Lieferung 18

Karl May

27. November 1886

Der Weg zum Glück.

Vom Verfasser des »Waldröschen«, »Verlorner Sohn«, »Deutsche Helden« etc.


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Ich sage Dir, daß ich den Franz nicht heirathen werd. Schau sein Gesicht an! Es ist noch geschwollen von der Straf, die er für seine Rohheit erhalten hat. Wie kann ich so einen Menschen achten oder gar lieben. Und wannt mich wirklich zwingen willst, so geh ich aus dem Haus und in einen Dienst. Ich will liebern die allergeringste Magd sein und mir die Hand blutig arbeiten, als die Frau eines solchen Menschen. So, das ist nun meine Meinung, und von der geh ich nicht ab!«

Es war das allererste Mal im Leben, daß die sonst so schüchterne Paula in dieser Weise mit ihrem Vater zu sprechen wagte. Sie hätte jedenfalls gar nicht aussprechen können; er wäre ihr schon längst in die Rede gefallen; aber das ungeheure Erstaunen darüber, daß sie es wagte, ihm zu widersprechen, benahm ihm die Sprache. Er saß mit offenem Munde da und starrte sie an, als ob er eine ganz unbekannte Erscheinung vor sich habe. Dann aber, als sie geendet hatte, platzte er los:

»Kreuzmillionenhageldonner! Was denkst eigentlich, wer ich bin, Du alberne Gans Du! Willst mir gar ins Gesicht sagen, daßt mir nicht gehorchen magst! Das ist mir noch nicht widerfahren! Jetzt gleich auf der Stell knieest hier vor mir nieder und machst die Abbitten, sonst - - -«

Er klatschte mit der Peitsche; sie aber blieb stehen, ohne sich zu bewegen.

»Nun! Wirds bald?« donnerte er.

»Knieen? In Liebe kann ich vor dem Vatern knieen und wann er mir was zu verzeihen hat. Aber um einer Grausamkeiten willen auch noch Abbitten thun auf der Erd, das thu ich nicht!«

Die Adern seiner Stirn färbten sich blauroth.

»Nicht, also nicht?« brüllte er. »So kennst mich noch schlecht! Ich weiß die Mittel, Dich zu zwingen! Ich bin der Thalmüllern! Verstanden? Verstanden?«

Da nahm auch ihr so schönes und liebliches Gesicht den Ausdruck einer unbesiegbaren Energie an, und sie antwortete mit erhobener Stimme:

»Und Du kennst mich auch schlecht! Ich bin die Tochter des Thalmüllern; ich bin sein Fleisch und Blut und hab denselbigen festen Willen wie er. Ich laß mich nicht zwingen, niemals! Verstanden? Verstanden?«

Er holte aus, um sie zu schlagen; aber es traf ihn ein so leuchtender Blick aus ihren Augen, daß er den Arm langsam niedersinken ließ.

»So! Was willst dagegen machen, wenn ich Dich zwing?«

»Ich geh fort!«

»Und ich schließ Dich ein!«

»So spring ich aus dem Fenster!«

»Ich steck Dich in den Keller!«

»Es wird sich eine mitleidige Seelen finden, die mich dann doch mal herauslaßt. Dann geh ich fort.«

»Und ich schick Dir den Schandarm nach und laß Dich zurückbringen, zu Deiner großen Schand!«

»Dann werd ich mich an das Gericht wenden. Dort werde ich er-


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fahren, ob ein Vatern das Recht hat, sein Kind mit aller Gewalten in das Unglück zu jagen!«

Es war ein wirkliches Wunder, daß der Müller noch nicht losgebrochen war. Es war ihm aber anzusehen, daß er sich kaum mehr halten konnte. Er schrie sie an:

»In das Glück! Verstanden? Das muß ich wissen, ich allein! Du dummes Ding bist viel zu albern und zu jung, um zu wissen, was Dir zum Glück oder zum Unglücken ist! Später wirsts mir auf den Knieen danken, daß ich Dich zwungen hab, den Franz zu nehmen!«

»Ich werds Dir nicht danken, weil Du mich nicht zwingen wirst.«

»Nicht? So?«

»Nein. Ich hab Dir sagt, daß ich mich nicht zwingen laß. Dabei bleibts!«

»Ah! Dabei bleibts! Das ist stark, nein, das ist allbereits schon zu stark! Weißt, wobei's bleibt? Bei meinem Willen bleibts! Nun weißts! Und hier hasts Siegel drauf! Mach Dich hinaus!«

Er holte aus und versetzte ihr einen schallenden Hieb.

Sie verzog keine Miene; sie sagte auch kein Wort; sie ging ruhig hinaus. Draußen aber brach sie in ein leises, unterdrücktes Schluchzen aus, welches desto lauter wurde, je höher sie die Treppe emporstieg, um in ihr Stübchen zu gelangen. Droben wurde leise die Thür geöffnet. Leni trat heraus.

»Wer weint da?« fragte sie halblaut.

»Ich bins,« antwortete Paula, welche sich noch im Dunklen befand, so daß der aus der geöffneten Stubenthür fallende Lichtschein sie nicht traf.

