Lieferung 31

Karl May

26. Februar 1887

Der Weg zum Glück.

Vom Verfasser des »Waldröschen«, »Verlorner Sohn«, »Deutsche Helden« etc.


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»So kannst viel dafür zahlen.«

»Viel und wenig, wie mans verstehen will. Ein guter Hieb auf den Kopf ist viel und auch wenig, je nach denen Umständen. Schau, das braucht ich Alles nicht zu thun, wannst Deine Sachen bessern macht hättst. Ich sitz nicht denen ganzen Tag auf meinem Geld, und wann ich auch mal den Schlüsseln verlier, in mein Geheimniß kann doch Keiner einidringen. Dafür ist gesorgt.«

»Ja, bei Dir war so eine schöne Gelegenheit vorhanden. Du hattst die Mühlen kauft, und das Wassern ist einsam. Da konntst das Wehr bauen ganz nach Deinem Gusto, und dann lief der Bach drüber weg, und Keiner kanns je finden. Wie aberst ists bei mir? Hab ich so was bauen konnt?«

»Mußts denn grad ein Wehr sein!«

»Nein. Aberst was Andres ist mir alleweil nicht einifallen, bis ich an den Stuhl denkt hab. Doch wollen wir dabei die Hauptsach nicht vergessen. Ich hab Deine Depesche erhalten und daraus ersehen, daßt meinen Brief bekommen hast.«

»Ja; aberst wannst mir wieder mal schreibst, so machst eine richtige Adressen drauf! Was muß dera Briefträgern von mir denken, wann er so einen Wischen in die Hand bekommt!«

»Ich hab denkt, daß wir Beid uns nander keine Complimenten zu machen brauchen.«

»Da hast Recht, nämlich wann wir bei nander sind und allein. Aberst wann Andre dabei sind oder gar auf dera Briefadressen, da verlang ich mein Recht, und da geb ich Dir halt auch das Deinige. Da muß ein Jeder wissen und auch sehen, mit wem ers zu thun hat. Wann meine Bauern merken, daß es Einen giebt, der keinen Respectum vor mir hat, so ists gleich aus mit dem Gehorsam bei ihnen.«

»Ach so! Bist wohl der König von Hohenwald?«

»Ja, der bin ich auch. Da droben bei mir müssen Alle tanzen wie ich pfeif.«

»Wanns so ist, so werd ich auf meinen nächsten Briefen schreiben: An Seine Majestäten, Herrn, Herrn Ortsvorstehern und Schultheißen Conrad Claus, Silberbauern in Hohenwald.«

»So schlimm brauchsts nicht zu machen. Und nun, wie stehts mit dem Geld?«

»Ja, wie stehts damit?«

»Ich mein mit dem Deinigen!

»Und ich mit dem Deinigen. Das ist die Hauptsach. Das meinige Geld kennst ganz genau.«

»Ich hab welches mit. Wie viel verlangst für das Gold, was Du los werden willst?«

»Ich hab Dirs schrieben.«

»So viel geb ich halt nicht.«

»Dann kannst nur gleich wiederum gehen. Ich laß keinen Pfennig herab.«


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»Wirst schon noch handeln lassen!«

»Kein Wort. Du kennst mich bereits. Ich hab Dir sagt, wie viel ich einbüßen will, mehr aberst nicht.«

»Pah! Wann man Etwas partuhtemang los werden will, so muß man Preis machen.«

»Ich hab einen guten Preis macht. Zum Fenstern will ich mein Geld doch nicht hinauswerfen. Und daß ichs partuhtemang losschlagen will, das ist auch nicht wahr. Weil der Fex die Papieren hat, muß ich gewärtig sein, es kommt aller Augenblick Jemand, um nun auch nach dem Geld zu schauen; darum will ichs von mir thun, damit Niemand es finden soll. Aberst für einen Lumpenpreis geb ichs doch nicht hin. Dann mags lieber liegen bleiben, und es mag es finden, wer da will. Mein Schad ists nicht allein, sondern auch der Deinige.«

»Willst mich verrathen?«

»Nein; aberst wanns mich anpacken, so forschens auch noch weitern, und dann kannst Dir denken, daß auch Du an die Reihe kommst.«

»Nun gut, ich will mich nicht mit Dir zanken. Ich geb Dir, wast verlangt hast.«

»Baar?«

»Baar, in guten Staatspapieren.«

»So zähl auf!«

»Zähl erst Du Dein Gold her!«

»Das ist noch in ganz denselbigen Rollen, in denen wir es damals mitbracht haben. Wie schaffsts fort?«

»Ich hab einen Kasten mit.«

»So hol ihn herein! Nachhero schließen wir die Thür zu. Es braucht kein Mensch zu wissen, was wir hier mit nander machen.«

Der Bauer ging hinaus und holte den Kasten herein. Als er ihn dann nach ungefähr einer Stunde wieder zurück in den Wagen trug, konnte man es ihm ansehen, daß derselbe eine bedeutende Last habe. Er hatte sich aber einen Augenblick gewählt, an welchem er von Niemandem beobachtet wurde.

Der Abschied der Beiden war keineswegs ein herzlicher. Sie gingen unter gegenseitigen Vorwürfen und Grobheiten auseinander. Die Sünde ist nicht das geeignete Mittel, Menschenseelen innig zu verbinden. Bald rollte der leichte, viersitzige Wagen des Königs von Hohenwald auf derselben Straße zurück, auf welcher er nach der Thalmühle gekommen war.

Es war ein schöner Tag. Die Sonne schien zwar heiß, aber da die Straße durch dichten, hohen Wald führte, so fielen die Strahlen derselben nicht lästig.

Claus mochte ungefähr die Hälfte des Weges zurückgelegt haben, als er einen Wanderer bemerkte, welcher vor ihm her dieselbe Straße ging. Die Fahrt wurde ihm nachgerade langweilig, und da kam ihm der Gedanke, diesen Mann aufzufordern, mit in den Wagen zu steigen. Das gab wenigstens eine Unterhaltung. Darum prüfte er denselben, so weit das von hinten möglich war.


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Der Mann war von hoher, imposanter Gestalt und war halb wie ein Gebirgler, halb wie ein Forstbeamter gekleidet. An der linken Seite hing ihm eine Tasche, und in der Rechten trug er einen Stock.

»Grüß Gott!« sagte der Bauer, als er ihn erreichte, doch griff er nicht an den Hut. »Wollens vielleicht mitfahren?«

Der Angeredete wendete dem Sprecher das Gesicht zu, und nun blickte der Bauer in ein Paar dunkle, mächtige Augen, unter deren Blick er ganz unwillkürlich nach dem Hute griff, um ihn nachträglich doch noch abzunehmen. Der Fremde dankte mit kurzem Nicken, betrachtete mit einem schnellen, scharfen Blicke den Mann, die Pferde und den Wagen und antwortete:

»Grüß Gott! Wohin fahren Sie?«

»Nach Hohenwald.«

»Wie lang geht man noch bis dorthin?«

»Weit über zwei Stunden.«

»So werde ich Ihr Anerbieten acceptiren. Wie viel verlangen Sie?«

»Nix.«

»Wenn ich fahre, zahle ich.«

»Und ich nehme nix.«

»So fahren Sie allein weiter!«

»Donnerwettern! Das ist mir auch noch nicht passirt. Ich will gern einen Gesellschaftern haben. Darum laß ich Sie halt nicht laufen. Gebens also eine Mark!«

»Ich gebe fünf!«

»Was fällt Ihnen - - -«

»Fünf!« unterbrach ihn der Fremde. »Ja oder nein?«

»Na, ich bin kein so Dummer. Wanns Ihr Geld los werden wollen, so zahlens meinetwegen fünf, und steigens aufi! Aberst in dera Waldschänken mach ich eine kleine Pausen. Da müssens halt mal mit einikehren!«

»Ist mir recht.«

Er stieg ein, setzte sich aber nicht auf den vorderen Sitz neben Claus, sondern auf den hintern. Der Bauer trieb die Pferde an und sagte dann:

