Lieferung 49

Karl May

2. Juli 1887

Der Weg zum Glück.

Vom Verfasser des »Waldröschen«, »Verlorner Sohn«, »Deutsche Helden« etc.


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that nun, als ob er ihm überlegen sei, um ihn zum Widerspruch heraus zu fordern. Hatte er ihn erst einmal zum Sprechen gebracht, so mußte sich alles Andere ganz von selbst entwickeln. Diese Berechnung zeigte sich auch sofort als richtig, denn der Müller zog ein höhnisches Gesicht und antwortete:

»Ich möcht wohl Den sehen, mit dem ichs nicht aushalten thät. Oder haltens sich vielleichten für gar so sehr klug und gescheidt?«

»Ja,« antwortete der Assessor in sehr ernstem Tone.

»Na, so schauens freilich nicht aus!«

»Das ist ja möglich. Gewöhnlich sehen die Leute ganz anders aus, als sie sind. Ich habe wohl ein dummes Gesicht, bin aber nicht dumm. Sie hingegen haben eine außerordentlich kluge Physiognomie, und da läßt sich vermuthen, daß Sie das Pulver wohl auch nicht erfunden haben werden.«

Da schlug der Müller mit der Faust zornig auf den Tisch und rief:

»Himmelsappermenten! Das ist eine Grobheiten, die ich mir nicht gefallen zu lassen brauch!«

»Nun, so lassen Sie es sich nicht gefallen! Nur bin ich neugierig, zu sehen, wie Sie das anfangen werden.«

»Ich laß Sie hinauswerfen!«

»Ich bin ja schon draußen. Wir sitzen doch im Freien!«

»Ich hab meint, daß ich Sie fortjagen laß!«

»Ach so! Was thue ich da mit Ihnen? Sie haben mich doch auch beleidigt, indem Sie sagten, daß ich nicht gescheidt aussehe.«

»Da hab ich nur die Wahrheit sagt.«

»Und ich auch. Uebrigens kann ich nicht begreifen, daß Sie sich verleugnen, wenn ich nach dem Müller frage. Das thut man doch blos nur dann, wenn man keine gerechte Sache hat.«

»Donnerwettern! Wie meinens das? In wiefern soll ich keine gerechte Sach haben? Heraus damit! Ich wills wissen!«

»Ich habe nicht einen bestimmten Gegenstand gemeint, sondern ganz im Allgemeinen gesprochen!«

»Das will ich mir verbitten! Hier wird nicht im Allgemeinen sprochen. Verstanden! Und wenn ich nicht gleich sag, daß ich dera Müllern bin, so kann ich das, und ich hab meinen Grund dazu. Ich brauch nicht für einen Jeden dazusitzen, der herbei kommt und mit mir reden will.«

»Ach so! So ist also mit Ihnen kein Geschäft zu machen?«

Dieses Wort brachte die beabsichtigte Wirkung hervor. Das Gesicht des Müllers legte sich in freundlichere Falten, und er fragte:

»Ein Geschäft? Wegen einem Geschäft sinds halt kommen? Was ists denn für eins?«

»Haben Sie nicht Lust, einen sehr guten Getreidekauf zu machen?«

»Warum nicht? Frucht kauf ich immer, und wanns denen Preis darnach stellen, so zahl ich auch sogleich baar. Ists Roggen?«

»Nein.«

»Weizen oder Gersten oder auch ein Hafer?«


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»Auch nicht.«

»Sappermenten! Ein Anderes kanns doch wohl gar nicht sein.«

»Vielleicht doch!«

»So sagens doch grad heraus!«

»Danke! Erst wollten Sie nicht mit mir reden, und nun ist mir die Lust vergangen, mit Ihnen zu sprechen.«

Er legte sich bequem an die Lehne seines Stuhles zurück und zog an seiner Cigarre. Der Müller betrachtete ihn mit forschendem Blicke, hustete einige Male vor sich und sagte:

»Machens doch keine Sperrenzereien! Sinds etwan ein Getreidehändlern?«

»Nein.«

»Oder Agent?«

»Auch nicht. Sprechen wir nicht weiter von dieser Angelegenheit. Ich wollte Ihnen ein sehr vortheilhaftes Angebot machen. Sie haben mich abstoßend behandelt, und so ist es gut und abgemacht. Ich zwinge mich Keinem auf.«

»Da sinds aberst sehr schief gewickelt! Ein Geschäfts- und Handelsmann darf nicht so übelnehmisch sein, sonst macht er einen schlechten Handel.«

»Pah! Das brauche ich nicht zu befürchten. Meine Waare ist gut, und meine Preise sind sehr niedrig! Da weiß ich, daß ich das Getreide los werde. Uebrigens kam ich nur hierher, um Sie persönlich kennen zu lernen. Vielleicht machen wir später einmal ein Geschäft. Zu dem gegenwärtigen brauche ich Sie nicht. Ich habe einen Mann, der ist Besitzer von zwei Mühlen. Wenn er sie auch nicht selbst im Gange, sondern in Pacht gegeben hat, so wird er doch, wenn er die Preise erfährt und die Waare sieht, mir dieselbe sofort abnehmen.«

»So? Wer ist denn dieser Mann?«

»Er heißt Claus. Ich glaube nicht, daß Sie ihn kennen.«

Er sagte das im unbefangensten Tone. Der Müller horchte auf und fragte:

»Meinens etwan den Conrad Clausen drüben in Hohenwald?«

»Ja.«

»Also den Silberbauern? Den, den!«

»Ja, ich glaube, daß er in der dortigen Gegend bei diesem Namen genannt wird.«

»Den kennens also?«

»Sogar sehr gut.«

»Woher denn?«

»Schon seit langer, langer Zeit, als ich noch im Auslande war. Er hatte in der Nähe meines Wohnortes eine Mühle gepachtet.«

»Wo ist das gewest?«

»In Slatina.«

Es war, als ob eine Natter den Müller gestochen habe. Er fuhr so hoch empor, wie seine kranken Beine es ihm erlaubten.


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»Was? Sie sind von da unten her?«

»Ja.«

»So! Da habens wohl auch alle Leuteln kannt, welche dort wohnen?«

»Nein. Zur Zeit, als der Silberbauer sich in jener Gegend befand, war ich ein halbwuchsiges Bürschchen und kam nur zur Ferienzeit nach Hause. Da versteht es sich ganz von selbst, daß der Kreis meiner Bekannten dort kein sehr großer gewesen ist.«

»Aberst beim Claus sinds wohl oft in seiner Mühlen gewest?«

»Sehr oft.«

»Und hats nicht noch eine zweite Mühlen dort in der Nähe geben?«

»Vielleicht. Ich kenne sie nicht. Ich bin nicht hingekommen. Uebrigens unter uns gesagt, muß Claus damals ein ganz eigenthümliches Leben geführt haben.«

Er hatte sich vorgebeugt und sagte diese Worte in vertraulichem Flüstertone. Des Müllers Augen waren weit geöffnet. Man sah es ihm an, wie hochinteressant ihm dieses Gesprächsthema sei. Er zwang sich aber zu einem möglichst gleichgiltigen Tone, als er antwortete:

»Was weiß ich davon!«

»Nichts? Ich denke, Sie kennen das?«

»Warum soll ichs kennen?«

»Weil Sie ein Vertrauter des Silberbauers sind.«

»Ich? Das kann Niemand einfallen. Warum denkens denn eigentlich, daß ich ein Vertrauter von ihm bin?«

»Weil Sie wissen, daß es dort in seiner Nähe noch eine zweite Mühle gegeben hat. Ich vermuthe, daß Sie das von ihm erfahren haben, denn hier giebt es keinen Menschen, der in jener Gegend gewesen ist.«

»Ja, das ist richtig. Ich bin Müller, und dera Claus ist Müller. Wir haben uns mal troffen, und da hat er mir von dem Ort verzählt, an welchem er früher wohnt hat. Da sprach er von dera zweiten Mühlen. So hab ichs also von ihm derfahren. Aberst sagens doch mal, warum Sie denken, daß dera Silberbauern damals so ein absonderliches Leben führt hat?«

»Ich habe so meine Gedanken darüber.«

»Die man wohl nicht derfahren darf?«

»Was könnte es Ihnen nützen!«

»Nix. Das ist freilich wahr. Aberst ich verinteressire mich gar sehr für denen Silberbauern, und da hätt ich gar gern was von seinen früheren Zeiten derfahren.«

»Das gebe ich sehr gern zu. Sie sind Geschäftskollegen, und bei solchen ist es ja von Vortheil, wenn sie sich gegenseitig kennen. Aber ich weiß nun nicht, ob ich von diesen Sachen sprechen darf.«

»Warum nicht? Ists denn was so gar sehr Schlimmes?«

»Hm! Ich weiß nicht.«

Der Assessor machte bei diesen Worten ein sehr bedenkliches Gesicht.


