In der evangelisch-lutherischen ›Kirche zu Radebeul‹ (seit dem
Innenumbau 1934 ›Lutherkirche‹), Kirchplatz 1, fand am 31. März 1903 die
Trauung Karl Mays mit Klara, verw. Plöhn, durch den Pfarrer Karl Hermann
Hingst statt. Die unmittelbar an das Grundstück der Villa
»Shatterhand.« angrenzende Kirche mit dem markanten Turm wurde
1891/92 erbaut und gilt neben dem Rathaus (um 1900) als wesentliches
Beispiel des deutschen Renaissancestils in Radebeul. Das Innere mit dem
doppelt angelegten Chorraum folgt weniger dem historischen Vorbild und
wirkt modern. Zur Gestaltung der Glasfenster regten Grafiken von Albrecht
Dürrer an. 1973 erfolgten umfangreiche Restaurierungsarbeiten.
Diese Kirche begegnet uns im Roman ›Und Friede auf Erden!‹ (1904, S.
492ff.). May beschreibt einen Sonntag in seinem Arbeitszimmer bei
geöffneter Balkontür: »Da ertönen die Glocken; es wird geläutet. Ich rufe
mich aus Sumatra zurück, um mich zu besinnen, daß ich mich körperlich in
Radebeul befinde. Ich wohne da in unmittelbarer Nähe der Kirche. Man
läutet zum ersten Male. In einer halben Stunde erklingen die Glocken zum
zweiten Male, zum Zeichen, daß der Gottesdienst beginne […] aber ich gehe
nicht; ich bleibe daheim! Ich will, während die ersten Töne der Orgel zu
mir herüberklingen, das Buch über die Heldentaten der christlichen Krieger
auf den chinesischen Schlachtfeldern lesen und dann hierauf den Schluß
meiner friedlichen Geschichte erzählen. Ich brauche viel Sonnenschein
dazu, viel Liebe und viel Versöhnlichkeit, und das ist nirgends so wie
hier bei mir in meinem Heim zu finden.«
Karl May erklärt den sich
versagten Gottesdienst mit dem zweiten Abschnitt des ersten Kapitels der
biblischen Bergpredigt zur rechten Gesetzerfüllung, der unter anderem
einen Christen zur Aussöhnung mit seinen Widersachern auffordert; erst
dann habe er das Recht, vor den Altar zu treten. In der Intention des
betreffenden Romans drückt sich auch hier Mays Bekenntnis gegen
christlichen Missionseifer aus, der andere Religionen zu zerstören
trachtet. Ihm geht es um einen über den Konfessionen stehenden Humanismus
– ein Anliegen, das das gesamte Spätwerk durchzieht.
»In der Apsis steht ein kleiner Retabelaltar. Schräg darüber stehen auf
Konsolen im Triumphbogen zur Apsis überlebensgroße Holzschnitz-Figuren von
Moses und Johannes dem Täufer, die von dem bis 1920 in Radebeul lebenden
Bildhauer Richard König geschaffen wurden. Die Chorfenster, deren
mittleres von Karl May gestiftet wurde, schuf die Glasmalanstalt Urban
& Goller in Dresden.« (Wikipedia)
Der vorliegende Beitrag aus dem Buch ›Reisen zu Karl May‹ wurde nach
dem Tod von Dr. Christian Heermann (1936–2017) von Ralf Harder ergänzt
und aktualisiert.
Literaturhinweise
Christian Heermann: Winnetous Blutsbruder. Karl-May-Biografie, Bamberg/Radebeul 2002.
Dieter Sudhoff / Hans-Dieter Steinmetz: Karl-May-Chronik I, Bamberg/Radebeul 2005.
René Grießbach: Auf Karl Mays Spuren in Radebeul. In: Der Beobachter an der Elbe, Nr. 29, Radebeul 2017.