Gabriele Berger |
Karl May und die Sankt-Trinitatis-Kirche zu Hohenstein-Ernstthal |
Am 25. Februar des Jahres 1842 »abends 10 Uhr«[1]
erblickte der bekannte Abenteuerschriftsteller Karl May in dem westsächsischen
Weberstädtchen Ernstthal das Licht der Welt. Erst 1898 vollzog sich die
Vereinigung der beiden Nachbarstädte Hohenstein und Ernstthal zur Stadt
Hohenstein-Ernstthal, die sich heute auch Karl-May-Geburtsstadt nennt.
Archiv der St.-Trinitatis-Kirche Ernstthal.
Nicht ungewöhnlich für die damalige Zeit, in der viele Kinder bereits im
Säuglingsalter verstarben, war die Taufe kurz nach der Geburt. So empfing auch
das neugeborene Kind des Webers Heinrich August May und seiner Ehefrau
Christiane Wilhelmine geborene Weise am Tag nach seiner Geburt, einem Samstag,
die Heilige Taufe und den Namen Carl Friedrich. Paten, oft auch als Taufzeugen
bezeichnet, wurden meist aus dem Verwandtenkreis oder aus der Nachbarschaft
gewählt.
Carl Friedrich Mays Paten[2] waren:
Karl wuchs in unmittelbarer Nähe der St.-Trinitatiskirche auf. So gehörten die Klänge des Glockengeläutes neben dem Geräusch, das der Webstuhl des Vaters verursachte, wohl zu den ersten akustischen Erfahrungen des Kindes.
So wie das Geläut zu Karl Mays Zeit gestimmt war, klang
es seit 1834. Aus diesem Jahr stammte die kleine Glocke. Die mittlere Glocke war
1731 und die große Glocke 1826 erneuert worden. Gestimmt war dieses Geläut in
den Tönen F-B-D.[3]
Die Westseite des Ernstthaler Marktes um 1865. –
Archiv der St.-Trinitatis-Kirche Ernstthal.
In ›Mein Leben und Streben‹ erzählt May davon, wie sich
abends die älteren Schulknaben unter dem Kirchenportal (vermutlich ist das Tor
auf der Südseite gemeint) zum Geschichtenerzählen versammelten. Obwohl er erst
fünf Jahre alt gewesen sei, habe man ihn zu dieser exklusiven Gesellschaft
hinzugezogen. Anfangs nur ein sehr wacher kleiner Zuhörer, durfte er später
allabendlich eine Geschichte oder ein Märchen zum Besten geben. Dass er ein
guter Erzähler war, hatte er vor allem seiner geliebten ›Märchen-Großmutter‹ zu
verdanken. Sie hatte ihm, solange er denken konnte, Märchen und biblische
Geschichten erzählt. Bald fing der kleine Karl an, diese Geschichten im Tonfall
der Großmutter nachzuerzählen. Das, was er den älteren Jungen am Abend auf dem
Marktplatz vortragen wollte, war bereits am frühen Morgen mit der Großmutter
durchgearbeitet und vorbereitet worden.[4]
Wenige Schritte von dem hier erwähnten Portal entfernt steht heute eine Büste des erwachsenen Karl May. Auf dem Sockel sind die Worte: »Es sei Friede« zu lesen. Karl war ein wissbegieriges Kind. »Ich war mit fünf Jahren in die Schule gekommen.«[5] Bald hatte er ältere Kinder beim Lernen ein- und überholt, und saß »als acht- oder neunjähriger Knabe schon bei den elf- und zwölfjährigen«[6]. Sein Vater und die Lehrer, sowie der Lokalschuldirektor waren miteinander befreundet und schienen das gemeinsam zu unterstützen. Karl May schreibt später in seiner Autobiografie: »So wurde ich sehr bald klassenfremd, für so ein kleines, weiches Menschenkind ein großes psychologisches Uebel.«[7]
