Lieferung 24

Karl May

8. Januar 1887

Der Weg zum Glück.

Vom Verfasser des »Waldröschen«, »Verlorner Sohn«, »Deutsche Helden« etc.


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»So war es Deine Stimme! Komm herein!«

Er wollte ihn mit sich hineinziehen.

»Halt!« wehrte sich Anton. »Da hinein in die gute Stuben gehör ich nicht. Die ist nur für die vornehmen Herrschafteln da.«

»Papperlapapp! Für Einen, der eine solche Stimme besitzt, ist keine Stube gut und fein genug. Uebrigens ist meine Frau bereits im Nebenzimmer; dort sind wir allein. Ich hab mit Dir zu reden, was Niemand weiter zu hören braucht. Also komm!«

Er zog ihn fort, in den Salon hinein, zwischen den Gästen, welche da saßen und die Scene mit stillem Lächeln betrachteten, hindurch in die Nebenstube, wo die Professorin ihrer wartete. Sie wollte natürlich zunächst für das Gesicht ihres Mannes besorgt sein, dieser aber wies ihre Dienste mit den Worten zurück:

»Bitte, laß das jetzt! Ich habe Wichtigeres zu thun.«

»Aber Du blutest ja!«

»Das sind nur Tropfen. Das schadet nichts; das heilt in einigen Stunden zu. Komm her, Anton! Thu Deinen Kasten ab und setz Dich nieder.«

Er war dem Tabuletkrämer behilflich, die Tragbänder abzuschnallen. Als der Kasten auf dem Tische stand, klopfte er mit der Hand an ihn und sagte:

»So! Der hat ausgedient!«

»Wie willst das meinen?« fragte Anton.

»Daß Du ihn nie mehr auf den Rücken nehmen wirst.«

»Da kannst Dich irren.«

»Nein, ich weiß es genau.«

»Ich muß doch mein Geschäft haben!«

»Ja, aber ein anderes. Diesen Kram hier kannst Du gleich sammt dem Kasten zum Fenster hinauswerfen, denn mit der Tabuletkrämerei ists aus.«

»Was soll ich sonst thun?«

»Singen.«

»Das kann ich nebenbei.«

»Nebenbei? Nein. Du sollst nichts thun als singen. Das Singen soll von heute an der Hauptzweck Deines Lebens, Dein Beruf sein, Anton.«

»Meinst, daß ich ein Sänger werden soll?« fragte dieser erstaunt.

»Nichts Anderes meine ich.«

»Da machst aber doch wohl nur Spaß?«

»Spaß? Es ist mein heiliger Ernst. Mensch, was hast Du für eine Stimme!«

Er legte ihm beide Hände auf die Achseln und blickte ihm ganz begeistert in das Gesicht.

»Na, eine Stimme hat doch ein jeder Mensch!«

»Ja, aber was für eine!«

»Nun, zum Singen!«


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»Stimme und Stimme ist ein großer Unterschied. Die Deinige ist ein Reichthum, der gar nicht zu ermessen ist.«

»Sakra! So kann ich mal reich werden?«

»Du kannst Dir eine Million ersingen.«

»Hurriesses! Wieviel ist das?«

»Tausend mal tausend.«

»Na, das thät ich mir schon gefallen lassen.«

»Ja. Ich kenne keinen der jetzigen Sänger, welcher sich in Beziehung auf die Stimme mit Dir messen könnte. Du hast meiner Frau das Leben gerettet und keinen Dank dafür angenommen. Wir kennen Dich bereits seit jener Zeit und haben doch keine Ahnung gehabt von dem Pfunde, welches Dir der Herrgott verliehen hat. Soll es etwa vergraben liegen bleiben?«

»Nicht? So gieb mir einen Rath!«

»Ich bin ja Professor der Musik!«

»Das weiß ich gar wohl.«

»Ich bilde Dich also aus.«

»Ausbilden? Verdimmi, verdammi! Etwan grad so wie die Leni?«

»Grad so.«

»Daß ich in Concertln sing?«

»Ja.«

»Und auf dem Theater?«

»Ja.«

»Und dabei muß ich auch andre Gewandln anziehen als gewöhnlich?«

»Ja, freilich müßtest Du Dich nach der Rolle kleiden.«

»Und könnts da auch vorkommen, daß ich grad mit der Leni auf der Bühne singen müßt?«

»Das könntest Du sehr leicht einrichten.«

Da schlug der Anton mit der Faust auf den Tisch, daß dieser krachte, und rief:

»So hab ich meine Rache! So wirds gemacht, grad so! Und nachhero - aber, nein, es geht halt nicht.«

Er sagte diese letzteren Worte in einem etwas kleinmüthigeren Tone.

»Warum geht es nicht?« fragte der Professor.

»Wegen denen Eltern, die ich hab.«

»Werden die sich dagegen sträuben?«

»Ja. Weil sie doch leben wollen.«

»Aber das können sie dann ja viel besser als jetzt! Du wirst viel, viel Geld verdienen!«

»Dann vielleicht, aber jetzunder hab ich nix. Wie lange Zeit wird es währen, bis ich ein Sänger worden bin?«

»Das ist unbestimmt. Auftreten kannst Du schon, bevor Du vollkommen ausgebildet bist.«

»Bei der Leni hats vom September bis zum Mai gedauert, bis sie im Concert singen konnt.«


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»Bei Dir wird es auch nicht längere Zeit erfordern.«

»Nun gut; aber in diesen Monaten wollen meine Eltern leben und ich auch.«

»Ach so! Das meinst Du! Mensch, ich bin ja da!«

»Willst mir etwan geben, was ich brauche?«

»Ganz natürlich! Ich habe Dir ja längst bewiesen, daß ich Dir gern dankbar sein möchte. Jetzt freut es mich von ganzem Herzen, daß sich endlich eine Gelegenheit dazu gefunden hat, und was für eine!«

»So willst mir das Geld schenken?«

»Ja. Was ich habe, das ist auch Dein.«

»Nein, geschenkt mag ich nix haben. Wann Du meinst, daß ich später viel Geld verdienen werd, so kannst mir ja borgen, was ich jetzund brauch; ich werd Dir es nachher zurückerstatten.«

»Was bist Du für ein närrischer Kerl.«

»Ja, anderst thu ich es einmal nicht.«

»Nun gut, so borge ich es Dir.«

»Und wann geht es los?«

»Sogleich.«

»Gern; aber hier darf Niemand kein Wort davon erfahren, das ding ich mir aus.«

»Auf diese Bedingung gehe ich sehr gern ein. Auch mir ist es lieb, wenn kein Mensch Etwas erfährt. Wir werden ganz im Stillen mit einander studiren und dann treten wir plötzlich an die Oeffentlichkeit. Welch ein Aufsehen wird es erregen, wenn dann wie aus heitrem Himmel ein Riesentenor erscheint, von dessen Dasein kein Mensch eine Ahnung gehabt hat. Wir reisen von hier ab und suchen uns einen stillen, verborgenen Ort, an welchem wir an Deiner Ausbildung arbeiten können, ohne daß es den Bewohnern auffällt. Also sag, bist Du einverstanden?«

»Ja.«

»So soll der heutige Tag derjenige sein, an welchem Dein Glück begründet wurde. Für Deine Eltern werde ich sorgen.«

»Und was thu ich da mit dem Kasten?«

»Der braucht Dir nicht am Herzen zu liegen. Er ist Dir nur hinderlich. Verschenke ihn!«

»Nein, verschenken oder verkaufen thu ich ihn nicht. Ich werd ihn mir aufheben zum Andenken, daß ich mal ein Tabuletkramer gewest bin. Und wann es fehl schlägt und ich doch vielleicht kein Sänger werd, so greif ich halt wieder zum Kasten und fang das Hausiren ganz von Neuem an.«

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Fünftes Capitel.

Der Silberbauer.

Es war ein ziemlich heißer Junitag. Draußen im Freien machte sich die Mittagshitze sehr bemerklich; aber hier im tiefen Walde gab es kühlenden Schatten und von den fließenden Wässern stieg ein leiser Luftstrom empor, welcher die Zweige der Waldesbäume zu einem leisen, vertraulichen Flüstern verleitete.

Ein junger Mann schritt durch den Wald, da, wo es keinen Pfad gab. Und die Art und Weise, in welcher er sich umblickte und zuweilen lauschend stehen blieb, ließ vermuthen, daß er sich verirrt habe.