»Warum setzens sich da hinten her?«

»Hier ists bequem.«

»Vorn bei mir ist das Reden bequemer.«

»Ich bin kein leidenschaftlicher Redner.«

»Das heißt, daß ich das Maul halten soll?«

»Nicht grade das.«

»Hernach hättens auch sogleich wiedern aussteigen mußt. Ich hab Sie mitnommen, um Einen zu haben, mit dem ich ein Wengerl vom Disputiren reden kann.«

»Ich werde wohl nicht wieder aussteigen. Sie haben erklärt, mich für fünf Mark nach Hohenwald zu fahren, und wenn nicht ich selbst Sie von diesem Contract entbinde, so haben Sie ihn einzuhalten.«

Der Bauer hielt unwillkürlich die Pferde an und sagte, sich zurückwendend:


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»Himmelsakra! Auch das ist mir noch nicht passirt. Jetzund also bin ich zwungen, Sie zu fahren?«

»Ja.«

»So! Das ist schön! Das ist prächtig! Das kann mich aberst gefreun! Erst bin ich der Herr, der den Wagen verschenken will aus Gnaden und Barmherzigkeiten, und nun auf einmalen bin ich nur dera Kutschern, der zu gehorchen hat!«

»So ist es allerdings,« lächelte der Fremde. »Bitte, fahren Sie weiter!«

Claus ließ die Pferde wieder laufen und fuhr dann fort:

»Freilich, wanns wüßten, wer ich bin, so würdens nicht so mit mir reden.«

»So lange Sie Ihre Pflicht als Kutscher thun, brauche ich nicht zu wissen, wer Sie sind.«

»Meine Pflicht als Kutschern? Alle tausend Teuxeln! Das wird noch bunter als vorher! Wissens, ich bin der Claus, dera Silberbauern!«

Dabei warf er sich in die Brust.

»So!« meinte der Fremde gleichgiltig.

»Habens etwan von mir noch nix hört?«

»Kein Wort.«

»Das ist aber ein Wundern! Ich bin dera Ortsrichtern von Hohenwald!«

»Weiß nichts davon.«

»Auch davon nix! So, da will ich Ihnen halt noch was sagen. Nachhero werdns Respect bekommen. In dem Kasten, da unterm Sitz, hab ich Geld, fast an die vierzigtausend Mark!«

»Ich sitze trotzdem nicht besser.«

»Was? Wie? Das impernirt Ihnen nicht?«

»Nein.«

»Da muß doch gleich der Teuxel drein fahren. Wer sinds denn eigentlich da, wanns bei vierzigtausend Mark so ruhig bleiben, als obs nur ein Stückle vom Fingernagel wäre?«

»Ich bin jetzt Forstbeamter.«

»So! Nun, da brauchens nicht grad gar so appart zu thun. Was ist ein Forstbeamter, und wie viel hat er im Jahr? Da heißts auch nur blos Hungerleiden mein Gemüthe. Es ist halt zwar ein gesundes Leben, aberst zu beißen giebts nicht viel. Forstern, Kinderwärtern und Schulmeistern, das könnt so meine Passionen sein. Besonders das Schulmeistern. Das thut groß und dick, und wanns zum Treffen kommt, so fressens Löschpapieren und saufen Klarizerintinten dazu.«

»Kennen Sie so ein Beispiel?«

»Bei uns im Dorf. Da ist vor ein paar Tagen der neue Schulmeistern kommen und hat gleich in dera ersten Stund Prügel bekommen.«

»Wo?«

»Im Wald und auch in dera Schänk.«

»Von wem?«


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»Von mir und meinem Buben, dem Silberfritz.«

»So! Bei Ihnen empfängt also der Inhaber der Ortsgewalt den neuen Lehrer mit Schlägen?«

»Warum nicht? Wann ers verdient hat!«

»Was hatte er denn gethan?«

»Er ist grob gewest gegen meinen Silberfritz.«

»Und da giebts sofort Prügel?«

»Sofort, und zwar nach Noten! Und wann dera König selberst käm, wann er nicht höflich wär, so würd er durchgehaun.«

»Ah!«

»Ja! Oder glaubens das etwan nicht? Da kommens bei mir schlecht an. Wir hier oben kümmern uns den Teuxel um den König und seine Leuten. Der weiß halt auch nimmer, was er für Dummheiten beginnen soll.«

»Sie scheinen ihm nicht sehr gewogen zu sein.«

»Gewogen? Na, mir ist er eigentlich ganz und gar gleichgiltig; aberst er soll mich nur auch in Ruhe lassen.«

»Hat er das nicht gethan?«

»Nein!«

»Wieso?«

»Der will alle Menschen groß machen und berühmt. Der Eine soll ein Maler werden und der Andre ein Dichtern, der Dritte ein Musikanten und der Vierte ein Sänger. Alle sollen Künstlern werden und berühmt und reich. Sogar die Bubn nimmt er von dera Fähr hinweg und wills studiren lassen, weils ein Wengerl Violinen geigen können. Da komm ich alleweil von einem Freund aus dera Thalmühlen. Dem hat der König einen Gesindebub wegnommen, weil er auf der halben Geigen klimpert hat. Mir, wann er das machen thät, na, ich wollts ihm schon stecken! Und weitern - ah, schad, daß ich aufhalten muß! Ich bin grad im Zug. Da aber ist die Waldschänken, und da gehn meine Pferden halt gar niemals vorüber. Also, steigens mit aus?«

»Ja.«

Da ist die Waldschänke

Beide sprangen ab. Der Bauer hing zwei Stränge aus, und dann ging er hinein. Der Fremde folgte langsamer. Als Claus in die Gaststube trat, befand sich nur ein einziger Gast in derselben. Sobald er diesen sah, rief er aus:

»Was der Teuxel! Wurzelsepp, Du bist hier! Das ist gut. Wo willst hin?«

»Nach Hohenwald.«

»So kannst mit aufisteigen und mit uns fahren.«

Der Sepp hatte diese Einladung erwartet, wußte aber nicht, was er darauf antworten solle, denn jetzt trat der Fremde ein. Würde dieser - - mit dem Wurzelsepp fahren? War es dem Sepp überhaupt gestattet, ihn zu kennen?


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Der Fremde bemerkte die Verlegenheit des Alten und beseitigte sie sofort, indem er, ihm gütig zunickend, sagte:

»Da ist ja der Wurzelsepp! Ich hoffe, Du kennst meinen Namen noch?«

»Ja wohl, Herr Ludewig.«

»Wo willst Du hin?«

»Nach Hohenwald.«

»So kannst Du ja gleich mitfahren. Auf dem Vordersitz ist ein Platz übrig. Laß Dir ein Bier geben!«

»Also Herr Ludewig heißens?« fragte der Bauer. »Und den Sepp kennens auch? Ja, ich möcht wissen, wer im ganzen Bayernlandl den Sepp nicht kennen thät. Der Haderlump steckt seine Nasen überall hinein. Aberst ein braver Schelm ist er doch. Oder meinst nicht, Sepp?«

»Weiß nicht.«

»Das kannst schon wissen. Bist überall willkommen, auch bei vornehmen Leutln, sogar bei mir. Wannt heut in Hohenwald bleiben willst, kannst wiedern bei mir im Heu schlafen.«

»Kann noch nicht sagen, ob ich bleiben werd.«

»Willst vielleicht schon weitern fort?«

»Das ist möglich.«

»So ists bessern, ich frag Dich gleich jetzund.«

»Was?«

»Ich hab mich bei Dir wornach zu erkundigen.«

»So? Wann ich Auskunften geben kann, so soll es ganz gern geschehen.«

»Hast Einen kannt, der Fex geheißen hat?«

»Ja.«

»Er soll jetzund ein Künstlern werden?«

»Freilich.«

»Der König will ihn studiren lassen, dens gar nix angeht eigentlich. Ich möcht nun gar gern wissen, wo der Fex jetzt ist.«

»Warum?«

»Weil ich mich sehr für ihn verinteressir.«

»Das hast jetzunder nicht mehr nöthig.«

»Warum?«

»Eben weil der König sich für ihn verinteressirt.«

»Ich möcht aberst doch gern wissen, wies ihm geht.«

»Ganz gut.«

»Und möcht ihm gern was schicken.«

»Er braucht nix. Der König sorgt für ihn.«

»Das ist wohl gar schön. Aberst ich mach in nächsten Tagen eine Reisen; da ists möglich, daß ich auch dahin komm, wo er sich befindet, und da thät ich ihn doch gar gern mal mit aufsuchen, weil er sich so sehr darüber freuen würd.«

