Lieferung 79

Karl May

28. Januar 1888

Der Weg zum Glück.

Vom Verfasser des »Waldröschen«, »Verlorner Sohn«, »Deutsche Helden« etc.


// 1873 //

hab. Aberst sie sind nicht alle aufs Maul kommen, sondern viele auch daneben.«

»Schön, sehr schön!«

»Dann hat er eine Ohrwatschen erhalten, daß er sich gleich niedersetzt hat. Da hat er mich in Ruhe lassen.«

»Und er hat geglaubt, die Bäuerin sei es?«

»Ja. Er hat ihr guten Worten geben und immer zu ihr wollt. Da hat sie mich in ihre Stuben than, und als er dann kommen ist, da hat ers nicht sehen, daß es eine Andere ist, denn Licht ist nicht da gewest, und redet hab ich auch kein Wort. Nachhero am Morgen haben wir ihn wieder ausilassen.«

»Also so, so ist das! Das ist herrlich; das kann mich gefreun, das - - halt, Baumeister, wohin?«

Der Baumeister hatte es nicht länger ausgehalten. Er hatte die Zügel und die Peitsche ergriffen, war in den Wagen gestiegen und schlug nun auf sein altes Thier los, um es schleunigst von der Stelle zu bringen. Der Gaul zog aber nicht an.

»Fort,« antwortete der Gefragte.

»Bleib doch da!« rief der Sepp. »Jetzt, wie die Sach stehen thut, kannst getrost da bleiben. Es geschieht Dir nix.«

»Danke, danke! Hüh, hott, hüh!«

Der Gaul wendete sich nach rechts und links, kam aber nicht vorwärts.

»Steig nur wieder heraus. Bist jetzund Allen willkommen.«

»Bitte, bitte! Hier ist die Gegend, wo es Maulschellen schneit. Also, Kronenbauer, jetzt sitz ich im Wagen, und da läßt sich leichter reden. Deine Frau war es nicht, sondern diese verteufelte Christel ists gewesen. Mag sie der Kukuk holen.«

Ein allgemeines, schallendes Gelächter war die Antwort. Selbst der Blinde lachte mit. Das Herz war ihm ja nun erleichtert. Der Sepp aber brüllte förmlich vor Lachen.

»Die Christel, die Christel!« schrie er, indem er vor Vergnügen mit beiden Händen sich auf die nackten Knie trommelte. »Die Christel mit dera Bäuerin zu verwechseln.«

Dem Baumeister, welcher sich noch immer vergeblich bemühte, sein Pferd von der Stelle zu bringen, gab die Geschichte jetzt selbst Spaß.

»Ja,« lachte er. »Ich kann es auch nicht begreifen.«

»Hast denn keine Nas mit habt?«

»Die hat ich freilich mit.«

»So mußts doch rochen haben!«

»Unsinn! Wer verliebt ist, der riecht nichts mehr.«

»So! Auch das ist gut. Na, mir sollt die Christel nicht kommen, ich thäts schon gleich wittern. Schau, wast für ein armer Teuxel bist! Da hast nun die Ohrfeigen um Nix erhalten.«

»Leider. Drum hoffe ich, daß der Bauer mir verzeihen wird.«


// 1874 //

»Ja,« rief der Genannte, »steig aus dem Wagen und gieb mir die Hand. Kannst da bleiben. Wir trinken ein Bier.«

»Danke, danke! Bei Euch ist das Wetter zu veränderlich. Später komme ich vielleicht einmal wieder.«

»Wann ich wieder was zu bauen hab!«

»Ja, da läßt Du es mich wissen. Also Adjeh jetzt. Hüh, hott, hüh! Donnerwetter, was hat nur das Vieh?«

»Das Vieh hat nix,« erklärte Fritz; »aberst Du hast die Zügel falsch.«

»Falsch? Wieso denn?«

»Hast sie ja übers Kreuz nommen, den rechten links und den linken rechts. Schaust es denn nicht?«

»Ich denk, das muß so sein!«

»Unsinn.«

»Warum heißt es denn Kreuzzügel?«

»Bei zweien Pferden. Da ists ein Anderes. So, wannst rechts ziehst, läufts doch nach links, und wannst nach links willst, so gehts nach rechts.«

»Ach so! Es will Alles gelernt sein, sogar das Fahren.«

»Und doch gehts dabei wie bei dera Liebe, man fahrt zuweilen schief.«

»Ja, das habe ich an mir gemerkt. Na also, nichts für ungut! Lebt wohl.«

Ein allgemeines fröhliches Lebewohl wurde ihm nachgerufen, als er jetzt mit seinem Klepper davon fuhr.

»Dera Kerl ist nicht so schlimm, wie ich dachte,« lachte der Sepp. »Aber ein Hasenfuß ohne Gleichen - bei seiner Größe und Stärke. Aberst heut gehts hier grad wie bei einem Bienenstock. Kaum ist Einer fort, so kommt dafür ein Anderer. Wer kommt denn dort geritten?«

»Das ist dera Herr Offizier, welcher bei uns wohnt,« erklärte der Knecht.

»Welchen Rang hat er?«

»Oberlieutenant.«

»Und wie heißt er?«

»Graf von Münzer.«

»Ah, hm, hm, hm!« nickte der Alte. »Da werd ich nun endlich Platz machen.«

»Kannst sitzen bleiben,« bedeutete ihm der Bauer.

»So kommt er nicht her?«

»Er wird her kommen; aber er hat Platz. Sein Diener bringt stets einen weichen Lehnstuhl getragen.«

»Aberst ich bin ihm nicht vornehm genug.«

»Wannst ihm nicht passest, so mag er fortbleiben. Du bist mir lieber als der Graf. Nicht wahr, Kätherl?«

»Ja,« antwortete sie.

Sie konnte nämlich den Oberlieutenant nicht leiden. Warum? Er bekümmerte sich nicht um sie. Ihre Schönheit war ihm etwas so ganz und gar Gleichgiltiges, daß sie sich ärgerte, so oft sie ihn erblickte.


// 1875 //

Als er herankam, hielt er sein Pferd an, bevor er in den Hof einritt, und musterte die Gesellschaft.

Er war eine lang aufgeschossene, hagere Gestalt mit spitzer Nase, breitem, lippenlosem Munde. Sein Haar war hinten in einem scharfen Strich abgetheilt. Die Spitzen seines langen, aber dünnen Schnurrbartes standen steif empor. Ein Monocle war in das rechte Auge geklemmt.

Er hatte ein höchst kriegerisches Aussehen. Er trug den Degen, in dessen Koppel zwei Revolver steckten. Am Sattel war außerdem ein Doppelgewehr befestigt.

Stolz, Ahnenstolz war der ausgeprägteste Zug seines Characters. Das war ihm leicht anzusehen. Es war auch in Folge dessen eine unendliche Herablassung, welche aus seiner Stimme klang, als er jetzt die Anwesenden grüßte:

»Bon jour, bon jour! Familie beisammen? Aeh, äh! Auch Gast da, neuer Gast?«

Er fuchtelte dabei mit der Reitpeitsche nach dem Wurzelsepp hinüber.

»Bon jour, bon jour!« antwortete dieser. »So neu bin ich halt nicht hier.«

Der Offizier machte ein sehr betretenes Gesicht, daß der Alte so frei war, diese französischen Worte zu wiederholen.

»So! Wer ist man denn? Aeh, äh!«

»Ich bin ein Handelsmann.«

»Aeh, äh! Und womit handelt man? Zum Beispiel? Vielleicht kann man bei mir Etwas los werden.«

»Sollt mich freuen, denn heut handle ich gerad mit Flöhen.«

Dabei kratzte er sich auf dem Buckel.

»Mille tonnerres! Spricht dieser Mensch vom Ungeziefer zu mir. Scheint ein feiner Schwiemel zu sein.«

»O nein! Schwiemeln thu ich schon; aberst fein bin ich nicht.«

»Sehe es und höre es. Kann Er nicht anders antworten - äh - äh - wenn ein gebildeter Mann mit ihm spricht?«

»O ja!«

»Weiß er, wer ich bin?«

»Sehr gut. Sie sind dera Herr Oberlieutenant Graf Arthur Wipprecht von Münzer, Hochgeboren.«

Da fuhr der Graf noch höher, als er so schon war, in seinem Sattel auf.

