Lieferung 72

Karl May

10. Dezember 1887

Der Weg zum Glück.

Vom Verfasser des »Waldröschen«, »Verlorner Sohn«, »Deutsche Helden« etc.


// 1705 //

»Du siehst es ja.«

»Du willst verreisen?«

»Vorher mich mit Dir verständigen.«

»Wohin?«

»Nach Wien natürlich.«

»Zu Deinem Vater?«

»Ja. Ich muß das Testament holen.«

»Brav! Das habe ich gewußt. Du bist meine gute, tapfere Schwester.«

»O, es ist keine besondere Tapferkeit. Daß ich meine Pflicht thue, hat mich gar keine Ueberwindung gekostet. Tapferkeit brauchte ich nur, um die fürchterliche Nachricht überhaupt zu ertragen und das Entsetzen zu überwinden, welches sich meiner bemächtigen wollte. Weiß Herr Sandau, was mir geschehen ist?«

»Ich habe es ihm gesagt. Ich setzte da freilich voraus, daß Du mir dazu Deine Erlaubniß nachträglich geben würdest.«

»Du hast sie ganz gern. Aber Herr Sandau hat den Brief meiner Mutter nicht gesehen. Er soll ihn lesen. Hier ist er.«

Sie nahm ihn vom Tische weg und gab ihn Sandau. Dieser trat damit an das Fenster. Er mußte sich so stellen, daß sie nicht sehen konnten, daß das Papier in seinen Händen zitterte.

Endlich, endlich hatte er den Beweis, daß sein armer Vater unschuldig verurtheilt worden war. Es war ihm, als ob er laut aufjauchzen solle, und doch hätte er auch ebenso laut aufweinen mögen! Die Wörter tanzten vor seinen Augen. Er kam nur langsam vorwärts, so daß Max Walther bemerkte:

»Nun, kannst Du nicht buchstabiren? Oder bist Du Rechtsanwalt geworden, und es gehen Dir nun alle Paragraphen des Erbrechtes und Strafgesetzbuches im Kopf herum?«

Da wendete Rudolf sich den Beiden wieder zu. Er gab Milda den Brief zurück und fragte:

»Gnädiges Fräulein, wissen Sie genau, daß Ihre verstorbene Frau Mutter die Verfasserin dieses Briefes ist?«

»Es kann kein Zweifel daran sein.«

»Will man Sie nicht etwa mystificiren?«

»O, davon kann keine Rede sein.«

»Und dennoch möchte ich bitten, nur mit der äußersten Vorsicht zu handeln.«

»Natürlich werde ich nicht leichtsinnig vorgehen. Ich spreche mit dem Vater. Diese Unterredung wird mir Gewißheit verschaffen. Uebrigens habe ich außer diesem Briefe noch einen lebenden Zeugen.«

»Ah! Einen Menschen?«

»Ja. Dieser Mann weiß zwar von der Unterschiebung des gefälschten Testamentes nichts, aber er kann beeiden, daß mein Vater jenen Herrn von Sandau unschuldig in Strafe gebracht hat.«

»Was? Wie? Dazu lebt ein Zeuge, ein wirklicher Zeuge?«


// 1706 //

»Ja.«

»Wie heißt er? Wo ist er? Was ist er?«

Das wurde mit solcher Hast gefragt, daß Milda ihn befremdet anblickte. Er sah ein, daß er sich nicht genug beherrscht habe und bat:

»Verzeihung, gnädiges Fräulein! Ich will keineswegs indiscret sein; aber bei der Hochachtung, welche ich so aufrichtiger Weise für Sie empfinde, muß mich diese Angelegenheit ganz außerordentlich interessiren. Ich möchte Alles hören und wissen, nur um beweisen zu können, daß Sie nicht so unglücklich sein dürfen, wie Sie selbst sich machen wollen.«

Sie reichte ihm die Hand.

»Ich danke Ihnen. Ja, ich weiß, daß Sie nicht aus müssiger Neugierde fragen, und darum will ich Ihnen ja gern Rede und Antwort stehen. Ich kenne nämlich den Mann, welcher jene Documente entwendet hat, welche Herr von Sandau der fremden Regierung zum Verkaufe angeboten haben soll.«

»Mein Gott! Unmöglich!«

»Ja. Er war damals Kompagnieschreiber und bei Herrn von Sandau mit schriftlichen Arbeiten beschäftigt. Dort hat er die Sachen gestohlen und an meinen Vater verkauft.«

»Ist das erwiesen?«

»Ja, denn er hat es mir erzählt.«

»Er wird doch nicht etwa lügen!«

»O nein! Es kann ihm doch nicht einfallen, ein Verbrechen einzugestehen, welches er nicht begangen hat.«

»Wird er es beeiden?«

»Er muß.«

»Haben Sie sich seiner Person versichert?«

»Ja, der König hat ihn gestern Abend hier in diesem Zimmer arretiren lassen.«

»Der König? Ah! In Wahrheit?«

»Der König war bei Dir?« fragte auch Max überrascht.

»Ja. Ich muß es erzählen.«

Sie berichtete das gestrige Vorkommniß. Rudolf las ihr die Worte förmlich von den Lippen ab. Als sie geendet hatte, fügte sie mit entsagungsvollem Lächeln hinzu:

»Sie sehen also, Herr Sandau, daß eine Täuschung gar nicht vorliegen kann.«

»Wenn es so ist, so - so - - -«

Er wußte vor Erregung gar nicht, was er sagen sollte.

»So bin ich ein recht bedauernswerthes Kind. Nicht wahr?« vollendete sie seinen angefangenen Satz.

»Ja, insofern Sie erfahren, daß Sie die Tochter eines solchen Vaters sind. Was aber das Uebrige betrifft, so bitte ich Sie, ja nicht überschnell zu handeln.«

»Ich werde meine Pflicht thun.«


// 1707 //

»Und nach Sandau forschen?«

»Ja.«

»Wenn Sie ihn nun nicht finden? Was dann?«

»Dann thue ich trotzdem meine Pflicht. Ich beweise, daß der Verschollene ein Ehrenmann war.«

»Aber das Erbtheil behalten Sie natürlich!«

»Nein.«

»Aber bitte! Wem anders als Ihnen kann es gehören, wenn Sandau verschollen ist?«

»Seinen Verwandten.«

»Er hat keine.«

»Woher wissen Sie das?«

»Ich denke es mir.«

»Sie sagten das in einem Tone, als ob Sie vollständig überzeugt davon seien.«

»O nein. Hätte er Verwandte, so hätten sich diese jedenfalls damals seiner angenommen, denke ich mir.«

»Das mag sein. Ihm hat ja überhaupt die Erbschaft nicht gehören sollen, sondern seiner Frau, jener Emilie von Sendingen. Und ich denke mir, daß sich Verwandte derselben finden lassen werden, denen ich das unrechte Gut ausantworten kann.«

»Das heißt, die Gewissenhaftigkeit zu weit treiben!«

Sie blickte ihm ernst, beinahe vorwurfsvoll in's Gesicht.

»Herr Sandau! Ich habe Sie für einen ehrlichen Menschen gehalten!«

»Ich denke auch, daß ich es bin,« antwortete er erröthend.

»Aber mir muthen Sie zu, wie eine Diebin zu handeln!«

Er befand sich in großer Verlegenheit.

»Gnädiges Fräulein, bitte deuten Sie meine Worte nicht in dieser Weise!«

»Gut! Ich denke, Ihre Theilnahme für mich reißt Sie ein Wenig zu weit fort. Ich will gern arm sein, wenn ich nur meine Ehre und mein gutes Gewissen rein erhalte. Freilich, Sie werden auch mit darunter leiden.«

»Ich?« fragte er erstaunt.

»Gewiß. Haben Sie noch nicht daran gedacht?«

»So wenig, daß ich mir nicht erklären kann, was Sie meinen.«

»Nun, es kann jetzt aus unserm Baue nichts werden. Das Schloß ist nicht mehr mein Eigenthum. Ich bin jetzt nur die Verwalterin eines fremden Vermögens und muß mich da der allergrößten Sparsamkeit befleißigen.«

»Ah, ists das?«

»Ja. Sie erschrecken?«

»Gewiß nicht.«

»Aber es stirbt Ihnen damit doch eine liebe Hoffnung. Sie sind arm - wenn auch nicht ganz so arm wie ich. Ich hatte es gut gemeint. Aber


// 1708 //

verlieren Sie den Muth nicht. Gott wird Ihnen ja helfen, wie ich hoffe und überzeugt bin, daß er auch mir helfen werde.«

Das war so herzlich und mit solcher Ergebung gesprochen, daß ihm fast die Thränen in die Augen traten.