»So! Bist ein so gar sehr gutern Freund von ihm?«


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»Sehr. Ich solls aberst nicht sagen.«

»Wer hats verboten?«

»Er selber.«

»Geh, dabei hat er grad nicht an mich dacht.«

»Das ist sehr möglich.«

»Aberst ich glaub gar nicht, daßt jemals dorthin kommst, wo er sich jetzt befindet.«

»Das weiß man nicht.«

»Da müßtest weit fahren, mit der Eisenbahnen und nachhero gar auch noch mit dem Dampfschiffen.«

»Sapperment! Ists gar so weit?«

»Ja.«

»Also wo?«

»In Sebastebol.«

»In Sebastebol? Ists wahr?«

»Ja.«

»Was sie damals mit den Kanonen derobert haben, als der Malerkoff verstürmt worden ist?«

»Dasselbige.«

»Aber was will er dorten?«

»Er soll dorten das Geigen lernen.«

»Warum grad dorten?«

»Weißt, dorten lernt man die Vigelinen mit den Beinen spielen, und weil das so eine große Kunsten ist, die bei uns noch gar Niemand kann, ist dera Fex hin, ums zu lernen.«

»Die Vigolinen mit den Beinen! Wast da sagst! Ich hab wohl hört, daß Einer mit denen Fußzeherln zeichnet und auch malt hat, aberst die Geigen mit denen Beinen spielen, das ist noch nicht dagewest. Auf was steht dann so ein Mann?«

»Auf dem Kopf und auf denen Händen.«

»So, das muß freilich ein Gaudi sein für Die, welche es mit ansehen. Aberst da hast Recht, nach dem Sebastebol komm ich nicht. Das ist mir zu weit. Aber sag, warst dabei, als er fort macht ist?«

»Ja.«

»Weißt Alles, was er mitnommen hat?«

»Ja.«

»Was denn? Hat er eine Legitimutionen?«

»Natürlich.«

»Von frühern her?«

»Nein. Die hat er zuruck gelassen. Eine Photographieen war auch dabei.«

Die Augen Clausens leuchteten auf.

»Wo hat er sie gelassen?« fragte er.

»Bei mir. Ich solls ihm aufbewahren, bis er mal wieder zuruckkommen wird.«


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»Aberst Du trägsts doch nicht mit Dir herum?«

»O nein; das fallt mir gar nicht ein!«

»Wo hasts da hingethan?«

»Zu meiner Frau.«

»Wie - wa - wo - - -!«

»Zu meiner Frau, hab ich sagt.«

»Du - Du hättst eine Frauen?«

»Ja.«

»Davon weiß ich doch gar nix!«

»Nur ganz Wenige haben das wußt.«

»Nein, aber nein! Der Wurzelsepp hat eine Frauen! Wo lebt denn die?«

»Gar nicht weit von hier.«

»Aberst wo?«

»Das willst wissen? Werd mich schön hüten, es zu sagen. Das ist gefährlich.«

»Warum?«

»Weißt, weil ich mir eine ganz junge Frauen nommen hab, dera Adressen sagt man nicht einem Jeden. Warum willsts wissen?«

»Nur so.«

»So ists auch egal, wannts nicht derfährst. Später, wanns alt worden ist, werd ich Dirs vielleicht mal aufischreiben.«

»Bist ein alter Hallunk!«

»Ja, da hast Recht. Vertölpeln thut mich so leicht Keiner nicht. Das kannst merken.«

»Meinst, daß ich Dich vertölpeln will?«

»Ja.«

»Da irrst sehr.«

»O nein. Dich kenn ich schon. Du hast nur wissen wollen, wo sich die Papieren und das Bild befinden, welche der Fex bei sich hat.«

»Das ist nimmer wahr!«

»Schweig! Du bist jetzund beim Thalmüllern gewest und hast mit ihm vom Fex sprochen.«

»Das behauptest blos. Ich kenn denen Thalmüllern fast gar nicht. Er ist mir fremd.«

»Und da kaufst ihm für dreißigtausend Mark Gold ab, und er büßt dabei so viel ein?«

Der Bauer erbleichte. Er blickte sich ängstlich in der Stube um. Der König war nicht mehr da. Es war ihm in der niedrigen Stube zu schwül geworden und darum war er nach den Worten, welche er mit Sepp gewechselt hatte, hinausgegangen, um sein Bier an einem der draußen stehenden Tische zu trinken. Er hatte also die Unterredung der Beiden nicht gehört. Sie waren allein in der Stube.


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»Du,« sagte der Bauer, »was weißt von dem Geld? Sags heraus! Schnell!«

»Daß der Thalmüllern Dir darüber schrieben hat, und Du hast ihm darauf telergraphirt.«

»Das ist nicht wahr!«

»Freilich! Du hast ihm telergraphirt, daßt heut um elf Uhr zu ihm kommen willst, um den Handel mit ihm zu machen.«

»Donnerwettern! Woher weißt das?«

»Weil ich heut bei ihm war. Ich komme von ihm her und will nach Hohenwald.«

»Er hätt Dir das sagt?«

»Ja.«

»Mensch, das kann doch nicht wahr sein!«

»Freilich ists wahr. Ich bin sein Vertrauter.«

»Er hat mir doch gar nix sagt, daßt da gewest bist.«

»Weil ichs ihm verboten hab.«

Der Bauer lief mit langen Schritten in der Stube auf und ab. Er befand sich in einer leicht begreiflichen Aufregung.

»Du,« sagte er, »hier giebts mit Dir ein Geheimnissen, wast mir aufiklären mußt.«

»Dazu bin ich gern bereit.«

»So sag - - -«

»Halt, jetzt nicht!«

»Wann sonst?«

»Hier ist kein Ort zu solchen Dingen. Ob ich heut noch Zeit hab, das weiß ich nicht; aberst morgen komm ich ganz sichern zu Dir, um Dir Alles zu derklären. Nachhero wirst froh sein, daßt mich heut hier an diesem Ort troffen hast.«

»Sepp, ich weiß gar nimmer, was ich sagen soll. Hat dera Thalmüllern plaudert?«

»Nein.«

»Wer sonst?«

»Ich hab mit Einem sprochen, der Euch sucht.«

»Woher ist er?«

»Da unten aus dem Land, wo die Donauen hinunterlauft. Ich glaub, es ist der jetzige Mann von Deiner ersten Frauen, welche vorher die Frau des Finkenheiner gewest ist.«

»Herrgottsakra! Mich rührt der Schlag!«

»Warum? Brauchst keine Angst zu haben, denn ich bin Dein Freund; ich halts mit Dir.«

»Wirklich?«

»Ja.«

»Das soll Dein Schad nicht sein, Sepp; das versprech ich Dir. Also morgen kommst?«


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»Ja.«

»Zu welcher Zeit?«

»Das weiß ich noch nicht. Vielleichten am Abend. Also laß Dir ja nicht bang sein! Ich bin verschwiegen und sag keinem Menschen Etwas. Schau, wir sollen fort.«

»Ja. Ich zahl Dein Bier.«

»Der Andre hat schon zahlt.«

»Wer ist er denn?«

»Werds Dir spätern sagen. Jetzt darfst ihn nicht warten lassen. Komm!«

Sie hatten nämlich gesehen, daß der König in den Wagen gestiegen war, für Sepp das Zeichen, mit dem Bauer zu kommen. Beide setzten sich auf die beiden Vorderplätze, und die Pferde zogen an. Ganz entgegengesetzt gegen vorhin, war der Silberbauer vollständig schweigsam. Er holte von Zeit zu Zeit tief Athem oder blickte den Sepp verstohlen von der Seite an. Er traute dem Alten doch nicht recht.

So kamen sie in die Nähe von Hohenwald. Da ließ der König halten, stieg ab und bezahlte seine fünf Mark. Auf einen verstohlenen Wink von ihm wollte auch der Sepp herab.

