Lieferung 87

Karl May

24. März 1888

Der Weg zum Glück.

Vom Verfasser des »Waldröschen«, »Verlorner Sohn«, »Deutsche Helden« etc.


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Sie hatte dabei ein solches Geräusch verursacht, daß die Beiden sich nicht schlafend stellen konnten. Der tiefste Schläfer wäre aufgeweckt worden. Darum that der listige Alte so, als ob er aufwache, reckte und dehnte sich, sah die Bäuerin erstaunt an, fuhr schnell auf und sagte:

»Die Bäuerin? Donnerwettern! Was solls sein? Was ist denn los? Brennts wo?«

Er sprang aus dem Bette, Fritz ebenso. Sie erschraken beinahe über das Gesicht der Frau. Von Schönheit war da keine Rede. Sie hatte das Aussehen einer Furie. Die Wangen waren todesbleich; die Augen leuchteten; die Lippen waren geöffnet und ließen die grimmig auf einander gebissenen Zähne sehen.

»Schweig!« herrschte sie den Alten an.

»Was soll ich?« fragte er. »Was willst hier? Was hats denn geben?«

»Wann bist zu Bett gangen?« schrie sie ihn an.

»Warum fragst?«

»Wannst zu Bett gangen bist!« wiederholte sie, mit den Füßen aufstampfend.

»Sappermenten! Heut bist aberst eine Ungestüme!«

»Wannst schlafen gangen bist, will ich wissen!«

Sie schrie diese Worte förmlich. Die Laterne schwang in ihrer vor Wuth zitternden Hand hin und her.

»Herrjesses! Vor Dir derschrickt man ja! Gleich nach dem Essen bin ich schlafen gangen.«

»Ists wahr, Fritz?«

»Ja.«

»Sags richtig, Fritz! Ist dera Sepp wirklich gleich nach dem Abendessen hier gewest?«

»Ja. Er war sogar noch eher hier als ich.«

»Und hat er sich da gleich niedergelegt?«

»Ich glaub, ja.«

»Du hast gar nix zu glauben! Du hast zu sagen, wie es gewest ist. Das kann ich halt von Dir verlangen.«

»Ich habe ja schlafen.«

»So! Weißt also auch nicht, ob er unterdessen mal fortgangen ist?«

»Nein.«

»So! Und das soll ich glauben?«

»Glaubs oder nicht. Mir ists egal!«

Sie sah ihn mit einem finsteren, durchdringenden Blicke an. Er erwiderte denselben festen Auges.

»Willst etwan Revolution gegen mich machen?«

»Gegen Dich? Das ist gar nicht möglich.«

»Wieso?«

»Weilst nicht mein Herr bist. Das ist dera Bauer.«


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»So! Ich bin die Herrin!«

»Das magst denen Mägden sagen, mir aber nicht.«

Da fragte sie fast zischend:

»So meinst, daß ich nur den Mägden zu gebieten habe?«

»Ja.«

»Oho! Da bist in einem gewaltigen Irrthum befangen. Mein Wort gilt bei den Knechten und Mägden.«

»Und wanns so wär, so gilts doch bei mir nicht.«

»So jage ich Dich zum Teufel!«

»Dann würde geschehen, was ich Dir schon sagt hab: Du würdest selberst zum Teufel gehen müssen!«

Da trat sie hart an ihn heran, setzte die Laterne nieder, ballte beide Fäuste und knirrschte:

»Etwa vor Dir?«

»Ja,« antwortete er fest.

Da konnte sie sich vor Wuth nicht mehr halten. Sie holte aus, ihn zu schlagen. Er aber ergriff ihre Hand.

»Bäuerin!« rief er, sie festhaltend. »Willst Du den Erben des Kronenhofes schlagen?«

Da wurde sie leichenblaß. Sie ließ, als er ihre Hand frei gab, den Arm sinken.

»Was sagst - was?« stöhnte sie.

»Wast gehört hast!«

»Wen meinst denn mit dem Erben?«

»Mich!«

»Ah! Bist verrückt!«

»Nein. Ich bin dera Sohn des Bauern.«

»Der hat keinen!«

»Weil er ihm geraubt worden ist!«

»Ja, von Zigeunern!«

»Nein, von Dir!«

»Mensch!«

»Schweig! Wer hat mich nach Chrudim bracht? Du wohl nicht? Antworte mir doch einmal!«

Sie sank auf die Truhe nieder, welche neben dem Bette stand, schlug die Hände zusammen und rief:

»Herrgott! Was muß man sich gefallen lassen!«

»Wann mans verbrochen hat! Ja, hast Recht!«

»Wer hat Dir denn solch Zeug weiß macht?«

»Niemand. Eine Wahrheit kann Einem Niemand weiß machen. Warum hat mich dera Bauer holt?«

Sie schwieg.

»Sags doch mal! Warum ist er nach Chrudim kommen, um mich nach dem Kronenhof zu holen?«


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»Aus Mitleid, weilst ein Findelkind warst!«

»Dafür dank ich gar schön! Ich weiß, woran ich bin. Ich werd Dir die Beweise zu bringen wissen!«

»So sag doch nur, von wemst das Alles hast?«

»Das geht Dich nix an! Vom Bauern aberst nicht, denn dem hasts verboten, mir zu sagen, daß er mein Vater ist. Aberst die Zeit, in der er nur Dir allein gehorcht hat, ist bald vorüber!«

»Willst etwan gegen mich klagen?«

»Fallt mir wiederum nicht ein! Es giebt noch andere Leut, welche Dich anfassen werden.«

»So ist's gut! Mit Dir bin ich fertig. Ich werd Dir schon noch die richtige Antwort geben. Jetzt hab ich mit dem Sepp zu reden. Laß uns allein!«

»Diesem Befehl brauch ich nicht zu gehorchen; aberst weilst mir zuwider bist, will ich gehen.«

Er zog seine Jacke an und ging zur Thür hinaus, ohne sie nur eines Blickes zu würdigen. Als er an die Treppe kam, lehnte der Bastian da.

»Was willst hier?« fragte er ihn.

»Nix!« antwortete der Knecht erschrocken.

»Horchen willst. Da hast den Lohn!«

Er holte aus und gab ihm eine schallende Ohrfeige. Da fuhr Bastian auf ihn los und rief:

»Hallunk, wie kannst mich schlagen!«

»Bursch, sei zufrieden mit der einen, sonst bekommst noch mehrere! Komm! Fort mit Dir in den Stall!«

Er warf ihn die Treppe hinab, faßte ihn unten beim Genick und fackte ihn in den Stall, dessen Thür er von außen verriegelte.

Wohin sollte er gehen? Wo warten, bis die Bäuerin mit Sepp fertig war? Sein suchendes Auge fiel auf die noch offen stehende Hinterthür.

»Ah!« lachte er in sich hinein. »Das paßt mir gut! Sie wird ihre Stubenthür offen haben. Ich weiß, was ich thu; mag kommen, was da will.«

Er ging in das Wohnhaus und da leise die Treppe empor. Als er an der Thür der Bäuerin probirte, ging diese auf. Er trat ein und kroch unter das altväterische Kanapee, welches lang genug für ihn war. Die herunterhängende Decke verbarg ihn vollständig.

Die Bäuerin hatte ihm einen wüthenden Blick nachgeworfen. Zwar hörte sie, daß er draußen einen Wortwechsel mit dem Bastian hatte; aber sie achtete gar nicht darauf. Sie wendete sich zu Sepp, und zwar mit einem Blicke, in welchem die grimmigste Feindschaft lag.

»Nun hab ich Dich allein, alter Gleisner und Heuchler!« sagte sie. »Jetzt stehst mir Rede!«

»Wann ich will!« antwortete er.

Dabei griff er nach seiner Jacke, zog seine alte Pfeife und den Tabaks-


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beutel hervor und begann, sich gemächlich die Pfeife zu stopfen. Das erhöhte ihre Wuth.

»Hier wird nicht geraucht!« rief sie.

