Lieferung 85

Karl May

10. März 1888

Der Weg zum Glück.

Vom Verfasser des »Waldröschen«, »Verlorner Sohn«, »Deutsche Helden« etc.


// 2017 //

»Du, Sepp, das müssen wir machen!«

»Hm! Ich hab keine rechte Schneid dazu.«

»Warum?«

»Wann wir nix gewinnen, so ist unser schönes Geldl zum Teuxel.«

»Wo denkst hin! Wanns Dir wirklich träumt hat, so geht es auch in Erfüllung.«

»Ja, wann man das genau wissen thät!«

»Ich weiß es, ich weiß es! Und nachhero kommt gleich noch Eins dazu, an das ich denken muß. Es ist mir nämlich weissagt worden, daß ich durch die Lotterieen mal ein sehr reicher Mann sein werd.«

»Von wem?«

»Drin in dera Stadt von einer klugen Frau, die mir die Karten auslegt hat.«

»Du, Bastian, wanns so ist, so ists vielleichten doch wahr!«

»Natürlich ists wahr. So ein Traum, wann er so deutlich ist, der täuscht nie. Ja, wir müssen spielen, wir Beid, denn Einer allein thäts nicht gewinnen. Machst mit?«

Er war ganz Feuer und Flamme geworden und hielt dem Sepp die Hand hin. Dieser that als ob er zögere, und sagte:

»Weißt, ich möchts da lieber allein versuchen.«

»Warum?«

»Dann hätt ich ganz allein die halbe Million und braucht Dir nicht die Hälfte zu geben.«

»Wirst doch nicht so schlecht sein!«

»Das ist nicht schlecht. Nicht Dir hat es träumt, sondern mir. Der Traum gehört mir, also sollt auch dera ganze Gewinn mein sein.«

»Hats Dir denn träumt, daß ich mit spielt hab?«

»Freilich.«

»So mußt mich auch mit lassen, sonst gewinnst nix. Es muß genau so macht werden, wie dera Traum es sagt hat.«

»So hab ich auch schon reden hört.«

»Also darfst mich nicht zurückweisen. Wir spielen zusammen. Schlag ein.«

»Na, wannst denkst - -?«

»Ja, ich denks.«

»So solls geschehen, weilst Du es bist.«

Er schlug kräftig in die dargereichte Hand und fuhr dann fort:

»Nun wirsts auch glauben, daß die Bäuerin Dich im Traume heirathet hat. Wer die Hälfte von einer halben Million Mark in dera Lotterie gewonnen hat, der darf sich das schönste Weib auswählen.«

»So denk ich auch. Wann nur dera Bauer nicht leben thät!«

»Mir hat ja träumt, daß er stirbt.«

»Ja, dann ists richtig. Das muß in Erfüllung gehen. Und bei dera Hochzeit bist gewest?«

»Ja. Ich hab mit gessen, trunken und tanzt.«


// 2018 //

»Sappermenten! So ein Traum! Na, es wird spielt, und zwar sogleich. Wer aberst zieht die Nummer? Du oder ich?«

»Die wird gar nicht zogen.«

»So? Warum nicht?«

»Da bekäm ich doch die richtige nicht.«

»Ja, weißt denn, welches die richtige ist?«

»Natürlich! Ich hab sie mir merkt.«

»Sepp, Sepp! Sogar die Nummer hat Dir träumt? Ists wahr?«

»Ja. Als ich aufwacht bin, hab ich sie wußt, und so hab ich sie mir ganz genau merkt.«

»Mensch! Mann! Sepp, was bist für ein Glückskind. Da brauchen wir freilich nicht zu ziehen, sondern wir verlangen diese Nummer. Wie heißt sie denn?«

»Es waren drei Vierer und drei Sechser, nämlich 444666; darum hab ich sie mir so leicht merken konnt.«

Der Alte hatte eine Zahlenstelle zu viel gesagt. So viele Loose giebt es in gar keiner Lotterie. Er war in seinem Eifer nicht aufmerksam genug gewesen. Bastian aber dachte gar nicht daran, mißtrauisch zu werden. Er befand sich geradezu in Begeisterung für die Sache. Er sollte reich werden und die Bäuerin heirathen. Das verwirrte ihm beinahe die Sinne.

»Gut, daß es so eine leicht merksame Nummern ist,« sagte er, »sonst hättst sie vielleicht doch vergessen. Also die nehmen wir.«

»Aber woher denn?«

»Vom Collecteur natürlich.«

»Da giebts hier keinen. Von dera Hamburger Lotterie giebts nur in Hamburg Collecteure.«

»Von ihnen bekommt man die Loose?«

»Ja. Man muß an einen Collecteur schreiben.«

»So thue es!«

»Das kannst leicht sagen. Es geht nicht.«

»Warum?«

»Meinst etwan, daß ich schreiben kann?«

»Nicht?«

»Nein. Zu dera Zeit, in welcher ich noch ein kleiner Bub war, da hat es nicht die Schulen geben, wie sie heut sind.«

»Ich glaub aberst doch, daß ich Dich irgend mal hab schreiben sehen.«

»Nein. Da hab ich mir wohl nur eine Bemerkungen macht. Weißt, so zwei oder drei Krakerln kann ich aufs Papieren malen, weiter nix. Einen richtigen Briefen bring ich nicht fertig.«

»So mußt einem Andern den Auftrag geben.«

Der Sepp lachte laut auf.

»Wie meinst denn das? Ich soll mir den Briefen von einem Andern schreiben lassen?«

»Ja.«


// 2019 //

»Das könnt mir einfallen!«

»So! Warum denn nicht?«

»Aus mehreren Gründen. Erstens ist es verboten in dera Hamburger zu spielen - -«

»Was geht das uns an?«

»Sehr viel.«

»Nein, gar nix. Mögen sie es verbieten, ich spiel doch! Ich kann mein Geld hinthun, wohin es mir beliebt.«

»Aberst wann es heraus kommt, so wird Derjenige bestraft, der den Brief schrieben hat.«

»Das thut nix. Wir bezahlen ihn gut.«

»Wannst so denkst, so mag es sein; aberst es geht dennoch nicht an; nein, nein, gar nicht.«

»Warum denn nicht? Hast noch einen Grund?«

»Ja, und einen sehr richtigen. Wann ich mir den Brief von einem Andern schreiben laß, so muß ich gewärtig sein, daß er diese Glücksnummer für sich kommen läßt.«

»Sapperment!«

»Verstehst mich nun? Ich muß ihm die Nummer doch sagen!«

»Du hast Recht.«

»Nachhero sitzen wir da. Er gewinnt das große Geldl und lacht uns aus.«

»Dem Kerl thät ich den Hals brechen!«

»Besser ists, wir brauchen keinen Andern.«

»Hm! Das scheint mir auch so.«

»Ich seh überhaupt gar nicht ein, warum ich mir da Sorge mach. Ich alter Kerl kann nicht schreiben. Du aberst hast eine gute Schule habt und wirsts wohl können.«

»Meinst, daß ich den Brief schreiben soll?«

»Ja doch.«

Der Bastian blickte den Alten forschend an. Es kam ihm für einen Augenblick der Gedanke, daß es doch vielleicht beabsichtigt sei, ihn auf das Eis zu führen; aber der Sepp machte ein so grundehrliches Gesicht, und der Traum war ein so sehr glückverheißender, daß der Knecht sich schnell wieder beruhigt fühlte. Er erklärte:

»Weißt, von dera Schul hab ich keinen großen Nutzen habt; aberst einen Briefen werd ich schon fertig bringen. Natürlich aberst mußt mir da einen Gefallen erweisen.«

»Gern. Welchen denn?«

»Daßt keinem Menschen von diesem Schreiben ein Wort sagst. Verstanden?«

»Das versteht sich ja ganz von selberst. Es darf ja gar Niemand wissen, was wir mit nander vorhaben. Der Brief wird zur Post tragen, und geht fort, ohne daß ihn ein anderes Aug als das unserige derblickt hat.«


// 2020 //

»So will ich es gelten lassen. Aber wann soll er schrieben werden? Wohl bald?«

»Natürlich! Sonst müssen wir gewärtig sein, daß unsera Glücksnummer nicht mehr vorhanden ist.«

»Das thät grad noch fehlen! Lauf gleich zum Krämer und hol ein Papieren! Tint und Feder treib ich wohl selberst auf. Nachhero geh ich wohin, wo ich nicht sehen werden kann, und Du kannst mir den Brief dictiren! Das verstehest doch?«

»Ja, dictiren kann ich Dir, wast nur immer willst, aber schreiben nicht. Ich lauf schnell nach dem Papiere.«

Froh, seine Absicht so vollständig erreicht zu haben, beeilte er sich sehr, damit der Knecht sich nicht etwa anders besinne. Er holte Briefpapier beim Dorfkrämer, und sodann wurde auf der Häkselschneidemaschine der Brief, welchen der alte Sepp dictirte, von dem Knechte geschrieben. Als er in das Couvert gesteckt und adressirt worden war, schob Sepp ihn befriedigt in die Tasche und sagte:

»So, das ist gemacht. Nun werd ich gleich nach dera Stadt laufen und ihn auf die Post geben, damit er schnell vorwärts geht.«

»Hast da nicht gleich das Geld zu zahlen?«

»Nein. Wir wissen doch nicht, ob wir das Loos bekommen können. Der Collecteur wird es so machen, daß wir das Geld an den Briefträger geben müssen, wann er uns die Nummer bringen thut.«

Er ging.