»Halt!« sagte der Bauer. »Du fährst mit mir bis ins Dorf hinein.«

»Das geht nicht.«

»Warum nicht?«

»Weil ich vorerst gleich noch eine Pflanzen such, die bis morgen verdorren thät. Brauchst keine Sorg zu haben; ich komm schon zu Dir.«

Jetzt sprang er ab, und der Bauer fuhr fort.

»Ich komme eher, als ich dachte,« sagte der König. »Giebts ein Logis?«

»Ja, aberst nicht im Dorf, sondern in dera Mühlen.«

»Das ist mir recht. Führe mich! Kennst Du den neuen hiesigen Lehrer?«

»O, sehr gut.«

»Was ist er für ein Mann?«

»Ein Bub so, wie ich wollt, daßt ich früher gewest wär. Die Schulmeistern haben hier immer nur den Affen machen müssen; der aberst hat sogleich in dera ersten Stund bewiesen, daß er nicht mit sich spaßen laßt.«

»Er rauft wohl gern?«

»Nein, aberst er vertheidigt sich brav, wann er angriffen wird. Die Geschichten, wie er hier seinen Einzug halten hat, mit dem Tragkorben auf dem Buckel, die ist interesserant.«

»Erzähl es mir!«

Während der Sepp dieser Aufforderung nachkam, schritten die Beiden nach der Mühle. Sie waren dort angekommen, als er seinen Bericht beendet hatte. Das Gesicht des Königs hatte einen eigenen, befriedigten Ausdruck angenommen. Er nickte leise vor sich hin und sagte:

»Diesen jungen Mann werde ich mir ansehen. Wer ist diese Frau?«

Er meinte damit die alte Barbara, welche unter der Thür stand.


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»Das ist die Barbara, die Magd, welche dem Müllern die Wirthschaft versorgt, ein sauberes und accurates Weibsbild.«

Als die Alte den vornehmen Herrn kommen sah, machte sie einen tiefen Knix und fragte:

»Wen bringst denn da zu uns, Sepp?«

»Das ist dera Herr, welcher den Bombyx sucht, weißt, was ich Euch verzählt hab.«

»Ja, ich weiß.«

»Und er will Dich fragen, ob er bei Dir wohnen kann auf ein paar Tagen, liebes Bärbel.«

Liebes Bärbel! So hatte der Sepp noch nie zu ihr gesagt. Ihr Gesicht glänzte vor Freude. Sie machte noch einen Knix und meinte:

»Ja, wanns zufrieden sein wollen, lieber Herr, mit unserer armen Mühlen, so könnens uns gar gern willkommen sein. Reich sind wir halt nicht; aberst sauber will ichs Ihnen schon machen, daß ich mich nicht nachhero noch zu schämen hab. Bitt sehr schön! Kommens herein und seins willkommen!«

Die Drei verschwanden in der Thür. Bereits nach kurzer Zeit kam der Sepp wieder heraus. Er hatte einen heimlichen Befehl nach dem Forsthaus zu bringen. Als er sich dieses Auftrages entledigt hatte, war der Nachmittag so ziemlich vergangen, und da er für heut nun von dem König beurlaubt war, so beschloß er, sich heimlich in der Nähe des Wehres auf die Lauer zu legen, falls der Silberbauer vielleicht bereits am Tage dort Etwas zu suchen habe. Mit dem Lehrer hatte er ausgemacht, daß dieser sich am Abende dort einstellen werde.

Walther seinerseits war nach beendeter Nachmittagsschule hinaus ins Freie gegangen, um da, beeinflußt von den Reizen des herrlichen Sommertages, den letzten Actschluß seines Theaterstückes zu vollenden. Er hatte sich am Waldesrande ein reizendes Plätzchen ausgesucht, das Taschenschreibzeug hervorgenommen und zu arbeiten begonnen. Er befand sich in ausgezeichneter Stimmung, und die Worte flossen ihm so schnell von der Feder, daß er bald zu Ende war. Er steckte das Schreibzeug wieder ein und streckte sich auf den warmen, duftenden Boden aus.

Da schwebte ein Schmetterling heran, ein großer, prächtiger Trauermantel. Der Lehrer war Schmetterlingssammler. Er sprang auf, nahm den Hut in die Hand, und die Jagd begann, wobei er gar nicht beachtete, daß er sich weiter und immer weiter von dem Plätzchen entfernte.

Bald kam ein Anderer langsam daher, der König. Dieser hatte bemerkt, daß er der alten Barbara überrascht gekommen war, und darum hatte er einen Spaziergang unternommen, um ihr Zeit zu lassen, die zwei kleinen Oberstübchen für den Herrn Ludwig in Glanz und Wichs zu bringen. Jetzt befand er sich auf dem Heimwege. Er sah das ziemlich dicke Heft liegen, hob es auf und blätterte darinnen. Seine Züge nahmen, je weiter er schritt, den Ausdruck desto größerer Spannung an. Als er bei der Mühle anlangte, empfing ihn die Barbara mit hoch gerötheten Wangen.


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»Jetzt nun könnens herauf kommen, Herr Ludewig,« sagte sie. »Wollen sehen, obs Ihnen gefallen wird.«

»Ja, meine Beste. Aber sagen Sie mir vorher vor allen Dingen, ob es hier einen Dichter giebt.«

Sie schüttelte fast erschrocken den Kopf.

»Einen Dichtern? Nein, Gott sei Lob und Dank, einen Dichtern haben wir hier noch nimmer habt.«

»Oder wohnt sonst Jemand hier, der sich mit der schönen Literatur beschäftigt?«

»Ein Liter Natur?« brummte sie leise. »Hm, sonderbar!« Und laut fügte sie hinzu: »Schön ist sie wohl sehr, aberst hier hat Niemand Zeit, sich extra mit ihr abzugeben.«

»Giebt es außer dem Pfarrer und dem Lehrer noch studirte Leute im Dorf?«

»Nein.«

»Der Pfarrer ist kein Dichter?«

»Nein, obgleich er von seinen paar Kreuzern gar ärmlich leben muß.«

Sie hatte nämlich die Ansicht, daß ein Dichter von Gottes- und Rechtswegen zum Hungern verurtheilt sei.

»Aber der Lehrer dichtet wohl?«

»Das fallt ihm halt gar nicht ein. Der, wann er was zu essen hat, kann gar derb einhauen. Das hab ich gestern am Spätabend bemerkt.«

In Folge ihrer obigen Ansicht hegte sie auch die Ueberzeugung, daß ein Dichter einen so schwachen Magen habe, daß bei ihm gar keine Rede von einem richtigen, kräftigen >Einhauen< sein könne.

Der König errieth ihren Gedankengang und sagte mit freundlichem Lächeln:

»Ich habe soeben draußen am Waldesrande dieses Heft gefunden und wünsche sehr, den Besitzer desselben zu erfahren. Wo ist der Müller? Ich will auch ihn einmal fragen.«

»Er ist drüben in dera Mühlen. Wanns ihm das Geschreib zeigen wollen, glaub ich dennerst nicht, daß er sagen kann, von wem es ist. Aberst versuchen können Sie's halt.«

Sie hatte Recht. Als der König zu dem Müller kam, um ihm das Heft zu zeigen, war auch diesem die Schrift völlig unbekannt. Als er dann aus der Mühle zurückkehrte, stand die Barbara im Hausflur, um den Finkenheiner zu begrüßen, welcher mit seiner Liesbeth gekommen war, um den Abend bei dem Müller zuzubringen.