»Rauch ich denn?«

»Du willst ja!«

»Bis jetzt stopf ich nur.«

»Wannst mich ärgern willst, schmeiß ich Dich hinaus!«

»Das müßt schön ausschaun. Das wär ein Gaudium! Wollens doch mal versuchen, Bäuerin!«

»Ich kann schon Ernst machen. Vorher aberst sagst mir, wo Du heut Abend gewest bist!«

»Hm! Im Kronenhof.«

»Sonst nirgends?«

»Nein.«

»Nicht in Oberdorf?«

»Was sollt ich dort?«

»Das wirst wissen!«

Jetzt aber blickte er sie an, fest und lange Zeit. Sie senkte den Blick vor dem seinigen. Dann sagte er:

»Schau, Bäuerin, Du könntest denken, dera Sepp fürchtet sich vor Dir, und das darf nicht sein. Darum will ich Dir keine Unwahrheiten sagen. Gieb mal her!«

Er nahm ihr die Laterne aus der Hand, öffnete sie und brannte sich seine Pfeife an.

»Sollst nicht rauchen! Thu die Pfeif weg!«

Er machte die Laterne wieder zu, setzte sie auf die Diele nieder, that einige kräftige Züge und antwortete:

»Höre, ich will Dir mal was sagen: Dera Wurzelsepp hat grad jetzt Lust, seine Pfeif zu rauchen. Wannst ihm das verbieten willst, so versuchs! Dann kannst sehen, was geschieht.«

»Nun, was soll geschehen?«

»Ich werf Dich hinaus.«

»Du - mich -«

»Ja. Mit Dir wird nicht gefackelt! Was hast Dich um mich zu kümmern? Warum kommst bei nachtschlafender Zeit und störst mich in dera Ruhe?«

»Weil ich wissen will, wast heut getrieben hast.«

»Das kannst derfahren.«

»Nun?«

»Frag nur! Ich werd antworten.«

»Gut. Hast wirklich schlafen?«

»Nein.«

»So warst fort?«

»Ja.«


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»Wohin?«

»Nach Oberdorf.«

»Ah! Zu wem?«

»Zum Pfarrer.«

»Donnerwetter! Was hast dort gewollt?«

»Meine Wette gewinnen.«

»Ach so! Welche?«

»Die ich mit Dir macht hab.«

»Den Samiel fangen?«

»Ja.«

»Nun, die gewinnst halt nicht.«

»Oho! Ich hab sie schon gewonnen!«

»So zeigs einmal!«

»Ich hab den Samiel!«

»Wo denn?«

»Hier. Da steht er.«

Er deutete auf sie.

»Ich?« lachte sie. Aber dieses Lachen klang gellend und angstvoll.

»Ja, Du! Willsts leugnen?«

»Sepp, ich bin überzeugt, Du mußt ins Irrenhaus!«

»Und Du ins Zuchthaus!«

»Du bist wirklich überschnappt!«

"Für Dich giebts keine Rettung mehr."

»Nein. Weißt, wir wollen keine unnütze Reden machen. Mit Dir ists halt aus. Ich habs dem Fritz verzählt, daß er dera Sohn ist. Er weiß Alles. Er hat Dich gestern als Samiel erkannt. Er ist auch vorhin mit in Oberdorf gewest. Dera Pfarrer hat das Geldl in die Taschen steckt und Dir das Couvertl mit meiner Schrift hinlegt. Wir wissen Alles, Alles! Für Dich giebts keine Rettung mehr!«

Sie blickte ihm starr in das Angesicht. Sie hatte das Gesicht einer Leiche.

»Schau, wiest derschrickst!« sagte er. »Die Straf kommt bereits jetzt. Wie wirds erst dann später sein. Es wird Alles über Dich zusammenbrechen. Dera Bauer thut mir leid. Ich bin sein ältester Freund und möcht ihm gern die fürchterliche Schand dersparen. Darum will ich Dir einen guten Rath geben.«

Er sah sie an, ob sie antworten werde. Sie machte ein Gesicht wie eine Wahnsinnige, ob vor Wuth oder Schreck, das war nicht zu entscheiden. Mit sichtbarer Mühe stieß sie hervor:

»Sag den Rath!«

»Es ist nur ein kleines Wörtle. Das lautet: Stirb!«

Da stand sie langsam auf.

»Sterben soll ich?«

»Ja, und zwar noch heut!«

»Ah! Das sagst mir, mir, mir!«

»Ja, Dir sage ich es. Ich will Dir auch noch Zeit geben, Deine Sach in


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Ordnung zu bringen. Du sollst noch einen Tag und eine Nacht leben können. Mach da so viel wie möglich gut. Wannst aber dann am Morgen noch nicht todt bist, so - - -«

»So - - nun, was soll dann geschehen?«

»So laß ich Dich arretiren!«

»Das klingt gar wunderbar! Die Kronenbäuerin soll arretirt werden!«

Sie schlug ein schrilles Gelächter auf.

»Immer lach! Es ist das letzte Mal!«

»Die Kronenbäuerin! Weil ein alter Landstreicher so verrückt ist, sie für den Samiel zu halten!«

»So bists wohl nicht?«

»Nein, und tausendmal nein!«

»Ich beweise es!«

»Womit?«

»Das ist meine Sach!«

»Ja, so sagst, weilst gar nix weißt!«

»Ich werd mich hüten, Dir Alles zu sagen. Ich wiederhols Dir nochmals: Stirb, dann kann man die Sach vielleicht vertuschen, und Du erhältst ein ehrliches Begräbniß. Willst das nicht, nun, so kommst in das Gericht und in die öffentlichen Verhandlungen. Dann kannst stolz darauf gewest sein, daßt Du Kronenbäuerin gewest bist.«

»Schön! Hast mir noch was zu sagen?«

»Nein, kannst gehen!«

»Du - Du willst mich hinausweisen?«

»O nein! Aberst es ist für Dich besser, wannst gehst. Ueberleg Dir meinen Vorschlag genau.«

Er wendete sich von ihr ab, dem Fenster zu. Sie stand da, lange Zeit, ohne ein Wort zu sagen. Dann trat sie herbei, legte ihm die Hand auf die Schulter und sagte in einem höhnisch freundlichen Tone:

»Lieber Sepp, bist mir bös?«

»O nein! Du dauerst mich nur!«

»So! Dann bin ich zufrieden. Ich hab Dich immer so sehr lieb gehabt. Es thät mir die Seel zerschneiden, wannst mir bös wärst. Thätst mir eine Bitt erfüllen?«

»Kann ich denn?«

»Ja.«

»So sag sie mir!«

»Gehst mit mir zu Grabe, wenn ich todt bin?«

»Ja.«

»Und nachhero, wann dera Bauer sich wieder eine Frau nimmt, bist auf der Hochzeit mit?«

»Auch!«

»Schön! So ist dann auch mein Mann versorgt. Du thätst mir einen großen Gefallen, wannst gleich auf dem Kronenhof wohnen bliebst!«


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»Diese Bitt kann ich Dir leider nicht erfüllen. Ich hab zu viele Leutln, die ich dann und wann besuchen muß.«

Er gab diese Antworten in seiner treuherzigen Weise, obgleich er ganz genau wußte, wie sie ihre Worte meinte.

»Ja,« höhnte sie, »die Menschheit hält gar so große Stuckeln auf Dich, darum sollst eben mit mir zu Grab gehen, oder - - wannst vielleichten eher sterben solltst als ich, so geh ich mit dem Deinigen Sarg!«

»Kann auch sein. Sind wir nun fertig?«

»Ich mit Dir, ja.«

»Und ich mit Dir auch. Gute Nacht!«

»Schlaf wohl, mein guter Sepp! Also noch einen Tag und eine Nacht?«

»Ja, keine Stunde länger. Merks gut.«

Sie nahm ihre Laterne und verließ unter einem höhnischen Gelächter die Kammer. Als sie unten an der Treppe ankam, hörte sie ein Klopfen von innen an der Stallthür. Sie öffnete und sah, daß Bastian der Klopfer war.

