Lieferung 52

Karl May

23. Juli 1887

Der Weg zum Glück.

Vom Verfasser des »Waldröschen«, »Verlorner Sohn«, »Deutsche Helden« etc.


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denn er ist gewaltthätig. Besser ists, er ahnt nicht eher Etwas, als bis er sich hinter Schloß und Riegel befindet.«

Sodann entfernte sich der Gensdarm mit dem Franz, welcher nicht ahnte, daß er sein väterliches Gut nicht so bald wiedersehen werde.

Der alte Müller aber hatte den Assessor durchschaut. Er sagte, hämisch grinsend:

»Da läuft er hin, der alberne Kerlen! Er denkt, er braucht nur zu fragen und kann nachhero gleich wieder gehen. Dem sein Gesicht möcht ich sehen, wann er sogleich in das Loch einisperrt wird!«

Da antwortete ihm der Assessor in seinem ernstesten Tone:

»Schämen Sie sich, Müller! Die Schadenfreude, welche Sie jetzt zeigen, ist eine wahrhaft teuflische.«

»Warum sollt ich mich denn nicht freuen? Er hat ja gar auch mich ins Unglück bringen wollen, als er sagte, ich hätt es anstiftet, daß er den Fex dermorden solle.«

»Da hat er die Wahrheit gesagt.«

»Das ist nicht wahr.«

»Leugnen Sie es nicht! Wir wissen es ganz genau.«

»Da möcht ich wissen, woher es ein Mensch wissen soll!«

»Es ist gar nicht nöthig, daß ich Ihnen antworte; aber um Ihren Uebermuth doch ein Wenig zu dämpfen, will ich Ihnen sagen, daß Sie belauscht worden sind.«

Der Müller erschrak, antwortete aber dennoch in zuversichtlichem Tone:

»Wer das sagt hat, der hat gelogen. Ich hab gar kein Wort über diese Sach mit dem Franz sprochen. Ich hab gar nicht wußt, daß er dem Fex ans Leben wollt hat. Und wanns auch wirklich so wär, wie Sie's sagen, wann ich dera Anstifter wär, so hätt ich es doch wohl than, wo und wann kein Anderer es hören kann.«

»Leider sind Sie nicht so vorsichtig gewesen. Sie haben sich mit dem Fingerlfranz hier in dieser Stube befunden und dabei sogar so laut gesprochen, daß man draußen ein jedes Wort hören konnte. Einige Männer haben am Laden gestanden und durch die Spalten und Astlöcher hereingeblickt. Sie haben Alles gehört und gesehen. Wäre dieser glückliche Umstand nicht gewesen, so hätte der Fex sich in der Fähre befunden und wäre in Wirklichkeit ermordet worden.«

»Donnerwetter!« entfuhr es dem Müller.

»Sie sehen also, daß wir Zeugen haben. Ein Leugnen wird Ihnen gar nichts nützen und im Gegentheile Ihre Lage nur verschlimmern. Uebrigens wollen wir jetzt diesen Laden schließen. Man kann von draußen herein sehen, und es braucht kein Neugieriger zu bemerken, daß die Polizei sich hier befindet.«

Er trat selbst an das Fenster, um den Laden zuzumachen. Der Gensdarm kam schnell herbei, um zu helfen, und erhielt dabei die ganz leise Weisung:

»Sorgen Sie dafür, daß er nicht bemerken kann, was jetzt am Zigeunergrabe vorgeht. Er darf keine Ahnung davon haben.«


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Dann verließ der Assessor mit dem Fex und Paula die Stube, um sich hinaus zu begeben, wo eben eine Gerichtscommission mit mehren Arbeitern angekommen war, um die Leiche der Zigeunerin aus der Höhle emporzuholen.

Der Fex blieb mit Paula für einige Augenblicke im Flur stehen.

Glaubst Du noch, daß er unschuldig ist?

»Glaubst Du noch, daß er unschuldig sei?« fragte er sie.

»Nein, nun nicht mehr. Es wurde mir bereits vorher sehr schwer, es zu glauben.«

»Wenn Du Dich doch in den Gedanken finden könntest, daß er des Schmerzes gar nicht werth ist, den er Dir bereitet.«

Sie blickte still vor sich nieder und antwortete dann in traurigem Tone:

»Vielleicht finde ich mich darein. Ich fühle ein Grauen gegen den Vater, seit ich jetzt bei ihm gewesen bin. Der Assessor hatte ganz Recht, als er ihn teuflisch nannte.«

»So suche die verlorene Ruhe wieder zu gewinnen. Es sind schwere Tage, welchen Du entgegen gehst; der heutige ist der allerschwerste; aber es wird auch die Zeit kommen, in welcher diese Last von Deinem Herzen genommen wird. Darf ich Dich heut noch einmal in Deinem Stübchen aufsuchen?«

»Ja, komm! Andere dürfen nicht zu mir. Ich schäme mich, irgend Jemandem in das Gesicht zu sehen.«

»Kind, das ist falsch. Wenn Du Dich so verhältst, können Leute, welche Dich nicht kennen, sehr leicht auf den Gedanken kommen, daß Du bei Dem, was Dein Vater gethan hat, nicht ganz unbetheiligt seist.«

»Das möge Gott verhüten!« antwortete sie erschrocken. »Wohin gehest Du jetzt?«

»Hinüber nach dem Zigeunergrabe. Sodann muß ich einmal nach der Stadt, und nachher komme ich zu Dir.«

Sie stieg empor, um sich in ihrem Stübchen einzuschließen und nun den Thränen, die sie vergießen konnte, ohne gesehen zu werden, freien Lauf zu lassen. Er ging nach dem Grabe, wo der Assessor mit den Herren der Commission seiner warteten. Es war ein Amtmann, ein Protocollant und der Gerichtsarzt. Der Fex stieg mit diesen Dreien hinab zu der Leiche, die auf sie ganz denselben Eindruck wie auf den Assessor vorhin machte. Sodann begannen die Erdarbeiter ihr Werk.

Bereits nach kurzer Zeit mußte der Zug aus München eintreffen. Aus diesem Grunde begab der Fex sich nach der Stadt und da nach dem Bahnhofe, um zu sehen, ob ein Bote mit der Violine aussteigen werde.

Die Depesche hatte ihre Wirkung nicht verfehlt. Als der Zug anhielt, stieg ein Dienstmann aus einem Coupée dritter Classe. Er hatte einen Geigenkasten in der Hand und blickte suchend nach allen Seiten um. Der Fex ging auf ihn zu und fragte:

»Sie kommen aus München?«

»Ja. Ich habe diese Violine hier an einen Herrn abzugeben.«

»Er wird Fex genannt und hat nach dem Instrumente telegraphirt?«

»Ja.«


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»Der bin ich selbst.«

»So! Nun, ich kann Ihnen die Geige nicht eher geben, als bis Sie sich legitimirt haben.«

»Ganz recht. Aber welche Art von Legitimation verlangen Sie?«

»Ich habe das Telegramm mit erhalten. Wenn Sie mir den Wortlaut desselben sagen können, sind Sie natürlich der Herr, dem ich die Violine bringen soll.«

»So will ich ihn Ihnen sagen.«

Da der Fex noch ganz genau wußte, wie telegraphirt worden war, so fiel es ihm nicht schwer, sich zu legitimiren, und er erhielt das Instrument. Der Dienstmann wollte mit dem nächsten Zuge, welcher in kurzer Zeit hier durchkam, wieder zurückkehren, und blieb also gleich auf dem Bahnhofe: Der Fex aber machte sich schnell auf den Weg nach der Mühle. Er war natürlich außerordentlich begierig, zu erfahren, worin das Geheimniß der Geige bestehen werde.

Als er dort ankam, saß der Assessor, seiner wartend, mit dem Wurzelsepp in dem Gärtchen, und er gesellte sich zu ihnen.

»Also Esrar Kemande - das Geheimniß in der Geige,« sagte der Assessor. »Jetzt wollen wir schnell dazu thun, den Schleier dieses Geheimnisses zu lösen.«

Die Violine wurde aus dem Kasten genommen und von allen Seiten befühlt, beklopft und betrachtet. Es zeigte sich gar nichts Auffälliges. Nun versuchten die Drei, durch die Schalllöcher in das Innere zu blicken; aber da, wohin ihre Blicke zu reichen vermochten, war nichts zu bemerken.

»Wir müssen sie aufsprengen,« meinte der Assessor. »Oder ist sie etwa so werthvoll, daß Sie das lieber unterlassen wollen?«

»Die Violine ist nicht schlecht,« antwortete der Fex. »Sie würde noch besser, vielleicht sogar ausgezeichnet sein, eine prächtige Zigeunergeige, wenn ihr Ton nicht etwas Störendes an sich hätte, was sich durch Worte nicht genau beschreiben läßt.«

»Vielleicht ist grad daran das betreffende Geheimniß schuld.«

»Möglich. Ich habe oft darüber nachgedacht, woran der Fehler liegen mag, mir diese Frage aber nicht beantworten können. Doch, ob werthvoll oder nicht, die Ergründung des Geheimnisses ist uns jedenfalls noch werthvoller. Ich mache sie auf.«

Er zog sein Messer hervor und versuchte, den Boden von der Umwand zu lösen, ohne aber das Holz des Ersteren zu zersprengen. Natürlich mußten vorher Steg, Saiten und Saitenhalter entfernt werden.