»Arthur - Wipprecht - äh - äh - stimmt auffällig. Wer hat Ihm meinen vollständigen Namen gesagt?«

»Niemand hier.«

»Niemand? Aeh, äh! Woher kennt Er ihn denn?«

»Die gnädige Comtesse, Fräulein Schwester, hat ihn mir nannt.«

»Was! Er kennt meine Schwester?«

»Sehr gut.«

»Woher denn eigentlich?«

»O, ich hab ihr gar manch ein Schnadahüpfl auf dera Zither vorspielt.«


// 1876 //

»Er? Meiner Schwester? Der Comtesse?«

»Jawohl!«

»Wer ist Er denn eigentlich, äh, äh? Wie ist Sein Name?«

»Ich heiße Josef Brendel. Gewöhnlich aberst werd ich dera Wurzelsepp nannt.«

»Wurzelsepp! Verdammt wurzlicher und knolliger Name. Aber freut mich, freut mich. Kenne Dich bereits, alter Schwede! Aeh, äh!«

»Sie mich? Woher wollens mich kennen?«

»Eben von meiner Schwester. Sie hat mir von Dir erzählt. Hat viel Wohlgefallen an Dir gefunden. Sollst ein sonderbarer Kauz sein. Ists wahr? Aeh, äh!«

Dieses Aeh, äh war jenes langgezogene, eigenthümliche Räuspern, welches manchen Offizieren eigen ist. Bei Angehörigen anderen Standes pflegt man es wohl kaum zu finden.

»Ich, ein sonderbarer Kauz? Hm! Wenn alle Leutln so sonderbare Kauzen wären wie ich, so thät dera Herrgott vielleicht mehr Freud an denen Menschenkindern derleben als bisher.«

»So! Scheinst viel von Dir zu halten!«

»Das ist wahr. Man soll auf dera Welt möglichst viel von sich selberst und möglichst wenig von Anderen halten.«

»Hast Recht, hast Recht! Was hältst Du da von mir?«

»Bis jetzund noch gar nix.«

»Donnerwetter! Dein Ruf sagt nicht zu viel von Dir. Kerl, Du gefällst mir. Bleib hier sitzen. Ich komme auch gleich wieder. Kannst ein Glas Wein mit mir trinken.«

»Liegt mir nicht viel daran!«

»So! Wein trinken mit einem Grafen.«

»Hab ihn schon noch mit anderen Kerlen trunken. Ein Topf Buttermilch mit einem Tagelöhner schmeckt auch gut.«

»Famos, famos! Bist ein tüchtiger Kerl. Warte nur; ich komme gleich wieder.«

Er ritt sein Pferd in den Hof und ging dann nach seiner Wohnung, um abzulegen.

»Sepp,« sagte der Bauer. »Darfst nicht gar so grob sein. Solche feine Herren wollen anders angesprochen werden.«

»Meinst? Oho! Ich weiß mit solchen Leutln umzuspringen. Das lernt mir Keiner erst. Die wollen grad recht grob behandelt sein. Fein haben sie es immer. Das bekommen sie zum Ueberdruß. Wann ich hätt immer fein sein wollen, so wär ich jetzund gar nicht dera berühmte Kerl, der ich worden bin. Hasts doch hört.«

»Ja, hört haben wir es wieder mal, daßt allüberall bekannt bist. Aberst das brauchen wir gar nicht zu hören, sondern das wissen wir so bereits. Es scheint, daß dera Graf sein Wohlgefallen an Dir funden hat.«

»Meinst?«


// 1877 //

»Ja. So hat er noch nicht sprochen, so lange er hier bei uns wohnt. Nimms in Acht, Sepp! Wer weiß, was so ein hoher Herr Dir für einen Nutzen bringen kann.«

»Ich ihm vielleicht mehr als er mir.«

»Schneidst wiederum mal aufi!«

»Nein. Es ist mir schon oft begegnet, daß ein armer Teuxel einem Vornehmen mehr Nutzen bracht hat, als dieser ihm.«

Dabei blieb er. Das war nun einmal seine Ansicht, von welcher er sich nicht abbringen ließ.

Nach einiger Zeit kam der Offizier. Sein Bursche trug ihm eine Flasche mit zwei Gläsern nach. Auch einen Polsterstuhl hatte er, den feinsten, welchen die Bäuerin hatte auftreiben können.

Er setzte sich mit an den Tisch, schenkte zwei Gläser voll, schob dem Sepp eins hin und sagte:

»Hier, altes Haus, trink mit, und denk meinswegen, es sei Buttermilch!«

»Na, verachten grad thu ich ihn nicht. Nur müssens mir sagen, auf wessen Wohl wir trinken wollen.«

»Auf das Deinige!«

»Da mach ich nicht mit, sonst sauf ich so viel auf mein Wohl, daß ich schließlich ganz und gar unwohl werd.«

»So trink auf dasjenige Deiner Herzallerliebsten! Hast keine mehr?«

»O, ich hab eine. Wanns mir da einen Gefallen thun wollen, Herr Oberlieutenant, so trinkens auch mit.«

»Schön! Wie heißt sie?«

»Leni.«

»Schön, mein Sohn! Also Deine Leni soll leben!«

»Ja, sie soll leben, tausendmal hoch!«

Sie stießen an, und der Sepp trank sein Glas leer.

»Tausendmal! Uebertreib es nicht. Sie hat sonst zu viel zu steigen.«

»Das thut nix. Das Steigen ist sie ja gewohnt. Sie war halt eine Sennerin.«

»Eine Sennerin?«

»Sie war eine. Aber jetzt ist sie keine mehr.«

»Das läßt sich denken, in den Jahren!«

»Was? Jahren? Wie alt soll sie denn da sein?«

»Nun, wenn sie Deine Leni ist, so läßt sie sich bis auf Siebzig taxiren. Wieviel Urenkel hat sie bereits?«

»Ja Urenkel! Da hats nicht einschnappt. Die ist noch gar nicht mal verheirathet.«

»Was! Ein Mädchen?«

»Ja.«

»Aber ein altes.«

»Nein. Die Leni ist das allerschönst Dirndl weit und breit. Auf denen bayrischen Bergen hats noch niemals so eine Sennerin geben.«

»Großartig, wenn es wahr ist.«

»Es ist wahr!«


// 1878 //

»So möchte ich sie doch einmal sehen.«

»Vielleicht habens sie schon sehen. Wann auch nicht in Person, sondern in dera Photographie. Sie wird bereits allüberall verkauft.«

»Deine Leni? Eine Sennerin?«

»Ja.«

»Wie ist denn ihr eigentlicher Name?«

»Magdalena Berghuber. Daheim hieß sie die Muren Leni, nun aber hat sie daraus Mureni macht.«

Da fuhr der Offizier vom Stuhle empor.

»Mureni! Die Sängerin?«

»Ja.«

»Alle Teufel! Wegen der bin ich doch - - Die kennst Du also?«

Wenn er seinen Satz hätte aussprechen wollen, so hätte er sagen müssen:

»Wegen der bin ich doch hierher geschickt worden. Ich habe ihretwegen einem Kameraden ein Wenig Blut abgezapft. Das ist zwar glücklich vertuscht worden; aber man rieth mir, für einige Zeit auf's Land zu gehen. Und damit ich nicht aus der dienstlichen Uebung komme, hat man mich nach diesem liebenswürdigen Erdenwinkel geschickt, damit ich den noch viel liebenswürdigeren Samiel fangen soll.«

»Und ob ich sie kenne,« antwortete der Sepp. »Ich bin doch ihr Pathe und auch ihr Pflegevatern.«

»Ach so! Ists möglich!«

Er betrachtete den Sepp mit Augen, in denen deutlich zu lesen war, daß ihm die Pflegetochter noch viel interessanter vorkomme als der Pflegevater.