»Was giebts? Wer hat Dich einschlossen?«

»Dera Fritz, der Hallunke.«

»Wie ist das kommen?«

»Weil - weil er meint, daß ich horcht hab.«

»Und das hast wohl auch than?«

»Ja. Ich wollt wissen, was es da oben für einen Lärmen gab.«

»So! Wohin ist dera Fritz gangen?«

»Ich weiß es nicht.«

Da trat sie nahe an ihn heran und flüsterte ihm zu:

»Schleich Dich hinter mir her! Kommst mit auf meine Stuben. Ich hab Dir was zu sagen!«

Sie ging mit der Laterne weiter und löschte sie an der Hinterthür aus. Dort wartete sie, bis der Bastian kam und verriegelte sie dann, worauf die Beiden leise nach der Schlafstube der Bäuerin gingen.

Sie trat zum Fenster, machte den Vorhang nieder und verhüllte es außerdem noch extra. Dann brannte sie ein Licht an. Als sie das auf den Tisch gestellt hatte, sank sie müd und schwer auf das Kanapee nieder, unter welchem Fritz verstohlen lag.

Der Bastian stand vor ihr und betrachtete sie aufmerksam. Sie blieb lange, lange sitzen, ohne ein Wort zu sagen.

»Kätherl,« begann er, »was ist mit Dir?«

Sie holte tief Athem. Dann antwortete sie:

»Bastian, Du hast mir oft sagt, daßt mich lieb hast. Ist das auch gewiß wahr?«

»Lieber als mein Leben!«

»Ich kanns Dir glauben?«

»Sag, wie ichs Dir beweisen soll!«

»Du kannsts beweisen. Was könntest wohl alles für mich thun, lieber Bastian?«


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»Eben Alles!«

»So! Stehlen zum Beispiel. Das hast schon than. Ob aber auch noch mehr? Sags doch mal!«

»Noch viel mehr!«

»Was denn zum Beispiel?«

»Todtschlagen.«

»Das thätest für mich?«

»Ja.«

»Wann ich Dich nun auf diese Probe stellen thät?«

»Probire es!«

»Das sagst mit solchem Tone? Es ist kein Spaß, einen Menschen um das Leben bringen!«

»Wann ich es für Dich thun kann, so ists für mich ein Spaß. Sags nur, wer sterben soll!«

»Komm, setz Dich her zu mir!«

Er setzte sich neben sie. Sie legte den Arm um ihn, drückte ihn an sich und flüsterte ihm zu:

»Bastian, Du bist dera einzige Mensch, den ich lieb habe. Die Andern sind Alle meine und auch Deine Feinde. Siehst das nicht ein?«

»Das hab ich längst wußt.«

»Und weißt, wer unser größter Feind ist?«

»Ja, dera Fritz.«

»Weil er Dich jetzt einschlossen hat?«

»Nicht derowegen. Er ist stets unser Feind gewest und denkt noch heut an unser Unglück.«

»Da hast freilich Recht. Er wär viel besser, wann er gar nicht hier wär.«

»Soll ich ihn fortschaffen?«

»Willst denn?«

»Darfsts nur befehlen.«

»Nein, befehlen thu ich Dir nichts. Dazu bist mir viel zu lieb. Aberst ich bitt Dich gar schön darum!«

»Ich werds thun.«

»Wirklich?«

»Ja, ganz gewiß. Gieb mir aber einen Kuß!«

Sie erfüllte seine Bitte. Dann fragte er:

»Wann denkst denn, daß ichs machen soll?«

»Bald. Es hat keine Zeit.«

»Heut noch?«

»Heut paßts nicht mehr. Aberst in nächster Nacht?«

»Ja, gern. Ich will froh sein, wann er weg ist. Du thust mir den größten Gefallen damit, daß er sterben soll. Ich hab den Kerl niemals dersehen konnt. Aber woran soll er sterben?«

»Das weiß ich noch nicht.«

»Soll ich ihn erschießen?«


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»Vielleicht. Aber ein Messer macht weniger Lärm.«

»Gut! So will ich ihn lieber derstechen!«

»Es handelt sich aber nicht nur um ihn, sondern noch um einen Andern.«

»Wer ist das?«

»Der Sepp.«

»Ah der? Den soll ich auch todt machen?«

»Ja, unbedingt.«

»Das geht nicht.«

»Warum nicht?«

»Weil ich mit ihm in dera Lotterien spiel.«

»Ah, schweig von dieser Lotterie!«

»Oho! Es handelt sich um eine halbe Million!«

»Keinen Pfennig gewinnst!«

»Wir bekommen den großen Gewinnst. Er hat es träumt, und so triffts auch ein.«

»Du bist doch ein Dummkopf!«

»So darfst mich nicht nennen, Bäuerin! Das kann ich nicht vertragen. Dumm bin ich nicht!«

»Na, schweig! So schlimm war es nicht gemeint. Ich hab halt nur sagen wollt, daßt einen Aberglauben hast; denn mit den Träumen ist es nix. Und wer weiß, ob er Dir die Wahrheit sagt hat.«

»Er hat mir nix weiß macht!«

»Und ich denk grad, daß er Dich belogen hat.«

»So möcht ich wissen, warum.«

»Ja, auch ich hab, seits mir sagt hast, darüber nachdenkt, aberst vergeblich. Ich kann den Grund noch immer nicht entdecken. Er ist Derjenige, welcher am Meisten bestrebt ist, den Samiel zu fangen.«

»Er? Donnerwetter! Das mag er bleiben lassen! Er ist ja kein Polizist. Wann er sich in diese Sachen mischen sollt, die ihm gar nix angeht, so hat er es halt mit mir zu thun!«

Das sagte er in drohendem Tone. Das war der Bäuerin willkommen, und darum fuhr sie fort:

»Er hat sogar gestern mit mir gewettet, daß er den Samiel binnen vierzehn Tagen fangen will.«

»So! Das hat er than! Ich werd ihm auf die Finger sehen und tüchtig darauf klopfen!«

»Und nun paßt er aufi, Tag und Nacht, mehr als er bereits früher than hat. Er hat auch einen Erfolg gehabt, denn er ist in Oberdorf gewest.«

»Etwa heut?«

»Ja, heut Abend, beim Pfarrer.«

»Alle Teufel! Als wir dort gewest sind?«

»Ja. Er ist schon eher dort gewest als wir.«

»So hat er gar nicht schlafen?«


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»Nein. Er hat dem Pfarrer sagt, daß dera Samiel kommen wird, um das Geld zu holen.«

»Das kann nicht sein, denn wenn das wäre, so hätten wir das Geldl ja gar nicht bekommen.«

»Haben wir es denn?«

»Ja doch.«

»Nein, wir haben nix, gar nix.«

»Ich hab doch den Geldbriefen selber ganz genau angesehen. Es waren sogar fünf Siegel darauf.«

»Das ist Betrug gewest. Weißt, was ich funden hab, als ich den Brief aufbrechen that?«

»Nun, was?«

»Das da.«

Sie stand vom Kanapee auf und ging zu der Kommode, auf welcher das Couvert und der Inhalt desselben lag. Sie gab ihm Alles in die Hand.

Er starrte das leere Papier und die Schrift eine ganze Weile sprachlos an und sagte dann:

»Das ist drin gewest, das?«

»Weiter nix.«

»Ein gewöhnlich Papier! Und was steht darauf?«

Er las laut und langsam vor:

»Pah!!!
Der Wurzelsepp.«

Die Bäuerin nahm ihm die Papiere aus der Hand, ballte sie zornig zusammen, warf sie auf die Diele, trat darauf und sagte:

»Nun siehsts mit eigenen Augen, wie er uns betrogen hat. Gefoppt sind wir worden, gefoppt!«

»Himmeldonnerwettern! Das soll er entgelten!«

»Das denk ich auch!«

»Wie aber hat er denn wissen konnt, daß wir zu dem Pfarrer gehen werden, und grad heut?«

»Weiß ich es?«

»Aus sich heraus kann er es doch nicht haben!«

»Nein. Es giebt nur eine einzige Erklärung. Er war dabei, als dera Ludwig uns von dem Geldl verzählte, und da hat er es sich denkt.«

»So! Dann müßt er es doch ganz genau wissen, daß Du dera Samiel bist.«

»Er weiß es. Er hat das auch dem Fritz sagt, und dieser ist mit in Oberdorf gewest.«