»Ja, er wird Ihnen helfen, so wie er bereits mir geholfen hat,« sagte er im Tone innigster Ueberzeugung.

»Hat er bereits? Wieso?« fragte sie erfreut.

»Ich habe mich an einer Preisaufgabe betheiligt. Der König hat gestern meiner Mutter allerhöchst eigenhändig den ersten Preis von tausend Mark ausgezahlt, und ich habe den Auftrag bekommen, die neue Kirche von Eichenfeld zu bauen.«

»Wirklich, wirklich?« rief sie aus.

»Ja. Mutter schwimmt in Wonne.«

»Die Gute! Das glaube ich.«

»Und dieses Glück hat eine ganz unerwartete Wirkung auf ihre gelähmten Glieder hervorgebracht. Denken Sie sich, gnädiges Fräulein, als ich gestern von Ihnen nach Hause kam, befand sie sich außerhalb des Bettes!«

»Wie unvorsichtig!«

»O nein! Sie kam mir entgegen! Sie konnte gehen. Ihre Lähmung war geheilt.«

Sein Gesicht strahlte vor Wonne, als er das erzählte. Sie schlug die kleinen, schönen weißen Händchen zusammen, blickte ihm in aufrichtigem Entzücken in das erregte Angesicht und rief:

»Welch ein Wunder! Welch ein Wunder! So hat also die Freude das geheilt, was der Schreck hervorgebracht hat! Das freut mich außerordentlich. Wie gern würde ich sofort zu ihr gehen, um ihr zu sagen, wie entzückt ich bin, leider aber habe ich keine Zeit dazu. Aber sobald ich von Wien zurückkehre, werde ich ihr sofort meinen Besuch machen. Bitte, sagen Sie ihr das!«

»Wirst Du lange dort bleiben?« fragte Walther.

»Hoffentlich nur einen Tag.«

»Und allein willst Du reisen?«

»Nein. Deine Mutter fährt mit. Wir haben das noch gestern Abend, bevor wir uns trennten, besprochen. Natürlich setzten wir da Deine Einwilligung voraus.«

»Nach dieser darfst Du gar nicht fragen. Ich habe Dir nichts zu befehlen.«

»Aber als mein Bruder darfst Du verlangen, daß ich in Allem Deinen Rath höre.«

»Nun, der wird bei jeder Gelegenheit gleich lauten, nämlich daß Du thun sollst, was Dein Herz Dir gebietet, denn dieses ist Dein bester und sicherster Rathgeber.«

»So bist Du also einverstanden?«

»Gewiß.«


// 1709 //

»Dann reise ich beruhigt ab. Natürlich aber bitte ich Dich um Verzeihung, daß Du meinetwegen den heutigen Weg hast unternehmen müssen.«

»O bitte. Hast Du irgend noch einen Wunsch an mich?«

»Für jetzt noch nicht.«

»So ersuche ich Dich, mich zu entlassen. Ich werde dann wohl noch zu der Zeit eintreffen, wenn der Schulunterricht zu beginnen hat.«

»Ja. Daran habe ich nicht gedacht. Du sollst Deine Pflicht nicht versäumen.«

»Nun,« lächelte er. »Ich habe ja am Längsten geschulmeistert.«

»Ists bestimmt?«

»Ja. Ich gehe mit dem Sohn des Finkenheiner nach dem Orient, wie Du weißt. Meine gegenwärtige Stelle ist bereits wieder ausgeschrieben. Sobald der neue Lehrer ankommt, schüttle ich den Staub von den Füßen.«

»Wird sich einer melden?«

»Hm! Ich möchte es hoffen. Also grüß mir die Mutter! Baldiges Wiedersehen!«

Rudolf Sandau wollte natürlich mit ihm fort. Er bot Milda bereits die Hand; da aber fügte Max hinzu:

»Leb wohl, Rudolf! Ich habe keine Zeit. Die Kinder dürfen nicht sagen, daß ihr Lehrer weniger pünktlich sei als sie.«

Damit war er zur Thür hinaus.

»Na,« meinte Sandau verwundert, »gar so eilig ists doch nicht! Jetzt wird er beinahe rücksichtslos.«

»O nein,« antwortete Milda. »Ich glaube vielmehr, daß er es gut meint. Er will mir wohl Gelegenheit geben, mich noch einmal bei Ihnen zu entschuldigen. Nicht wahr, Sie verzeihen mir?«

Sie streckte ihm das Händchen entgegen und blickte ihm mit milder Bitte in die Augen. Er ergriff ihre Hand. Er antwortete nicht sogleich. Sein Auge wurde dunkler. Es war ihm anzusehen, daß er mit einer tiefen, tiefen Bewegung kämpfte.

»Gnädiges Fräulein,« sagte er endlich. »Sie handeln, wie Ihr Gewissen es Ihnen gebietet. Das ist wahr. Aber grad darum denke ich, daß es nicht ganz so schlimm werden soll, wie Sie jetzt denken. Sie haben vorhin gesagt, Gott werde helfen, und ich bin überzeugt, daß er helfen wird.«

»Ja, er hilft stets, freilich oft auf eine ganz andere Weise, als wir es wünschen.«

»Haben Sie bereits einen Plan für die Zukunft entworfen?«

»Nein. Ich überstürzte mich nicht. Ich habe das ja nicht nöthig. Die Forschungen nach Sandau können ja Monate, vielleicht Jahre in Anspruch nehmen. Brot- und obdachlos werde ich also nicht so schnell werden.«

»Gott sei Dank! Es ist mir wirklich beinahe angst geworden.«

»Sie Guter! Freilich ist es möglich, daß der Gesuchte auch recht rasch gefunden wird, denn es giebt Einen, welcher suchen will. Und grad dieser hat die Macht, welche zum schnellen Finden gehört.«


// 1710 //

»Wer ist das?«

»Der König.«

»O weh!«

Er dachte daran, daß der König ja ganz genau wußte, wo die Gesuchten sich befanden.

»Bedauern Sie das?« fragte sie.

»Ja und nein. Ich habe zweierlei Standpunkte und weiß wirklich nicht genau, auf welchen ich mich stellen soll.«

»Natürlich auf den der Ehrlichkeit.«

»Das versteht sich von selbst. Hat Ihnen der König nicht gerathen, sich an einen Rechtsgelehrten zu wenden? Vielleicht könnten Sie das Vermögen oder doch einen Theil desselben retten.«

»Danke! Hier giebt es nichts zu retten. Was mir nicht gehört, das mag ich unter keinem Umstande behalten.«

»Sie haben jedenfalls Recht. Wenn es möglich wäre, daß meine Ehrerbietung für Sie sich steigern könnte, so würde ich Sie mit größerer Hochachtung verlassen als ich mitgebracht habe. Möge Ihr Weg sich wie immer gestalten, mich werden Sie nicht brauchen; aber ich bitte Sie dennoch, zuweilen daran zu denken, wie sehr ich Ihnen ergeben bin.«

»Das werde ich thun, mein guter Herr Sandau. Und daß ich Ihrer nicht bedürfen werde, das steht noch gar nicht so fest, wie Sie meinen. Wer so arm ist, wie ich sein werde, der kann der Freunde gar nicht genug besitzen. Ich spreche da nicht etwa von der pecuniären Armuth, sondern von einer ganz anderen, von der inneren. Und aufrichtig will ich Ihnen gestehen, daß ich grad über Ihre Ergebenheit mich recht herzlich freue.«

»Wenn ich das glauben dürfte!«

»Sie dürfen es.«

»So danke ich Ihnen aus vollem Herzen!«

»Und ich hege auch keineswegs die Absicht, auf Sie und Ihre gute Mutter zu verzichten. Ich werde die Letztere sehr oft besuchen.«

»Um hoch willkommen zu sein!«

»Hoffentlich! Jetzt haben Sie zu mir fast wie zu einem höheren Wesen aufgeschaut. Dann aber, wenn ich ebenso arm bin wie Sie, dann können wir in herzlicherer Weise mit einander verkehren. Darauf freue ich mich, und das ist eine der sicheren Tröstungen, welche ich von der Zukunft erwarten darf.«

Das Herz schwoll ihm. Wie gern hätte er gesagt, was er für sie fühlte.