»Schaut,« sagte sie zu den Beiden. »Das hier ist dera Herr Ludewigen, der nach Hohenwald kommen ist, um den Bimbaxen zu suchen, der die Bäum zusammenfrißt.«

Und sich an den König wendend, sagte sie, die Beiden vorstellend

»Und das hier ist halt dera Finkenheiner mit seiner Liesbetherl, die den Müllern heirathen wird. Ich hab vorhin zu ihr schickt, damit sie mir helfen


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soll bei dera Bedienung. Unsereins ist nicht auf so vornehme Herren dressirt, sondern man braucht eine Hilfen dazu.«

»Machen Sie sich meinetwegen keine Sorgen! Ich bin nicht so vornehm, daß ich zwei Personen zu meiner Bedienung brauche.«

»Ach gehens! Vornehm sinds halt doch! Das sieht man Ihnen ja sogleich an dera Nasen an.«

»Hab ich eine so hohe Nase?«

»Nein. Wie ein Kirchthurm ragts nicht empor. Aberst wer nach dem Buxbimben sucht, der muß schon ein gewaltig gescheidter Kerlen sein.«

»Sie meinen den Bombyx?«

»Ja, denen Bimbexen, den ich noch gar nie sehen hab, obgleich ich aus dera Gegend gebürtig bin. Aberst nicht wahr, dera Müllern hat auch nicht wußt, von wem das Geschmier ist?«

»Nein.«

»So zeigens doch mal dem Heiner hier!«

»Was giebts?« fragte dieser.

Der König erklärte es ihm.

»O weh! Da kommens halt grad an den Unrechten,« meinte der Heiner. »Ich bin kein Schriftgelehrter; ja, ich kann nicht mal selberst schreiben. Was steht denn drin in den Papieren?«

»Es ist ein Theaterstück, welches nur von einem begabten Dichter hat verfaßt werden können.«

»Von einem Dichtern? Nun, wir haben einen.«

»Wer ist das?«

»Dera Schulmeistern. Er hat so beiläufig sich mal versprochen, daß er Gedichten macht und auch Geschichten, in denen er todtschlagt, wen er will.«

»Also der! So hat er es verloren!«

»Verloren? Ja, da fallt mirs ein, daß er vorhin einen Schmetterling nachlaufen ist bis in den Wald hinein zu mir. Da hat er meint, daß er schnell wieder zuruck muß, weil er sein Heft hat liegen lassen.«

»Dann ist er es sicher. Er soll es morgen erhalten.«

Der König ließ sich nach seinen Zimmern bringen, welche allerdings zweier Schmuckkästchen glichen. Dort setzte er sich hin, um das Manuscript zu lesen.

Barbara begann dann, sich in der Küche zu beschäftigen. Liesbeth half ihr, und der Heiner ging zu dem Müller. Nach einiger Zeit kam er in die Küche gelaufen und fragte:

»Bärbel, ist denn Jemand droben bei dem Herrn Ludewigen?«

»Nein.«

»Er redet doch mit Jemand!«

»Es ist Niemand droben.«

»Und doch muß Jemand droben sein, mit welchem er sich vielleicht gar zanken thut. Er brüllt gar laut.«

»Herrjesses! Es wird sich doch Niemand zu ihm hinauf schlichen haben!«

»Das wird sein, denn horch nur mal!«


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Er machte die Küchenthür auf, und da war allerdings trotz des Mühlengeklappers die Stimme des Königs sehr laut zu hören.

»Freilich ist wer droben!« sagte die Barbara. »Sonst thät er doch nicht reden.«

»Und schreien thut er so! Da muß man ihm zu Hilf kommen. Gehn wir hinaufi, Barbara!«

»Ja, gehn wir! Ich möcht nur wissen, was für ein Lumpen so heimlich hinaufi gangen ist. Dem werd ich aberst die Höllen heiß machen.«

Sie stiegen die Treppe empor. An der Thür blieben sie stehen.

»Wollen erst horchen,« sagte die Barbara. »Vielleicht hören wir gleich an dera Stimmen, wer bei ihm ist.«

Sie lauschten. Die Stimme des Königs ertönte laut:

»Herrlich, herrlich! Das rechtfertigt den Titel des Stückes, »der Schutzengel«. Dieser Lehrer ist ja ein Talent, vielleicht noch mehr.«

»Er zankt nicht,« flüsterte Barbara.

»Nein,« antwortete der Heiner. »Sie reden halt von dem Herrn Lehrern. Horch!«

Drinnen erklang es mit Pathos:

»Es giebt so wunderliebliche Geschichten,
Die bald von Engeln, bald von Feen berichten,
   In deren Schutz wir Menschenkinder stehn.
Man möchte gern den Worten Glauben schenken
Und tief in ihren Zauber sich versenken,
   Denn Gottes Odem fühlt man daraus wehn.«

»Du,« flüsterte die Barbara, »die reden vom Zauber.«

»Ja. Es wird doch nicht etwan gar eine Teufelei losgelassen werden sollen!«

Drin erklang es weiter:

»So ists in meiner Kindheit mir ergangen,
in welcher oft ich mit erregten Wangen
   Auf dererlei Erzählungen gelauscht.
Dann hat der Traum die magischen Gestalten
In stiller Nacht mir lebend vorgehalten,
   Und ihre Flügel haben mich umrauscht.«

»Die reden von Flügeln. Verstehst was davon?« fragte die Barbara.

»Nein. Horch noch mal!«

Mit erhöhter Stimme fuhr der König fort:

»Fragt auch der Zweifler, obs im Erdenleben
Wohl könne körperlose Wesen geben,
   Die für die Sinne unerreichbar sind -
Ich will die Jugendbilder frisch erhalten
Und glaub an Gottes unerforschlich Walten,
   Wie ichs vertrauensvoll geglaubt als Kind!«

»Na, Zank ist das halt nicht,« meinte der Heiner.


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»Nein. Aber Einer ist doch bei ihm drin!«

»Ja, und wer?«

»Wollen wir hinein?

»Nein. Wanns kein Zank ist, brauchen wir ihm nicht zu helfen. Aberst ich werd unten im Haus bleiben und dem auflauern, der drin bei ihm ist.«

»Das wird das Allerbest sein, wast machen kannst. Stören thu ich ihn nicht gern. Er hat gar so ein vornehms Gesichten und ein paar Augen - na, solche Augen kann man selten sehen. Da liegt was drin!«

Sie stiegen hinab. Der Heiner postirte sich an die Hausthüre. Zu seinem Erstaunen aber kam Niemand von oben herab, und als später die Barbara das Essen hinauftrug, war sie ebenso erstaunt, zu sehen, daß Herr Ludewig sich ganz allein in der Stube befand. Er studirte das Heft, auf dessen erster Seite der Titel zu lesen war »der Schutzgeist, Drama in vier Aufzügen«.

Kurz vorher, als die Dämmerung sich zum Abende neigte, war ein eigenthümliches Gefährt durch das Dorf gekommen und hatte vor dem Gasthause gehalten.

Ein magerer, abgetriebener Gaul hatte einen Wagen gezogen, wie sie bei sogenannten herumziehenden Künstlern gebräuchlich sind - die Leute pflegen gleich darinnen zu wohnen. Ein junger, ziemlich verlumpter Kerl führte das Pferd. Hinter dem Wagen schritt ein älterer Mann einher, welcher einen abgeschabten, ungarischen Schnürrock aus Sammet anhatte. Sein Gesicht war tief gebräunt und hatte den ausgesprochenen Zigeunertypus. Er beaufsichtigte zwei große, magere Ziegenböcke und mehrere ebenso magere Hunde, welche dem Wagen folgten. Das Ganze machte einen ziemlich herabgekommenen Eindruck.

Als der Wagen vor dem Gasthofe hielt, kam der Wirth heraus, und die Wirthin folgte ihm. Beide waren neugierig, denn dergleichen Gäste gab es hier im Dorfe nur äußerst selten. Der Mann im Schnürrocke grüßte in fremdländischem Dialect und fragte, ob er hier für einige Tage Quartier bekommen könne.

»Was sind Sie denn eigentlich?« fragte der Wirth.

»Ich bin Akrobat und Equilibrist,« antwortete der Gefragte in stolzem Tone.