Er war städtisch, aber nicht übermäßig fein gekleidet und an seiner linken Seite hing eine kleine Tasche, wie man sie zu tragen pflegt, wenn man sich auf einer Wanderung nicht mit überflüssigen Dingen schleppen will.

Eben jetzt blieb er wieder stehen. Er hatte Etwas gehört, was wie Worte einer menschlichen Stimme geklungen hatte. Und nun bemerkte er, daß er sich nicht getäuscht hatte. Er hörte deutlich den Lockruf:

»Matz, Matz, lieber Matz, sing noch ein Mal!«

»Finkferlinkfinkfink!« erklang ein heller Finkenschlag als Antwort.

»So ists schön! Machs noch mal, Kleiner!«

»Finkfink-finkfinkfififififink!«

»Prächtig, prächtig! Bist doch mein Liebling. Hier hast nun auch die Rübsenkörner. Ich hab sie vorher eingequellt, daßt Dir Dein Schnaberl nicht anzustrengen brauchst.«

Der junge Mann ging diesen Tönen nach. Bereits nach wenigen Schritten erreichte er eine Waldblöße, welche rings von hohen Bäumen umstanden war, unter deren weiten Aesten es grünes Unterholz gab. Auf dieser Blöße saß ein grauköpfiger Mann, dessen Gesicht jetzt nicht zu erkennen war, da er den Rücken der Stelle zugekehrt hatte, an welcher der junge Mann stand.

In der Lichtung sass ein alter Mann.

Der Alte trug kurze Lederhosen und war barfuß. Die alte Jacke, welche er ausgezogen hatte, lag neben ihm und der Hut darauf. Sein viel geflicktes Hemde war vom stärksten, gröbsten Leinenzeug, aber reinlich und schneeweiß gebleicht. Wie es schien, fehlte ihm der linke Arm.

Der junge Mann schritt langsam auf ihn zu und bemerkte, daß ein Finke, der in der Nähe des Alten gesessen hatte, bei seinem Nahen scheu davonflog. Das veranlaßte den Mann, sich umzudrehen.

»Grüß Gott!« sagte der Junge.

»Grüß Gott auch!« nickte der Alte. »Wann der Fink nicht fortflogen wär, so hätt ich gar nicht wußt, daß Jemand kommt, so einen leisen Schritt hast Du.«


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»Hoffentlich bist mir nicht bös, daß ich Dich störe?«

»Bös? Warum nicht gar. Die liebe Sonn, der Wald, die Luft, das Alles hat der Herrgott gemacht, und da hat halt ein Jeder das Recht, darinnen zu sein. Aberst Dich hab ich hier noch niemals gesehen.«

»Ich bin fremd.«

»Wo kommst her?«

»Von der Eisenbahn.«

»So. Da hast zwei Stunden laufen müssen.«

»Ueber drei. Ich wollt es klug machen und grad durch den Wald gehen, da hab ich mich auf meine Landkarte verlassen und mich grad erst recht verirrt.«

Der Alte blickte mit einer Art humoristischen Respectes zu ihm auf.

»So! Eine Landkarten hast? Da bist wohl gar ein Gelehrter?«

»O nein.«

»So, ich dachts halt nur. Aberst mit denen Landkarten ists ein eigen Ding. Man möcht sie auch lesen können. Wer nach ihnen geht, der verirrt sich oft. Weißt, wo die beste Landkarten gezeichnet ist?«

»Nun?«

»Im Köpferl der Vögel. Die fliegen weit übers Meer hinweg und irren sich doch nie. Und kein Schulmeister hat ihnen die Geograferie gelehrt und keinen Wegweiser können sie lesen. Der Herrgott muß doch ein wunderbar kluger Kerle sein, daß er solche Geschöpferl hat machen konnt. Meinst nicht auch?«

»Ja. Die Werke des Herrn sind wunderbar; er hat sie alle weislich geordnet und die Erde ist voll seiner Güte.«

Da erglänzte das Gesicht des Alten vor Freude.

»Schau, den Spruch kannst auch auswendig! Hast wohl gern in der Bibeln gelernt?«

»Ja. Sie ist das Buch der Bücher und Gott spricht in ihr.«

»Da hast abermals Recht. In der Bibeln wohnt der liebe Gott, und in dera Naturen auch. Wer dera heiligen Schriften versteht, der kommt auch leicht in dera Natur zurecht. Der Glaube ist die größte Klugheit dieser Erden. Das hab ich oft derfahren. Aberst wo willst hin, da Du von der Eisenbahn kommst?«

»Nach Hohenwald.«

»Schau, nach Hohenwald! Da wohn ich auch.«

»Ists noch weit?«

»Drei Viertelstund. Willst Jemand besuchen?«

»Ja.«

»So kann ich Dir wohl Auskunft ertheilen.«

»Zunächst muß ich zum geistlichen Herrn.«

»Den kann ich Dir loben. Das ist ein braver Herr, weißt, nicht so gelehrt- und frommthuerisch, sondern Einer von der richtigen Sorte, der mehr


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in Thaten predigt, als in Worten. Wannt zu den kommst, so sag ihm einen Gruß von mir!«

»Danke! Aber wenn ich ihn von Dir grüßen soll, so muß ich Deinen Namen sagen können.«

»Das sollst auch. Ich heiß halt eigentlich Heinrich Weise; weil man aberst hier Heiner sagt, anstatt Heinrich, und weil ich ein Vogelfreund bin und ganz besonders die Finkerln gern hab, so macht mans kurz und nennt mich halt nur den Finkenheiner. Willst nachher auch noch zu einem Andern?«

»Ja, zum Dorfschulzen.«

»Ach so! Hm!«

Er hustete leise vor sich hin, sagte aber nichts weiter.

»Kannst mir da nicht auch Auskunft geben?«

»Ich könnte wohl.«

»Magst aber nicht?«

»Es ist halt besser, wann den ein Jeder selber kennen lernt. Nimms mir nicht übel.«

»Warum sollt ichs Dir übel nehmen?«

»Ja, Du hast ein guts Gesicht. Du kannst mir schon gefallen und - bst, bst! Setz Dich doch gleich mal da neben mich her! Da kommt meine Bachstelzen. Die war heut noch nimmer da und will sich nun ihr Wurmerl holen.«

Wirklich kam eine Bachstelze geflogen und blieb in einiger Entfernung auf einem Steine sitzen. Sie betrachtete die beiden Männer. Der Junge setzte sich schnell zu dem Alten nieder. Dieser sagte:

»Bist wohl nicht ein Vogelfreund?«

»Ich liebe sie sehr.«

»Und hast Käfige?«

»Nicht einen. Ich höre den Gesang dieser lieben Thiere für mein Leben gern, aber frei müssen sie sein. Einen Vogel im Käfig möchte ich nicht haben, selbst wenn er der beste Schläger wäre.«

»Du, da bist mein Mann! Da harmoneriren wir Beid vollständig zusammen. Ich sitz den ganzen Tag hier im Wald und alle Vögerl kennen mich. Ich hab meine ganz besondern Lieblinge; die kommen und holen sich eine Delicateresse von mir, ein Wurmerl, eine Fliegen, ein Ameiseneierl oder ein Körnchen, je nach dem Appetit, den ein jedes hat. Paß nur mal auf das Bachstelzerl auf. Es fürchtet sich noch ein Wengerl vor Dir; aberst ich werds doch herbekommen.«

Er hatte nur einen Arm, den rechten. Vor ihm stand eine kleine Schachtel; er öffnete dieselbe mit den Fingern seiner einzigen Hand und nahm ein kleines Würmchen heraus. Dann machte er den leisen, kurzen Pfiff nach, den die Bachstelze bei jedem Flügelschlage hören läßt, und hielt dem Vogel den Wurm entgegen. Das kleine, niedliche Geschöpf kam auch wirklich nach einem kurzen, bedenklichen Zögern herbei und fraß ihm den Wurm aus der Hand.

»Hasts gesehen?« fragte er mit glückstrahlendem Gesicht.