Aber durfte er? Schon holte er tief Athem, um das Wort auszusprechen. Sie mochte ahnen, was in ihm vorging. Sie entzog ihm die Hand und fügte hinzu:

»Und nun lassen Sie uns scheiden. Ich darf Ihre Zeit nicht länger in Anspruch nehmen und sehe auch bereits meine liebe Frau Holberg kommen. Auf Wiedersehen!«

Man konnte durch das Fenster sehen, daß die Genannte von der Straße


// 1711 //

her nach dem Schlosse einbog. Er verbeugte sich, stammelte noch einige Worte und ging.

Draußen begegnete er Frau Holberg. Er grüßte höflich und eilte weiter.

Sie hatte gesagt, daß der König ihr helfen werde. Wie leicht konnte der Monarch glauben, große Freude anzurichten, indem er sagte, wo der Aufenthalt der Familie von Sandau sei. Darum ging Rudolf nicht nach Eichenfeld zurück, sondern er schritt, anstatt links abzubiegen, graden Weges auf Hohenwald zu.

Er hoffte, den König zu treffen und wollte ihn bitten, sein Geheimniß nicht zu verrathen. Als er ungefähr die Hälfte des Weges zurückgelegt hatte, nur mit sich selbst beschäftigt, und gar nicht auf die Umgebung achtend, rief eine Stimme aus den Büschen heraus:

»Guten Morgen, Herr Sandau! Grüß halt Gott!«

Er blieb stehen und schaute sich um; aber er sah Niemand.

»Ja, wanns mich sehen wollen, so müssens halt ein Wengerl näher treten.«

Da sass der Sepp.

Er trat zwischen die Büsche hinein. Da saß der Wurzelsepp, den Stock und Rucksack neben sich und den alten Hut, welcher jetzt voller Erdbeeren war, zwischen den Beinen.

»Ah, Sepp, Du bists! Grüß Dich Gott!«

»Schönen Dank! Wollens mit thun?«

»Danke!«

»Na, na! Danken thut man erst, wann man gessen hat. Schauns her, was für Beeren das sind! Die richtigen feinen und guten. Die haben den echten Duft. Die sind ganz anderst als die anderen, welche in denen Gärten zogen und derbaut werden. Da, legens Ihr Schnupftücherl unter, damits sich nicht die Hosen schmutzig sitzen, und setzens sich herbei. Dera Hut ist voll, und so reichts für uns Beide aus.«

»Ich danke wirklich. Ich habe keine Zeit!«

»So! Sinds etwan Schnelläufer worden?«

»Nein. Aber können Sie mir sagen, wo sich der König befindet?«

»Welcher? Der grüne oder eichelne?«

»Unsinn! Unserer!«

»Ach so! Dera wird wohl im Bayern sein.«

»Alter, mach mir keine Dummheiten! Ich habe nothwendig mit ihm zu sprechen.«

»So? Was denn?«

»Das ist ein Geheimniß.«

»So? Na, dann dürfens ihm das Geheimniß doch auch nicht verrathen.«

»Ihm, ja dem kann ich's sagen.«

»So! Aberst mir wohl nicht?«

»Nein.«

Da zog der Alte ein Gesicht, wie der Fuchs es ziehen würde, wenn der Hase zu ihm sagte, daß er ein guter Braten sei. Er steckte eine ganze Hand


// 1712 //

voll Erdbeeren in das gewaltige, mit prachtvollen Zähnen eingefaßte Loch, welches sich unter seinem Schnurrbarte öffnete, zerkaute sie, schluckte sie hinab und meinte dann lachend:

»Ja, dera Sepp braucht nix zu wissen. Der plaudert Alles aus!«

»Das habe ich nicht gesagt.«

»Sagt nicht, aberst so than habens! Wissens was? Was dera König wissen darf, das kann ich auch derfahren.«

»Hm!«

»Hier giebt es gar nix zu Hm! So einen alten, guten Freunden, wie ich Ihnen bin und auch Ihrer Frau Muttern, dem darf man schon mal ein Vertrauen schenken.«

»Gern! Mein Vertrauen besitzest Du. Das weißt Du ja.«

»Aberst sagen thuns mir nix. Da dank ich halt für das Vertrauen.«

»Sepp, das Geheimniß gehört ja nicht mir allein.«

»So! Wem denn noch?«

»Einigen anderen Personen.«

Der Sepp lachte laut auf.

»Das ist schön! Das kann mir gefallen! Ein Geheimnissen gehört auch noch einigen anderen Personen! Als obs nachhero noch ein Geheimnissen sei! Wann einmal dera Hahn seinen Hühnern sagt hat, daßt er keine Eiern legen kann, nachhero habens die Gäns und Enten auch sehr bald derfahren. Thuns halt nur nicht so groß und fett mit ihren Geheimnissen. Was dahintern steckt, das weiß dera Wurzelsepp schon auch!«

»Du? Da irrst Du Dich wohl.«

»Ich? Glaubs nicht.«

»Nun, um was handelt es sich denn?«

»Doch wohl um den Herrn Hermann Arthuren Keilbergen, dens gestern Abend dort in Schloß Steineggen einiwickelt haben!«

»Was? Du weißt davon?«

»Himmelsakra! Ich möcht wissen, was dera Sepp nicht wissen thät!«

»Wer hat es Dir denn gesagt?«

»Der da.«

Er streckte seinen kleinen Finger empor und fuhr fort:

»Der ist nämlich viel gescheidter als Ihr alle mitnander. Nun will die Milda Ihr ganzes Geldl hergeben und - - -«

»Auch das weißt Du?« fiel der junge Mann in die Rede. »Schwatz nicht so dumm, Buberl! Ich weiß Alles und noch mehr als Du! Aber verzeihens, mein verehrter Herr Sandauen, daß ich mal grob worden bin! Wann man kein Vertrauen zu mir hat, nachhero bin ich wie ein Löwe, welcher reitzt worden ist; ich freß die ganze Menagerie auf. Also die Milda will das ganze Geldl hergeben. Dera Sandau aberst will nix haben. Darum rennt er nun zum König, damit dieser nicht verrathen soll, wo jetzunder eigentlich die richtige Erbin stecken thut.«

»Mensch, kannst Du Gedanken errathen?«


// 1713 //

»Zuweilen. Wann Einer so ein dummes Gesicht machen thut, wie soeben das Deinige ist, so kann man sehr leicht derrathen, was er im Schilde führt. Na, nix für ungut! Sagens mal, ob ich Recht hab!«

»Ja.«

»Schauns! Habs mir denkt.«

»Aber wie kommst Du auf diesen Gedanken?«

»Grad so, wie Sie. Er ist mir in denen Kopf kommen grad wie Ihnen auch. Oder habens vielleichten die Ihrigen Gedanken ganz wo anderst als im Kopf?«

»Nein. Aber, Sepp, eine schlechte Laune hast Du heut!«

»Ists ein Wunder, wann man seine Erdbeeren allein essen muß und nachhero auch nix von dem derfahren soll, was man bereits schon weiß.«

»Wer hat es Dir denn gesagt?«

»Das ist nun mein Geheimnissen, was ich auch nicht verrathen thu.«

»O, ich weiß es! Vom König hast Du es.«

»Von dem? Der wird mit dem Wurzelsepp sprechen!«

»Schweig! Wir wissen, wie Du mit ihm stehest. Hat er Dir vielleicht in dieser Angelegenheit einen Auftrag gegeben?«

Der Sepp hatte, während er sprach, immer gegessen. Jetzt legte er den Kopf weit nach hinten, sperrte den Mund auf und schüttete sich den letzten Rest der Beeren aus dem Hute hinein. Dann antwortete er kauend:

»So? Nun wollens was von mir wissen, nachdems mir nix haben sagen wollt. Das ist sehr gut. So ein Diplomaten aber wie Sie, der bin ich auch noch. Von mir könnens nix derfahren.«

Er stand auf, stülpte sich den Hut auf den grauen Kopf, warf den Rucksack über und griff nach dem Alpenstock.