»Freilich ists möglich. Wollens wohl nicht glauben?«

»Oui, ich glaube es. Ich hab gehört, daß sie von niedrigster Geburt sein soll. Aeh, äh. Ists wahr?«

»Nein, sondern sie ist von allerhöchster Geburt.«

»Ah! Wie ist das möglich?«

»Weils droben in denen Alpen zur Welt kommen ist. Ist Ihnen das hoch genug?«

»Oui! An diese Art von Höhe habe ich freilich nicht gedacht. Wenn es darnach ginge, wie hoch über dem Meeresspiegel man das Licht der Welt erblickt, so würden alle Mütter auf den Chimporasso steigen, um dort das hübsche Fest ihrer Entbindung zu feiern. Was war denn ihr Vater?«

»Ein Bayer.«

»Unsinn, Alter! Ich meine, welches Gewerbe er trieb.«

»Es war halt ein armer Handwerksmann, wie es im lieben Bayernland gar so viele giebt. Als er starb und die Mutter auch, hab ich mich des Dirndls angenommen.«

»Und sie zur Sängerin ausbilden lassen? Aeh - äh!«

»Dazu reichts bei mir nicht aus.«

»Ja. Ich habe gehört, daß sich höchste Herrschaften für sie interessirt haben?«


// 1879 //

»Wui! Dera König selberst hat ihr das Singen lehren lassen.«

»Sapperment! Wie ist sie zum König gekommen?«

»Sie zu ihm? Nein; er kam zu ihr.«

»Querkopf! Also hat der König sie ganz zufällig getroffen?«

»Ja.«

»Verdammt! Wenn ich es gewesen wäre, der sie zum ersten Male traf! Ich hätte dafür gesorgt, daß sie von keinem Zweiten gefunden wurde.«

»Wie hättens das anfangt?«

»Ich hätte sie entführt und versteckt.«

»Ja, die Leni, die ist die Richtige zum Verführen. Wanns davon zu ihr sprochen hätten, so hättens für Maulschellen nicht zu sorgen braucht.«

»Sapperment! Ist sie giftig?«

»Nein. Sie ist eine Seele von einem Dirndl; aberst thun darf man ihr nix.«

»Hat sie, als sie noch Dirndl war, auch einen Buben gehabt?«

»Ja.«

»O weh! Was war er?«

»Wildschütz.«

»Alle Teufel! Die Geschichte wird weiß Gott immer interessanter. Jetzt mag sie wohl nichts mehr von ihm wissen?«

»Nein, sondern er mag nix von ihr hören.«

»Mensch! Halbgott! Affe! Bist Du des Teufels!«

»Teufel! Mensch! Bist etwan ein Affe! Wozu brauchen denn Sie das Alles zu wissen?«

»Weil ich mich riesig für sie interessire.«

»So! Weiter nix?«

»Was verlangst Du weiter, zürnender Zeus?«

»Haltens den Schnabel mit diesen fremden Worten. Sie sind zu nix nütze. Redens deutsch, daß man sich nicht mit Ihnen zu schämen braucht.«

Der Graf wußte nicht, wie er diese Lection aufnehmen solle. War sie ein Ausfluß eines kindlich unbefangenen, derben Biedersinnes, oder sprach aus dem Alten nur eine berechnende Unverschämtheit?

Aber der Sepp hatte ein so ernstes, eifriges Gesicht gemacht, daß der Offizier gar nicht dazu kam, ihm bös zu werden. Er erklärte ihm:

»Ich kenne nämlich die Mureni.«

»So! Habens mit ihr sprochen?«

»Ja. Auf einer Soiree wurde ich ihr vorgestellt.«

»Ja, diesen Schnickschnack muß sie jetzunder besuchen; aberst gern thut sie es nicht etwan. Wann ich mal einige Tagen bei ihr bin, so kommts gar nicht aus dem Haus.«

»So! Was thut sie da?«

»Was solls thun? Sie zieht ihren kurzen Alpenrock an, setzt ihr kleines Sennerhüterl aufi und dann sind wir beisammen, und ich muß verzählen von Allem, was ich inzwischen derlebt und derfahren habe.«

»Kurios!«


// 1880 //

»Das ist gar nicht kurios! Verstehens! Ich wollts dera Leni gar nicht rathen, wanns mir stolz werden wollt und die Alpe vergessen und ihre frühere Armuth und vielleichten gar auch noch den alten Wurzelsepp.«

»Hm! Aber wenn Du sie besuchst, stören darfst Du sie trotzdem nicht?«

»Stören? Wie könnt dera Sepp sie stören! Nein, uns darf Niemand stören. Sie schließt Alles zu, daß Niemand herein kann.«

»Aber wenn nun vornehmer Besuch kommt!«

»Vornehm? Was ist vornehm?«

»Nun, zum Beispiel ein Graf?«

»Den thut sie einfach zur Treppe hinunterschmeißen lassen. Wann ich einmal da bin, so will sie nur mich haben. Höchstens noch diejenigen Personen, die ich mitbringen thu.«

»Sapristi! Sepp, was verlangst Du von mir, wenn Du mich einmal mitnimmst?«

»Verlangen? Was soll ich verlangen?«

»Nun, Geld. Du willst doch auch Etwas verdienen. Ich zahle gut.«

»Hörens, ich auch. Ich zahl vielleichten noch besser als Sie, aberst in einer ganz anderen Münz. Die Ihrige klingt, und die meinige klatscht.«

»Klatscht! Aeh, äh! Du drückst Dich wirklich ein Wenig zu unpoetisch aus.«

»Aberst desto verständlicher. Meinens etwan, daß ich mich durch Geld veranlassen lasse, der Leni einen Menschen zu bringen, der nix werth ist? O nein, da kennens mich und sie gar schlecht.«

»Nun, ich hoffe doch nicht, daß ich nichts werth bin.«

»Viel aber auch nicht.«

Jetzt lachte der Oberlieutenant aus vollem Halse. So eine Aufrichtigkeit war ihm doch noch nicht vorgekommen. Darum wuchs seine gute Laune schnell an.

»Sepp,« sagte er. »Ich will Dir eine Bitte vortragen.«

»Nun, tragens her und legens da auf den Tisch.«

»Also, ich habe die Mureni gesehen.«

»So! Das weiß ich bereits.«

»Sogar auch gesprochen.«

»Sehr schön!«

»Sie sehen und lieben war natürlich Eins.«

»Eins? Dazu gehört dreierlei.«

»Was?«

»Sehen, Lieben und zur Treppe nunter worfen werden.«

»Sei kein Barbar! Ich will Dir aufrichtig gestehen, daß ich mir alle Mühe gegeben habe, bei ihr vorzukommen.«

»Das ist schwerer als wieder hinauszukommen.«

»Ja, leider. Meine Bemühungen waren vergebens.«

»Freut mich!«

»Was! Das freut Dich?«


// 1881 //

»Natürlich! Sie ist ein braves Dirndl.«

»Das ist Schadenfreude. Und da trinkst Du meinen Wein mit aus.«

»Hier habens Ihr Gläserl wieder. Ich brauch den Fusel nicht.«

»Sepp, bleib doch bei Verstand!«

»Und kommens zu Verstand!«

»Ich bin dabei. Ich sage Dir, daß ich zum Juwelier gegangen bin und Geschmeide gekauft habe, um es ihr zu schicken.«

»Hat sie es behalten?«

»Gar nicht angenommen.«

»Ja, sie ist ein Blitzmadel.«

»Ein Blitzmadel stelle ich mir anders vor.«

»Wie denn?«

»Die theilt keine Ohrfeigen aus, hat alle Tage einen Anderen und - - -«

»Und wird dafür auch von Allen sitzen lassen. Ich danke schön für so eine Art von Blitzmadel. Das könnt mein Geschmack sein! Pfui Teuxel!«

»Ueber die verschiedenen Richtungen des Geschmackes läßt sich ja nicht streiten. Also höre: Es ist alles vergeblich gewesen, mich der Mureni zu nähern. Jetzt nun will ich das Allerletzte versuchen.«

»Was ist das?«

»Du bist es.«

»Ich? Ich bin das Allerletzte. Das ist sehr gut. Das kann mich gefreun.«

»Siehst Du! Mich gefreuts auch. Also ich werde mich hinter Dich stecken. Du machst den Schleppdampfer und bugsirst mich glücklich in den Hafen Deiner Pflegetochter.«

»Schön! Aberst wollens mir vorher sagen, was Sie dort wollen?«

»Wollen? Aeh, äh! Was denn wollen?«

»Na, zum Donnerwetter! Sie müssen doch dort was wollen! Wozu gehens denn hin?«

»Komische Frage! Um mich zu amüsiren.«

»So! Weiter nix?«

»Nein.«

»Wollens sie etwan heirathen?«

»Das wäre die Liebe doch etwas zu materiell genommen.«

»So! Dann bleibens lieber weg, sonst werdens noch viel materieller genommen. Die Mureni ist keine Person, die für einen Jeden da ist.«

»Aber, Sepp, bedenke: Ein Graf!«

»Was ist denn das weiter, ein Graf! Er ist ganz dasselbige Menschenkind wie ein jeder Andere.«

»Bitte, bitte! Blaues Blut!«

»Ja, blaues Blut und rothe Hanswurstnase. Beweisens mir doch, daß ein Graf was Anderes ist als ein anderer Mensch. Wann ihn dera Stiefel drückt, bekommt er Hühneraugen. Wann er Kirschen, Sauerkraut, Bier, Kuchen und unreifen Kürbisbrei unter nander ißt, so gehts ihm darnach wie jeden Anderen auch. Kämmt er sich nicht, so bekommt er Ungeziefer; und lauft er