»Du, Paula, Du! Was hast? Wer hat Dich betrübt?«

»Der Vatern.«

»Der? Komm herein! Das mußt mir sagen!«

Sie ergriff sie bei der Hand.

»Nein, laß mich!« bat Paula.

»Warum? Hast kein Vertrauen zu mir?«

»O, ja.«

»Haben wir nicht Freundschaft schlossen, da unten an der Treppen?«

»Kannst mir auch nicht helfen!«

»Woher weißt das?«

»Weil mir überhaupten Niemand helfen kann.«

»Das darfst nicht sagen. Oft kommt die Hülf, wann und wohero man sie gar nicht erwartet hat. Komm also herein und verzähl mir, was Dich gar so sehr traurig macht hat. Du armes Wurmerl! Der Bock stoßt Dich ja an, so sehr hast zu weinen! Komm!«

»Ach, Leni, ich möcht sterben!« weinte Paula, indem sie den Kopf an die Schulter der Freundin legte.

»Nein, das darfst grad nicht. Wann ich hätt sterben wolln, sobald ich ein Herzeleid hatt, so wär ich bereits längst schon todt. Komm, komm!«


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Sie zog sie in die Stube, machte die Thür zu und führte sie zum Kanapee.

»Du wirst die Madam stören!« warf Paula ein.

»Nein. Die schlaft wie ein Murmelnthier und schnarcht wie ein Stadtpfeifern. Hörsts nicht? Also sag mir bald, was Dich so traurig macht? Sie setzte sich zu ihr, zog sie an sich und strich ihr mit der Hand über das weiche Haar.

»Ach Gott, das ist gar schlimm, sogar sehr schlimm!« antwortete Paula.

»So sags, was es ist!«

»Das Heirathen.«

»So? Das? Das ist so schlimm?«

»Ja freilich!«

»Aber Viele, so sehr Viele meinen, daß es sehr schön sei!«

»Aber nicht, wann man Einen nehmen muß, den man nimmer leiden mag.«

»Ists so bei Dir?«

»Ja.«

»So will man Dich gar zwingen?«

»Ja, der Vatern will es haben. Er schlägt mich sogar.«

»Weißt, Dein Vatern ist ein böser Kerl. Ich sags Dir, obgleich Du seine Tochtern bist. Wannst ihm nicht folgst, so thust gar nicht etwan eine Sünd damit.«

»Ich will ihm auch nicht folgen. Ich geh liebern aus dem Haus. Aber so schnell, so schnell hatt ich mirs doch nimmer dacht!«

»Soll es so rasch gehn?«

»Am Sonntag bereits soll die Verlobung sein.«

»Mit wem?«

»Mit dem Fingerlfranz.«

»Herrjemineh! Mit dem?«

»Kennst ihn etwan auch?«

»Freilich! Und er mich auch, sehr gut!«

»Woher?«

»Er wollt mich partutemang küssen, und da hab ich ihm eine derbe Watschen geben, und als das noch nix helfen wollt, da hab ich ihm Mehl in die Augen geworfen, daß er gar nimmer hat sehen können.«

»Der Hallodri!«

»Den also! Den sollst heirathen?«

»Ja! Und ich haß ihn doch so sehr!«

»Freilich! Die, welche Dem gut ist, die möcht ich an denen Filzpantofferln haben, um sie abzulaufen. Nein, Paula, den nimmst nicht, auf keinen Fall!«

»Aber der Vatern will mich zwingen!«

»Das leiden wir nicht!«

»Wir?«


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»Ja, ich werd Dir helfen.«

»Ja, wennt das könntst!«

»Ich werd schon können! Weißt, vor Deinem Vatern fürcht ich mich schon lange nicht. Ist er noch auf?«

»Ja.«

»So werd ich gleich hinuntergehn und mit ihm reden.«

Sie wollte aufstehen. Paula hielt sie fest.

»Halt! Bleib da! Der Franz ist noch bei ihm!«

»Desto bessern! So hab ich gleich alle Zwei beisammen und werd ihnen eine Suppen einquirlen, in der sie Pfeffern und Salzen genug finden werden!«

»Nein, bleib lieber da! Ich bitt Dich gar sehr schön! Wannt jetzt hinunter kämst, so wird sicherlich nix Gutes fertig. Der Vater ist ganz in einer Launen, daß er auf Dich schlagen thät.«

»Hat ers bei Dir than?«

»Ja.«

»Das soll er büßen müssen. Wart, wir werden uns gegen ihn verbünden, und ich will sehn, ob zwei brave Dirndln nicht Herr werden über einen Vatern, der kein Herz im Leibe hat und über einen Buben, der von mir bereits so abfertigt worden ist. Aberst, Paula, sei gescheidt, und sag mir vorerst, warumt den Franz nicht magst!«

»Er ist mir zuwider.«

»Wohl - wegen - einem Andern?«

Sie blickte dabei liebevoll forschend der Freundin in die Augen. Diese erröthete und antwortete leise:

»Nein.«

»So hast keinen Schatz?«

»Nein.«

»Und auch Keinen, an den Du still gern denkst?«

»Auch nicht.«

»Schau, das ist gut, sehr gut! Einen heirathen sollen, den man nicht mag, das ist noch lange nicht so schlimm, als wann man Einen gern mag und kann ihn doch nicht bekommen. Das kannst glauben.«

»Weißts wohl genau?«

»Ja.«

»So hast Einen gern, dent nicht bekommst?«

»Leider! Schau also, Paula, wir haben Beide ein Leid, und das meinige ist noch viel größern als das Deinige. Dir kann geholfen werden, mir aber nicht. Und wann Dein Vatern ganz fest auf seinem Willen besteht, so kannst doch wenigstens fort.«

»Er will mich einsperren!«

»O, ich laß Dich heraus. Nachher suchen wir uns einen - - ach, warum denn nicht bereits jetzt?«

»Was?«


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»Ich wollt gleich sagen, daß wir uns einen Freund suchen wollen, der Dir helfen wird.«

»Ja, wen?«

»Hast keinen?«

»Nein. Der Fex ist mein bestern Freund. Aber Der, welcher mir helfen soll, der muß mächtiger sein, viel mächtiger als das arme, gute, treue Fexerl. Der freilich, wann der mir helfen könnt, der thäts allsogleich und wanns sein Leben kosten thät!«

»Hat er Dich so lieb?«

»Sehr!«

Sie hatte das in einem Tone gesagt, als ob sie von etwas ganz Gleichgiltigem, Selbstverständlichem spreche; als sie aber jetzt Leni's Augen mit eigenthümlich fragendem Blick auf sich gerichtet sah, erröthete sie, als ob sie etwas sehr Ungeschicktes gesagt habe.

»Und Du bist ihm wohl auch gut?« fragte Leni.

»Ja. Wir sind Beid neben nander groß worden.«

»Ach so! Und er kann Dir nicht helfen?«

»Gar nicht.«

»So ist mir Einer eingefallen.«

»Welcher?«

»Ja, weißt, als Du sagtest, daß es ein Mächtiger sein muß, da hab ich gleich an denselbigen dacht.«

»Sag mirs!

»Nun, rathests nicht?«

»Nein.«

»Weißt, ich bin ein gar kuraschirtes Hatschen. Wann ich einmal zu einem Mächtigen laufen soll, so such ich mir doch gleich den Allermächtigsten heraus. Und wer ist das? Denk mal nach!«

»Um Gotteswillen, Du meinst doch nicht etwan - -«

»Nun, wen?« lächelte die Sängerin.

»Den König gar!«

»Ja, den mein ich grade.«

»O Gott, nein, nein!«

»Warum nicht?«

»Wie kann der an so ein dummes Maderl denken!«

»So? Bist wirklich dumm? Paula, ich war noch viel, viel dummer als Du und er hat doch mit mir sprochen, von meinem Herzeleid und meinen Wünschen. O, er ist ein sogar besonderbarer Guter!«

»Er soll so stolz sein!«

»Der? Wer das sagt, der kennt ihn nicht. Ja, er ist ein Eigenthümlicher, so hoch und erhaben; aber wann er einmal herabsteigt, so ists schier grad, als ob man mit einem Engel sprechen thät.«

»Aberst ein König, und ich, die Müllerpaula!«


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»Ein König und ich, die Muhrenleni! Er hat doch auch mit mir sprochen. Warum sollt er nicht auch mit Dir reden?«

»Ich fürcht mich gar so sehr!«

»Fürchtst Dich auch vor dem lieben Gott?«

»O nein!«

»Und der ist doch noch höher als der König!«

»Aberst es ist doch etwas ganz Andres. Unser Herrgott ist die Liebe, die Barmherzigkeit!«

»Meinst, daß unser guter König nicht auch barmherzig sein kann und nicht auch liebreich?«

»Ich glaubs wohl, aber ich fürcht mich bereits, wann ich zum Ortsrichter gehen muß, wie viel mehr aberst, wann ich zum König gehen sollt.«

»Das sollst ja gar nicht!«

»Was sonst?«

»Ich geh zu ihm.«

»Du? Du willst für mich sprechen?«

»Freilich! Hab nur keine Sorg! Ich werds noch viel besser machen, als obsts selber wärst.«

»Und fürchtest Dich nicht?«

»Fallt mir gar nicht ein. Ich red so ganz von der Leber herunter und er hört mich an und antwortet, ganz so, als ob ich - als ob ich die Leni wär.«

»Ja, so eine Extrakuraschen hab ich freilich nicht! Aber meinst denn wirklich, daß er mir hilft?«

»Natürlich!«

»Aber ob ers auch kann?«

»Das ist eine komische Reden. Wer soll es denn wohl besser können, als grad der König, der grad der Mächtigste ist im Land?«

»Und wie er es anfangen wird?«

»Das weiß ich sehr genau.«

»Nun?«

»Er wird zu Deinem Vatern gehen und zu ihm sagen: Höre, Müllern, wird er sagen, Du bist ein sehr dummer und ein sehr harter Kerlen! Du hast eine Tochtern, wird er sagen, die ist ein braves und liebes Dirndl, und dennerst willst sie dem Fingerlfranz geben. Ich kann Dich gar nimmer begreifen, wird er sagen. Sei gescheidt und mach keine solchen Faxen, denn das kann ich nicht leiden, wird er sagen. Die Paula mag sich einen Andern heraussuchen. Laß ihr nur Zeit, sie wird schon Einen finden, wird er sagen. Nachhero kannst auch Verlobung machen und Hochzeiten. Aberst mit dem Fingerlfranz, da laß sie nur in Ruh, wird er sagen.«

»Meinst?«

»Ja, so wird er sagen,« antwortete Leni im Tone und mit der Miene tiefster Ueberzeugung.