»Auch dieser! O, dieser Heuchler!«

»Ja! Ich bin so zornig gewest, als ich diese seine Schrift lesen hab, daß ich gleich hinüber gerannt bin, um zu sehen, ob er vielleicht noch nicht daheim sei. Sie haben aberst mit nander bereits im Bette gelegen, doch nur zum Schein, denn sie hatten nur die Jacken auszogen und sogar noch die Hals-


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tüchern umibunden. Dann hab ich den Sepp ins Gebet genommen und ihn gezwungen, Alles zu gestehen.«

»Hat ers gestanden?«

»Ja. Und dann hat er mir eine Zeit von einem Tag geben; da soll ich mich ums Leben bringen. Wann ich das nicht thu, will er Anzeig machen.«

»Kätherl!« fuhr der Knecht erschrocken auf. »Das wirst doch nicht thun, Dich selbst dermorden!«

Er ergriff sie an beiden Händen und zog sie zärtlich an sich. Sie küßte ihn und antwortete:

»Nein. Schon Deinetwegen nicht, weil ich Dich gar so lieb hab. Ich werd mich gegen ihn wehren.«

»Dabei helf ich Dir. Ich helfe Dir!«

»Gut! Das hab ich von Dir erwartet. Aber weißt auch, worinnen die einzige Hilf besteht?«

»Nun?«

»In dem Tode. Niemand hat eine Ahnung, daß ich dera Samiel bin, Niemand als nur dera Sepp und dera Fritz. Wann Beide sterben, so sind wir sicher. Sie können dann nix ausplaudern. Oder weißt vielleicht einen andern Weg?«

»Nein. Ja, sie müssen sterben. Ich werd sie Beide tödten! Aber die Lotterie, die Lotterie!«

»Laß Dichs nicht dauern!«

»Das gar so schöne Geldl!«

»Es ist Schwindel. Kannsts mir glauben. Wir werden schon noch derfahren, was er dabei bezweckt hat.«

»Ich wär ein steinreicher Mann worden, und dann hättest Du mich ganz gewiß geheirathet.«

»Das thu ich auch ohne der Lotterie.«

»Ists wahr?«

»Ja, ich schwöre es Dir zu!«

»Heb dabei die Fingern empor!«

Er hatte die Ansicht, daß ein Schwur nur bei Beobachtung dieser Formalität Giltigkeit habe.

»Hier siehst sie! Also ich schwöre Dir zu, daßt mein Mann werden wirst, wann dera Bauer erst todt ist. Geld haben wir genug. Die Lotterie brauchen wir nicht dazu.«

Sie hatte wirklich die rechte Hand erhoben und streckte die drei Finger des Schwures empor.

»Gut! Jetzt glaub ich Dir. Aberst besser wär es doch, wann ich den Gewinnst hätte.«

»Nun, den kannst doch bekommen. Du kennst doch die Nummer.«

»Aber er muß mitspielen!«

»Das thut er auch. Er lebt ja noch! Ihr braucht nur das Loos zu


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bestellen. Wenn er es bestellt, so spielt er mit. Ob er dann nach der Bestellung stirbt, das thut ja nix.«

»Bestellt ist das Loos.«

»Auf welche Weis denn?«

»Durch einen Briefen, den er zur Stadt tragen hat und - - - Himmelsakkermenten! Da fallt mir was ein!«

Er sagte das, als ob er über den Gedanken, den er meinte, erschrocken sei.

»Was ists?« fragte sie.

»Er wollte den Brief gleich sofort in die Stadt tragen. Aber als ich dann in die Stube kam, sah ich ihn bei Dir und dem Ludwig unter dem Baum sitzen. Und auch nachhero ist er nicht in dera Stadt gewest.«

»Weißt das gewiß?«

»Ja. Er hat beim Abendessen doch selbst davon gesprochen, daß er am ganzen Nachmittag in dera Förstereien war. Er hat also den Brief gar nicht fortgetragen.«

»Schau, schau! Das ist kein gutes Zeichen. Was hat denn eigentlich in diesem Briefen standen?«

»Er war an den Collecteur in Hamburg richtet; die Nummer stand dabei und daß er sie schnell senden soll.«

»An wen? An den Sepp?«

»Nein, an mich.«

»So muß doch Deine Adressen bezeichnet sein?«

»Das war sie; mein Name und Wohnort.«

»So! Hat dera Sepp das verlangt?«

»Ja, er hats so dictirt.«

Die Bäuerin fuhr erschrocken zurück.

»Dictirt! Er hat dictirt. Wer hat denn schrieben?«

»Ich.«

»Was! Bastian, Du hast den Briefen schrieben?«

»Ja, denn dera Sepp kann nicht schreiben.«

»O, o, jetzund wird mir Alles klar, Alles. Was hast für eine große Dummheiten macht!«

»Was für eine Dummheiten soll das sein?«

»Die allergrößte, die es nur geben kann! Dera Sepp kann schreiben, viel besser als Du!«

»Ists wahr?«

»Ja. Ich hab ihn nicht nur einmal schreiben sehen.«

»Warum sollt er mich da belogen haben?«

»Um Deine Handschrift zu bekommen.«

Sie sagte das in erhobenem Tone. Nun erschrak auch der Knecht. Auch er durchschaute jetzt die Absicht des alten, schlauen Wurzelhändlers.

»Dieser Teufel!« stieß er hervor.

»Ja, er ist ein Teufel, ein Verführer und Versucher. Er hat Dich überlistet, der schlaue Fuchs!«


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»Meine Handschrift, meine Handschrift hat er haben wollt! O, ich Esel, ich hundertfacher Esel!«

Er schlug sich mit der Faust an die Stirn.

»Ja, ein Esel bist gewest, mehr noch als ein Esel. Weißt denn, was er mit Deiner Schrift will?«

»Ja, vergleichen will er.«

»Mit der Schrift des Samiel. Und wer hat diese Zettel alle, die Du schrieben hast, in der Hand?«

»Das Gericht.«

»Ja, er will also mit dieser Schrift auf das Gericht gehen. Nun weißt genau, woran Du bist mit Deiner albernen Lotterien!«

Der Knecht setzte sich wieder auf das Kanapee und schwieg. Die Bäuerin ging hin und her, ohne zu sprechen. Erst nach einer Weile sagte Bastian:

»Kätherl, Du hast Recht. Du bist wiederum die Gescheidte und ich war der Dumme!«

»Diese Einsicht kommt leider zu spät.«

»Nein, nicht zu spät. Noch ist es Zeit.«

»Aber die allerhöchste Zeit.«

»Ja; sie soll aber nicht unbenützt vorübergehen.«

»Willst also thun, was ich Dir sagte?«

»Ja. Auch dera Sepp muß sterben.«

»Versprich es mir mit dera Hand!«

»Hier hast sie! Dieser Kerlen soll es büßen, daß er mich betrogen hat. Ich erstech ihn noch heut!«

Der Schreck war bei ihm vorüber und hatte einem bedeutenden Zorne Platz gemacht.

»Heut nicht,« sagte die Bäuerin. »Das geht nicht.«

»Warum nicht?«

»Es ist schon zu spät dazu. So Etwas darf nicht im Zorn geschehen, sondern muß sehr gut überlegt werden. Dera kleinste Fehler kann verderblich sein.«

»Ich werd keinen Fehler begehen.«

»Das kannst jetzt nicht wissen. Der Fritz und der Sepp sind heut vorsichtig. Beide sind aufgeregt. Wer weiß, wann sie einschlafen. Nein, nein! Heut darf es nicht vorgenommen werden.«

»Aber ists denn morgen nicht zu spät?«

»Nein, denn dera Sepp hat mir ja bis zum frühen Morgen Zeit geben. Du schleichst Dich in dera Nacht hinein und machst sie stumm!«

»Aber was sollen die Leut denken, wann dera Mord geschehen ist?«

»Daß dera Samiel es war. Du legst einen Zettel hin, wie gewöhnlich. Und während Du das thust, hol ich mir dem Fremden seine Sachen. Er hat viel Juwelen bei sich. Auch ihm leg ich den Zettel hin. Dazu müssen wir Beid die Kleider des Samiel anhaben. Dann, wann derselbige bei uns einbricht und bei uns einen doppelten Mord vollbringt, kann kein Mensch ahnen, daß wir Beiden es sind.«