»Aber, Sepp, so nimm mir die Kleinigkeit doch nicht so übel!«

»Hörens, das sind keine Kleinigkeiten!«

»Ich dachte, Du wüßtest noch nichts.«

»Ach so, das meinens! Na, übel nommen hab ichs nicht. Ich bin nur heut in dera Fruh mal falsch aufistanden, nämlich aus dem Heu anstatt aus dem Bett, und da muß ich meine Wuth an jemand auslassen. Gehens immer nach Hohenwald. Dera Herr Ludwig ist daheim in dera Mühlen; da werdens ihn finden.«

»Schön! Und nun will ich Dir eine freudige Nachricht mittheilen. Meine Mutter kann wieder stehen und gehen.«

»Was? Wie ist das kommen?«

»Vor Freude über eine glückliche Botschaft, welche uns gestern geworden ist.«

»So! Was für eine Botschaft ist das wohl gewest?«

»Das errathest Du nicht!«

»So! Na, daß Sie tausend Markerln als ersten Preis bekommen haben, das kann dera Wurzelsepp schon noch derrathen!«


// 1714 //

»Alle Teufel! Er weiß es wirklich.«

»Und daß Sie die neuen Kirchen bauen müssen, davon hat mir auch träumt.«

»Der König hat Dirs gesagt?«

»Der sagt mir nix! Der hat auch immer solche Geheimnissen wie Sie; aber ich derrathe sie alle mitsammen. Ich hab einmal so eine Nasen, die man in jeden Senf stecken muß. Ist denn dera Herr Lehrern auch schon fort aus Steineggen?«

»Hast auch das gewußt, daß er dort war?«

»Er hats mir gestern selber sagt, daßt er hingehen will. Nun will ich auch hin.«

»Wirst das Fräulein nicht mehr antreffen.«

»So? Warum?«

»Sie ist nach Wien.«

»Sappermenten! Wohl zu ihrem Vatern?«

»Ja.«

»Na, das wird eine große Freude sein, wanns sich mal wiedersehen. Muß aber trotzdem nach Steineggen; denn wo dera Sepp nicht ist, da gehts drunter und drüber. Und grad weil die Herrin fehlt, muß ich hin, um zu schauen, obs auch Ordnung halten. Grüß Gott, Herr von Sandauen.«

Er ging.

»Sepp!«

»Was willst noch?«

»Sag nichts, daß ich von Adel bin!«

»Gut! Nachhero darfst aberst auch nix sagen, daß ich nicht von Adel bin. Was dem Einen recht ist, das ist dem Andern billig. Also behüt Gott, Herr Sandauen!«

Er schritt tiefer in den Wald hinein. Er glaubte, Milda vielleicht noch anzutreffen. Die Straße hatte mehrere Krümmungen, welche er dadurch abschnitt, daß er in grader Richtung auf das Schloß zuhielt.

Er erreichte es von der hintern Seite. Als er den Park durchschritten hatte und den Zaun erreichte, welcher den Letzteren von dem Blumengarten trennte, schritt er längs des Stacketes hin. Seine Schritte waren nicht zu hören, da das kurze, dichte Gras den Schall derselben dämpfte.

Da hörte er ein lautes Lachen.

»Prosit!« sagte eine Stimme.

Er erkannte sie als diejenige des Hausmeisters, den er gar nicht leiden konnte. Er blieb stehen. Gläser klangen.

»Prosit!« antwortete eine Frauenstimme.

»Warum sollen wir uns nicht auch mal eine Güte thun. Ich hatte mir den Kellerschlüssel weggesteckt, und da die Gnädige fort ist, so können wir fein frühstücken.«

Der Sepp schlich sich näher. Eine Laube stieß mit ihrer Hinterwand an den Zaun. Sie war sehr dicht mit sogenanntem Pfeifenholz bewachsen.


// 1715 //

Die sehr großen Blätter desselben machten ein Durchblicken unmöglich, ließen aber dafür Alles hören.

Der Alte setzte sich hart an dem Zaune ins Gras nieder. Er hatte, wie früher erwähnt, mit dem Hausmeister einige nicht sehr freundschaftliche Scenen gehabt. Vielleicht war es möglich, jetzt irgend Etwas zu erlauschen, was dazu dienen konnte, diesem Manne einen Streich zu spielen. Daß da drin in der Laube ein gestohlener Wein getrunken wurde, das war ja nun bereits verrathen.

Sepp hörte das appetitliche Schlürfen. Er ballte die Faust und drohte damit nach innen.

»Ah!« machte es der Hausmeister.

»Der ist echt.«

»Wohl aus Frankreich?« fragte die weibliche Stimme. »Natürlich. Aus der Champagne. Ich möchte wetten, von dieser Sorte kostet die Flasche zehn Gulden, wenn nicht mehr.«

»Und da haben Sie vier Flaschen beseitigt! Das macht vierzig Gulden!«

»Pah! Unsereiner will sich auch einmal eine Güte thun. Für das Andere, was zum Frühstück gehört, haben Sie gesorgt. Uns soll es schmecken.«

»Das war nicht schwer. Die Gnädige hat gestern Abend nichts gegessen. Es kam Alles wieder nach der Küche retour.«

»Und heut wohl auch nicht?«

»Keinen Bissen.«

»Hm! So essen wir es.«

»Möchte nur wissen, was es gegeben hat!«

»Das kümmert uns jetzt nicht. Geben Sie mir von dem Schinken herüber.«

»Da! Bitte! Aber wissen möchte ich es doch gern, was passirt ist.«

Es erfolgte keine Antwort. Der Hausmeister schien zu kauen. Sepp fuhr mit seinem Stock vorsichtig zwischen die Blätter und bildete sich eine kleine, von innen unbemerkbare Lücke, durch welche er blickte. Die Laube war nicht groß. Es stand ein Tisch mit zwei Stühlen darin. Auf einem der Letzteren saß der Hausmeister, mit vollen Backen kauend, und auf dem andern die dicke Köchin, welche der Sepp auch bereits schon einmal gesehen hatte.

Sie mochte ungefähr dreißig Jahre als sein, während ihr gegenwärtiger Tischgenosse jedenfalls über fünfzig zählte.

Auf dem Tische stand neben allerlei geraubten Eßwaaren eine geöffnete Flasche Champagner; drei andere Flaschen standen als Reserve unten auf der Erde.

»Haben Sie denn nicht erfahren können, was es war?« fragte die Köchin.

»Hm!« antwortete er, weiter kauend.

»Sie waren doch mit oben!«

»Allerdings.«

»Was haben Sie da gesehen?«

»Hm!«

»Schweigen Sie mit Ihrem Gebrumm! Wenn Sie nichts wissen, so lassen Sie mich nicht so unnöthig fragen!«

»Ich, nichts wissen! Pah!«


// 1716 //

»So? Da reden Sie also!«

»Ein treuer Diener muß verschwiegen sein.«

»Aber Champagner darf er mausen?«

»Das ist etwas Anderes.«

»Na, ganz wie Sie wollen! Da packe ich wieder ein und gehe fort.«

Sie stand auf.

»Halt! Milka, bleiben Sie doch!«

»Fällt mir nicht ein!«

»Unsinn! Sie wissen ja, wie gern ich Sie habe!«

»Das ist nicht wahr.«

»Donnerwetter! Ich dachte, Sie könnten mir das glauben.«

»Ich habe gar keinen Grund dazu.«

»So! Weiß schon! Sie haben es auf den Jäger abgesehen. Ich bin Ihnen zu alt.«

»Der Jüngste sind Sie freilich nicht. Und Unsereins ist doch - - na!«

»Was denn?«

»Schauen Sie mich doch an! Was soll ich, wenn ich heirathe, mit einem alten Manne machen? Ihn etwa todtpflegen, wenn er die Auszehrung bekommt!«

Sie pflanzte sich mit ihrer fetten, breiten, mehr als üppigen Gestalt nahe vor ihn hin. Seine Augen verschlangen die Einzelnheiten ihrer kolossalen weiblichen, überreifen Schönheit.

»Sehe ich aus wie Auszehrung?« fragte er.