»Aber der Vatern - -!«


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»Nun, der wird gehorchen.«

»Glaubst Du?«

»Natürlich. Wann der König redet, hat ein Jeder zu schweigen und zu gehorchen.«

»Aber obs mein Vatern thut, das ist noch nicht fest.«

»Nun, da wird sich der König gar nix draus machen. Vor dem ist ein Müllern wie eine kleine Fliegen, wie eine Mucken in der Luft.«

»Und wann mein Vatern dennerst widerspricht?«

»Nun, so wird ihn der König nur so ein Bischen von oben herab anschaun und zu ihm sagen:

Thalmüllern, bei Dir rappelts wohl im Kopfe? Soll ich Dich in's Zuchthaus stecken lassen, zehn Jahre lang oder fünfzehn oder gar lebenslänglich, wird er sagen. Dann wird Dein Vatern klein zugeben müssen.«

»Ich trau doch nicht recht.«

»So denkst, daß er sich lieber einsperren laßt?«

»Nein, sondern ich denk, daß der König nimmer so scharf mit ihm redet.«

»So? Das laß nur meine Sorg sein. Ich werds ihm schon sagen, wie man mit dem Thalmüllern reden muß. Und nun sag, bist noch traurig, Paula?«

»Nicht so, wie vorher. Du hast mir wiedern ein wenig Muth gemacht. Ich danke Dir.«

»Ja, schau, wann man sein Herzeleid Jemanden sagen kann, nachhero ists immer, als ob es viel kleiner geworden wär. Paß auf, morgen um diese Zeit ists wohl ganz vorüber.«

»Ach, wie wollt ich da dem Herrgott danken und auch Dir. Ich würd Dirs niemals vergessen!«

»Ich thu es so sehr gern.«

»Aber wirds der König mir auch nicht übel nehmen, wann Du zu ihm von mir redest?«

»Das fallt ihm gar nicht ein. Er wird sich freuen, wann er einem seiner braven Landeskinder das Herzen wieder leicht machen kann.«

»Leni, es ist bereits viel leichter. Was bist doch für eine gute Seelen! Ich hab Dich erst so kurze Zeit kennt und bin Dir doch bereits so gut, als obst meine Schwestern wärst seit langer Zeit.«

»So geht mirs auch mit Dir, Paula.«

»Bist mir also wirklich auch gut?«

»Von ganzem Herzen.«

»So nimmsts mir wohl am End auch nicht übel, wann ich Dich jetzt noch um was bitten thu.«

»Dir könnt ich gar nie was übel nehmen.«

»So darf ich?«

»Ja. Kann ich die Bitt aber auch erfüllen?«

»Ich weiß es noch nicht. Weißt, der arme Fex -«

»Ah, der Fex!« lächelte Leni.


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»Was meinst?« fragte Paula erglühend.

»Daß ich mich freu, daßt von ihm redest.«

»Kennst ihn denn?«

»Ja, ich hab ihn doch gesehen. Aber sag mir doch mal gleich, was er eigentlich ist.«

»Er ist mit einer armen Zigeunerin als Kind hier ins Land kommen. Sie ist storben. Da nahm ihn ein Holzknecht als Kind an; der starb aberst auch bald und so kam er her zu uns und ist Fährmann worden.«

»So hat er keinen Verwandten?«

»Keine Seel auf Gottes weiter Welt und keinen Freund, als nur allein den Wurzelseppen.«

»Ah - so! Und Du?«

»Ich halt auch große Stucken auf ihn, weil er so gut und aufmerksam zu mir ist. Die andern Leut aber verachten ihn und thun ihm Alles zum Schaden.«

»Verdient er Geld mit der Fähre?«

»Er muß Alles dem Vatern geben.«

»So sieht er aus! Kein Schuh und kein gar nix ist bei ihm zu sehen, und dennoch - - Paula, hast ihn Dir einmal so recht deutlich angeschaut?«

»Oft!«

»Ich mein, obt ihn angeschaut hast mit dem Gedanken, ob er ein hübscher Bub ist oder nicht?«

»Nein.«

Sie senkte die Augen verlegen nieder.