Es gelang, und nun zeigte sich ein schmal zusammengeschlagenes Papier, welches mit Leim an den hintern Theil der Umwand, da wo der Saitenhalter am Knopfe hängt, befestigt war.

»Hier haben wir es, das Geheimniß!« rief der Fex. »Jetzt werden wir es lösen können.«

Dieses Papier war unbeschrieben und bildete einen Umschlag, in welchem


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mehrere zarte, dünne, eng beschriebene Bogen steckten. Der Fex faltete die letzteren auseinander. Die Schrift war so deutlich, als sei sie erst gestern aus der Feder geflossen, aber sie bestand aus fremden Buchstaben, welche er nicht verstand. Darum reichte er die Bogen dem Assessor hinüber.

»Rumänisch,« sagte dieser, als er den ersten Blick darauf geworfen hatte.

»Und das verstehen Sie?«

»Wenigstens so, daß ich es leidlich zu lesen vermag.«

»Dann bitte, übersetzen Sie es schnell!«

»Nur gemach, gemach, mein lieber Freund! Zunächst will ich es einmal überblicken.«

Er überflog die Seiten und begann dann, leise zu lesen, anstatt zu übersetzen. Der Fex brannte vor Begierde, den Inhalt kennen zu lernen, ebenso der alte Wurzelsepp; Beide aber hielten es für nicht höflich, den bereits einmal ausgesprochenen Wunsch nochmals zu wiederholen. Sie thaten das Einzige, was sie thun konnten: Sie beobachteten den Gesichtsausdruck des Assessors.

Demselben sah man es an, daß der Inhalt ein außerordentlich interessanter sein müsse. Die Spannung, welche sich in seinen Zügen ausdrückte, wuchs von Seite zu Seite, ja fast von Zeile zu Zeile. Endlich faltete er die Papiere zusammen.

»Nun, welches ist der Inhalt?« fragte der Fex.

»Er enthält eine Beichte.«

»Ah! Von wem?«

»Von Ihrer Amme. Sie ist mit Ihnen von einem fürchterlichen Wetter überrascht worden und hat sich krank gefühlt. Da hat sie Schutz im Hause eines griechisch-katholischen Popen gesucht, und dort ist eine Krankheit zum Ausbruche gekommen, deren Keime wohl längst verborgen in ihr gelegen hatten. Unter dem Gedanken, vielleicht sterben zu müssen, hat sie diesem Manne ihre Beichte abgelegt, und zwar unter der Bedingung, daß er sie Wort für Wort niederschreiben solle. Im Falle ihres Todes solle er sich des Knaben annehmen und nach den beiden Müllern Kellermann und Claus forschen, im Falle ihrer Genesung ihr aber die Blätter geben, da sie dann die Nachforschung selbst vornehmen wolle.«

»Und was hat sie gebeichtet?«

»Hm! Ich bin überzeugt, daß Sie ganz außerordentlich auf den Inhalt dieser Zeilen gespannt sein müssen - - -«

»Natürlich!«

»Auch gebe ich zu, daß dieselben Ihr unbestrittenes Eigenthum sind, aber dennoch möchte ich Sie bitten, noch ein klein Wenig Geduld zu haben.«

»Warum?«

»Weil ich mich über den Inhalt erst mit meinem Collegen, dem Amtmanne, berathen möchte. Auch möchte ich, bevor ich Ihnen die betreffenden Mittheilungen mache, den Thalmüller nochmals ins Verhör nehmen.«

»Und wie lange soll ich warten?«

»Nur kurze Zeit, höchst wahrscheinlich nicht länger als bis morgen.«


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»Nun, so lange kann ich mich wohl noch gedulden.«

»Ich danke Ihnen!«

»Aberst ich,« fiel da der alte Sepp ein. »Darf auch ich noch nix derfahren?«

»Sie?« lachte der Assessor. »Sie haben ja gar kein Recht auf dieses Geheimniß.«

»Ich? Kein Recht? Himmelsakra! Dera Wurzelsepp hat ein Recht auf Alles!«

»Soll ich Ihnen etwa erzählen, was ich dem rechtmäßigen Besitzer dieses Beichtstückes vorenthalte?«

»Ich sag ihm ja nix wieder!«

»Nun, wenn Sie es nicht in der Absicht erfahren wollen, darüber zu sprechen, so brauchen Sie es auch noch nicht zu wissen.«

»So! Schön, sehr schön! Das ist ja sehr gut! Das gefallt mir ganz ausgezeichnet. Wann nachhero Sie mal von mir was derfahren wollen, werd ichs auch so einem Popen beichten, damit Sie nix davon hören.«

»So lasse ich es mir ebenso gefallen, wie Sie jetzt gezwungen sind, sich in meinen Willen zu fügen.«

»Ja, aber hörens, Herr Assessorn, wann wir nix derfahren sollen, so hätten wir gar nicht nöthig gehabt, die alte Vigolinen zu zerbrechen. Na, ich will nicht räsonniren. Mir kann Alles Recht sein. Aberst verlangt nur nicht etwan von mir mal eine Neuigkeiten! Da sollt Ihr auch warten müssen, bis es mir beliebt.«

Der Assessor lachte den Alten, der doch nur so that, als ob er zornig sei, gehörig aus und entfernte sich dann in der Richtung nach dem Zigeunergrabe zu, bei welchem sich der Amtmann befand, mit dem er sich bald in ein tiefes, angelegentliches Gespräch vertiefte.

Die Grabearbeiten schritten nur sehr langsam vorwärts. Der felsige Boden leistete mehr Widerstand, als man vermuthet hatte, und so verging ein guter Theil des Nachmittags, ohne daß die Arbeiter bis hinab in den Raum gelangten, in welchem sich die Leiche befand.

Um diese Zeit möglichst gut zu benutzen, begab der Fex sich wieder zu Paula. Der alte Sepp aber saß im Vorgärtchen an seinem Tische und trank ein Bier nach dem anderen.

Dann, als es gar nicht mehr weit zum Abende war, kam der Assessor wieder herbei und schickte den Sepp, den Fex zu holen. Als dieser dem Rufe Folge geleistet hatte, erklärte ihm der Beamte:

»Auch mein College ist ganz meiner Ansicht, daß Sie bis morgen warten möchten. Wir wünschen vorher noch die Aussage des Thalmüllers zu vernehmen.«

»So habe ich also bis morgen hier zu bleiben?«

»Nicht hier. Sie werden mir in den nächsten Tagen als die Hauptperson, um welche es sich handelt, so nöthig sein, daß ich Sie in meiner Nähe haben möchte. Haben Sie Zeit?«


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»Zu diesem Zwecke ganz bestimmt.«

»So wäre es mir sehr lieb, wenn Sie für diese Tage Ihren Aufenthalt in Hohenwald nehmen wollten. Sie könnten ja in dem Gute des Silberbauers wohnen.«

»Ich richte mich natürlich ganz nach Ihren Wünschen, Herr Assessor.«

»Schön! Höchst wahrscheinlich komme ich heut noch nicht von hier fort. Sie aber möchte ich bereits heut dort in Hohenwald wissen. Ich werde Ihnen meinen Wagen zur Verfügung stellen, und der Sepp kann Ihnen bei der Fahrt Gesellschaft leisten. Wollen Sie?«

»Ja. Haben Sie vielleicht einen triftigen Grund, mich von hier zu entfernen?«

»Sie zu entfernen nicht, aber Sie dort in Hohenwald zu wissen. Sie können dort nämlich heut bereits einige Vorstudien zu Dem machen, was Sie morgen erfahren werden. Der Sepp mag Sie zu dem Finkenheiner führen, dessen Frau ja in Slatina bei Ihren Eltern gewesen ist. Sollte heute dort Etwas passirt sein, wovon Sie meinen, daß es zu wissen mir nöthig oder nützlich sein werde, so bitte ich, mir zu telegraphiren. Ich werde hier in der Mühle wohnen.«

»Wann wird die Leiche an die Oberwelt gelangen?«

»Vielleicht noch heute. Sie werden sie übrigens wiedersehen, denn ich nehme sie mit. Also begeben Sie sich nach der Stadt, um anspannen zu lassen. In drei Stunden können Sie oben in Hohenwald sein.«

»Was wird einstweilen, bevor ich für sie zu sorgen vermag, mit Paula geschehen?«

»Um diese braucht es Ihnen nicht bange zu sein. Ich werde sie gern unter meine Obhut nehmen. Die Mühle wird von Gerichtswegen einen Verwalter bekommen, dem sie sich ja außerordentlich nützlich machen kann. Falls heute in Hohenwald Etwas geschehen sollte, adressire ich Sie besonders an den Lehrer Walther, zu dem ich ein großes Vertrauen habe. Und noch eine Warnung: Verplaudern Sie sich nicht, wenn Sie dem fremden Herrn begegnen, welcher jetzt in der dortigen Mühle wohnt.«

»Warum nicht verplaudern?«

»Weil er unerkannt sein will.«

»Wer ist er?«

»Ein Bekannter auch von Ihnen, nämlich unser - - - König.«

»Sappermenten! Das hätt ich ihm ja auch sagen konnt!« zürnte der alte Sepp. »Hier soll ich nix hören und auch nix reden. Es wird Zeit sein, daß wir uns auf den Weg machen. Komm, Fex, wir wollen suchen, so bald wie möglich zu unserm Wagen zu kommen.«

Bereits in kurzer Zeit waren die beiden Freunde per Kutsche nach Hohenwald unterwegs.

