Lieferung 75

Karl May

31. Dezember 1887

Der Weg zum Glück.

Vom Verfasser des »Waldröschen«, »Verlorner Sohn«, »Deutsche Helden« etc.


// 1777 //

Der Knecht ging.

»Hast wirklich denkt, daß ich Ernst mach mit dem Essen?« sagte der Sepp. »Es ist halt doch nur mein Spaß gewest.«

»Das weiß ich schon; aberst essen wirsts doch.«

»Ja, wann ichs bekomm, so wirds auch gessen. Man darf das liebe Gut doch nicht verachten. Ist die Bäurin daheim?«

»Nein. Die ist in dera Kapellen.«

»Hab mirs denkt. Ich habs läuten hört, als ich noch im Wald war, und da hab ich gleich wußt, daß die Kronenbäurin nicht zu Haus sein wird. Sie ist ja eine gar Fromme. Nicht?«

Sein Auge ruhte dabei mit einem forschenden Blicke auf dem Gesichte des Blinden.

»Ja, fromm ist sie,« antwortete dieser kurz.

»Und nicht nur fromm, sondern auch schön.«

»Das nutzt mir nix. Ich kanns nicht sehen.«

»Leider. Aberst auch eine Fleißige und Zusammennehmerische ist sie. Das sieht man am Kronenhofe. Er wächst zusehens. Hast doch wieder ein neues Gebäude angesetzt, seit ich zum letzten Male da war.«

»Ja, dera Herrgott hat einen ganz absonderlichen Segen auf den Hof gelegt. Die Ernten sind nicht gar sehr glanzvoll gewest, aberst was meine Frau anfaßt, das nimmt einen guten Lauf.«

»So wirst immer reicher. Schade, daßt keine Kinder hast.«

»Das ists, was mir fehlt, das Augenlicht und ein Bub.«

»Ja. Ich glaub, Du thätst gar viel darum geben, wannst wieder sehen könntst.«

»Alles, Alles gäb ich drum!«

Er faltete die Hände und holte tief, tief Athem.

»Ja,« meinte der Sepp, »das Augenlicht ist eine herrliche Gottesgab. Bist denn nicht mal bei einem Doctor gewest und hast nachsehen lassen, obs keine Hilf mehr giebt?«

»Bei mehreren.«

»Und was haben sie sagt?«

»Daß es nimmer zu ändern ist. Das Pulver ist mir ins Aug drungen und hat Alles zerstört.«

»So! Das ist schlimm. Ich weiß noch gar nicht so genau, wie es damals geschehen ist, daßt blind worden bist.«

»Hab ichs Dir noch nicht sagt?«

»Nein. Ich hab Dich nicht fragen wollt, weil ich denkt hab, daßt nicht gern davon sprichst. Aberst von denen Leutln hab ich hört, daß es dera Samiel wesen ist, der auf Dich schossen hat.«

»Ja, der war es. Es ist in dera ersten Zeit gewest, als er hier in dieser Gegend zu hausen begann. Er hatte nur erst bei wenigen Leutln einbrochen, und auch beim Wilddiebstahl war er erst nur einige Male sehen worden. Ich bin eins der ersten Opfer, die ihm zufallen sind.«


// 1778 //

»Ich hab hört, daß er jetzund sein Wesen noch viel ärger treibt als jemals?«

»Das ist richtig. Und grad immer unsere Gegend ists nur, die er unsicher macht. Es kommt jetzt häufig vor, daß die Leutln seinetwegen von hier fortziehen. Und Niemand zieht herbei. Ein Gut oder Haus ist nur schwer zu verkaufen, und das nur um seinetwillen.«

»Da sollte doch die Polizei kräftiger einschreiten.«

»Das thut sie doch auch.«

»Aberst nicht genugsam!«

»O, es liegen jetzunder sogar Soldaten da und in denen Dörfern umher. Sie streifen bei Tage und bei Nacht durch die Orte und durch den Wald, doch vergebens. Bei mir, drüben im neuen Gebäud, wohnt dera Offizier von ihnen. Er ist steinreich und von hohem, altem Adel. Er ist ein gar grimmiger Herr und hat einen schweren Schwur than, daß er den Samiel fangen will oder sterben. Er trägt außer dem Degen immer zwei oder drei Revolver bei sich, womit er den Samiel mit seiner ganzen Bande derschießen will, wann er auf sie trifft.«

»So ist er ein gar großer Held. Aberst ich denke mir, daß dera Samiel eher durch List als durch Gewalt zu fassen ist. Meinst nicht auch, Kronenbauer?«

»Kannst Recht haben. Es sollte mich gefreun, wann er derwischt würde, denn nur ihm ganz allein hab ich mein Elend zu verdanken, meine Blindheit und Alles, Alles, was mir auf dem Herzen liegt.«

Der Sepp nickte zustimmend vor sich hin. Sein altes, gutes Gesicht nahm den Ausdruck tiefsten Bedauerns an. Er wollte Etwas sagen, doch hielt er es zurück. Er wußte, daß darauf eine Erörterung folgen werde, welche besser zu vermeiden war. Darum blieb er bei der Hauptperson, von welcher das Gespräch handelte, nämlich beim Samiel, und sagte:

»Das glaub ich gar wohl, daßt Dich freuen würdest, wenn er seinen Lohn bekäme. Er hats nur ganz allein an Dir verdient. Mir ists ganz unbegreiflich, daß er Dich damals nicht derschossen hat.«

»Auch noch derschossen! Das fehlt noch grad!«

»Mußt mich richtig verstehen, Kronenbauer. Dera Samiel ist ein Wilddieb, Spitzbub und Räuberhauptmann. Wann so Einer auf Raub ausgeht und sich nicht derwischen lassen will, so trägt er doch Waffen bei sich, um Diejenigen, die ihn fassen wollen, niederzuschießen - - -«

»Das thut er doch!«

»Jawohl thut er das. Aberst grad in dem Fall bei Dir hat er es nicht than.«

»Oho! Er hat mich doch schossen!«

»Mit Pulver nur hat er schossen, nicht aber mit einer Kugel. Er hat keine Kugel laden habt. Warum nicht? Darüber hab ich schon zuweilen nachdenken mußt. Ein Gewehr ohne Kugel kann ihm doch nix nutzen! Warum hat er grad bei Dir keine in dera Pistolen habt?«


// 1779 //

»Weil er mich nicht hat dermorden, sondern nur so schießen wollen, daß ich blind werden mußt.«

»So ists, so hab ichs mir auch denkt. Aberst ich hab mich doch fragt, warum er das than hat. Er hat doch Andere derschossen, wann er von ihnen angriffen worden ist. Er muß also bei Dir eine ganz besondere Ausnahme macht haben, die einen Grund haben muß. Wann man diesen Grund wissen thät, sodann - - -«

Er hielt inne und schüttelte nachdenklich den Kopf.

»Was wäre sodann?« fragte der Bauer.

»Sodann könnte man vielleicht derrathen, wer er eigentlich ist.«

»Meinst?«

»Ja. Kennt man den Grund, warum er Dich hat blind haben wollt, so kann man nachhero auch weiter denken. Er hat es grad auf Deine Personen abgesehen habt, also muß er ein Bekannter von Dir sein und einen Profit davon haben, daßt nun erblindet bist.«

Bei dieser Erklärung nahm das Gesicht des Bauers einen ganz eigenthümlichen Ausdruck an. Er hob den Kopf empor. Seine Nasenlöcher erweiterten sich und sogen die Luft ein, als ob er einen Feind erwittern wollte. Es war, als ob er alle seine Gedanken und Sinne anstrenge, demselben auf die Spur zu kommen.

»Hast Recht,« sagte er, »hast Recht! Er muß aus meiner Blindheit Nutzen ziehen. Aber wer könnte das sein, wer?«

»Denk mal drüber nach. Hast nicht einen Feind, einen gar großen, unversöhnlichen und gottlosen? Denn die allergrößt Gottlosigkeiten gehört dazu, Einem das Licht aus den Augen zu schießen.«

»Ich kenne keinen solchen.«

»Ja, ich weiß, daß alle Leut Dir freundlich gesinnt waren allezeit. Du bist zwar der Reichst und Vornehmst von ihnen gewest, aberst einen Stolz hat es bei Dir nicht geben, und Wohlthun war immer Deine Freud. Woher sollst da einen solchen Feind haben! Und dennoch muß es einen Menschen geben, der so gewaltig gegen Dich ist. Wannst den nur derrathen könntst. Der ist der Samiel, der und kein Anderer nicht.«

Die Züge des Blinden waren in reger Bewegung. Er gab sich die größte Mühe, sich einen so feindseligen Menschen zu denken. Seine Augen rollten in ihren Höhlen. In dem Weißen derselben konnte man kleine, blauschwarze Pünktchen sehen - die Pulverkörner, welche der Samiel ihm hineingeschossen hatte. Der ganze obere Theil des Gesichtes trug ähnliche Spuren, nur daß sie hier besser als in der Hornhaut des Auges verwachsen waren.