»So sag, was meinst von ihm? Ist er hübsch?«

»Häßlich wohl nicht.«

»Nein. Ich sag Dir, daß ich noch gar keinen so hübschen Buben sehn hab als den Fex - außer Einem.«

»Ach, demjenigen, dent nicht bekommen kannst?«

»Ja. Aber Du wolltest mich doch wegen dem Fexen um Etwas bitten?«

»Ja, weißt, er liebt die Musik so sehr - - -«

»Das gefreut mich von ihm.«

»Und er hat doch noch nie was Ordentlichs gehört.«

»So!«

»Ja, nicht mal ein Conzerten!«

»Ah, ich errathe, wast willst.«

»So? Sags doch!«

»Er will das meinige Conzert mit anschauen?«

»Er hat mir nix davon sagt; aberst es könnt mir keine größere Freuden geschehn, als wann er hören könnt, wie Du singst und wie die andern großen Künstlern spielen.«

»Willst auch Du mit in's Conzert?«


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»Sehr gern möcht ich mit, aber dem Vatern darf ich nicht damit kommen, und auch bring ich das große Geldl nicht zusammen, was es kostet.«

»Nun, das ist das allerwenigste. Deinen Vatern will ich leicht so weit bringen, daßt mitgehen kannst, und ein Freibilletl geb ich Dir dazu.«

»Du Gute!« jubelte Paula.

»O, es kostet mich gar nix. Da brauchst also nicht groß zu danken. Und was den Fex betrifft, so, hm, ich könnt ihm auch ein Billeten geben, aber -«

»Was, aber?«

»Hat er denn ein guts Gewandel?«

»Nein.«

»Er muß doch noch andre Kleider haben als die, die ich an seinem Leib sehen hab!«

»Er hat nix Andres.«

»Unmöglich!«

»Ja, der Vatern giebt ihm nix.«

»So mußt halt Du draufsehn, daß er ein ordentlich Habiten bekommt. Wann er zur Thalmühlen gehört und alles Fährgeld abgeben muß, so kann er auch verlangen, daß er ordentlich ernährt und gekleidet werd.«

Paula blickte der Freundin ganz betroffen in das Gesicht. Sie hatte an diese Sache, so einfach und selbstverständlich dieselbe war, gar nie gedacht. Sie hatte den Fex nie anders gesehen, als in Kleidern, die er von Andern geschenkt bekommen und sich selbst mit Hilfe von Nadel und Zwirn mühsam zugerichtet hatte, und das war ihr bis an diesem Augenblick als etwas ganz und gar Selbstverständliches erschienen.

»Du schaust mich so ganz sonderbar an!« sagte Leni weiter. »Hast wohl daran noch gar nicht dacht?«

»Noch nie,« gestand Paula.

»Und auch kein Andrer nicht?«

»Nein.«

»Auch der Fex selbst vielleicht noch nicht?«

»Ich glaub, halt auch er nicht.«

»Du, da irrst Dich ganz sicher. Weißt, wie alt er ist?«

»Nein, Niemand weiß es.«

»Nun, ich schätz ihn achtzehn Jahre oder auch eins noch mehr. Und es giebt keinen Buben, der in diesem Alter nicht gern ein saubers Gewandl auf dem Leib trägt.«

»Ja, sauber ist er doch!«

»Du meinst reinlich nur. Ja, das ist er. Aber was er trägt, das sind ja lautern Fetzen. Wann er sich das gefallen laßt, so thut er das nur Deinetwegen.«

»Meinst?«

Sie erglühte abermals bis tief in den Nacken herab.


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»Ja, gewiß. Er verlangt nix, um sich nicht mit Deinem Vatern zanken zu müssen.«

»Wie gern möcht ich ihm da helfen!«

»Kannst etwan nicht?«

»Nein. Der Vatern hats Geldl, ich nicht.«

»So wart mal, Paula. Ich werd Dir da gleich mal was zeigen.«

Sie ging hin an den Tisch, auf welchem die Lampe stand, stellte sich so, daß sie Paula den Rücken zukehrte, griff in die Tasche, nestelte dann an Etwas herum und kam sodann zurück.

»Mach mal Deine Hand auf!« sagte sie.

»Warum?«

»Ich will Dir was hinein thun.«

Sie hielt die Hand hin. Leni that ihr das Betreffende hinein und sagte dann:

»Jetzt schau es an!«

»Herrgott, das ist ja Geld!« sagte Paula, wieder von der Hand aufblickend.

»Freilich!«

»Drei Goldstuckerln von zwanzig Mark!«

»Ja, zusammen sechzig.«

»Warum?«

»Meinst, daß es reichen wird?«

»Wozu?«

»Zu einem Gewandl für den Fex.«

»Gewandl - für - für - Leni!«

»Was?«

»Was soll ich dazu sagen!«

»Nix, gar nix.«

»Ich bin ganz starr!«

»Das seh ich schon bereits!«

»Ists Dein Ernst?«

»Natürlich.«

»Aberst das kann ich doch nicht annehmen!«

»Warum nicht?«

»Willsts etwan herschenken?«

»Ja.«

»Also nicht mal borgen! Das geht ja gar nicht!«

»Ich möcht wissen, warums nicht geht.«

»Wie kann eine reiche Müllerstochtern sich von einer armen Sängrin so was schenken lassen!«

»O Du liebs Hascherl Du, was bist doch für ein talkets Dirndl! Bist wirklich so reich?«