Ihre Unterhaltung drehte sich natürlich um die heutigen Erlebnisse, und sodann schilderte der Sepp dem Fex die Personen, mit denen er in Hohenwald wahrscheinlich zusammentreffen würde. Und da er besonders an die Frau des


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Finkenheiner adressirt war, so theilte der Alte ihm Alles mit, was er von derselben und ihren Schicksalen wußte.

So war, als sie am Abende in Hohenwald eintrafen, der Fex bereits über Alles orientirt, was zu wissen ihm nothwendig war.

Am Eingange des Dorfes ließ der Alte halten und sagte:

»Ich fahr gleich nach dera Mühlen. Du weißt schon zu wem. Der muß sogleich derfahren, was in der Thalmühlen geschehen ist. Du aberst kannst schon hier aussteigen. Da rechts liegt die Flachsbrechen, in welcher dera Finkenheiner oben wohnt. Nachhero, wannst von dort fortgehst, kann er Dich nach dem Silbergute führen, wo Du allemalen gleich eine Stuben bekommst. Ich werd Dich noch heute dort aufsuchen.«

Der Fex folgte diesem Rathe. Er stieg aus und schritt auf die Flachsbreche zu. In dem untern Raume derselben war es heute dunkel, da die Balzerbauersfamilie jetzt ja in dem Silbergute wohnte. Er fand nur mit Mühe den Weg, und ging die steile, alte Treppe empor. Dann tastete er sich bis zur Thür und klopfte an. Eine weibliche Stimme antwortete, und dann trat er ein.

Es war nur der Elephantenhanns mit seiner Mutter daheim, da der Heiner mit der Tochter sich noch in der Mühle befand. Heute brannte eine kleine Stehlampe auf dem Tische, deren kleiner Schein nicht ganz bis nach der Thür hin reichte. Das Gesicht des Eintretenden war also nicht deutlich zu erkennen.

»Guten Abend,« grüßte er.

Der Hanns dankte mit denselben Worten; seine Mutter hatte auch bereits den Mund geöffnet, vergaß aber die Antwort. Sie hob schnell den Kopf, horchte auf, als ob ihr etwas Auffälliges in das Gehör gedrungen sei, und blickte scharf nach dem Eintretenden hin.

»Nicht wahr, hier wohnt der Finkenheiner?« fragte dieser.

»Ja,« antwortete Hanns.

»Ist er zu Hause?«

»Nein. Aber vielleicht dauert es nicht lange, bis er kommt.«

»So möcht ich sehr gern auf ihn warten, wenn Sie es mir erlauben wollen.«

»Sehr gern,« antwortete jetzt sie. Sie kam dabei langsam, ganz langsam näher, nach der Thür zu und machte dabei ein Gesicht, als ob alle ihre Sinne in Thätigkeit, und zwar in ganz ungewöhnlicher, scharfer Thätigkeit seien.

»Bitte, wollen Sie sich setzen?« fügte sie hinzu, indem sie auf einen an der Wand stehenden Stuhl deutete.

Dieser stand im Scheine des Lichtes. Darum richtete der Fex, der das eigenthümliche Gebahren der Frau gar wohl bemerkt hatte, es so ein, daß er, ihr den Rücken zukehrend, den Stuhl in den Schatten rückte und dann erst sich auf denselben niederließ.

Trotzdem er nun im Halbdunkel saß, sahen Mutter und Sohn doch deut-


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lich, daß er vornehm gekleidet sei und sie also keinen gewöhnlichen Dorfbewohner vor sich hatten.

»Kommen Sie vielleicht, eine Bestellung bei meinem Manne zu machen?« fragte die Frau.

»Nein. Meine Absicht ist nur, bei ihm eine Erkundigung einzuziehen.«

»Kennen Sie ihn schon?«

»Nein. Ich war noch niemals hier. Ein Bekannter von mir, der Wurzelsepp, hat mich hergeschickt.«

»So ist es, als ob Sie uns bereits ganz gut kennten. Die Bekannten dieses Mannes sind alle gut Freund unter einander.«

»Das habe auch ich bereits bemerkt. In Ihrer Familie muß er schon seit langen Jahren verkehrt sein. Er hat mir so sehr viel von Ihnen erzählt.«

Sie erröthete ein Wenig bei dem Gedanken, daß der Alte wohl auch von ihrem früheren Vergehen geplaudert haben könne. Dieser Gedanke trug die Schuld, daß sie nicht sogleich antwortete; aber sie hielt den Kopf lauschend zu ihm herüber geneigt wie allemal, wenn er seit seinem Eintreten gesprochen hatte. Das benutzte er, indem er fragte:

»Sie sind doch jedenfalls die Frau des Finkenheiners?«

»Ja,« antwortete sie, noch tiefer erröthend als vorher.

»Fällt Ihnen vielleicht an mir Etwas auf?«

»Warum denken Sie das?«

»Weil Sie mich so eigenartig betrachten und so scharf herüberhorchen, wenn ich spreche.«

»Sie haben es errathen, mein Herr. Ihre Stimme ist's, die mir auffällt.«

»Hat das vielleicht einen Grund?«

»Ja freilich hat es einen. Ihre Stimme hat nämlich ganz genau den Klang einer anderen, welche ich vor vielen Jahren täglich hörte.«

»Das ist nichts Auffälliges. Stimmen sind sich häufig sehr ähnlich.«

»So sehr aber nicht. Es ist nicht nur die Stimme allein, sondern auch die Art und Weise der Betonung und der eigenartige Wohlklang, der sich nicht verkennen läßt.«

»Wer war die Person, an welche Sie dadurch erinnert werden?«

»Ein Baron, bei dessen Frau ich diente.«

»Nun, so ist die Aehnlichkeit eben nur ein ganz gewöhnlicher Zufall.«

»Das glaube ich auch, denn die Familie wohnte sehr weit von hier, drunten in der Walachei.«

»So! Wie war der Name derselben?«

»Gulijan.«

»Ah! Das Stammschloß derselben lag bei Slatina?«

Die Frau fuhr zunächst zusammen, als ob sie erschrocken sei. Dann aber fragte sie schnell in freudigem Tone:

»Wie? Sie kennen diese Familie?«

»Ich hörte von ihr sprechen.«


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»Von wem?«

»Von dem Wurzelsepp.«

»So ist es erklärlich. Der hat von meinem Manne Einiges über diese Familie gehört.«

Da zog der Fex seine Brieftasche hervor und nahm aus derselben die Photographie seiner Mutter, welche er damals mit den Papieren aus dem Stuhle des Thalmüllers entwendet hatte.

»O,« sagte er, »der alte Sepp kennt diese Familie nicht nur vom Hörensagen, sondern auch aus eigener Anschauung.«

»Das ist unmöglich. Er hat niemals ein Glied derselben gesehen.«

»In Person freilich nicht, aber im Bilde.«

»Das bezweifle ich. Es ist mir nicht bewußt, daß irgend ein solches Bild existirt.«

»Auch keine Photographie?«

»Auch die nicht, denn es ist Alles damals bei dem großen Schloßbrande mit zerstört worden.«

»Das bezweifle ich. Wollen Sie vielleicht einmal einen Blick auf diese Photographie werfen?«

Er gab das Bild auf den Tisch, ohne aber sein Gesicht so nahe zu bringen, daß es deutlich erkannt werden konnte. Die Frau nahm es von dort auf und hielt es an das Licht. Kaum hatte sie ihren Blick darauf gerichtet, so stieß sie einen lauten Schrei der freudigsten Ueberraschung aus.

»Baronin Etelka! Das ist sie; das ist sie, meine liebe, liebe, gute Herrin! Ja, ja, das ist sie! Es ist gar kein Zweifel möglich! Herr, wie kommen Sie zu dieser Photographie?«

»Auf eine etwas geheimnißvolle Weise, von welcher ich Ihnen erzählen muß.«

Er trat bei diesen Worten an den Tisch, wie um das Bild wieder an sich zu nehmen, in Wirklichkeit aber in der Absicht, das Licht nun auf sein Gesicht fallen zu lassen.

Und warum diese Prozedur?

Aus einem sehr guten und lobenswerthen Grunde. Aus allem Bisherigen mußte er annehmen, daß er der Sohn jenes Barons von Gulijan sei. Und dennoch war er nicht im Stande, dies bis zur Evidenz zu beweisen. Die Papiere, welche er besaß, waren zwar die Papiere jenes Kindes, aber ob er identisch mit diesem Kinde sei, das war noch zu beweisen. Darum war er heut, als er aufgefordert worden war, diese Frau aufzusuchen, auf den Gedanken gekommen, einmal an ihr zu prüfen, ob er seinem Vater oder seine Mutter ähnlich sei.