// 1882 //

nackend im Winter, so derfriert er die Vorder- und Hinterfüßen. Er ist also gar nix anderes. Und da soll die Mureni denken, einen Grafen müßt sie zu sich lassen? Nein. Die vornehmen Herren sind oft die größten Lumpen.«

»Sepp!«

»Was?«

»Vergiß Dich nicht!«

»Das thu ich nie.«

»Es scheint aber so.«

»Ja, wanns mich in den Harnisch bringen und nicht aufhören mit diesen Sachen, so könnens von mir was zu hören bekommen.«

»So wird es besser sein, wir brechen ab.«

»Das ist mir sehr recht.«

»Wir können ja später wieder einmal davon sprechen.«

»Lieber gar nicht wieder. Die Leni hat nicht die mindeste Lust, die Moden dera Sängerinnen mitzumachen, welche nix lernen und sich von den Herren, mit denens schameriren, ernähren lassen. Sie hat was lernt und lebt nur für ihre Kunst. Wann da Einer käm, ders heirathen wollt, der müßt schon Haaren auf den Zähnen haben. Und wann gar Einer käm, der sich nur eine Pläsiren mit ihr machen wollt, der müßt vorher seine Knochen zu Haus lassen, damit sie ihm nicht zerschlagen werden. Wann er zur Hausthür herauskäm, müßten die Leutln denken, er sei in einer Knochenmühlen gewest.«

»Ist das denn gar so schlimm?«

»Schlimm? Nein, gut ists. Also gebens sich keine Mühen mit dera Leni. Gebens sich lieberst die rechte Mühen, den Samiel zu fangen. Da tragens viel mehr Ehren davon. Das kann ich Ihnen rathen!«

Der Graf machte bei der Eröffnung, die ihm hier wurde, ein sehr zweifelhaftes Gesicht. Er wäre vielleicht gegen den derben Alten losgebrochen. Zum Glücke aber erwähnte derselbe den Samiel, und sofort erheiterten sich die Züge des Offiziers. Es war ja der Gedanke, den Samiel zu fangen, von ihm mit einer wahren Leidenschaft ergriffen und verfolgt worden.

»Der!« sagte er. »Der wird nicht mehr lange hier herumlaufen.«

»Meinens wirklich?«

»Ja, ich bin nicht umsonst hierher gekommen. Ich muß ihn haben.«

»Das klingt wohl gut. Wenn Sie es aberst nur auch fertig bringen!«

»Fertig bringen? Daran ist gar kein Zweifel zu hegen.«

»Oho! Schwer genug ist es.«

»Für mich nicht. Ich kann ja gar nicht anders. Ich kann nicht zurück, denn ich habe die Schiffe hinter mir verbrannt.«

»Was! Schiffe habens verbrannt?«

»Ja.«

»Habens Ihnen gehört?«

»Nein.«

»Und das sagens so ruhig? Ein Mordbrenner sinds? Donnerwetter!


// 1883 //

Wenn das die Polizeien derfährt! Vielleichten wird dera Brandstifter schon sucht. Sie wollen den Samiel fangen und sind nun selbst so ein Bösewicht.«

Der sonst so stolze Graf lachte, daß ihm die Thränen in die Augen traten.

»Und da lachens auch noch!« rief der alte Sepp zornig. »Das Lachen wird Ihnen schon vergehen! Denkens, weils ein Graf sind, daß Sie Schiffe verbrennen dürfen? Wer weiß, wie viele arme Menschenwürmer dabei umkommen sind!«

»Aber Sepp, so schweig doch!« sagte der viel belesene Fritz, welcher sehr wohl wußte, was die vom Grafen angezogene Redensart zu bedeuten hatte.

»Was, auch noch schweigen soll ich!«

»Es ist ja nur eine Redensart.«

»Desto schlimmer, wenn man wegen einer Redensart die Schiffe vermordbrennern thut!«

»Du regst Dich ganz vergeblich auf - - -«

»Vergeblich?« fiel der Alte ein. »Wirsts schon derfahren, obs vergeblich ist oder nicht. Es kann mich aberst von Dir wundern, daßt den Verbrecher mit vertheidigen willst. Das hab ich nicht denkt von Dir, dert sonsten so ein braver Kerlen bist.«

»Hör mal, ich muß es Dir verzählen. Es war mal ein Feldherr - - -«

»Laß mich aus mit Deinem Feldherr! Hier ist die Red von einer Brandstiftereien auf der See!«

»Hör doch nur weiter!«

»Hab keine Lust dazu!«

»Ich wills Dir doch verklären.«

»Dauerts lang?«

»Nein.«

»So magst meinetwegen reden. Aberst mich kriegst nicht herum! Anzeige werd ich machen auf alle Fälle!«

»Wirsts schon unterbleiben lassen.«

Da schlug der Sepp mit der Faust auf den Tisch und rief:

»Nein. Ich laß es nicht unterbleiben! Dera Kerl muß bestraft werden. Dein Feldherr mag heißen, wie er will!«

»Wie er heißen hat, das weiß ich nicht mehr. Er fuhr mit Schiffen in ein ander Land, um es zu erobern. Er wurde von einer übermächtigen Anzahl der Feinde zu einer Schlacht gezwungen. Am Abend vor der Schlacht hörte er, daß seine Krieger sich vor der Uebermacht der Feinde fürchteten. Sie wollten auf die Schiffe fliehen und mit diesen ausreißen - -«

»Das waren feige Hallunken! Einen Feldherrn darf man nicht so ehrlos im Stiche lassen! Wußt er, daß sie das thun wollten?«

»Er erfuhr es noch zur rechten Zeit.«

»Das war gut. Was hat er than?«

»Er ließ sofort alle Schiffe verbrennen!«


// 1884 //

»Sappermenten!«

»Nun konnten die Seinigen nicht fliehen. Sie mußten siegen oder sterben, und weil bei ihnen Alles, Alles am Siege hing, so kämpften sie wie Verzweifelte und schlugen den übermächtigen Feind auf das Haupt.«

»Herrlich! Ja, dera Feldherr ist ein gar tüchtiger Kerl gewest. Ich hätts auch nicht anders macht.«

»So! Seit jener Zeit ist das nun zum Sprichwort worden. Wann Einer was unternimmt, wobei er nicht mehr rückwärts kann, so sagt er als Vergleich: Ich habe meine Schiffe hinter mir verbrannt - wie jener Feldherr, meint er natürlich. - So hat es auch dera Herr Graf meint.«

Der Sepp machte ein Gesicht wie ein Schulbube, der Prügeln bekommen hat. Dann aber lachte er hell auf.

»So hat dera Herr Grafen gar keine wirklichen Schiffe verbrannt?« fragte er.

»Nein.«

»Himmelsakra! Was bin ich da für ein Dummkopf gewest!«

»Wirst ihn nun anzeigen?«

»Fallt mir nicht ein! Werd mich so riesig blamiren. Wollens mir verzeihen, Herr Oberlieutenant?«

Er hielt ihm die Hand hin. Der Graf ergriff sie zwar nicht, aber er nickte ihm freundlich zu und antwortete:

»Natürlich. Es handelt sich hierbei ja nur um ein Mißverständniß. Ich wollte sagen, daß ich moralisch gezwungen bin, den Samiel zu fangen. Wenn ich mich nicht riesig blamiren will, muß ich ihn entdecken und ergreifen.«

»So machens nur die Augen auf!«

»O, die sind offen.«

»Habens ihn schon sehen?«

»Leider nein. Dann hätt ich ihn auch. Sobald er sich nur sehen läßt vor mir, ist er verloren.«

»Nehmens sich aberst in Acht, daß Sie nicht etwan dera Verlorene sind!«

»Pah! Keine Rede davon! Ich bin Graf und Offizier. Verstanden! Was wird der Samiel sein? Ein Bauer, ein Bürger, ein Handwerker, weiter nichts. Wie will der sich mit Unsereinem messen?«

Da warnte der Blinde:

»Lieber Herr, nehmens ihn nicht so gering! Ich habs mit meinem Augenlicht büßen müssen, daß ich nicht auf seine Warnung hört hab.«

»Pah! Mir soll er nicht in die Augen schießen. Ich habe den gespannten Revolver stets in der Hand. Sobald ich den Kerl erblicke, ist er verloren. Ehe er seine Flinte erhebt, habe ich ihm sechs Kugeln in den Leib gejagt.«

»Wollens wünschen. Ich würd gleich vor Freuden den Armen ein großes Geschenk geben, wann er derwischt würde.«


// 1885 //

»So machen Sie das Geld flott! Sie können es bereits in den nächsten Tagen auszahlen.«

»Sinds so gewiß?«

»Ja. Die Schlinge ist ihm bereits gelegt.«

»Aberst ob er den Kopf hinein steckt?«

»Vielleicht steckt er schon darin. Sie braucht nur noch zugezogen zu werden. Ich bin bereit, mit Jedem eine Wette einzugehen, daß ich im Laufe dieser Woche den Kerl fangen werde.«

Er sagte das in einem so auffordernden Tone, daß die Bäuerin sich nicht mehr halten konnte. Sie hatte bisher ruhig zugehört. Jetzt aber sträubte sich ihr Inneres empor.