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»Sollte man es für möglich halten!«

»Möglich? Was denkst von diesen Thierlen! Schau mal hin! Hipp hipp, tipp tipp, jipp jipp und schwipp schwipp ists nun fort. So sauber das Körperchen, ohne Schmutz und Fleck. So ist auch die Seel im Innern. So ein Geschöpferl kennt keine Sünde, und vor einem guten Menschen da fürchtet sichs auch nimmer. Diese kleinen Vögerl sind die Einzigen, denen ich Gutes thun darf. Ich bin arm und kann Niemandem was geben. Und wann ich auch mehr hätt - von dem Finkenheiner nähm doch Keiner irgend was an.«

»Warum?«

»Weil ich ein schlechter Kerle bin.«

»Du? Das glaube ich im ganzen Leben nicht.«

»Nicht? Warum?«

»Wer ein solches Gesicht und ein solches Auge hat wie Du, der ist gewiß kein böser Mensch.«

»Meinst?«

»Ja, ganz gewiß.«

Im Auge des Alten schimmerte es feucht. Er gab dem Anderen die Hand und sagte:

»Da sag ich Dir auch meinen Dank. Du glaubst gar nicht, wie wohl ein solches Wort thut, wann man von allen Leuteln verachtet wird.«

»Da thut man Dir ganz gewiß Unrecht.«

»Das sag ich auch, aber Niemand glaubts.«

»So hast wohl mal einen Fehler begangen?«

»Ja.«

»Ah! Und den will man Dir nicht vergeben!«

»Du hasts errathen. Weißt, als meine Frau auf den Tod darniederlag und das Mädchen daneben krank auf der Streu, denn ein Bett haben wir nicht, da wollte sie essen und hatte nix. Und auch der Bub weinte vor Hunger. Ich bekam nix mehr geborgt und wo ich bat, da wurd ich abgewiesen, weil ich nicht aus dem Dorf stammte. Da bin ich in meiner Noth bei dem Schulzen in den Keller stiegen und hab mir heimlich einen Sack Kartoffeln holen wollen. Er hat mich derwischt, weil ich zum Stehlen kein Geschick gehabt hab. Dann bin ich in das Gefängniß kommen, und als ich wieder frei war, da war die Frau todt und die beiden Kinder steckten im Gemeindehaus. Seit dieser Zeit gelte ich halt für einen Spitzbuben, und nur die Waldvögerl halten mich noch für einen ehrlichen Menschen.«

»Auch ich halte Dich für einen guten Menschen. Hier hast Du meine Hand nochmals darauf. Und ich will es Dir auch beweisen. Ich habe eine Bitte. Einem Andern würde ich sie nicht sagen, dazu wäre ich zu stolz.«

»Sage sie nur heraus.«

»Ich habe Hunger.«

Der Alte machte eine Bewegung freudiger Ueberraschung. Sein Auge leuchtete auf. Doch fragte er:


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»Willst mich etwan narren?«

»Nein, nein. Ich habe seit gestern nichts gegessen und dachte, eher nach Hohenwald zu kommen. Da habe ich mich aber verirrt und bin wirklich recht hungrig geworden.«

»Das gefreut mich, das gefreut mich sehr, das kann ich Dir sagen. Aberst wannst etwan theure Schnepperpäppchen gewöhnt bist, so kann ich Dir nicht helfen.«

»Ein Stück trocknen Brodes würde mir köstlich schmecken.«

»Wanns das ist, so kann ich Dir gar wohl helfen.«

Er zog aus der Tasche seines Wammses ein Papierpäcktchen hervor und gab es ihm hin.

»Da hast. Gar weiß ist es freilich nicht, denn es ist viel Hafer drunter, aberst es schmeckt schon leidlich, wann man den Hunger hat.«

»Ists Dein Deputat?«

»Ja.«

»So hast aber Du nachher nichts.«

»Ich? Wannst blos das hast, so beiß nur tüchtig an! Ich brauch jetzt nix. Und wann ich am Abend nach Haus komme, so giebts eine Mehlsuppen, die ist wirklich delicatiös.«

Er sah mit sichtlichem Entzücken zu, wie der junge Mann mit seinen weißen Zähnen in das harte, schwarze Brodstück biß.

»Nun, wie schmeckts?« fragte er.

»Ausgezeichnet!«

»Ja, die Liesbeth hats gebacken.«

»Wer ist das?«

»Meine Tochter.«

»So hast Du selbst auch einen Backofen?«

»Ich?« lachte der Alte. »Wo denkst hin? Wannt meine Wohnung sähst, so würdst sagen, daß ein Wilder besser wohnt als ich. Und den Backofen baun wir uns allemal selber gleich, wann wir backen wollen - ein paar Steine, ein paar Hände voll Lehm, ein Feuer hinein und den Teig darauf, so wird das Brod bald fertig.«

»Und was hast für ein Geschäft?«

»Siehsts nicht, daß ich Löffelschnitzer bin?«

»Mit einer Hand!«

»Hab ich nicht die beiden Füßen? Hier hasts Holz und hier die Messern. Mit denen Knieen halte ich das Holz und mit der Rechten thu ichs schnitzen. Und wanns mal eine recht feine Arbeiten giebt, so halte ich das Holz mit denen Fußzehen. Die sind dazu eingerichtet.«

»Hast Du stets nur einen Arm gehabt?«

»O nein. Ich war fast über zwanzig Jahr alt, als ich den linken verlor.«

»Wie ist dieses Unglück geschehen?«

»Mit - na, ich will Dir nur sagen, daß ich es dem Schulzen verdank.


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Ich wohnte auswärts und kam zu Der in Heimgarten, die nachhero meine Frau worden ist; das hat den Arm gekostet.«

Sein Gesicht hatte sich verfinstert, und er blickte eine Weile lang düster vor sich hin. Um ihn von dieser Erinnerung abzubringen, brachte der Jüngling das vor, was ihm am Meisten auf dem Herzen lag.

»Kennst Du vielleicht alle Personen, welche in Hohenwald wohnen?«

»Alle. Das Dorf ist nicht so groß, daß es Leute geben könnt, die man nicht kennt.«

»Gehen von den Bewohnern oft welche nach auswärts in Dienst?«

»Ja, das kommt freilich häufig vor. Weißt, der Ort hat früher mehr wohlhabende Leut gehabt als jetzt. Seit der Silberbauer aber Schulze worden ist, hat sichs geändert; der Reichthum hat die Andern verlassen und sich zu dem gezogen. Wo viele Kinder sind, da giebts auch viele Mäulern, welche essen wollen, und wanns nicht zureicht, so müssen eben die Uebrigen in Dienst gehen. Warum fragst darnach?«

»Weil ich ganz zufällig eine Herrschaft kenne, bei welcher ein Mädchen aus Hohenwald gedient hat.«

»Jetzt nicht mehr?«

»Nein. Sie ist seit einem halben Jahre wieder zu Hause.«

»Wo ist das gewesen?«

»In Regensburg beim Kaufmann Herold.«

»Wie - wa- - -! Warum fragst grad nach diesem Dirndl?«

»Weil ich grad nach Hohenwald komme und mich ganz zufällig an sie erinnere.«

»Ach so! Sonst hast keinen Grund?«

»Nein.«

Dabei konnte er aber doch nicht verhüten, daß eine leichte Röthe über sein hübsches Gesicht flog.

»So ists also nur Zufall. So so!«

»Ja. Kennst vielleicht dieses Mädchen?«

»Nun ja, kennen sollt ich es halt wohl.«

»Wer ists?«

»Es ist die Liesbeth.«

»Welche Liesbeth?«

»Die meinige.«

»Was? Deine Tochter?«

»Ja.«

»Warum hast sie denn aus Regensburg wieder fortgenommen? Dort hat sie es jedenfalls wenigstens ebenso gut gehabt wie daheim.«

»Besser, viel besser hat sies gehabt. Aber weißt, der arme Mann kann niemals, wie er will. Mein Sohn, der Hanns, ist plötzlich kränker worden, und da hat sie schnell wieder nach Haus gemußt. Ja, wenn der nicht immer so krank wär, da gings beim Finkenheiner auch nicht so schlimm. Nun aber


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weißt fast Alles von mir und ich von Dir noch gar nix. Was bist denn eigentlich? Ein Schuster oder Schneider sicherlich nicht.«

»Nein. Ich bin Lehrer.«

»Schau, schau! Darum hast die Bibel lieb gehabt! Man schaut es Dir auch gleich an, daßt Dich mit der Gelehrsamkeiten abgeben hast.«

»Nun, so gar schlimm ists mit meinem Wissen leider doch nicht, lieber Heiner.«

»Lieber Heiner! O Jerum Je! So hat noch Keiner zu mir gesagt. Wo warst denn Lehrer?«

»In Regensburg.«

»Ach so! Und da hast meine Liesbeth gesehen?«

»Ja.«

»Hast aber nicht mit ihr sprochen?«

»Einige Worte, nur zufällig. Weiter nix.«

»Aberst nicht wahr, sie ist ein braves und fein sauberes Dirndl?«

»Das will ich meinen.«

Wieder zog eine leichte Röthe über sein Gesicht.