»Das versteh ich halt nicht. Redens doch lieber in dera deutschen Sprachen, denn hier sinds ja in Bayern.«

»Ich meine, daß ich Künstler bin auf dem Seile und auch in andern Productionen. Ich führe dressirte Hunde und Ziegenböcke vor und habe auch einen Bären, welcher erstaunliche Kunststücke kann.«

»Was! Einen Bären habens auch? Wo dann?«

»Hier im Wagen.«

»Donnerwettern! Ein Bären ist ein schlimmer Kerl. Der soll mit hier bei uns logiren?«

»Ja. Er ist nicht schlimm. Er ist so zahm wie ein Kanarienvogel.«

»So! Da thut er wohl auch singen?«

»Zuweilen, aber mit Baßstimme.«


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»Nun, ich könnt Sie wohl schon behalten, wann nur der Bären nicht wär. Man kann halt nicht wissen, ob er mal Lust bekommt, Jemand aufzufressen.«

»Er liegt ja an der Kette.«

»So! Aberst wo thun wir ihn hin?«

»Haben Sie nicht einen Stall oder einen andern sichern Behälter?«

»Hm! Den Schweinestall hab ich schon; der ist jetzt leer. Wollens denn hier im Dorf Kunststücke machen?«

»Ja.«

»Warum nicht in dera Stadt? Da würdens doch viel mehr verdienen?«

»Erst will ich mich hier produziren. Finde ich, daß die hiesige Bevölkerung Verständniß für meine Leistungen hat, so fahre ich dann auch noch nach der Stadt.«

»Verständniß? Da brauchens keine Angst zu haben. Ziegenböcken und Hunden verstehen wir halt schon, und was den Bären betrifft, so wird er wohl nicht gar so gelehrt sein, daß wir ihn nicht begreifen können.«

»So kann ich also ausspannen?«

»So schnell nicht. Wanns hier wohnen wollen, müssens auch zahlen können. Wie aberst stehts nun da? Habens denn auch ein Geldl mit?«

»Selbst wenn meine Kasse leer wäre, würde ich hier so viel verdienen, daß ich Sie bezahlen könnte. Uebrigens mache ich keine Ansprüche.«

»Das ist auch nicht nöthig, denn seidene Betten und ein Tafelgeschirren von Silbern kann bei mir Niemand erhalten. Eine Stuben mit Betten müssens doch haben wie ein jeder Andrer auch.«

»Nein. Ich brauche kein Bett. Haben Sie vielleicht eine Scheune?«

»Ja, dort hinterm Haus.«

»So können wir ja in derselben wohnen. Ein Wenig Heu wirds doch wohl geben zu einem Lager.«

»Das giebts schon. Zwei Personen sinds also?«

»Nein, sondern drei. Ich habe eine Dame mit.«

»Potz Teuxeln!« lachte der Wirth. »Eine Damen! Da sinds doch gar vornehm! Wir haben im ganzen Ort nicht eine einzige Dame. Nicht mal die Silbermartha gilt für eine! Wo ist sie denn?«

»Hier im Wagen ist die Signora.«

»So! Habens aberst nun auch Ihre richtigen Legitimationen und Paßzeugnissen?«

»Das versteht sich. Ich werde sie Ihnen vorlegen.«

»So hab ich nix dawidern, daß Sie bei mir bleiben. Fahrens also herein in den Hof. Die Scheune werd ich Ihnen gleich öffnen.«

Der Wagen wurde in den Hof geschafft. Der Künstler brachte Pferd, Ziegenböcke und Hunde im Stalle unter; dann wurde eine Wagenthür geöffnet. Der Bär stieg hervor. Er war ein sehr großes aber entsetzlich mageres Thier. Dasselbe wurde in den Schweinestall geschafft und dort angekettet.

Von der andern Seite des Wagens stieg die >Signora< aus. Sie war


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eine volle, fast üppige Gestalt, auch ärmlich gekleidet und hatte ihr Kopftuch so weit vor ins Gesicht gezogen, daß dasselbe gar nicht zu erkennen war. Sie ging aus dem Wagen so schnell in die Scheune, daß es zu merken war, sie wolle sich von Niemandem betrachten lassen.

Später kam der Künstler in die Gaststube, welche jetzt noch leer war. Er legte seine Papiere vor. Sie lauteten auf den Namen Jeschko Bandolini. Die Frau war Signora Mylla genannt. Er erkundigte sich bei dem Wirthe nach Verschiedenem, trank einen Schnaps, bestellte ein ärmliches Futter für seine Thiere und kehrte nachher in die Scheune zurück.

Diese stand offen. Es war Abend geworden und also Dunkel.

»Wo bist Du?« fragte er am Eingange.

»Hier hinten in der Ecke auf dem Heu,« antwortete sie. »Hast Du Etwas erfahren?«

»Ja. Es steht gut. Er wohnt hier.«

»Gott sei Dank!«

»Dieser Conrad Claus wird hier der Silberbauer genannt. Er ist sehr reich. Auf fast allen Häusern hat er Geld stehen. Die beiden Mühlen, welche ihm gehören, hat er verpachtet. Kinder besitzt er zwei, einen Sohn und eine Tochter. Ich werde ihn übrigens bald sehen. Er ist Ortsschulze, und ich habe mich also bei ihm zu melden.«

»Wann thust Du das?«

»Ich möchte am liebsten gleich gehen.«

»Ja, geh gleich. Ich muß wissen, woran ich bin.«

»Soll ich noch schweigen?«

»Das mußt Du selber sehen, wenn Du bei ihm bist. Du bist schlau genug und wirst keinen Fehler machen.«

»Nein. Du willst Dich an ihm rächen, und ich helfe Dir. Aber nachher -«

Sie standen neben einander

 »Was nachher?« fragte sie.

»Nachher will ich auch meinen Lohn haben.«

»Du wirst ihn erhalten.«

»Und vorher eine Abschlagszahlung.«

Er legte seinen Arm um ihre Taille und wollte sie an sich ziehen. Sie aber schob ihn von sich ab und sagte:

»Abschlag giebt es nicht. Wenn ich mich gerächt habe, bin ich Dein, eher nicht.«

»So gehe ich gleich jetzt.«

Er hatte sich beim Wirthe nach der Wohnung des Silberbauern erkundigt. Sie war sehr leicht zu finden. Als er dort ankam und höflich nach dem Herrn Vorsteher fragte, wurde er nach der Gesindestube gewiesen und von da in das nächste Zimmer. Dort saß der Bauer mit seinem Sohne, ganz so wie an dem Abende, an welchem der Lehrer sich angemeldet hatte. Der Künstler grüßte höflich.


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»Was wollts?« fragte der Bauer.

»Gestatten Sie mir, Ihnen meine Papiere vorzulegen.«

Der Bauer nahm sie in Empfang. Während er sie durchlas, ruhte das schwarze Auge des Zigeuners mit stechendem Blicke auf seinem Gesichte. Der Vorsteher legte die Papiere vor sich hin, betrachtete den Künstler verächtlich und sagte:

»Die Papieren sind gut. Also ein Akrobaten sinds? Was wollens da hier?«

»Ich habe die Absicht, mich vor einem hiesigen hochverehrten Publikum zu produziren und möchte Sie um Ihre freundliche Genehmigung ersuchen.«

»Habens denn was Ordentliches gelernt?«

»Ich habe mich bereits vor höchsten Herrschaften und Fürstlichkeiten sehen lassen und stets den größten Beifall geerntet.«

»Na, so schauns aberst gar nicht aus!«

Der Zigeuner zuckte die Achsel.

»In wiefern?«

»Habens sich denn noch nicht selberst angeschaut?«

»Ach so! Meinen Sie vielleicht, daß ich während der Reise und beim Fuhrwerke einen Galaanzug anlegen soll? Bei der Production bin ich im Stande, mich in befriedigender Garderobe sehen zu lassen.«

»Hm! Und wie stehts mit dem Geldl? Könnens die Erlaubnissen bezahlen?«

»Ja.«

»Sie haben sofort den Betrag in die hiesige Ortsarmenkassen zu entrichten.«

»Ich bitte um die Erlaubniß, dies nach der Vorstellung thun zu dürfen. Grad heut habe ich mich so ausgegeben, daß ich um Stundung ersuchen muß.«

»Das geht nicht. Wanns nicht zahlen können, so könnens auch keine Kunststucken machen.«

»Aber ich bitte, zu bedenken, daß die hiesige Armenkasse gar nicht gefährdet ist.«

»Ja, wanns nun bei dera Vorstellung nix verdienen!«

»So sind Sie durch das Eigenthum, welches ich mit mir führe, vollständig gedeckt.«

»Wenn das Eigenthum so ausschaut wie Sie selberst, so ist da wohl gar nix zu holen.«

Der Zigeuner blitzte ihn mit seinen Augen zornig an, beherrschte sich aber und sagte demüthig:

»Einen Werth haben selbst die Lumpen und leider kann nicht ein Jeder ein Silberbauer sein.«

»Ja, das wollt ich mir auch gar verbitten!«

»Obgleich sich ein armer Teufel vielleicht mehr und ehrlicher plagt als Einer, der nachher silberne Knöpfe und Ketten trägt.«


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»Was!« fuhr der Bauer auf. »Ehrlicher plagt! Wie meinens das etwan? Bin ich nicht ehrlich?«

»Werf ihn hinaus, Vatern!« sagte der Sohn.

