Roger Schenk
 

Klösterle an der Eger (Klášterec nad Ohří)


Im Frühjahr 1911 hielt sich Karl May in Sankt Joachimsthal (dem heutigen Jáchymov in der Tschechischen Republik) auf. Dort unterzog er sich einer Radiumbehandlung bei Dr. Leopold Gottlieb; dem Element, das Pierre und Marie Curie zu Beginn des neuen (lies: 20.) Jahrhunderts entdeckt hatten, wurden Wunder zugeschrieben. Der Tod von Marie Curie im Jahr 1934 bewies endgültig das Gegenteil, aber das konnten Gottlieb und May damals natürlich noch nicht wissen. Jedenfalls weilte Karl May mit seiner damaligen Frau Klara und den beiden Hunden Engelchen und Seelchen vom 11. Mai bis 17. Juni in Sankt Joachimsthal. Zwischen den Radiumbädern blieb noch Zeit für Ausflüge in die Umgebung. Klara berichtet davon in ihrem Tagebuch, manchmal mit Datum, meist aber nicht. Als Orte nennt sie der Reihe nach Karlsbad (Karlovy Vary), Schlackenwerth (Ostrov nad Ohří), Schloss Hauenstein (Haunstejn), Gottesgab (Boží Dar), den Fichtelberg, Oberwiesenthal, den Keilberg (Klínovec), die Försterhäuser (Mystivny), den Spitzberg (Špičák), Platten (Horní Blatná), Oberbahn, Johanngeorgenstadt, das Schwarzwassertal, Gießhübl-Sauerbrunn (Kyselka), Annaberg-Buchholz, Kupferberg (Měděnec), wiederum Gießhübl-Sauerbrunn (Kyselka) und erneut Hauenstein (Haunstejn). In ihrem Tagebuch verwendet sie die Abkürzung etc., was den Leser zur Verzweiflung treibt, denn Gott weiß, welche Orte das Paar während dieser Behandlungszeit noch besucht hat.

Am 13. Mai schreibt Klara, dass die Bäder eine wunderbare Wirkung hätten, doch am 24. Mai diktiert May ihr einen Brief, in dem er ihr erzählt, dass er sich im stärksten Radiumbad der Welt befinde und aufgrund der starken Strahlung nicht einmal eine Feder halten könne. Das klingt nicht sehr gesund und/oder beruhigend, aber hey, das neue Jahrhundert hatte gerade erst begonnen und alles, was »neu« war, war per Definition gut! Abgesehen davon muss es in der Kurstadt ein großer Spaß gewesen sein, wie die vielen Ausflüge, aber auch die genannten Spaziergänge rund um Sankt Joachimsthal beweisen.
 

Karl May am Schloss Klösterle

 
Am 25. Juni 2012 veröffentlichte der Karl-May-Verlag auf seiner Website das Fundstück Nummer 048: ein Foto von Karl May und den beiden Hunden auf den Stufen des Schlosses in Klösterle an der Eger, das heute Klášterec nad Ohří heißt. Und genau diesen Ort erwähnt Klara in ihrem Tagebuch nicht. Auch die ansonsten vollständige Karl-May-Chronik (Teil 5) von Dieter Sudhoff und Hans-Dieter Steinmetz, die diese Zeit im Wesentlichen auf jenem Tagebuch basiert, erwähnt den Ortsnamen nicht. Das Fundstück Nummer 048 geriet in Vergessenheit, bis ein gewisser Panacek Rybar am 19. April 2025 in der Facebook-Gruppe Böhmisches Erzgebirge ein Foto des von ihm selbst kolorierten Fundstücks mit ausführlicher Beschreibung postete.

Klara May erwähnt jedenfalls Kupferberg, das heutige Měděnec, das etwa 6 km nordwestlich von Klášterec nad Ohří liegt, so dass es nicht nur plausibel ist, dass das Paar bzw. Karl alleine auch dieses Klášterec (das sie als Klösterle kannten) besuchte, aber es ist seit der Veröffentlichung des Fundstücks Nummer 048 aus dem reichen Archiv des Bamberger Verlags sogar eine gesicherte Tatsache.

