eventuell erhellen, warum die Familie May irgendwann aus dem knoblochschen Hause Nummer 183 ausgerechnet zwei Häuser weiter in das selbmannsche mit der Nummer 185 am Markte umzog.
Communkassenbeiträge verrät aufgrund der Namen der Mieter etwas über die Aufteilung beider später von den Mays bewohnter Häuser. Da Christian Friedrich sein Erbteil verkauft zu haben scheint, ist das Haus später an den jüngsten Sohn und somit laut sächsischem Recht Kür-, also Alleinerben, Carl Heinrich Selbmann weitergegeben worden. In Sachsen war, meines Wissens mindestens bis zur Reichsgründung 1871, im Gegensatz zu den anderen deutschen Staaten stets der insgesamt jüngste Sohn, auch wenn der Vater mehrere Ehen geschlossen hatte, erster Erbberechtigter.
Das knoblochsche Grundstück einschließlich Garten war das größte und auch am höchsten abgabenbelastete der drei Häuser, in denen Karl May in Ernstthal vor 1880 lebte. Für das selbmannsche Haus waren 51 Steuereinheiten zugrunde gelegt, dafür in die Communkasse jährlich zu zahlen 1 Thaler 4 Neugroschen, für das knoblochsche 1 Thaler 25 Neugroschen 1 Pfennig, die Mays hatten 1 Thaler zu entrichten. Sowohl das Geburtshaus als auch das selbmannsche haben, wie aus den Verkäufen und Belehnungen hervorgeht, jeweils nur ein »Gärtchen«, das Knoblochsche hingegen einen richtigen Garten. Des Käufers Mutter bedingt sich bei Knoblochs Kauf 1803 nicht nur »die kleine Oberstube, nebst der daran befindlichen Kammer, ingleichen einen Holzraum« aus, sondern auch »den 3ten Theil von dem alljährlich zu erbauenden Obste«. Das ist ein Indiz für einen nicht gerade kleinen Garten, denn wenn dort kaum etwas oder nur eine Sorte gewachsen wäre, hätte sich nicht gelohnt, einen Anteil daran festzulegen. Eine auch nur ähnliche Bedingung findet sich beim Selbmannschen Vorgang nicht, vom Geburtshaus ganz zu schweigen.
Bis heute ist unbekannt, wo Karl Mays Tante, die Vatersschwester, Christiane Wilhelmine (!) geborene May, lebte, ob zusammen mit der Familie May und ihrer Mutter oder anderswo. Dass sie schon damals bei ihrem Ehemann ab 1849, Carl Friedrich Heidner, wohnte, ist absolut unwahrscheinlich, da dieses damals geradezu verpönt war. Dieser gehörte auch nicht zu den Hausbesitzern. Eventuell zählte sie, wie seinerzeit häufig, bei einem der vermögenderen Ernstthaler – von denen einige ihre großen Häuser ohne Mieter bewohnten – zu den Dienstboten, da sie nirgendwo in Ernstthal als Mieterin nachgewiesen werden kann. Wahrscheinlich lebte sie nach Stand der Dinge auch nicht als Bewohnerin im Armenhaus der Stadt Ernstthal, denn sie hatte ja seinerzeit einen Lehnsträger für Hausbesitz zum Bruder, der für sie versorgungspflichtig gewesen wäre. Wann sie ihren »schweren Fall« hatte, an dessen Folgen sie »verkrüppelte«[13], geht aus der Autobiografie Karl Mays nicht hervor; dieser muss aber Tatsache sein, da seine beiden damals noch lebenden Schwestern, die ja ihre Tante auch noch gekannt hatten, nie dieser Erinnerung widersprachen.
