Ralf Harder
  

Karl Mays Hochzeit in St. Christophori

   

Nach seiner Redakteurzeit im Verlag von Heinrich Gotthold Münchmeyer reiste der in Dresden wohnhafte Karl May im Herbst 1876 zeitweise nach Hohenstein und Ernstthal, um seine Eltern und Geschwister zu besuchen. In der Lichtensteiner Straße 211 (heute Nr. 9) lernte er bei seiner Schwester Christiane Wilhelmine Schöne, die attraktive Emma Lina Pollmer kennen, die am 22. November zwanzig Jahre alt geworden war. Sie machte einen gewaltigen Eindruck auf den Schriftsteller:

»… sie war schön, sogar sehr schön! Dabei so still und schweigsam! … Sie war die bescheidenste von Allen, und sie überlegte jedes Wort, bevor sie es sprach. Das imponirte mir ganz besonders. Und wie klug, wie belesen sie war! Wie genau ihre Gefühle und Ansichten mit den meinigen harmonirten! … Kurz und gut, ich war entzückt und kam sehr oft nach Hohenstein, um mich von Abends 10 Uhr an von ihr besuchen zu lassen.«[1]

Emma Pollmer war 1856 als uneheliches Kind geboren worden. Ihre Mutter Emma Ernestine Pollmer, verstarb an Kindbettfiber. Über den Vater ist wenig bekannt: »angebl. Michael Zimmermann Barbierges. aus Zittau«, wurde im Hohensteiner Kirchbuch anlässlich der Taufe Emmas vermerkt. Die Mutter tot, der Vater verschollen, wuchs Emma bei ihrem Großvater auf, dem Hohensteiner Barbier und Zahnarzt Christian Gotthilf Pollmer, Markt 243 (heute Altmarkt 33), der sie verwöhnte und verhätschelte, wo er nur konnte.

In Mays Zeitschriftenroman ›Scepter und Hammer‹ (1879–1880) ist Emma Pollmer als ›Emma Vollmer‹, die »Braune, Schöne, Feurige«, literarisch gespiegelt:

»Sie weiß, daß sie schön ist,« fiel Karl ein. »Sie hat ihre Mutter bei der Geburt verloren und wurde von ihrem Vater durch übergroße Zärtlichkeit und unverständige Nachsicht so verzogen, daß sie kein anderes Gesetz kennt, als das Gefühl des Augenblickes. Sie kennt ihre körperlichen Vorzüge sehr genau; sie bemerkt es, wenn sie bewundert wird, und thut man dies nicht, so fordert sie durch Blick, Bewegung und Geberde dazu auf.«[2]

Und Karl May war ihr sogleich verfallen: »[…] von morgen an kam sie täglich abends zu mir, […] heimlich, leise, durch meine Hinterthür, die für sie offen stand«[3].

Zum Jahresende 1876 war er bereits besiegt:

»Diese Weihnacht entschied über mich, wenn ich mich auch nicht sofort verlobte.«[4]

Pfingsten 1877 verlobten sie sich schließlich gegen den Willen des Großvaters. Emma folgte ihrem Karl nach Dresden, welcher eine neue Redakteurstelle gefunden hatte. Beide galten dort als Ehepaar. Später muss es zu einem Zerwürfnis gekommen sein. Nach Ende der Redakteurzeit, Mitte 1878, gehen Karl und Emma zunächst getrennte Wege. Er lebt bei seinen Eltern in Ernstthal, sie in Hohenstein bei ihrem Großvater. Eine voreheliche Untreue Emmas wird in ›Scepter und Hammer‹ unmissverständlich angedeutet:

»Sie hatte mich lieb, aber sie will ihre Vorzüge nicht mir allein widmen, sie bedarf auch der Anerkennung Anderer, welche sie mit suchendem Auge einkassirt. Bei einem solchen Charakter oder vielmehr Naturell ist sie allen Versuchungen ausgesetzt …«.[5]

Aber auch Karl May kann der Versuchung nicht dauerhaft widerstehen. Die Vernunft ist ausgeschaltet, er fühlt sich von Emma magisch angezogen. Während 1880 die Augen einer breiten Öffentlichkeit auf die Fertigstellung des Kölner Doms gerichtet waren, blickte Karl May zielgerichtet auf die St.-Christophori-Kirche, die als Kapelle erstmals 1536 Erwähnung fand; der uns bekannte Kirchturm entstand in den Jahren 1729 bis 1733.
  