Als er aus dem Thore trat, sah er den Kronenbauer und dessen Frau unter der Tanne sitzen. Sie tranken ihren Kaffee. Er wollte grüßend vorübergehen, doch hielt ihn die Frau an, indem sie ihn fragte:

»Nun, lieber Sepp, hast diese Nacht gut bei uns schlafen?«

»Lieber Sepp!« So hatte sie noch niemals zu ihm gesagt. Sie machte ein überaus freundliches Gesicht, ganz anders als gewöhnlich. Er wußte, was für eine Absicht sie dabei hatte, und antwortete ebenso freundlich:

»Natürlich! Bei dera Kronenbäuerin ist Alles so ordentlich und sauber, daß man sich allemalen freut, wann man einmal bei ihr im Hof sein kann.«

»Und hast auch schon die Suppen gessen?«

»Nein. Ich bin soeben erst aus denen Federn heraus.«

»So setz Dich herbei und trink den Kaffee mit!«

In dieser Aufforderung lag eine große Ehre für ihn. Das war eine höchst ungewöhnliche Herablassung. Er wußte, daß sie ihn sondiren und für sich einnehmen wolle und ging darauf ein. Er hatte ja Zeit, denn es war ihm ganz selbstverständlich gar nicht eingefallen, den Brief wirklich auf die Post zu geben. Er trat nahe heran, lächelte ihr dankbar und fast unterthänig zu und sagte:

»Wannsts derlaubst und dera Bauer auch, so kann ich es mir schon gefallen lassen. Ein Kaffee ist für so einen gar Alten, wie ich bin, besser als eine Suppen. Darum mit gütigem Verlaub!«


// 2021 //

»Ja, setz Dich nur!« stimmte der Bauer bei. »Wannst bei mir bist, so kannst allemalen denken, daßt daheim bei Dir seist.«

»O weh! Wo bin ich daheim! Dera alte Wurzelsepp hat weder Heimath noch Heerd.«

»Wo Du hinkommst, da ist Deine Heimath, denn Du bist halt überall gern gesehen. Aber horcht! Da hör ich einen Wagen rollen. Der kommt aus dera Stadt. Wer mag das sein, so morgens in dera Früh?«

Er hatte richtig gehört. Es kam ein Wagen in scharfem Trabe herbei, in welchem so viele Personen, und zwar lauter männliche, saßen, daß sie kaum Platz hatten.

Der Sepp beschattete seine Augen mit der Hand gegen die Sonne, welche eben über dem Horizonte erschien, und blickte scharf nach dem Wagen. Als er die darin Sitzenden erkannte, warf er einen schnellen verstohlenen Blick auf die Bäuerin und bemerkte, daß sie die Farbe wechselte. Sie erbleichte.

»Was ist denn das?« sagte er im Tone der Ueberraschung. »Im Wagen sitzt dera Wildachförster. Weshalb mag der schon so früh in dera Stadt gewest sein? Ich glaub gar, daß er eine Amtsgeschichten hat.«

»Heut früh?« meinte der Bauer. »Das ist gar nicht möglich. Warum denkst denn das?«

»Weil drei Schandarmen bei ihm sitzen und auch zwei Herren vom Gericht.«

»Wirklich? Obs den Samiel betrifft?«

»Das werden wir gleich sehen.«

Der Kutscher wollte vorüber; da aber sagte der Förster zu einem der Gerichtsbeamten, welcher der Staatsanwalt war, einige Worte, worauf dieser Letztere halten und die im Wagen sitzenden alle aussteigen ließ. Er grüßte höflich und sagte:

»Hier wohnt der Kronenbauer, wie ich höre?«

»Ja, der bin ich,« antwortete der Blinde.

Es war der Bäuerin anzusehen, daß sie gewaltig erschrak. Daß direct nach ihrem Manne gefragt wurde, ließ sie befürchten, daß der Staatsanwalt mit ihm oder auch mit - - ihr zu thun habe. Doch fühlte sie sich sofort wieder beruhigt, als er weiter fragte:

»Sie haben einen Knecht, welcher Friedrich Hiller heißt?«

»Ja.«

»Ist er daheim?«

»Er muß im Hofe sein.«

»Ich habe mit ihm zu sprechen. Bitte, lassen Sie ihn einmal kommen!«

Der Sepp eilte fort, um Fritz zu holen. Als er ihn brachte, fixirte der Anwalt den hübschen, jungen Mann und sagte:

»Der Herr Förster ist heut sehr früh gekommen, um anzuzeigen, daß er während der vergangenen Nacht von dem Samiel bestohlen worden ist. Wissen Sie Etwas davon?«

»Ja, ich weiß es.«


// 2022 //

»Wollen Sie mir den Vorgang erzählen?«

»Das werd ich gar gern thun.«

Er berichtete Alles. Er sagte auch, weshalb er überhaupt in den Wald gegangen sei, nämlich um die armen Leute zu besuchen. Der Beamte fragte ihn sehr eingehend aus, und die Bäuerin vernahm ein jedes Wort, welches er sagte. Sie war natürlich außerordentlich gespannt, ob er sagen werde, daß er eine der beiden vermummten Persönlichkeiten erkannt habe. Zu ihrer großen Beruhigung antwortete er:

»Das ist mir ganz unmöglich gewest.«

»Kam Ihnen denn nicht die Gestalt bekannt vor?«

»Nein.«

»Auch nicht die Stimme?«

»Auch nicht.«

»Sie werden sich jetzt mit uns an den Ort der That begeben müssen, damit ich mich ganz genau zu orientiren vermag. Uebrigens sind Sie bereits vorher Zeuge einer andern That des sogenannten Samiel gewesen.«

»Zeuge nicht. Wir kamen zu spät.«

»Aber Sie haben den Herrn Oberlieutenant befreit. Der Sepp war auch dabei und einige Tagelöhner. Diese Leute mögen herbei kommen, wenn sie da sind, und mich an die betreffende Stelle begleiten, damit ich dort ihre Aussagen hören kann.«

Der Bauer war außerordentlich erstaunt. Daß der Graf gestern von dem Samiel beraubt und angebunden worden war, hatte er bereits noch am Abende gehört; aber daß der freche Wilderer und Dieb dann beim Förster eingebrochen sei, davon hatte er keine Ahnung.

Auch seine Frau heuchelte einen großen Schreck.

»Da ist man ja seines Lebens gar nicht mehr sicher!« klagte sie. »Dera Kronenhof liegt so einsam vor dem Dorfe. Da ists gar leicht möglich, daß dieser Spitzbub uns auch mal so einen Besuch macht. Ich werd Gewehre kaufen lassen, damit man ihn gleich niederschießen kann, wann er es wagen sollt, bei uns einzubrechen.«

Der Beamte beachtete diese Auslassung nicht. Er ließ den Wagen leer nach der Försterei fahren und begab sich mit den Leuten zu Fuß nach der Stelle, an welcher gestern Abend der Oberlieutenant angefallen worden war.

Als die beiden Eheleute sich dann allein befanden, ergingen sie sich in Auslassungen über die Unsicherheit der Gegend.

»Wann ich sehen könnt,« sagte der Bauer, »so wär dera Samiel schon längst gefangen und im Zuchthaus. Vielleicht wär er gar bereits am Galgen storben.«

»Wolltest Du ihn fangen?«

Das klang wie versteckter Hohn.

»Ja, ich, denn ich bin derjenige, der ein gar ernstes Wort mit ihm zu sprechen hat. Er ists gewest, dem ich all mein Elend zu verdanken hab.