Communkassenbeiträge teilt uns die Namen der Mieter etwa zum Zeitraum der Geburt Karl Mays mit, da nicht nur die Hausbesitzer, sondern auch die Mieter die hier aufgelisteten jährlichen Abgaben an die Stadt Ernstthal zu zahlen hatten. Im Knobloch-Haus befinden sich drei, im Selbmann-Haus ein Mieter. Im Geburtshaus ist eindeutig kein Mieter vorhanden. Für das Selbmann-Haus nachgewiesen ist Carl Andrä, für das Knobloch-Haus Johann Gottlob Feldmann, Gottlieb Held und Ludwig Triemer. Andrä hat insgesamt 8 Thaler Miethzins zu entrichten, Feldmann 12, Held 6 und Triemer 7. Andrä entrichtet 16 Neugroschen in die Communkasse, Feldmann 24, Held 12 und Triemer 14. Interessant ist: lediglich der Name Triemer erscheint nicht, auch nicht leicht verändert, in Karl Mays Werk. Einer der drei, Feldmann, Held oder eben Triemer, ist definitiv der Maysche Vormieter in diesem Hause, nicht bewiesen hingegen ist eine direkte Folge in der Wohnung. Nach weiteren Indizien, wer der Betreffende sein könnte, war zu suchen, vermutlich aber war Heinrich August May finanziell nicht imstande, die größte anzumieten.
Aus ungenannter Zeit zwischen 1841 und dem Verkauf des Hauses Niedergasse 122 im April 1845 ist das Verzeichniß der Hausgenossen erhalten. In diesem existiert kein May als Mieter. Teilweise nennt dieses andere Mieter und jährliche Mietzinsen als Communkassenbeiträge. Andrä in 185 zahlt jetzt 9 Thaler Miete und hat 13 Neugroschen 5 Pfennig pro Jahr zur Communanlage zu entrichten; genannt wird auch dessen vermutlicher Sohn Friedrich Herrmann, allerdings ohne Mietzahlung; er wird lediglich mit 10 Neugroschen für die »Abgabebeträge zur Com-munanlage« herangezogen. Das gilt bei gleichem Zins auch für Feldmann in der 183, der 18 Neugroschen zur Communanlage zahlt, samt einem Friedrich Wilhelm Feldmann, der 10 Neugroschen entrichtet. In der 185 wohnt jetzt auch Christian Friedrich Selbmann, älterer Sohn der Hausbesitzerin, der bei der Belehnung seiner Mutter im September 1840 20½ Jahre zählt, ungibt 8 Thaler Miete sowie 12 Neugroschen zur Communanlage. Im Haus 183 lebt nun der Weber Carl Gottlob Uhlemann und hat 7 Thaler Miete zu zahlen sowie 10 Neugroschen 5 Pfennig zur Communanlage; in Communkassenbeiträge hingegen ist er als Mieter in Ernstthal unauffindbar. Ludwig Triemer ist umgezogen in die 17 und lebt dort für 9 Thaler. In diesem Haus stand anscheinend eine Wohnung leer, denn Commun-kassenbeiträge nennt dort keine Mieter. Carl Gottlob Held in 78 ist trotz des sehr ähnlichen Namens nicht identisch mit dem Carl Gottlieb Held der Commun-kassenbeiträge, denn er wohnte laut dieser Quelle schon damals in diesem Hause. Somit könnte Gottlieb Held, der in jenem Mieterverzeichnis fehlt, ohne dass ein anderer an dessen Stelle genannt wäre, durchaus der Vormieter gewesen und die Mays in eine leerstehende Wohnung gezogen sein.
Nach Stand der Dinge ist dieses den älteren Sohn Selbmann als Mieter in der 185 enthaltende Haus-genossenverzeichniß jünger als Communkassenbeiträge. Das Hausgenossenverzeichniß nennt zwar einen weiteren Christian Friedrich Selbmann als Mieter in der 192, jedoch ist dieser als Friedrich Selbmann bereits in Communkassenbeiträge enthalten und ist somit höchstwahrscheinlich mit dem älteren Selbmann-Sohn nicht identisch. Die Wohnung in der 185 stand, wie oben ausgeführt, mit 8 Thalern Mietzins zu Buche, die in der 192 mit 10 Thalern.
Wir dürfen davon ausgehen, dass die Hausbesitzer selbst in ihren Häusern gelebt haben. Vielleicht kann ermittelt werden, wann Andrä wegging oder verstarb, denn vermutlich in seine Wohnung im Selbmann-Haus dürften die Mays gezogen sein, direkt nach ihm oder einem Zwischenmieter, vielleicht dessen wahrscheinlichem Sohn Friedrich Hermann.