Diese Prüfung war von einem vollständigen Erfolge begleitet, denn kaum fiel das Licht auf sein Gesicht, so schrie die Frau laut auf:

»Herrgott! Ists möglich! Baron Samo Gulijan!«

Herrgott! Baron Gulijan!

Das war der Name seines Vaters, für welchen er also von ihr gehalten wurde. Es durchrieselte ihn ein Gefühl glücklicher Befriedigung. Er war


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jenem Baron zum Verwechseln ähnlich. Das konnte als ein Glied in der Kette jener Beweise gelten, welche er zu führen hatte. Doch blieb er kalt und ruhig und fragte im Tone des Erstaunens:

»Meinen Sie mich?«

»Ja, Sie! Es ist doch kein Anderer hier!«

»Aber so heiße ich ja nicht!«

»Nicht? Sie wären nicht Baron Samo Guli - - -«

Sie hielt inne, schlug sich mit der Hand an die Stirn und fuhr sodann fort:

»Ja, richtig! Woran habe ich da gedacht! Der Baron ist ja todt! Der können Sie gar nicht sein! Aber welch eine Aehnlichkeit! Das grenzt geradezu an das Wunderbare.«

»Auch das wird das Spiel eines blosen Zufalles sein.«

»Nein, nein; das kann ich nicht glauben.«

»Und doch müssen Sie es glauben. Ich kann ja doch nicht ein Mann sein, von welchem Sie sagen, daß er seit langer Zeit todt ist.«

»Das ist richtig. Er würde jetzt fast über noch einmal so alt sein, als Sie zu sein scheinen. Und schon damals, als ich ihn kannte, war er älter als Sie. Er trug einen Bart.«

»Nun sehen Sie, ich kann doch unmöglich eine Person sein, welche über noch einmal so alt als ich ist.«

»Aber diese Aehnlichkeit! Die Gestalt, das Gesicht, das Haar, die Augen und sogar auch die Stimme!«

»Zufall!«

»Das kann ich mir nicht denken. Herrgott! Da fällt mir der kleine Curty ein!«

»Wer ist das?«

»Das Söhnchen meiner Herrschaft, welches ganz plötzlich verschwand und niemals wiedergefunden wurde.«

»Haben Sie den Knaben gekannt?«

»Freilich, freilich! Wie oft habe ich ihn hier auf meinen Armen getragen, wenn die Südana, die Amme, einmal verhindert war, es zu thun.«

»Und niemals hat sich eine Spur von ihm finden lassen?«

Sie zauderte mit ihrer Antwort. Sie schien gewissermaßen verlegen zu sein. Endlich antwortete sie:

»Er selbst ist nicht wiedergefunden worden; aber Spuren hätte man wohl entdecken können, wenn man an die richtigen Personen gedacht hätte. Erst kürzlich sprach ich mit - - - ah, Sie sagen, daß Sie den alten Sepp kennen. Jetzt, jetzt geht mir ein Licht auf. Er hat Sie zu uns geschickt, vielleicht gar nicht zu meinem Manne, sondern zu mir. Er erzählte von einem jungen Manne, welcher Fex genannt wird. Kennen Sie diesen vielleicht?«

»Freilich kenne ich ihn. Ich bin es selbst.«

»Selbst, selbst sind Sie es? O mein Gott! Wenn doch meine Ahnung


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mich nicht täuschen wollte! Sagen, o sagen Sie mir, haben Sie Ihre Eltern noch? Ist Ihre Abstammung klar und widerspruchslos erwiesen?«

Sie kam um den Tisch herum zu ihm und hielt die Lampe, welche sie ergriffen hatte, so, daß seine ganze Gestalt beleuchtet wurde.

»Leider nein,« antwortete er. »Ich habe keine Eltern, ich kenne sie nicht. Und über meiner Abstammung schwebt ein Dunkel, welches ich bisher nicht zu lichten vermochte.«

»So sind Sie es; so sind Sie es, der junge Herr, der Baron Curty von Gulijan!«

Sie rief das förmlich jauchzend aus und ergriff seine beiden Hände, um dieselben an ihre Lippen zu ziehen. Er aber wehrte ihr ab. Er entzog ihr seine Hände und warnte:

»Nicht so sanguinisch! Wie wollen Sie die Wahrheit dessen, was Sie sagen, beweisen? Ich bin Ihnen ja ein vollständig fremder und unbekannter Mensch!«

»Fremd und unbekannt? Nein, o nein! Sie sind mir so bekannt, als ob wir uns seit Jahren nicht ein einziges Mal getrennt hätten.«

»Das ist freilich eine Behauptung, welcher gegenüber ich ganz wehrlos stehe. Meine einzige Waffe besteht in der Versicherung, daß ich Sie nicht kenne; also können auch Sie mir nicht besonders nahe gestanden haben.«

»Diese Entgegnung ist hinfällig. Ich bin bereit, es Ihnen zu beweisen.«

»Nun, so beweisen Sie!«

»Erstens spricht die Stimme meines Herzens für Sie.«

»Das gilt bei dem Juristen, auf den es ja in diesem Falle ankommt, gar nichts.«

»Sodann habe ich Sie sofort erkannt.«

»Verkannt, wollen Sie sagen?«

»Nein, nicht ver- sondern erkannt. Gleich als Sie Ihre ersten Worte sprachen, fiel mir die Aehnlichkeit mit der Stimme und Ausdrucksweise Ihres Vaters auf. Und sodann die übrigen Aehnlichkeiten, welche auch so frappant sind, daß sie nur eine Folge engster Verwandtschaft sein können.«

»Das sind keine genügenden Beweise.«

»Sodann hat mir doch der Sepp von Ihnen erzählt.«

»Soll etwa das Etwas gelten?«

»Nein, aber es läßt doch vermuthen, daß auch Sie sich für Denjenigen halten müssen, für den ich Sie halte. Und nun gar das Bild Ihrer Mutter! Wie käme dasselbige in Ihre Hände, wenn Sie nicht ihr Sohn wären?«

»Vielleicht bin ich nur ein Verwandter von ihr.«

»Nein. Von diesen ist keiner abhanden gekommen. Was wird Jeschko sagen, wenn er Sie erblickt? Er wird alle möglichen Eide schwören wollen, daß Sie der junge Baron von Gulijan sind.«

»Ich habe von ihm gehört und werde mit ihm sprechen. Haben Sie seine Frau gekannt?«


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»Natürlich habe ich sie gekannt. Sie war ja jene Amme, welche ich vorhin erwähnte. Sie hieß Mylla.«

»Wann starb sie?«

»Von ihrem Tode weiß ich nichts. Sie war ganz plötzlich verschwunden und ist niemals wieder gesehen worden.«

»Sie werden sie sehen.«

»Was? Wie? Sie lebt noch?«

»Nein, sie ist todt. Aber ihr Körper hat sich so gut erhalten, daß sie das Aussehen einer Schläferin besitzt.«

»Und wo befindet sie sich?«

»Jetzt drunten in Scheibenbad; aber vielleicht schon morgen wird man den Körper hierher bringen, um in der Untersuchungssache gegen den Müller Kellermann - - -«

»Kellermann!« rief sie aus. »Ein Müller! Ists Derjenige, welcher mit dem Silberbauer in der Gegend von Slatina war?«

»Derselbe.«

»Der befindet sich in Untersuchung?«

»Ja; ich komme soeben von ihm und war dabei, als er gefangen genommen wurde.«

»Gott sei Dank! Endlich, endlich beginnen meine Wünsche sich zu erfüllen! Nach diesem Menschen habe ich gesucht lange, lange Jahre, und stets vergeblich. Hat er denn hier auch Verbrechen begangen? Denn wegen seiner in der Walachei verübten Thaten wird man ihn hier doch wohl nicht festgenommen haben.«

»Wegen derselben auch. Aber er hat auch hier gemordet, nämlich die Südana.«

»Ihre Amme?«

»Ja. Ich selbst habe es gesehen.«

»So hat sie ihn gesucht, ganz so wie ich, und ihn zu ihrem Verderben gefunden. Möge ihn die Strafe so hart treffen, wie er sie verdient. Nachsicht gegen diesen Menschen wäre eine Sünde, wie es kaum eine so große sonst noch geben kann. Auch ich bin bereit, gegen ihn zu zeugen. Ich werde gleich morgen nach Scheibenbad gehen, um mich beim dortigen Gericht zu melden.«

»Das haben Sie nicht nöthig. Er wird morgen hierher transportirt, weil die Untersuchung von unserer Behörde geführt werden soll.«

»Desto besser. Wie entsetzt wird er sein, wenn er mich erblickt, welche er längst verschollen oder gar todt wähnt! Er wird grad so entsetzt sein, wie der Silberbauer, welcher vor Schreck über mein Erscheinen in das Mühlenrad gestürzt ist.«

»Der Sepp hat mir davon erzählt. Wie schade, daß es diesem Menschen gelungen ist, zu entkommen!«