Schule war untrennbar mit Kirche verbunden. Kantor, Pfarrer sowie der Rektor der Schule waren prägende Persönlichkeiten für den Knaben. Besonders ist an dieser Stelle der private Musikunterricht zu erwähnen, den der Schüler Karl May von Kantor Strauch erhielt. Samuel Friedrich Strauch war von 1819 bis 1860 Kantor der St.-Trinitatis-Gemeinde. Karl May verehrte den alten Kantor, bei dem er auch in der Kurrende sang. Einmal durfte er zum Christfest die Weissagung (Jesaja Kap. 9) singen. Er teilt dazu mit:
»Wer als kleiner Schulknabe auf der Kanzel gestanden und […] gesungen hat, daß ein helles Licht erscheine und von nun an des Friedens kein Ende sein werde, den begleitet […] jener Stern von Bethlehem durch das Leben.«[8
Weiter berichtet May, dass er von
Kantor Strauch gratis Orgel-, Klavier- und Geigenunterricht und Unterweisung in
Harmonielehre erhalten habe. Das Haus, in dem der Violinen- und
Klavierunterricht Karl Mays stattfanden, liegt am Neumarkt in Ernstthal. Es ist
vermutlich das älteste erhaltene Gebäude des Stadtteils und wird heute noch als
›Kantorat‹ bezeichnet. 1695, einige Jahre nach der Gründung Ernstthals, war dort
die erste Kirchschule entstanden. An ihren wohl bekanntesten Schüler erinnert
eine Tafel neben der Haustür. Nachdem das Haus jahrelang leer gestanden hatte,
wurde es 2013 rekonstruiert und dient nun wieder als Wohnhaus.
Das ›Kantorat‹ nach der Rekonstruktion.
Die Orgel, auf der Karl spielte, hatte etwa 1765 das
Tasteninstrument von 1711 abgelöst und war vom Orgelbauer Johann Jacob Schramm
aus Mülsen St. Niclas gebaut worden. Diese Orgel musste 1859 von der Firma
Kreutzbach für 112 Taler repariert werden, um sie wieder für Gottesdienste
brauchbar zu machen. Doch 1873 wurde sie durch eine Orgel von Gotthilf Bärmig
ersetzt. Eine Orgel der Firma Schmeisser kam 1905 in die St.-Trinitatis-Kirche,
und seit 1981 erklingt hier die inzwischen fünfte Orgel, ein Instrument der
Firma Eule aus Bautzen. Karl May hätte seine Freude daran.[9]
Altarraum (Ostseite) vor 1904. – Archiv der
St.-Trinitatis-Kirche Ernstthal.
Archiv der St.-Trinitatis-Kirche Ernstthal.
Aus den Ernstthaler Kirchenbüchern geht ferner hervor,
dass Karl 1856 konfirmiert wurde. In der Liste der männlichen Konfirmanden des
Jahrganges steht er an erster Stelle. Das könnte mit seinem
sehr guten Abschneiden bei der Konfirmandenprüfung zusammenhängen.[10]
Auszug aus diesem Dokument:
Name des Schülers: Geburtstag desselben: Zeit der Aufnahme in die Schule: Befähigung: Verhältnisse: Anmerkungen: |
Karl Friedrich
May den 25. Febr. 1842 hier Ostern 1848 (deckt sich nicht mit der Aussage in seiner Autobiografie) vorzüglich Heinrich August May (Webergeselle wurde hier gestrichen und durch Bürger und Webermeister ersetzt) 2. Tim. 1,13: »Halte an dem Vorb […]« |
Der Spruch aus dem Brief des Paulus an Timotheus war
Karl Mays Konfirmationsspruch. In der Lutherbibel (Ausgabe 1985) heißt der
Bibelvers:
»Halte dich an das Vorbild der heilsamen Worte, die du von mir gehört hast, im Glauben und in der Liebe in Christus Jesus.«
Zu Karl Mays 150. Geburtstag fand in der St.-Trinitatis-Kirche in Ernstthal ein ökumenischer Gottesdienst statt. Der damalige Pfarrer der Kirchgemeinde St.-Christophori in Hohenstein, Klaus Franke, predigte am 29. Februar 1992 zu diesem Text.[11]
1856 gab es laut Eintrag 53 männliche »Confirmanden«[12], von denen vermutlich 50 zur Konfirmation eingesegnet wurden; von den 40 Mädchen, die am Vorbereitungsunterricht teilgenommen hatten, wurden am Palmsonntag 39 konfirmiert.