»Und warum kommst nach Hohenwald? Etwan auf einen Besuch?«

»Nein. Ich bleibe ganz da.«

»Aber halt nicht als Lehrer?«

»Als was sonst?«

»O Jemineh! Das ist nicht gut.«

»Warum?«

»Weil ich Dich bedauern thu.«

»Das klingt nicht sehr tröstlich.«

»Freilich nicht. Hast wohl mal einen kleinen Fehlern begangen im Schulamt etwa?«

»Wie kommst Du zu dieser Frage?«

»Weil diese Stelle eine sogenannte Strafstellen ist. Wer zu uns kommt, der steht bei seinen Vorgesetzten nicht gut angeschrieben.«

»Das hab ich wohl gewußt.«

»Und bist dennerst kommen?«

»Ja, aber nicht zur Strafe.«

»So kann ich Dich nicht begreifen. Du hast doch wohl in Regensburg auch mehr Gehalt bekommen, als Du bei uns erhalten wirst?«

»Weniger bekomme ich; aber das gleicht die gute Waldesluft wieder aus. Ich komme nämlich herauf, um meine Gesundheit zu kräftigen.«

Ein Menschenkenner hätte seinem ehrlichen Gesicht wohl anmerken können, daß er jetzt nicht ganz die Wahrheit sagte. Glücklicher Weise war der Finkenheiner kein großer Psycholog. Er fragte in theilnehmendem Tone:

»So bist krank?«

»So ziemlich.«

»Doch nicht etwan die galoppirende Schwindsuchten?«

»Wie kommst gleich auf diese?«


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»Weilst von unserer guten Luft sprochen hast. Na, die ist freilich gut; aber sonst wirst nicht viel Gutes weiter bei uns finden.«

»Das ahnte ich schon, als Du Dich weigertest, mir Auskunft über den Schulzen zu geben.«

»Ja, da hab ich Dich noch nicht kannt.«

»Kennst mich vielleicht nun?«

»Ja.«

»So geht das bei Dir schnell!«

»Warum nicht? Was gehört da viel dazu?«

»Psychologisches Studium und Scharfblick.«

»Das Psycho - bolo - die Studirerei und dera Scharfblick - hm, das ist mir zu gelehrt. Ich weiß, daß Du ein Lehrer bist und ein braver Kerl dazu. Das ist genug für mich und weit besser als alle Universitäten und Gelehrtheitsschulen. In Dir täusch ich mich nimmer.«

»Das freut mich. Nun darf ich wohl noch einmal nach dem Schulzen fragen?«

»Ja. Der Silberbauer ists.«

»Warum heißt er so?«

»Weil er ein besonderer Liebhaber vom Silber ist. Alle Knöpfe an seinem Gewand sind Silberthaler, und überall, wo er eine silberne Zier anbringen kann, da bringt er sie auch an. Und so ists halt auch bei seinem Sohn und bei seiner Tochter.«

»Ist er aber auch brav?«

»Da frag lieber Andere. Er ist mein ärgster Feind, und ich halt ihn für den schlechtesten Kerlen auf Gottes Erdboden. Darum ist mein Urtheil wohl zu partheiisch.«

»Was denkst von seinen Kindern?«

»Sein Sohn ist wie er, aber seine Tochtern ist brav.«

»So hat sie wohl eine brave Mutter gehabt. Doch das geht mich nichts an. Ich in meiner Stellung habe es nur mit ihm zu thun. Jetzt dank ich Dir für die Auskunft und für das Brod. Vielleicht kann ich Dir auch mal einen Dienst erweisen.«

»Bitt gar schön! Ist nicht nöthig. Aber wannst mich mal brauchen solltst, so komm zu mir. Ich bin Dein Freund. Das darfst halt nicht vergessen.«

»Bist wohl oft im Wald?«

»Alle Tage. Früh komm ich heraus und des Abends geh ich wieder heim.«

»Und da bist Du wohl meist hier an diesem Orte?«

»Stets.«

»Aber wanns regnet?«

»So setz ich mich dort unter die dichte Fichte; da kann kein Tropfen hindurch. Hier bin ich Hans für mich; hier hab ich meinen Stand, und am Liebsten möcht ich auch hier einmal sterben.«


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Er sagte das in einem Tone, welcher ahnen ließ, daß er wohl irgend einen geheimen Grund haben müsse, grad an dieser Waldblöße so fest zu hangen. Sein Gesicht hatte eine Art von Starrheit angenommen, und der graue Schnurrbart, welcher seine Lippen verdeckte, zitterte verrätherisch. Es war augenscheinlich, daß er sich bestrebte, eine tiefe Gemüthserregung zu bemeistern.

Dann erhob er sich langsam vom Boden, streckte dem Lehrer seine Hand entgegen und sagte:

»Darfst nicht unrecht von mir denken, Herr Schulmeister. Ich bin halt kein weinerlicher Kerl; aberst heut ist mirs wieder mal ganz weich ums Herz. Und weißt, warum?«

»Nun?«

»Weilst mich behandelt hast wie einen Menschen auch und hast mein Brod gegessen. Das werd ich Dir gedenken, so lange wie ich lebe. Und nun sag mir auch Deinen Namen, damit ich weiß, wie ich Dich zu benennen habe!«

»Ich heiße Walther, Max Walther.«

»Ich dank Dirs schön! Und nun wannst nach dem Dorf hinein willst, so gehst hier immer grad durch den Wald. Da kommst an einen breiten Weg, und wannst ihm nach rechts folgst, so kommst grad am Gasthof nach Hohenwald. Der liebe Herrgott behüt Deinen Eingang und mags geben, daß Du Glück erlebst am neuen Orte!«

Walther ging, nachdem er dem Alten herzlich die Hand geschüttelt hatte. Er folgte der Weisung desselben, was gar keine Schwierigkeiten hatte, da die Bäume nicht dicht zusammen, sondern im Gegentheile weit aus einander standen, so daß keine Hindernisse zu überwinden waren.

So hatte er auf dem weichen Boden wohl über eine Viertelstunde zurückgelegt, als er Schritte vernahm. Der Betreffende mußte auf hartem Boden gehen. Wirklich kam Walther an den Weg, welcher jedenfalls derjenige war, von dem der Finkenheiner gesprochen hatte. Er wurde zu beiden Seiten von niedrigen, dichten Blutbuchen eingesäumt. Walther blieb hinter denselben stehen, um den Kommenden vorüber zu lassen.

Eigentlich hatte er gar keine Veranlassung dazu. Es gab keinen Grund für ihn, sich nicht sehen zu lassen. Er that es ohne alle Absicht, so wie man sehr oft Etwas rein instinctiv thut oder unterläßt.

Die Schritte kamen langsam von rechts her näher, und dann erblickte der Lehrer einen jungen, vielleicht vierundzwanzig Jahre alten Menschen, dessen Erscheinung ein Mittelding zwischen Bauer und Stutzer war.

Er trug eine kurze Jacke, welche mit zwei Reihen von silbernen Thalern besetzt war. Am Hute war eine Silberspange angebracht. Von der Westentasche hing eine schwere, silberne Kette herab, und an den Händen trug er so viele silberne Ringe, daß auf jeden Finger wenigstens einer kam. Die Hosen steckten in halblangen Stiefeln, welche blank gewichst und mit silbernen Sporeninterims versehen waren. Die Gestalt war lang, breit und starkknochig, das Gesicht sommersprossig und unschön.

Dieser junge Mann wollte vorübergehen, blieb aber plötzlich lauschend


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stehen, duckte sich nieder, um nach vorn zu lugen und sprang dann schnell hinter die Buchensträucher, welche am jenseitigen Wegrande standen. Er mußte etwas oder Jemand gesehen haben!

Walther hörte Schritte, leicht und elastisch, wie von einem Frauenzimmer, und nach einigen Augenblicken erschien aus der entgegengesetzten Richtung ein junges, vielleicht achtzehnjähriges Mädchen, welches einen ziemlich großen Korb auf dem Kopfe trug.