»Ich kann absolutemang Keinen finden, dem ichs zutrauen möcht,« sagte er. »Da führt all mein Sinnen und Denken zu keinem Ziel.«

»So überlaß es dem lieben Gott. Der bringts gewiß noch an den Tag.«

»Das ist mein Trost. Ich weiß es ganz genau, daß es noch an den Tag kommen wird. Ich weiß es so genau, daß ich darauf schwören könnt.«

»So? Wiefern?«


// 1780 //

»Ich habs träumt.«

»Ah! Träumen sind Schäumen.«

»Nicht alle. Es giebt Träumen, denen mans gleich anmerkt, daß sie in Erfüllung gehen, daß sie eine Offenbarung sind. Und derjenige, den ich träumt hab, das war so einer.«

»Nun, was hast denn träumt?«

»Es hat mir träumt, daß ein fremder Herr kam und griff mir an die Augen. Es war noch ein Anderer bei ihm, der gar vornehm ausschaut hat, der hat mir den Ersteren herbeibracht. Als dieser mir an die Augen griffen hat, da hab ich gleich wieder sehen konnt. O Du mein Herrgottle, war das eine Wonne! Ich hab die Beiden anschaut, so scharf, daß ich heut noch genau weiß, wie ihre Gesichtern gewest sind. Ich werd sie auch niemals vergessen. Als sie fort waren, hab ich in meiner Kammer sessen und geweint vor Freuden. Da ist die Thür aufigangen, und die Soldaten sind kommen und haben mir den Samiel bracht, dens fangen hatten. Er hat ganz so ausschaut, wie man ihn immer sehen hat, schwarzen Anzug, eine schwarze Masken vor dem Gesicht und einen Hut mit sehr breiter Krämpen darüber. Ueber die Joppe ist ihm das Blut laufen, weil er verwundet gewest ist, denn er hat sich gewehrt habt wie ein Teufel. Da hab ich die Hand ausstreckt, um ihm die Maske vom Gesicht zu nehmen. Zugleich aberst ist dera Knecht, der Fritz da gewest, hat meinen Arm ergriffen und mir zugeschrieen, daß ich den Samiel nicht ansehen sollt, weil ich sonst vor Schreck gleich sterben thät. Darüber bin ich so verschrocken, daß ich gleich aufiwacht bin vom Schlafe.«

»Und hast auch nicht wieder anfangt, zu träumen?«

»Nein. Ich hab gar nicht wieder einschlafen konnt.«

»Wie schade, daßt aufiwacht bist! Wannst den Traum hättst richtig austräumen konnt, so wüßtest nun, wer dera Samiel ist.«

»Ja, jetzunder wüßte ichs; davon bin ich überzeugt, ganz und gar überzeugt.«

»Aber schau, sagt Dir dieser Traum nicht ganz Dasselbige, was ich Dir bereits sagt hab? Nämlich daß dera Samiel ein Bekannter von Dir sein muß? Sonst hat dera Fritz nicht meint, daßt zum Tod derschrecken wirst.«

»Ja, es ist sehr besonderbar. Ich hab mir fast den Kopf zerbrochen, wer es sein mag, doch vergebens. Selbst seine Schrift ist mir ganz unbekannt gewest.«

»Seine Schrift? Hast denn die mal sehen?«

»Ja, aber sagt hab ich nix davon. Du aberst bist ein verschweigsamer Mann. Mit Dir kann ich schon davon sprechen.«

»Natürlich hast die Schrift auch nur im Traume sehen?«

»Nein, sondern in Wirklichkeit.«

»Wie ist das möglich? Bist ja blind!«

»Damals hab ich noch sehen konnt.«

»Sappermenten! So lange ists her?«

»Ja.«


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»So hat er wohl gar einen Briefen an Dich schrieben?«

»An mich selber,« nickte der Bauer. »Ich hab ihn noch.«

»Warum hast ihn denn dera Polizeien nicht zeigt?«

»Weil - weil - weil darinnen von dera Kathrin' die Red gewest ist.«

»Von Deiner Frauen?«

»Ja.«

»Höre, Kronenbauer, das ist eine hochwichtige Sachen. Du mußts am Besten wissen, obsts mit Recht hast verschweigen konnt.«

»Ich hab nicht davon reden mögen, weil Manches darinnen stand, was Niemand zu wissen braucht.«

»Auch ich nicht?«

Der Sepp rückte dem Blinden näher. Er befand sich in außerordentlicher Spannung.

»Vielleicht auch Du nicht,« antwortete der Bauer.

»So! Also hast kein Vertrauen zu mir!«

»Das hab ich schon. Und, wann ichs mir überleg, daßt so ein schlauer und kluger Kerlen bist, dem schon so Vieles gelungen ist, was Andere nicht fertig bracht haben, so möcht ich Dir doch den Briefen zeigen.«

»Wannst gescheidt bist, so zeigst ihn mir.«

»Ja, sollst ihn sehen; aberst Du mußt mir vorher versprechen, daßt nicht bös von mir denken willst.«

»Wie könnt ich das!«

»Du weißt, daß ich niemals kein Krakehler gewest bin, sondern ein stiller, bedenksamer Mann. Aus dem Briefen könntst gar leicht das Gegentheil meinen. Darum ists wohl besser, ich erzähl Dir Alles, was vorauf gangen ist.«

»Verzähl es nur! Es wird auf einen verschwiegenen Boden fallen.«

»Das muß ich mir freilich ausbedingen. Hast meine erste Frauen kannt?«

»Natürlich.«

»Und was hast von ihr denkt? Sags mir nur aufrichtig und ehrlich, Sepp!«

»Sie ist keine Gute gewest. Sie war häßlich und zänkisch, überfleißig und doch dabei eine Schlampampe, die selbst im besten Sonntagsstaat nach gar nix ausschaut hat.«

»Ja, so, so ist sie gewest. Weißt, ich hab sie heirathen mußt, weil sie reich war und keine Verwandtschaft mehr hatte. Ihr Vermögen mußt auf alle Fälle mein werden. Ich hab mich lange dagegen gewehrt, doch vergeblich. Nachhero hats ein Leben geben wie zwischen Katz und Hund. Sie hat den ganzen Tag zankt und keift, und ich war still und hab den Grimm in mich einifressen. Sie ist eine richtige, wirkliche böse Sieben gewest, obgleich ich zu stolz war, dies denen Leutln merken zu lassen. Dennoch haben wir einen Buben bekommen. Das hätt mich mit Allem aussöhnen konnt, wann nicht ein Anderes geschehen wär.«

»Da kam wohl Deine Jetzige dazwischen?«

»Ja. Sie war die Tochter eines Bekannten. Der starb und hat mich


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zu ihrem Vormund macht. Ich hab denkt, meine Pflicht thun zu müssen und hab sie zu mir auf den Hof nommen. Kannst Dir leicht denken, daß meine Frau sehr dagegen war und ganz entsetzlich schimpfiret hat; aber dieses Mal hab ich doch meinen Willen durchgesetzt. Und sonderbar ist es gewest: Als das Kätherl kaum eine Wochen bei uns gewest ist, da hat meine Frauen sich zufrieden geben. Das Dirndl hat stets so was an sich habt, was selbst den ärgsten Feind zu ihr bekehren muß. Meine Frauen hat sich nach und nach gradezu in sie verliebt gehabt!«

»Und Du auch!«

»Kannsts mir übel nehmen? Wannst so ein Schüreisen heirathet hast, ohne alle Liebe, sondern nur mit Zwang und Haß, und sie giebt sich auch keine Mühe, Deine Liebe zu erringen, sondern sie thut Alles, was Deine Abneigung nur vergrößern kann, nachhero machst auch die Augen auf, wannst eine Andre siehst, die schön ist und fein und jung und sich bereits am frühesten Morgen sauber und appetitlich zeigt, gleich so zum Anbeißen.«

»Ja,« meinte der Sepp, »So Eine ist gar gefährlich; so Eine war auch die Meine, die nachhero einen Andern nahm; so Einer ist nie recht zu trauen. Sie schnurren und schmeicheln wie die Katzen, und wanns nachhero zu langweilig wird, so laufens auf und davon.«

»Magst Recht haben. Kurz und gut, das Kätherl hatt mirs anthan.«

»Obgleichs so jung war? Erst fünfzehn Jahre!«

»Sie war groß und stark wie Eine von zwanzig, und an Klugheit gabs halt Keiner was nach. Ich habs gar bald merkt, daß sie mir gut gewest ist - -«

»Oder auch nicht,« fiel der Sepp ihm in die Rede.