»Uns ist er entkommen. Vor Gottes Auge und Gottes Hand aber vermag er nicht zu entfliehen. Beide werden ihn finden, ja sie haben ihn vielleicht bereits gefunden. Bei den Verletzungen, die er davongetragen hat, ist


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es geradezu unmöglich, daß er das Leben eines Flüchtlings zu führen vermag. Vielleicht ist er bereits hinter irgend einem Busch oder an einem anderen einsamen Ort zusammengebrochen, wo er unter Fiebergluth mit dem Tode ringt. Horch! Es kommt Jemand. Das ist mein Mann. Ich kenne ihn am Schritte.«

Sie hatte Recht; der Finkenheiner trat ein. Noch unter der Thür rief er in frohlockendem Tone:

»Anna, weißt, was passirt ist?«

»Nein!«

»Sie haben ihn.«

»Wen?«

»Den - ah, da ist ein Besuch? Den kenn ich gar nicht. Willkommen auch!«

Er streckte dem Fex seine eine Hand entgegen. Dieser ergriff sie, schüttelte sie herzlich und antwortete:

»Danke sehr! Ich habe bereits so viel Gutes von dem Finkenheiner gehört, daß ich mich aufrichtig und recht herzlich freue, Sie endlich einmal kennen zu lernen.«

»So? Wer hat sich denn da den unnützigen Spaß macht, von mir ein Aufhebens zu machen, woran gar keine Wahrheit ist?«

»Der Wurzelsepp.«

»Ja der! Der ist mein Spezial, und sein Maulwerk geht den ganzen Tag wie bei einer alten Jungfrauen die Kaffeemühlen. Wer weiß, was er Ihnen verzählt hat. Aber darf ich wohl auch derfahren, wer Sie sind?«

»Ja, das darfst erfahren,« antwortete seine Frau an des Fex Stelle; »aberst von mir sollsts hören. Denk Dir nur mal, das ist der junge Herr Baron von Gulijan.«

»Bist des Teuxels?«

»Nein.«

»Bei demt dient hast in dera Walacheien?«

»Ja.«

»Aberst dera junge Baronen ist ja verloren gangen!«

»Jetzund nun hat er sich wiederfunden. Er wills zwar selberst nicht ganz glauben, daß ers ist, aber wir wollen die Beweisen schon recht hübsch zusammenkriegen. Auch den Kellermann Müller haben wir nun endlich funden, und wann der Silberbauer noch entdeckt werden könnt, so wäre das - - -«

»Halloh!« rief der Heiner. »Was hast da zu plauschen! Hast denn vorhin nicht hört, was ich sagt hab?«

»Wann denn?«

»Grad als ich zur Thüren hereinikommen bin.«

»Nix hast sagt, gar nix.«

»Oho! Ich habs grad laut genug gerufen.«

»Rufen wollen hasts, aberst als Du hier den jungen Herrn derblickt hast, da ists Dir gleich im Maul stecken blieben.«


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»Ach so; ja, das ist wahr. Aberst die Hauptsach hab ich doch herausgeschreit, nämlich daß sie ihn haben.«

»Doch nicht etwan gar den Silberbauern?«

»Natürlich den und keinen Andern.«

»Hallelujah! Jetzt ist auch dieser Wünschen noch derfüllt. Wer hätt dacht, daß es so schnell geschehen thät, nachdem ich ihn erst kurz zuvor aussprochen g'habt. Aberst wo hat er denn steckt?«

»Droben in dera Felsenhöhlen.«

»Und wer hat ihn derwischt?«

»Wer? Auch das brauchst nicht zu fragen, denn die Antworten versteht sich ganz von selberst. Seit der da ist, so ists ein ganz ander Leben worden, Sonnenschein anstatt Regen, Segen statt Fluch und Sattheit an Stelle von Hunger und Durst.«

»Meinst wohl den Herrn Lehrern?«

»Freilich. Was der einmal will, das thut er auch, und was er anfaßt, das hat Sinn, Verstand und Schick. Er ist mit dem jungen Sandau aus Eichenfeld im Wald gewest, wo sie ihn haben schreien hört. Da haben sie den Eschenbauern mit seinem Wagen holt und den Silberbauern aufiladen. Nun liegt er wieder in seiner Kammer, und soeben ist dera Doctor von ihm fort, und zwei Wächter sitzen bei ihm, denn er hat das Wundfieber und kann gar leicht ausbrechen wollen.«

Die Nachricht, welche der Heiner gebracht hatte, hatte ihn so sehr in Beschlag genommen gehabt, daß er eigentlich gar nicht darüber nachgedacht hatte, daß es beinahe ein Wunder sei, den verschollenen Baron von Gulijan bei sich zu sehen. Und als nun jetzt dieser Gedanke bei ihm in's Bewußtsein trat, war es zu spät, denn der Fex hatte bereits den Hut ergriffen und fragte:

»Bitte, gehen Sie heut zeitig zur Ruhe?«

»Nein, heut wohl nicht. Warum fragens?«

»Weil ich gar zu gern noch mehr mit Ihnen sprechen möchte und doch jetzt für einige Zeit fort muß.«

»So kommens nur getrost wieder! Wir werden gar gern warten.«

»Schön. Wie geht man, um nach dem Silberhofe zu kommen?«

»Dahin wollens wohl gar?«

»Ja, ich muß den Silberbauer einmal sehen und dann sogleich seinetwegen ein Telegramm absenden.«

»So werd ich Sie lieber führen. Das ist gar viel besser, als wann ich Ihnen den Weg beschreiben thue, und Sie finden ihn in dera Dunkelheiten dennerst nicht.«

»Ja, führ den Herrn,« stimmte seine Frau bei. »Und auch einen Boten zum Telegraphen mußt ihm versorgen. Sodann aber bringst mir ihn ja wiederum mit her. Es sind gar sehr wichtige Dingen, die wir mitsammen zu besprechen haben. Ich wollt, ich könnt dabei sein, wann dera Silberbauern ihn derblickt. Ich möcht wetten, daß es diesem grad so gehen wird wie mir: er wird ihn für den Herrn Baronen Samo von Gulijan halten. Das ist heut


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ein gar großer Tag, ein Tag, den ich so bald nicht wieder vergessen werd. Wer weiß, was da Alles noch passiren kann! Denn wann dera Herrgott einmal seine Thaten geschehen läßt, so kommt gleich gar viel zusammen. Also geht nun jetzt, und laßt mich nicht gar zu lange auf Euch warten!«

Die beiden Männer verließen die Flachsbreche und begaben sich nach dem Silbergute, vor dessen Einfahrt noch immer verschiedene Leute standen, welche neugierig waren, zu erfahren, was heut vielleicht noch geschehen werde.

»Dera Finkenheiner mit einem Fremden!« hörte man sie sagen. »Wer mag das sein?«

In dieser abgelegenen Gegend war das Erscheinen eines Unbekannten eben eine Seltenheit, zumal so spät am Abende, und das brachte man mit einem solchen Ereignisse sofort in nähere Beziehung.

In dem Hause war es ungewöhnlich still, gar nicht wie früher, als die lauten, befehlenden Stimmen des Silberbauers und seines Sohnes das Gesinde immer außer Athem gehalten hatte. Es hatte sich der Dienstboten ein heilsamer Schreck bemächtigt. Sie verrichteten ihre Arbeiten jetzt in möglichster Ruhe, gar nicht mit der lauten, polternden Hast wie früher.

Das hatte seinen Grund nicht nur in dem wohlverdienten Schicksale, welches über ihren Herrn hereingebrochen war, sondern auch in dem Umstande, daß sich der Balzerbauer jetzt hier befand und die Leitung des Gutes übernommen hatte.

Vielleicht war es ein Wagniß zu nennen, daß der Assessor einem Menschen, der bisher für einen Wahnsinnigen gehalten worden war, die Aufsicht über die Bewirthschaftung eines so großen Heimwesens anvertraut hatte. Aber einestheils hatte er dies nur nach einer eingehenden Besprechung mit dem Medicinalrathe gethan, und anderntheils war es ihm eine wirkliche Herzensangelegenheit gewesen, dem armen Feuerbalzer, welcher durch den Silberbauer so viel gelitten hatte, diese Genugthuung zu verschaffen.

Und eine große Genugthuung war es freilich, ganz besonders für die Feuerbalzerin, die alte Frau, welche so lange Jahre hindurch gehungert und gekümmert hatte und wegen ihrer großen Armuth von den Leuten verachtet worden war.

Sie fühlte sich jetzt wieder als eine Frau, welche ein gewichtiges Wort zu reden hatte. Da sie mehr als arm an Kleidern war, so hatte sie sich einstweilen aus dem Vorrath, welchen Martha zurückgelassen hatte, einiges für sich Passende ausgesucht. Nun konnte sie sich auch in dieser Beziehung sehen lassen, und - - sie ließ sich sehen.

Mit dem großen Schlüsselbunde am Schürzenbande ging sie durch alle Räume, um das Reich, dessen Regierung ihr nun anvertraut worden war, kennen zu lernen, und wehe der Magd, welche sich bei irgend einer Ungehörigkeit ertappen ließ! Die Alte nahm sich der Wirthschaft mit einem Eifer und einer Pflichttreue an, als ob der Silberhof jetzt ihr Eigenthum sei.