Einer der sowohl in Communkassenbeiträge als auch in Verzeichniß der Hausgenossen aufgeführten Mieter ist der Weber Friedrich Wilhelm Stiezel, der mit dem Hauskäufer des Geburtshauses Wilhelm August Friedrich Stiezel identisch sein dürfte. Er wohnt in der 124, also zwei Häuser weiter. Sein Mietzins beträgt laut Communkassenbeiträge 10 Thaler jährlich.
Aufgrund der neugewonnenen Erkenntnisse ergibt sich,
dass einige Geschehnisse seiner Kindheit, an die sich Karl May in ›Mein Leben
und Streben‹ erinnert, zwar wie beschrieben zugetragen haben werden, jedoch
nicht im Geburtshaus mit seinem Gärtchen.[14] Als Mays Mutter das Geburtshaus
verkaufte, war ihr Sohn Karl gerade einmal drei Jahre und einige Wochen alt,
also zu jung, um sich intensiv an die genauen Gegebenheiten im Grundstück
erinnern zu können; brauchbaren optischen Eindrücken stand zudem sein
Lidverschluss entgegen.[15] Alles über das Gebäude Niedergasse 122, was er nach
Stand der Dinge korrekt über dieses in seiner Autobiografie niederschrieb, wird
er von der ältesten Schwester, den Eltern oder sogar der Großmutter erfahren
haben; allerdings kann davon ausgegangen werden, dass ihm das vom südöstlichen
Teil des Markts aus gut sichtbare Haus gezeigt worden ist und er eine Erinnerung
vom Aussehen der Fassade in seinem Gedächtnis aufbewahrte. Beim Niederschreiben
von ›Mein Leben und Streben‹ war ihm jedoch verwehrt, die Grundstücke oder gar
Wohnungen seiner Kindheitserlebnisse nach 1845 noch einmal zu betreten und so
seine Erinnerungen aufzufrischen, da beide Gebäude am Markt seit einem Großbrand
im Jahr 1898 nicht mehr in der früher erlebten Gestalt existierten, vor allem
aufgestockt und mit teils stark veränderten Frontansichten wiedererrichtet
wurden.
Der Ernstthaler Neumarkt im Juni 2019. Dort
standen das Knobloch-Haus, der Gasthof ›Stadt Glauchau‹ und das Selbmann-Haus.
Karl May erinnerte sich: »Der Hof war grad so groß, daß
wir fünf Kinder uns aufstellen konnten, ohne einander zu stoßen. Hieran grenzte
der Garten, in dem es einen Holunderstrauch, einen Apfel-, einen Pflaumenbaum
und einen Wassertümpel gab, den wir als ›Teich‹ bezeichneten. Der Hollunder
lieferte uns den Tee zum Schwitzen, wenn wir uns erkältet hatten, hielt aber
nicht sehr lange vor, denn wenn das Eine sich erkältete, fingen auch alle Andern
an, zu husten und wollten mit ihm schwitzen. Der Apfelbaum blühte immer sehr
schön und sehr reichlich; da wir aber nur zu wohl wußten, daß die Aepfel gleich
nach der Blüte am besten schmecken, so war er meist schon Anfang Juni
abgeerntet. Die Pflaumen aber waren uns heilig. Großmutter aß sie gar zu gern.
Sie wurden täglich gezählt, und niemand wagte es, sich an ihnen zu vergreifen.
Wir Kinder bekamen doch mehr, viel mehr davon, als uns eigentlich zustand. Was
den ›Teich‹ betrifft, so war er sehr reich belebt, doch leider nicht mit
Fischen, sondern mit Fröschen. Die kannten wir alle einzeln, sogar an der
Stimme. Es waren immer so zwischen zehn und fünfzehn. Wir fütterten sie mit
Regenwürmern, Fliegen, Käfern und allerlei andern guten Dingen, die wir aus
gastronomischen oder ästhetischen Gründen nicht selbst genießen konnten, und sie
waren uns auch herzlich dankbar dafür. Sie kannten uns. Sie kamen an das Ufer,
wenn wir uns ihnen näherten. Einige ließen sich sogar ergreifen und streicheln.
Der eigentliche Dank aber erklang uns des Abends, wenn wir am Einschlafen waren.