»Meinst?«

»Ja. Manche zeigt Liebe, aberst anstatt dera Liebe ists nur Berechnung.«

»Hm, ja! Vielleichten ists auch mit dera Kathrin so gewest.«

»Wie alt warst denn damals?«

»Fünfunddreißig.«

»Nun, da kanns noch gehen.«

»Ja. Mancher nimmt sich erst viel später eine Frau. Ich hab übrigens ausschaut wie ein viel Jüngerer, und häßlich bin ich niemals gewest. Ein Mirakel wär es also nicht, wanns mich wirklich lieb habt hätt. Sie hat so traulich than, ist immer rund um mich gangen und hat sich die größt Müh geben, mir Alles am Aug abzuschauen.«

»Auch in Deiner Frauen ihrer Gegenwart?«

»Nein. Da war sie vorsichtig. Aberst wann wir allein waren, da ists die reine Zärtlichkeiten gewest, und einmal des Abends im Garten, da hat sie an meinem Hals gehangen, mich leidenschaftlich küßt und drückt und ich sie auch, ich hab gar nicht wußt, wie so schnell das hat kommen können.«

»Meinst etwan, daß die Liebe nach Minuten rechnet? Sie rechnet überhaupt niemals. Sie thut, was sie will, und je mehr und größere Hinder-


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nissen ihr in den Weg stellt werden, desto schneller und höher springt sie über dieselbigen hinweg. Ja, die Liebe kann Sprünge machen, Sprünge, wie sie kein Bajazzo und kein Hanswurst fertig bringt.«

»Nun, solche Sprüngen haben wir nicht machen konnt, um dera Leut willen und besonders wegen meiner Frauen. Wir haben natürlich Niemand nix merken lassen dürfen; aberst je heimlicher wir haben sein müssen, desto stärker und mächtiger ist die Liebe worden, bis - - -«

Er unterbrach sich, senkte den Kopf und seufzte tief, tief auf. Der Sepp sagte nichts. Er wartete geduldig, bis der Bauer aus eigenem Antriebe fortfahren werde, was denn nach einer kleinen Weile auch geschah:

»Dann kam eine Zeit, in welcher Dinge geschehen sind, von denen ich nicht sprechen will. Meine Frau starb, und ein Jahr nach ihrem Tode hab ich das Kätherl heirathet.«

»Da konntet Ihr nun auch öffentlich schön mit nander thun.«

»Ja. Es war das wahre Zuckerlecken. Aberst dera Zucker zerläuft gar bald im Wasser, und so war es auch bei uns. Die Zärtlichkeit ist geringer und immer geringer worden, und als sie endlich ganz aufhören that, war das Kätherl kalt wie Eis. Sie hat sagt, das müßt mal aufihören. Ich sollt zufrieden und stolz sein, daß ich eine so schöne Frauen hab, und bei dera Zärtlichkeiten geht die Schönheit verloren.«

»Na,« lachte der Sepp, »so weiß ich nun, warum ich noch heut ein so bildsauberer Jungbursch bin. Meine Schönheit ist mir nicht durch großes und übermäßiges Herzen und Drücken verdorben worden.«

»Hast auch das Augenlicht nicht dabei und dadurch verloren.«

»Du auch nicht.«

»Meinst? Hör nur weiter! Nach und nach war das Kätherl nicht nur kalt gegen mich, sondern es hat ganz so ausgeschaut, als ob ich ihr gradezu zuwider wär. Sie hat mich gemieden. Selbst wann wir zur Kirch gangen sind, hats stets dafür sorgt, daß wir nicht allein gewest sind.«

»Aberst wann ihr doch mal allein waret?«

»Da hab ich sie nicht angreifen durft. Sie hat sagt, das sei ihr zum Ueberdruß und Ekel worden.«

»Sapperloten! Wann einem eine Speis anekelt, so hat man zur anderen desto größeren Appetiten.«

»Das hab ich mir auch denkt. Ich bin mißtrauisch worden. Ich hab Achtung geben, bis ich sie mal derwischt hab.«

»Was! Derwischt hast sie gar?«

»Ja, mit dem Knecht. Sie hatten einander beim Kopf und küßten sich, daß es knallte.«

»Na, da hätts dann bei mir auch knallt!«

»Das hats auch. Ich hab den Knecht die Trepp nunter schmissen, daß er das Bein brochen hat, und sodann ist das Kätherl auch dran kommen.«

»Hasts prügelt?«

»Ja. Ich weiß, daß das nicht fein ist, aberst ich hab mich vor Grimm


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nicht beherrschen konnt. Sie hat nachhero lange Zeit im Bett liegen mußt. Das hat sie benutzt, sich aus dera Schlafstuben auszuquartiren, und seit dieser Zeit schläfts ganz allein, und ich darf ihr nicht mal des Tages ihre Stuben betreten.«

»So bist ein Waschlappen gewest, ohne allen Willen und Festigkeit.«

»Hast Recht. Die Lieb ist eben ein ganz niederträchtig albernes Ding. Ich war verliebt in die Kathrin' wie selten ein Anderer verliebt sein kann.«

»Und bists auch heut noch!«

Der Bauer antwortete nicht.

»Hab ich Recht?«

»Ich weiß nicht. Manchmal möchts mich übermannen, daß ich sie in die Arme nehm und sie gar nimmer wieder loslassen thu, und sodann kommt wiederum ein Haß und Zorn über mich, daß ich sie gleich dermorden könnt.«

»Das ist die Eifersucht.«

»Ja, die ists. Eifersüchtig bin ich trotz der fünfundfünfzig Jahren, die ich auf dem Rücken hab. Aberst ich bin ja blind und kann nicht sehen, was sie thut. Sepp, wannst wüßtest, was für eine Qual das ist!«

»Danke sehr dafür! Erzähl nur weiter!«

»Kannst Dich noch besinnen, daß ich den Knecht, den Fritz, mal als kleinen Jungen mit heim bracht hab?«

»Ja. Alle Welt hat sich über die Gutthat freut und besonders auch darüber, daß Deine Frauen sich gleich so liebreich seiner angenommen hat.«

»Liebreich? O, wanns die Leutln nur wußt hätten! Dera Bub war ihr ein Dorn im Aug gleich vom ersten Augenblick an. Ja, vor denen Menschen hats schön und lieb mit ihm than, aberst wanns ihn allein habt hat, o dann, dann!«

»Warum konnts ihn denn nicht leiden? Er war doch ein lieber Bub und ist ein so braver und sauberer Bursch worden.«

»Sie hat ihn haßt und haßt ihn noch heut, weil - weil - na, das kann ich nicht sagen; das gehört auch gar nicht zu meiner Verzählungen. Ich will nur sagen, daß sie im Stillen eine Tyrannin gegen ihn gewest ist, und daß wir deshalb noch weiter als vorher ausnander kommen sind. Ich hab mich oft seiner derbarmen mußt, bis ichs endlich so weit bracht hab, daß sie sich gar nimmer um ihn kümmert hat.«

»Da war nun endlich Ruh im Haus!«

»Nein, sondern da hat dera Krieg erst recht begonnen. Sie hat sich nicht mehr um ihn bekümmert, aber auch um mich nicht. Sie hat sagt, daß sie zwar die Bäurin sei, aber nicht mehr meine Frau sein wollt. Von dera Zeit an hat mir die Magd das Essen kochen müssen, und ich bin ein Wittwer worden, trotzdem ich eine junge und schöne Frauen hab.«

»Kronenbauer, Du bist zu schwach gegen sie!«

»Meinst? Was hätt ich thun sollt? Sie wollt nicht, und dabei ists blieben. Hätt ich sie etwan todtschlagen sollt?«


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»Nein, das nicht; aber zuweilen so eine kleine Backpfeifen hätt nix schaden konnt.«

»Die hat sie auch bekommen, und zwar mehr als eine, aberst nicht deswegen, sondern aus einem ganz anderen Grunde - sie ist mir abermals untreu worden.«

»Sapperment! Hast sie etwan nochmals derwischt mit einem Andern?«

»Ja, mit dem Jägerburschen. Das war grad zur Zeit, als dera Samiel zum ersten Male hat von sich reden macht. Das Kätherl hat sich immer weniger um die Wirthschaft kümmert; aberst desto fleißiger ist sie in die Kirch gangen und in den Wald spazieren. Dera Förster, welches dera frühere war, ist ein braver Mann gewest und hat mir sagt, daß sie im Wald mit seinem Burschen zusammentrifft. Ich hab ihnen aufilauert und dann den Kerl prügelt, daß er nicht mehr wußt hat, wie er heißt. Ihren Theil hat sie dann auch bekommen, und zwar daheim. Aberst meinst, daß das holfen hat?«

»Nicht?«

»Nein. Ich hab sie einschlossen, wann ich vom Haus fort mußt - vergebens. Dera Förster hat den Burschen fortjagt. Da hat sie bald einen andern Geliebten habt. Ich hab sie oft auf solchen Wegen troffen, doch nie so, daß ich einen Grund funden hätt, mich von ihr scheiden zu lassen. Sie ist spazieren gangen bei Tag und bei Nacht; ich habs endlich nicht mehr hindern können, denn als ich hab denkt, noch strenger sein zu müssen, da hab ich den Briefen erhalten, von welchem ich vorhin sprochen hab.«

»Von Samiel?«

»Ja.«

»Donnerwetter! Hat sie ihn denn kannt?«

»Weiß ich es?«

»Nun, wann er Dir von ihr schreibt, so muß er sie doch kennen!«

»Aberst nicht sie ihn.«

»Das hat sie sagt?«

»Ja. Und nun ich Dir das Alles verzählt hab, kann ich Dir auch den Briefen zeigen. Sie ist nicht da und kanns also nicht sehen, wo ich ihn versteckt hab. Sie hat ihn tausendmal von mir verlangt, ich hab ihr ihn nicht geben. Hier ist er.«

Er zog zwischen dem Leder und dem Futter seines Gurtes das Schreiben hervor. Es war nur ein kleiner Zettel, zergriffen und zerknillt. Der Inhalt der von sehr ungeübter Hand geschriebenen Zeilen lautete:

     »Ann dem Krohnenpauer hier.
»Wenn Du deunne Vrau niecht inn Rue läst, soh sorch iech davier, das sie Rue erhällt. Iech kanns!
          Der Saamiehl.«

Der Sepp las das Blatt einmal, zwei und drei Male. Er betrachtete sich jeden Buchstaben genau.