»Und wer kanns wissen, wie es noch wird!« sagte sie zu ihrem Sohne. »Dera Silberbauer hat uns Alles nommen; er muß es uns nun auch wieder-


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geben. Und woher sollen wirs erhalten? Doch vom Silberhof! Vielleichten kommts gar noch so weit, daß dera verruckte Feuerbalzer ein Silberbauern wird. Es giebt einen Herrgott und eine Gerechtigkeiten. Und nachdem wir so viel und auch so lang gelitten haben, kann man es uns gönnen, daß es uns nun auch wiederum mal wohl gehen mag.«

Als der Fex mit dem Finkenheiner oben in die Schlafstube trat, in welcher der Silberbauer lag, befand sich der Lehrer da und mit ihm noch einige Männer, denen die Bewachung des Fieberkranken anvertraut war.

Dieser Letztere hielt die Augen geschlossen, als ob er schlafe, doch befand sich sein Geist nicht in einem Zustande der Ruhe. Die Lippen bewegten sich unaufhörlich, und ein leises Flüstern und Murmeln deutete an, daß er sich trotz seiner äußeren Bewegungslosigkeit innerlich mit allerhand Phantastereien beschäftigte.

Der Lehrer gab den Eintretenden einen Wink, ruhig zu sein; deshalb sagte der Finkenheiner leise zu ihm, auf Fex deutend:

»Wer mag dieser wohl sein?«

Der Lehrer warf einen prüfenden Blick auf den Fex und antwortete lächelnd:

»Ich weiß es nicht, deshalb muß ich Sie bitten, mir seinen Namen zu nennen.«

»Es ist dera Fex, von dems wohl bereits gehört haben.«

»Ah, das ist eine Ueberraschung, obgleich ich weiß, daß der Herr Assessor nach München hat telegraphiren lassen, um ihn für heut nach Scheibenbad zu rufen. Willkommen, Herr - Herr - - ja, wie habe ich Sie denn eigentlich zu nennen?« wandte der Lehrer sich an Fex.

Er reichte, indem er diese Frage aussprach, dem angehenden Violinvirtuosen die Hand, welche dieser lebhaft schüttelte.

»Der Heiner hat ja soeben meinen Namen genannt,« antwortete der Fex.

»Aber Sie müssen doch einen andern haben. Sie können doch unmöglich Fex heißen!«

»Bevor ich das Recht erlangt habe, meinen wirklichen Namen zu führen, mögen Sie mich immerhin so nennen. Ich bin an ihn gewöhnt, und darum hat er nichts Fremdartiges oder wohl gar Unangenehmes für mich.«

»Ja,« meinte der Heiner, indem er eine sehr bedeutungsvolle Miene zeigte, »wanns seinen wirklichen Namen wüßten, Herr Lehrern, da thätens sich wohl gar gewaltig verwundern. Er ist nämlich - -«

»Pst!« unterbrach ihn der Fex. »Davon wollen wir jetzt nicht sprechen.«

»Warum nicht? Sie sind dera junge Herr Baronen, und da wird man es doch wohl auch sagen dürfen.«

»Noch fehlen die Beweise.«

»Oho! Die werden wir bald zusammensuchen. Und ich hab halt die Meinung, daß Fex nicht so schön klingt wie gnädiger Herr, junger Baronen.«

»Baron?« fragte der Lehrer. »Ich habe eine Ahnung, welchen Namen Sie meinen. Der Wurzelsepp hat mir einige Andeutungen gegeben. Ich kenne Sie bereits sehr gut, wenn auch noch nicht persönlich aber doch vom


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Hörensagen, und es sollte mich von ganzem Herzen freuen, wenn Sie sehr bald die Berechtigung erhielten, den Namen zu führen, auf den Sie ein heiliges Anrecht haben. Da Sie hier in Hohenwald sind, vermuthe ich, daß der Herr Assessor auch mit angekommen ist. Warum ist er nicht zu sehen?«

»Er wird erst morgen zurückkehren und hat mich vorausgesandt, damit ich mich einstweilen über die hiesigen Verhältnisse orientiren möge.«

»Das ist recht. Ich stelle mich Ihnen zur Verfügung. Wie ist es in der Thalmühle gegangen?«

»Der Müller ist gefangen und wird morgen hier eingeliefert werden. Der Assessor beauftragte mich, ihm zu telegraphiren, wenn sich hier etwas Wichtiges ereignet haben sollte, und da ich hörte, daß es gelungen sei, den - - -«

»Den Silberbauer zu ergreifen,« fiel der Lehrer ein, »so müssen wir natürlich sofort eine Depesche absenden. Das versteht sich ganz von selbst, und ich werde das besorgen. Sie kamen, um den Silberbauer zu sehen? Kennen Sie ihn vielleicht bereits?«

»Ich habe ihn bereits einmal in der Thalmühle gesehen, aber so flüchtig, daß ich mich nicht mehr auf sein Gesicht besinnen kann. Jetzt weiß ich, daß ich mit diesem Menschen eine ganz bedeutende Rechnung auszugleichen habe, und will mir sein Gesicht doch einmal genau betrachten.«

Er trat zu dem Bette.

Da lag der Mann, der ihn im Vereine mit dem Thalmüller um Alles, Alles gebracht hatte! Es waren eigenartige Gefühle, welche bei dem Anblicke des Verbrechers den Fex bewegten. Er beugte sich tiefer und tiefer zu dem Silberbauer nieder, um zu sehen, ob vielleicht ein Wort des im Fieber Flüsternden deutlich zu verstehen sei. Und wirklich, da hörte er:

»Still! Still! Das darf nimmer verrrathen werden. Was? Was sagst? Ich wär es gewest? Ich?«

Einem augenblicklichen Impulse folgend, hielt der Fex seinen Mund nahe an das Ohr des Phantasirenden und sagte:

»Ja, Du bists gewest, Du und kein Anderer.«

Der Kranke öffnete die Augen nicht; auch seine Lippen bewegten sich nicht; aber sein Gesicht nahm einen Ausdruck an, als ob er nachdenke, als ob er auf Etwas lausche. Dann fragte er, nicht mehr im Flüstertone, sondern so laut, daß die Anwesenden es alle hören konnten:

»Wer spricht denn da? Das ist wieder eine andere Stimme. Sag, werst bist?«

»Kennst mich denn nicht?«

»Dich? Ja, wann ich Dich doch sehen könnt! Wo bist denn eigentlich?«

»Hier. Schau nur her!«

Wieder vergingen einige Secunden. Der Silberbauer zog die Brauen empor. Er horchte; das war ihm anzusehen. Dann antwortete er:

»Ich schau ja hin, aberst sehen kann ich Dich nicht. Warum versteckst Dich denn? Hast wohl eine Angst vor mir?«


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»O nein, sondern Du mußt Dich vor mir fürchten!«

»Ich? Vor Dir? Das ist nicht wahr. Dera Silberbauern fürchtet sich vor keinem Menschen. Er schlägt Den todt, der ihm was thun will. Darum nimm Dich wohl in Acht vor mir! Bist Du etwa Einer aus Hohenwald?«

»Nein.«

»Das ist gut. Die suchen mich. Die wollen mich fangen. Aberst ich geh zum Thalmüllern; der versteckt mich und giebt mir Geld, daß ich weiterkommen kann. Oder bist wo anderst her? Kennst mich denn?«

»Ja, Dich und alle Deine Verbrechen.«

»Das ist nicht wahr. Meine Verbrechen? Was ich than hab, das weiß kein Mensch. Und diejenigen, die es wissen, die sind nicht da. Also sag, woher Du bist!«

»Aus Slatina.«

Die Wirkung, welche dieses Wort hervorbrachte, war eine außerordentliche. Sein Mund öffnete sich weit und seine Augen auch. Aber sein Blick war stier und ausdruckslos. Es war klar, daß er trotz der geöffneten Augen gar nichts sah. Aber auf seinem Gesichte lag der Ausdruck eines großen Schreckes, den man fast Entsetzen nennen konnte.

»Vorsicht, Vorsicht!« flüsterte der Lehrer dem Fex warnend zu.

»Es wird ihm nichts schaden,« meinte der Letztere leise. »Vielleicht entlocke ich ihm ein Geständniß, eins seiner Geheimnisse.«

»Oder regen Sie ihn so auf, daß er zu toben beginnt. Das müssen wir vermeiden.«

»Pah, ich werde es doch wagen. Warum soll ich zarte Rücksicht auf die Gesundheit eines solchen Menschen nehmen.«

Der Lehrer wollte noch eine warnende Bemerkung machen, aber er kam nicht dazu, denn jetzt löste sich der starre Schreck von den Zügen des Silberbauers, und er sagte in der hastigen Art und Weise wie man in der Angst Jemandem Etwas zuraunt:

»Pst, pst! Sprich leise, ganz leise! Von dort darf Niemand was derfahren. Also in Slatina bist bekannt?«

»Ich bin dort zu Haus.«

»Kennst auch die Mühlen dort?«

»Ja.«

»Und auch die beiden Müllern damals?«

»Ganz genau.«

»Wie habens denn geheißen?«

»Claus und Kellermann.«

»Himmelsakra! Ja, Du weißt die Namen, aberst sonst weißt Du nix, gar nix!«

»O, ich weiß Alles.«

»Nein, nein, nein!«


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Das erste >Nein< sprach er leise, das zweite lauter, und das dritte rief er förmlich aus.