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Das hatte die Wirkung, daß der Müller noch begieriger wurde, zu erfahren, was dieser fremde Mann von dem Silberbauer wußte.

»Was machens denn für ein Gesichten?« fragte er. »Das schaut ja ganz so aus, als obs sich von bösen Angelegenheiten handele.«

»Vielleicht!«

»Donnerwettern! Dera Silberbauern wird doch nix Böses thun! So wie ich ihn kennen lernt hab, ist er ein braver Mann.«

»Jetzt vielleicht.«

»Aberst früher wohl nicht?«

»Wie es scheint, nein.«

»Hörens, da betrachtens ihn wohl von dera falschen Seiten!«

»O nein! Haben Sie nicht vielleicht einmal von einer gewissen Frau Weise gehört?«

»Nein. Die kenne ich nicht.«

»Ihr Mann war auch Müller; er wohnt in Hohenwald und wird der Finkenheiner genannt.«

»Hm, den Mann seinen Namen hab ich freilich schon einmal hört; aberst die Frauen kenn ich nicht.«

»Auch ihr Schicksal nicht?«

»Nein.«

Es war ihm anzusehen, daß er die Unwahrheit sagte.

»Sie soll eine Liebschaft mit dem Silberbauer gehabt haben,« fuhr der Assessor fort.

»So! Das ists! Nun, wanns weiter nix Schlimmes von ihm wissen, so ists ja gar nicht so bös. Eine Liebschaften hat Jeder mal.«

»Aber nicht mit der Frau eines Anderen!«

»Warum nicht? Das soll auch vorkommen.«

»Er hat sie entführt.«

»Sappermenten! Das kommt ja nur in Theatern oder in denen Romanen vor!«

»Auch im Leben, wie dieses Beispiel so deutlich beweist.«

»Nun, wann sie mit ihm davonlaufen ist, so hat sie allein die Dummheiten begangen.«

»Aber sie hat ihr Geld mitgenommen, um welches er sie dann betrogen hat.«

»Obs wahr ist!«

»Sehr! Es ist sogar erwiesen.«

»Nun, so hat er sichs wohl blos nur borgt. Er mags ihr zurückgeben; er kann das, denn ich hab hört, daß er reich ist.«

»Ja, reich ist er. Er soll nämlich zwei große Kasten voll türkischer Goldstücke besitzen.«

Da wechselte der Müller die Farbe.

»Was!« rief er stockend. »Zwei große - Kasten mit - türkischen Goldstuckerln!«


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»Ja, so munkelt man.«

»Woher soll er die haben?«

»Von Slatina mitgebracht, wenigstens den einen Kasten. Den anderen soll er sich erst vor kurzer Zeit geholt haben.«

»Alle Teufeln! Ist er da wiedern in Slatina gewest?«

»Nein. Er soll diesen Kasten bei einem Bekannten geholt haben, welcher mit ihm - - ah, da fällt mir etwas ein! Daran habe ich gar nicht gedacht, als ich vorhin - -«

Er hielt inne und that, als ob er über Etwas nachdenke.

»Was ists?« fragte der Müller angelegentlich.

»Eine kleine Vergeßlichkeit.«

»Welche denn? So sagens es doch!«

Er sagte das in einem sehr dringlichen Tone. Der Assessor antwortete:

»Sie fragten vorhin nach einer zweiten Mühle. Ich konnte mich nicht besinnen. Jetzt aber, da von dem Geldkasten die Rede ist, fällt es mir wieder ein. Ja, es hat noch eine Mühle gegeben, und der Pächter derselben ist nicht nur Freund, sondern auch der Verbündete des Silberbauers gewesen. Sie haben ein Schloß angebrannt.«

»Tod und Hölle!« rief der Müller, vor Schreck fast überlaut.

»Und dabei alles Geld geraubt, welches sich in der Kasse befand.«

»Da sinds ja gradezu Mordbrennern gewest!«

»Allerdings. Den Raub haben sie getheilt und sind dann fortgezogen.«

»Wohin?«

Es war, als ob die Augen des Müllers aus ihren Höhlen treten wollten.

»Der Silberbauer natürlich nach Hohenwald.«

»Und der Andere?«

»Das weiß man nicht.«

»Aberst dera Silberbauern wird es wissen.«

»Höchst wahrscheinlich. Aber sagen wird er es jedenfalls nicht.«

»Warum denn nicht?«

»Weil dann die Sache erwiesen wäre. Er wird natürlich leugnen, und so kann man ihm also nichts beweisen.«

Der Müller holte tief Athem. Er nahm die Peitsche in die Hand und schwippste leise mit ihr hin und her. Da aber kam ihm ein Gedanke, der ihn sehr zu erschrecken schien.

»Woher weiß man denn das eigentlich?« fragte er.

»Das kann ich auch nicht sagen.«

»Aberst Sie wissens doch, und da müssens natürlich wissen, von wem Sie es derfahren haben.«

»Das weiß ich freilich, und woher der es hat, das wird er auch wissen. Jeder erzählt es; aber Keiner sagt, von wem er es hat. Wissen Sie, solche Sachen liegen, so zu sagen, in der Luft. Es ist erwiesen; man weiß es; man spricht auch davon, und der Betreffende hat nicht die mindeste Ahnung.«

»Das sollte er wissen; das sollte er hören; das sollte man ihm sagen!«


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»Er wird es schon noch zur richtigen Zeit erfahren. Wenn ein Gewitter in der Luft schwebt, so geht es in den meisten Fällen auch nieder. Und so wird auch das Wetter, welches über dem Silberbauer schwebt, sich entladen. Er muß aller Augenblicke es erfahren, daß ein Gerichts- oder Polizeibeamter von der Sache erfährt, und dann bricht es los, und er wird arretirt.«

»Himmelsacra! Aberst es ist jedenfalls nur eine Redereien, eine Verleumdungen, die sich irgend Einer, der ihm nicht gut ist, ausdenkt hat.«

»Das glaube ich nicht. Solche Sachen sinnt man sich nicht aus. Das ist zu gefährlich für den Verleumder. Uebrigens ist eine Zeugin da, die wohl im Stande sein würde, gegen ihn auszusagen.«

»Wer ist diejenige?«

»Die Frau des Finkenheiner.«

Es verging eine Weile. Der Müller hatte den Mund offen und blickte ihn starr an. Dann sagte er, mehrere Pausen machend:

»Die - die ist - - wiederum hier! Das kann sie doch gar nimmer wagen!«

»Warum nicht?«

»Sie kann ja ihrem Manne gar nicht unter die Augen treten!«

»O, der hat sich mit ihr ausgesöhnt. Er hat ihr vergeben!«

»Dann hat er keinen Charactern!«

»Grad weil er einen sehr guten Character hat, ist ihr vergeben worden. Sie ist die Verführte, sie hat gebüßt und viel erduldet, und vor allen Dingen, sie ist die Mutter seiner Kinder. Das hat ihn bewogen, ihr zu vergeben.«

»Aberst die Schand, die Schand vor denen andern Leuten! Die Alle wissen ja, daß sie ihrem Manne davonlaufen ist.«

»Das wird sie wohl ruhig tragen! Und wer eine große Rach im Herzen trägt, der macht sich aus einigen Blicken der Verachtung und Geringschätzung nicht viel oder auch gar nichts.«

»Was giebts da für eine Rach im Herzen?«

»Natürlich gegen den Silberbauer. Seit sie da ist, forscht sie nach dem anderen Müller. Sie will ihn entdecken, und dann, wenn sie ihn gefunden hat, wird es bei dem Silberbauer wohl einen sehr großen Krach geben.«

Der Müller ließ die Peitsche fallen. Er war ganz sprachlos vor Schreck. Dann trommelte er mit den Fingern seiner rechten Hand auf der Tischkante, blickte in das Weite, weil er sich nicht getraute, den Assessor gerade anzusehen, und sagte endlich:

»Wer hätt das denken sollen! Weiß sie denn also nicht, wo dera Andre sich befindet?«