Die Nahende war ärmlich, aber sehr reinlich gekleidet. Ihre Gestalt war jugendlich voll, ihr schönes Gesichtchen vom Gehen und Tragen geröthet, und da sie mit der einen Hand den Korb auf dem Kopfe im Gleichgewicht zu erhalten hatte, so nahm sie eine Haltung ein, welche das schöne Ebenmaß und die weiche Rundung ihrer Körperformen zur vollsten Geltung brachte. Der Korb war mit Pilzen gefüllt. Sie hatte keine Ahnung, daß zwei Lauscher nahe seien.

Eben wollte sie zwischen den Beiden hindurch, da rief Der drüben:

»Liesbeth!«

Sie erschrak und blieb stehen.

»Wer ruft?« fragte sie.

»Raths einmal!«

»Hab keine Zeit dazu.«

Das sagte sie in verweisendem Tone, und schon erhob sie das Füßchen, um weiter zu gehen, da trat er hervor.

»Der Silberfritz!« rief sie aus, noch mehr erschrocken als vorher.

»Ja, der Silberfritz!« lachte er, sich ihr in den Weg stellend. »Hast wohl keine Freude drüber, daßt mir hier im Wald begegnest?«

»Ich kann weder drüber jubeln noch drüber weinen.«

»So! Aber erschrocken bist?«

Da würd eine Jede verschrocken, wenn sie meint, ganz allein zu sein, und plötzlich tritt doch ein Bursch hinter denen Bäumen hervor.«

»Ich hab Dich kommen hört und wollt sehen, wers war.«

»Das hättst auch sehen konnt, wannt Dich nicht versteckt hättst. Jetzt weißts aber nun?«

»Ja, ich seh's doch. Des Finkenheiners Liesbeth ists.«

»So ist Deine Neugierden befriedigt, und nun kann ich weiter gehen.«

»Nicht so schnell,« entgegnete er. »Es paßt mir gut, daß ich Dich hier troffen hab - -«

»Mir aberst schlecht,« fiel sie ein.

»So müßt Ihr Mädels ja sagen. Aber ob mans auch glaubt -« antwortete er selbstgefällig.

»Das kannst gut und billig glauben.«

»Fallt mir nimmer ein! Warum sollts Dir nicht passen, daßt mich hier triffst?«

»Weil ich Dich überhaupt nicht treffen mag. Und nun gieb Raum! Ich muß heim.«


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»Das hat noch Zeit. Du hasts daheim nicht so, daßt Dich um jede Minut, die Du nicht dort bist, grämen mußt.«

»Das geht Dich gar nix an!«

»O, grad sehr viel! Wann man Einer gut ist, so verinteressirt man sich für Alles, was sie betrifft. Und daß ich Dir gut bin, das weißt wohl nun bald?«

»Ich kanns schon auswendig, so vielmal hasts mir bereits gesagt.«

»Dennerst sag ichs jetzt abermals.«

»Das kannst bleiben lassen!«

»Oho! Wer wills dem Silberfritz verbieten, zu sagen, was er sagen will! Den möcht ich schon sehen!«

»Thu nur nicht, als obst der größte Prinz in Europa wärst! Es giebt noch ganz andere Kerlen, als Du bist! Wannt meinst, daß es nur darauf ankommt, was Dir beliebt, so bist albern genug. Es kommt auch auf Diejenige an, die's anhören soll, ob sie auch Lust verspürt, es anzuhören. Und ich hab eben keine Lust dazu. Red, was Du willst; aber sags meinswegen hier den Bäumen; ich hab keine Zeit für Dich.«

Sie wollte fort. Er hielt sie zurück.

"Lass nach mit deinem Gezier!"

»Laß nach mit Deinem Gezier!« sagte er. »Ich weiß halt doch, daßt ganz anderst denkst, alst sprichst. Den Silberfritz weist Keine von sich ab. Du aber willsts durch die Sprödigkeiten so weit bringen, daß ich noch tiefer verschossen werd in Dich und nachher gar vom Heirathen reden thu: Darinnen aber hast Dich sehr verrechnet. Des Finkenheiners Dirndl kann niemals Silberbäuerin werden, das sag ich ganz bestimmt; aberst mein Schatz kannst sein, das geht schon an.«

Ihr Gesicht war noch röther geworden, als vorher. Sie trat rasch auf ihn zu und rief zornig:

»Das sagst mir, mir, mir! Meinst, daß ich solche Worten anhören muß, weilst der Sohn vom Silberbauern bist und ich bin die Tochter vom ärmsten Mann im Dorf? Ich Dein Schatz? Nicht für zehntausend Thalern möcht ich mich von Dir nur mit denen Fingerspitzen anrühren lassen. So reich Du bist, so roh bist auch, so rüd und gemein. Da hasts, was ich von Dir denk. Und nun laß mich weiter gehen!«

Man sah es ihm an, daß er solche Worte nicht erwartet hatte. Er war der Don Juan des Dorfes und hatte wirklich nicht geglaubt, daß es Eine geben könne, welche im Stande sei, ihn zurück zu weisen. Er war darum in hohem Grade erstaunt, doch verwandelte sich das Erstaunen schnell in Zorn.

»Was?« fragte er. »Wie redest mit mir? Wann ich Dich nur anschau, so ists eine Ehren für Dich, die Tochter des Heiner, den mein Vater mit den Kartoffeln erwischt hat. Wer einen Spitzbuben zum Vatern hat, der hat fein demüthig zu sein. Ihr habt daheim nix zu fressen, und ich will Dir aus lauter Barmherzigkeiten eine Gelegenheit geben, Dir was zu verdienen. Wannst heut Abend hinters Haus kommen und da mein richtiger Schatz sein willst, so geh ich Dir einen ganzen Thalern.«


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Im Nu hatte sie den Korb vom Kopfe genommen und zu Boden gesetzt. Hart an ihn herantretend, rief sie aus:

»Mensch, niederträchtiger und gemeiner! Soll ich Dir die Antwort ins Gesicht spucken? Willst mich nun auslassen, oder soll ich gar mit Dir balgen, damit ich den Weg frei bekomme?«

Sie ballte drohend die kleinen Fäuste. Sie war in ihrem Zorne außerordentlich reizend.

»Dirndl, was bist couragirt!« lachte er. »Aber so ists recht! So lieb ichs grad! Jetzt ist der Korb herab, und nun mußt mir ein Busserl geben.«

Er faßte sie um den Leib. Sie aber rief keineswegs nach Hilfe. Sie glaubte sich allein mit ihm und also auf sich selbst angewiesen. Darum verließ sie sich auch ganz nur auf sich selbst.

»Willst mich gehen lassen!« drohte sie. »Oder soll ich Dir zeigen, daßt ein Lump bist!«

»Zeig, was Du willst, aber vorerst den Mund, daß ich ihn küß!«

»Nein, vorerst die Hand. Da, und da und da und da!«

Sie schlug mit beiden Fäusten so herzhaft auf sein Gesicht ein, daß er sie wirklich frei geben mußte. Er war aber in Wuth gerathen und drohte:

»Das will ich mir noch gefallen lassen, denn das thut ja nicht wehe. Wann ich nur wollt, so könnt ich zugreifen, daßt gleich ganz still wärst. Aberst nun stell auch meine Geduld nicht länger auf die Proben. Ich will Dich küssen, und so mußt dran glauben!«

»So! Meinst wirklich?« antwortete sie. »Denkst wohl, weil ich den Korb tragen muß, so kann ich mich nicht wehren? Den kann ich hier stehen lassen und ohne ihn davonlaufen.«

»So habt Ihr nix zu essen.«

»So hungern wir. Das schmeckt doch noch besser, als ein Kuß von Dir.«

»Wannst die Pilzen zurücklassen willst, brauchens auch nicht im Korb zu bleiben. Da, paß auf!«

Er ergriff den Korb und schüttete die Pilze aus, die von dem armen Mädchen mühsam zusammengesucht worden waren, um dafür in der Stadt einige Pfennige für den kranken Bruder zu lösen. Liesbeth stieß einen Klageruf aus; er aber kümmerte sich nicht darum, sondern warf den Korb weit fort und ergriff sodann das Mädchen; dasselbe so fest an sich pressend, daß eine Gegenwehr nun gar nicht möglich war, sagte er, höhnisch lachend:

»Nun solls losgehen! Und nicht nur einen werd ich mir nehmen, sondern fünfzig und hundert.«

»Nicht einen einzigen!«

Diese drei Worte erklangen hinter ihm. Der Lehrer war hinter den Buchen hervorgetreten. Der Silberfritz drehte sich schnell um, maß den Störenfried mit zornigem Blick und sagte:

»Was hast hier drein zu reden?«

»Grad so viel wie Du!«


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»Oho! Wer bist denn eigentlich?«

»Das kannst gleich erfahren. Vorerst aber nimm die Händ vom Dirndl weg!«

»Fallt mir nicht ein.«

»Soll ich Dich etwan zwingen?«

»Du? Du wirst mir der Kerlen dazu!«

Der Silberfritz wuthschnaubend, noch immer das Mädchen in den Armen, und der Lehrer ruhig und kalt, so standen sich die Beiden gegenüber. Liesbeth rührte sich nicht. Ihr Blick hing an Walther mit einem eigenthümlichen, ganz unbeschreiblichen Ausdrucke. Angst, Scham, Vertrauen und noch vielmehr war in ihrem schönen, jetzt so bleichen Gesichtchen zu lesen.