Dann murmelte er heimlich vor sich hin und fragte schließlich wieder vernehmlich:

»Hast auch den Baronen kannt?«

»Grad so gut wie Du.«

»Und auch seine Frauen?«

»Ja.«

»Eine schöne Frauen, eine sehr schöne, nicht wahr?«

»Hat sie Dir denn gefallen?«

»Gefallen? Was fragst so albern. Ich bin ganz verruckt gewest in sie, ganz wahnsinnig verliebt. Warst etwan dabei, als ichs ihr sagt hab?«

»Nein.«

»Das ist gut, denn was sie mir antwortet hat, das darf Keiner wissen. Einen Mördern hat sie mich nannt; denk Dir, einen Mördern! Und ich bins doch nicht allein gewest.«

»Sondern der Thalmüller auch?«

»Ja. Und wann Zwei was mitsammen than haben, so ist doch nicht einer allein schuld daran. Ich hab vor ihr kniet. Hasts sehen?«

»Nein.«

»Das ist gut, denn sie hat mich anspuckt, und nachhero, als ich aufisprungen bin, um sie anzufassen und zu umarmen, da hat sie mich mit dera Faust ins Gesichten schlagen und dann laut um Hilf geruft. Und da ist die Anna kommen, die Anna. Kennst sie?«

»Nein.«

»Dem Finkenheiner sein Weib. Da hab ich fliehen mußt, damit sie mich nicht sehen sollt. Aberst die Rach ist nachhero gleich kommen. Hast vielleichten sehen, wie lieb sie ihren Buben hat?«

»Nein, gar nicht.«

»Das ist schade, jammerschade. Wannsts sehen hättest, so könntsts auch wissen, welch ein Jammer es nachhero war, als dera Bub dann so plötzlich verschwunden war. Das war die Rach. Und sodann unten am Fluß, als sie mich da traf. Hasts vielleicht sehen, wie sie da vor mir niederkniet ist?«

»Nein, ich war nicht dabei.«

»Ja, da hat sie vor mir kniet, wie ich erst vor ihr, und mich himmelhoch beten, ihr doch den Buben wieder zu geben.«

»Hat sie es denn gewußt, daß Du es gewesen warst?«

»Wußt hat sie es, und denken hat sie sichs konnt; aberst mir was zu beweisen, das war ihr nicht möglich. O, dera Silberbauern ist ein gar kluger Mann gewest! Und noch heut ist er so gescheidt, daß kein Mensch was mit ihm anfangen kann! Hättst sie hören sollen, wie sie wimmert und jammert hat. Alles soll vergeben und vergessen sein, und kein Mensch soll was derfahren, wann ich ihr nur den Buben wiedergeb.«

»Warum hasts nicht gethan?«


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»Werd mich wohl hüten! Was hätt ich davon? Gar nix, gar nix! Und Geld hat sie mir geben wollt, viel Geld, sehr viel. Ich hab gar nicht wußt, daß sie so viel hat. Sie hat mirs selbst sagt, daß gestern welches ankommen ist und bei ihr liegt in dera Schlafstuben. Ich solls haben, Alles, Alles; nur den Buben, den Curty soll ich ihr wiedergeben. War das nicht dumm von ihr; ganz dumm?«

»Warum?«

»Weil wir uns das Geld doch holt haben, und sie hat den Buben nicht bekommen. Ich hätt ihn ihr auch gar nicht geben können, denn ich hab ja nicht wußt, wohin dera Barko, der Zigeunern mit ihm ist. Und nachhero das schöne Feuer. Wie hats knistert und brannt, und wie ists emporstiegen, himmelhoch! Und kein Mensch hats wußt, wie es entstanden ist. Und die Baronin hat sich wehrt wie eine Katz und mir das Gesicht zerkrallt und um Hilf gerufen. Da ist die Anna an die Thür kommen und hat fragt, was es ist und ob sie hereinkommen soll. Und ich hab eine Frauenstimmen nachgeahmt und ihr mit >Nein< antwortet. Und sie hätt auch nicht herein konnt, denn wir hatten die Thür von innen verschlossen, ich und dera Thalmüllern. Und die Baronin hat weiter nicht rufen konnt, denn wir hatten sie anbunden und ihr ein Tuch in den Mund steckt. Dann, als wir das Geld durchs Fenster schafft hatten, haben wir das Bett anbrannt. Was sie da für Augen macht hat, so voller Angst und Entsetzen! O, es ist gar schön, so eine Rach, wann Einen Eine anspuckt hat und nix von Einem wissen will, weil man nur ein Müllern ist, und sie eine reiche und vornehme Baronin! Kannst Du Dir so eine Rach denken?«

Der Fex vermochte nicht zu antworten. Er zitterte vor Entsetzen und klammerte sich an das Bett, um nicht umzusinken. Seine Brust athmete schwer. Er befand sich in einer Aufregung wie noch niemals in seinem ganzen Leben. Also eines solchen Todes war seine Mutter gestorben! Welch ein schreckliches Ende! Gefesselt war sie worden, und dann hatte man Feuer angelegt. Verbrannt, bei lebendigem Leibe verbrannt! Er hätte gradauf schreien mögen vor Entsetzen, und doch war es grad dieses Entsetzen, welches ihm die Sprache raubte.

Auch die anderen Anwesenden waren auf das Tiefste ergriffen von Dem, was sie gehört hatten. Eines solchen Verbrechens hatte doch Keiner den Silberbauer für fähig gehalten. Dieser aber lag bewegungslos in seinem Bette, lächelte befriedigt vor sich hin und hielt das eine Ohr aufwärts, als ob er eine Antwort erwarte. Und als keine erfolgte, fuhr er fort:

»Aberst nachhero hab ich derfahren, wo dera Bub sich befindet. Weißts vielleicht auch?«

Der Fex antwortete nicht. Darum phantasirte der Bauer weiter:

»Ja, Du sagst nix, weilst nix weißt. Ich aber kanns Dir sagen, wannsts nicht verrathen willst. Drunten beim Thalmüllern ist er. Dera Fex ist der Baronen Curty. Aberst er wird es niemals wissen. Er ist dera Fex


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und bleibt dera Fex. Das ist auch ein Theil von meiner Rach. Was - was - was schreist?«

Jetzt endlich löste sich das Entsetzen des jungen Mannes von der beklemmten Brust. Er stieß einen lauten, unarticulirten Schrei aus, einen Schrei, als ob er sich in Lebensgefahr befinde. Dieser Schrei bewirkte, daß der Bauer aus seinem Phantasiren erwachte. Er kam zu sich und öffnete die Augen. Sein jetzt selbst bewußter Blick fiel auf den Fex, welcher noch immer vornüber gebeugt am Bette stand. Sofort nahmen seine Züge einen ganz anderen Ausdruck an.

»Tausend Teufel!« rief er laut aus.

»Mörder! Elender Mörder!« schrie der Fex.

»Der Baron! Der Baron! Er lebt!« erklang es fast wimmernd aus dem Munde des Silberbauern.

»Du hast sie ermordet, verbrannt! Du bist ein Teufel, ein Satan!«

»Nein, er lebt nicht; er ist ja todt! Es ist sein Geist, sein Geist! Hu - hu - hu!«

Er brüllte wie in entsetzlicher Todesangst auf und versuchte, aus dem Bette zu springen. Da er angebunden war, gelang es ihm aber nicht.

»Fort, fort!« zitterte er. »Ich sterbe! Ich ersticke!«

Er bäumte sich mit aller Macht unter seinen Banden auf; dann fiel er zurück. Seine Glieder streckten sich, und sein Gesicht nahm den Ausdruck des Todes an. Dann lag er still.

»Er stirbt, er stirbt!« rief der Lehrer, schnell an das Bett tretend.

»Mag er sterben!« antwortete der Fex, vor Grimm die Fäuste ballend. »Sein Tod ist schnell und leicht; er hat einen anderen verdient. Mag der ewige Richter dort oben nach seiner Gerechtigkeit mit ihm verfahren!«

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Achtes Capitel.

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Zweimal gerettet.

Ueber den Bergen drüben, auf böhmischer Seite, liegt das Dorf Slowitz zwischen den Ausläufern des Gebirges. Meist aus kleinen, armen Häuslerswohnungen bestehend, besitzt es nur drei Bauerngüter, deren größtes dem reichen Kery gehört, mit welchem sich an Wohlstand in der Umgegend Keiner zu messen vermag.

So reich er ist, so geizig und hartherzig ist er auch. Er kennt nur ein Vergnügen - sein Geld zu zählen, und er hat nur eine Leidenschaft, der er aber nur heimlich fröhnt - das Spiel. Wenn er hinein nach Pilsen kommt, so giebt es in dem Einkehrhause, vor welchem er auszuspannen pflegt, ein kleines Hinterzimmerchen, in welchem er nach dem Essen seine Cumpane erwartet.