// 2023 //

Vielleichten giebt mir dera Herrgott die Gnad, bald zu hören, daß dera Kerl ergriffen worden ist.«

»So wirsts aber Du nicht sein, der ihn ergreift!«

»Das kann man nicht wissen.«

»Wie sollt ein Blinder ihn fangen können!«

»O, der liebe Gott macht seine Sach oft gar wunderbar. Man kann nie wissen, was geschieht. Wann dera Samiel zum Beispiel mal auf unsern Hof käm, um uns zu bestehlen, so würd ich ihn empfangen, obgleich ich ein Blinder bin.«

»Ah! Wie wolltst das thun?«

»Meinst, daß ich ihn nicht hören thät? Ich kann nicht schlafen, und es entgeht mir kein Geräusch des Nachts. Er mag sich vor mir hüten!«

Es war ein unendlich höhnischer Blick, den sie auf ihn warf; dann begab sie sich in das Haus, um nach dem Gange der wirthschaftlichen Arbeiten zu sehen. Als sie dann nach längerer Zeit bemerkte, daß der Wurzelsepp mit den Tagelöhnern zurück kam und sich zu dem Bauer setzte, ging sie sofort wieder hinaus unter den Baum. Es lag ihr natürlich daran, von seiner Erzählung nicht das Geringste zu versäumen.

»Da bist ja schon wieder,« sagte sie. »Ich hab dacht, daßt mit nach dera Förstereien hast gehen müssen.«

»Nein, dort hab ich nix zu thun. Ich bin ja heut in dera Nacht gar nicht dort gewest.«

»Und was hast für eine Aussagen macht?«

»Nix Anderes als wast Dir auch selber denken kannst. Du weißts ja von gestern Abend, wie es zugangen ist. Dera Herr Staatsanwalt hat sich den Ort ansehen und ihn sogar auf ein Papier abzeichnet. Er hat auch den Erdboden angeschaut, um nach Spuren zu suchen; da ist aber gar nix zu sehen gewest.«

»So wird ihm dera Samiel wohl wieder entgehen!«

»Das hab ich ihm auch gleich sagt. Dera Samiel ist viel zu gescheidt für solche Leut.«

Sie warf ihm einen verstohlen forschenden Blick zu, um zu errathen, wie er diese Worte meine. Er machte ein sehr unbefangenes, aufrichtiges Gesicht.

»Das meinst doch nicht,« sagte sie. »Die Herren vom Gericht haben doch studirt, dera Samiel aber nicht.«

»So? Woher weißt denn das?«

»Das kann man sich doch denken. Ein studirter Herr wird nicht den Räuberhäuptling machen.«

»Das darf man nicht behaupten. Es hat bereits auch studirte Spitzbuben geben.«

»So denkst also, daß man ihn gar niemals derwischen wird?«

»O doch. Eine jede Gans wird mal gessen, früher oder später. Der Samiel wird auch noch seinen Mann finden.«

»Wohl nicht!« lachte sie.


// 2024 //

»Warum nicht?«

»Geh, Sepp! Laß Dich nicht auslachen!«

»O, was ich sag, das mag lächerlich klingen; aber es ist gar nicht so zum Lachen. Mir gehts halt grad wie Dir. Ich möcht gleich eine Wetten mit machen.«

»Wie so?«

»Grad wie Du gestern wußt hast, daß dera Graf die seinige verlieren wird, also bin ich auch sicher, daß ich die meinige gewinnen thät, obgleich ich kein studirter Herr bin.«

»So! Mit wem möchtst dann wetten?«

»Eben mit dem Samiel.«

»Bist nicht recht klug?«

»Was fragst grad so? Wann ich ihn heut treffen thät, so würd ich ihm eine Wett anbieten, daß ich ihn von heut an in zwei Wochen gefangen hab.«

»Sepp! Was bist für ein Gescheidter!«

»O, es scheint mir, daß eine gar sehr große Gescheidtheiten gar nicht dazu gehört. Man braucht halt nur die Augen zu öffnen.«

»Hast sie denn schon aufi macht?«

»Nein, denn was meines Amtes nicht ist, davon laß ich meine Hand. Ich weiß von dem Samiel nicht mehr als ein jeder Andere. Aberst wann ich mit ihm gewettet hätt, dann thät ich mir freilich Mühe geben.«

»So ists jammerschad, daßt mit ihm nicht diese Wetten machen kannst, eben weilst ihn nicht treffen wirst.«

»Leider! Und ich hätt doch so gern gewettet.«

Er sagte das in einem Tone solchen Bedauerns, daß sie sich innerlich beleidigt fühlte. Ihr Auge leuchtete in verstecktem Zorne auf. Sie sagte:

»Nun, wannst so gern wettest, so kannsts auch thun ohne ihn.«

»Ich wüßte nicht, wie.«

»Wett mal mit mir!«

»Mit Dir? Bist etwan dera Samiel?«

Sie lachte laut auf.

»Ich dera Samiel! Da hast einen sehr guten Witz gemacht. Eine Frau?«

»Oho! Es hat bereits mehrere Male solche berüchtigte Spitzbuben geben, welche dann, als sie ergriffen worden sind, sich als Frauen entpuppt haben. Du freilich bist reich. Du hasts nicht nöthig, den Räuber zu spielen.«

»Ja. Und zu meinem Reichthum hab ich auch gar noch die gestrige Wett gewonnen. Das Geldl werd ich bekommen müssen.«

»Natürlich. Du sollsts erhalten, wann dera Lieutenant dabei gegenwärtig ist.«

»Schön! Da ich es aber so leicht gewonnen hab, so kann ich es auch leicht wieder wagen. Ich hab sehen, daßt ein schönes Geldl bei Dir hast. Willst die gleiche Summe dagegen setzen?«

»Hm! Ists Dein Ernst?«


// 2025 //

»Ja.«

»Das geht mir an den Kragen!«

»Schau, daßt bereits schon Angst bekommst!«

»Ich hab vorhin nur so einen halben Spaß macht; aberst wann ich gezwungen werd, so mach ich einen Ernst daraus.«

»Nun gut, machen wir Ernst! Wettest Du mit?«

Ihr Gesicht hatte sich geröthet. Es ärgerte sie, daß der Alte sich angemaßt hatte, sie fangen zu wollen. Das benahm ihr die Vorsicht. Sie hielt dem Sepp die Hand entgegen.

»Wie soll denn die Wetten sein?« fragte er.

»So, wie Du sagt hast. Du willst in zwei Wochen den Samiel fangen.«

»Schön!«

»Wannsts fertig bringst, zahl ich, aber wanns Dir nicht gelingt, zahlst Du!«

»Hm! Ich bin wohl ein Wengerl zu vorwitzig gewest; aberst was ich sag, das nehm ich niemalen wieder zurück. Ich mach also mit.«

»Wirklich?«

»Ja. Die Wett gilt bis heut über vierzehn Tag, wannsts so zufrieden bist.«

»Ich stimme bei.«

»So hast meine Hand. Hier!«

Sie schlugen ein, sie, indem sie ein Lachen hören ließ, aus welchem Hohn und Aerger klangen, und er in seiner treuherzigen Weise, ohne sich in Miene oder Ton eine heimlich bewußte Ueberlegenheit merken zu lassen.

»Ihr seid wie die Kinder,« bemerkte der Bauer. »Macht kein so dummes Gespaß.«

»Meinst, daß es ein Scherz ist?« fragte seine Frau pikirt.

»Was denn anders?«

»Ernst ists, unser völliger Ernst!«

»Den möcht ich mir schon verbitten!«

»Was? Verbitten willsts Dir? Du thust grad so, als ob ich gar nicht mehr machen dürft, was ich will!«

»Wer hier zu befehlen hat, Du oder ich, darüber wollen wir uns nicht streiten. Ich will Dich nur aufmerksam machen, daßt Dich in eine Gefahr begiebst, wannst solche Wetten machst.«

»Welche wäre das?«

»Man könnt da sehr leicht denken, daßt den Samiel kennen und mit ihm in Verbindung stehen thätst. Das darf ich nicht dulden.«

»Ich glaub, Du hast den Verstand verloren! Ich, die Kronenbäuerin, soll den Samiel kennen!«

Sie brach in ein lautes Gelächter aus, welches aber nicht so herzlich klang, wie es von ihr beabsichtigt worden war. Der Bauer wollte darüber auffahren, aber der Sepp begütigte ihn durch die warnende Bemerkung:


// 2026 //

»Laßts gut sein! Da kommt wieder Einer vom Dorfe her. Vielleicht will er zu Euch.«

»Wer ists denn?« fragte der Blinde.