»Nun, ich halt sie fest,« höhnte der Silberfritz. »So nimm sie doch weg, wannt kannst. Oder hast Angst?«

»Vor Dir nicht.«

Bei diesen Worten faßte der Lehrer den Arm des Bauerburschen.

»Rühr mich nicht an!« brauste dieser auf.

»Ich rühre Dich ebenso gut an, wie Du dieses Mädchen anrührst. Beides geschieht ohne Erlaubniß. Lässest Du sie gehen, dann gebe ich Dich auch frei.«

»Das fallt mir nicht ein. Du aberst bekommst Deine Keile, wannst nicht sofort loslässest.«

»Oder bekommst Du sie!«

»Das werden wir gleich sehen.«

Er wollte die Hand des Lehrers von sich abschütteln; dieser aber lachte lustig auf und sagte:

»Du scheinst Dich für stärker als mich zu halten. Da irrst Du Dich aber gewaltig. Paß einmal auf!«

Er drückte mit seiner Faust den Ellbogen des Gegners mit so einem mächtigen Griffe zusammen, daß der Silberfritz laut aufschrie und das Mädchen fahren ließ.

»Hund!« brüllte er auf. »Das hast gewagt!«

Liesbeth war frei, aber sie benutzte ihre Freiheit nicht zur Flucht, sondern sie blieb stehen, als müsse sie nothwendiger Weise erfahren, welchen Ausgang dieser Kampf nehmen werde.

Der Silberfritz hatte seine Fäuste geballt und sich dem Lehrer gegenüber gestellt. Dieser stand ihm ruhig und furchtlos lächelnd gegenüber und antwortete:

»Was ich gewagt habe? Nichts, gar nichts. In einem Streite mit Dir ist gar nichts zu wagen.«

»Meinst, daßt mir über bist?«

»Allemal!«

»So wirst mir gleich unter kommen. Da schau!«

Er holte aus, um nach dem Lehrer zu schlagen. Dieser aber ließ den Spazierstock, welchen er in der einen Hand gehalten hatte, fallen, parirte den


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Hieb mit einem Arme, faßte dann den Gegner mit einem blitzschnellen Griffe bei den Hüften, hob ihn aus und warf ihn mit solcher Gewalt zu Boden, daß er dort liegen blieb, halb betäubt und Arme und Beine von sich streckend.

»Jesus Maria!« klagte Liesbeth. »Er ist todt!«

»Nein! Trag keine Sorge! Er ist nicht todt. Es ist ihm nicht der mindeste Schaden geschehen. Ich habe ihn nur ein Wenig geprellt, und da wird er einige Zeit brauchen, ehe er wieder nach mir schlagen kann.«

»Aber weißt, wer er ist?«

»Nun?«

»Der Silberfritz, der Sohn vom reichen Silberbauern.«

»So! Was ist da weiter?«

»Sein Vater ist der reichste Mann im Dorf!«

»Was geht das mich an?«

»Und der Schulz dazu, der Vorsteher!«

»Desto mehr sollte sein Sohn es vermeiden, Ungesetzliches zu unternehmen.«

»Aberst es kann Dir von ihm schlecht ergehen!«

»Das wollen wir einfach abwarten.«

»Brauchsts gar nicht abzuwarten. Es wird vielmehr sogleich kommen, jetzt, in diesem Augenblick.«

Diese Drohung stieß der Silberfritz aus. Er hatte eine kurze Weile ganz regungslos am Boden gelegen und dann leise probirt, ob er seine Glieder zu bewegen vermöge. Es ging. Jetzt erhob er sich, spuckte in beide Hände und rieb sie wie Einer, der eine schwere Last erfassen will; dann sprang er auf den Lehrer ein.

»O Gott!« rief Liesbeth erschrocken.

Bei der Gewalt, welche der Bauerssohn in seinen Sprung legte, war sie überzeugt, daß er den Lehrer zu Boden reißen werde. Dieser aber trat schnell einen Schritt zur Seite, holte aus und schlug dem Angreifer die Faust so unter den hoch erhobenen Arm, also in die Achselhöhle, daß der Getroffene eine Wendung nach seitwärts erhielt und dort zu Boden stürzte.

Sich schnell wieder aufraffend, erhob er beide geballte Fäuste und drang mit einem lauten Wuthschrei wieder auf Walthern ein. Dieser erhob einfach den rechten Fuß und trat dem Angreifer so in die Magengegend, daß derselbe abermals zur Erde flog.

Es war ein Kampf der rohen, ungeschulten Kraft gegen einen geübten und geistesgegenwärtigen Turn- und Ringlehrer. Dieser Letztere stand noch ebenso lächelnd da wie vorhin. Nicht eine Spur der geringsten Anstrengung war ihm anzusehen. Der Silberfritz aber schnaufte, als er sich jetzt wieder aufraffte, wie ein wüthender Eber. Seine Augen schienen aus ihren Höhlen treten zu wollen. Er stierte den Lehrer an wie eine ganz unbegreifliche Erscheinung, da ihn, den Starken, noch kein Einziger Widerstand zu leisten gewagt hatte, blickte nach rechts und nach links, als ob er von dorther Aufklärung über seine unfaßbare Niederlage erwarte und stieß hervor:


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»Geht das denn wohl mit dem Teufel zu! Nieder mußt, Hund verdammter, und wann ich Dich derschlagen sollt!«

Er griff abermals nach Walther. Dieser wich ihm zur Seite aus und antwortete:

»Ganz wie Du willst! Wenn Du partout eine noch nachhaltigere Lehre haben willst, so sollst Du sie ganz gern erhalten. Da!«

Er schlug ihm dabei die Faust unter das Kinn, daß der Getroffene einige Augenblicke lang wie eine Bildsäule stand, nach Luft schnappend, und sich dann halb um seine eigene Achse drehte. Walther benützte diese Blöße, welche sich der Gegner gab, faßte ihn mit beiden Händen an im Genick, trat ihm hinten in das Kreuz und riß ihn auf diese Weise abermals zu Boden.

Einen gotteslästerlichen Fluch ausstoßend, schnellte der Silberfritz wieder zur Höhe, da er nicht an der Erde festgehalten worden war. Seine Augen waren jetzt mit Blut unterlaufen. Er blickte sich um. Nicht weit von ihm lag ein großer Stein. Er sprang hin, raffte denselben auf, holte aus und schrie:

»Ob Dein Schädel fest genug ist? Komm her!«

Der Hieb hätte unbedingt Walthers Hirnschaale zerschmettert. Aber der Letztere war zu gewandt und zu kaltblütig, um sich treffen zu lassen. Er wich aus und der Silberfritz wurde von der Gewalt, welche er in den Schlag gelegt hatte, zu Boden gerissen.

Jetzt aber ließ der Lehrer ihn nicht wieder aufkommen. Er kniete auf ihn nieder, riß ihn herum, mit dem Gesicht nach oben, und versetzte ihm eine Menge so gewichtiger, schallender Ohrfeigen, daß Liesbeth voller Angst laut aufschrie:

»Nicht so! Nicht so! Laß ihn gehen! Du derschlägst ihn ja!«

»Pah! Solche Kerls haben ein zähes Leben,« lachte der Lehrer. »Er kann noch mehr, noch viel mehr vertragen.«

Er fügte noch einige Ohrfeigen hinzu und erhob sich dann vom Boden. Der Bauernbursche lag still an der Erde. Er war nicht verletzt; aber Wuth und Scham arbeiteten so in ihm, daß er nicht wußte, was er vornehmen solle, und also liegen blieb.