Keine Sennerin kann sich mehr über ihre Zither freuen als wir über unsere
Frösche. Wir wußten ganz genau, welcher es war, der sich hören ließ, ob der
Arthur, der Paul oder Fritz, und wenn sie gar zu duettieren oder im Chor zu
singen begannen, so sprangen wir aus den Federn und öffneten die Fenster, um
mitzuquaken, bis Mutter oder Großmutter kam und uns dahin zurückbrachte, wohin
wir jetzt gehörten.«[16]
Ein Hof, so breit, dass gerade einmal die fünf Kinder nebeneinander Platz hatten, dürfte nur für das Selbmann-Haus ab etwa Ende 1850 zutreffen, denn erst dann waren stets fünf Maysche Kinder am Leben und die Kleinste, Mitte 1849 geboren, imstande zu stehen und zu laufen. Sollte sich diese Szene schon im Knobloch-Haus ereignet haben, waren möglicherweise Nachbarskinder beteiligt an dieser ungewöhnlichen Vermessungsaktion. Im Selbmann-Haus spielten die Kinder sicherlich auch im Gärtchen. Der jüngere Sohn der Hausbesitzerin, Carl Heinrich, 1832 geboren, war seinerzeit bereits aus der Lehre. Spielkameraden in Person selbmannscher Kinder können jedoch vorhanden gewesen sein.
Eher im größeren knoblochschen Garten wird sich das
Froschkonzert abgespielt haben. Da May dieses aber in seinen Kinderzeiten vor
1848 ansetzt, hat das nach Stand der Dinge in einem anderen Grundstück
stattgefunden als das Nebeneinanderaufstellen im Hofe. Auch dass die Großmutter
den Kindern verspricht, später jedes ein eigenes Haus zu haben, deutet darauf
hin, dass sich dieses Ereignis nicht im Garten des Geburtshauses, der ja Besitz
der Mutter war, zugetragen haben kann: »Doch weiß ich noch ganz bestimmt, daß
Großmutter, um dem ungeheuern Schmerz ein Ende zu machen, uns die Versicherung
gab, ein jedes von uns werde genau nach zehn Jahren ein dreimal größeres Haus
mit einem fünfmal größeren Garten erben, in dem es einen zehnmal größeren Teich
mit zwanzigmal größeren Fröschen gebe. […] Das geschah in der Zeit, als ich
nicht mehr blind war und schon laufen konnte.«[17] Wir wissen nicht, wie die
Stiegen oder Treppen im Knobloch-Haus aussahen; vielleicht waren sie von einer
Beschaffenheit, ohne Geländer, die den kleinen Karl ängstigte. »Ein blindes Kind
erlernt das Stehen normalerweise im gleichen Alter wie das sehende, es braucht
aber wesentlich länger, bis es allein laufen kann«[18], noch dazu in einer Zeit,
als allenthalben eine schwere Hungersnot herrschte. »Obwohl er noch kaum gehen
konnte und teilweise getragen werden mußte, durfte er die Schule des kleinen
Städtchens besuchen.«[19] Auch aus diesem Grund kann sich das Froschkonzert
zeitlich nicht auf dem Grundstück des Geburtshauses abgespielt haben. Leider
sind die beiden Gärten am Markt nicht mehr in ihrer ursprünglichen Form erhalten
oder gar öffentlich zugänglich rekonstruierbar, weswegen die Darstellung dieser
Kindheitserinnerungen Karl Mays im Grundstück des Geburtshauses, wo sie
eigentlich nicht hingehören, die einzige Möglichkeit darstellt, sie für
Interessierte quasi plastisch erlebbar zu machen.
Die Westseite des Ernstthaler Marktes um 1865.
Archiv der St.-Trinitatis-Kirche Ernstthal.