»Was sagst dazu?« fragte der Bauer.

»Die Hand ist verstellt.«


// 1786 //

»So? Wirklich?«

»Ja. Und auch die orthographischen Fehler sind mit Fleiß gemacht. So dumm schreibt der albernste Bauernbub nicht, und dera Samiel ist doch sicher ein gescheidter Kerlen. Weißt, was daraus folgt?«

»Nun?«

»Er hat besorgt, Du möchtest seine Schrift erkennen. Also ists Einer, dem seine Schreibereien Du bereits schon sehen hast.«

»Das leuchtet mir freilich ein, und doch kann ich mir keinen solchen denken.«

»So meinst, daß von allen Denen, deren Schrift Du kennst, keiner dera Samiel sein kann?«

»Ja, das ist meine Ansicht. Ich trau es Keinem zu. Keiner hat die Schlechtigkeit und auch die Durchtriebenheit, welche dazu gehört. Einen Einzigen gäb es, der, wenn auch nicht so schlecht und gottlos, aber doch so verwegen sein könnt wie der Samiel.«

»Wer denn?«

»Das wär mein Schwiegervatern.«

»Welcher? Hast doch zweie habt.«

»Ich mein' den Vatern von meiner jetzigen Frau. Der war als Wilderer bekannt und hat denen Förstern gar viel zu schaffen macht. Er ist niemals derwischt worden, so schlau war er. Sonst aberst war er ein ganz guter und braver Kerl. Es hat Leute geben, die behaupteten, daß seine Tochter, meine Jetzige, ihm beim Wildern hat helfen müssen.«

Der Sepp horchte auf. Er war schon daran, einen Laut der Ueberraschung hören zu lassen, beherrschte sich aber und sagte in ruhigem Tone:

»Hältst Du das für wahr?«

»Nein. Ein Mädchen von fünfzehn Jahren taugt niemals nix zum Wildern.«

»Sie müßt schießen können.«

»Das kann meine Frauen nicht.«

»Das glaub ich wohl. Man hätt doch davon hört. Aber willst nicht weiter verzählen? Wie war es mit dem Brief? Hast ihn Deiner Frau zeigt?«

»Nein. Erst nachher, als ich blind war, hab ich ihr davon sagt. Sie wollt ihn haben, doch hab ich ihr ihn nicht geben. Ich hab ihr weiß macht, daß ich ihn verbrannt hätt, und damit mußt sie sich halt zufrieden geben.«

»Hasts denn glaubt, daß dera Samiel seine Drohung wahr machen wird?«

»Ich hab nicht wußt, was ich davon halten soll, und nachhero hab ich denkt, daß sich ein Anderer einen dummen Spaß macht hat. Aberst es ist Ernst gewest, wie ich nachhero hab derfahren müssen, denn bereits einige Tage nachdem ich den Briefen erhielt, ist die That geschehen, die mich um mein Augenlicht bracht hat.«

»Und wie ist das gewest?«

»Das Kätherl war wiederum in den Wald gangen und ich schlich ihr


// 1787 //

nach, ohne daß sie es merkt hat. Ich hab sie auch entdeckt. Schon von Weitem hab ich ihre Stimme hört, wie sie lacht hat, und auch eine Männerstimme war dabei. Da hab ich in meiner Wuth vergessen, daß es besser war, heimlich und vorsichtig zu thun. Ich bin durch die Büsche drungen, daß es laut gerauscht und geraschelt hat. Das habens natürlich hören müssen, und darum sah ich nur, als ich bei ihr ankam, noch den Rücken des Kerls, der bei ihr gewest war. Er sprang durch die Sträucher davon. Ich wollt ihm nach, aberst sie hat mich anfaßt und fest halten, mit einer Kraft, die ich ihr niemals zutraut hätt. Ich hab sie fragt, wer der Mensch gewest sei; sie hat mich auslacht und es mir nicht sagt. Da bin ich noch wüthiger geworden und hab ihr ein paar Schellen geben, daß sie hinstürzt ist. Da hat sie sich schnell wieder aufirafft und mir ein Gesicht macht, welches ich niemals vergessen werd. All ihre Schönheit und Lieblichkeit war verschwunden. Sie hat ausschaut wie ein Teufel und hat mich anzischt wie eine Natter. Indem sie die Fäust ballt hat, rief sie mir zu: >Du sollst fortan Deine verdammten Augen nicht mehr da haben, wo sie nicht hingehören! Merk Dirs!< Dann ist sie auch davon sprungen.«

»Herrgottle!« sagte der Sepp. »Da möcht man doch beinahe denken, daß sie - na, ich will nix sagen. Fahr nur weiter fort!«

Er hätte beinahe den Gedanken verrathen, welcher sich ihm während dieser Unterhaltung bereits mehrere Male aufgedrängt hatte. Er hielt es aber für gerathen, ihn zu verschweigen. Der Blinde erzählte weiter:

»Am andern Tag bereits ist dera Postbote kommen und hat mir abermals einen Briefen bracht. Darinnen hat standen, daß ich des Abends soll in den Garten - nun, ich brauch es ja nicht zu sagen, weil Du es ja auch lesen kannst.«

»Hast diesen Brief auch aufbewahrt?«

»Ja. Die beiden Schreiben stecken immer beisammen. Hier ist er.«

Er zog den Brief aus dem Gürtel, gab ihn dann Sepp und dieser las:

     »Ann dem Krohnenpauer hier.
»Dein Weip ißt Dier unträu. Wen Du sie errwieschen wiellst, so geh heit Awand grat umm Mietternacht um dem Garrten. Inn der hindren Lauwe wierd sie miet ihm sizzen. Sie hawen sich dort hinn beställt. Jech weis eß ganz genau.
          Dein gutter Fräund.«

Der Sepp prüfte jedes Wort dieses orthographisch so fehlerhaft geschriebenen Briefes. Er schüttelte den Kopf und fragte:

»Bist doch nicht etwan nach dem Garten und nach dera Lauben gangen?«

»Warum sollt ich nicht?«

»Weils dera Samiel gewest ist, der dieses Schreiben macht hat.«

»Das ist doch nicht wahr!«

»Freilich ists wahr. Das hättst doch sofort sehen müssen. Es ist ganz die gleiche Schrift.«

»Wirklich? Ist sie es?«


// 1788 //

»Ja, ganz genau.«

»Das hab ich mir nicht denkt. In meinem Aerger hab ich den Briefen gar nicht richtig anschaut.«

»O wehe! Es sind auch ganz dieselbigen Fehler drin. Und die Ueberschrift >Ann dem Krohnenpauer< ist ganz genau so, wie hier in dem ersten Briefe.«

»Himmel! Das hätt ich wissen sollt!«

»So wärst heut vielleichten nicht blind!«

»Ja, ja! Wie dumm, wie dumm bin ich gewest! Dera Samiel hat mir eine Fallen stellt und ich bin ganz hübsch und ohne alle Ahnungen hinein laufen!«

»So ists, so ists! Armer Teuxel! Jetzunder kann ich Dich nun erst recht bedauern. Es muß schrecklich gewest sein.«

»Ja. Ich hab natürlich wie im Fieber auf die Mitternacht wartet. Als die Zeit da war, bin ich erst nach der Stuben gangen, wo meine Frauen schlafen that. Ich hab mich vorher überzeugen wollt, ob sie auch da ist oder nicht. In der Stub brannte Licht. Als ich anklopft, hat sie nicht antwortet. Ich hab mehrere Male klopft, aberst vergebens. Dann hab ich durch das Schlüsselloch schaut. Es ist leer gewest, weil dera Schlüssel nicht steckt hat, und ich konnt in die Schlafstuben schauen. Sie hat den Schlüssel stets von innen ansteckt. Weil er nicht da war, konnt ich mir schon darum denken, daß auch das Kätherl fort sei. Dazu hab ich schaut, daß das Bett noch ganz unberührt stand. Auch das Kanapee und die Stühlen waren leer. Kein Mensch war drinnen. Ich hab zittert vor Aufregung und bin hinab in den Garten. Erst leise und heimlich, aberst je näher ich dera Lauben kommen bin, desto größer ist meine Wuth worden. Nachhero, als ich so nahe war, daß ich sie hab sehen konnt, bin ich wie ein Wüthender darauf lossprungen und hinein.«

Er sprach jetzt schnell, hastig. Er befand sich auch jetzt wieder in großer Aufregung, da er sich die kurzen Minuten vergegenwärtigte, während denen das Unglück über ihn hereingebrochen war. Der Sepp war außerordentlich gespannt auf das, was nun folgen werde.