»Vom Hinauswerfen kann keine Rede sein,« meinte der Zigeuner. »Ich habe nur im Allgemeinen gesprochen und keinen Namen genannt.«

»Aberst wann ichs nun auf mich beziehe!« rief Claus.

»So sind Sie selber schuld. Ein ehrlicher Mann bezieht niemals ein solches Wort auf sich. Wer sich getroffen fühlt, der hat einen Grund dazu.«

»Wollens damit etwan sagen, daß ich einen Grund hab? Das will ich mir verbitten!«

»Ich habe gar nichts gesagt, was Sie beleidigen könnte.«

»Aberst unverschämt ists, überhaupten hier mit solchen Redensarten zu kommen! Und da werd ich nun grad meine Erlaubnissen nicht geben. Es wird also hier im Ort keine Vorstellungen abgehalten.«

»Ich glaube nicht, daß Sie mir die Erlaubniß verweigern können. Ich habe meine Conzession bezahlt, gebe meine Steuern und habe die Berechtigung, aufzutreten, wo es mir beliebt. Eine Verweigerung müßte da einen sehr triftigen Grund haben.«

»Den hat sie.«

»Welchen?«

»Das ist meine Sachen!«

»Wenn Sie ihn mir nicht nennen, werde ich mich bei der Behörde über Sie beschweren.«

»Dagegen habe ich nix. Die Behörden wird mit solchem Volk nicht viel Sperrenzen machen. Hier sind Ihre Papieren. Machens nun, daß Sie hinauskommen.«

Der Zigeuner steckte die Legitimationen zu sich und sagte in ruhigem Tone:

»Sie werden es bereuen, daß Sie mir die Erlaubniß verweigern. Wenn Sie wüßten, was ich Alles aufführe, würden Sie sich und den hiesigen Einwohnern einen so hohen Kunstgenuß nicht versagen.«

»Von dera Kunst mag ich nix wissen. Was wirds sein als ein paar Kartenkunststucken.«

»O, es ist noch viel mehr! So führe ich zum Beispiel eine höchst interessante Pantomime auf, welche den Titel führt, »die beiden Müller«. Es ist das eine Leistung mit Feuerwerk und wahrhaft großartigem Schlußeffect.«

»Die beiden Müllern? Machens sich nicht lächerlich! Was wollens von dera Müllerei verstehen!«

»Ein Müller brauche ich nicht zu sein. Uebrigens hat das Stück einen ausführlicheren Titel. Es heißt eigentlich: Die beiden Müller oder die keusche Bojarenfrau oder - -«

»Bojarenfrau!« rief der Müller, ihn unterbrechend. »Was wissens von Bojaren?«


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»Ich stamme von der unteren Donau. Der Titel lautet weiter: oder der Schloßbrand bei Slatina.«

Der Müller wurde leichenblaß. Er stützte sich mit den Händen auf den Tisch.

»Slatina!« sagte er. »Sie kennen Slatina?«

»Sehr gut.«

»Wann warens dort?«

»Als das Schloß brannte, welches in der Nähe liegt. Der Name desselben thut nichts zur Sache.«

»Das kenne ich nicht. Ich weiß nix davon.«

»Das glaube ich. Wie sollte der Silberbauer von Hohenwald nach Slatina kommen? Aber grad darum sollten Sie sich mein Stück ansehen.«

»Was ists denn für eins?«

»Es behandelt ein Ereigniß, welches bisher noch sehr unaufgeklärt ist. Bei Slatina liegen zwei Mühlen, welche zum Schlosse gehören. Die beiden Müller waren Deutsche. Der Schloßherr war gestorben. Die Herrin war jung und schön. Sie kam oft mit ihrem Söhnchen herab an den Fluß, an welchem die Mühlen lagen. Die beiden Müller verliebten sich in sie.«

»Donnerwettern!«

Er ließ sich in den Stuhl niederfallen. Seine Augen ruhten groß und erschrocken auf dem Zigeuner.

»Nicht wahr, es ist interessant?« fragte dieser.

»Ja,« stieß der Bauer hervor. »Erzählens weiter!«

»Das kann ich nicht, weil das Ereigniß eigentlich geheim bleiben muß, bis meine Pantomime die Aufklärung bringt. Nur einige Andeutungen kann ich geben. Es kommt ein Zigeuner vor, welcher Barko heißt.«

»Alle Teufeln!« rief der Bauer.

»Der holt des Nachts den Knaben aus dem Schlosse.«

Der Bauer nahm alle seine Selbstbeherrschung zusammen, um ruhig zu erscheinen.

»Weiter!« sagte er.

»Dann überfallen die beiden Müller die Bojarin.«

»Die schlechten Kerlen.«

»In der Schloßkasse war eine ganz bedeutende Summe in türkischen Goldstücken eingegangen. Dieses Geld verschwand. Die Müller theilten sich darein.«

»Wer sagt das? Wer behauptet das?«

»Ich und jener Zigeuner Barko.«

»Das ist wohl eine erfundene Geschichten?«

»Nein. Sie ist wirklich passirt. Um den Diebstahl zu verdecken, wurde das Schloß angebrannt. Die Bojarenfrau verunglückte dabei. Sie starb.«

»Weiter, weiter!«

»Die Müller übergaben die Mühlen anderen Leuten und zogen bald darauf fort.«


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»Wohin?«

»Nach Deutschland.«

»Das ist groß.«

»Bayern ist kleiner. Ich bin ausgezogen, um sie zu finden und der Polizei zu übergeben.«

»Donnerwettern! Das ist freilich eine sehr interessante Geschichten! Und die wollens spielen?«

»Ja.«

»Und wie endet sie?«

»Natürlich wird der Knabe gefunden und die beiden Müller enden am Galgen.«

»Das ist ein böser Schluß.«

»Aber ein verdienter, denn die beiden Menschen haben auch noch Anderes begangen. Der Eine hat sich zum Beispiel der Bigamie schuldig gemacht. Er hat zwei Weiber zugleich gehabt.«

»Das Alles hat sich wohl ein Romanschreibern ausdacht? Nicht wahr?«

»O nein. Die Geschichte ist so wahr, daß ich sogar die Namen nennen kann.«

Der Silberbauer fuhr sich mit der Hand über die Stirn, um sich den Angstschweiß abzuwischen, welcher ihm ausgebrochen war. Er wendete sich an seinen Sohn und sagte:

»Vielleicht erlaub ichs doch, daß diese Geschichten aufiführt wird. Ich muß nur erst wissen, ob die Sachen auch so viel Werth haben, daß ich das Geldl noch stunden kann. Lauf mal nach dem Gasthof und schau, was es taugt!«

Der Sohn erhob sich nur langsam vom Stuhle.

»Ich möcht halt liebern dableiben, Vatern,« sagte er. »Warum?«

»Weil dieser Mann da so gar sehr schön verzählen kann. Ich thät fürs Leben gern zuhören.«

Das klang beinahe höhnisch.

»Er ist fertig mit dem Verzählen. Geh nur!«

Der Sohn ging, warf aber noch unter der Thüre einen bezeichnenden Blick auf die Beiden zurück.

Der Bauer legte sich in den Stuhl zurück und betrachtete den Zigeuner.