»Das kann man nicht so genau sehen. Ach, er geht so hoch und grad wie Einer, der beim Militär standen hat, und wann ich mich nicht irren thu, so kenne ich ihn auch. Es ist dera Ludwig Held aus Oberdorf, der beim reichen Kerybauer dient hat drüben im Böhmischen.«

»Ja, der ists,« stimmte die Bäuerin bei. »Ich kenne ihn. Er wird von Daheim kommen.«

Ludwig kam mit schnellen, kräftigen Schritten die Straße daher wie Einer, der sein Ziel gern schnell erreichen will. Als er den Sepp erblickte, blieb er stehen und rief:

»Was Teuxel, ists denn wahr? Dera Sepp ist hier vorhanden! Bist doch wirklich allgegenwärtig. Was machst hier in Kapellendorf, alter Schwede?«

»Ich halt hier mein Seebad ab, weißt, wie die vornehmen Leutln es alle thun.«

»Wo hast denn da die See?«

»Hinterm Haus im Wassertrog.«

»So nimm Dich nur in Acht, daß es nicht einmal einen Seesturm giebt, sonst könntst gar leicht mit Mann und Maus zu Grunde gehen!«

»Mach Dir keine Sorg! Ich schwimm schnell ans Land; das ist hier gar nicht weit vom Wasser. Willst nicht ein Wengerl herkommen?«

»Ich habs eilig.«

»Eine Viertelstunden kannst schon ausruhen.«

»Dessen bedarf es nicht. Ich komm von dera Muttern, und die wohnt ja nur eine kleine Stund von hier. Müd bin ich also nicht; aberst weil Du es bist, so möcht ich mich schon eine Minuten mit herbei setzen, wann ich wüßt, daß die anderen Herrschaften nix dagegen haben.«

»Bist willkommen,« sagte die Bäuerin, indem sie den hübschen kräftigen Burschen mit wohlgefälligem Blicke betrachtete. Sie hatte ja überhaupt einen guten Blick für dergleichen männliche Gestalten.

Ludwig gab den Dreien die Hand und setzte sich neben den Sepp, welcher sich sogleich erkundigte:

»Ich hab hört, daßt jetzt bei Deiner Muttern bist. Wo willst hin?«

»Hinunter nach Slowitz zu meinem Bauer.«

»Ich denk, Ihr seid uneinig mit nander?«

»Nicht mehr. Wir haben uns versöhnt, und er hat schickt, daß ich kommen soll.«

»So trittst wiederum bei ihm in Dienst?«

»Ja. Ich habs voraus wußt, daß es so kommen wird.«

»Ich habs mir auch denkt, denn so Einen, wie Du bist, bekommt er sonst nicht wieder. Auch hast ihm einen gar großen Dienst erwiesen, daßt ihn von den beiden Osec befreit hast. Die sitzen nun im Loch und werden nicht gleich wieder herauskommen. Nun kann der Sohn die Gisela nicht heirathen!«


// 2027 //

»Die hätt er auch sonst nicht bekommen.«

»Weil sie Dich haben will!«

»Wer hat das sagt?«

»Geh! Willsts nicht eingestehen! Bist auch so ein Heimlicher, der immer schwarz thut, und wann man ihn bei Licht beschaut, so ist er weiß. Wie gehts denn Deiner alten Muttern und dera Schwester?«

»Ich danke! Sehr gut.«

»Ja, das hab ich hört. Die sind nun über alle Sorg hinaus. Nein, so ein Geld zu bekommen! Wer hätt das denkt!«

»Was für ein Geld?« fragte die Bäuerin schnell.

»Hasts noch nicht gehört?«

»Nein.«

»Dera König hat an dem Ludwig seinen todten Vatern denkt, welcher so lange Invalid gewest ist, ohne eine Pensionen zu bekommen. Nun hat er diese Pensionen dera Wittfrau nachzahlen lassen für die vielen Jahre und ihr auch noch selbst ein Gehalt ausgesetzt.«

»Welch ein Glück!« rief die Kronenbäuerin. »Ja, unser guter König! Aber auf so viele Jahre, das muß doch eine große Summe sein!«

»Ja, es sind ein hübsch paar Tausend.«

»Baar?«

»Natürlich!«

»Das gefreut mich, denn sie ist eine gar brave Frau, und es ist ihr gern zu gönnen. Aber was thut sie denn mit dem vielen Gelde?«

Das war die Frage, deren Beantwortung sie wünschte. Hier gab es vielleicht wieder einen Fang zu machen. In ihrem Eifer übersah sie es, daß der alte, kluge Sepp sein Auge scharf auf sie gerichtet hielt.

»Das wird meiner Schwester zu Gute kommen,« antwortete Ludwig. »Nun kann sie heirathen. Bishero hat das Nöthigste dazu gefehlt. In einigen Wochen wird sie die Hochzeit halten.«

»So! Da wird das Geld wohl schnell ausfliegen, grad wie die Tauben, wann gutes Wettern ist.«

»O nein. So treiben wir es nicht. Es wird nur eine Wenigkeit davon weggenommen, und das Andere legen wir auf Zinsen einstweilen an. Wir haben es bis dahin dem hochwürdigen Herrn aufzuheben geben.«

»Dem Pfarrer?«

»Ja.«

»Warum dem?«

»Weil es bei ihm jedenfalls sicherer liegt als in dera kleinen Hütten bei dera Mutter.«

»Das glaub ich nicht. Es kann einem Pfarrer ebenso stohlen werden, wie Deiner Muttern. Denk an den Samiel!«

»O, der ist nicht zu fürchten.«

»Er derfährt Alles.«

»Aber das nicht. Wir haben es noch Niemand sagt. Selbst wann er


// 2028 //

es wüßt, daß der Herr Pfarrer das Geldl hat, würd er es doch nicht finden, wann er es sich auch holen wollt.«

»Warum?«

»Weil dera Pfarrer es sehr gut versteckt hat, nämlich in seiner Studierstuben in das alte, große Bibelbuch, welches ganz oben über den anderen Büchern steht.«

Die Bäuerin verschlang ein jedes Wort, welches Ludwig sprach. Sie holte tief Athem; sie war hoch befriedigt von dem, was sie erfahren hatte.

Ebenso befriedigt war der alte Sepp, der den Blick nicht von ihr gelassen hatte. Er ahnte, was in ihr vorging; ihre Gedanken waren ihr zu deutlich auf das Gesicht geschrieben. Sie zwang sich förmlich, in gleichgiltigem Tone zu sagen:

»Da ists freilich sehr gut aufgehoben. Da wird es Niemand suchen, und da könnt Ihr es liegen lassen.«

»Na, gar lange wird es wohl nicht liegen. Bereits morgen wird dera geistliche Herr nach der Stadt gehen, um mit dem Manne zu sprechen, welcher die Bank besitzt. Vielleicht giebt er es diesem. Da bekommen wir einen Schein, der ist so gut wie baares Geld, und die Zinsen können wir uns holen, wann es uns beliebt.«

»Daran thut Ihr klug. Man muß sein Geld so anlegen, daß es Einem keine Sorge bereitet. Ich werd' Dir einen Kirschengeist holen. Wer den trinkt, der läuft gleich noch mal so schnell.«

Sie entfernte sich eigentlich nur, um die Freude nicht bemerken zu lassen, welche sie fühlte. Als sie in die Stube trat, stand der Knecht Bastian drin, und zwar am Fenster, durch welches er hinausgesehen und die Sprechenden beobachtet hatte.

»Das ist ja dera Oberndorfer Ludwig,« sagte er. »Was will er?«

»Er hat sich nur im Vorübergehen niedersetzt. Von ihm hab ich was derfahren!«

»Was Gutes?«

»Ja. Hast heut Abend wieder Lust?«

»Wannst willst, allemal, wohin?«

»Nach Oberdorf hinüber, zum Pfarrer dort.«

»Zu dem armen Teuxel? Was soll es dort geben? Der kann bei seinem armseligen Gehalt verhungern. Dort ist nix zu finden.«

»Ich werd aber doch bei ihm Geld finden.«

»Das ist schwer zu glauben.«

»Es gehört nicht ihm. Er hat es nur in Aufbewahrung erhalten.«

»Dann ist es leichter denkbar. Ich mache mit.«

»Ich werde Dich natürlich gut bezahlen.«

»Das ist nicht nöthig.«

»Warum?«

»Ich thue es umsonst. Ich brauche kein Geld. Ich mag auch für gestern gar nichts haben.«


// 2029 //

Sie blickte ihn verwundert an.