Kirchplatz in Hohenstein

Kirche St. Christophori vor 1888. – Archiv Wolfgang Hallmann.

   
Im Februar 1880 wurde das Heiratsaufgebot bestellt. Weil vom Zeitpunkt des Aufgebots bis zur Eheschließung volle sechs Monate vergingen, könnte man eine erneute Verstimmung zwischen Karl May und Emma Pollmer vermuten. Der May-Biograf und katholische Pfarrer Dr. Hermann Wohlgschaft gibt jedoch zu bedenken:

»Am 26. Mai 1880, drei Monate nach dem Heiratsbeschluß, starb Emmas Großvater infolge eines Schlaganfalls in Hohenstein. Und am folgenden Tag starb Mays ältere Schwester, Auguste Wilhelmine verh. Hoppe, im 43. Lebensjahr an ›Blutzersetzung‹. Mit diesen beiden Sterbefällen – dem Tod von Frau Hoppe wird eine längere Zeit der schweren Erkrankung vorausgegangen sein – kann der verspätete Hochzeitstermin von Karl und Emma ohne weiteres erklärt werden.«[6]

Die standesamtliche Trauung fand am 17. August in Ernstthal statt. May handelte, wie er später bekundete, »aus Mitleid, Gerechtigkeitsgefühl und in der Hoffnung, daß ich mit ihr glücklich werden würde, …«.[7] Am Sonntag, dem 12. September 1880, folgte die kirchliche Trauung in Hohenstein, St. Christophori, durch Pfarrer Allwill Emil Laube (1833–1922). Das Kirchbuch notiert: »in der Stille geheiratet«, was aus kirchlicher Sicht in der Regel auf eine Schwangerschaft der Braut hindeutet.

Eine Schwangerschaft Emma in jener Zeit wird von der May-Forschung jedoch verneint. Allerdings gibt es Anzeichen, dass ihr moralisches Ansehen nicht unumstritten war:

»Es ging sogar einmal in Hohenstein das Gerücht, sie sei als Mädchen sechs Wochen heimlich in Dresden gewesen, um dort ihre Entbindung abzuwarten. Ob an diesem Gerücht, etwas wahres ist, vermag ich jedoch nicht anzugeben; ich habe es stets für wahr gehalten und halte es auch noch heute dafür.«[8]

Die Juristin Gabriele Wolff kommentiert Mays spätere Aussage nach seiner Ehescheidung:

»Daß er an dieses Gerücht tatsächlich geglaubt hat, ist nachweisbar; er hat sogar befürchtet, Emma könne ihn als Vater angeben, was seine Überzeugung von einer vorehelichen Untreue Emmas noch während ihrer Beziehung zu May belegt.«[9]

Was sich damals auch immer ereignet haben mag, im Umfeld der Kirche St. Christophori, die May als überzeugter Christ mit seiner Ehefrau Emma regelmäßig besuchte, wurde das Fundament für seine beispiellose Schriftstellerkarriere gelegt. Wenige Schritte entfernt, im Haus ›Markt 2‹, schuf er u. a. seine Romanhelden Kara Ben Nemsi und Hadschi Halef Omar.

  


 

Anmerkungen
 

[1] Karl May: ›Frau Pollmer, eine psychologische Studie‹. Prozeßschriften Bd. 1. Hrsg. von Roland Schmid. Bamberg 1982, S. 812f.
[2] Karl May: ›Scepter und Hammer‹. In: All Deutschland! Illustrirtes Hausblatt, Göltz u. Rühling, Stuttgart 1880, 4. Jg., Nr. 15, S. 226.
[3] Karl May: ›Frau Pollmer, eine psychologische Studie‹, wie Anm. 1, S. 810.
[4] Karl May: ›Mein Leben und Streben‹. Freiburg [1910], S. 191.
[5] Karl May: ›Scepter und Hammer‹, wie Anm. 2. S. 226.
[6] Hermann Wohlgschaft: ›Karl May. Leben und Werk‹, Erster Band, Bargfeld 2005, S. 478f.
[7] Aus einer Erklärung Karl Mays am 6.4.1908 vor dem Königl. Landgericht Dresden; zit. bei Rudolf Lebius: ›Die Zeugen Karl May und Klara May. Berlin-Charlottenburg 1910, S. 122.
[8] Ebd.
[9] Gabriele Wolff: ›Ermittlungen in Sachen Frau Pollmer‹. Jb-KMG 2001, Husum 2001, S. 34.

 


  

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