»Ja.«

»Und vorhin sagst, daßt kein Geldl hast, sondern nur Dein Vatern hat es!«


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»Aberst ich bin sein einzig Kind. Was sein ist, das ist ja auch mein. Oder meinst etwan das nicht?«

»Er kann Dich doch enterben, wannst den Fingerlfranz nicht nimmst.«

»Wirklich?«

»Ja. Ich denk mirs, daß er das kann. Dann bist auch nimmer reich. Und woher weißt, daß ich arm bin?«

»Ich habs mir denkt.«

»Da hast sehr falsch dacht. Weißt, der König zahlt Alles für mich und giebt mir auch noch viel Geld, was ich mir sparen thu. Ich kanns also geben!«

»Aber ich kanns mir nicht schenken lassen!«

»Schenk ichs Dir?«

»Wem denn?«

»Dem Fex.«

»Ach so, ach so!« nickte Paula. »So ists! Aber so giebs ihm doch auch selbst!«

»Nein. Er solls nicht wissen, von wems ist. Auch darfst nicht denken, daß ich da von Dir einen Dank erhalten muß, weil ichs etwan Dir zu Gefallen thu. Das ist ganz falsch. Weißt, der Wurzelsepp ist mein Path und mein allerbester Freund; dem sein Freund ist nun wiederum der Fex, und dem Fex schenk ich das Geldl zu dem Gewandl, damit ich dem Sepp eine Freud bereite.«

»Ja, wenns halt so ist -«

»So ists.«

»So werd ichs dem Fex geben?«

»Ja, giebs ihm.«

»Oder soll ich ihm lieber das Gewandl geben?«

»Das wär noch hübschern. Aber giebts in der Stadt Einen, der solche Kleider verkauft?«

»Es wird wohl Einen geben. Freilich hab ich in den Läden nur lauter Stadtherrenanzug gesehen, weils eben ein Badeort ist, und es kommen lauter Herren, die kein Gebirgsgewandl tragen.«

»So mußt halt selber sehn, wieds machen wirst. Ich hab nur deswegen dran denkt, weil der Fex mein Concerten hören will. Da muß er doch ein ordentlich Gewandl haben.«

»Ach so! Aber damit ists gefehlt.«

»Warum?«

»Weil alle Leut schaun würden, wann er sich mit zu ihnen setzt. Sie würden bös darüber sein, selbst wann er ein guts Kleid an hat. Nein, so hab ichs nicht gemeint. Ich hab mir denkt, er könnt das Concertl mit anhören, ohne daß er von Jemand gesehen wird.«

»Hm! Das ist auch zu machen.«

»Aberst wie?«

»Wann er sich hinter die Coulissen steckt.«


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»Erlaubt man ihm das?«

»Ganz gern, wann ichs dem Directorn sag.«

»O bitt schön! Sags ihm doch!«

»Ja, das werd ich thun, gleich in der Fruh, wann ich ins Theatern zur Proben gehen muß.«

»Wie gut Du bist! Jetzt fühl ich wirklich fast gar nix mehr von dem Herzeleid und von der Angsten, die ich vorhin mit hereinbracht hab.«

»Schau, das kommt davon her, daß man eine Freundin hat. Meinst nicht auch, daß wir Freundinnen bleiben wollen für alle Zeit?«

»Ach, wie so sehr gern, Leni!«

»Auch wann wir nicht bei nander sind?«

»Ja, da können wir uns doch schreiben.«

»So gieb mir einen Kuß darauf.«

»Von ganzem Herzen! Ich hab noch keine Freundin gehabt. Der Vatern ist so streng und hat mir Alles verboten. Ich hab so einsam lebt, wie - wie - ach, ich kanns gar nimmer sagen, wie, denn erst jetzt, wo ich Dich funden hab und so lieb gewonnen, da fühl ich diese Einsamkeiten. Und wann ich nicht zuweilen beim Fex gesessen hätt oder mit ihm durch den Wald strichen wär, so hätts gar Niemand geben, der sich meiner erbarmt hätt. Freundlich sinds ja Alle zu mir wesen, aber Freunde nicht, weißt, denen man Alls so sagen kann, wie ich Dir und Du mir.«

»Dem Fex aberst hast Alles sagen können?«

»Ihm allein; aber auch nicht Alles.«

»Warum nicht?«

»Das weiß ich nicht. Vielleicht - vielleicht weil - weil - weil er kein Dirndl ist, sondern ein Bub.«

»Hast Recht; so ists! Und nun will ich Dir mal was ganz neues sagen vom Fex.«

»Weißt was?« fragte Paula schnell. »So sags! Ists was Gutes, Leni?«

»Was sehr Gutes. Gieb mal Dein Ohr her.«

»Warum?«

»Es ist eine so große Heimlichkeiten, daß nur das eine Ohr es hören kann; nicht mal das andere darf Etwas davon wissen. Komm also her!«

Sie zog Paula zu sich heran. Diese ließ die drei Zwanzigmarkstücke aus der Hand auf das Sopha gleiten und neigte sich ihr zu. Leni legte dem schönen Mädchen die Hand an das Ohr und flüsterte:

»Du liebst den Fex.«

Paula fuhr zurück, blickte ihr fast verständnißlos in das schöne Gesicht und fragte:

»Was sagst?«

»Hasts nicht verstanden?«

»Die Worte, ja.«

»Und weißt nicht, wie ichs gemeint hab?«


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Jetzt erst ging Paula das Verständniß auf. Was so lange Zeit unbewußt und unerkannt in ihr geruht und gelegen hatte, das trat plötzlich groß und voll vor ihr geistiges Auge. Sie wurde leichenblaß.