»Wie kommst mir vor? Es braucht doch ja der Mann ein Geldl, und von meiner Lieb allein kannst doch nicht leben.«

»Wann ich nur Deine Lieb hab, so ists schon gut. Dein Geld brauch ich nicht. Ich hab schon selber welches.«

»Du? Woher denn?«

»Das ist ein Geheimnissen.«

»Geh!« lachte sie. »Thu nicht so wichtig, als obst gar große Geheimnissen hättest!«

»O, es ist groß genug, größer alst denkst.«

»Wie lautet es denn?«

»Das kann ich nicht sagen.«

»Wohl gar niemals?«

»Später.«

»So! Willst wohl gar den Samiel ohne mich spielen? Willst Dir ein Geldl irgendwo allein verschaffen?«

»Nein; ich bekomme es ehrlich.«

»So kannsts mir auch sagen.«

»Nein; das geht nicht. Wenn dieses Geheimnissen mir allein gehören thät, so könnt ich davon reden; es gehört aber einem Andern mit.«

»Wem denn?«

»Auch davon darf ich nicht sprechen.«

»Du, das gefallt mir nicht. Wirst doch nicht etwan eine Dummheiten machen!«

»O nein. Es ist grad im Gegentheile eine sehr große Gescheidtheiten.«

»Mir ahnt was ganz Anderes. Wannst Dich mit einem Andern außer mir abgiebst, so kann es sehr leicht fehl gehen. Wannsts nicht verrathen darfst, so sag mir wenigstens, wer es ist, mit dem Du anfangen hast.«

»Nun, das darf ich Dir vielleicht mittheilen. Es ist halt dera Sepp.«

»Der Wurzelsepp?« rief sie erschrocken. »Der ist grad der Allergefährlichste für uns. Vor ihm müssen wir uns am Meisten in Acht nehmen.«

»Das weiß ich auch!«

»Du machst mir angst. Weißt, der ist unter Umständen schlauer als wir alle Beid. Jetzt sagst sogleich, wast mit ihm hast!«

»Ich darf ja nicht.«

»Gut! So ists aus mit uns Beiden! Wannst ihm mehr Vertrauen schenkst als mir, so mag ich nix mehr von Dir wissen.«

»Das ist nicht Dein Ernst!«

»Mein völliger sogar. Grad dera Sepp ist es, der uns Beid ins Unglück bringen will.«

»Mir aber will er Glück bringen.«

»Auf welche Weise? Gleich sagst es mir!«

Sie sagte das in einem so strengen Tone, daß er ängstlich wurde. Er antwortete:


// 2030 //

»Es ist ja nur ein Traum.«

»So? Was für einer?«

»Er hat ein Lotterieloos träumt, welches wir mit nander spielen.«

»Das glaub ich nicht.«

»Es ist wahr. Er hat sich sogar die Nummer merkt. Er hat träumt, daß der Bauer stirbt und daß ich dann Dein Mann werd, weil ich ein so großes Geldl in dera Lotterie gewinn.«

Sie blickte ihm nachdenklich in das Gesicht.

»Das will er träumt haben? Ob es auch wahr ist? Oder hat er es sich nur ausgesonnen?«

»Wozu denn?«

»Ja, das kann ich auch nicht begreifen. Er ist ein gar Schlauer. Er müßt doch eine Absicht dabei haben. Aber ich kann nachdenken wie ich will, so kann ich dieselbige nicht errathen.«

»Er hat nur die Absicht dabei, die Hälfte mit zu gewinnen.«

»So spielst also wirklich mit ihm?«

»Ja.«

»Warum aber hat er grad Dich dazu erwählt?«

»Weil ihm träumt hat, daß ich mit ihm spiel. Wann er einen Andern dazu nähm oder wann er allein spielen thät, so würd doch dera Traum nicht in Erfüllung gehen.«

»Das ist wahr, und das will mich beruhigen. Nur das Andere, was er träumt hat, daß mein Mann sterben soll und daß dann Du dera Bauer wirst, das macht mir Sorg. Es kommt mir ganz so vor, als ob er sich das nur so ausdenkt hat. Paß auf auf ihn, und nimm Dich sehr in Acht. Wann Der Dich einmal in dera Taschen hat, so kommst nicht wieder heraus. Also mach Dich fertig für heut Abend. Wann Alle zu Bett sind, gehen wir fort. Vorher aber, gleich nach dem Essen, gehst in den Wald, um die Anzüg zu holen.«

Sie nahm die Flasche mit dem Kirschbranntwein und ging hinaus. Die Traumgeschichte gab ihr zu denken. Sepp bemerkte bald, daß sie einsylbiger geworden war und ihn heimlich beobachtete. Er ahnte, da sie so lange Zeit gebraucht hatte, den Schnaps zu holen, daß sie mit dem Knechte gesprochen hatte, und gab sich nun so heiter und unbefangen wie möglich, um ihre Besorgniß zu zerstreuen.

Ein verstohlener Blick nach den Fenstern der Stube überzeugte ihn, daß er jedenfalls nicht falsch gerathen habe, denn er sah das Gesicht Bastians hinter den Scheiben.

Als Ludwig sein Glas ausgetrunken hatte, erhob er sich, um zu gehen; er wollte bereits der Bäuerin die Hand zum Abschiede reichen, da zog er sie schnell wieder zurück und blickte überrascht den Weg entlang, welcher nach dem Walde führte.

»Sakra! Wer ist denn das!« sagte er.

»Wo?« fragte der Sepp.


// 2031 //

»Dort auf dem Wege. Das ist ja gar der - -«

Er hielt inne, denn der Sepp trat ihm schnell auf den Fuß. Er verstand den Wink und verbesserte sich:

»Das ist ja dera Herr Ludwig aus der Hohenwalder Mühle!«

»Ja, das ist er,« antwortete Sepp. »Und dera Herr Arzt ist bei ihm. Bäuerin, das ist der Herr, der bei Dir wohnen will. Du wirsts ihm gleich anschauen, daß er ein nobler Herr ist, und ich denk, daßt ihn gut empfangen wirst. Ich empfehle ihn Dir.«

Die Frau war aufgestanden und betrachtete sich die Nahenden. Die Gestalt und Haltung des Königs machte einen imponirenden Eindruck auf sie. Ohne es eigentlich zu wollen, ging sie ihm einige Schritte entgegen.

Sepp und Ludwig zogen ihre Hüte. Der König nickte ihnen mildfreundlich zu. Die Bäuerin machte einen tiefen Knix und sagte:

»Dera Wurzelsepp hat mir sagt, daßt kommen willst, Herr Ludewig. Ich will Dich auch gern bei mir aufnehmen, aberst ich denk, daß es Dir bei mir nicht sehr gefallen wird.«

»Warum nicht?«

»Weil wir keine vornehmen Leutln sind.«

»Das verlange ich auch nicht. Sauberkeit ist die Hauptsache, und die hoffe ich doch hier zu finden.«

»Ja, was das anbelangt, sauber können wir schon sein,« antwortete sie, die Augen kokett niederschlagend und mit den Händen die Schürze glättend.

»Der Sepp hat natürlich Alles vorbereitet, sodaß wir unsere Zimmer bereit finden?«

»Nein, Herr, so weit ists halt noch nicht. Er wollte die besten Stuben für Dich haben; die hat aberst schon ein Anderer.«

»Wer ist das?«

»Der ist gar ein Graf und Oberlieutenant. Sein Name lautet Arthur Wipprecht von Münzer. Er ist hier, um den Samiel zu fangen.«

Ueber das ernste Gesicht des Königs flog bei den Worten »gar ein Graf« ein flüchtiges Lächeln. Er antwortete:

»Was für Stuben giebt es noch?«

»Nur zwei. Jede hat ein Bett.«

»So werde ich die Wohnung des Grafen nehmen.«

Die Bäuerin blickte ihn erstaunt an.

»Das wird er nicht zugeben.«

»Glauben Sie?«

»Ja. Ein Graf!«

»Er wird mir seine Wohnung freiwillig abtreten und irgendwohin ziehen, vielleicht in den Gasthof.«

»So könnt er doch die beiden anderen Stuben nehmen?«

»Die wird hier dieser Herr bewohnen, welcher ein Arzt ist.«

»So möcht ich aberst doch vorher erst mit dem Herrn Grafen reden.«


// 2032 //

»Das ist nicht nöthig. Ich kenne ihn und versichere, daß er sich sehr gern nach einem anderen Aufenthalte umsehen wird.«

»Wanns so ist, so solls mir recht sein.«

»Zeigen Sie mir also die Wohnung!«

»Da mußt - mußt - da müssens halt doch erst ein Wengerl warten. Ich muß vorerst nachschauen, ob Alles in Ordnung ist. Wann so ein Junggesell in dera Stuben wohnt, so ists den ganzen Tag so, als ob ein Sturmwind gangen wär. Ich will hoffen, daß Du - - daß Sie ein Ordentlicher sind.«

Sie brachte es doch nicht fertig, das Du länger beizubehalten. Die ganze Erscheinung des Königs war so ehrfurchtgebietend, daß ihr das höflichere Sie in den Mund kam.