»Saßens drin?« fragte er.

»Nein.«

»Ah! Gott sei Dank!«

»Sei still! Sag keinen Dank! Die Laube war die Falle, in die man mich lockt hatte. Es war Vollmond. Er schien so licht hinein, daß ich fast jedes einzelne Blatt schauen und unterscheiden konnte. Sie war leer, leer. Ich hab tief, tief Athem holt und das Herz ist mir leicht worden, weil ich nun denkt hab, daß man mich belogen hat und daß mir die Kätherl nicht untreu ist, wenigstens heut nicht. Ich hab wieder gehen wollt und mich umdreht. Aberst als ich aus dera Lauben trat, da - da stand er vor mir.«

»Wer? Red doch schnell!«

»Dera Samiel.«

»Sapperment! Hasts denn auch wirklich sehen, daß er es ist?«


// 1789 //

»Natürlich! Er stand so da vor mir, wie er beschrieben worden ist und wie er noch heut beschrieben wird, wann mal Einer das Unglück hat, ihn zu schauen.«

»Hast Dir ihn auch richtig merkt?«

»Ja. Es ist, als ob er noch jetzunder vor mir ständ, so genau weiß ich es noch. Er war ganz schwarz gekleidet. Schwarze Hosen, schwarze, kurze Jacke, einen schwarzen, breitkrämpigen Hut und eine schwarze Larve vor dem Gesicht.«

»Ja, das ist er, das ist er! Weiter! Hat er zu Dir sprochen? Hat er was sagt?«

»Ja.«

»Wie war seine Stimme, tief oder hoch?«

»Tief, sehr tief.«

Bei dieser Antwort wich die Spannung, mit welcher der Sepp diese Fragen ausgesprochen hatte. Auf seinem Gesichte nahm der Ausdruck der Enttäuschung Platz. Er sagte in gesenktem Tone:

»Tief, sehr tief! Ich hab mir denkt, daß die Stimme hoch gewest sein muß.«

»Wie ein Tenor?«

»Sogar wie ein Alt oder Discant.«

»So sprechen doch nur Kinder und Frauen; dera Samiel aberst ist ein Mann. Auch kannst Dir denken, daß seine Stimm tief gewest sein muß, weil er die Larv vor dem Mund habt hat.«

»Ja, ja,« stimmte Sepp schnell ein. »Er hat wohl seine Stimm verstellt und tiefer sprochen wie gewöhnlich, und durch die Larv hats noch tiefer klungen.«

»Warum meinst, daß er die Stimm verstellt haben soll?«

»Damit Du ihn nicht an derselbigen erkennst.«

»So denkst also noch immer, daß er ein Bekannter von mir ist.«

»Nach Allem, wast bisher verzählt hast, muß er ein solcher sein.«

»Und ich kann das nicht glauben. Ich kanns nicht für möglich halten.«

»Wollen uns nicht darüber streiten. Sag lieber, wie es nachhero weiter gangen ist. Also er hat vor Dir standen und - warte noch, Kronenbauer! Weißt auch seine Gestalt noch? Hast sie Dir merkt?«

»Ja.«

»Wie war sie? Klein oder groß?«

»Er war klein, fast so klein, daß ichs gar nicht glauben möcht, daß er solche Thaten begehen kann.«

»War er dürr?«

»O nein, aber er war auch kein gar Dicker.«

»So, so! Hm, hm!«

Der Sepp brummte diese Silben so langsam und nachdenklich, daß es dem Bauer auffiel. Darum fragte dieser:

»Was hast? Denkst Dir vielleichten was bei dieser Gestalt?«


// 1790 //

»Ja.«

»Was denn?«

»Was ich denk, das ist mir selberst noch nicht ganz klar. Ich muß zurath gehen mit der Meinung, die ich mir bilden will. Nachhero wann ich denk, daß ich das Richtige troffen hab, werd ichs Dir sagen. Also, was hat er sprochen?«

»Er hat fragt: >Was willst hier, Kronenbauer?<«

»Und was hast ihm antwortet?«

»Nix, kein Wort. Ich bin so starr und verschrocken gewest, daß ich gar nicht hab reden konnt. Es ist gewest, als ob mir die Kehl zugeschnürt worden sei.«

»Das war gefehlt; das war sehr gefehlt. Ich hätt das ganz anderst macht an Deiner Stell.«

»So! Was hättst denn macht?«

»Ich hätt mich schnell auf ihn stürzt, ihn zu Boden worden und da entweder so würgt, daß ihm der Athem vergangen wär, oder laut um Hilf gerufen. Auf keinen Fall hätt ich ihn entkommen lassen.«

»So sagst jetzt. Aber wannst an meiner Stell gewest wärst, so wär Dirs ganz ebenso ergangen wie mir. Wer am warmen Ofen sitzt, der kann nicht frieren, wanns draußen schneit. Und wann er sagt, daß er sich draußen nicht verkälten würde, so mag er nur hinaus gehen in den Sturm und Schnee und es versuchen.«

»Vielleicht hast Recht, vielleicht auch nicht. Ich bin schon in Lagen gewest, die ganz ähnlich waren wie die Deinige; aberst so verschrocken bin ich nicht wie Du. Reden hab ich allemal konnt und zuschlagen auch. Hat er nicht über Dich lacht, daßt so steif und starr vor Angst warst?«

»Nein. Er hat weiter fragt: >Suchst etwan Deine Frau?< Und darauf hab ich mit >Ja< antwortet, grad wie ein Schulbub, wann dera Lehrern ihn examinirt. Magst immer über mich spotten, Sepp. Ich bin kein Furchtsamer und kein Hasenherz gewest all mein Lebtage nicht, aberst an demselbigen Abende hab ich keine Macht über mich habt.«

»Ich verspott Dich nicht, denn begreifen laßt sichs schon. Red weiter.«

»Auf mein Ja hat er kurz und höhnisch auflacht und dann sagt: >Kannst sie immer suchen; aberst sehen sollst sie niemals wieder. Dafür werd ich sorgen.< Und in demselbigen Augenblick hob er den rechten Arm empor. Ich hatt gar nicht sehen, daß er eine Pistolen in dera Hand habt hat. Er hielt sie mir blitzschnell entgegen, grad ins Gesicht und bevor ich nur Zeit fand, mich schnell abzuwenden, that es einen Krach; es blitzte mir vor denen Augen auf, als ob die ganze Welt in Flammen ständ. Es war mir, als ob ein Feuerstrom mich niederfegte; dann war es dunkel und ich fiel zu Boden. Seitdem ist es dunkel blieben und nie wieder hell worden.«

»O mein Gott! So also ists kommen, so!« sagte der Sepp. »Dera Samiel hat sich das Alles vorher überlegt, grad wie ein Teufel, wie ein richtiger Satanas. Bist nachhero wohl ohnmächtig west?«


// 1791 //

»Ja. Ich hab die Besinnung verloren habt. Als ich aufwachen that, konnt ich nix sehen; aberst an den Stimmen und Fragen und Worten hab ich hört, daß das Gesind bei mir war. Die Leut hatten den Schuß hört und den fürchterlichen Schrei, den ich ausstoßen hatt, ohne es zu wissen. Sie waren aus denen Betten sprungen und nach dem Garten eilt, denn aus dem war der Schrei kommen. Dort hattens mich funden, wie ein Todter vor dera Lauben liegend. Nun schafftens mich fort ins Bett und fragten, was schehen sei. Ich hab vor Schmerz wimmert wie ein kleines Kind und kaum verzählen konnt, daß ich vom Samiel ins Aug schossen worden bin. Das Pistol ist nur mit Pulver laden gewest. Also sterben hab ich nicht sollen, sondern nur blind sein. Es wär viel besser gewest, wann er mich gleich derschossen hätt.«

»Weißt, Kronenbauer, grad das giebt mir halt viel zu denken.«

»Mir nicht.«

»Er muß doch einen Grund haben, Dich nicht zu tödten. Es muß für ihn besser und vortheilhafter sein, daßt leben bleibst.«

»Wohl nicht. Er hat sein Gewissen nicht mit einem Mord beladen wollen. Das ist ja Grund genug und eine ganz hinreichende Erklärung.«

»Mag sein; aberst ich werd mal tiefer nachdenken über die Sach. Vielleichten komm ich auf einen nützlichen Gedanken.«

»Denk immer nach. Wirsts auch nicht weiter bringen als ich mit all meinem Sinnen und Grübeln, was gar nix gefruchtet hat.«

»Wollen sehen. Hättst mir schon längst Alles so verzählt wie heut, vielleichten hätten wir da bereits den Samiel fangen.«

»Oho! Hältst Dich wohl wirklich für den Mann, der das vollbringt, was die ganze Polizeien bisher vergeblich versucht hat?«