Der Assessor that, als ob er gleichgiltig vor sich niederblickte, hielt aber den verstohlenen Blick scharf auf das Gesicht des Müllers gerichtet, in welchem sich Schuld und Angst in der deutlichsten Weise aussprachen. Er antwortete wie so eben hin:

»Die Frage ist wohl eine überflüssige. Würde sie nach ihm suchen, wenn sie seinen Aufenthalt wüßte?«


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»Freilich nicht. Sie muß also meinen, daß er in dera Nähe von Hohenwald wohnt?«

»Ja, sie scheint Veranlassung zu haben, das zu glauben.«

»Wiefern?«

»Weil der Silberbauer eine große Dummheit begangen hat. Er ist so unvorsichtig gewesen, vor einigen Tagen diesen anderen Müller aufzusuchen.«

»Donnerwetter! Woher weiß man das?«

»Er hat am Abend desselben Tages einen Kasten voll türkischer Pfundstücke gebracht, lauter Gold.«

»Das hat man sehen?«

»Ja. Darum rede ich von einer Dummheit, die er begangen hat.«

»Ja, das ist freilich eine Dummheiten,« rief der Müller im grimmigsten Tone, »eine verdammte Dummheiten, wie er sie größer gar nicht machen konnt hat!«

»Na,« lächelte der Beamte, »erbosen und erzürnen Sie sich doch nicht so darüber! Ihnen geht ja die Geschichte gar nichts an!«

Der Müller bemühte sich, sofort einen anderen, einen gleichgiltigeren Ton anzuschlagen:

»Da habens halt Recht! Man soll sich über die Unvorsichtigkeiten der andern Leuten gar nicht ärgern!«

»Freuen vielmehr muß man sich darüber, falls durch so eine Unvorsichtigkeit ein Verbrechen an das Tageslicht kommt. Aber, wenn der Silberbauer früh fortgefahren und gegen Abend schon wieder mit dem Gelde zurückgekommen ist, so versteht es sich ganz von selbst, daß der andere Müller in der Nähe von Hohenwald wohnen muß.«

»Das ist freilich richtig. Die Frau des Finkenheiner wird wohl den Namen desselbigen wissen?«

»Vermuthlich!«

»Und Sie, wissen Sie ihn auch?«

»In diesem Falle müßte ich mit dieser Frau auf einem sehr vertrauten Fuße stehen.«

»Nun, Sie könnten dieselbige ja kennen, da Sie aus dera Gegend von Slatina sind.«

»Ich habe mich nicht um sie gekümmert.«

»Nun, sie mag suchen. Und wenn sie ihn auffindet, so wird es ihr wohl schwer werden, die That zu beweisen. Ist sie denn dabei gewest?«

»Ich glaube nicht.«

»So mag sie nur den Mund halten!«

»Das ist ihr freilich anzurathen, wenigstens in Beziehung auf den Raub der Goldstücke. Das Andere wird sie aber wohl beweisen können.«

»Was? Giebts noch ein Anderes?«

»Freilich! Es ist nämlich damals ein Knabe verschwunden, der Sohn des Barons von Gulijan, und -«


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»Himmelsternenpech!« rief der Müller, von seinem Stuhle auffahrend aber sogleich wieder niedersinkend.

»Warum erschrecken Sie?«

»Ich -? Bin ich denn verschrocken?«

»Es sah ganz so aus.«

»Hören Sie, da irrens sich gewaltig!«

»Hm! Sie sprangen ja förmlich in die Höhe!«

»Aberst nicht vor Schreck. Ich möcht wissen, warum ich darüber verschrecken sollt! Mich geht diese Angelegenheiten ja gar nix an. Sie ist aberst so gar interessant, daß ich mich grad so hineindenk, als ob ich dabei gewest wär.«

»Ach so! Ja, mir ist sie auch so hochinteressant, und ich bin sehr begierig, zu erfahren, wie das enden wird!«

»Also ein Bub ist verschwunden? Der Sohn von einem Baronen! Wer weiß, wohin er ist. Wann ist er denn fort?«

»Am Abende, an welchem das Schloß niederbrannte.«

»O weh! Da wird er mit verbrannt sein! Schade um den armen Buben!«

»Nein. Verbrannt ist er nicht, sondern entführt ist er worden.«

»Alle Teufel! Das weiß man so genau?«

»Ja. Man kennt sogar Denjenigen, der ihn geraubt und mit sich fortgenommen hat.«

»So! Auch das ist bereits an das Tageslicht kommen! Darüber hab ich meine Freud.«

»Das macht Ihrem guten Herzen alle Ehre.«

»Ich glaubs freilich noch gar nicht, daß eine Entführung geschehen ist.«

»Das ist bereits erwiesen und über allen Zweifel erhaben.«

»Und es kommt aberst auch nur in denen Romanen und Theaterstucken vor, sonst nicht. Ich hab mal so ein Theater sehen, wo Eine entführt worden war. Preziosa heißt das Stuck und Zigeuner warens, die das Kind mit fortnommen hatten.«

»Zigeuner sind es hier auch gewesen.«

»Ists wahr?«

»Ja. Der Kerl hat Barko geheißen. Sie sehen also, daß man bereits seinen Namen kennt.«

»Ists - - wahr - -! Barko - - oh!«

Er stieß das mit zitternder Stimme hervor.

»Ja. Dieser Barko hatte einen Bruder, Namens Jeschko, dessen Frau, Mylla geheißen, die Amme dieses Knaben war. Haben Sie diese drei Namen oder wenigstens einen davon, vielleicht bereits einmal gehört?«

»Nein, nein,« antwortete der Müller in aller Eile. »Wo sollte ich so was hört haben?«

»Nun, vielleicht aus dem Munde des Silberbauers, mit dem Sie ja bekannt sind.«


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»Der wird sich hüten, mir so was zu sagen. Was geht mich dera Zigeunern an! Und was hat dera Silberbauern mit dera Entführungen zu schaffen! Nix, gar nix.«

»Sehr viel sogar, wie es scheint. Das muß wahr sein, denn Jeschko sagt es.«

»Dera Zigeunern?«

»Ja, den ich soeben genannt habe, dessen Frau die Amme des entführten Knaben war.«

»Wann hat er das sagt?«

»Vor Kurzem, in Hohenwald.«

»Was! Ist er etwan dorten?«

»Ja, er ist mit der Frau des Finkenheiner dort angekommen. Sie wollen dem Silberbauer an den Kragen; aber bevor sie gegen ihn auftreten, wollen sie erst den andern Müller suchen.«

»Warum diesen wohl?«

»Weil bei ihm sich der geraubte Knabe befinden soll.«

Das war zu viel für den Müller. Er war nicht leicht aus der Contenance zu bringen, und er hatte auch gelernt, sich zu beherrschen. Das aber, was er jetzt erfuhr, ging über die Kraft seiner Selbstbeherrschung. Er schlug mit der Faust auf den Tisch, daß es krachte, und schrie:

»So eine verdammte Gesellschaften! Was fallt ihnen ein? Wann sie mir kommen, so - -«

Er hielt erschrocken inne.

»Was haben Sie?« fragte der Assessor in freundschaftlich verwundertem Tone. »Von wem sprechen Sie denn?«

»Von - von - von,« stotterte der Müller. »Von diesen schlechten Kerls, welche denen braven Buben geraubt haben.«

»Die sollen Ihnen kommen? Kommen sie denn hierher zu Ihnen? Ich begreife Sie nicht!«

»Was giebts da zu begreifen,« versuchte er, sich draus zu reden. »Sehens nicht, daß ich ganz und gar verbost bin auf diese Bande? Ich könnt das Volk gleich hier auf dera Stell derschlagen, aus Zorn, daß sie das gute Buberl stohlen haben. Ein jeder gute Mensch muß da einen Grimm bekommen!«

»Ach, so war es gemeint. Sie thaten aber grad so, als ob Sie der Müller seien, der gesucht wird.«

Der Thalmüller wurde kreideweiß im Gesicht.

»Ich? Ich?« fragte er.

»Ja. Ihre Worte klangen ganz genau so.«

»Das habens falsch vernommen.«

»So, mag sein. Uebrigens wird es wohl nicht sehr lange dauern, so ist der Mann entdeckt. Man braucht seinen Namen gar nicht zu kennen. Die Amme Mylla ist bei ihm gewesen und bei ihm gestorben. Das ist Anhalt


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genug. Hier bei uns zu Lande giebt es so wenig Zigeunergräber, daß so ein Hügel sehr bald erfragt und gefunden wird.«

Das Auge des Müllers schweifte sofort angstvoll hinüber nach dem Zigeunergrab. Er wollte Etwas sagen, schwieg aber, da er grad eben jetzt in diesem Augenblicke den Fingerlfranz daher kommen sah.