Sie eilte in die Küche, um eine Magd zu holen, welche ihr behilflich sein sollte, in der Wohnung des Grafen Ordnung zu schaffen.

»Mach schnell!« munterte sie das Mädchen auf. »Es ist ein neuer Gast da. Und der schaut mit solchen Karfunkelaugen drein, daß man gleich ganz still sein muß, wenn er Einen anschaut.«

Die Wohnung wurde im Fluge hergerichtet, und dann begab sich die Bäuerin erst noch nach ihrer Stube, um sich noch ein Wenig »schöner« zu machen. Sie hing eine Kette an, steckte einige goldene Nadeln in ihr Haar und band die schwerseidene Feiertagsschütze vor. Nun erst ging sie wieder hinunter unter den Baum.

»Jetzt, wanns kommen wollen, könnens sich das Logement anschauen,« sagte sie.

Während ihrer Abwesenheit hatte sich der Ludwig verabschiedet, von dem Bauer und dem Sepp mit einem herzlichen Händedruck und von dem König und dem Geheimen Medizinalrath mit einer respectvollen Verneigung. Dieser Letztere hatte sich dann mit dem Bauer unterhalten und dabei seinen forschenden Blick auf die Augen des Blinden gerichtet gehalten. Der König hatte still dabei gesessen und sich begnügt, die frische, erquickende Luft des nahen Hochwaldes einzuathmen.

Jetzt folgte er der Aufforderung der Bäuerin, und der Arzt schloß sich den Beiden an. Sepp blieb bei dem Bauer zurück.

»Du, Sepp,« sagte dieser in einem ganz eigenthümlichen tiefen, schweren Tone, »mir ist so ganz fremd zu Muthe.«

»Warum denn?«

»Diese Stimme, diese Stimme!«

»Welche denn? Welche meinst?«

»Dem Herrn Ludwigen seine.«

»Was ists denn mit ihr?«

»Die hab ich schon mal hört; ja, ich hab sie hört. Ich hab lange nachdenkt, als er so still da saß, wo ich sie hört hab, und dann hab ich mich darauf besonnen.«

»Das thu ich bezweifeln. Ich glaub es halt nicht, daßt sie hört hast.


// 2033 //

Er ist aus dem München. Dort bist sicherlich nicht mit ihm zusammenkommen.«

»Nein, sondern hier.«

»Auch da nicht. Er ist noch nie hier gewesen.«

»O doch!«

»Nein. Ich weiß das genau.«

»Und ich weiß es ebenso genau. Freilich in dera Wirklichkeit ists nicht gewest sondern nur im Traume.«

»Ach so! Hast von ihm träumt?«

»Ja, kannst Dich nicht auf den Traum besinnen, von dem ich Dir gestern verzählt hab?«

»Ja, das fallt mir ein.«

»Von dem Herrn, der zu uns kommen ist, und von dem Doctor, der bei ihm war und mir das Augenlicht wiedergeben hat!«

»Meinst, daß sie es sind?«

»Ja, es sind ihre Stimmen, ganz genau von demselbigen Klang, wie sie im Traume sprochen haben. Da im Traume hab ich dann auch ihre Gesichter sehen und ihre Gestalten. Wann ich nicht blind wär, so würd auch dieses stimmen; ich fühl es; ich weiß es und könnt gleich um Alles wetten.«

Er hatte das schnell, fast athemlos gesagt, er befand sich in einer innerlichen Aufregung, welche sich auch seinem Aeußeren mittheilte.

»Bring Dich nicht auf!« warnte der Sepp. »Man soll nicht an Träume glauben.«

»Das weiß ich, und ich bin ja sonst gar kein Leichtgläubiger. Dieser Traum aberst war so licht, so hell, so deutlich, als ob dera liebe Herrgott ihn mir geschickt hätte. An ihn möcht ich glauben.«

»Wann er was zu bedeuten hätt, so sollt es mich gefreuen. Aberst Du mußt Dich in Acht nehmen. Wer zu viel hofft, der ist nachhero, wann die Hoffnung zu schanden wird, doppelt unglücklich.«

»Auch das weiß ich; aberst ich hab ein Gefühl, welches ich gar nicht beschreiben kann, ein Gefühl, als ob was recht Großes und Gutes mit mir vorgehen müßt. Ich kann nicht dafür. Ich will auch nicht, daß es mich überwältigen soll; aberst ich kann es nicht beherrschen. Ich möcht; ich möcht - - ja, was möcht ich denn gleich? Beten, beten, beten!«

Er lehnte sich an den Stamm des Baumes und faltete die Hände. Der Sepp schwieg. Er wollte den Unglücklichen in seiner Andacht nicht stören.

So saßen Beide, bis die Bäuerin kam und strahlenden Auges bemerkte:

»Sie sind Beid mit ihren Stuben zufrieden, der Eine grad so wie der Andere. Dieser Herr Ludwigen muß aber doch ein gar vornehmer Herr sein.«

»Warum?« fragte der Sepp.

»Er schaut ganz so aus. Und wenn er Etwas sagt, so klingt es ganz so, daß man gar nichts dagegen sagen kann.«

»Ja, er ist halt das Befehlen gewöhnt.«

»Was ist er denn?«


// 2034 //

»Er ist Einer - Einer - hm, Einer aus demjenigen Haus in München, in welchem regiert wird.«

»So was hab ich mir denkt. Er wird ein Rath von den Commerzien oder wohl auch von dera Philosophie sein.«

»Ja, so was ist er.«

»Und reich, reich muß er sein!«

»Hasts gemerkt?«

»Ja. Was er für Ringen anstecken hat! Das blitzt nur so von Diamanten! Und die Knöpf im Hemd! Und die Uhr. Als er sie herausnommen hat, um nach dera Zeit zu schauen, bin ich fast verschrocken über die Edelsteinen, welche daran gewest sind!«

Ihre Augen funkelten förmlich gierig, als sie dieses sagte. Der Sepp bemerkte das sehr wohl. Er sagte:

»Ja, arm ist er nicht; das ist wahr.«

»Und Dir soll ich sagen, daßt gleich mal zu ihm kommen sollst.«

»So! Und das sagst erst jetzt! Daß er so lange hat auf mich warten mußt! Kronenbäuerin, Du bist auch Eine! Merks Dir, daß dieser Herr Ludwigen nicht Einer ist, den man warten lassen darf. Wannst ihn versäumst, so zieht er gleich wieder fort.«

Er entfernte sich eilig.

Als er nach einem discreten Anklopfen eintreten durfte, saßen der König und der Arzt mit einander am Tisch.

»Sepp,« sagte der Erstere. »Du hast mir dieses Haus empfohlen und ich hoffe, daß ich mich hier wohl befinden werde.«

Der Alte kratzte sich hinter dem Ohre und antwortete ziemlich verlegen:

»O weh! Damit ists gefehlt!«

»Was? Warum hast Du mich hierher gebracht? Unten in der Mühle konnte ich nicht gut länger bleiben, weil mein Incognito in Gefahr stand, verrathen zu werden. Deshalb suchte ich mir einen anderen Aufenthalt. Ich verließ mich auf Dich, folgte Deinem Rathe, der sich ja schon so oft bewährt hat, und nun ich da bin und die Zimmer bezogen habe, kratzest Du Dir den Kopf!«

»Ja, Maje - wollte sagen, Herr Ludwig, wann ich wußt hätt, was ich heut weiß, so hätt ich mich vorher kratzt.«

»Nun, was weißt Du denn?«

»Daß es hier nicht mehr so steht wie vorher. Die Bäuerin ist eine ganz andere.«

»Ist sie Dir nicht mehr Freund?«

»Nein.«

»Warum?«

»Weil ich sie fangen will.«

»Du sprichst in Räthseln. Erkläre Dich!«

»Habens schon mal von dem Samiel hört?«

»Leider mehr als genug.«


// 2035 //

»Nun - hm! Wie bring ich es nur gleich heraus! Ich weiß gar nicht, wie!«

»Rede deutlich!«

»Nun, die Bäuerin und dera Samiel, das ist das - Himmelsakra, sie ist er, oder meinswegen auch er ist sie.«

Der König schüttelte leise den Kopf und sagte:

»Sepp, was faselst Du?«

»Ja, wann ich faseln thät, so wollt ich wohl gar froh sein!«

»Wenn ich Dich recht verstanden habe, so hast Du sagen wollen, daß die Kronenbäuerin der Samiel sei?«

»Ja, grad dasselbige hab ich sagen wollt.«

»Du träumest wohl?«

»Nein. Ich schlaf halt nicht, sondern ich bin sogar ganz munter.«

Der König erhob sich von seinem Stuhle, trat auf ihn zu und fragte:

»Soll etwa der Herr Geheimrath untersuchen, wie viele Schläge Dein Puls macht?«

»Dagegen hab ich nix. Da ist er!«

Er hielt dem Arzte die Hand hin; da dieser aber sich nicht bewegte, fuhr er fort:

»Es möcht Einem wahrlich ganz dumm im Kopfe werden. Dera Samiel ein Weibsbild! Ich thäts halt selberst nicht glauben, wann ich es nicht selberst entdeckt hätt.«

»Mensch, so ists wirklich Dein Ernst?«

»Ja, mein völliger.«

»Du bist erst gestern angekommen. Gestern wußtest Du noch nichts von Samiel. Es muß also Etwas geschehen sein.«

»Viel, sehr viel ist geschehen.«

»So erzähle es!«

»Das werd ich thun, wanns derlauben. Aberst da muß ich auch von alten Zeiten sprechen, von dem Fritz und anderen Dingen, damit Alles seine richtige Derklärung findet.«

»Wir haben Zeit. Fang an!«

»So schnell geht das nicht. Erst muß ich mal schaun, ob wir nicht etwan belauscht werden.«

Der König hatte drei Räume. Eine Art Vorstube, ferner das Wohnzimmer, in welchem sie sich jetzt befanden, und endlich die Schlafstube, wo der bereits erwähnte Ofen stand, welcher bewegt werden konnte.

Da hinaus trat der Sepp. Er sah sich um, kam dann wieder herein, zog die Thüre hinter sich zu und sagte leise:

»Da drinnen dürfens halt nicht schlafen!«

»Warum?« fragte Ludwig erstaunt.

»Weils sonsten sehr leicht umibracht und massakrirt werden können.«

»Sepp!!!«


// 2036 //

Das klang in einem sehr strengen Tone. Der Alte aber sagte, ohne sich irre machen zu lassen:

»Ich weiß halt, was ich sag, denn ich hab ihre Augen sehen, als sie von Ihren Diamanten und Edelsteinen sprach.«

»Die Kronenbäuerin?«

»Ja, freilich.«

»So soll sie also wirklich der Samiel sein?«

»Auf alle Fälle.«

»Aber sie kann ja gar nicht, selbst angenommen, daß Du mit Deiner ungeheuerlichen Behauptung Recht hast, in dieses Schlafzimmer kommen!«

»Sehr leicht sogar.«

»Ich verschließe Thür und Fenster.«

»So kommt sie durch die Wand.«

»Giebt es etwa da eine geheime Thür?«

»Ja.«

»Zeige sie mir!«

»Ja, ich weiß sie nicht.«

»So wird Deine Vermuthung eine überhaupt falsche sein.«

»Nein, gewiß nicht. Ich hab keine heimliche Thür sehen, aberst ich denk, daß es eine giebt. Von drüben her hab ich mich in ihre Schlafstuben schlichen, die an dieses neue Gebäuden stößt, aberst die Thür nicht entdecken können. Wanns mirs derlauben, so werd ich auch von hüben suchen. Vielleichten find ich sie hier besser.«

»Wenn es so ist, so werden wir natürlich gemeinschaftlich suchen. Jetzt erzähle! Ich erlaube es Dir, Dich dazu zu setzen.«

Der Sepp machte von dieser Erlaubniß keinen Gebrauch. Er erzählte mit halblauter Stimme Alles, was er heute nun wußte. Nur von der Vermuthung, daß die Bäuerin auch heute Abend nach Oberndorf gehen werde, um den Pfarrer zu bestehlen, sagte er nichts. Während seines Berichtes öffnete er einige Male leise die Thür zur Schlafstube, um nachzusehen, ob man dort vielleicht heimlich eingedrungen sei, um zu lauschen. Es war aber Niemand dort.

Der König sowohl wie auch der Geheimrath hatten ihm zugehört, ohne ihn ein einziges Mal zu unterbrechen. Jetzt blickten sie einander schweigend an. Keiner sagte ein Wort. Dann erhob Ludwig sich von seinem Sitze und schritt mehrere Male im Zimmer auf und ab. Endlich blieb er vor dem Alten stehen, legte ihm die Hand auf die Achsel und sagte:

»Sepp, es ist wahr, Du hast nicht geträumt. Es ist entsetzlich, wirklich entsetzlich, Deinen Worten glauben zu müssen, aber es ist auch unmöglich, daran zu zweifeln.«

"Sepp, Du hast nicht geträumt!"

Und wieder ging er hin und her. Seine Stirn lag in Falten und die Augen hielt er finster zu Boden gerichtet.

»Ist es möglich, ist es denn wirklich möglich, daß es solche Menschen geben kann?« sagte er.


// 2037 //

»Ein Weib -« antwortete der Geheimrath. »Damit ist Alles gesagt.«

Der König blieb vor ihm stehen.

»Ein Weib!« wiederholte er. »Und welch herrliche Anschauungen verbindet man mit dem Worte Weib! Ein Weib ist das Herrlichste, das Reinste, das Erhabenste, Zarteste und Empfindlichste, was es geben kann und -«

Er hielt inne; der Arzt fügte hinzu:

»Und doch ist ein gesunkenes Weib häßlicher und abscheulicher als ein gesunkener Mann. Ein Mann kann in den tiefsten Schlamm der Sünde, des Verbrechens sinken, er kann sich ebenso gut wieder erheben. Ein Weib aber, welches einmal gesunken ist, erhebt sich niemals wieder.«

Ludwig setzte seinen Gang durch das Zimmer fort; dann wendete er sich an Sepp:

»Geh hinab zu diesem armen, beklagenswerthen Mann und warte, bis ich Dir vom Fenster aus winken werde. Dann bringst Du ihn herauf. Es soll untersucht werden, ob der Zustand seiner Augen ein hoffnungsloser ist.«

Der Sepp wendete sich zum Gehen. Noch aber hatte er die Thür nicht erreicht, so drehte er sich wieder um und sagte:

»Wegen dem Bauer hätt ich eigentlich eine gar schöne Bitt, wanns mir nicht übel nähmen.«

»Welche?«

»Wann Hoffnung vorhanden war, so sollens ihm das nicht sagen.«

»Warum?«

»Sein Weib darfs nicht derfahren.«

»Denkst Du, daß sie im Stande wär, noch einmal Etwas zu thun, was - ah!«

Er strich sich mit der Hand über die Stirn, wie Einer, der an etwas ganz und gar Unbegreifliches glauben muß.

»Nein,« antwortete der Alte. »Das meine ich nicht. Man thät schon dafür Sorge tragen, daß sie ihm nix mehr thun kann; aberst sie muß überrascht werden. Wann ihr Mann so ganz unerwartet vor sie hintritt und sie hell anschaut grad dann, wann sie bei einem neuen Verbrechen ist, dann muß sie vor Schreck zusammensinken. Das ist eine Straf, die sie verdient hat, und die muß sie erhalten.«

»Ahnst Du ein neues Verbrechen?«

»O, die hört nicht aufi. Ich werd sehr gut lauschen und es gewiß heraus bekommen, wann sie wieder was vor hat. Dann werde ich es melden.«

»Gut. Wir müssen es uns überhaupt überlegen, ob wir sie bereits jetzt festnehmen oder später auf der That ergreifen wollen. Gehe jetzt! Ich winke später.«

Es war eine lange, lange Unterredung, welche Ludwig mit dem Medicinalrathe hatte. Der Sepp behielt die Fenster des Zimmers im Auge und als er endlich den König an demselben erscheinen und ihm winken sah, nahm er den Bauer bei der Hand, um ihn hinauf zu führen. Dabei begegneten sie der Bäuerin.


// 2038 //

»Wohin?« fragte sie.

»Zum Doctor hinaufi,« antwortete Sepp.

»Wohl wegen der Augen?«

»Ja.«

»Da wünsche ich viel Glück!«

Sie sagte das in einem Tone, welcher theilnehmend sein sollte, aber die Beiden hörten doch einen nicht ganz zu unterdrückenden Hohn hindurchklingen.

Als sie in das Zimmer Ludwigs traten, welches deshalb zu der Untersuchung gewählt worden war, weil es mehr Helligkeit als jedes andere besaß, hatte der Arzt seine Instrumente auf dem Tisch ausgebreitet.