»Kann schon sein, daß grad ich dieser Mann bin. Weißt, es giebt eben Dinge, die ein Einziger leichter fertig bringt als Mehrere oder Viele. Wann zehntausend Männer sich ans Ufer stellen, um einen Fisch zu fangen, so machens einen Lärmen und eine Unruhen, daß dera Fisch sich sicherlich nicht derblicken läßt, sondern davonschwimmt. Aberst wann ein Einziger sich heimlich ans Ufer setzt und die Angel fein sacht ins Wasser läßt, so beißt dera Fisch viel leichter an. So ein Fisch, so ein Hecht und Räuberfisch ist dera Samiel. Ich bin eben jetzunder im Begriff, mir eine Angelruthen zu schneiden. Nachhero werd ich mich an sein Wasser schleichen, und wann er sich noch so sehr in Acht nimmt, anzubeißen, so werd ich doch durch Geduld und guten Köter ihn endlich noch überlisten.«

»Das sagst mit solcher Ueberzeugung, als obst ganz sicher wärst, ihn zu fangen!«

»Ja, diese Ueberzeugung hab ich jetzt.«

»Sepp, sprichst im Ernst?«

»Ja. Hast mich mal als einen Maulhelden kennen lernt?«

»Nein. Du hast immer stets wußt, wast reden thust.«

»Schau, so ists auch heut.«

»Wannst so sprichst, da wird mir ganz wohl zu Muth. Denn ich weiß,


// 1702 //

daßt einen heimlichen Grund haben mußt, zu glauben, daß dera Hecht an die Angel gehen wird.«

»Ja, den hab ich freilich.«

»Darf ich ihn nicht derfahren?«

»Heut noch nicht. Wann ichs Dir gleich mittheil, könntst mir Schaden machen und Dir auch. Doch sobald ich einsehen thu, daß es gerathen ist, es Dir zu sagen, wirst es hören. Und versprechen mußt mir auch, es Niemandem wissen zu lassen, worüber wir heut sprochen haben.«

»Das Versprechen brauch ich Dir gar nicht zu geben. Es versteht sich ganz von selbst, daß ich es Niemandem sagen thu. Oder meinst, daß es mir Vergnügen macht, von diesen traurigen Angelegenheiten zu reden?«

»Nun, ich mein' freilich, daß man über solche Herzeleiden am Liebsten schweigen thut.«

»Freilich. Du bist dera Erste und Einzige, dem ich Alles so ausführlich anvertraut hab.«

»Vielleichten wärs besser gewest, wannst dem Gericht Alles sagt hättest. So ein Juristikus hat eine ganz andere Schneid als Unsereiner. Dem braucht man nur den Anfang des Fadens zu geben, so wickelt er den ganzen Knäuel ausnander. Hast denn kein Vertrauen habt?«

»Nein.«

»Aberst wannst diese beiden Briefen vorzeigt hättst, so wär das wohl dera Faden gewest, dens abwickelt hätten.«

»Da hätt ich mein häusliches Elend verrathen müssen. Im Stillen kann man es schon tragen. Wenn es nachhero mit Kanonen in alle Welt hineinschossen wird, dann ists nicht mehr zum Aushalten. Lieber möcht ich nachhero sterben.«

»Ja, bist immer Einer gewest, der gern auf seine Ehr und Reputationen sehen hat. Vielleicht ists die Kätherl gar nicht werth, daßts wegen ihr verschwiegen hast.«

»O doch!«

»Sooooo?«

Er sprach dieses Wörtchen sehr langgedehnt aus und hielt dabei den gespannten Blick prüfend auf das Gesicht des Bauers gerichtet.

»Ja,« antwortete dieser. »Sie hat sich ändert.«

»Wirklich? Ist sie anders worden?«

»Gar sehr viel. Gleich von jenem Augenblicke an, wo ich erblindet bin, hats einen ganz anderen Ton angeschlagen.«

»Das sollt mich gefreuen. Aberst wo hats denn steckt, als Du im Garten schossen worden bist?«

»Doch in ihrer Kammer.«

»Hast sie aberst doch nicht darinnen sehen!«

»Das hab ich ihr auch vorgehalten, doch hat sie mir sagt, daß sie in dera Ecken vor ihrer Truhen kniet hat, um in dera Wäsch zu suchen. Da konnt ich durch das Schlüsselloch sie freilich nicht sehen.«


// 1793 //

»Warum hat sie nicht antwortet, alst anklopft hast?«

»Aus Uneinigkeiten, weil ich sie am vorherigen Tag schlagen hab.«

»Ach so! Dieser Grund kann freilich gelten. War sie auch mit im Garten?«

»Nein. Sie hat schlafen. Sie mußt erst aufiweckt werden.«

»Da hat sie einen sehr festen Schlaf habt. In so einer stillen Gegend, wo, besonders noch dazu in dera Nacht, eine solche Ruhe herrscht wie hier, da muß man durch einen Schuß selbst aus dem festesten Schlafe aufiweckt werden. Meinst nicht auch?«

»Man sollts wohl denken; doch hat sie stets einen gesunden und gar festen Schlaf habt.«

»Hm! Denk mal zuruck! Wie viel Zeit ist wohl vergangen gewest von da an, wo Du an ihrer Thüren standest, bis dahin, wo dera Schuß fallen ist?«

»Kaum fünf Minuten.«

»So! Alst an dera Thüren warst, da hat sie noch in dera Wäschen kramt, und nach fünf Minuterln hats bereits so fest schlafen, daß sie selbst von dem Schuß nicht aufiweckt worden ist!«

»Meinst, daß man nicht in fünf Minuten einschlafen kann?«

»O doch. Besonders wann man jung ist und vielleicht gar noch ermüdet dazu, nachhero ist man weg in einer einzigen oder auch zwei Minuten. Aberst Deine Frauen legt sich doch nicht in denen Kleidern und Schuhen und Strümpfen ins Bett?«

»Das fallt ihr gar nicht ein.«

»So rechne mal, wie viel Zeit ein Frauenzimmer bedarf, um sich zum Schlafen auszukleiden. Die bringt wohl noch mal so lang zu wie Unsereiner.«

Diese Fragen und Bemerkungen erregten doch die Aufmerksamkeit des Bauers. Er wendete dem Sepp rasch sein Gesicht zu und fragte:

»Warum sagst mir das? Hats etwan was zu bedeuten?«

»Nein, gar nix. Ich hab nur gern wissen wollt, ob die Frauen wirklich nicht im Garten gewest ist und ob also in dem zweiten Brief eine Lügen standen hat.«

»Eine Lügen ists gewest; das weiß ich freilich. Als man mich ins Bett legt hat, ist die Magd gleich zum Kätherl laufen, um sie zu holen. Da hat sie lange Zeit pochen mußt, bevor die Bäurin erwacht ist, so fest hats schlafen. Nachhero aberst ists ganz er schrocken sprungen kommen und hat sich wehklagend über mich worfen, mich ihren lieben Mann nannt und sich vor Weh nicht lassen können.«

»So! Also hats Dich gar so sehr lieb habt!«

Diese Worte wurden in einem so hörbar ironischen Tone gesprochen, daß der Bauer schnell antwortete:

»Ja, lieb hats mich wohl trotz Alledem habt, und ich bin vielleichten selbst mit schuld west an dem traurigen Zerwürfniß. Sie hat Tag und Nacht


// 1794 //

an meinem Bett sessen wie eine Mutter bei ihrem Kind, es mir an nix fehlen lassen und mich ganz zärtlich pflegt, bis ich wiederum aufi konnt hab.«

»So hats ihre Pflicht than.«

»Ja, und vollkommen. Die Schmerzen hats mir freilich nicht nehmen konnt, und das Augenlicht konnts mir auch nicht erhalten. Die Augen sind hoch anschwollen gewest, und ich kann Dir nicht beschreiben, was ich da ausstanden hab. Es waren Qualen, wie sie im Fegefeuer oder in dera Höll nicht größer sein können. Da hats das Kätherl bei mir aushalten und mich tröstet und mir alle guten Worten geben. Sie hat mir den Mundbissen vorgeschnitten und mich lehrt, mit blindem Aug zu essen. Sodann, als ich die Stub verlassen durft, hats mich in den Garten führt und auch weiter fort, bis ich lernt hab, mich allein zurecht zu finden. Wir haben uns niemals wiederum so sehr stritten und ärgert wie früher. Kleine Zwistereien sind wohl vorkommen, aberst solche Sachen wie vorher niemals wieder. Sie ist anderst worden. Meine Blindheit hat sie von ihrem Leichtsinn heilt.«

»Ich möchts halt glauben, Dir zu Lieb.«

»Kannsts glauben. Freilich getrennt sind wir blieben wie vorher. Sie wohnt und schläft ganz allein in ihrer Stuben. Mir kann das recht sein. Ein alter, blinder Mann würde sich nur lächerlich machen, wenn er begehrlich und zärtlich thun wollt. So bin ich also wenigstens in dieser Beziehung zufrieden. Meine Ehe ist eine stille worden. Wir leben in Frieden neben einander und vermeiden Alles, was uns uneinig machen könnt.«

»Hasts ihr aber doch sagt von dem zweiten Brief, dent erhalten hast?«

»Ja, ich hab es ihr verzählt.«

»Da bin ich neugierig, was sie darauf zu Dir antwortet hat.«

»Sie hat die einzige Antwort geben, die ihr möglich war. Sie hat gar nix davon wußt. Derjenige, der den Briefen schrieben hat, muß einen Haß auf sie worfen haben und hat ihr schaden wollt bei mir.«

»Also dera Samiel?«

»Der? So meinst also wirklich, daß der den Briefen verfaßt hat?«

»Ja.«

»So hätt er doch auch den ersten schrieben, da beide von derselbigen Hand stammen.«

»Natürlich! Er hat sich doch sogar mit seinem Namen unterzeichnet.«

»Da möcht ich fast sagen, daßt Dir selbsten widersprichst, Sepp.«

»Wieso?«

»Nun, im ersten Briefen wird mir droht. Da steht, daß ich meine Frauen besser behandeln soll. Und im zweiten Schreiben will dera Verfasser ihr schaden. Wie reimt sich das zusammen?«

»O, das paßt ganz gut zusammen, wann man sich nur den richtigen Vers daraufi macht.«

»So mach ihn mir doch!«

»Mir hab ich ihn bereits macht; Dir aberst darf ich ihn noch nicht vor-


// 1795 //

singen. Wart nur die Zeit ruhig ab. Und jetzund wollen wir schweigen. Dera Fritz kommt mit dera Eierspeisen.«

Der Knecht brachte zwei Flaschen Bier nebst den Gläsern und einen großen Teller voll Rührei mit Schinken und Wurst.