»Schweigens jetzund,« bat er. »Der da kommt, der braucht von dieser Sach nix zu hören.«

»Wer ist er?«

»Der Fingerlfranz, der reichste Bub in dera ganzen Gegend, der meine Tochtern heirathen wird.«

»Und warum soll er nichts wissen?«

»Nur so!«

»Haben Sie einen besonderen Grund?«

»Nein, gar nicht. Aberst er kennt denen Silberbauern auch. Er hat sogar zuweilen ein Geschäften mit ihm und braucht nix zu wissen, was man von ihm derzählt.«

»Ganz, wie Sie wünschen. Mich geht die Sache übrigens gar nichts an. Ich kann mich über alles Andre ebenso gut unterhalten. Sehen wir also davon ab. Ich hätte gar nichts gesagt, wenn Sie nicht so begierig gewesen wären, Etwas darüber zu erfahren.«

»O, ganz schweigen wollen wir noch nicht darüber. Ich möcht Sie noch um was fragen, aberst nicht, wann dera Franz dabei sitzt. Gehens vielleichten schon bald fort?«

»Ja, wenn ich mein Bier ausgetrunken habe.«

»Das ist zu bald. Sie sind ja bereits herunter auf die Neige. Sie müssen sich halt noch ein andres geben lassen.«

»Was habe ich davon! Ich muß fort.«

»Ich kauf Ihnen auch das Getreiden ab!«

»Das bekommt nun ein Anderer. Ich bin ein eigenartiger Mann. Wer mir einmal etwas abschlägt, der bekommt eben nichts.«

»Meinswegen! Aberst ein Bier müssens noch trinken. Sie brauchens auch gar nicht zu zahlen. Ich bitt gar schön!«

»Sehen Sie, mein Bester, jetzt bitten Sie, und vorhin wollten Sie gar nicht mit mir sprechen.«

»Ja, wer kann wissen, wovon nachhero das Gesprächen handelt. Also still; da ist dera Fingerlfranz bereits.«

Der Genannte war indessen langsam herangekommen. Er machte ein grimmiges Gesicht und that den Mund kaum auf, als er grüßte. Den Assessor schien er gar nicht zu sehen.

»Grüß Gott, Franz!« erwiderte der Müller die mürrische Anrede. »Was hast im Kopf? Machst ja ein Gesichten, als hättst Fischthranen verschluckt.«

»Hasts errathen!«

»Fischthranen? Wie meinsts?«

»Hab jetzt keine Zeit!«


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»Oho! Zeit ists immer!«

»Aberst man muß alleine sein!«

Er warf dabei einen forschenden Blick auf den Assessor. Der Müller verstand ihn und antwortete:

»Setz Dich nur immer her. Vor dem Herrn brauchst Dich nicht zu scheuen. Er ist ein guter Freund von mir.«

»Ists wahr?« fragte der Franz den Beamten, indem er ihn erstaunt betrachtete.

Der Gefragte lächelte ironisch und antwortete:

»Meinen Sie, daß der Thalmüller Ihnen eine Unwahrheit sagt?«

»Nein, ihm glaub ich schon. Er ist ja dera Schwiegervatern.«

»Nun gut,« meinte der Müller. »So sag auch, was jetzund bereits so in dera Fruh fressen hast!«

»Fressen hab ich nix, aberst fressen werd ich ihn schon noch.«

Er schlug sich dabei mit der geballten Faust auf die Brust, um seinen Worten Nachdruck zu geben, und setzte sich nieder.

»Wen denn wohl?«

»Den, den ich im Wald troffen hab.«

»Wo?«

»Bei dera Paula.«

»Die ist in den Wald gangen, das weiß ich schon und es war Einer bei ihr? Wer dann?«

»Kannsts denken!«

»Nein, denken kann ichs nicht.«

»Nun, Der, der allemalen bei ihr ist, wann ich komm, um mit ihr zu sprechen.«

Der Müller schüttelte verwundert den Kopf.

»Ich versteh Dich freilich nicht. Wer soll heut bei ihr sein! Einer, sagst Du? Also ein Bursch? Der, an den ich dabei denken möcht, der ist doch nicht hier.«

»So? Wo soll er etwan sein?« fragte der Fingerlfranz in höhnischem Tone.

»In München ist er.«

»Ja, in München! Das denkst freilich, aberst da hast Dich schon verrechnet. Da ist er; bei dera Paula ist er, bereits am frühen Morgen.«

»Dera Fex?« fragte der Müller im Tone des höchsten Erstaunens.

»Ja, dera Fexen.«

»Du hast Dich irrt!«

»Ich mich irrt? Meinst, ich hab keine Augen und Ohren?«

»Hast einen Andern sehen und ihn für denen Fex gehalten.«

»So! Kann ich einen Andern für ihn halten, wann ich mit ihm reden thu?«

»Donnerwettern! Mit ihm sprechen hast!«

»Ja, und mit ihm auch rauft.«

»Bist toll! Was will er da?«


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»Weißts ja eben auch so genau wie ich. In den Wald kommt er, um mit dera Paula zu reden.«

»Du, das denkst blos nur! Vom München her macht Keiner ein Stelldichein, um ein Dirndl so fruh im Wald zu treffen.«

»Ist aberst doch so.«

»Wie solls die Paula wissen, daß er kommt?«

»Das kannst Dir wohl nicht denken? Diesera Lump weiß schon, wie er das einzurichten hat. Einen Briefen schreibt er ihr, und da stehts drin, wo sie ihn sehen kann. Nun weißts.«

»Einen Briefen? Du, das machst mir nimmer weiß! Das ist nicht zu glauben.«

»So glaubs nicht! Hab nix dagegen, wannst Dich von dem Dirndl und denen Buben für den Narren halten und auslachen lassen willst.«

»Hör, Franz, so kommst mir nicht. Von der Paula laß ich mich nicht verlachen. Was ists mit dem Briefen? Ist was Wahres dran?«

»Natürlich! Mehrere sogar hats bereits, und schreiben thuts ihm auch wieder!«

»Das müßt ich doch auch wissen.«

»So! Dera Briefträgern wird Dir den Wischen wohl gleich unter die Nasen halten, wann die Paula zu ihm sagt hat, daß er heimlich thun soll.«

»Kreuzbataillon! Red richtig heraus! Kannsts beweisen?«

»Ja.«

»Wie denn?«

»Ich hab einen in dera Hand habt und denselbigen auch lesen. Und nachhero, als ich ihr sagt hab, daß es ein Unrechten ist, von dem Lumpazi Briefen zu empfangen, da ist er selberst dazu kommen. Er war im Wald.«

»So zeig her den Briefen.«

»Ja, hab ich ihn!« lachte er grimmig.

»Natürlich! Wirst ihn ihr doch nicht etwan wiedergeben haben!«

»Nein, aberst dera Fexen hat ihn mir wiederum abnommen.«

»Und das hast Dir gefallen lassen?«

»Muß ich nicht? Ehe ich es denkt hab, hat er mich mit dera Faust auf den Magen schlagen, daß ich zusammenbrochen bin wie ein Baumklotz. Die Gedanken waren sogleich fort; ich hab nix mehr sehen und hört, und als ich dann aufiwacht bin, so waren sie fort, dera Fexen, die Paula und auch die Briefen.«

Der Müller vermochte sich noch immer nicht hinein zu denken, daß der Fex da sei und - was ihm am Allerärgerlichsten war - mit seiner Tochter gesprochen habe.

»Soll ichs glauben, soll ich!« rief er aus.