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»Kätherl, was bist Du für ein schlaues Weibsbild! Ich komm noch lange nicht an Dich heran!«

»Also mußt immer nur das thun, was ich Dir sag. Merk Dir das gut für alle Zeiten!«

»Aber wie willst zu dem Herrn Ludwig kommen?«

»Ganz leicht, durch den Ofen. Wann ich diesen zur Seite schieb, bin ich gleich in seiner Schlafstuben.«

»Das weiß ich wohl, daßt da hineinkannst. Aber es ist möglich, daß dadurch dera geheime Eingang entdeckt wird.«

»Ich werd vorsichtig sein. Auf eine andere Weis kann ich nicht hinein; denn es ist wohl gewiß, daß er seine Thür zuschließen wird. Aber wanns vorüber ist, geh ich zur Thür hinaus, die ich ja öffnen kann.«

»Machsts heimlich?«

»Wanns geht, ja.«

»Besser wär es, wann er Dich sehen thät, denn da wüßt er, daß es dera Samiel ist.«

»Hast Recht. Ich werd ihn also wecken.«

»So kann er sich aber auf Dich werfen. Er ist lang und breit und scheint sehr stark zu sein.«

»Ich müßt sehr dumm sein, wann ich mich von ihm anfassen lassen wollte. Erst raub ich ihn aus; dann mach ich mir recht leise alle Thüren aufi und geh nachhero an sein Bett zurück, um ihn zu wecken. Ich sag ihm, daß ich dera Samiel bin und eil aber sogleich hinaus. Die Thür verschließ ich hinter mir, so daß er mir nicht nachfolgen kann.«

»Ja, das ist gut. Aber er wird Lärm machen!«

»Was thut das? Ich lauf schnell in den Garten, wo Du auf mich warten mußt, denn wir richten es so ein, daß Du eher fertig bist als ich. Da geb ich Dir rasch die Kleider, welche Du fortschaffst, und ich eil in das Haus zurück. Wann er um Hilfe schreit, so wird eine große Verwirrung entstehen, bei welcher es Niemandem einfallen kann, grad besonders auf mich zu achten.«

»Das ist freilich wahr.«

»Dann komm ich ganz erschrocken auch herbei, nur halb angezogen, und Jedermann wird da denken, daß ich schlafen hab.«

»Wollen hoffen, daß Alles grad so ablaufen thut, wie Du jetzund sagt hast.«

»Es wird und muß gelingen. Mach Du nur Deine Sach richtig, und hab nicht etwan Mitleid mit den beiden Kerls!«

»Das fallt mir gar nicht ein. Ueber mich sollst nicht zu klagen haben. Sei Du nur auch klug!«

»Ich werd mich vorsehen.«

»Man kann nicht in die Zukunft schauen. Wie nun, wann dera Herr Ludwigen aufiwacht, ehe Du es denkst und Dich ergreift?«

»So nehm ich die Pistolen mit und schieß ihn gleich über den Haufen. Sie sind noch scharf geladen, denn wir haben sie heut nicht braucht.«


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»Ja, nimm sie mit. Besser ist besser. Und auch ich werd vorsichtig sein. Ich werd die Beiden nicht derstechen, sondern derschlagen, und zwar mit einem fremden Beil.«

»Woher willsts nehmen?«

»O, ein Beil ist gar leicht zu bekommen, ein Rasiermesser aber nicht. Weißt, es soll mir ein wahres Gaudium sein, wann ich die Kerls todt vor mir liegen seh! Am Allerliebsten möcht ich sie gleich heut noch umbringen.«

»Das geht ja nicht. Du weißt nicht mal, ob dera Fritz wieder in seiner Kammer ist.«

»Warum ging er fort?«

»Weil ich es ihm befohlen hab. Ich wollt mit dem Sepp allein sein, denn ich hab nicht denkt, daß auch dera Fritz schon Alles weiß. Dieser lauft nun vielleicht im Garten oder Feld herum, und wann er heimkehrt, muß Alles in Ordnung sein. Er darf nicht bemerken, daßt bei mir gewest bist. Darum kannst jetzt nicht länger hier bleiben und mußt in den Stall. Wir haben ja nun gar nix mehr zu besprechen.«

»Hast Recht. Ich wär zwar gern noch eine Stund bei Dir blieben; aber wir müssen klug und vorsichtig sein. Weißt, am Besten ists, daß Du mich wiederum einriegelst in den Stall. Wann dann dera Fritz zurückkehrt, so sieht er, daß dera Riegel noch vorgeschoben ist, und wird nicht ahnen, daß ich indessen bei Dir war.«

»Du hast freilich sehr Recht. Auf diesen Gedanken wär ich freilich nicht kommen. Also komm mit hinab, wollen gehen.«

Sie schlichen sich leise hinaus, die Treppe hinab und zur Hinterthür hinaus. Nichts konnte dem lauschenden Fritz willkommener sein, denn auf diese Weise konnte er sich auch unbemerkt entfernen. Er kroch unter dem Kanapee hervor und huschte hinter ihnen her, und zwar so schnell, daß er bereits auf der Treppe stand, als sie die Hinterthür öffneten.

Während sie nun über den Hof nach dem Stalle gingen, trat auch er hinaus und schlich sich schnell an der Mauer hin, bis er sich in sicherer Entfernung befand. Er sah die Bäuerin zurückkehren und hörte, daß sie die Thür verriegelte. Er wartete noch eine Weile und ging dann mit lauten Schritten über den Hof. An der Stallthür blieb er stehen, öffnete den Riegel und trat hinein, als ob er sehen wolle, wo der Bastian sei. Dann ging er fort, ohne den Riegel wieder vorzuschieben. Der Knecht mußte denken, daß er erst jetzt zurückgekommen sei. Jedenfalls sagte er das am Morgen der Bäuerin, und so konnten Beide nicht ahnen, daß er sie belauscht hatte.

Der Sepp saß noch am Fenster. Er hatte sich noch nicht wieder niedergelegt.

»Kommst endlich!« sagte er. »Wo hast denn eigentlich steckt in dera langen Zeit?«

»Bei der Bäuerin in ihrer Schlafstuben.«

»Pah! Ich hab Dich doch von dem Garten herbeikommen sehen.«

»Das war Schein. Sepp, was hab ich hört!«

»Was denn?«


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»Wir sollen dermordet werden.«

»Das weiß ich schon.«

»Von wem?«

»Von dera Bäuerin.«

»Hat sie Dir droht?«

»Direct nicht; aberst aus ihren Reden konnt ich leicht merken, was sie sich dabei dacht hat.«

»Was hat sie denn noch bei Dir wollt?«

»Mich ausfragen, weiter nix. Hör zu!«

Der Sepp erzählte ihm seine Unterredung mit der Bäuerin, und sodann berichtete Fritz, was er unter dem Kanapee erlauscht hatte. Der Alte hörte ihm schweigend zu und sagte, selbst als der Bericht beendet war, kein Wort. Erst nach einer ganzen Weile meinte er:

»Mein lieber Herrgott! Also so stehts! So weit ists mit dera Kathrin' kommen! Da wär es freilich eine Sünd, sie nur noch eine Stund zu schonen. Nicht nur wir Zwei befinden uns in größter Gefahr, sondern dera König auch. Ich werd ihm gleich früh Alles verzählen.«

»Ja, das mußt, damit er sich darnach zu richten hat.«

»Wir werden die Beiden auf frischer That ertappen. Meinst nicht?«

»Ja.«

»Und das mit dem Ofen wollen wir uns gut merken. Nun weiß man wenigstens, wie sie hereinkommen kann in die Schlafstuben des Königs. Wer hätt das noch gestern, als ich hier ankam, denken können, daß solche Sachen geschehen. Ich hab die Bäuerin immer für eine leichtsinnige Frau gehalten, für den Samiel und für so eine Gottlose aber nicht.«

Die Beiden saßen bei einander, bis der Tag anbrach. Es war ihnen unmöglich, zu schlafen. Sie verließen aber die Kammer erst dann, als das andere Gesinde auch bereits munter war. Dann begab Fritz sich an seine tägliche Arbeit.