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Dann gehen die Karten herüber und hinüber, und die Guldenzettel wechseln ihre Besitzer.

Daß er aber auch daheim in seinem Dorfe heimlich spielt, das wissen nur Wenige, und diese verrathen es nicht.

In seinem Hause ist er ein Tyrann. Sein Weib, eine stille, harmlose Frau, der man es ansieht, daß sie ein hübsches Mädchen gewesen sein muß, hat keinen Willen. Ebenso tyrannisirt er auch seine Tochter Gisela, nur daß diese dies nicht so ruhig über sich ergehen läßt wie ihre Mutter. Körperlich und auch geistig ist sie das echte Kind ihrer Eltern. Ihr Vater ist vor Jahren ein gar stattlicher Bursch gewesen. Die kräftige Gestalt hat sie von ihm, die weibliche Schönheit von ihrer Mutter. Und wenn sie von der Letzteren das tiefe Gemüth geerbt hat, so bekam sie dazu vom Vater ein gut Theil Energie und Characterstärke. Freilich hat sie bisher noch keine Gelegenheit gehabt, dieselbe dem Vater gegenüber in einer Weise zu zeigen, daß er gemerkt hätte, wie sehr sie seine Tochter sei.

Es war Sonntag. Die Bewohner des Dorfes waren aus der Kirche zurückgekehrt, und überall in den Häusern setzte man sich zu Tische. So auch beim Bauer Kery.

Bei ihm durfte das Gesinde nicht mit der Herrschaft essen. Für die Dienstboten stand in der hinteren Ecke ein besonderer Tisch, und für sie wurde auch besonders gekocht. Er hätte es für eine Schande gehalten, dasselbe Gericht vor sich zu sehen wie die Dienstleute.

Schon standen Alle an ihren Plätzen, und nur der Bauer fehlte noch. Das war so seine Gepflogenheit. Er ließ auf sich warten, denn er hatte gehört, daß dies vornehm sei. Wenn er aber dann in die Stube trat und seinen Platz am Tische einnahm, so verlangte er, daß Keiner fehle. Wehe Dem oder Derjenigen, die sich ein Versäumniß zu schulden kommen ließ!

Und leider war dies heut der Fall. Am Gesindetische stand ein Stuhl leer. Mutter und Tochter hatten den Herrentisch in Ordnung gebracht und erwarteten nun den Herrn des Hauses. Da bemerkte die Erstere den besorgten Blick, welchen die Letztere nach dem Gesindetische warf.

»Was giebt es noch?« fragte sie.

»Der Ludwig ist noch nicht da.«

»Wirklich! Ist er denn noch nicht wieder heim?«

»Ich weiß es nicht. Ich werde gleich einmal nachsehen.«

Eben wollte sie fort; da trat der Bauer ein. Ohne Jemandem einen Blick zu gönnen, schritt er auf den Tisch zu, stellte sich an seinen Platz, faltete die Hände und gebot:

»Wir wollen beten!«

Alle wußten, was jetzt kommen werde. Er pflegte erst nach der Aufforderung zum Gebete sich zu überzeugen, daß Alle anwesend seien. So auch jetzt. Er musterte mit einem schnellen Blicke den Gesindetisch und rief, anstatt das Gebet zu beginnen:

»Donnerwetter! Wo bleibt der Ludwig?«


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Niemand antwortete.

»Nun! Habt Ihr keine Mäuler oder keine Ohren? Ich frage, wo der Ludwig bleibt!«

In diesem Augenblicke hörte man das Räderrollen eines Wagens, welcher in den Hof einfuhr.

»Da kommt er erst,« sagte eine der Mägde, welche couragirt genug war, das Schweigen zu brechen.

»Erst jetzt also!« zürnte der Bauer. »Er hätte schon vor einer Stunde hier sein sollen. Nun hat er erst die Pferde zu versorgen. Es wird gegessen und wenn nichts übrig bleibt, so kann er nichts bekommen. Wollen beten!«

Die Hände wurden abermals gefaltet und dann recitirte er in leierndem Tone, dem man es anmerkte, daß er sich bei den Worten eigentlich gar nichts dachte:

»Wir danken Gott für seine Gaben,
Die wir von ihm empfangen haben,
Und bitten unsern lieben Herrn,
Er wolle uns hinfort mehr bescheer'n.
          Amen.«

»Gesegnete Mahlzeit!« erklangen die Stimmen der Knechte und Mägde im Baß, Tenor, Alt und Discant. Dann hörte man nichts mehr als das Klappern der Teller und das Klirren der Messer, Gabeln und Löffel.

Es wurde während des Essens kein Wort gesprochen. Höchstens durfte man einmal ein heimliches Flüstern wagen; aber auch das war gefährlich, denn die Augen des Bauern waren scharf und er sah es als eine Mißachtung seiner Autorität, ja fast als eine Beleidigung an, wenn Jemand beim Essen zu reden wagte.

Die Gesindepersonen warfen verstohlene Blicke nach dem Fenster, welches in den Hof führte. Sie waren um den Knecht besorgt, welcher sich verspätet hatte. Die Bäuerin schien gleichgiltig zu sein, aber die Tochter konnte eine gewisse Unruhe nicht ganz bemeistern. Sie aß, als ob es ihr nicht schmecke. Ihr Gesicht war noch etwas mehr geröthet als gewöhnlich und ihr Blick hing mit bangem Ausdrucke an der Thür.

Da wurde dieselbe geöffnet, aber nicht der säumige Knecht trat ein, sondern eine ältliche Frau. Sie war ärmlich, aber sehr sauber gekleidet und von hoher Gestalt, die jedoch gebeugt erschien, weniger vom Alter, als vielmehr von der Noth und Sorge des Lebens.

»Grüß Gott die Herrschaft, und gesegnete Mahlzeit!« sagte sie.

»Grüß Gott!« dankten Mutter und Tochter, freilich in gedämpftem Tone.

Vom Gesinde wagte Niemand den Gruß zu erwidern.

»Was braucht Ihr zu antworten!« fuhr der Bauer auf. »Ihr wißt, daß ich das beim Essen nicht leiden mag. Guckt in die Schüssel und haltet die Mäuler!«

Die Frau blieb an der Thür stehen und Niemand wagte es, sie zum


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Sitzen einzuladen. Sie blickte nach dem Gesindetische hin und da nahm ihr bleiches, hageres Gesicht den Ausdruck der Besorgniß an.

Der Bauer aß sehr schnell. War er fertig, so pflegte er den Löffel so laut wegzulegen, daß Alle es hörten. Das war eine Aufforderung, sich nun zu beeilen. Zuweilen kam es vor, daß er dann ein Wort sprach oder irgend eine Bemerkung machte. So auch heute. Er drehte sich nach der Frau herum und fragte:

»Was will Sie denn schon wieder?«

»Ich will zu meinem Ludwig,« antwortete sie in bescheidenem Tone.

»Der ist nicht da, wie Sie sieht.«

»Wo ist er denn?«

»Das weiß der Teufel! Wenn das öfters vorkommt, so jage ich ihn fort.«

»Das werden Sie nicht thun, Herr Kery!« rief die Frau erschrocken.

Sie war nämlich die Mutter des säumigen Knechtes.

»Natürlich werde ich es thun! Oder meint Sie etwa, daß ich keinen anderen Knecht bekomme?«

»Ich habe geglaubt, daß Sie zufrieden mit ihm sind!«

»Seine Sache macht er gut, das ist richtig. Da könnten sich die Anderen ein Beispiel an ihm nehmen. Aber er hat einige Mucken, die ich ganz und gar nicht vertragen kann.«

»Sie erschrecken mich, Herr Kery!«

»Ja, Sie hat auch Veranlassung zum Erschrecken, denn Sie trägt auch die Schuld!«

»Aber ich weiß von nichts.«

»So! Das sagt Sie mir auch noch? Ich möchte wetten, daß ich sagen kann, weshalb Sie heut wieder kommt!«

Die Frau senkte die Augen.

»Nun, da hat mans! Sie kann mich ja schon nicht grad ansehen. Sie war erst vor vierzehn Tagen hier. Was hat Sie denn heute schon wieder da zu schaffen?«

»Ich - ich - ich habe mit dem Ludwig zu reden.«

»Von was denn?«

»Von - von - ich wollte -«

Sie stockte.

»Geld!« fiel er ein. »Nicht wahr, er soll schon wieder Geld schaffen?«

Der strenge Ton, in welchem er das sagte, ermuthigte sie keineswegs, ihm eine offene Antwort zu geben.

»Nun, kann Sie etwa nicht reden?«

»Ja, ich brauche etwas,« preßte sie hervor.

»So, so! Also habe ich es errathen. Ich möchte nur wissen, wozu Sie so oft Geld braucht!«

»Das letzte Mal war es für Abgaben; heute ist es für Zins.«


Ende der zweiundfünfzigsten Lieferung - Fortsetzung folgt.



Karl May: Der Weg zum Glück

Karl May – Forschung und Werk