»Hast lang warten mußt, Sepp,« sagte er. »Ich wollt Dich selberst bedienen, anstatt dera Magd. Darum bin ich gleich drinnen blieben, bis das Essen fertig war.«

»Hat nix schadet.«

»Ihr werdet Euch wohl indessen gut unterhalten haben, so daßt keine Zeit habt hast, an den großen Hungern zu denken.«

»Gar so überaus groß ist er gar nicht gewest.«

»Nun, so wirds zureichen. Da!«

Er setzte die Sachen auf den Tisch, welcher vor der Bank unter der Tanne stand. Es hätten zwei Esser genug gehabt. Der Sepp aber meinte:

»Konnts die Magd nicht was größer machen? Wann ich nicht nur einen kleinen Appetiten, sondern einen wirklichen Hungern hätt, so wärs viel zu klein.«

»Was, zu klein? Sepp, daran könnt doch fast ein Elephant genug haben!«

»So! Hast mal sehen einen Elephanten Rührei essen? Mir ist das noch nicht widerfahren.«

»Aber mir.«

»So! Und wann war das?«

»Eben jetzt.«

»Donnerwetter! Also dera Elephanten soll ich wohl sein?«

»Ja. Wenigstens thust ganz so, als obst so einen großen Magen hättst wie derselbige.«

»So paß auf, wie schnell es alle wird! Für wen hast das Bier mitbracht?«

»Für Dich und den Bauer.«

»So schenk auch eini! Was nützts uns, daßts für uns mitbringst, wann wir es nicht bekommen.«

»Höre, bei dera schlechten Launen, die Du heut hast, gefallt mirs nicht bei Dir. Da möcht ich mich lieber davon machen. Jetzunder klingt soeben das Glöckerl zum Paternoster und zum Ave Maria.«

Die Drei entblößten ihre Häupter und beteten still. Dann sagte der Bauer:

»Nun kannst aufisteigen, Fritz. Die Zeit ist da.«

»Hm!« meinte der Knecht. »Lieber wäre mirs halt, wenn ich dableiben dürft.«

»Warum?«

Der junge Mann erröthete. Er wurde sichtlich verlegen und fand keine Antwort. Dann aber erklärte er:

»Weil dera Sepp da ist.«


// 1796 //

»Kannst auch später noch genug mit ihm reden. Bleibst doch heut da bei uns, Sepp?«

»Ja. Aberst warum soll denn dera Fritz fort und nicht dableiben?«

»Die Bäurin hat ihn bestellt.«

»Ich denk, sie ist in dera Kirchen?«

»Freilich. Er soll sie abholen.«

»Ach so! Da muß er natürlich gehen. Ein Knecht muß gehorsam sein.«

Er hatte Fritzens Erröthen gar wohl bemerkt, that aber nicht so. Dem scharfen Auge des Alten konnte eben nicht so leicht Etwas entgehen, was geeignet war, seinen Plänen zu dienen. Der Knecht gehorchte und ging, sich dem Steige zuwendend, der zur Höhe führte, auf welcher die Capelle stand. Ihre Lage war ganz so, als ob der Dichter sie im Auge gehabt habe, als er die Verse schrieb:

»Was schimmert dort auf dem Berge so schön,
Wenn die Sternlein hoch am Himmel aufgehn?
   Das ist die Capelle still und klein;
   Sie ladet den Pilger zum Beten ein.

Was tönet in der Capelle zur Nacht
So feierlich ernst, in ruhiger Pracht?
   Das ist der Brüder geweihter Chor;
   Die Andacht hebt sie zum Herrn empor.

Was hallt und klinget so wunderbar
Vom Berge herab, so tief und klar?
   Es ist das Glöcklein, das in die Gruft
   Am frühen Morgen den Pilger ruft.«

Auch Fritz dachte an diese Worte des Gedichtes, als er jetzt mit ausgiebigem Schritte bergan stieg. Er war sehr ernst gestimmt. Er war überhaupt eine tiefe, stille, ernste Natur, und das mochte seinen Grund wohl zunächst in der natürlichen Veranlagung haben. Jedenfalls aber trug auch der Umstand, daß er eine Waise war, viel dazu bei, ihn von den ausgelassenen Vergnügungen der Jungburschen fern zu halten.

Er hatte weder Vater noch Mutter gekannt. Zwar war ihm im Kronenhofe eine Heimath geboten worden, aber er galt dort doch nur als Knecht, obgleich der blinde Bauer ihn mehr wie einen Sohn behandelte. Er hatte eine außerordentliche Zuneigung zu dem Blinden. Gegen die Bäuerin aber fühlte er eine unbezwingliche Abneigung.

Sie hatte ihn, als er noch Knabe war, sehr schlecht behandelt, sich aber später so gleichgiltig gegen ihn verhalten, als ob er für sie gar nicht existire. Seit einiger Zeit hatte sich das verändert. Sie war freundlicher gegen ihn geworden.

Er hatte zuweilen bemerkt, daß ihr Auge heimlich mit einem Ausdrucke auf ihm ruhte, der ihm Unruhe bereitete. Es lag eine stille Gluth, ein heißes Verlangen in diesen Blicken. Auch in ihrem Tone, wenn sie mit ihm sprach und Niemand dabei zugegen war, lebte ein Etwas, welches er mehr und mehr


// 1797 //

zu fürchten begann. Er war keineswegs blind gegen ihre Schönheit. Er betrachtete sie, wenn er sich unbeachtet wußte, ebenso genau wie jeder Andere; aber er betrachtete sie so, wie man ein Gemälde betrachtet, welches eine schöne, üppige, reizende Judith vorstellt, welche das blutige Haupt des Holofernes in der Hand hält. Es graute ihm vor ihr, trotz ihrer Schönheit.

Ihm waren die Blicke nicht entgangen, welche sie vorhin auf ihn geworfen hatte. Noch nie hatte sie ihn aufgefordert, sie abzuholen oder sie zu begleiten. Heute hatte sie das zum ersten Male gethan. Warum? Was wollte sie von ihm? Ihm sagen, was der Pfarrer gepredigt hatte? Nur das?

Er wurde aus diesem Sinnen gestört und zwar auf eine angenehme Weise, auf die angenehmste, die es für ihn nur geben konnte.

Der Pfad war zu beiden Seiten von Gras und Gebüsch eingefaßt. Als Fritz jetzt eine Krümmung desselben hinter sich hatte und um einen Haselbusch bog, sah er ein junges Mädchen, welches im Grase gesessen hatte und sich beim Geräusche seiner Schritte nicht rasch genug hatte erheben können.

Als er nun plötzlich vor ihr stand, erglühte sie vor Verlegenheit, indem sie sich die Falten aus dem kurzen Röckchen strich. Sie mochte achtzehn Jahre zählen, war von mittlerer Statur und hübschen Formen. Ihr Gesichtchen, von hellem Haargelock umrahmt, wurde von einem kleinen Hütchen beschattet, dessen einziger Schmuck eine Rose war. Eine eben solche stak auch an ihrem Busen, den ein schwarz sammetnes Mieder eng umschloß. Das allerliebste Gesichtchen hatte den Ausdruck von Herzensgüte. Sie war jedenfalls ein mildes Wesen, ganz geeignet, sich an einen kräftigen Charakter zu schließen, der ihr zur Stütze dienen konnte.

"Grüss Gott Martha!"

»Martha!« sagte er. »Du bist es? Grüß Gott!«

Er streckte ihr die Hand entgegen. Sie legte ihr kleines Händchen leicht hinein.