»Ich möcht fast mit wetten,« sagte sie.

Der Graf schien erst jetzt von ihr Notiz zu nehmen. Er heftete sein Monocle über das Auge, betrachtete sich die Frau genau und antwortete:

»Es ist sonst nicht meine Passion, mit Weibern mich einzulassen; aber eine Wette, die ich ausgeboten habe, nehme ich niemals zurück. Wenn Sie gegen mich setzen wollen, so halte ich Part.«

"Sie fangen den Samiel nicht!"

»Ich bin überzeugt, daß Sie den Samiel gar nicht fangen, viel weniger bereits in dieser Woche!«

Das klang förmlich schroff, fast beleidigend, geringschätzig.

»Donnerwetter!« fuhr der Graf auf. »Halten Sie mich für einen Knaben?«

»Ich habe kein Urtheil über Sie, denn ich kenne Sie nicht. Ueber den Samiel aber haben wir so viel gehört, daß wir ihn beurtheilen können. Er wird sich von Ihnen nicht fangen lassen.«

»Superfein! Das sagt mir eine Frau!«

»Ja, das sage ich. Sie sprechen von einer Schlinge, die Sie ihm gelegt haben. Ich denke, der Samiel ist ein Wild, welches Schlinge sammt Lockung wittert. Er wird sich hüten, den Kopf hineinzustecken.«

»O, meine Falle ist so construirt, daß selbst das schlaueste Wild nichts von ihr merken kann.«

»Das sagen Sie, weil Sie kein Jäger, sondern ein Laie sind.«

Der Graf erhob sich langsam von seinem Sitze. Er fixirte die Bäuerin mit großen Augen und räusperte sich:

»Aeh, äh! Hm! Ich ein Laie?«

»Ja!«

»Wie meinen Sie das? Das ist eine wirkliche Beleidigung!«

»Nein. Sie sind natürlich Soldat?«

»Versteht sich!«

»Aber ein Soldat ist kein Polizist. Der berühmteste Feldherr kann sich vergeblich Mühe geben, einen Einbrecher zu fangen.«

»Hm! Nicht übel! Der berühmteste Feldherr! Könnte mich fast versöhnen mit Ihnen. Aeh, äh! Also ich bin kein Polizist und werde darum den Samiel nicht fangen!«


// 1886 //

»Das ist meine Meinung. Ich möchte Ihnen sogar rathen, sich in Acht zu nehmen.«

»Auch noch?«

»Ja. Sie treten zu offen gegen ihn auf. Sie erzählen überall, daß Sie ihn fangen werden. Sie reizen ihn also.«

»Schön! So mag er kommen!«

»Vielleicht wird er das thun, denn Ihr Verhalten ist herausfordernd. Ein Polizist, welcher Erfahrung hat, würde ganz verkleidet hierher kommen und nach ihm forschen, ohne daß Jemand es bemerkt. Sie aber treten so offen auf, als ob es sich nur darum handele, einen Apfel vom Baume zu pflücken.«

»Ich bin Soldat. Ich kämpfe ehrlich!«

»Dann ist er Ihnen eben überlegen. Er kennt seinen Feind und weiß ihn jeder Zeit zu finden. Sie aber suchen vergeblich nach ihm.«

Der Graf fühlte, daß sie Recht hatte; aber sein Selbstgefühl gab es nicht zu, daß er dies bekannte. Er meinte in wegwerfendem Tone:

»Die Ansichten einer Bauersfrau können natürlich nicht die meinigen sein. Ich werde den Kerl fangen; dabei bleibt es.«

»Und ich behaupte, er fangt Sie eher als Sie ihn.«

»Donnerwetter! Wenn Sie keine Frau wären, würde ich Sie zwingen, mit mir zu wetten.«

»Sie brauchen mich nicht zu zwingen. Ich thue es ungezwungen.«

»Schön! Wie hoch?«

»So hoch Sie wollen.«

Er trat ganz erstaunt vom Tisch zurück. Eine Bauersfrau wagte es, bei gleicher Kasse zu sein wie er. Die mußte er natürlich niederschmettern.

»Um fünftausend Mark?« sagte er.

»Gut; ich stimme bei.«

»Sapperment!« fuhr er auf.

»Kätherl, was thust?« warnte der Bauer. »Wann ichs mir überleg, geb ich Dir Recht. Aberst wer kann wissen, was geschieht! Und so viel! Fünftausend Mark? Wanns noch fünfhundert wären!«

»Nun, Sie sind Ehemann,« sagte der Officier in ironischem Tone. »Sie können Ihrer Frau natürlich verbieten, zu wetten. In diesem Falle erlaube ich ihr großmüthig, zurück zu treten. Es ist für Sie keine Kleinigkeit, fünftausend Mark zu verlieren, während ich mir aus fünf Tausendmarkscheinen einen Fidibus mache, um die Cigarrette anzubrennen.«

Wenn er mit diesen Worten die Absicht verfolgte, den Bauer zu veranlassen, seiner Frau die Wette zu erlauben, so war diese Absicht sofort erreicht. Der Bauer war kein stolzer Mann, aber es gab Punkte, die man bei ihm nicht berühren durfte.

»Wie?« fragte er. »Großmüthig wollens sein? Das ist nicht nöthig. Wann ich auch kein Graf und Offizier bin und wann ich auch den Werth des Geldes so gut kennen thu, daß es mir gar nicht einfallt, einen Fidibus daraus zu machen, so kann ich an eine solche Wette doch recht gut fünftausend Markln


// 1887 //

riskiren. Wann Sies gewinnen, werden wir sehen, ob Sie wirklich sich damit die Cigarr anzünden. Kätherl, wett also mit!«

»Vortrefflich! Aeh, äh!« hustete der Graf. »Also wetten wir. Aber wie formuliren wir die Bedingung?«

»Sie haben von dieser Woch sprochen,« sagte die Bäuerin.

»Ja, und ich bleib dabei.«

»So ists ja ganz einfach. Fangt dera Samiel Sie, so gewinn ich; fangen Sie ihn, so gewinnen Sie. Das muß aberst in dieser Woch geschehen, von heut ab bis zum Sonnabend.«

»Einverstanden!«

»Und das Geldl wird sogleich hinterlegt!«

Der Graf machte ein verlegenes Gesicht.

»Halten Sie das für nöthig?« fragte er.

»Ja. Bei uns wirds stets so macht, wann man wettet. Ich werd also meine fünftausend Mark herabholen.«

»Hm! Verdammt! Ach, äh! Man kann natürlich nicht verlangen, daß ich fünftausend Mark baar mit mir herumschleppe!«

Der Bäuerin gab das Spaß.

»So darf man auch nicht wetten,« sagte sie.

»Wie? Was? Mein Wort ist so viel wie Geld.«

»Das versteht sich,« meinte der Sepp. »Aberst weils hier in dieser Gegend so Sitte ist, daß man das Geldl gleich legt, so müssens sich freilich an dieselbige halten.«

»Aber ich habe kaum tausend Mark bei mir.«

»Schadet nix. So paar lumpige Markln kann ich Ihnen schon einstweilen geben.«

Der Graf machte ein Gesicht, wie er es wohl in seinem ganzen Leben noch nicht gemacht hatte.

»Duuuu?« fragte er.

»Ja. Wollens das Geldl von mir annehmen?«

»Ists denn Dein Eigenthum?«

»Freilich! Habs mir zusammenspart und trags stets mit mir umher.«

»Gut! Noth bricht Eisen. Ich werde aber sofort meinen Burschen fortschicken, um zu telegraphiren. Morgen bekommst Du es wieder.«

»Das eilt nicht so sehr. Das hat Zeit.«

»Und einen Schuldschein sollst Du natürlich auch haben.«

»Thuns mich halt nicht beleidigen. Ihr Wort ist mir so viel werth wie dera Schein und das baare Geld. Wollen mal zählen.«

Er öffnete den Rucksack und nahm eine alte Holzschachtel aus demselben. Als er sie öffnete, sahen die Andern, daß sie voller lauter hochwerthiger Banknoten war.