»Jetzt noch nicht.«

»Aber Sie meinen, daß ich sie noch bekommen könnte?«

»Vielleicht.«

»Alle Teufel! Jeder Andre kann sie ebenso gut bekommen. Setzen Sie sich nieder, Milka. Heut paßt es wie noch nie. Heut wollen wir uns verständigen.«

Sie setzte sich, brummte aber widerwillig vor sich hin:

»Das müßten Sie anders anfangen.«

»Wie denn?«

»Sie reden mir immer von Ihrer großen Liebe und vom Heirathen vor. Aber ist das Liebe, wenn Sie mir nicht einmal eine Frage beantworten!«

»Fremden theile ich mich nicht mit.«

»Bin ich denn eine Fremde?«

»Gewiß. Wenn Sie meine Braut sein wollten, so brauchte ich kein Geheimniß vor Ihnen zu haben.«

»Sie würden auch nichts sagen.«

»Alles, Alles!«

»Ist das denn so viel?«

»Mehr als Sie denken. O, ich kenne Geheimnisse - Geheimnisse!«

»Thun Sie doch nicht so wichtig!«

Und trotz dieser Worte waren ihre Augen mit einem wirklich gierigen


// 1717 //

Ausdrucke auf ihn gerichtet. Sie gehörte zu denjenigen zarten Wesen, deren größtes Vergnügen im Klatschen besteht und welche davon fett zu werden scheinen.

»Ich kann wohl wichtig thun. O, wenn ich wollte!«

»Was wäre da? Was?«

»Vielerlei, was ich jetzt nicht sagen kann. Sie halten es ja mit dem Jäger.«

»Das ist nur aus Spaß und zum Zeitvertreib.«

»So! Warum machen Sie da nicht mit mir auch solchen Spaß?«

»Weil Sie zu alt und zu ernst dazu sind.«

»So! Zu alt bin ich noch nicht. Ich befinde mich in den besten Mannesjahren, und jede Frau wird mit mir zufrieden sein. Ihr Jäger bekommt nicht halb so viel Gehalt wie ich, und wenn ich will, so muß mich der Baron so ausstatten, daß ich im Leben gar nichts mehr zu machen brauche.«

»Schneiden Sie nicht auf!«

»Es ist Wahrheit.«

»Der Baron, der Geizhals! Ihnen so viel geben!«

»Ganz gewiß.«

»Warum denn?«

»Weil ich ihn zwingen kann.«

»Aber womit?«

»Ich werde mich hüten, es Ihnen zu sagen!«

»Es erfährts ja Niemand von mir!«

»Trotzdem! Das sind Sachen, die man höchstens seiner Frau mittheilen darf.«

»So! Das müssen sehr wichtige Sachen sein.«

»Gewiß. Wollen Sie denn wirklich den Jäger heirathen?«

»Das kann mir gar nicht einfallen.«

»Es hat aber ganz das Aussehen.«

»Unsinn! Er ist fünfundzwanzig und ich einunddreißig. Das wäre eine schöne Ehe. Und bei seiner Gage müßte man ja verhungern.«

»Oder wollen Sie gar nicht heirathen?«

»Ich will es nicht verreden. Ich habe den Dienst satt. Ich will auch einmal meine eigene Wirthschaft haben!«

»Nun, warum greifen Sie da nicht zu! Die können Sie bei mir sofort haben.«

»Wenns wahr ist!«

»Der Teufel soll mich holen, wenn ich lüge!«

Da rückte sie ihren Stuhl näher zu dem seinigen heran, goß ihm sein Glas voll, stieß mit ihm an und sagte:

»Wenn man Ihnen trauen könnte!«

»Warum sollten Sie nicht?«

»Ich habe mir immer gedacht, daß Sie mir nur was weiß machen wollen. Ein Hausmeister hat etwas zu bedeuten. So einen Posten bekommt nicht


// 1718 //

Jeder. Sie sind mir natürlich viel lieber als der Jäger; aber ehrlich müssen Sie es meinen.«

»Sagen Sie jetzt die Wahrheit?«

»Ja.«

Da ergriff er sie bei den fetten Armen, zog sie näher an sich und sagte:

»Milka, ich habe Dich ungeheuer lieb. Ich sage Dir, daß ich ganz vernarrt in Dich bin. Willst Du mir auch gut sein?«

»Ja, aber heirathen!«

»Natürlich!«

»Und bald!«

»Versteht sich! Also sags, willst Du mich lieb haben?«

»Wenns so steht, ja.«

»So gieb mir einen Kuß!«

Es klatschte wie mit einer Schlittenpeitsche. Dann klangen die Gläser wieder zusammen. Schlürfende Laute ließen sich hören, und sodann sagte die Dicke:

»Also sind wir nun Bräutigam und Braut?«

»Ja.«

»Und was hast Du vorhin gesagt?«

»Nun, was denn?«

»Wenn ich Deine Braut wäre, könntest Du mir Alles sagen.«

»Das ist richtig. Aber so schnell geht das nicht.«

»Wie! Warum nicht?«

»Ich habe ja noch gar keinen Beweis, daß Du es auch wirklich ehrlich meinst.«

»Ich versichere es!«

»Wer kann das glauben! Du kannst auch nur so thun, und nachher gukst Du mich gar nicht mehr an.«

»Sei nicht so dumm! Jetzt werde ich mich von Dir küssen lassen, wenn ich Dich nicht wirklich heirathen will.«

»Der Jäger hat Dich doch auch geküßt!«

»Nicht ein einziges Mal!«

»Oho!«

»Er wollte. Der Kerl hatte immer Appetit.«

»Das glaube ich wohl, denn Du bist ein gar appetitlicher Bissen.«

Er zog sie liebevoll an sich. Sie ließ es geschehen. Er schlang beide Arme um sie; aber es gelang ihm freilich nicht ihr Taille zu umfassen. Der alte Kerl hatte wohl noch niemals eine solche >fette< Umarmung gekostet. Er wurde ganz liebesblind, und als sie dann seinen Kopf hüben und drüben anfaßte und ihm einige schallende Küsse gab, da sagte er:

»Ach Gott, wenn das Wahrheit wäre!«

»Es ist ja welche!«

»Milka! So meinst Du es wirklich ehrlich?«

»Donnerwetter, ja! So glaubs doch nur!«


// 1719 //

»Und Du trittst nicht zurück?«

»Nein, außer Du hast mich belogen.«

»Womit soll ich Dich belogen haben?«

»Mit den Geheimnissen und mit dem Gelde, was der Baron Dir geben muß.«

»Das ist Wahrheit.«

»So halte ich auch mein Wort. Weißt Du, wenn ich heirathe und soll mich nachher auch noch so schinden wie jetzt, dann lasse ich es lieber bleiben. Ich will auch die Madame spielen. Ich habe das Geschick dazu und auch die Gestalt. Einen Mann nehmen, bei dem die Armethei zu Hause ist, das fällt mir gar nicht ein.«

»Das hast Du bei mir nicht zu fürchten.«

»Kannst Du mirs beweisen?«

»Ja. Sofort, wenn Du Lust hast.«

»Gut! Also beweise es!«

»Na, gar so hitzig brauchst Du nicht zu sein. Den Beweis kann ich Dir nur in meinem Zimmer liefern. Jetzt aber wollen wir hier erst essen und trinken.«

»Gut! Aber nachher gleich.«

»Ja. Ich halte Wort. Ich werde Dir Etwas zeigen, worüber Du Mund und Augen aufsperren mußt.«

»Was ists denn?«

»Ein Revers.«

»Was ist das für ein Ding?«

»Eine Bescheinigung.«

»Ach so! Von wem?«

»Von unserm Herrn, dem Baron.«

»Und das soll der Beweis sein, den Du mir geben willst?«

»Ja. Jetzt wirst Du das nicht begreifen. Nachher aber wirst Du es einsehen.«

»Gut. So wollen wir rasch essen.«

Sie begann, zu hantieren, daß die Geschirre klirrten.

»Nimm Dir nur Zeit,« bat er. »Wir haben heut nichts zu thun. Wir können in aller Ruhe essen und es uns hier schön und gemüthlich machen.«

»Wenn Niemand kommt.«

»Wollts Keinem rathen, mich zu stören. Ich bin der Hausmeister. Wer mit mir reden will, hat von Weitem stehen zu bleiben. Wir wollen die Zweite aufmachen.«

Der Pfropfen knallte, und der Champagner perlte in den Gläsern. Die Beiden aßen und tranken, herzten und küßten sich dabei und hatten keine Ahnung, daß hinter ihnen Einer saß, der Alles hörte.

»Aber wenigstens das kannst Du mir jetzt sagen, was gestern Abend geschehen ist,« mahnte sie ihn.