Die dem Autor dieses Beitrags vorliegenden Kaufverträge
aus den Kauf- und Handelsbüchern Ernstthal 10 und 11 lassen interessante
Rückschlüsse auf die Größe der Gärten der jeweiligen Grundstücke zu. Die
Niedergasse alter Nummer 112 »zwischen May und Schwalbe« hatte laut Verkauf vom
18. Juni 1838 an Heinrich Gottlob Bohne ein Gärtchen sowie ein besonderes
Gartengrundstück bis zur Lichtensteiner Grenze vorzuweisen, 14¾ Ellen breit und
110 Ellen lang, gelegen »zwischen Krügers und Schwalbes Gärten«. Bei der
Belehnung des Hauses unter der alten Nummer 114 »zwischen Schwalbe und Stöhrel«
an die Vorbesitzerswitwe Marie Magdalene Ebersbach ist ebenfalls von einem
Garten die Rede, dessen Lage aber nicht beschrieben ist und der somit an das
Haus angegrenzt haben dürfte. Beim Verkauf der alten Nummer Niedergasse 121
»zwischen Gottlob Spindlers und Käufers, Gottlob Schülers Häusern« am 13.
September 1839 findet ein Hofraum Erwähnung, jedoch kein Gärtchen oder gar
Garten. Als Stadtrichter Friedrich Wilhelm Layritz am 5. Mai 1840 an den Bürger
und Zimmermann Johann Gottlieb Mehnert ein Stückchen Garten »in hiesigem
Leichenweg zwischen Barthel’s, Motheß’s und Knobloch’s Garten«, eindeutig jenem
des oben am Markte wohnenden Knobloch, »12½ Ellen breit und 35½ Ellen lang, wie
er solches am 20. September 1824 mit seinem Wohnhause und noch einem Garten
erkauft«, weiterveräußert, muss darüber ein gesonderter Vertrag geschlossen
werden. Beim Wohnhauskauf samt Hofraum, Seitengebäude, Wagenschuppen und
Obstgarten der Christiane Rebecca verehelichte Stadtrichter Friedrich Wilhelm
Layritz von ihrer Mutter Johanne Christiane Concordia verwitwete Bäckermeister
Friedel, gelegen an der Ecke der Strumpfwirkergasse neben dem Wolfschen Gasthof
und mit der neuen Nummer 80 versehen, wird am 25. Januar 1842 zwar nicht die
Größe des Gartens, wohl aber dessen Standort genau beschrieben, und zwar ein
hinter dem Haus befindlicher »Obstgarten mit hinein gebauter Scheuer«, der
»gegen Morgen an den Neusorger Fahrweg, gegen Mittag an ein in hiesiger
Stadtflur gelegenes Wiesengrundstück des Postverwalters Herold zu Oberlungwitz,
gegen Abend an die Strumpfwirkergasse und gegen Mitternacht an das sub a
beniemte Wohnhaus und den Wolfschen Gasthof grenzt«. In diesem Haus verzeichnet
Communkassenbeiträge keine Mieter.
Alle Kaufverträge unterscheiden bei der Beschreibung des
im Grundstück befindlichen unbebauten Teils stets zwischen »Garten« und
»Gärtchen«. So wird auch bei Wohnhauskäufen im Jahre 1803 verfahren, und
das
erlaubt deswegen den Rückschluss, dass zum Knoblochschen Haus stets ein
richtiger Garten gehörte, wovon beim Geburtshaus keine Rede sein kann.
Interessant sind die Preise, die bei den Käufen entrichtet werden: 503 Thaler 18
Groschen 3 Pfennig bei der Selbmannschen Transaktion und 515 Thaler beim
Geburtshausverkauf, 600 Thaler beim Bohne-schen Kauf einschließlich
Gartengrundstück. Die ebersbachsche Belehnung ist als eine von direkten Erben
ohne aktuelle Preisangabe, Schüler zahlt 361 Thaler, Mehnert entrichtet für das
Stück Garten 100 Thaler, beim Layritzschen Kauf hingegen stehen 1600 Thaler zu
Buche. Dieses Grundstück zählte nicht einmal zu den höchstbesteuerten;
allerdings nennt Communkassenbeiträge den Stadtrichter Friedrich Wilhelm Layritz
als Eigentümer – beziehungsweise im Falle des Besitzes seiner Ehegattin als
Lehnsträger – von vier Häusern mit insgesamt über 290 Steuereinheiten.