Er wußte nicht, wie er beginnen solle. Der Künstler setzte sich nieder, machte es sich bequem und sagte lächelnd:

»So! Jetzt sind wir ohne Zeugen. Wir können mit einander sprechen, ohne befürchten zu müssen, verrathen zu werden.«

»Was wollens! Was ich zu reden hab, das kann ein Jeder hören. Verstanden?«

»So? Dann täusche ich mich. Ich glaubte, daß Sie Derjenige sind, den ich suche.«

»Wer sollt ich sein?«


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»Der eine der beiden Müller, welche in meiner Pantomime vorkommen.«

»Da täuschens sich freilich.«

»Hm! Den Andern suche ich noch. Wissen Sie vielleicht, wo er sich befindet?«

»Nein. Wie soll ichs wissen! Ich weiß von gar nix. Die Sachen gehn mich gar nix an.«

»Das ist sonderbar, denn die Namen stimmen ganz genau. Der eine Müller hieß Conrad Claus und der andere Gotthold Keller oder Kellermann. Kennen Sie vielleicht den Letzteren?«

»Nein.«

»Nun, so bin ich freilich im Irrthume und muß also weiter suchen. Jetzt aber handelt es sich darum, ob ich die Erlaubniß erhalten werde, meine Vorstellungen zu geben.«

Der Bauer stand auf und schritt einige Male im Zimmer auf und ab. Dann sagte er:

»Ja, was machens dann eigentlich für Stücken?« 

Ich führe dressirte Hunde vor.«

»Das ist freilich hübsch. Das schaut man gern an.«

»Zwei dressirte Ziegenböcke.«

Claus hatte allen Grund, den Zigeuner mit sich auszusöhnen. Er mußte einlenken. Darum meinte er:

»Das ist noch hübschern.«

»Auch habe ich einen Bären mit, welcher außerordentlich gelehrig ist.«

»Gar auch ein Bär! Ja, das hab ich nicht wußt.«

»Und sodann besteige ich das hohe Seil.«

»Auch das noch! Warum habens das nicht gleich erst sagt? Solche Sachen schau ich selbern gern an. Da will ich schon meine Erlaubnissen dazu geben.«

»Ich danke! Und wie steht es mit der Pantomime?«

Er blickte dabei den Bauer erwartungsvoll an.

»Die dürfens halt nicht machen,« antwortete dieser.

»Warum nicht?«

»Ich darfs nicht erlauben. Ich muß da vorher erst die höhere Behörden fragen.«

»Warum sollte das nöthig sein?«

»Weil ein Feuerwerken dabei vorkommt.«

»So lassen wir es weg.«

»Nein, denn dann würd das Stück nimmer so gut und schön sein. Wann das Feuerwerken dazu gehört, muß es auch mit geben werden odern das Stück wird liebern ganz ausgelassen. Ich werd gleich morgen anfragen.«

»Sie stunden mir also den Betrag, welchen ich an die Armenkasse zu zahlen habe?«

»Nein, stunden darf ich denselbigen nicht; das ist gegen meine Pflicht


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und Schuldigkeiten. Aber wanns das Geldl nicht gleich haben, so werd ichs selberst zahlen.«

»Welch eine Güte von Ihnen. Vorhin habe ich Sie ganz anders beurtheilt.«

»Ja, man täuscht sich oft im Menschen. Wanns einige Tagen hier bleiben, werdens vielleichten derfahren, daß ich ein sehr guter Kerlen bin. Aberst sagens doch mal, obs vielleicht in denen letzten Tagen mit Jemand von dera Pantomimen sprochen haben?«

»Nein.«

»Mit gar Keinem?«

»Mit keinem Menschen. Ich komme erst heute hier an und habe noch gar keine Gelegenheit gehabt, mich mit irgend Jemandem zu unterhalten.«

»Aberst vielleicht vorher und wo anderst. Kennens vielleichten einen alten Handelsmann, der der Wurzelsepp geheißen ist?«

»Nein.«

»So! Dann hab ich freilich falsch vermuthet.«

»Und Sie, Herr Silberbauer, kennen Sie nicht einen Mann, welcher Müller war oder auch noch ist und Gotthold Keller heißt?«

»Nein.«

»So habe auch ich falsch vermuthet.«

»Das ist gewiß. Also Sie dürfen Ihre Kunststücken machen, und wegen dem Geldl will ich Ihnen gleich die Quittung geben.«

Er setzte sich hin und schrieb. Als der Zigeuner das Papier erhalten hatte, bedankte und entfernte er sich. Der Bauer lauschte, bis er die Thüre des vorderen Zimmers gehört hatte. Dann konnte er sich nicht länger beherrschen. Er schlug mit der Faust auf den Tisch und zischte hervor:

»Da sollen doch gleich alle Donnerwettern drein schlagen! Erst kommt dieser verdammte Wurzelseppen und macht mir die Höllen heiß, und nun ist dieser Gauklern da, welcher die ganze Geschichten kennt! Was thu ich nur! Derschlagen sollt ich alle Beiden! Vielleichten thu ichs auch; dann bin ich sicher. Und dieser Fexen muß auch hinaus aus dera Welt, sonst - - ah, das Geld, was ich vom Thalmüllern hab, muß ich gleich noch heut Abend verstecken. Man kann nicht wissen, was passirt. Es darf auf keinen Fall bei mir funden werden, und nachher - -«

Er hielt inne, denn sein Sohn kam zurück. Dieser blickte sich um und sagte:

»Was? Er ist ja fort!«

»Ja; er konnte nicht länger warten. Ich hab ihm derlaubt, seine Kunststucken zu machen.«

»Und vorher hast ihn so anschnauzt!«

»Er hat gar so gute Worten geben.«

»Wann auch! Er hat so spitzfindige Worten sagt, und seine Sachen sind auch nix werth. Ich hab mir Alles anschaut.«

»Die paar Markerln, die er zu zahlen hat, wirds schon noch eintragen.«


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»Na, daßt auf einmal so redest, das ist auch vor Deinem End. Bist doch sonst nicht so!«

»Ich hab mal eine gute Launen habt.«

»Das ist eine Seltenheiten. Vielleicht hast Grund zu dieser guten Laune. Nicht?«

»Was meinst?«

»Kennst etwan die Geschichten genauer, die er vorhin uns verzählt hat?«

»Was fallt Dir ein?«

»Ich hab ja sehen, daßt ganz verschrocken bist.«

»Ich? Verschrocken? Was hast für Augen habt? Der Silberbauern kann vor nix derschrecken.«

»Hm! Gut solls sein, wanns so ist, denn dieser Kerlen sah mir grad so aus, als ob er noch viel hinterm Rucken hat. Dem ist nicht zu trauen. Im Gasthofen wird Karten spielt. Ich geh jetzt wiedern hin. Kommst vielleichten nach?«

»Ja, spätern. Jetzt hab ich noch zu thun.«

Der Silberfritz ging wieder fort. Der Bauer aber trat in die nächste Stube, welche seine eigentliche Expedition war. Dort brannte auch eine Lampe. Auf einem Stuhle, welcher neben der Thüre stand, saß Martha. Als ihr Vater sie erblickte, erschrak er, auf das Heftigste.

»Was? Du bist hier!« rief er aus.

Sie antwortete nicht.

»Wie kommst hier herein? Ich hab nicht wußt, daßt hier bist. Ich hab denkt, Du bist gar nicht daheim.«

Da sie auch jetzt nicht antwortete, betrachtete er sie genauer. Sie war leichenblaß und saß mit geschlossenen Augen da. Er legte ihr die Hand auf die Achsel und fragte:

»Was hast? Was ist mit Dir?«

Sie schlug die Augen auf und holte tief, tief Athem.

»So red doch nur! Sprich!«

Jetzt stand sie auf, langsam und unsicher. Sie mußte sich dabei auf die Lehne des Stuhles stützen.

»O mein Gott, mein Gott!« stöhnte sie.

»Na, was hast zu jammern?«

»Ich hab Alles gehört, Alles!«

»Was denn?«

»Was der Fremde gesagt hat.«

»So! Hast horcht? Na, was ists da weitern?«

»Das fragst auch noch!«

»Nun freilich.«

Sie richtete sich grad empor und sagte:

»Mach mal die Augen richtig auf! Ich will doch sehen, obt mich richtig grad anschaun kannst!«

Er senkte doch die Augen.


Ende der einunddreißigsten Lieferung - Fortsetzung folgt.



Karl May: Der Weg zum Glück

Karl May – Forschung und Werk