»Kronenbauer,« sagte er, »ich möchte einmal Ihre Augen untersuchen. Wollen Sie mir das erlauben?«

Der Gefragte dachte an seinen Traum. Er lauschte mit angehaltenem Athem dem Klange dieser Stimme und antwortete in vibrirendem Tone:

»Herrgott! Wie gern!«

»So kommen Sie her; setzen Sie sich!«

Er nahm ihn bei der Hand und führte ihn zum Stuhle. Als er nun den Kopf des Blinden in die richtige Lage gebracht hatte, begann er die Untersuchung. Er ging bei derselben ungemein sicher zu Werke und bediente sich dabei nach einander des Refractions-Ophthalmoskop von Coccius, Meierstein und Giraud-Teulon.

Es dauerte geraume Zeit, ehe er fertig war; dann nickte er befriedigt lächelnd dem Könige zu. Dieser winkte ihn ein Stück ab und fragte leise:

»Wie steht es?«

»Viel besser, als ich nach der Betrachtung mit dem blosen Auge denken konnte. Die Pistole ist nicht mit Vogeldunst geladen gewesen. Was in das Auge eindrang, das waren nur un- oder halbverbrannte Pulverkörner.«

»So ist kein edler Theil verletzt?«

»Doch, aber nicht so, daß es keine Hilfe gebe. Die Hornhaut steckt voller schwarzer Pulverpünktchen, welche sogar theilweise in die vordere Augenkammer eingedrungen sind; aber die Linse ist unverletzt, und das ist die Hauptsache.«

»So ist Hilfe möglich?«

»Sogar sehr leicht. Ich habe das Pulver zu entfernen, jedes Pünktchen einzeln, wozu nichts erforderlich ist, als eine feste, sichere Hand.«

»Aber die Schmerzen!«

»Es giebt keine. Ich kann hier unsere allerneueste Entdeckung anwenden, indem ich die örtlichen Empfindungsnerven während der Operation außer Thätigkeit setze. Der Patient fühlt nichts, gar nichts. Er wird gar nicht merken, daß ich mit der Pincette in seinem Auge arbeite.«

»Und wie lange wird es dauern?«

»Sicherlich über zwei Stunden.«

»So beginnen Sie. Sagen Sie ihm aber nichts!«


// 2039 //

Der alte Sepp hatte in der Nähe gestanden und jedes Wort gehört. Sein Herz hüpfte vor Freude über diesen außerordentlich günstigen ärztlichen Ausspruch. Er hätte am Liebsten den Geheimrath laut jubelnd umarmen mögen.

Dieser Letztere trat wieder zu dem Blinden zurück.

»Nicht wahr, es steht schlimm?« fragte dieser.

Er hatte die Herren flüstern hören und glaubte, wenn sie etwas Gutes zu sagen gehabt hätten, so wäre es laut geschehen.

»Das möchte ich doch nicht sagen,« antwortete der Arzt freundlich. »Ich habe mich bisher nur über das Allgemeinbefinden der Augen überzeugen können. Der Nerv ist noch in Thätigkeit; das Pigment ist empfänglich. Aber das Pulver, das Pulver! Es hat vielleicht alles Andere zerstört. Um darüber urtheilen zu können, muß ich Sie einer noch eingehenderen Untersuchung unterwerfen, und ich glaube nicht, daß Sie die dazu nöthige Geduld haben werden.«

»Lieber Herr, wann Einer blind ist, so hat er wohl lernen müssen, geduldig zu sein.«

»Es wird vielleicht über zwei Stunden dauern, Kronenbauer.«

»Herrgott! Ich halt gern zwei Jahre her, um nur zu derfahren, ob noch eine kleine Hoffnung vorhanden ist oder nicht.«

»Nun, so wollen wir es versuchen. Der Sepp hat eine stille Hand, er mag Ihren Kopf mit halten.«

Der Blinde wurde in die richtige Lage gebracht. Sepp unterstützte ihn. Später gab selbst der König seine Hand dazu her. Dann nahm der Arzt ein kleines Pinselchen in die Hand, tauchte es in eine Flüssigkeit, welche sich in einer Phiole befand, und sagte dann:

»So wollen wir mit Gottes Hilfe beginnen!«

Der Blinde hatte aus diesen Worten errathen können, daß man im Begriff stehe, eine Operation vorzunehmen; aber er dachte das nicht. Er dachte überhaupt gar nichts, und wenn er ja an Etwas dachte, so war es nur daran, recht still zu halten.

Der Arzt ließ einen Tropfen dieser Flüssigkeit vermittelst des Pinsels auf den Augapfel fallen, wodurch derselbe das Gefühl für die Pincettenstiche verlor. Dann begann die eigentliche Arbeit.

Sie war minutiös und mühevoll. Dem Geheimrath gingen sehr oft die Augen über, so daß er sie eine Zeit lang ausruhen lassen mußte; endlich aber, endlich war er fertig.

»Gelungen!« hätte er jubeln mögen.

Aber er rief dieses Wort nicht aus; er nickte es nur den Beiden heimlich zu. Wenn die Haut nicht durch die Stiche gereizt worden wäre und in Folge dessen sich in geschwollenem Zustande befunden hätte, so hätte der Bauer bereits jetzt wieder sehen können.

Er bekam eine kühlende Flüssigkeit eingeträufelt und dann wurden ihm beide Augen mit einer Binde, welche der Arzt zu diesem Zwecke mitgebracht hatte, dicht verbunden.


// 2040 //

»Wozu das?« fragte der Bauer. »Ich hab doch jetzt auch keine Binde habt!«

»Jetzt ist sie für kurze Zeit nöthig, da ich mit meinen Instrumenten Ihr Auge zu sehr angegriffen habe.«

»So! Wie stehts denn nun? Nicht wahr, ich muß blind bleiben?«

»Das behaupte ich keineswegs. Noch aber kann ich kein Urtheil fällen. Ihre Augen müssen sich erst beruhigen; dann sehe ich sie mir nochmals an.«

Da stand der Kronenbauer langsam vom Stuhle auf, drehte sich zu dem Sprechenden um und sagte langsam und gewichtig:

»Herr Doctor, wissens halt, was nachhero kommt, wann man das Augenlicht verloren hat?«

»Nun, was?«

»Dann wird alles Andere desto schärfer.«

»Das weiß ich wohl.«

»Das Gehör, das Gefühl, der Geruch und der Geschmack. Mein Gehör ist, seit ich blind bin, so scharf worden, daß ich auch Alles hör, was ich nicht hören soll. Ich erkenn an dera Stimm des Menschen, was er denkt, und so hab ichs auch dera Ihrigen anhört, wie es mit mir steht.«

»Das bezweifle ich,« lächelte der Arzt.

»O, ich weiß es ganz genau!«

»Nun, so sagen Sie es!«

»Ja, ja, ich will es sagen!«

Und in wirklich jubelndem Tone fuhr er fort:

»Sepp, Sepp, hab ichs nicht sagt, daß es die Stimmen der beiden Herren sind, von denen ich träumt hab? Ich irr mich nicht; es ist ganz gewiß, mein Traum geht in Erfüllung. Ich werd wieder sehen können!«

Er wartete, was man dazu sagen werde, und da Niemand antwortete, so fragte er:

»Herr Doctor, habens etwan das Herz, Nein zu sagen?«

»Nein, das habe ich nicht; aber ich kann auch noch nicht Ja sagen.«

»O, Sie könnens, Sie könnens, wanns nur wollen! Herrgott, warum soll mir so eine Freuden verschwiegen werden? Warum soll ich in so einem entsetzlichen Zweifel bleiben! Wann die Herren Menschen sind und ein Gefühl im Herzen haben, so werden sie mir die Wahrheit sagen.«

Da konnte der König es nicht über das Herz bringen; er legte ihm die Hand auf die Schulter und sagte mild:

»Kronenbauer, beruhigen Sie sich!«

»Die Stimm, die Stimm!« flüsterte dieser wie abwesend.

»Was meinen Sie mit meiner Stimme?«

»Sie ists, sie ists!«

Da erklärte Sepp die Sache. Er erzählte, was der Bauer geträumt hatte.

»Ja,« bestätigte dieser am Schlusse. »Das ist mir im Traum vorgekommen und den hat mir der liebe Herrgott gesandt. Jetzt, wanns den Muth dazu haben, da sagens mir, daß ich blind bleiben muß!«


Ende der fünfundachtzigsten Lieferung - Fortsetzung folgt.



Karl May: Der Weg zum Glück

Karl May – Forschung und Werk