Das in Communkassenbeiträge mit 247,44 Steuereinheiten am höchsten taxierte Ge-bäude ist das Webermeisterhaus unter neuer Nummer 143, das spätere Königliche Gerichtsamt. Viele Häuser in Ernstthal hingegen standen mit weniger Steuereinheiten zu Buche als das Geburtshaus, insgesamt knapp 90 von 268 Nummern. Davon betreffen vierzehn öffentliche Gebäude, die steuerfrei waren. Zwei Häuser sind in a und b unterteilt; auch zwei Scheunen haben Hausnummern. Johanna Sophia Nürnbergers Haus Nummer 239 ist als kleinstes mit 15,07 Steuereinheiten eingetragen. Den 254 Hausbesitzern stehen laut Verzeichniß der Hausgenossen 376 gezählte Mieter gegenüber, darunter 310 Weber (!). Das Haus Niedergasse 122 gehörte also bei weitem nicht zu den geringsten in Ernstthal. Hochbesteuerte Gebäude mit mehr als 100 Steuereinheiten sind jedoch nur 25 vorhanden, darunter das Haus 99 im Besitze des Stadtrichters Friedrich Wilhelm Layritz mit 123,74, der Gasthof des Christian Friedrich Haase, später ›Stadt Glauchau‹, mit der Nummer 184 zwischen Knobloch und Selbmanns Witwe mit 105,66 und das Haus 213 mit Eigentümer Stadtrichter Friedrich Wilhelm Layritz, taxiert auf 151,45 Steuereinheiten. Von denen beherbergte nur die layritzsche 213 mehrere Mietparteien, darunter einen Schieferdecker Johann Heinrich Gottfried Lautenschläger, ein Familienname, der dem Karl-May-Kenner sofort bekannt vorkommen wird. So heißt der Stadtrichter in Mays früher Erzählung Im Seegerkasten. Nun erweist sich, dass in der Realität zumindest in Mays Kindheit Lautenschläger der Name eines Mieters in einem Haus des Stadtrichters Layritz war; auch hier verarbeitet May augenzwinkernd die Realität in der Fiktion. Der Hausbesitzer Haase ist nach Stand der Dinge identisch mit dem von May in Mein Leben und Streben genannten Fleischermeister Haase.[20]
Obige Zahlen sind Belege dafür, dass die Schere zwischen arm und reich in Ernstthal doch sehr auseinanderklaffte. Der Verkauf des Hauses 122 ohne nachfolgenden Neukauf bedeutete für die Familie May zudem einen sozialen Abstieg, den der Vater für sich erst Jahre später mit der Erlangung des Meisterrechts 1856[21] ein wenig kompensieren konnte.
Anmerkungen
[1]
Amtsgericht Hohenstein-Ernstthal: ›Kauf- und Handelsbuch Ernstthal 10‹, Folio
429b–430b.
[2]
Vgl. Hainer Plaul: ›Der Sohn des Webers. Über Karl Mays erste Kindheitsjahre
1842–1848‹. In: Jb-KMG 1979, Hamburg 1979, S. 12ff., hier insbesondere s. 29.
[3]
Karl May: ›Mein Leben und Streben‹, Freiburg i. Br. [1910], S. 13.
[4]
Als Nummer 311 befindet sich die Sammlung biblischer Holzschnitte mit den
handschriftlichen Kommentaren aus dem 18. Jahrhundert noch heute in Mays
Bibliothek in Radebeul.
[5]
Ebd., S. 18.
[6]
Vgl. Hainer Plaul, wie Anm. 2, S. 31.
[7]
Sächsisches Hauptstaatsarchiv Dresden, Gerichtsbücher Hohenstein-Ernstthal,
›Kauf- und Handelsbücher Ernstthal 10‹ (1830–1840) und 11 (1841–1846). Zu
Vergleichszwecken herangezogen wurden auch die ›Kauf- und Handelsbücher
Ernstthal 7‹ bis ›9‹. Die Mikroverfilmungen dieser Gerichtsbücher sind sowohl im
Sächsischen Hauptstaatsarchiv Dresden als auch in den Staatsarchiven Chemnitz
und Leipzig einsehbar. Plaul unterliegt allerdings im Anmerkungsapparat zu ›Der
Sohn des Webers‹, wie Anm. 2, mit der Angabe von Seitenzahlen in den genannten
Quellen einem Irrtum. Die betreffenden Bände sind durchgängig foliiert, haben
also eine Blattzählung.