»Machs, wie Du willst!«

»Was will er hier! Was für eine Absichten hat er, hierher zu kommen?«

»Das magst Dir selberst zusammenreimen, wannsts nicht sogleich verstehen


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kannst! Natürlich will er weiter nix, als mit dera Paula reden, um sie mir abspännstig zu machen.«

»Wann er das denkt, so soll ihn dera Teuxeln reiten! Das duld ich nicht.«

»Und ich auch nicht.«

»So! Nicht dulden willsts, und doch hast Dich abermals niederschlagen lassen, Du, so ein großer und gewaltiger Kerlen!«

»Sei still! Mich brauchst darob nicht auszulachen. Dera allerstärkste Goliathen muß klein zugeben, wann ein kleiner Lump von hinterrucks an ihn kommt. Ich hab nicht dafür konnt, daß ich ein ehrlicher Raufer bin, der dem Gegner in das Angesichten schauen thut. Und nachhero, als ich aufiwacht bin und nun zuhauen wollt, ist er fort gewest.«

»Wohin?«

»Weiß ichs!«

»Na, das Dirndl wird wohl bald nach Haus kommen. Da mag sie sich gefaßt machen. Ich werd ihr zeigen, wo Barthel seinen Mosten holt.«

»So thu es auch, und sag es nicht nur!«

»Oho! Meinst, daß ich mich vor meiner Tochter fürchten thu?«

»Das könnt ich freilich denken!«

»Schweig! Willst mich beleidigen!«

»Ich sag nur die Wahrheiten! Es ist doch bereits schon die Verlobung festsetzt gewest, und Du hast Dich bereden lassen, Dein Wort zu brechen!«

»Daran war dera König schuld.«

»Der ist jetzund nicht mehr hier, also kannsts nun zeigen, daßt der Herr im Haus bist. Allzu lang wart ich nimmer mehr. Wannst denkst, daß ich mich an dera Nasen herumiführen laß, da hast Dich geirrt!«

»Das weißt ja, daß ichs ehrlich meinen thu mit Dir!«

»Was hilft mir die Meinung, wann die That auf sich warten laßt! Ich kann ein jedes Dirndl bekommen, was ich nur haben will. Ich brauch nicht hinter Einer herzulaufen, die mir immer nur versprochen wird, ohne daß ich sie bekommen thu. Ich hab das Warten satt. Wann binnen heut und vierzehn Tagen nicht das Verlöbnissen ist, so seh ich von dera Sachen ab, und Du wirst schauen, was für ein Weiberl ich mir dann nehme!«

Der Müller wollte zornig auffahren, besann sich aber eines Bessern und antwortete in beruhigendem Tone:

»Gut, ich werd Dir zeigen, daß ich Wort halten kann. Sie wird Deine Frau, und kein Anderer soll sie bekommen.«

»Wann ichs glauben könnt!«

»Ich geb Dir ja mein Wort darauf.«

»Das hast mir bereits schon vielmal geben, und wann ich mich daraufi verlassen hab, so bin ich der Betrogene gewest. Jetzunder nun ists Zeit. Schau, da kommt sie gegangen. Nun red gleich mal ein Wort mit ihr in meiner Gegenwart. Ich will sehen, ob sie Widerstand leistet.«

»Das soll sie nur wagen.«


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Er bückte sich nach der Peitsche. Der Fingerlfranz kam ihm zur Hilfe, hob sie auf und gab sie ihm. Er freute sich innerlich, den Zorn des Müllers angefacht zu haben; er hielt es für möglich, daß der Vater der Tochter die Peitsche zu fühlen geben werde, und das wäre ganz nach seinem Willen gewesen.

Der Assessor hatte sich während des Gespräches der Beiden vollständig schweigend verhalten. Jetzt betrachtete er das langsam näher kommende Mädchen. Der Wurzelsepp hatte von ihr gesprochen und sie ihm auch beschrieben; aber der Assessor sah, daß die Beschreibung weit hinter der Wirklichkeit zurückblieb.

Paula war ein Bild lieblicher, keuscher, unberührter Schönheit. Der Ernst, welcher in Folge des Gespräches mit dem Sepp und dem Fex über ihrem Gesicht ausgebreitet lag und ihre sonst so blühenden Wangen bleich gemacht hatte, erhöhte nur diese Schönheit anstatt dieselbe zu beeinträchtigen.

So kam sie langsam näher. Sie that, als ob sie vorübergehen wolle, ohne die drei Männer zu bemerken. Da aber rief ihr Vater:

»Paula, hast keine Augen?«

Sie blieb stehen und erhob den Blick, sagte aber nichts und that auch keinen Schritt herbei.

»Nun, kannst nicht herkommen?«

Sie trat näher und fragte leise:

»Was soll ich?«

»Sprich laut, wannst mit mir redest! Wo bist jetzund gewest?«

»Im Wald.«

»Was hast da than?«

»Das wird Dir Der hier wohl bereits sagt haben.«

Sie deutete dabei auf den Franz.

»Jawohl hat er mirs sagt!«

»Das konnt ich mir denken. Ein Angeber und Verräther kann denen Mund niemals halten.«

»Schweig! Es ist seine Pflicht, es zu sagen, und ich bin ihm dankbar dafür, daß er mir die Augen öffnet hat. Du hast Dich mit dem Fexen heut im Wald bestellt gehabt!«

»Nein.«

»Willst mich belügen?«

»Ich sag die Wahrheit.«

Sie blickte ihn mit verschleierten Augen an, aber ihre Stimme klang voll und fest.

»Und es ist doch eine Lügen. Ich weiß es. Wannst die Wahrheiten nicht sagen kannst, so hab ich hier die Peitschen; die wird Dich schon gesprächig machen.«

Er schwang die Peitsche drohend.

Sie blickte ihm grad und ernst in das Auge und erklärte trotz seiner Worte:

»Ich hab den Fex nicht bestellt. Ich hab gar nicht wußt, daß er zu-


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gegen ist, und bin ganz verstaunt gewest, als er vor mir stand. Das muß dera Franz bestätigen, wann er die Wahrheiten sagen will.«

»Aberst Du hast doch einen Briefen habt von dem Fexen!«

»Das ist freilich wahr.«

»Sogar mehrere!«

»Ja.«

»Er hat Dir also schrieben?«

»Viermal.«

»Und Du hast ihm antwortet?«

»Dreimal.«

Sie gab diese Antworten in furchtlosem Tone, fast geschäftsmäßig, wie Einer, dem es ganz gleich ist, was nun erfolgen werde.

»Das hast ohne meine Erlaubnissen than und es wird nicht noch mal geschehen. Und damit Dir diese sauberen Gedanken aus dem Kopf kommen, so wirst mir jetzund die Briefen geben.«

Sie antwortete nicht und bewegte sich nicht.

»Nun, her damit!« befahl er in barschem Tone.

»Diese Briefen sind mein. Keiner als ich allein hat das Recht, sie zu lesen.«

Da flackerte das Licht seiner Augen drohend auf. Er schwang die Peitsche und fragte:

»Auch Dein Vater nicht?«

»Nein, so nicht. Er hätte wohl das Recht, zu wissen, was dera Fex mir schreibt, und was ich ihm antworte, nämlich wann er zu mir wäre, wie ein Vatern zu seiner Tochtern sein muß. Da er aberst ein Tyrannen ist und mich mit aller Gewalt zwingen will, einen Hallodri zu heirathen, so bin auch ich von meiner Pflicht entbunden. Er will, was er will, und ich thu, was ich thu!«

Sie wollte sich abwenden und fortgehen. Da rief der Müller:

»Ists so gemeint? Nun, ich werd Dir jetzund mal zeigen, daß Du thust, was ich will. Also her mit denen Briefen!«

Er streckte die linke Hand nach den Briefen aus und schwippte mit der Rechten die Peitsche in einer Weise, aus welcher zu ersehen war, daß er zuzuschlagen beabsichtige.

Sie drehte sich wieder herum und fragte:

»Und wann ich sie Dir nicht geh, was wirst dann mit mir thun?«

»Das wirst gleich fühlen!«

»Willst mich etwan schlagen, hier vor diesem Herrn und auch vor dem Fingerlfranz?«

»Ja, das werde ich thun, und zwar allsogleich!« antwortete er so, daß man ihm den Ernst seiner Drohung anhörte.

Da schritt sie auf ihn zu, ganz nahe an ihn heran, legte ihm die Hand auf die Achsel, warf dabei einen halben Blick auf den Assessor und antwortete:


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»Du, Vater, mach das nicht! Schlag Deine Tochter nicht! Du könntest ihre Liebe wohl sehr brauchen, wann Alles Dich haßt und verachtet.«

»Was!« fuhr er auf. »Was sagst? Was meinst da zu mir!«

Da beugte sie sich an sein Ohr und flüsterte:

»Die Polizei streckt bereits die Hand nach Dir aus! Denk an den Fex! Der ist deswegen da!«

Da war es ihm, als hätte ihn der Schlag gerührt. Der Schreck öffnete ihm die Hand, so daß die Peitsche ihm entfiel. Er starrte sie an und starrte ihr nach, als sie sich jetzt von ihm wendete und langsam nach der Thür schritt.