// 1720 //

»Das weißt Du doch schon.«

»Nicht ganz.«

»Warst Du nicht dabei?«

»Leider nicht. Weißt Du, ich muß früh um neun Uhr, Mittags und gegen Abend mein Schläfchen haben. Nach dem Abendessen auch. Meine Constitution verlangt das. Darum saß ich gestern Abend in der Küchenecke und schlummerte ein Bischen, als die Geschichte geschah. Nachher habe ich gehört, daß ein Einbrecher arretirt worden ist, welcher den Schmuck der Gnädigen gestohlen hat.«

»Das stimmt.«

»Aber ich habe so meine Gedanken darüber. Ein Einbrecher kann er nicht blos sein. Es muß auch noch einen andern Haken haben.«

»Warum?«

»Weil die Gnädige ihm ein Zimmer hat anweisen lassen.«

»Das ist freilich höchst auffällig.«

»Sie hat auch Befehl ertheilt, daß er bewacht werden soll. Es muß also schon vorher irgend eine Bewandtniß mit ihm gehabt haben.«

»Natürlich.«

»Weißt Du es?«

»Ja.«

»Das heißt, Du hast gelauscht?«

»Gelauscht habe ich nicht, aber doch genug gesehen und gehört, um wissen zu können, woran ich bin.«

»Nun, also weiter.«

»Trink nur!«

»Nachher! Erst muß ich wissen, was es gestern gegeben hat. Es ist ein wahres Elend, bei einer Herrschaft zu dienen, deren Geheimnisse man nicht kennt.«

»Das sage ich auch. Aber man braucht nur die Augen und Ohren aufzumachen, dann erfährt man genug.«

»Das geht wohl bei Dir aber nicht bei mir. Ich stecke den ganzen Tag in der Küche. Was soll ich da sehen oder hören? Grad darum habe ich mich zuweilen mit dem Jäger unterhalten. Er brachte mir die Neuigkeiten.«

»Und was bekam er dafür?«

»Manchmal etwas zu essen, was übrig geblieben war.«

»Weiter nichts?«

»Nein.«

»Wirklich keinen Kuß?«

»Nicht einen.«

»Oder eine Umarmung?«

»Auch nicht.«

»Aber gesteh es doch endlich ein!«

»Sakkerment, red nicht so dumm. Ich werde ihn nicht umärmeln, und


// 1721 //

mich kann er nicht umarmen. Wo soll da die Umarmung herkommen, wenn ich zu dicke bin!«

»Hm! Na, von heut an werde ich selbst Dir die Neuigkeiten bringen.«

»Schön!«

»Aber nicht umsonst!«

»Wird sich finden.«

»Werde mir schon nehmen, was ich haben will!«

»Umsonst kriegst Du nichts. Also rede! Wer war der Kerl gestern?«

»Eigentlich ein alter Bekannter von mir.«

»Was! So ein Spitzbube?«

»Na, brauchst nicht zu erschrecken. Gesehen habe ich ihn, aber mit ihm abgegeben habe ich mich nicht; denn er verkehrte nur mit dem Baron.«

»Was? Der gnädige Herr hat sich mit so einem Menschen abgegeben?«

»Ja. Damals freilich sah der Kerl ganz anders aus. Er war Unteroffizier und Compagnieschreiber, ein schmucker Kerl, aber leichtsinnig.«

»Wie Ihr Männer alle!«

»Das glaubst Du ja selber nicht!«

»Eine Jede glaubt das. Aber was wollte denn der Baron mit ihm?«

»Sag lieber von ihm! Ich war auch neugierig. Ich war damals erst seit ganz kurzer Zeit im Dienste des Barons; aber er hatte doch schon bemerkt, daß ich ein anstelliges Kerlchen war. Ich bemerkte, daß der Unteroffizier dem Herrn einige Schreiben brachte, die hatte er seinem Herrn, welcher von Sandau hieß, gestohlen.«

»Wohl im Auftrage unsers Barons?«

»Ja. Damals hatte ich mich auf einen eigenthümlichen Sport gelegt. Ich trieb nämlich das Autographensammeln.«

»Was ist das?«

»Autograph heißt Handschrift. Jeder meiner Bekannten mußte mir einige Zeilen und seinen Namen ins Stammbuch schreiben. Dann machte es mir Spaß, in müßigen Stunden das nachzumalen. Ich freute mich königlich, wenn ich die Handschrift so genau nachgemacht hatte, daß sie nicht vom Originale zu unterscheiden war.«

»Das ist eine Kunst. Das brächte ich nicht fertig. Kannst Du das auch heut noch?«

»Freilich.«

»So bist Du eigentlich ein gefährlicher Mensch.«

»Warum?«

»Na warum! Einer, der fremder Leuts Handschriften nachmacht, kann doch Andern sehr leicht gefährlich werden.«

»Mag sein. Hast Du mich etwa nun weniger lieb?«

»Unsinn! Wenn es nur Etwas einbringt.«

»Das hat es auch.«

»Und man ist so vorsichtig dabei, daß man nicht erwischt wird.«

»Da brauchst Du gar keine Sorge zu haben, Milka.«


// 1722 //

»Schöne Gesellschaft!« dachte Sepp hinter der Laube.

Er ahnte, was der Hausmeister nun erzählen werde. Er hatte sich auch nicht geirrt, denn der Genannte fuhr fort:

»Der Baron brachte mir einige Handschriftproben, und ich mußte versuchen, sie nachzumachen. Es gelang ganz vortrefflich. Nun setzte er mir einen Brief auf, den ich in dieser Handschrift abschreiben mußte. Jetzt wußte ich es, daß es die Handschrift jenes Herrn von Sandau war, bei welchem der Compagnieschreiber in Arbeit stand.«

»Weshalb mußtest Du es machen?«

»Mein Herr wollte dem Sandau einen Streich spielen.«

»Ist es gelungen?«

»Ja, denn Sandau wurde abgesetzt und kam ins Gefängniß.«

»Schade! War er ein guter Kerl?«

»Im Gegentheile ein sehr schlechter.«

»So ists ihm zu gönnen.«

»Nun denke Dir, in dem Kerl, welcher gestern hier war, habe ich jenen Compagnieschreiber wieder erkannt. Zwar nicht gleich, endlich aber besann ich mich doch. Er war gekommen, dem Herrn oder der Gnädigen Geld abzuschwindeln.«

»Da ist ihm ganz recht geschehen, daß sie ihn eingesteckt haben.«

»Er hätte vielleicht welches bekommen, wenn er nicht auf den Gedanken gekommen wäre, die Gnädige zu bestehlen.«

»Kann er Dir Schaden bereiten?«

»Nein. Die Sache ist längst verjährt.«

»Weißt Du das genau?«

»Ja. Der Baron hat es auch gesagt.«

»So ist es gut. Aber was hat das damalige Nachschreiben der Handschrift denn mit dem Beweis zu thun, den Du mir liefern willst?«

»Sehr viel. Du wirst es bald begreifen. Ich habe noch zu keinem Menschen davon gesprochen; Dir aber sage ich es, weil Du meine Frau werden willst. Da kannst Du Alles wissen. Auch muß ich es Dir erzählen, um Dir zu beweisen, daß ich den Baron im Sacke hab und daß er mir Geld geben muß, wenn ich schweigen soll.«

»So ist das! Du machst mich neugierig. Aber warum wollte er diesem Sandau Etwas auswischen?«

»Das hatte einen sehr gewichtigen Grund. Dieser Sandau hatte eine Frau, welche mit unserer Gnädigen, nämlich nicht der Jetzigen, sondern ihrer Mutter, bei einer alten Tante erzogen worden war. Die Gnädige hatte unsern Baron nicht heirathen sollen und war deshalb enterbt worden; Sandaus Frau aber sollte Alles erben. Darum mußte Sandau ins Gefängniß gebracht werden.«

»Wie schlau!«

»Ja, der Baron hat stets gewußt, was er thut. Aber die Tante hatte das Testament bereits gemacht. Es war von drei Zeugen unterschrieben worden.