»Sepp!« rief der Graf. »Das ist Alles Dein, Alles?«

»Ja,« nickte der Alte einfach. »So ein kleines Wengerl kann man schon mit sich herumtragen. Das Andere hab ich freilich besser aufhoben.«


// 1888 //

Und nun nahm er einen Schein nach dem andern heraus und zählte fünftausend Mark auf den Tisch.

Die Bäuerin nahm sich keine Zeit, sich über den ungeahnten Reichthum des Sepp zu wundern. Sie entfernte sich und kehrte in kurzer Zeit mit der gleichen Summe zurück, welche sie auf den Tisch zählte.

»So, Zehntausend!« sagte der Graf. »Aber wer bekommt das Geld zur Aufbewahrung? Ein Unpartheiischer natürlich.«

»Das ist eben nur dera Sepp,« sagte die Bäuerin.

»Sinds einverstanden damit, Herr Graf?«

»Ja.«

»Hab mirs denkt!« sagte Sepp und legte die Zehntausend in seine Schachtel, die er dann wieder in den Rucksack steckte.

»Nimms in Acht!« warnte der Graf. »So eine Summe darf nicht verloren gehen. Du müßtest sie ersetzen.«

»Habens nur keine Bangigkeiten! Mir nimmt Niemand einen Pfennig, selbst dera Samiel nicht.«

»Oho!« lachte die Bäuerin.

»Selbst der nicht,« meinte der Alte. »Der sollt sich hüten, mit dem Wurzelseppen anzubinden! Wann er mirs abnehmen will, mag er nur kommen.«

»Komm mit herauf zu mir,« sagte der Graf. »Ich will Dir den Schuldschein ausfertigen.«

»Lassens mich in Ruh von wegen dem Schein! Ich mag keinen!«

»Aber Sicherheit mußt Du doch haben!«

»Ich brauch keine!«

»Und meine Ehre erfordert, daß ich Dir welche gebe. Was thu ich nur? Ach, da habe ich es. Das wird genügen.«

Er zog einen Ring von seinem Finger.

»Hier, nimm diesen Ring. Er ist ein altes kostbares Familienerbstück. Ein Brillant mit Smaragden und Saphiren. Jeder Juwelier giebt Dir sofort zehntausend Mark dafür.«

Der Sepp blickte in diesem Augenblicke nicht auf den Ring sondern auf die Kronenbäuerin. Sie erbleichte und ihre Augen funkelten gierig auf. Aber sofort nahm sie eine gleichgiltige Miene an.

Der Sepp sagte kopfschüttelnd:

»Ich mag auch den Ring nicht. Wenn Sie ausgehen so lassens ihn daheim, sonst wird er Ihnen von dem Samiel geraubt.«

»Wie kannst Du das wissen!«

»Denken kann ichs mir.«

»So willst Du ihn also wirklich nicht?«

»Nein.«

»Hartkopf!« meinte der Graf, indem er den Ring wieder ansteckte.

»Ich thät ihn nicht anstecken in dieser Woch,« meinte der Alte. »Es ist gar so sehr gefährlich.«


// 1889 //

»So denkst auch Du, daß ich die Wette verliere?«

»Kann sein.«

»Und ich bin so überzeugt, daß ich sie gewinne, daß ich mir noch eine Flasche Wein kommen lasse, um sie mit Dir auszustechen, alter Sepp. Dann schlafe ich ein Wenig. Um neun Uhr muß ich bereits wieder fort.«

Er pfiff seinem Burschen, welcher im Stalle beschäftigt war, das Pferd zu putzen. Dieser mußte den Wein holen.

Die Bäuerin entfernte sich. Sie ging nach dem Hofe und dann in den Pferdestall. Auf der Streu lag eine menschliche Gestalt, in eine alte Decke gewickelt.

»Bastian!« sagte sie leise.

Obgleich sie den Namen nur ganz leise ausgesprochen hatte, schnellte sich der Bursche von der Streu auf und stand augenblicklich neben ihr.

»Schnell hinauf!«

Der Knecht verschwand aus dem Stalle. Sie ging auch hinaus, langsam, mit der Miene einer Bauersfrau, welche nachsieht, ob sich Alles in Ordnung befindet. So schlenderte sie über den Hof hinüber, trat in das Haus und stieg die Treppe hinauf. Vor ihrer Thür stand bereits der Knecht.

»Bist sehen worden?« fragte sie.

Er schüttelte den Kopf.

Sie öffnete und verschloß die Thür dann wieder, als sie eingetreten waren.

»Was macht der Offiziersbursche jetzt?« fragte sie. »Er wurde rufen.«

»Vorher?«

»Striegelt er den Gaul.«

»Wie lange wird er noch zubringen?«

»Eine halbe Stunden.«

Der Knecht gab so richtige und deutliche Antworten und stand doch mit der vollständigen Miene und Haltung eines Blödsinnigen vor ihr.

Er war selten zu einer Antwort zu bringen, und wenn er sie gab, so war sie unverständlich, daß man das Meiste errathen mußte. Er galt für ganz und gar geistesschwach, besaß aber wahrhaft riesige Körperkräfte.

Seine hervorragendste Eigenschaft war Häßlichkeit. Selbst wenn er im Besitze seiner Geisteskräfte gewesen wäre, hätte seine Häßlichkeit dadurch nur wenig verbessert werden können.

Kurze Beine und lange Arme wie ein Affe, zurücktretende Stirn und ein überweit vorgeschobenes Gebiß; große Ohren, rothstruppiges Haar, eine kleine, häßliche Stumpfnase und tiefliegende, triefige Schweinsaugen. So war der Kerl beschaffen. Und dazu paßte sein Anzug, welcher aus lauter zusammengeflickten Fetzen bestand.

Es war zum Erbarmen, diesen Menschen zu sehen. Und doch - -!

»Nimm den Krätzer! Wir müssen dem Grafen die vollen Patronen aus den Revolvern nehmen und taube dafür hineinstecken.«


// 1890 //

Da gewannen seine Züge Leben und Bewegung. Er öffnete einen an der Mitte der Wand stehenden Schrank, welcher voller Kleider hing, kroch hinein und verschwand.

Die Bäuerin folgte ihm. Der Schrank hatte keine Rückwand. Aus ihm trat man in einen fensterlosen, dunkeln Raum, jedenfalls das »Kabinet«, von welchem der Baumeister gesprochen hatte. Ein leises Klirren ließ sich hören.

»Hast ihn?« fragte sie leise.

»Ja. Alles!«

Nun trat sie an die Gegenwand. Dort gab es zahlreiche, kleine Löcherchen, welche jenseits durch das Muster der Tapeten maskirt waren. Die Bäuerin blickte hindurch.

»Es ist Niemand in dera Schlafstuben. Mach aufi!« flüsterte sie.

Ein leises, fast unhörbares Rauschen ließ sich hören. Es wurde hell. Jenseits im Schlafzimmer des Grafen stand ein Ofen an der Wand. Dieser Ofen trat zurück, auf Gummirädern rollend, die man drüben nicht bemerken konnte, da der Sockel des Ofens stehen blieb.

Jetzt traten die Beiden in die Schlafstube. Der Knecht huschte mit der Schnelligkeit und Behendigkeit einer Katze nach der anderen Thür, welche zum Wohnzimmer führte, trat hinein und kam wieder zurück, die zwei geladenen Revolver des Grafen in der Hand.

»Sind wir sicher?« fragte sie.

»Ja.«

»Hast genau nachsehen?«

»Von da drin aus sieht man Alles. Der Graf sitzt unter dem Baum und trinkt, und der Bursche ist wieder im Stall.«

Es war wunderbar, wie der Ausdruck seines Gesichtes sich verändert hatte. Aus seinen Augen leuchtete das klarste Verständniß. Seine Wangen rötheten sich. Es war, als ob der Blick der Bäuerin, ihr Wille allein ihn aus einem niederen Wesen in ein höheres verwandeln könne.

Und wie schnell hatte er die Arbeit vollendet. Nicht eine Minute hatte er gebraucht. Dann legte er die kleinen Waffen wieder hinaus auf den Tisch.

Sie kehrten auf demselben Wege, auf welchem sie gekommen waren, wieder nach dem Schlafzimmer der Bäuerin zurück. Der Ofen rückte wieder an seine Stelle. Niemand konnte bemerken, daß Jemand dagewesen sei.