Sein Mitknecht gönnte ihm keinen Blick, desto größere Aufmerksamkeit aber widmete Fritz ihm. Er wollte aufpassen, was der Bastian in Betreff des Beiles thun werde.

Der Sepp begab sich zum Könige, sobald er bemerkte, daß dieser aufgestanden sei. Er war fast eine ganze Stunde bei ihm und kam dann zur Bäuerin, um zu fragen, ob der Herr Ludwig nicht einen Wagen bekommen könne, um nach der Stadt zu fahren. Sie gab den Befehl, daß der Staatswagen angespannt werden solle. Fritz solle kutschiren. Nach einiger Zeit fuhr der König ab und kam erst gegen Mittag wieder.

Als Fritz dann die Pferde ausschirrte und sich bei ihnen im Stall befand, kam Sepp zu ihm.

»Hat dera König mit Dir sprochen?« fragte er.

»Ja, und so lieb und freundlich. Ich hab ihm meinen ganzen Lebenslauf verzählen müssen.«

»Und von heut Abend hat er Dir sagt, was Alles geschehen soll?«


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»Ja.«

»Du hast einen schlimmen Posten.«

»O, ich denk nicht, daß eine Gefahr dabei ist.«

»Nein, wannst Dich still verhältst, nicht. Du hast grad solches Haar und fast einen solchen Bart wie der hohe Herr. Ein Licht wird nicht brennen, und wannst Dich dann ins Bett legst und ihr nicht grad das ganze Gesicht hinhältst, so wird sie glauben, daß Du wirklich dera Herr Ludwigen bist.«

»Was wird sie verschrecken, wann sie Alles sieht und erkennt!«

»Darauf freu ich mich königlich!«

»Und dem Bastian wirds in unsera Kammern ebenso ergehen wie ihr. Hast aufipaßt, ob er heimlich mal fortgewest ist?«

»Er ist nicht einen Augenblick aus dem Hof wegkommen. Ich kann mir ungefähr denken, wo er sich das Beil holen wird.«

»Wohl aus dera Schmiede?«

»Ja. Die Werkstatt ist offen bei Tag und Nacht. Warum auch nicht? Kein Mensch wird den Ambos forttragen. Und ich weiß ganz genau, daß hinten in dera Eck unter dem Blasebalg allerlei altes Eisenwerk liegt. Da ist sicher auch ein Beil dabei. Jetzt will ich gehen, damit man uns nicht bei einander findet.«

In den ersten Stunden des Nachmittages kam der Förster. Er wollte wegen des bei ihm verübten Einbruches in die Stadt und kehrte unter dem Baume ein.

Er saß einige Zeit bei dem Bauer und der Bäuerin. Seinen erregten Mienen und Gesticulationen war leicht anzusehen, in welch einer grimmigen Verfassung er sich befand.

Grad als er gehen wollte, kam ein Gensdarm vorüber. Es war nicht der in dieser Gegend stationirte Beamte, sondern einer, den man hier noch nicht gesehen hatte. Den Abzeichen nach, welche er trug, bekleidete er einen höheren Rang.

Die drei unter dem Baume sitzenden Personen wurden nicht gewahr, mit welchem Interesse er bereits von Weiten den Bauerhof heimlich betrachtete. Als er die Bäuerin erblickte, murmelte er leise:

»Diese Frau ist schön, steht in der Mitte der Dreißiger - es stimmt. Sie muß es sein. Ich thu, als ob ich vorübergehen wolle. Der Kleidung nach ists der Förster, der mit da sitzt.«

Er schritt, ohne nach den Dreien zu blicken, seines Weges fürbaß. Da rief der Förster ihm zu:

»Herr Schangdarm, wohin?«

»Nach dem Forsthause,« antwortete der Gefragte. »Das ist hier doch der richtige Weg?«

»Ja. Wollens etwa zum Förster?«

»Zu ihm, ja. Ich habe mit ihm zu reden.«

»So könnens herbeikommen. Ich bin dera Förster und kann Ihnen den Weg ersparen.«


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»Das freut mich. Ich bin so sehr beschäftigt, daß diese Ersparniß mir sehr lieb ist.«

Er kam herbei und wurde aufgefordert, sich zu setzen. Der Förster sagte:

»Ich will jetzt eben nach dera Stadt, um mich zu erkundigen, wie es steht.«

»So brauchens nicht weiter zu gehen. Ich bin zu Ihnen gesandt worden, Sie zu benachrichtigen.«

»Das ist mir lieb. Aber ich kenne Sie gar nicht. Ich habe Sie hier noch nie gesehen!«

»Ich bin allerdings nicht hier stationirt, sondern drüben in Heinigsfeld. Ein Dienstweg führt mich her.«

»Wegen dem Samiel?«

»Ja.«

»Hats was Neues geben? Ist was entdeckt?«

»Glücklicher Weise, ja. Haben Sie bereits gehört, daß er in letzter Nacht wieder eingebrochen ist?«

»Nein, kein Wort. Wo denn?«

»In Oberdorf beim Pfarrer; aber das ist ihm nicht geglückt, denn der Pfarrer ist gewarnt worden.«

»Von wem?«

»Das weiß man nicht. Der geistliche Herr will es nicht verrathen, weil er meint, daß sich der Samiel dann an dem Warner rächen werde.«

»Das steht freilich zu erwarten.«

»Nun nicht mehr, denn der Samiel ist unschädlich gemacht worden.«

»Alle Teufel! Hat man ihn fangt?«

»Ja.«

»Ists wahr, ists möglich?«

»Ich kann es Ihnen versichern, denn ich selbst war es, der ihn arretirt hat.«

»Sie selbst! Gott sei Dank! Wann denn?«

»Heut am Vormittage.«

Das Gesicht, welches die Bäuerin machte, war gar nicht zu beschreiben. Schon vorher, als der Gensdarm sagte, daß der Pfarrer den Warner nicht verrathen wolle, war es wie eine stille Befriedigung über ihr Gesicht gegangen. Jetzt aber, da sie vernahm, daß der Samiel gefangen worden sein solle, kam und ging das Blut in ihren Wangen. Sie wurde bald roth und bald blaß, beugte sich weit vor und las dem Gensdarm die Worte förmlich von den Lippen.

Dieser beobachtete sie scharf, aber so, daß sie es gar nicht beachtete.

»Wer ists denn, wer?« fragte der Förster.

»Der Viehhändler Thierbach.«

»Der! Ah, den kenne ich! Ein reicher Kerlen, aberst ein Trinker und Krawaller wie kein Zweiter. Nun weiß man ja, woher sein Reichthum stammt. Hat er es gestanden?«

»Nein. Der Mensch war äußerst renitent und hat sich seiner Verhaftung in einer Weise widersetzt, daß wir ihn fesseln mußten. Seine Bestrafung wird dadurch wohl nicht eine mildere werden.«


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»Dera Kerl muß hingerichtet werden.«

»Wenn auch vielleicht das nicht; aber lebenslängliches Zuchthaus ist ihm gewiß.«

»Wie hat er sich denn verrathen?«

»Durch das von Ihnen gestohlene Geld.«

»Hurjesses! Mein Geld! Ists da!«

»Ja.«

»Und ich bekomms wieder?«

»Natürlich. Ich selbst habe es gezählt und mit dem Gefangenen dem Gericht überliefert. Es war genau so viel, wie Ihnen gestohlen worden ist. Die Scheine steckten auch in einer Brieftasche, genau wie die beschriebene.«

»Das ist gut, das ist gut! Das kann mich gefreun! Ah, das ist schön!«

Der Förster war ganz außer sich vor Entzücken. Der Gensdarm nickte ihm befriedigt zu und fuhr fort:

»Ich bin von Seiten des Gerichts sofort beauftragt worden, mich zu Ihnen zu begeben, um Ihnen den Sachverhalt zu melden.«

»Schön, schön! Das sollens nicht umsonst than haben. Ein solcher Weg muß bezahlt werden. Wann man dreißigtausend Mark rettet, kann man nobel sein. Hier habens ein Geschenk!«

Er zog den Beutel und legte dem Beamten eine Mark und einen Fünfzigpfenniger hin. Dieser aber schob ihm das Geld lächelnd wieder zu und sagte:

»Behalten Sie es nur, Herr Förster!«

»Warum denn?«

»Erstens ist es mir verboten, ein Geschenk anzunehmen, und zweitens steht die Höhe dieser Gratifikation nicht im Verhältniß zu der Summe, die ich Ihnen gerettet habe.«

»Wie meinens das? Ists zu wenig?«

»O nein, sondern im Gegentheile zu viel. Mit fünfzig Pfennigen hätten Sie ganz gut Ihre Schuldigkeit gethan.«

»Das will ich nicht; ich bin gern nobel. Nehmens nur die Kleinigkeit!«

Er schob ihm das Geld wieder zu; da aber gab ihm die Bäuerin einen Fußtritt und rief:

»Dummkopf! Merkst denn nicht, daßt nur auslacht wirst!«

»Auslacht? Von wem?«

»Von mir und auch vom Schangdarm. Für dreißigtausend Mark giebt man nicht fünfzehn Groschen. Verstanden, alter Knauserig!«

»So? Wieviel denn?«

»Ein paar hundert Mark!«

»Bist grün im Kopf!« rief er erschrocken.