// 1723 //

Diese Zeugen mußten fort. Der Eine starb am Typhus. Nun waren noch zwei zu beseitigen.«

»Zu ermorden? Das meinst Du doch nicht?«

»Bewahre!« lachte der Hausmeister auf. »Sie hießen Herr von Schöne und Herr von Selbmann. Beide waren Edelleute. Der Herr von Schöne mußte sich selbst umbringen.«

»Mußte?«

»Ja.«

»Wer konnte ihn denn zwingen?«

»Mein Herr, der Baron.«

»Ach geh! Kein Mensch kann den Andern zwingen, sich zu tödten.«

»O, doch!«

»Wodurch?«

»Durch ein amerikanisches Duell.«

»Was ist das?«

»Bei einem gewöhnlichen Duell kämpfen die Beiden mit einander, beim amerikanischen aber wird nicht gekämpft, sondern das Loos gezogen. Wer das Todesloos zieht, muß sich nach einer ganz bestimmten Zeit tödten.«

»Das ist doch schrecklich. Wenn er sich aber nicht umbringt?«

»So gilt er für ehrlos. Er wird überall ausgestoßen, und kein Mensch mag Etwas von ihm wissen. Dadurch wird er in eine solche Verzweiflung versetzt, daß er sich schließlich doch noch das Leben nimmt.«

»Diese vornehmen Herren sind doch ganz und gar dumm! Mich möchten sie immer anschaun, wie sie wollten, ich brächte mich doch nicht um; ich lachte sie nur aus.«

»Ja, Du bist grad so gescheidt wie ich. Mich brächte auch kein Mensch zum Selbstmord.«

»Dieser Herr von Schöne hat also das Todesloos gezogen?«

»Ja.«

»Aber Dein Herr konnte es doch auch ziehen!«

»Nein. Dafür hatte ich gesorgt.«

»Du?«

»Ja. Die Sache war schon längst abgekartet. Es wurden zwei Loose gemacht, ein schwarzes und ein weißes; aber ein drittes, welches auch schwarz war, hatte ich in der Hand. Ich mußte den Hut meines Herrn halten, in welchen das schwarze und das weiße Loos geworfen werden sollten. Während ich schüttelte, verwechselte ich das weiße mit meinem schwarzen, so daß sich nun zwei schwarze darin befanden. Herr von Schöne zog zuerst, und folglich war das seinige schwarz. Während alle Anwesenden nach ihm sahen, als er das Loos öffnete, nahm ich das zweite schwarze heraus und legte das weiße hinein; dieses zog mein Herr.«

»So war es! Jetzt begreife ich es. Und jener Herr von Schöne hat sich entleibt?«


// 1724 //

»Ja. Er hat sein Testament gemacht und darin mit gesagt, daß er in Folge eines amerikanischen Duelles sterbe. Ist da mein Herr der Mörder gewesen?«

»Nein.«

»So ähnlich war es auch mit dem andern Zeugen, dem Herrn von Selbmann. Der war ein leidenschaftlicher Bergfex.«

»Was ist das?«

»Einer, der alle Jahre in die Alpen läuft und dort die Berge ersteigt.«

»Ist das gefährlich?«

»Ja. Man kann sehr leicht den Hals brechen. Mein Herr reiste ihm nach, ich natürlich mit. Nach einigen Wochen trafen wir ihn endlich in einem Hotel. Er erwähnte, daß er morgen einen Gletscher besteigen werde. Das war nicht gefährlich. Am frühen Morgen stiegen wir voran. An einer Stelle, wo man auf Stufen niedersteigen mußte, welche in das Eis gehauen waren, mußte ich vier dieser Stufen mit dem kleinen Handbeile, welches wir mitgenommen hatten, so unterhöhlen, daß Derjenige, welcher sie betrat, in die Tiefe stürzen mußte, weil sie unter ihm zusammenbrachen.«

»Und er stürzte?«

»Ja.«

»Und war todt?«

»Augenblicklich. Wer ist da der Mörder?«

»Niemand. Er hätte die Stufen untersuchen sollen.«

»Natürlich. Der Kerl war ein Esel.«

»Aber es konnte auch eine andere Person kommen und an seiner Stelle verunglücken!«

»Nein. Wir hatten uns vorgesehen. Wir versteckten uns in der Nähe und paßten auf, wer kommen werde. Wäre es ein Anderer gewesen, so hätten wir ihn gewarnt. Da er es aber war, so ließen wir ihn ruhig weiter laufen.«

»So waren also die Zeugen nun fort?«

»Ja. Jetzt galt es nur, das Testament, in welchem die Frau Baronin enterbt war, umzutauschen.«

»Wie konnte das geschehen?«

»Sehr einfach. Ich holte es.«

»Du bist eingebrochen?«

»Gott bewahre! So Etwas fällt mir gar nicht ein. Einbrechen! Wie gemein! Ich vemiethete mich zu der alten Tante. Ich hatte sehr gute Zeugnisse mit, die aber natürlich auf einen ganz andern Namen lauteten. Sie hatte mich noch nie gesehen, und so konnte sie also auch nicht wissen, bei wem ich eigentlich diente.«

»Höre, Du bist wirklich ein höchst schlauer Patron.«

»Denkst Du?«

»Ja. Ich habe immer einen gewissen Respect vor Dir gehabt; aber daß Du gar so ein Durchtriebener bist, das habe ich doch nicht denken können.«

»Ja. Man sieht es den Leuten oft gar nicht an.«

»Du kannst so solid und ehrwürdig thun.«


// 1725 //

»Das ist ja die Hauptsache. Gerade darum hatte ich mir das Vertrauen der alten Tante so schnell und so vollständig erworben, daß sie mich ganz allein in ihr Cabinet gehen ließ, in welches selbst ihre Leibzofe nur dann treten durfte, wenn die gnädige Frau dort war.«

»Dort befand sich wohl das Testament?«

»Ja, und zwar in einer eisernen Schatulle. Den Schlüssel hatte die Gnädige stets einstecken. Eines schönen Tages aber hatte sie ihn doch stecken lassen, und augenblicklich befand sich das Testament in meinen Händen. Des Nachts wurde es abgeschrieben, natürlich aber verändert, und dann auch gleich wieder in die Schatulle zurückgesteckt.«

»Wie war das möglich?«

»Ich hatte für Morphium gesorgt, welches die Alte in den Abendtrunk erhielt. Sie schlief wie eine Ratte. So wurde das Testament umgetauscht, ohne daß sie es ahnen konnte. Dann zog ich natürlich ab.«

»Ging das?«

»Ja. Ich wurde krank. Da mußte sie mich entlassen.«

»Wieder schlau!«

»Als Beweis, daß ich meine Aufgabe erfüllt hatte, brachte ich dem Baron das echte Testament mit.«

»Natürlich erhieltst Du ein gutes Geschenk?«

»Nicht sofort. Aber ich wartete. Er war ja arm und konnte nichts geben, doch hatte ich ihn nun in den Händen, und als die Alte starb und seine Frau das viele Geld erbte, da hat er viel zahlen müssen.«

»Wieviel?«

»Tausende.«

»Wirklich?«

»Ja, freilich nicht auf einmal, aber ich that, als ob ich immer Geld brauche. Er mußte es schaffen.«

»Wurde er nicht ungeduldig?«

»Zuweilen. Endlich ging ihm die Geduld ganz aus. Er wollte mich fortjagen. Da aber kam er an den Richtigen. Ich zwang ihn, schriftlich zu bekennen, was ich für ihn und er mit mir gethan hatte. Er mußte sich unterschreiben. Das ist der Revers, welchen ich noch heute von ihm in den Händen habe. Ich kann ihn damit ruiniren.«

»Und er muß Dir Geld bezahlen, so oft Du willst?«

»Natürlich.«

»Du bist weiß Gott ein Hauptkerl! Komm her! Ich muß Dir noch einen Kuß geben.«

Sie küßte ihn wiederholt.

»Soll Euch gut bekommen!« brummte der alte Sepp leise vor sich hin.