»Er kann nicht auf!« jammerte Liesbeth. »O, ich werde ihm schon aufhelfen.«

»Welch ein End soll das nehmen!«

»Ein besseres, als der Anfang war. Hast Du bereits mal gehört, wie man ein wildes Thier zähmt?«

»Nein.«

»Man muß ihm gleich erst merken lassen, daß man mehr Kraft besitzt als es selbst. Nachhero bekommts halt Respect. Dieser Kerl scheint auch halb wild zu sein, so eine Art Büffelstier, auf den man fein einhauen muß, ehe er gehorchen lernt. Paß auf, wie gehorsam er jetzt sein wird!«

Er hob seinen Spazierstock auf.

»Um Gotteswillen! Thu ihm nix mehr!« bat sie.


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»Wann er folgt, soll ihm nix mehr geschehen. Nimmt er aberst keinen Verstand an, so wird er bald erfahren, daß noch mehr kommt.«

Und zu dem Daliegenden tretend, gebot er:

»Steh auf!

Der Silberfritz bewegte sich nicht.

»Nun? Willst oder nicht?«

Er stieß ihm dabei den Fuß in die Seite.

Der Besiegte raffte sich langsam auf. Er mußte sich erst auf die Hände stellen, ehe er emporkam. Es war ja auch kein Wunder, daß er sich wie an allen Gliedern zerschlagen fühlte. Jetzt stand er da, maß den Lehrer mit stieren Augen und sagte wuthbebend:

»Das ist Dir nicht geschenkt!«

»Nein, aber Dir! Nimms als ein gutes Andenken mit fort, und laß es Dir zur Lehre dienen!«

»Willst auch noch spotten! Meinst etwan, daßt den Silberfritz gar besiegt hast?«

»Ja, das meine ich. Oder willst nochmals anfangen?«

»Das fallt mir jetzt nimmer ein! Ich bin heut krank und hab kein Gelenk, sonst lägst längst unter mir und bätst um Pardon und Barmherzigkeiten. Aberst laß Dich um Gotteswillen nimmer von mir treffen. Sobaldst mir wieder begegnest, kommt der Zahlaus!«

»Schön! Auf den bin ich sehr neugierig!«

»Wirst ihn kennen lernen! Jetzt aberst will ich gehn. Ich bin heut viel zu stolz, als daß ich mich noch weitern an Dir vergreif. Bleib da bei dem Dirndl, welches Keiner im Dorf anschaut! Kannst Freud an ihr haben und Ehr mit ihr einlegen. Ihr Vatern ist der Spitzbub, und sie ist die richtige Zuchthaustochter!«

»Ich glaube, Du hast mehr Anlagen in dieses Haus zu gelangen als sie!«

»Du, wannst dem Sohn des Silberbauern in dieser Art und Weisen kommst, so kannst was derfahren, was Dir nimmer lieb ist! Bist wohl auch Einer, der zu einem solchen Volk paßt und gehört!«

»Ja, zu Dir passe ich freilich nicht.«

»Das seh ich allbereits, und darum will ich gehen.«

Er hob seine Kopfbedeckung auf, welche ihm während des Kampfes entfallen war, und wendete sich um, den Platz zu verlassen. Da aber sagte Walther:

»Halt! So schnell kommst nicht fort von hier! Merkst nicht, daßt was vergessen hast?«

Der Bursche wendete sich wieder um.

»Was?«

»Hier! Schau her!«

Er deutete mit dem Stocke auf die an der Erde liegenden Pilze und auf den Korb.

»Meinst etwan die Schwammpilzen?«


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»Ja.«

»Die gehn mich nix an!«

»Aber diesem Dirndl gehns was an. Sie sind ihr Eigenthum: sie hat dieselbigen gesammelt, und Du hast sie ihr entrissen und auf den Boden geworfen.«

»Wer sagt das?«

»Ich habe es selbst gesehen! Du wirst sie zusammensuchen und sie ihr fein sauber wieder in den Korb thun.«

Der Silberfritz wurde bis an das Haar glühend roth.

»Meinst das wirklich?« fragte er.

»Ja, wirklich!«

»So thu's an meiner Stell! Der Silberfritz bückt sich wegen keines Menschen zur Erd herab!«

»Aber auf der Erd hast doch meinetwegen bereits selbst gelegen?«

»Weil ich heut krank bin und abgemattet. Aber gehorchen wie ein dressirter Pudel, das werd ich keinem Menschen, und Dir erst recht nicht. Verstanden?«

Liesbeth sah, daß der Kampf von Neuem auszubrechen drohte. Sie ergriff den Lehrer leise beim Arme und bat ihn in besorgtem Tone:

»Laß ihn gehen! Ich les mir die Schwammerln selber wiedern zusammen.«

»Nein, das sollst aber nicht.«

»Ich bitt gar schön!«

»Hier hilft Deine Bitt nix. Ich wills haben, und so wird ers auch thun müssen!«

»Meinst?« höhnte der Bursche.

»Jawohl!«

»Dann kannst wirklich mehr als Brot essen!«

»Halt, laß sie liegen!«

Diese in befehlendem Tone gesprochenen Worte galten dem Mädchen, welches sich bereits gebückt hatte, um die Pilze wieder in den Korb zu sammeln. Liesbeth fuhr bei dem Klange dieser strengen Worte wieder empor.

»Also vorwärts!« gebot der Lehrer, mit dem Stocke auf die Erde deutend.

»So kannst einen Hund anschnautzen, aberst mich nicht!« antwortete der Fritz. »Der Uebermuth wird Dir schon bald genommen werden! Jetzt geh ich.«

»Du bleibst!«

»Papperlapapp!«

Er wendete sich zum Gehen. Aber mit einigen raschen Schritten stand der Lehrer hinter ihm.

»Willst gehorchen oder nicht?«

»Nein.«

»So werd ich meinem Befehle Nachdruck geben.«

»Meinswegen vermag die Prügelei wiedern beginnen. Aberst diesmal gehts anderst als vorhin!«


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Er griff nach dem Lehrer. Dieser aber versetzte ihm mit dem Stocke einen so wuchtigen Hieb auf den Arm, daß er denselben sogleich wieder sinken ließ. Sodann faßte Walther ihn beim Kragen und schleuderte ihn mit einem kraftvollen Rucke zurück, so daß der Silberfritz, keinen Halt findend, zur Erde flog. Er wollte sich zwar sogleich wieder aufrichten, erhielt aber mit dem Stocke einen solchen Hieb über den Rücken herüber, daß er wieder niedersank.

»Nun! Jetzt heißts arbeiten!« rief Walther. »Ich scherze nicht.«

»Saukerl!« knirrschte Fritz. »Also los! Sonst - - -!«

»Fallt mir doch nicht ein!« klang es bereits viel kleinlauter.

Die Antwort war ein abermaliger Hieb. Wüthend wollte Fritz aufspringen; aber es fiel jetzt so schnell Hieb auf Hieb auf seinen Rücken, daß er durch die Wucht dieser Streiche förmlich zu Boden gedrückt wurde. Er griff nach den Pilzen.

»Ah, endlich!« sagte Walther. »Nun aber schnell! Es war wirklich, als ob ein Thier dem Gebote eines intelligenten, überlegenen Menschen Gehorsam leiste. Der Silberfritz begann die Arbeit, erst langsam und zögernd, dann aber schneller und schneller. Als er ungefähr zur Hälfte fertig war, machte er einen Versuch, sich zu erheben.

»Jetzt ists genug!« sagte er. »Noch lange nicht!«

»Die sind zu klein!«

»Aberst grad die besten, gesündesten und delicatesten!« lachte Walther. »Die dürfen wir erst recht nicht liegen lassen. Beeile Dich!«

»Kannst auch mit helfen!«

»Pah! Ich habe meinen Diener!«

»Meinst etwan mich?«

»Wen sonst?«

»Donnerwettern! Das leid ich nimmer! Nun endlich ists genug. Jetzt wirds mir viel zu bunt!«

»Wirklich?«

»Ja. Jetzunder beginn ich, auch ein Wort zu reden!«

»Das hast schon längst than, aberst es hat Dir leider gar nix geholfen!«

»Jetzt wirds helfen!«

Er wollte vom Boden auf. Ein Hieb des unbarmherzigen Bezwingers trieb ihn wieder nieder.

»Schau, so gehts!« sagte dieser. »Du darfst nicht eher auf, als bis die Arbeit vollendet ist!«

»Bin ich etwan Dein Sclav!« keuchte der Besiegte.