[8]
Sächsisches Staatsarchiv Chemnitz, Bestand 6.1. Landes- und Rezeßherrschaften,
Signatur 30575 Gesamtkanzlei Glauchau, Nr. 230, ›Entwurf zur Vertheilung der zu
leistenden Communkassenbeiträge nach Verhältniß des Besitzstandes, und nach
Maasgabe der Steuer=Einheiten, laut Steuer-Cataster und Flurbuch zu Ernstthal‹,
Nr. 231–233 (mit identischen Titeln) ›Verzeichniß der Hausbesitzer nebst deren
Steuereinheiten auf den Wohnhäusern und dem jährlichen Abgabenbetrage zur
Communanlage Ernstthal‹, Nr. 234, ›Verzeichniß der Hausgenossen nebst Miethzins
ihrer Wohnung und jährlichen Betrag der Abgabe zur Communanlage Ernstthal‹.
[9]
Faksimile aus Verzeichniß der Hausbesitzer Ernstthal. Sächsisches Staatsarchiv
Chemnitz. – Das Nummernschild ›122‹ befand sich noch 1982 links über der
Eingangstür (siehe Foto S. 13). Ausgerechtet dieses so wichtige museale Objekt
ist heute nicht mehr am Karl-May-Haus vorhanden.
[10]
Vgl.: Hainer Plaul: ›Über Karl Mays Geburtsadresse‹. In: Der Beobachter an der
Elbe, Nr. 25, Radebeul 2015, S. 14ff.
[11]
Vgl. Hainer Plaul, wie Anm. 2, S. 67.
[12]
Kauf des Carl August Knobloch: ›Kauf- und Handelsbuch Ernstthal 7‹, Fol.
582b–588; Kauf des Carl Friedrich Knobloch: ›Kauf- und Handelsbuch Ernstthal 8‹,
Fol. 606b–608b; Kauf des Johann Christian Knobloch: ›Kauf- und Handelsbuch
Ernstthal 9‹, Fol. 73–75.
[13]
›Mein Leben und Streben‹, wie Anm. 3, S. 23.
[14]
Vgl. Hans Zesewitz: ›Alte Urkunden sprechen‹. In: ›Karl-May-Jahrbuch 1932‹,
Radebeul 1932, S. 41; ferner Hainer Plaul im Anhang zum Olms-Reprint ›Mein Leben
und Streben‹, Hildesheim 1997, Anm. 3, S. 327* u. Anm 10, S 332*.
[15]
Karl May war mit großer Wahrscheinlichkeit aufgrund eines entzündlichen
Augenlidverschlusses (Blepharospasmus) monatelang funktionell erblindet, was zu
einem Verlernen des Sehens führte. Vgl. Ralf Harder/Harald Mischnick:
›Die
Hungersnot der 1840er Jahre und ihre Auswirkungen am Beispiel Karl Mays und
seiner frühkindlichen Erblindung‹. In: M-KMG, Nr. 127, März 2001, S. 11. Ferner:
Christina Alschner: ›Karl Mays frühkindliches Augenleiden‹. In:
›Karl-May-Haus-Information‹,
Heft 19/2005, S. 38ff.
[16]
›Mein Leben und Streben‹, wie Anm. 3, S. 14f.
[17]
Ebd., S. 15f.
[18]
Zit. nach Ralf Harder: ›Karl Mays Blindheit. Das
Kurländer Palais – Schicksalsstätte für Karl May‹.
[19]
Heinrich Wagner: ›Karl May und seine Werke‹, Passau 1907, S. 5.
[20]
›Mein Leben und Streben‹, wie Anm. 3, S. 44.
[21]
Das ›Innungsbuch der Zeug-, Leinen- und Wollweberinnung von Ernstthal 1692–1870‹
(Textil- und Rennsportmuseum Hohenstein-Ernstthal) enthält die Eintragung, dass
Heinrich August May 1856 das Meisterrecht erworben hatte. Ferner wird dies im
Journal der Weberinnung zu Ernstthal 1855 (Stadtarchiv Hohenstein-Ernstthal)
bestätigt.