»Aber,« fragte sie dann, »hat der Baron nie Versuche gemacht, Dich los zu werden?«

»Sogar mehrmals. Sie nützen ihm freilich nichts.«

»Das fürchtete ich auch. Darum sagte ich, ein Verwandter von mir


// 1726 //

besäße den Revers und würde ihn, sobald ich im Dienste des Barons stürbe, der Polizei übergeben.«

»Aber Du hast das Papier natürlich in Deiner Verwahrung?«

»Freilich.«

»Ist es gut aufgehoben?«

»Das versteht sich ganz von selbst. Es steckt im Dreimaster.«

»Dreimaster? Das ist doch ein Schiff?«

»Ja. Aber auch die alten Filzhüte, welche früher getragen wurden, werden so genannt. Es giebt noch heute Herrschaften, deren Dienerschaft in solchen Hüten geht. Damals war ich Leibjäger des Barons und trug auch einen, mit einem grünen Federstutz. Den habe ich mir aufgehoben. Er liegt auf dem Boden meines Kleiderschrankes, und unter dem Futter steckt das Papier.«

»Darf ich es sehen?«

»Ja. Ich zeige es Dir nachher. Du sollst sehen, was der Baron bei unserer Hochzeit zu zahlen hat.«

»Fordere nur genug!«

»Natürlich.«

»Und das Papier ist doch so verwahrt, daß Niemand es Dir nehmen kann?«

»Das versteht sich!«

»Den Schrank verschließest Du?«

»Nein.«

»Was! Welch eine Unvorsichtigkeit!«

»Pah! Das ist grad im Gegentheile eine Schlauheit.«

»Wieso?«

»Hielt ich den Schrank stets verschlossen, so würde sehr bald der Verdacht entstehen, daß ich Heimlichkeiten darinnen versteckt habe. Steht er aber immer offen, so kommt Niemand auf diese Idee.«

»Mag sein. So ist er also auch jetzt offen?«

»Ja.«

»Aber wenn nun Jemand hineingeht in Dein Zimmer und sich für den alten Hut interessirt!«

»Pah! Fällt Keinem ein. Da brauchst Du keine Sorge zu haben. Der Hut steckt seit langen Jahren darin, und es hat sich noch kein Mensch um ihn bekümmert. Komm, trink lieber, als daß Du Dir solche unnöthige Sorgen machst.«

Die Gläser klangen wieder. Die dritte Flasche wurde geöffnet. Die Beiden sprachen noch mancherlei, was aber den Wurzelsepp nicht interessirte. Sie tauschten Liebkosungen aus, welche der Art waren, daß er vorzog, sich zu entfernen. Er erhob sich deshalb leise und schlich sich davon.

»Himmelsakra!« sagte er zu sich leise. »Das war gut, daß ich auf denen Gedanken kommen bin, grad durch den Wald zu laufen. Was ich da hört hab, das soll wohl Nutzen bringen. Aberst merken darfs Niemand, daß ich von da hinten kommen bin. Ich werd einen Umwegen machen, damit ich wiederum auf die Straße gelangen thu.«


// 1727 //

Er führte diesen Vorsatz aus und kam dann von der Vorderseite an das Schloß. Es war kein Mensch zu sehen, weder unter dem Portale, noch auf der Treppe. Die Herrschaft war verreist; da gab es lockere Disciplin. Eben wollte der Sepp die Treppe emporsteigen, da fiel sein Auge auf eine Thür des Flures, auf welcher das Wort »Hausmeister« zu lesen war.

»Potz Blitz!« sagte er sich. »Da drinnen wohnt dera Kerl. Ob ich mal gleich nach dem Dreimaster schau? Hm! Besser ist besser! Die dicke Köchin könnt halt gar den Einfall haben, ihm zu rathen, das Ding wo anderst zu verstecken.«

Er klopfte an, aus Vorsicht. Niemand antwortete. Er trat also ein.

Jetzt befand er sich in der Hausmeisterloge, welche recht wohnlich eingerichtet war. Einen Kleiderschrank gab es da nicht. Darum trat er durch eine zweite Thür. Hier gab es ein Schlafzimmer mit einem Bette. Ein großer, doppelthüriger Schrank stand da. Er öffnete ihn.

Das Möbel hing voller Kleider. Unten auf dem Boden lag - der gesuchte Dreimaster. Sepp nahm ihn auf und betrachtete ihn genau. Er hatte ein dickes, schwarzwollenes Futter, welches durch eine Schnur zusammengezogen war. Er zog diese Schnur auf, und da steckte wirklich ein Papier.

Er faltete es auseinander und überflog den Inhalt. Es war der gesuchte sogenannte Revers, unterzeichnet und mit seinem Siegel versehen von dem Baron Friedrich von Alberg.

»Weg damit!« meinte Sepp, indem er es in seine Tasche steckte.

Er legte den Hut zurück und machte den Schrank wieder zu. Schon wollte er in das vordere Zimmer treten, da hörte er die Außenthür gehen. Stimmen ließen sich hören. Er lauschte einen Augenblick.

»Himmelsakra! Da kommt dera Hausmeistern mit seiner dicken Köchinnen! Wohin steck ich mich doch nur?«

Er blickte sich um.

»Da unters Betten. Schnell hineini!«

Er schob erst den Alpenstock, dann den Rucksack und endlich auch sich selbst unter das Bett. Das ging freilich sehr mühsam, da dasselbe sehr niedrig war.

Der Hausmeister war unverheirathet. Kein Wunder, daß es bei ihm nicht diejenige Ordnung und Reinlichkeit gab, wie in einer Wohnung, welche von der sorgsamen Hand einer Frau geordnet wird.

In den Winkeln gab es Staub, und unter dem Bette war wohl seit Wochen nicht ausgekehrt worden, der Staub lag hier bedeutend dick.

»Na, eine schöne Geschichten!« knurrte der Alte. »Wann mir dera Dreck in die Nasen kommt und ich muß niesen, so kanns mich gefreun. Oder wann gar recht schöne Flöhen hier umherspringen und gerathen mir auf meine Haut, so daßt ich kratzen muß, nachhero ists aus mit meinem Anonym. Schön behaglich ists bei dem Kerlen nicht! Ah, jetzt kommens! Sepp, sei Still!«

Die Thür wurde geöffnet. Die Beiden traten ein.

»Das ist mein Schlafzimmer,« erklärte er.


// 1728 //

»O weh!« antwortete sie.

»Was?«

»Junggesellenwirthschaft!«

»Thut nichts. Das wirst Du ändern.«

»Hier etwa?«

»Gewiß! Hier wohnt sichs ja ganz schön.«

»Nein. Hier können wir nicht wohnen. Wenn wir verheirathet sind, so haben wir keinen Platz.«

»Meinst Du? Hm!«

»Da giebts kein Hm! Der Baron muß ein anderes Logis schaffen. Für Dich allein genügt es. Aber dann - denke nur daran, daß wir auch Kinder haben werden!«

»Hoffentlich!« lachte er. »Komm, Schatz! Dafür muß ich Dir einen Schmatz geben.«

Sepp hörte an dem Geräusch, daß sie nicht nur einen, sondern mehrere erhielt. Dann sagte sie:

»Nur nicht so ungestüm! Auch in der Liebe muß man Maaß und Ziel halten. Wollen uns setzen.«

»Aber wohin?«

»Leider giebt es nur einen Stuhl. Also hier auf das Bett.«

Der Dicken war der Weg vom Garten nach dem Schlosse zurück so schwer geworden, daß sie sich bereits wieder ermüdet fühlte. Sie ließ sich mit einem tiefen Seufzer auf das Bett nieder. Dieses Letztere war ein altes, ziemlich morsches Möbel und einer solchen Last nicht gewachsen. Es stöhnte in allen Fugen.

»Du!« rief der Hausmeister besorgt. »Nimm Dich in Acht. Es bricht zusammen.«

»Also auch neue Bettstellen,« meinte sie. »Nun, das geht uns nichts an. Der Baron mag sie bezahlen. Ueberhaupt wirst Du klug thun, die ganze Ausstattung von ihm zu verlangen.«

»Eigentlich ist die Ausstattung Deine Sache,« wagte er zu bemerken.

»Warum die meinige?« fragte sie.

»Weil es überall so gebräuchlich ist, daß die Braut eine Ausstattung mitbringt.«

»Ach, geh mir mit Gebräuchen, von denen ich keine Freundin bin! Sie taugen nichts. Warum soll denn grad das Mädchen den Hausrath besitzen und der Bursche nicht?«

»Weil dieser für alles Andere zu sorgen hat.«

»So mag er überhaupt für Alles sorgen. Wer sich eine Frau nehmen will, muß sie auch versorgen können!«

»Und wer sich einen Mann nehmen will, muß auch Etwas besitzen.«

»Willst Du Dich mit mir zanken, nachdem wir uns kaum erst die Liebeserklärung gemacht haben?«


Ende der zweiundsiebzigsten Lieferung - Fortsetzung folgt.



Karl May: Der Weg zum Glück

Karl May – Forschung und Werk