»Was hast?« fragte Leni schnell. »Bist verschrocken?«

Jetzt zog eine tiefe, glühende Röthe über Paula's Angesicht. Sie beugte sich nieder und verbarg die Gluth unter ihren Händen.

»Paula, bist mir bös?«

Keine Antwort.

»Paula! Paula! Ich bitt Dich schön, sag doch ein Wort!«

Da fuhr sie empor, schlang die Arme um Leni, zog diese mit herzlichster Innigkeit an sich und küßte sie auf die Lippen.

»Ich bin Dir gar nicht bös,« flüsterte sie. »Gute Nacht!«

Ehe Leni sie fest zu halten vermochte, war sie zur Thür hinaus. Sogar das Geld hatte sie auf dem Sopha liegen lassen. In ihrem Stübchen war es dunkel. Sie trat an das Fenster. Es regnete nicht mehr und die Sterne leuchteten in mildem Glanze vom Himmel nieder.

Das Auge des schönen Mädchens richtete sich nach oben. »Du liebst den Fex!« klang es noch jetzt in ihrem Ohre. Und das tönte auch in ihrem Herzen nach. Es war ihr so leicht, so wohl, so wonnig. Keine Spur mehr von dem Kummer, mit welchem sie die Stube des Vaters verlassen hatte.

»Fex, Fex, lieber Fex!« flüsterte sie vor sich hin.

So hatte sie ihn oft gerufen und sich doch nichts dabei gedacht, als daß er ihrem Rufe folgen solle. Und nun jetzt, was hatten diese Worte doch für einen ganz anderen Sinn! Noch lange, lange stand sie am Fenster und blickte hinüber nach der Stelle, an welcher die Fähre lag. Dann endlich trat sie vom Fenster zurück. Die Hände über dem wonnig wogenden Busen gefaltet, flüsterte sie nochmals:

»Fex, lieber Fex, gute Nacht!« -

Sie war so in Gedanken versunken und mit ihren Gefühlen beschäftigt gewesen, daß sie gar nicht bemerkt hatte, daß unten die Thür auf- und wieder zugeschlossen worden war. Der Fingerlfranz war gegangen, nachdem er noch so lange Zeit mit dem Müller gesprochen und von diesem die feste Versicherung erhalten hatte, daß am Sonntag die Verlobung gefeiert werde.

Er schritt dem Dorfe zu.

Fast in der Mitte desselben stand ein kleines Häuschen, der Besitz eines armen Webers. Auf der hinteren Seite gab es einen einfenstrigen Käfig - Stube konnte man es unmöglich nennen - in welchem sich der Hochzeitsbitter für wenige Mark jährlich eingemiethet hatte. Franz suchte dieses Fenster auf und klopfte an den Laden.

Im Inneren ließ sich ein Geräusch von raschelndem Stroh vernehmen und eine halb gähnende, halb krächzende Stimme rief ärgerlich:

»Laßt mich in Ruh, Ihr Lodrianers!«

Der gute Mann wurde nämlich sehr oft von der übermüthigen Jugend aus dem Schlafe geschreckt.


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»Es ist kein Lodrian!« antwortete der Franz.

»Wer denn?«

»Der Fingerlfranz.«

»Ach so! Was willst?«

»Mach auf! Ich hab Dir was zu sagen.«

»Bringts auch was ein?«

»Ja.«

»So werd ich öffnen.«

Nach kurzer Zeit wurde das kleine Schiebfenster aufgeschoben und der Läden aufgestoßen. Es war stille Nacht, so still, daß man leise reden mußte, um nicht von unberufenen Ohren gehört zu werden. Darum näherte der Fingerlfranz seinen Kopf dem geöffneten Fenster, fuhr aber schnell wieder zurück, denn es war ihm etwas sehr Hartes und Weißes in das Gesicht gefahren, und zwar an die noch nicht geheilte Nase.

»Donnerwetter!« fluchte er. »Was schiebst mir denn da herausi an die Nasen?«

»Den Kopf.«

»Wie dann?«

"Siehsts nicht?"

»Siehsts nicht? Ich bins ja selber!«

Ja wirklich, der Leichenbitter hatte seinen schmalen, langen Kopf, welcher in einer weißen Zipfelmütze steckte, herausgeschoben und war mit demselben dem Franz an die Nase gefahren. Aus der Zipfelmütze guckte nur die lange Nase, der breite Mund und das spitze Kinn hervor.