Die Bäuerin setzte sich auf einen Lehnstuhl, welcher unweit des Fensters stand. Der Knecht schob ein Fußbänkchen hin, aber nicht, damit sie die Füße darauf stützen solle, sondern er setzte sich darauf, legte den Ellbogen in den Schooß der schönen Frau und stemmte seinen Kopf auf die Hand.

So saßen sie ganz in derselben Stellung, wie ein Kind sich zu den Füßen einer geliebten Mutter niederläßt.

Die Augen des Blödsinnigen strahlten jetzt förmlich vor Liebe und Wonne. Er blickte erwartungsvoll zu ihr auf.

»Bastian,« sagte sie in leisem Tone, »kannst Du den Grafen leiden?«

Er schüttelte den Kopf.


// 1891 //

»Warum nicht?«

»Er will Dich fangen.«

»Ja. Wird er mich bekommen?«

»Nein. Lieber sterbe ich!«

Sie legte ihm die Hand auf das wirre, rothe Haar. Ein wonniges Zittern durchlief seinen Körper. Er holte tief und laut Athem, fast schnurrend, wie eine gestreichelte Katze.

»Ich hab mit ihm gewettet,« sagte sie.

»Was?«

»Er will mich in dieser Woche fangen.«

»So fangen wir ihn!«

Das kam im verächtlichsten Tone hervor.

»Das will ich auch.«

»Wann soll dies geschehen?«

»Heute noch.«

»Ich freue mich darauf.«

»Um neun Uhr geht er fort, nach der Försterei zu. Du kannst die Anzüge besorgen.«

»Machen wir ihn todt?«

»Nein. Er soll leben bleiben.«

»Aber einen Hieb auf den Kopf?«

»Ja. Er muß besinnungslos werden.«

»So nehmen wir den Todtschläger mit. Wie hoch ist die Wette?«

»Fünftausend Mark.«

Die Höhe dieser Summe machte nicht den mindesten Eindruck auf ihn. Sein Gesicht veränderte sich ebenso wenig als ob sie gesagt hätte einen Pfennig.

»Du bekommst auch Etwas davon,« sagte sie.

»Ich mag nichts.«

»Wenigstens hundert Mark.«

»Ich mag aber nichts!«

Das klang beinahe zornig.

»Aber Du muß doch auch einmal ein Geldl haben!«

»Ich mag nichts, gar nichts als nur Dich! Komm her!«

Er griff mit den langen Armen nach ihr empor, zog ihren Kopf abwärts und küßte sie. In der Stellung, welche ihr Oberkörper dabei einnahm, kam ihr voller Busen in seine Nähe. Er fühlte die Wärme desselben. Seine Augen schlossen sich. Dann blinzelten sie unter den halb offenen Lidern hervor auf die Schönheit, die ihn entzückte. Er schnellte auf, riß auch die Bäuerin mit riesiger Kraft vom Stuhle empor, warf die Arme um sie und preßte sie an sich, daß sie hätte um Hilfe schreien mögen.

Das ganz Thierische, Sinnliche seines Wesens war erwacht. Er gab ihr Kuß um Kuß. Mit einem Arme hielt er sie umschlungen und mit der andern Hand war er bemüht, in ihre Geheimnisse einzudringen. Sie wehrte ihm nicht. Sie wußte, daß sie durch die Gegenwehr ihn wie wahnsinnig machen würde.


// 1892 //

So hing dieses abscheuliche, häßliche, in diesem Augenblicke vollständig viehische Wesen an der schönen Frau. Die Bäuerin wußte den Blödsinnigen zu behandeln. Als er ihr zu lästig wurde, sagte sie:

»Den Förster besuchen wir auch.«

Er ließ augenblicklich von ihr ab, starrte sie wie abwesend an und antwortete nicht. Seine Augen waren mit Blut unterlaufen. Seine Augen waren ausdruckslos.

»Hörst mich nicht?« fragte sie.

Er antwortete nicht.

»Bastian!«

Ein leises, heiseres Knurren ließ er hören, sonst nichts.

Da führte sie ihn nach dem Fußbänkchen zurück, setzte ihn nieder, nahm wieder auf dem Stuhle Platz und begann seinen Kopf zu streicheln.

Er vergrub sein Gesicht wie ein Kind in ihrem Schooße.

»Bastian, hörst mich?« fragte sie nach einer Weile.

»Ja,« antwortete er jetzt, aber ohne den Kopf zu erheben.

»Schau mich an!«

Jetzt blickte er langsam zu ihr empor.

»Hast mich lieb?« fragte sie.

Er fletschte die Zähne wie ein Raubthier, knirrschte sie aneinander, ballte die Fäuste und antwortete:

»So sehr, so sehr! Wer Dich nicht lieb hat, der muß sterben.«

»Hast Du auch den Förster lieb?«

»Ja.«

»Warum?«

»Weil er Dir gut ist.«

»Aber er will mich zur Frau.«

Sofort nahm sein Gesicht einen drohenden Ausdruck an.

»Du, seine Frau? Du mußt die meinige werden. Soll ich ihn erschlagen?«

»Nein.«

»Warum nicht? Bist Du ihm etwa gut?«

»Fällt mir nicht ein.«

»So kannst Du mir auch erlauben, ihn zu tödten.«

»Später. Jetzt noch nicht.«

»Wie Du willst.«

»Aber heut strafen wir ihn.«

»So! Das freut mich.«

»Wir nehmen ihm viel, viel Geld.«

»Bin ich dabei?«

»Ja. Du mußt von zwei Uhr an unter den jungen Fichten liegen, welche grad gegenüber vom Forsthaus stehen.«

»Was bringe ich mit?«

»Die Anzüge und die Leiter.«


// 1893 //

»Weiter nichts?«

»Wir brauchen nichts weiter.«

Er blickte vor sich hin. Es war ihm anzusehen, daß er die erhaltenen Befehle im Stillen wiederholte und sich die Bedeutung derselben klar zu machen suchte. Dann sagte er:

»Nun weiß ich Alles.«

»Wirst Du keinen Fehler machen?«

»Nein. Ich thue Alles! Aber ich muß auch wissen, daß Du meine Frau werden willst.«

»Ich habs Dir ja versprochen.«

»Wirst Du es halten?«

»Ja.«

»Dann kaufe ich mir Sammethosen und einen neuen Hut und geh mit Dir spazieren. Und wer uns ein schlecht Gesicht macht, den bringen wir des Nachts um!«

Es war klar. All sein Sinnen und Denken war auf Zweierlei gerichtet - auf die Liebe zur Bäuerin und auf die verbrecherischen Thaten des Samiel.

Wer hätte denken können, daß der Samiel, von dem man als gewiß annahm, daß er eine ganze Bande befehlige, ein Weib sei, welches nur unter der Mithilfe eines neun Zehntel blödsinnigen Menschen ihre Thaten ausführte!

Nach einiger Zeit ließ sie den Knecht wieder herab. Er schlich sich ungesehen in den Stall. Sie ging in die Küche und trat dann hinaus vor die Thür. Ihr Mann saß noch immer auf demselben Ort, aber allein.

Sie ging zu ihm und setzte sich nieder, aber nicht neben ihm wie vorher, sondern ihm gegenüber.

»Wo ist dera Fritz?« fragte sie.

»Er ist mit dem Sepp ins Wirthshaus. Sie wollen dort von dera Wette erzählen. Ich wollts ihnen verbieten.«

»Warum?«

»Weils nix nützen kann, wann es so publik wird.«

»Aberst schaden kanns auch nix.«

»Meinswegen. Vielleichten gewinnst.«

»Auf jeden Fall!«

»Da hast freilich eine gute Hoffnung. Es ist fast, als obst den Samiel kennen thätst. Wann man Dir zuhört, so ists ganz so.«

Sie erschrak. Sie hatte doch vielleicht einen Fehler begangen, auf die Wette mit einzugehen.