»Du aber hinter den Ohren. Wann man einem Kellner im München für ein Bier, welches zwanzig Pfennige kostet, oft fünf Pfennige Trinkgeld giebt, wie ich hört hab, daß manche noble Herren es so machen, so kannst Dir ausrechnen, was das bei dreißigtausend Mark betragen thät.«

»Hier handelt es sichs nicht um ein Bier. Ich geb keinem Kellner einen Pfennig, und ich hab auch für mein Geld nix zu zahlen. Ich muß es ganz


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umsonst bekommen. Wann ich also anderthalb Mark freiwillig gab, so ist das sehr angenehm und nobel!«

»Da haben Sie sehr recht,« bestätigte der Gensd'arm, »da ich aber nichts annehmen kann, so muß ich das Geld zurückweisen. Geben Sie es der Ortsarmenkasse!«

Da griff der Förster schnell zu, steckte das Geld ein und sagte:

»Das kommt mir gar nicht in den Sinn! Meine Ortsarmenkasse ist hier meine Tasche. Ich bin kein Rothschild und kann mein Geld schon selberst brauchen. Nun aber sagens doch, wie Sie auf diesen Viehhändler kommen sind.«

»Sehr einfach. Sie hatten das Geld bei einer Lotterie gewonnen, und die Polizei telegraphirte sofort an die betreffende Stelle nach den Nummern der Kassenscheine, welche Ihnen ausgezahlt worden waren.«

»Hat man denn die Nummern wußt?«

»Ja. Solche Leute notiren sich die Nummer jedes Werthpapieres, welches durch ihre Hände geht.«

»Das ist sehr praktisch, und ich will es mir merken. Unsereiner kann das ja auch machen.«

»Wenn jeder Privatmann diese Vorsicht anwendete, so hätten wir Polizisten sehr oft viel leichteres Arbeiten. - Also wir bekamen die Nummern geschickt und merkten sie uns. Sie wurden allen Geld- und Kaufleuten mitgetheilt. Gestern Abend nun meldete mir ein Kaufmann, daß der Viehhändler einen der bezeichneten Scheine bei ihm habe wechseln lassen. Ich überzeugte mich, daß es wirklich einer der Ihnen gestohlenen sei, und machte mich sofort mit mehreren Kameraden auf den Weg, den Viehhändler zu vernehmen.«

»Zu arretiren!«

»Nein. Er konnte das Geld doch auch von einem Anderen erhalten haben. Wir kamen sehr spät hin und fanden ihn nicht zu Hause, doch besetzten wir heimlich seine Wohnung.«

»Ich kann mir denken, wo er steckt hat,« bemerkte die Bäuerin, welche jetzt zum ersten Male das Wort nahm.

»So? Nun, wo?«

»Er ist während dieser Zeit beim Pfarrer in Oberdorf gewest, um einzubrechen.«

»Sie haben es errathen, obgleich er das leugnete.«

»Er wird sich hüten, Etwas einzugestehen, wobei man ihn nicht ertappt hat!«

»Ich hoffe, daß es dem Richter gelingen werde, ihn zu überführen. Als er nach Hause kam, war es fast heller Tag. Wir nahmen ihn fest und fanden eine Summe von dreißigtausend Mark bei ihm. Nur der eine Schein fehlte, welchen er ausgegeben hatte. Natürlich wurde er nun strenger gefragt. Er konnte sich über den rechtlichen Erwerb dieses Geldes nicht ausweisen, und bei einer Durchsuchung seiner Wohnung fanden wir nicht nur allerlei fremdes Gut, was jedenfalls von früheren Einbrüchen herrührt, sondern auch einen dunkeln, breitkrämpigen Hut, wie der Samiel ihn zu tragen pflegt, und endlich


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auch eine schwarze Sammetmaske. Damit war es natürlich erwiesen, daß er der Samiel ist.«

»Ganz recht, ganz recht! O, wie mich das gefreut, wie mich das gefreut!« rief die Bäuerin.

Sie befand sich fast in Extase. Der Ausdruck ihrer Freude war ein so lauter und auffälliger, daß der Gensdarm sie verwundert anblickte. Sie bemerkte das und erröthete verlegen. Sie erkannte, daß sie irgend Etwas zur Entschuldigung ihres Verhaltens sagen müsse. Darum fragte sie:

»Wunderns sich etwa über meine Freude?«

»Ein Wenig, ja, wie ich offen gestehe.«

»Nun, es muß sich doch Jedermann freuen, daß dieser Kerl endlich ergriffen worden ist!«

»Allerdings; aber selten wird diese Freude sich in so stürmischer Weise Luft machen.«

»Je größer die Sorge vorher, desto größer die Freud nachher.«

»Das gebe ich auch zu. Aber Sie glühen ja förmlich vor Entzücken!«

»Das liegt nun einmal in meiner Naturen. Ich bin ein Wenig feurig in Allem. Sie müssen nur bedenken, in welcher Aengsten grad wir hier in dieser Gegend schwebt haben. Unser Hof ist als dera größte und reichste bekannt. Wie leicht konnt da dera Samiel auf den Gedanken gerathen, grad uns mal einen Besuch abzustatten, zumal -«

Sie hielt inne.

»Sprechen Sie weiter!« forderte er sie auf.

Sie fügte in gesenktem Tone hinzu:

»Zumal er schon mal bei uns gewest ist.«

»Ah! Davon weiß ich gar nichts.«

»Es ist bereits lange her. Er hat nix wegtragen konnt, denn mein Mann hat ihn derwischt.«

»Das ist mir interessant! Da ist es wohl gar zu einem Kampfe gekommen?«

»Ja. Er hat meinen Mann in die Augen schossen, daß dieser seit dera Zeit blind ist.«

»Wie schrecklich! Das wird nun natürlich auch mit zur Sprache kommen. Da hat er also sich damals ohne Raub zurückziehen müssen?«

»Er hat gar nix mitnehmen konnt, weil durch den Schuß die Leut herbeirufen worden sind. Er hat wußt, daß wir damals ein hübsches Geld liegen hatten und sich dasselbige holen wollen.«

»So wäre es freilich zu wünschen gewesen, dieser Diebstahl wäre ihm gelungen, anstatt daß er, um sich zu vertheidigen, Ihren Mann blind gemacht hat. Das Geld läßt sich eher verschmerzen, als das Augenlicht.«

Der Bauer hustete leicht und bemerkte mit zitternder Stimme:

»Die Sach hat damals doch was anders legen.«

»Wie denn?«


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»Er mag wohl nicht wegen dem Geld kommen sein, sondern aus einem andern Grund.«

»Dürfte ich diesen erfahren?«

»Es ist eine Familiengeschicht, und ich red nicht wieder davon. Was ich zu tragen hab, das will ich tragen; dera Herrgott wird der Richter sein.«

Dieser Ausgang ihrer Bemerkung war der Bäuerin keineswegs lieb. Sie sah, daß der Gensdarm sie forschend anblickte. Darum sagte sie in energischem Tone:

»Kommst wieder mal auf die alte Geschichte zurück! Um Familiensachen hat es sich damals nicht gehandelt.«

»Um was denn sonst? Um das Geld auch nicht.«

»O ja! Wenn sichs um die Familie gehandelt hätt, so wär doch nur allein ich gemeint, denn sie besteht ja nur aus mir und Dir!«

»Freilich wohl!«

Bei diesen in ruhigem, ergebungsvollem Tone gesprochenen Worten lehnte der Bauer den Kopf nach hinten an den Baum und machte mit der Hand eine Bewegung, welche bedeuten sollte:

»Ich weiß doch, was ich weiß; aber ich halte es für das Beste, kein Wort darüber zu verlieren.«

Das ergrimmte seine Frau. Sie fühlte sich als still Angeklagte und sagte in betheuerndem Tone:

»Gott ist mein Zeuge, daß Deine Erblindung mir ebenso viel Leid bracht hat wie Dir. Wann es eine ewige Gerechtigkeiten giebt, so muß dera Samiel grad so wie Du das Licht seiner Augen verlieren!«

»Kathrin'!« rief der Bauer erschrocken.