In der darauffolgenden Woche am Gründonnerstag (im Beichtbuch mit »Die Viridium« überschrieben) wurden die neu Konfirmierten das erste Mal zum Heiligen Abendmahl zugelassen. Anwesend waren ebenfalls Eltern, Paten und andere Gemeindeglieder, die im Beichtbuch namentlich vermerkt wurden. Die konfirmierten Mädchen und Jungen wurden nicht einzeln aufgezählt. Es steht dort: »[…] dazu neunzig Erstlinge«. Karl Mays Eltern sind unter den Nummern 111 und 112 vermerkt. Bei einer so großen Schar von Abendmahlsgästen verbrauchte man, wenn die Deutung des Eintrags stimmt, drei Kannen Wein (»3 K. W.«[13]).
Ausführlich stellte Hans-Dieter Steinmetz die Konfirmation 1856 und die in Ernstthal vermerkten Abendmahlsbesuche Karl Mays und seiner Verwandten dar in seinem Artikel Domingo de ramos in Ernstthal[14]. Zwei weitere Abendmahlsbesuche Karl Mays sind in den Beichtregistern verzeichnet: Am Sonntag, dem 29. Juni 1856, gemeinsam mit den Eltern und am Sonntag Jubilate des Jahres 1863 gemeinsam mit seiner Schwester Auguste Wilhelmine und dem Schwager Friedrich August Hoppe.[15]
Im Jahr 2014 schaute die Ernstthaler Gemeinde auf 325
Jahre ihrer St.-Trinitatis-Kirche zurück. Als Karl May hier lebte, war die Kirche etwa halb so alt. Ihre Gestalt
hat sich seitdem etwas verändert. Doch die Kirche und die Menschen, die zu
seiner Zeit dieses Haus mit Leben erfüllten, gehörten zu Karls frühen
Lebensjahren. Erfahrungen und Bilder aus seiner Kindheit sind mit in sein Werk
eingeflossen.
Die St.-Trinitatis-Kirche in Ernstthal um 1910.
Anmerkungen
[1]
Archiv der St.-Trinitatis-Kirche Ernstthal, ›Taufbuch‹, S. 102, lfd. Nr. 35 1842.
[2]
Vgl. ebd.
[3]
Vgl. Friedrich Johannes Hiecke / Georg Heinrich Schmidt: ›Die Trinitatisparochie
zu Hohenstein-Ernstthal‹. In: ›Neue Sächsiche Kirchengalerie Die Ephorie
Glauchau‹, Leipzig 1910.
[4]
Vgl. Karl May: ›Mein Leben und Streben‹, Freiburg [1910], S. 34.
[5]
Ebd., S. 51.
[6]
Ebd., S. 52.
[7]
Ebd., S. 52.
[8]
Ebd., S. 66.
[9]
Wie Anm. 3.
[10] Archiv der St.-Trinitatis-Kirche Ernstthal, Loc. 3,
›Verzeichnis der
Konfirmanden‹, S. 39, 1856.
[11] Klaus Franke: Liebe
Gemeinde! In: Ernst Seybold, ›Karl-May-Gratulationen‹, VI. Sammlung,
Herzogenaurach 1993, S. 144.
[12] Archiv der
St.-Trinitatis-Kirche Ernstthal, Loc. 3, ›Verzeichnis der Konfirmanden‹, S. 39,
1856.
[13] Archiv der St.-Trinitatis-Kirche Ernstthal,
BXXIII. 21. Loc. 17, ›Beichtregister‹ 1848ff.
[14] Vgl.
Hans-Dieter Steinmetz: ›Domingo de ramos in Ernstthal‹. In:
›Karl-May-Haus-Informationen‹ Nr. 27, Hohenstein-Ernstthal 2012.
[15] Vgl. Archiv der St.-Trinitatis-Kirche Ernstthal, BXXIII. 22, Loc. 17,
›Beichtregister‹ 1859–1877 .