»Ja,« lachte sie. »Wann ich den kennen thät! Was thät da mit ihm geschehen!«

»Nun, was?«

»Er bekäme einen Lohn, wie er ihn verdient hat.«

»Thätst ihn anzeigen?«

»Das könnt mir nicht einfallen.«


// 1894 //

»Nicht? Du müßtest doch!«

»Nein, ich thät nicht müssen, denn wann ich ihn entdecken thät, so würde ich es keinem Menschen sagen.«

»Du ließest ihn also fort wirthschaften?«

»Was denkst von mir. Ich thät mit ihm ins Gericht gehen. Und wie!«

»Man darf der Obrigkeit nicht vorgreifen!«

»Wie kannst nur Dieses sagen! Welche Straf thät er bekommen, wann man ihn fangen thät?«

»Den Tod oder lebenslang Zuchthaus.«

»Ist das genug?«

»Ich möchts meinen.«

»Leidet er da, was Du litten hast?«

»Nein. Wird er hinrichtet, so ist er schnell weg und ohne Schmerzen. Kommt er ins Zuchthaus, so hat er seine Wohnung, Kleidung und Nahrung, seine Arbeit und Ordnung ganz wie ein Anderer und vielleicht noch besser als ein ehrlicher Mann. Das ist keine Straf.«

»Also siehsts selber ein, daß es besser ist, sich selbst zu rächen. Wann ich es heraus bekäm, wer dera Samiel ist, so müßt er zunächst blind werden.«

»Kätherl!« rief der Bauer aus.

»Ja, gewiß! Ich thät ihm ebenso das Pulver in die Augen schießen, wie er es bei Dir macht hat.«

»Um Gotteswillen. Das darf und kann ich nicht hören!«

»O, er müßt grad das ausstehen, was Du ausstanden hast und - ich dazu.«

Er seufzte, schwieg aber.

»Was holst Athem?« fragte sie. »Meinst wohl, daß ichs immer nur so gut habt hab grad wie im Himmel?«

»Besser hasts habt als ich.«

»Ja, ein Wengerl. Daß ich das Augenlicht hab; das ist Alles. Du hasts mit Deiner Blindheit auch fast gut.«

»Na, ich dank gar schön! Da soll die Blindheiten auf einmal gut sein!«

»Nun, ists nicht wahr?«

»Nein.«

»Brauchst nicht zu arbeiten.«

»Soll das ein Glück sein? O, wann ich arbeiten könnt wie vorher, ich wollt dem Herrgott stündlich dafür auf denen Knieen danken.«

»Für wen wolltst Dich schinden?«

»Das kannst Dir denken!«

»Ja, für den Deinigen, nicht aberst für die Frau!«

»Auch für die Frau, denn sie ist doch die Mutter.«

»Es wäre damals vielleicht besser gewest, ich hätt den Buben nicht in das Eisenbahncoupée than.«

»Was denn?«

»Besser wärs, wann er todt gewest wär.«


// 1895 //

»Kätherl! Herrgott! Willst gar eine Mörderin sein!«

»Das hab ich nicht sagt. Ich hab nur meint, daß er ein kränklicher Bub war, der gar leicht sterben konnt.«

»Dann hätten wir jetzunder keinen.«

»Nun, ich weiß nicht, ob es ein Glück ist, daßt ihn hast. Für mich ists keins.«

»Das merk ich wohl.«

»Es giebt gar vielen Aerger dabei. Besonders wannst so Hand in Hand mit ihm da sitzest und ihm die Händen streichelst. Was soll er davon denken! Es wäre besser west, wannst ihn in Chrudim lassen hättest beim Wagenschieber, wo sie ihn erzogen haben. Was thun wir mit ihm?«

»Was wir müssen!«

»Das ist unmöglich.«

»O, doch nicht!«

»Doch! Unser Kind kann und darf er niemals sein. Um beweisen zu können, daß er es ist, müßten wir verzählen, daß wir ihn nach Böhmen schafft haben, um ihn los zu werden. Nachhero hasts bereut und ihn als Knecht wieder heimholt.«

»Reden wir lieber nicht darüber.«

»Ja, hast Recht. Es ist ein jeder Knoten zu öffnen, warum nicht auch dieser! Wir wollen uns nur gedulden und die richtige Zeit derwarten.«

Unter dieser richtigen Zeit verstand sie den Todestag ihres Mannes, welcher jetzt vor ihr saß, herzlich befriedigt davon, daß seine Frau endlich einmal mit ihm sprach. Sie hatte, ohne es zu ahnen, sich selbst das Urtheil gefällt, als sie sagte, daß sie den Samiel blind schießen werde.

Der Sepp war, wie bereits erwähnt, mit Fritz in das Wirthshaus gegangen. Er hatte es dem Alten zu Gefallen gethan, um ihm eine Freude zu machen.

Als sie dort anlangten, sahen sie, daß der Rollwagen des Baumeisters noch dastand.

»So ist er wahrhaftig hier einkehrt,« sagte der Sepp. »Nun möcht ich wissen, ob er es denen Leutln sagt hat, daß die Bäuerin die Unschuldige ist.«

»Das werden wir sehr bald derfahren. Horch, da hör ich schon seine Stimm. Er hält bereits wiederum eine Red.«

Er klinkte die Thüre auf und blickte durch die Lücke hinein. Die Stube war ziemlich gefüllt, weil es Sonntag war. An dem großen, runden Tische saßen die Wohlhabendsten des Dorfes, bei ihnen der Baumeister. Er schien bereits einen kleinen Rausch zu haben und befand sich mitten in einer Erzählung.

»Schön ist sie; das muß man zugeben, schön wie eine griechische Göttin, besonders wenn sie sich entkleidet hat,« sagte er.

»Hast sie denn so sehen?« fragte Einer.

»Natürlich! Viele Male. Wenn das der alte, blinde Kronenbauer wüßte, daß ich seine Stelle bei seiner Frau vertreten - - -«


// 1896 //

Er kam nicht weiter. Fritz hatte genug gehört. Er öffnete die Thür weit, war mit einigen raschen Schritten bei dem Verleumder und gab demselben eine Ohrfeige, daß er vom Stuhle flog.

»Ah, dera Fritz, und dera Wurzelsepp,« rief es allüberall. »Willkommen Fritz! Willkommen Sepp! Läßt Dich auch mal sehen!«

»Still!« rief der Knecht. »Ihr könnt den Sepp nachhero auch begrüßen. Erst muß - - - sakra, wo ist denn dieser Herr Baumeistern hin? Hinaus kann er doch noch nicht sein.«

»Da neben dem Kanapee hat er sich hinter die Seitenlehne niedersteckt,« lachte Einer, indem er nach dem Kanapee zeigte.

Fritz ging hin. Da kauerte der Baumeister, zitternd vor Angst.

»Komm mal vor, Du Lodrian!« sagte der Knecht, indem er ihn nach dem runden Tische zerrte.

»Was hast hier verzählt?«

»Was soll ich erzählt haben,« sagte er. »Wir haben von der Politik gesprochen.«

»Das ist eine Lüge,« fiel ein Gast ein. »Er hat nur immer von der Kronenbäuerin erzählt.«

»Was?«

»Daß er vorhin wieder auf dem Hof gewesen ist.«

»Das ist wahr.«

»Daß er da mit ihr nach ihrer Schlafstube ist.«

»Auch das kann wahr sein, denn sie hat ihn im ganzen Gebäud herumführen mußt.«

»Und daß - daß - na, das Andere kannst dazu denken. Wanns wahr ist, was er sagt, so ist die Bäurin ein Weib, welches man anspucken muß.«

»Obs wahr ist, das sollt Ihr gleich hören und sehen. Gebt mal einen Stuhl herbei.«

Der Stuhl wurde gebracht. Der Baumeister hatte seine Peitsche mit herein in die Schänkstube gebracht und da an die Wand gehängt. Fritz sah sie und nahm sie herunter. Dann sagte er zu dem wie ein Verbrecher sein Urtheil erwartenden Menschen:

»Steig aufi auf den Stuhl!«

Der Aufgeforderte zögerte, zu gehorchen.

»Steig aufi, sag ich Dir, sonst helf ich mit dera Peitschen nach!«

Jetzt stieg er auf den Stuhl. Es herrschte tiefe Stille in der Stube.

»Jetzunder antwortest mir auf jede Frage der Wahrheit gemäß! Wannst keine Antwort giebst oder eine falsche, bekommst die Peitsche!«

»Laß mich doch lieber herunter! Laß mich fort!« bat der Geängstigte.

»Ja, fort kannst, aberst erst dann, wannst beichtet hast.«

Und sich zu dem Publikum wendend, erklärte er:

»Nämlich Alles, was er sagt, ist Lüg. Er hat erst vorhin bei uns um Verzeihung bitten mußt. Er hat uns auch versprechen mußt, hier die Wahrheit zu verzählen, damit die Bäuerin gerechtfertigt sei. Statt dessen macht er


Ende der neunundsiebzigsten Lieferung - Fortsetzung folgt.



Karl May: Der Weg zum Glück

Karl May – Forschung und Werk