»Nun, Müllern, so schlag doch zu!« rief der Franz, höhnisch lachend.

Der Müller antwortete ihm nicht. Sein Auge hing mit dem Ausdrucke des Entsetzens an der Gestalt seiner Tochter, bis dieselbe hinter der Thür verschwunden war.

»Nun, schlagen kannst also nicht, und reden aber auch nicht mehr, wie es scheint.«

Der Müller drehte sich zu ihm um. Sein Blick war beinahe ein gläserner zu nennen.

»Hasts hört, Franz?« fragte er tonlos.

Er dachte gar nicht daran, daß seine Tochter so leise gesprochen hatte, daß es unmöglich außer ihm ein Anderer gehört haben konnte.

»Freilich hab ichs hört! Es klang gar schön!«

»Was! Wirklich hört hasts?«

»Ja. Alle werden Dich verachten.«

»Ach das. Und hast auch das vernommen, was sie mir ins Ohr sagt hat?«

»Nein. Das war so leise und nur allein für Dich gemeint.«

»Ah, das ist gut!« entfuhr es dem Alten.

»Gut? Warum? Willst nun wohl mit ihr aus einer Karten gegen mich spielen?«

»Nein, ich halt mein Wort!«

»Das hab ich jetzund gar deutlich sehen. Hast sie schlagen wollen, und sie ist davon gangen, ohne daßt ihr ein einzig Wort noch sagt hast.«

»Das hat seinen guten Grund. Sie hat mir da was sagt, was - was - was - -«

»Nun, was! Sags doch heraus.«

»Nein, so nicht. Wart ein Wenig! Ich hab über was nachzudenken.«

Er starrte vor sich hin. Erst hatte der Assessor, den er allerdings für einen Geschäftsmann hielt, ihm so bedenklich, ja gradezu erschreckliche Mittheilungen gemacht. Man suchte nach ihm und nach dem Fex. Man hatte das Gold gesehen, welches der Silberbauer von ihm geholt hatte. Jetzt war der Fex persönlich da, und Paula sprach von der Polizei. Er erkannte, daß eine große, fürchterliche Gefahr ihm nahe. Wie war dieselbe abzuwenden? Nur dadurch, daß er den Silberbauern warnte. Gestand dieser nichts, so konnte, seiner Meinung nach, kein Mensch ihm Etwas beweisen.


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»Nun,« sagte der Franz, »bist bald fertig mit dem Gedanken? Oder soll ich Dir mit helfen?«

»Ja, kannst mir mit helfen, wannst willst.«

»So sag, was es betrifft.«

»Komm mit herein in meine Stuben!«

»Kannst nicht hier auch davon sprechen?«

»Nein, ich wills doch nicht thun. Weißt, ich werd jetzund die Paula zwingen, es Dir zu versprechen, daß sie Deine Frauen wird, und da müssen wir allein mit ihr sein.«

Da sagte der Assessor schnell:

»O bitte, ich will Sie nicht stören. Machen Sie diese Angelegenheit immerhin hier aus!«

Er stand auf und that, als ob er sich entfernen wolle, was aber natürlich ganz und gar nicht in seiner Absicht lag.

»Nein, nein!« fiel der Müller ein. »Bleibens nur da! Ich komm gleich wiederum heraus! Sie wissen ja, daß ich noch was Nothwendigs mit Ihnen zu reden hab!«

»Aber ich hab keine Zeit!«

»Wartens nur fünf Minuten! Ich werd sehr schnell machen. Komm, Franz, fahr mich hinein!«

»Ja, jetzund muß ich auch noch den Stier machen, der den Wagen schiebt. Na, wann die Paula der Preis ist, so thue ich Alles.«

Er drehte den Stuhlwagen, auf welchem der Müller saß, herum und schob ihn nach dem Hause.

»Hm!« flüsterte der Assessor, indem ein befriedigtes Lächeln über sein Gesicht glitt. »Fahrt nur zu! Was der Alte will, das kann ich mir wohl denken; aber ich will eine Barrière über den Weg legen.«

Er stand auf und entfernte sich, langsam und schlendernd, als ob er nur einige wenige Schritte thun wolle, um sich die Zeit zu vertreiben. Aber als er von den Fenstern aus nicht mehr gesehen werden konnte, wurden seine Schritte desto rascher.

An der Villa vorübereilend, kam er nach einem Buschwerke, welches seitwärts des nach der Stadt führenden Fahrweges lag. Er trat in dasselbe hinein. Dort standen zwei Gensdarme verborgen, welche er dahin beordert hatte.

»Meine Herren,« sagte er, »ich vermuthe, daß der Müller den Fingerlfranz mit einer Botschaft nach Hohenwald senden will. Halten Sie diesen Mann an, und bringen Sie ihn auf alle Fälle für so lange in Sicherheit, bis er uns keinen Schaden mehr machen kann.«

»Sehr wohl, Herr Assessor!« antwortete der Eine, ein militärisches Honneur machend.

»Es steht zu erwarten, daß die Botschaft nicht eine mündliche, sondern eine schriftliche ist. Suchen Sie also den Franz nach einem Briefe aus. Ich werde wohl den Wurzelsepp senden, mir diesen Brief zu holen, da ich nicht


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weiß, ob ich selbst kommen kann. Alles muß ohne Geräusch und exact gehen. Das ists, was ich Ihnen zu sagen habe.«

Er kehrte nach seinem Tische zurück und nahm an demselben Platz, ohne daß von irgend Jemand beachtet worden war, daß er sich entfernt gehabt hatte.

Der scharfsinnige Mann hatte in seiner Vermuthung das Richtige getroffen. Der Fingerlfranz mußte den Müller in dessen Stube fahren. Dort angekommen, war er überzeugt, daß nun Paula gerufen werde. Aber dem war nicht so.

»Schieb mich schnell an denen Tisch,« sagte der Müller, »und gieb mir Feder, Tinte und Papieren hier aus dem Kasten!«

»Willst etwan schreiben?«

»Ja.«

»Wohl gleich den Heirathscontracten?«

»Nein. Mach jetzund keinen Scherz! Mir ists sehr ernst zu Muthe.«

»Mir auch, denn eine Verlobung ist keine Kleinigkeiten. Soll ich die Paula rufen?«

»Wart noch!«

Er legte sich das Papier zurecht, blickte einen Augenblick lang finster vor sich hin und wendete sich dann an Franz:

»Du, sag mal, ob ich mich auf Dich verlassen kann!«

»Natürlich! Warum fragst?«

»Weilst mir einen Gefallen erweisen sollst, von dem Niemand was wissen darf.«

»Sehr gern; aber erweise mir vorher den Gefallen, die Paula rufen zu lassen, um ihr zu sagen, daß sie endlich und unbedingt einzuwilligen hat.«

»Das kommt auch noch - - -«

»Nein, das muß vorher kommen!«

»Still! Erst das Allernothwendigste. Jetzt sollst mir einen Weg machen. Wannst die Botschaft, die ich Dir anvertraue, richtig ausführst, so ist heut Abend die Versprechung zwischen Dir und dera Paula.«

»Ists wahr?«

»Mein Wort und mein Schwur darauf!«

»Und wann sie nicht will?«

»So mach ich in Deiner und ihrer Gegenwart das Testament. Ich enterbe sie, und Du bekommst Alles.«

»Donnerwetter! Darauf gehe ich gern ein!«

»Das kannst freilich gut! Arm mag sie wohl nicht werden, und darum wird sie Ja sagen, wann sie derkennt, daß ich Ernst mach.«

»Schön, sehr gut! Wo willst mich hinsenden?«

»Nach Hohenwald. Kennst Du dort denen Silberbauern?«

»Natürlich werd ich den kennen!«

»Ihm sollst den Briefen bringen, den ich jetzund schreib. Aberst kein Mensch darf es wissen, weder heut, noch in späterer Zeit.«

»Ists denn gar ein so großes Geheimnissen?«

»Freilich!«


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»Aberst ich darf es derfahren?«

»Nein.«

»Sappermenten! Das paßt mir nicht! Ich soll es machen und darf doch nix davon wissen! Und da soll ich Dein Schwiegersohn werden und soll auch glauben, daßt Vertrauen hast zu mir!«

Der Müller fühlte sich in die Enge getrieben. Der Franz durfte natürlich keine Ahnung von dem Inhalte des Briefes haben. Ebenso wenig aber durfte er ihn zornig werden lassen. Darum griff er nach dem einzigen Mittel, welches ihm blieb:

»Könntest schon Recht haben, wann sichs nur blos um mich handelte; aberst das Geheimnissen ist nicht mein Eigenthum, sondern dasjenige des Silberbauers. Du siehst also, daß ich jetzt nix sagen darf. Aberst in einigen Tagen wirst Alles derfahren. Das versprech ich Dir.«

»Auf diese Weis will ichs mir gefallen lassen.«

»Das denk ich auch. Aber, weißt, die Sach darf keinen Aufschub derleiden. Du nimmst den Briefen, gehst heim, sattelst ein Pferd und reitest immer Trab und Galoppen. So schnell bringst mir auch die Antworten wieder.«

»So bin ich heut doch ein richtiger Staffetenreitern!«

»Ja, das bist.«

»So sollt ich eigentlich gar nicht erst heimgehen.«

»Warum?«

»Weil da die Zeit versäumt wird. Während Du schreibst, kann ich mir ja Deinen Schimmel oder Fuchsen satteln lassen.«

»Nein, das geht halt nicht. Das würde draußen Der bemerken.«

»Dera Fremde? Darf ers nicht wissen?«

»Nicht ahnen darf ers. Er ists ja, von dem ichs derfahren hab. Er ist ein Fruchtreisender, weißt. Er hat ein großes Geschäften vor, welches lieber ich mit dem Silberbauern machen will. Darum sollst so schnell fort. Es ist ein sehr schönes Geldl dabei zu verdienen.«

»Ah, ists so! Ja, ein Schlaukopfen bist alleweil und immer gewest. Also schreib. Ich werd reiten, daß die Straß zerbricht.«

Der Müller tauchte die Feder ein und schrieb:

»Mit großem Schreck habe ich erfahren, daß die Anna mit dem Jeschko nach Hohenwald gekommen ist. Es ist Alles verrathen, daß wir das Schloß angebrannt und Mitschuldige an der Entführung des Fex sind. Das Geld, welches Du von mir geholt hast, ist gesehen worden. Ich schreibe Dir das in aller Eile. Richte Dich darnach, und nimm Dich in Acht. Wirst Du ja arretirt, so gestehe nichts. Ich werde auch nichts gestehen, kein Wort, und sollte ich auf das Schaffot kommen.
                    Gotthold Keller, Thalmüller.«

Er steckte diesen Brief in das Couvert und begnügte sich nicht, das Letztere einfach durch den Gummirand zu verschließen, sondern er siegelte es noch extra zu.

»So,« sagte er, dem Franz den Brief gebend. »Nun lauf, wast laufen


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kannst, nach Haus, und sodann reitest, daß die Funken fliegen. Du verlangst eine Antworten. Und wann die gut ausfallt, so bekommst sodann noch heut die Paula zur verlobten Braut.«

»Ists gewiß?«

»Ja, sie oder die Erbschaft.«

»So schlag eini! Topp!«

»Topp! Aberst daßt mir denen Brief nicht etwan unterwegs aufimachst! Dera Silberbauern thät das sehen, und dann macht er den Handel nicht mit.«

»Ich werd doch meinem Schwiegervatern nicht das Schreiben aufibrechen! Was denkst von mir!«

»Schon gut! Also lauf! Nimm mich aber erst wieder mit hinaus.«

»Willst wirklich wieder zu dem Fremden?«

»Natürlich! Weißt, ich muß ihn so lang wie möglich zurückhalten, daß er das Geschäft versäumt.«

»Das kann ich mir gar wohl denken. Ja, ein richtiger Diplomaten bist! So komm! Ich werd Dich schieben.«

Kaum hatte der Assessor seinen Platz wieder eingenommen, so kam der Wurzelsepp vom Zigeunergrabe daher. Dies war dem Ersteren sehr recht.

»Gut, daß Sie kommen, Sepp,« sagte er. »Ich werde Ihnen einen kleinen Auftrag geben.«

»Werd Alles machen, was ich machen soll.«

»Wenn Sie ihn ausgeführt haben, dann müssen Sie nach dem Fex suchen. Er ist schon da, wie ich erfahren habe.«

»Ja, da ist er freilich. Ich hab ihn schon.«

»Ah! Wo?«

»Dort steht er auf dem Zigeunergrab. Sobald ich ihm ein Zeichen geb, wird er kommen.«

»Das ist sehr gut. Sie bleiben nachher mit hier bei mir. Wenn ich Ihnen winke, geben Sie das Zeichen, aber ohne daß der Müller es bemerkt.«

»Wills schon machen. Und wie lautet dera Auftrag, den ich jetzund bekommen soll?«

»Sie gehen da rechts um die Villa. Sie sehen ein Gebüsch, abseits des Weges. Dort stecken zwei Gensdarmen, welche dem Fingerlfranz höchstwahrscheinlich einen Brief abnehmen werden. Den bringen Sie mir her, lassen aber dem Müller nichts merken.«

»Schön! Soll ausgerichtet werden!«

Er fand die beiden Gensdarmen und gesellte sich zu ihnen. Bereits nach kurzer Zeit kam der Fingerlfranz. Die Gensdarmen wollten aus dem Gebüsch hervortreten; aber der Sepp sagte:

»Bleibens nur da! Wann er Sie derblickt, lauft er vielleicht davon; ich aberst werd ihn herbei rufen.«

»Wird er kommen?«

»Das versteht sich. Zu dem Sepp kommt er allemal, wann der ihn ruft.«


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Jetzt war der Franz parallel mit dem Gebüsch. Der Sepp trat aus demselben hervor.

»Hallo!« rief er. »Fingerlfranz, hast einen Augenblicken Zeit?«

»Ah, dera Sepp! Nein!« lautete die Antwort.

»Nur einen Augenblick!«

»Keinen halben!«

Er lief immer weiter.

»Hab Dir was zu zeigen!«

»Mag nix sehen!«

»So! Nun, so lauf davon, wannst von dera Paula nix sehen willst.«

Das half. Franz blieb stehen.

»Was sagst?« fragte er. »Von dera Paula ists, wast mir zeigen willst?«

»Ja.«

Er kam langsam näher.

»Was ists denn?«

»Komm nur, und schau!«

»Aberst ich habs eilig!«

»So lauf schnell und zieh nicht so wie ein Schneck!«

Der Franz war zu neugierig, als daß er sich hätte weigern sollen. Freilich, als er die Gensdarmen erblickte, war er nicht auf das Freudigste überrascht.

»Sapperment! Da steht ja die Polizeien!« sagte er im Tone der Enttäuschung.

»Ja, das ists, was ich Dir zeigen wollt.«

»Das ist aber nix von dera Paula!«

»O doch! Es hängt mit dera Mühlen und mit dem Müller zusammen und betrifft also auch die Tochter desselbigen.«

»So laß mich aus! Ich muß fort!«

Er wendete sich zum Gehen. Da aber ergriff der eine Sicherheitsbeamte seinen Arm und sagte:

»Bleiben Sie noch Franz. Wir haben eine Kleinigkeit mit Ihnen zu reden.«

»So! Aberst ich hab keine Zeiten. Ich muß fort.«

»Wohl nach Hohenwald?«

»Wer sagt das?«

»Ich! Zu dem Silberbauer? Nicht?«

Er machte ein sehr verblüfftes Gesicht und fragte:

»Wer hat das sagt?«

»Das weiß man, ohne daß es Einem gesagt zu werden braucht.«

»So! Nun, warum fragens denn eigentlich?«

»Weil wir wissen wollen, ob der Müller Ihnen einen Brief anvertraut hat.«

»Einen Briefen? Ich weiß nix davon.«

»Franz, sagen Sie keine Unwahrheit!«

»Ich sag, was richtig ist!«


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»Es ist nicht allemal Das, was man für richtig hält, auch wahr. Also, Sie haben in Wirklichkeit keinen Brief?«

»Nein.«

»Auch keine Botschaft von dem Thalmüller auszurichten?«

»Ich weiß von keiner was.«

»So zwingen Sie uns, Sie auszusuchen.«

»Alle Teufeln! Haltens mich etwan für einen Spitzbuben?«

»Nein. Sie sind ein ehrlicher Mann. In diesem Augenblicke aber haben Sie dem Müller zu Liebe die Unwahrheit gesagt, und das kann sehr große Unannehmlichkeiten für Sie haben.«

»Was! Unannehmlichkeiten! Wie meinens dieses Wort?«

Er war erschrocken, denn trotz seiner kräftigen Gestalt besaß er nur eine arme Portion wirklichen Muthes.