»Ja, das ist meine Meinung!«

»Weißt auch, wast sagst?«

»Ganz genau!«

Der Bauer faltete die Hände und wiederholte langsam und mit Nachdruck ihre Worte:

»Wann es eine ewige Gerechtigkeit giebt, so muß dera Samiel grad so wie Du das Licht seiner Augen verlieren!«

Die Art und Weise, wie er diese inhaltsschweren Worte, diese freche Herausforderung Gottes, wiederholte, machte einen tiefen Eindruck auf die Anwesenden. Auch die Bäuerin überlief es eiskalt, aber sie ließ es sich nicht merken und begehrte nur desto strenger auf:

»Und das wär nicht mal genug für ihn!«

»Was denn noch?«

»Er müßt auch meine und Deine Seelenqual empfinden, welche endlos gewest ist in dieser langen Zeit.«

Der Bauer streckte wie warnend und beschwörend den Arm gegen sie aus.

»Weib! Bedenk in Deiner Seel, wem Du das Alles anwünschest!«

»Dem Samiel!«

»Und wer ist er?«

»Weiß ich es? Mag er sein, wer er will. Ihm ist die Höll schon


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hier auf Erden zu gönnen, und mein einzigs Gebet ist gewest, daß ihn die Straf ereilen mag!«

»Mein Gott, mein Gott!« stöhnte der Bauer.

»Thäts Dir etwa leid um ihn?« höhnte sie.

»Lästre nicht!«

»Ich kann Dich nicht verstehen und begreifen! Das klingt doch grad, als obst ihn in Deinen Schutz nehmen möchtest. Kennst ihn vielleicht?«

»Nein.«

»Es hat fast so klungen!«

Der Gensdarm war diesen Auslassungen zwischen Mann und Frau mit größter Aufmerksamkeit gefolgt. Jetzt sagte er:

»Ich muß allerdings auch bemerken, daß Ihre Aeußerungen, Kronenbauer, sehr leicht vermuthen lassen, daß Sie gewußt haben, wer der Samiel ist. Wollen Sie sich nicht darüber aussprechen?«

»Nein.«

»Ich bitte Sie in meiner amtlichen Eigenschaft darum. Ich bin verpflichtet zu dieser Bitte.«

»Das geht mich nix an.«

»Wissen Sie, daß ich Sie zwingen lassen kann?«

»Mich, einen alten, blinden Mann!«

»Darauf darf in solchen Angelegenheiten keine Rücksicht genommen werden.«

»So wird dera Herr Staatsanwalt auch weiter nix derfahren als Sie!«

»Sie scheinen einen harten Kopf zu haben!«

»Nein. Es scheint nur so. Wissens, Herr Schangdarm, ich hab einen Verdacht in mir habt in letzter Zeit, einen gräßlichen Verdacht. Ich hab denkt, dera Samiel ist eine Person, welche mir nahe steht. Nun es sich aberst herausstellt hat, daß dera Viehhändler es ist, so bin ich von dieser Last befreit.«

»Ach so! Nur ein Verdacht! Das ist etwas ganz Anderes. Einen Verdacht mir mitzutheilen, kann ich keinen Menschen zwingen. Sie, Herr Förster, brauchen also nicht nach der Stadt zu gehen. Ich habe Ihnen den Trost gebracht, daß Sie Ihr Geld wiederbekommen werden, und kann nun gehen!«

Er erhob sich und streckte die Hand aus, als ob er sich bei dem Förster verabschieden wolle, zog sie aber wieder zurück, that, als ob er sich besinne, und sagte dann:

»Da ich mich auf dem Kronenhof befinde, fällt mir Etwas ein. Zufälliger Weise kenne ich den Baumeister, welcher Ihr neues Nebengebäude errichtet hat. Stehen Sie auf freundschaftlichem Fuße mit ihm?«

»Nicht sehr,« antwortete die Bäuerin, welche über diese Wendung des Gespräches erschrak.

»Aus welchem Grunde wohl?«

»Er verleumdet uns.«

»Hm! Das ist mir auch so vorgekommen.«

»Hat er etwa was zu Ihnen sagt?«


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»Positives nicht. Er hat nur so verblümt bemerkt, daß Sie sehr gegen die Gesetze gebaut hätten und ihm nicht erlaubten, die gebotenen Veränderungen vorzunehmen.«

»Der Schuft!«

»Er scheint es darauf abgesehen zu haben, Ihnen schaden zu wollen.«

»Das ist richtig. Er hat nur die Absicht dabei, sich ein Geldgeschenk zu erpressen.«

»Lassen Sie ihn bestrafen!«

»Kann ich das?«

»Natürlich! Sobald Sie nachweisen können, daß er Sie nur verleumdet, können Sie ihn zur Anzeige bringen.«

»Das sollt mir lieb sein. Ich werd mal mit dem Advocaten reden.«

»Das ist gar nicht nöthig. Wissen Sie, ich bin Jahre lang bei der Baupolizei angestellt gewesen und verstehe mich auf dieses Fach. Wenn Sie mir erlaubten, mich einmal in dem Neubau umzusehen, so könnte ich Ihre Sache bei der Behörde vertreten.«

»Was wollens denn ansehen?«

»Ich hab nur zu beachten, ob die Räume sich in einem Zustande befinden, welcher der Gesundheit nicht nachtheilig ist. Das ist das Einzige, um was es sich handelt.«

Die Bäuerin fühlte sich erleichtert, als sie das hörte. Also war von geheimen Thüren und Räumen doch nicht die Rede gewesen.

»Da könnens nachschauen,« sagte sie. »Wanns mal paßt, so kommens wieder her!«

»Heut bin ich einmal da. Paßt es Ihnen?«

»Mir wohl; aberst ich hab halt zwei Herren da wohnen, von denen ich nicht weiß, ob Sie ihnen willkommen sein werden.«

»O, ich werde mich zu entschuldigen wissen.«

»So will ich Sie führen!«

Sie begab sich mit ihm in das neue Gebäude. Das Vorbringen der baupolizeilichen Angelegenheit war nur ein Vorwand gewesen. Die wirkliche Absicht des Polizisten war, die Wohnung des Königs sehen zu können, ohne daß die Bäuerin den eigentlichen Grund ahnte. Er hatte dieselbe heut Abend zu besetzen und wollte sich orientiren. Von dem Zerwürfniß zwischen dem Baumeister und der Bäuerin hatte er im Gasthofe erfahren und sich das zum Nutzen gemacht.

Natürlich hatte weder der Medizinalrath noch der König Etwas dagegen, daß ein Polizist ihre Wohnungen in Augenschein nahm. Da sich die Bäuerin dabei befand, konnten die Herren nicht sprechen, aber auf einen verstohlen fragenden Blick des Königs verneigte sich der Gensdarm leicht und bejahend. Dann entfernte er sich. Wieder unten angekommen, fragte ihn die Bäuerin nach dem Resultate seiner Besichtigung.

»Ich begreife diesen Baumeister nicht,« antwortete er. »Es ist ja Alles in der besten Ordnung!«


Ende der siebenundachtzigsten Lieferung - Fortsetzung folgt.



Karl May: Der Weg zum Glück

Karl May – Forschung und Werk