»Jetzt, ja!«

»So sollst bald sehen, wie es anderst wird!«

»Meinswegen! Jetzt aber arbeitest weiter!«

Und wirklich, der Silberfritz nahm die unterbrochene Zwangsarbeit wieder auf. Als zuletzt nur noch kleine Stückchen am Boden lagen, wollte Fritz auf-


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halten; aber Walther deutete mit dem Stocke auf jedes einzelne Stück, Fritz las auch diese auf. Dann aber richtete er sich langsam empor, stellte sich in seiner ganzen Höhe und Breite vor seinem Sieger hin und fragte:

»Nun ists fertig; aberst eh ich geh, will ich noch Etwas wissen. Wer bist eigentlich?«

»Das kann Dir sehr gleichgiltig sein!«

»Gar nicht. Heut hast den ersten Trumpf gebracht; den letzten aber will ich ausspielen!«

»Dagegen hab ich nix.«

»Dann aberst mußt Du dabei sein!«

»Sehr gern.«

»So will ich wissen, ob ich Dich wieder treffen thu.«

»Du wirst mich noch oft gern sehen.«

»Wohnst in der Nähe hier?«

»Noch nicht. Aber ich werde bald da wohnen, wo Du mich täglich sehen kannst.«

»Das gefreut mich sehr. Da kann ich ruhig gehen und brauch mich nimmer zu schämen. Es wird sich zeigen, wer von uns Beiden der Sieger bleibt.«

»Ja, jetzt kannst Du gehen. Du hast Deine Arbeit gethan, und ich halte Dich nicht zurück. Leb wohl!«

»Hol Dich der Teuxel!« Er ging.

Liesbeth stand neben ihrem Korbe. Sie betrachtete den Lehrer mit einem Blicke, aus welchem die größte Bewunderung sprach. Er nickte ihr freundlich zu und sagte:

»Wird er auch gehen?«

»Ich meine es.«

»Oder kommt er heimlich zurück, um irgend eine Hinterlist gegen uns auszuüben?«

»Nein. Der geht; der hat genug.«

»Es ist ihm Recht geschehen.«

»Aber was bist für ein - - für ein Herr!«

»Herr?« fragte er lächelnd. »Wolltest Du nicht ein ander Wort sagen?«

»Erst freilich! Was bist für ein Bursch, wollt ich sagen.«

»Warum hasts nicht gesagt?«

»Weil ich denkt hab, Du nimmsts übel.«

»Uebel? Bin ich so ein gar alter Mann, daß man mich nimmer einen Burschen nennen kann?«

»O nein, alt bist nicht, aber - aberst vornehm - - -«

»Ich? Vornehm? Hältst mich wohl für einen Baron?«

»Nein. Ein Lehrer ist doch kein Bauernbursch.«

»Woher weißt, daß ich Lehrer bin?«

»Von Regensburg her.«


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»So kennst mich wohl gar noch?«

»Warum sollt ich Dich nicht mehr kennen? Es ist ja noch gar nimmer so lange her, daß ich Dich - - - -«

Sie schien sich auf Etwas zu besinnen und hielt erschrocken inne.

»Bitte, sprich weiter!«

»O, ich bin sehr - - dumm gewest! Ich sag immer Du zu Ihnen!«

»Warum nicht?«

»Zu einem Lehrern? Zu einem Schulmeistern? Das gehört sich nicht.«

»Ich sag doch auch Du zu Dir!«

»Das ist was ganz Anderes.«

»So! Nun, ganz wie Du willst. Ich werde so zu Dir sagen, wie Du zu mir sprichst. Also Du oder Sie?«

Sie blickte verschämt sinnend zu Boden und antwortete: »Ich bin ein arms Dorfdirndl.«

»Und ich ein armer Schulmeister.«

»Das ist kein Vergleich. Sie sagen Du zu mir, und ich sag halt Sie. Das ist das Richtige.«

Sie war in Eifer gerathen, und ihre Wangen hatten sich geröthet. Er sah erst jetzt eigentlich, wie hübsch dieses Mädchen war. Diese rehbraunen Augen; diese küßlichen Lippen; diese volle Büste; diese runden, gebräunten Arme, und doch Alles so keusch, so rein, so züchtig.

»Es bleibt dabei,« lächelte er. »Also wähle! Nennen wir uns Du oder Sie?«

»Dann - - lieber Sie.«

»Gut! Ich hab mich gefreut, als ich Sie vorhin erblickte, denn ich dachte daran, daß Sie mir eine Frage beantworten könnten. Wollen Sie?«

»Wenn ich kann, ganz gern.«

»Erinnern Sie sich noch, daß Ihre Herrschaft einmal Besuch hatte?«

»Es ist oft Besuch dort gewest.«

»Ich hab nur einen beachtet, obgleich ich grad gegenüber wohnte. Es war im vorigen Februar.«

»Ein Herr oder nicht?«

»Es war kein Herr, sondern eine junge Dame.«

»Eine Dame?« meinte sie nachsinnend. »Im Februar? Das kann nimmer richtig sein.«

»Und doch ist es so. Ihre Herrschaft wohnte neben einem Gasthofe. Im Saale dieses Letzteren veranstaltete ein Gesangverein ein Maskenfest. Ihr Herr war Mitglied dieses Vereins - - -«

»Ja, das weiß ich schon. Allemal am Samstag ist er in den Verein gelaufen und spät nach Haus kommen, mit einem Spitz, einem Käfern, oder gar einem Affen.«

»Ja, das kam vor.«

»Dann hat die Herrin zankt.«

»Das verdenke ich ihr gar nicht.«


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»Er aberst hat sich nix draus macht, sondern dabei immer pfiffen und sungen, was er am Abend im Verein hat lernen müssen. Er hat stets so lange summt und brummt, bis sie still gewest ist.«

»Das verdenke ich nun auch ihm nicht. Aber wollen Sie sich vielleicht erinnern, daß an jenem Maskenfest er sich auch mit betheiligt hat?«

»Ja, das weiß ich schon. Es sollt ein Bärenführer macht werden. Da hat mein Herr den Bären vorgestellt und sich in eine Bärenhaut nähen lassen müssen.«

»Das stimmt.«

»Darüber ist die Herrin so zornig gewest, daß sie fast aus der ihrigen Haut fahren ist.«

»Welche Maske hat denn sie gehabt?«

»Sie war die Königin der Nacht.«

»Ja, ja, so ists richtig.«

»Sie hat einen großen, dunklen Schleiern über den Kopf hängt und lautern Papiersterne von Gold und Silbern darauf klebt.«

»Und gingen sie beide allein, Ihr Herr und Ihre Herrin? Besinnen Sie sich!«

»Nein, sie sind nicht allein gangen, sondern die Martha ist auch mit gewest.«

»Hm! Als was war sie verkleidet?«

»Als eine Prinzeß aus der Türkei.«

»Richtig, sehr richtig! Das war die junge Dame, welche ich meine.«

»Also die ist eine Dame? Nun, ich weiß halt nimmer, was oder wer eigentlich eine Dame ist.«

»Eine weibliche Person von nicht gewöhnlichem Stande.«

»So! Dann ist sie halt keine Dame, weil ihr Vatern ein Bauern ist.«

»Nicht ein Rittergutsbesitzer?«

»Nein. Er möcht sich halt gar gern so nennen; aberst ein Ritterngut hat er nicht.«

»Wer ist er denn?«

»Der? Nun, der ist eben der Silberbauer.«

Der Lehrer trat einen Schritt zurück. In seinem Gesichte spiegelte sich eine wirkliche Enttäuschung wieder.

»Der - Silber - - bauer!« wiederholte er.

»Ja freilich!«

»So ist diese Martha die Schwester des Menschen, den ich soeben durchgeprügelt habe?

»Ja. Die Beiden sind des Bauern einzige Kinder.«

»Aber, aber - Sapperlot! Sie sprach gar nicht, als ob sie eine gewöhnliche Bauerstochter sei!«

»Ja, sie kann halt bereits vornehm thun. Sie spielt auf dem Pianissimo und redet auch ein Französisch. Sie ist zwei Jahr in Pension gewest.«

»Aber sagen Sie mir doch, aus welchem Grunde die Martha Ihre Herrschaft in Regensburg besucht hat.«


Ende der vierundzwanzigsten Lieferung - Fortsetzung folgt.



Karl May: Der Weg zum Glück

Karl May – Forschung und Werk