Wir müssen Sie arretiren.

»Wir müssen Sie arretiren.«

»Herrjesses! Und etwan einistecken?«

»Ja.«

»Aberst warum?«

»Weil der Thalmüller sich mit Dingen abgiebt, welche durch das Gesetz verboten sind. Indem Sie seinen Hehler machen, werden Sie sein Mitschuldiger.«

»Sappermenten! Ich hab nicht glaubt, daß ich was Böses thu!«

»Hätten Sie gedacht, daß Sie etwas Erlaubtes vornehmen, so brauchten Sie nicht zu leugnen.«

»Es handelt sich ja nur um ein Geschäften!«

»Aber um ein verbotenes.«

»Nein. Es soll Frucht kauft werden.«

»Ah, das hat der Müller Ihnen also weiß gemacht! Jetzt frage ich zum letzten Male: Haben Sie einen Brief?«

»Hm! Und wann ichs nicht gestehen thu, da suchens mir die Taschen aus?«

»Allerdings.«

»Nun, da will ichs sagen. Ich hab einen.«

»An den Silberbauer in Hohenwald?«

»An denselbigen.«

»Geben Sie ihn heraus!«

»So! Herausgeben soll ich ihn also! Habens denn auch das Recht, ihn zu verlangen?«

»Das versteht sich. Weigern Sie sich, so bringe ich Sie in's Gefängniß.«

»Nein, nein, dahin mag ich nicht! Liebern geb ich ihn her. Da ist er.«

Er langte in die Tasche und gab das Schreiben her. Es hatte die Adresse: >Herrn Konrad Klaus in Hohenwald.< Es war also der gesuchte Brief.

»Sie sollten ihn also nach Hohenwald schaffen und eine Antwort mitbringen?« erkundigte sich der Gensdarm weiter, um sicher zu gehen.

»Ja, und reiten sollt ich, damit ich bald wieder hier sein könnt.«

»So! Nun, mein Lieber, Sie haben sich da zum Vermittler einer sehr sträflichen Absicht hergegeben. Sie sind eigentlich selbst strafbar.«


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»Donnerwettern! Davon hab ich gar keine Ahnungen habt!«

»Das können Sie nicht beweisen?«

»Fragens doch denen Müllern selberst! Ich hab keine Ahnungen von Dem, was da im Briefen steht! Der Müllern hat mich belogen, wie es scheint. Dem will ichs aberst schonst gedenken! Er thut wie ein Heiliger gegen mich und als ob ers sehr gut mit mir meinen thät, und nun bringt er mich in so einen Verdachten.«

»Ja. Unannehmlichkeiten werden Sie freilich haben. Wir müssen uns Ihrer Person versichern.«

»Was! Ich hab doch den Brief hergeben!«

»Allerdings. Aber wir müssen uns vergewissern, daß Sie nicht dennoch nach Hohenwald gehen.«

»Das fallt mir nun schon gar nicht ein.«

»Ich will es Ihnen glauben, habe aber mich nach meiner Instruction zu richten. Doch will ich das so rücksichtsvoll wie möglich thun. Ich will Sie nicht in das Gericht schaffen. Wir gehen in den Gasthof des Scatmatthes und trinken da ein Glas Bier. Da merkt kein Mensch, daß Sie mein Arrestirter sind. Hier mein College wird mich später benachrichtigen, wenn ich Ihnen die Freiheit wiedergeben kann.«

»So mags eher gehen. Das will ich mir gefallen lassen. Dera Thalmüllern kann mir stohlen werden. Den schau ich schon gar nie wiedern in's falsche Angesichten.«

So raisonnirend ging er mit dem Gensdarm ab, während der College des Letzteren auf seinem Posten blieb. Der Sepp aber steckte den verhängnißvollen Brief in die Tasche und kehrte zu dem Assessor zurück.

Dieser hatte, als der Fingerlfranz den Müller wiederbrachte und sich dann schleunigst entfernte, eingesehen, daß seine Vermuthung eine richtige gewesen sei. Er freute sich im Stillen, den Müller in seiner eigenen Schlinge gefangen zu haben, denn er konnte erwarten, daß der Brief irgend ein Geständniß enthalte, während der Untersuchungsrichter wohl große Mühe gehabt haben würde, ihn zu einem solchen zu bringen.

Der Müller saß eine kleine Weile schweigend in seinem Rollstuhle. Er wollte wieder vom Silberbauer anfangen, und doch sollte das nicht sehr auffällig geschehen. Der Assessor sagte auch nichts, um dem Alten seine Absicht nicht etwa zu erleichtern. Endlich begann dieser:

»Was habens denn eigentlich zu meiner Tochtern denkt?«

»Daß sie ein sehr hübsches Mädchen ist.«

»Das hab ich nicht meint, sondern daß sie mir so ungehorsam ist?«

»Dazu kann ich als Fremder gar nichts sagen. Aber ich habe die Ansicht, daß man ein Kind nicht zur Heirath zwingen muß.«

»Sinds etwan auch bereits verheirathet?«

»Nein.«

»So könnens auch nix sagen. So was muß nur dera Vatern verstehen. So ein Dirndl weiß den Teuxel, wie man glücklich wird!«


// 1176 //

»Streiten wir nicht darüber!«

»Ja, ich könnts beweisen. Denkens mal grad an den Silberbauern. Der hat auch einen Sohn und eine Tochter. Kennens die?«

Er war froh, jetzt seinen Gegenstand wieder ergriffen zu haben.

»Ja, ich kenne sie Beide,« antwortete der Assessor. »Sie sollen in Slatina geboren sein?«

»Ich weiß es auch nicht anderst. Der Bub ist ein Blitzkerl, und die Martha macht ein bildsauberes Dirndl. Da sollt mirs um diese Beiden leid thun, daß dera Vatern ein Verbrechen begangen hat.«

»Vielleicht wissen Beide auch davon.«

»Das glaube ich nicht. Welcher Vatern, der ein Spitzbub ist, wirds seinen Kindern sagen!«

»So!« lächelte der Assessor. »Sie also würden es Ihren Kindern verschweigen?«

»Himmelsakra! Was fragens so! Meinens etwan, daß ich einer bin?«

»O nein, gar nicht. Ich wollte nur Ihre Behauptung mit einem Beispiele belegen.«

»So! Natürlich würd ichs meiner Paula gar nicht merken lassen; das versteht sich ja von selberst. Aberst - - da kommt dera Wurzelsepp! Ist der auch wiederum mal hier in dera Gegend, der Lump?«

Der Sepp kam langsam herbei spaziert, zog den alten Hut und grüßte, als ob er erst jetzt hier ankäme:

»Gott grüß die Herren! Wie gehts, Thalmüllern? Ist die Paula gesund, und hats bereits Hochzeit macht mit dem Fingerlfranz?«

»Wannst so dumm fragen willst, kannst nur gleich wiedern gehen!« antwortete der Müller zornig.

»Ich komm ja eben erst. Hast den großen Topf noch mit denen Fröschen und Kröten?«

»Halts Maul, Lumpazi, sonst antwort ich Dir mit dera Peitschen!«

»Na, hast Du aberst eine schlechten Launen heut am Tage! Da möcht man sich doch lieberst gar nicht mit hersetzen.«

»Halts auch nicht nöthig. Es sind noch andere Tischen da.«

»Ja, doch am liebsten sitz ich bei Dir. Also, mit Verlaubnissen!«

Er machte Anstalt, sich an den Tisch zu setzen.

»Halt, nicht hierher!« gebot der Müller. »Wannst auch vor mir keinen Respecten hast, so siehst doch, daß ein fremder Herren dasitzt!«

»Ein fremder? O, den Herrn kenn ich bereits bessern als Du! Der wird mirs schon gern verlauben, mich zu Euch zu setzen.«

»Ists wahr?« fragte der Müller den Assessor in verwundertem Tone.

»Ja,« antwortete dieser. »Ich habe den Wurzelsepp bereits mehrere Male gesehen und gar nichts dagegen, daß er sich her zu uns setzt.«

»Na, so kann ichs nicht ändern. Aberst was wir zu sprechen hatten, das braucht doch kein Anderer zu hören, und dera Sepp am Allerwenigsten.«

»Warum? Es sind doch keine Geheimnisse, welche wir verhandeln.«


Ende der neunundvierzigsten Lieferung - Fortsetzung folgt.



Karl May: Der Weg zum Glück

Karl May – Forschung und Werk