»Grüß Gott auch, Fritz!« antwortete sie, freundlich zu ihm aufblickend. »Fast wär ich vor Dir verschrocken!«

»Warum?«

»Ich hab denkt, es sei ein Anderer.«

»So! Aberst wannst wußt hättest, daß ich es bin, hättst Dich nicht fürchtet?«

»Nein, vor Dir nicht.«

»Ich denke mir aber, daß eine Försterstochter, die mitten im Walde lebt, vor gar Keinem derschrecken soll.«

»Försterstochter? Dera Förster ist ja nur mein Oheim.«

»Aberst Du bist halt doch grad wie das Kind, wie die Tochter bei ihm.«

»Das denken die Leut. Ich bin eigentlich nur die Magd.«

»Davon hab ich nix wußt. Ich hab immer hört, daß er sehr gut mit Dir sei.«

»Früher ja, doch jetzunder nicht mehr.«

»Warum?«


// 1798 //

»Wegen der - wegen Deiner - - wegen was, das weiß ich selberst nicht.«

Sie hatte sich zweimal unterbrochen. Sie befand sich sichtlich in Verlegenheit. Sie hatte beinahe einen Namen genannt, welchen sie ihm nicht sagen konnte.

Er blickte ihr freundlich forschend in das Gesicht und sagte:

»Das weißt selberst nicht? Du weißt es gar wohl, doch willst Du es mir nicht sagen; das schau ich Dir an!«

»Kannst Dich doch irren!«

»In Dir? Niemals!«

»So! Kennst mich denn gar so genau?«

»Dich braucht man gar nicht zu kennen. Deine Seel und Dein Herz sind Dir so gar deutlich ins Gesichterl schrieben, daß ein jedes Kind dran ablesen kann, wie gut Du bist.«

»Hör, Fritz, so darfst nicht sprechen!«

»Warum nicht?«

»Weil ich das nicht gern hör.«

»Wie? Du magsts nicht haben, daß man Dir sagt, wie brav Du bist?«

»Weil es doch weiter nix als eine Schmeicheleien ist.«

»So! Meinst, daß ich so ein Hallodri bin, der denen Dirndeln schöne Worten sagt, wann er es selbst nicht glaubt?«

Sie blickte ihm wieder freundlich in das ernste Angesicht und antwortete:

»Nein, so Einer bist nicht. Du bist vielleichten dera Einziger hier, der der Aufrichtige ist. Aberst doch darfst mir nicht das sagen, wast mir sagt hast.«

»So! Warum nicht, frag ich Dich? Wer ists denn, der sich des Abends aus dem Forsthause fortstiehlt, um einem armen oder kranken Leutl Essen zu bringen oder eine andere Wohlthaten, weils am Tag nicht geschehen kann, da dera Förster ein Geiziger und Rauher ist?«

»Das weißt?« fragte sie erröthend.

»Jawohl! Ich hab Dich gesehen.«

»Wo denn?«

»Am Montag am Spätabend. Da bin ich spazieren gangen zum Dorf hinaus. Weißt, ich hab manchmal Gedanken, mit denen man am Liebsten allein ist. Darum geh ich gern hinaus ins Freie, wann die Sternlein so still niederschauen, daß es Einem auch still wird und ruhig im Herzen. Da hab ich Dich sehen. Ich hab Dich kommen hört und trat zur Seite, um nicht sehen zu werden. Du kamst aus dem Wald heraus und gingst drüben wieder hinein, hinab nach dem Erlengrund.«

»Woher weißt, daß ich nach dem Erlengrund bin?«

»Ich - ich bin Dir nachgangen.«

Jetzt erröthete er; aber es wäre ihm unmöglich gewesen, ihr eine Unwahrheit zu sagen. Sie zog ihre Hand aus der seinigen, denn er hatte sie bis jetzt festgehalten, und sagte in vorwurfsvollem Tone:

»So! Hinter mir her bist? Fast eine Viertelstunden lang?«


// 1799 //

»So lang ists gewest, ja.«

»Wann ich das wußt hätt, so wär ich gleich wieder umikehrt.«

»Warum, Martha?«

»Meinst, daß es Einem lieb ist, wenn Einem ein Bub hinterher schleicht?«

Er lächelte ihr vertraulich zu und meinte:

»Und ich bin nicht nur bis zum Erlengrund mit hinab, sondern auch wieder mit zurück bis zum Försterhaus.«

Sie war sehr ernst geworden.

»Aberst warum?« fragte sie. »Ich hab mir nicht denkt, daßt so Einer bist wie - wie - wie - -«

»Nun, wie denn?«

»Wie - wie Andere.«

»Da weiß ich noch immer nicht, wast meinst. Wie sind denn die Anderen?«

»So, daß sich ein braves Dirndl vor ihnen fürchten muß.«

»Ach so! Und nun fürchtest Dich auch vor mir, Martha?«

»Ja, denn ich muß doch, wannst in dera Nacht heimlich hinter mir herlaufst.«

»Und ich habs doch grad deshalb than, daßt Dich nicht fürchten sollst.«

»Wieso?«

»Als ich Dich an mir vorübergehen sah, da hab ich an den Samiel denkt. Wann der dazu käm und Du wärst so gar allein im Wald! So bin ich also heimlich hinter Dir her, grad wie ein Hund, der seine Herrin beschützen will, wann sie in Gefahr kommt. Weil aberst nix passirt ist, habe ichs nicht merken lassen, daß ich bei Dir war.«

Jetzt erhob sie die großen, ehrlichen Augen mit dankbarem Blicke zu ihm empor.

»Deshalb ists gewest?« sagte sie. »Da muß ich mich freilich gar schön bei Dir bedanken.«

Sie streckte ihm das soerst entzogene Händchen wieder hin. Er nahm es in seine beiden Hände.

»So bist mir also nicht bös?«

»O nein. Wie könnt ich das, wannst mich hast beschützen wollen. Aberst wannst da hinter einer Jeden gehen wolltst, so hättst gar viel zu thun.«

»Hinter einer Jeden? Das thät mir gar nie einfallen. Hinter keiner Anderen. Du bist die Einzige, bei der ich es thun kann.«

»Jetzund sagst wohl wiederum eine Unwahrheiten.«

»Nein, gewiß nicht.«

»Es wird schon auch Andere geben, die Du gern beschützen thätst.«

»Ich weiß Keine. Es giebt ja überhaupten Keine, die um Mitternacht fast eine halbe Stunde weit durch den Wald läuft, um einer kranken Frauen Hilf zu bringen.«

»Ich habs gar gern than. Die da unten im Erlengrund, in der alten Mooshütten, worein dera Regen lauft, haben jetzund gar sehr zu leiden. Er,


// 1800 //

der Holzknecht, ist krank, und sie hat zu denen fünf kleinen Kindern das sechste bekommen. Da giebts große Noth und kleine Bissen. Dera Förster ist ein Geizhals, der giebt keinen Pfennig und kein Krumerl Brod. Und da muß ich, damit er es nicht bemerkt, des Nachts zu dera armen Frauen, wann ich sie besuchen will.«

»Und nimmst ihr das Essen mit, wovon Du satt werden sollst.«

»Es reicht schon aus,« antwortete sie, indem sie den Blick zu Boden senkte.

»Nein, es reicht nicht aus. Dera Förster ist bekannt allüberall. Er läßt sich wegen eines Pfennigs ein Loch in's Knie bohren. Du hast ihm die ganze Wirthschaft zu führen und bekommst nicht satt zu essen und auch keinen Lohn, weil er Dein Oheim ist.«

»Wie? So sprechen die Leutln?«

»Ja. Habens etwan nicht Recht?«

»So schlimm ists nicht, wie Du es machst.«

»Grad so schlimm ists, und vielleichten noch schlimmer. Du aber bist die Sanfte und Gute, die es verbirgt und es nicht wissen lassen will.«

»Und doch reicht es aus, daß ich auch mal was verschenken kann.«

»Ja, weilst in dera Nacht an der Stickerei sitzest und nachhero die Arbeit zur Stadt bringst, um Dir ein paar Groscherln zu verdienen.«

»Auch das weißt Du?«

»Ich weiß Alles.«

»Von wem?«

»Von - von Niemand.«

»Es muß Dirs doch Jemand sagt haben!«

»Niemand hats mir sagt. Weißt, wann man Jemand gern hat, so braucht man von Anderen gar nix zu hören, man weiß es doch. Da hört das Ohr doppelt scharf und das Auge sieht dreimal besser als sonsten.«

Sie entzog ihm die Hand von Neuem.

»Geh fort! Bist doch ein Hallodri! Wast da sagst, das gilt nix, gar nix!«

»So! Magsts also nicht leiden, daß ich Dich gern hab?«

»Es ist doch gar nicht wahr!«

»Willsts nicht glauben? Ja, zum Glauben kann man Niemand zwingen. Aber als Du vorhin von dera armen Frauen sprachst, da hab ich denkt, daß ich der auch wohl was geben könnt.«

»Was denn?«

»Ein Brod und noch was dazu und auch wohl ein Markerl, daß sie sich einen Kaffee dazu machen kann.«

Da glänzten ihre Augen freudig ihm entgegen.

»Das willst ihr geben, wirklich?«

»Ja, gern.«

»Aberst Du hast selbst nix dazu? Bist ja nur dera Knecht. Geld hast


Ende der fünfundsiebzigsten Lieferung - Fortsetzung folgt.



Karl May: Der Weg zum Glück

Karl May – Forschung und Werk