Karl wollte Fürst Franz Anton von Thun-Hohenstein besuchen; ein Name, den wir jetzt auch zum ersten Mal hören. Thun ist seit seiner Namensgebung der größte tschechische Porzellanhersteller. Klara May schreibt, dass Karl und sie am 12. Mai Schlackenwerth mit dem Schlosspark besuchten. Heute beherbergt das oberste Stockwerk des ›Weißen Schlosses‹ in diesem Park eine Dauerausstellung (hauptsächlich) tschechischen Porzellans. Es ist durchaus möglich, dass das Radebeuler Paar bei dieser Gelegenheit den Fürsten von Thun-Hohenstein kennenlernte und dieser sie einlud: Ob 1911 auch in Schlackenwerth (Ostrov) Porzellan ausgestellt wurde, ist nicht bekannt, aber die Verbindung zwischen den Schlossbesitzern und den verschiedenen Porzellanfirmen der Gegend war schon damals stark.

Jedenfalls besuchte Karl wahrscheinlich im Juni 1911, als seine ungesunde Kur zu Ende ging, Klášterec, wo er sofort von der malerischen Landschaft und den gastfreundlichen Einheimischen beeindruckt war. Der Prinz war nicht zu Hause, aber Karl schien das nichts auszumachen, denn er konnte nicht aufhören, den Schlosspark anzuschauen und den Duft der Blumen, der in der Luft hing, einzuatmen. Dass der Ausflug erst im Juni stattfand, lässt sich daran erkennen, dass Karl wieder zur Feder greifen konnte, denn er stand auf der Terrasse des Schlosses neben einer riesigen Eiche und schrieb vielleicht einige verstreute Gedanken in sein Notizbuch.

In diesem Moment kam ein unbekannter Mann auf ihn zu, der sich bald als der alte Gärtner des Schlosses herausstellte. Dieser weise Mann, der schon sein ganzes Leben der Pflege des Parks widmete, verfügte über eine Fülle von Geschichten und Erfahrungen, die er gerne mit jedem teilte, der zuhören wollte. Natürlich lud er Karl zu einem Spaziergang im Park ein und begann, ihm die Geschichte des Schlosses zu erzählen, ihm seine geheimnisvollen Winkel zu zeigen und die damit verbundenen Legenden zu erläutern. Karl hörte mit großem Interesse zu und schrieb jedes Wort mit. Erst als die Sonne unterging, kehrten Karl und der Gärtner zum Schloss zurück. Karl May dankte dem alten Gärtner für seine Gesellschaft und all die Geschichten. Inzwischen war Fürst Franz von Thun-Hohenstein nach Hause zurückgekehrt und lud Karl zum Essen ein.

Das Foto wurde von Alexander Buhle aus Kaaden, dem heutigen Kadaň, aufgenommen und nicht von Klara May, von der wir wissen, dass sie gerne fotografierte. Könnte er allein nach Klösterle gefahren sein? Zumindest würde es erklären, warum dieser Besuch in ihrem Tagebuch fehlt. Sie fotografierte nicht nur gern, sondern lobte auch gern ihren zweiten Ehemann. Die Erwähnung des Besuchs bei einem Prinzen galt als statussteigernd und darum hätte sie es sicherlich auch erwähnt. Falls Karl May tatsächlich allein nach Klösterle gefahren ist – in der Kutsche, weil er das so mochte und auch wegen der Kur in Sankt Joachimsthal zu schwach für andere Reisemöglichkeiten war –, kommt dafür nur ein Datum in Frage, und zwar Montag, der 12. Juni 1911: An diesem Tag fuhren Klara und ihre Zofe nach Radebeul, um sich frische Kleidung zu holen, denn sie wollten noch einige Wochen im ›Hotel Penegal‹ am Mendelpass bei Bozen übernachten, damit Karl May sich nach der Kur »erholen« konnte. Gleich am ersten Tag den Gipfel des Penegal zu besteigen, ist nicht das, was wir uns heute unter »Kraft gewinnen« vorstellen, aber das ist eine andere Geschichte.

 


 

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