»So schieb doch die Nachthauben von denen Augen weg, daßt sehen kannst, wohint den Kopf auch steckst!«

»Ist nicht nothwendig. Es ist ja finstern draußen.«

»Wart, so werd ich helfen!«

Er griff zu und zog ihm die Nachtmütze ab.

»Verfluchtger Kerlen! Willst mir etwan meine neue Nachthauben mausen!« meinte der Redekünstler.

»Fallt mir nicht ein! Wozu könnt ich sie auch brauchen! Du sollst nur die Mützen von denen Augen thun, damit Du auch siehst, went vor Dir hast.«

»Das seh ich bereits. Also, was willst?«

»Sollst noch Zwei einladen für den Sonntag.«

»Schon wiedern!«

»Ists Dir zu viel?«

»Nein; aberst mit Euch kommt man halt doch gar nimmer an ein allerletztes End!«

»Nun aber wird der Schluß sein.«

»Wills hoffen. Was zahlst?«

»Wieviel willst?«

»Das kommt darauf an, wers ist.«

»Sie wohnen in der Villa bei der Mühlen.«

»Bin ich schon gewest.«


// 423 //

»Ja, in der Etagen, aber nicht im Parterr. Da wohnt ein Herr Wagner und ein Herr Ludewig. Die sollst noch einladen.«

»So sag, was es für Leutln sind.«

»Sehr vornehme.«

»Mach mir nix weiß. Ich weiß schon. Die Vornehmen, wann man zu ihnen kommt, sinds die gröbsten und dümmsten. Tausendmal möcht man wiederholen, was man allbereits zehnmal schon sagt hat, und denn erst verstehn sie's noch immer nicht.«

»So sags deutlicher.«

»Deutlicher? Wie meinst das?«

»Sollst kein Kohl reden!«

»Kohl? Donnerwettern! Willst mich etwan beleidigen? Soll ich Dich zum Zweikampfen fordern, zum Duellen? Soll ich Dir den Spekulanten senden?«

»Den Sekundanten meinst etwan?«

»Ja, 's ist egal; aberst beleidigen lasse ich mich nicht!«

»So halts Maul! Also die Beiden sind die feinsten Leut, welche geladen sind. Ihretwegen wird Kiviar mit Schokoladen und Schlammpanscher getrunken. Du mußt also Deine Sachen so fein wie möglich machen, damit sie einen Respecten vor Dir und vor uns bekommen.«

»Vor mir werden sie ihn schon bekommen, ob aber vor Euch, das kommt drauf an, wie Ihr zahlt.«

»Nun, was verlangst denn?«

»So biet doch mal!«

»Zwanzig Pfennige, für Jeden einen Groschen.«

»Was? Für so ein Lumpengeldl soll ich mich in meinen Gallum werfen!«

»Galla meinst doch!«

»Schweig! Was verstehst davon! Wann die Frau sich anputzt, so heißts Galla, und wann der Mann sich putzt, so heißts Gallum. A ist weiblich und um ist männlich. Da frag den Schulmeistern, der fast so viel gelernt hat wie ich selberst.«

»Also willst?«

»Für diesen Preis nicht.«

»So biet ich dreißig Pfennige.«

»Fallt mir auch nicht ein! Für dreißig Pfennige soll ich mich in den Gallum werfen und zwei neue Reden einstudiren! Das ist zu viel verlangt.«

»Neue Reden? Das machst Niemandem weiß.«

»So? Ach? Wast doch für ein gescheidter Kerlen bist! Natürlich muß ich bei jedem anderen Menschen auch allemal eine andere Reden halten, sonst paßts ja nicht auf ihn. Ich hab in meinem ganzen Leben bei keiner Einladung auch nur ein einzig Wörtle zweimal sagt. Das ist einzig von mir, das macht mir Niemand nach, das hat Kopf und auch Ellbogen. Und für dreißig Pfennige! So wird kein Schenie bezahlt und kein Talent! Merks!«


// 424 //

»So! Also willst nicht?«

»Für diesen Preis? Nein!«

»So sind wir fertig, denn mehr geb ich nicht. Gute Nacht! Träum Dir einen bessern Preis!«

Er kannte seinen Mann und that, als ob er gehen wolle, doch kaum hatte er drei Schritte gethan, so erklang es hinter ihm:

»Franz!«

Er antwortete nicht.

»Franz, Fingerlfranz!« rief es ängstlicher. »Komm noch mal her!«

»Lohnts auch was?«

»Mach keinen Spaß des Nachts. Man braucht den Schlaf und hat keine Zeit zu so langen Geschichten. Also sags aufrichtig, wast mir zahlen willst.«

»Nun, gar nix.«

»Oho!«

»Nein, gar nix!«

»Meinst, daß ichs umsonst thu?«

»Nein, das verlang ich nicht. Ich werd die Herren selberst einladen. Das Trinkgeld kann ich mir auch verdienen, was sie mir geben.«

»Da bekommst nix!«

»O, wenigstens einen Thalern. Die sind gar nobel!«

»Das kennt man schon! Je nobler, desto schofelner!«

»Die nicht. Die sind reich, steinreich.«

»Hast ihnen in die Taschen guckt?«

»Und Künstler!«

»So, na, da mags gehen. Die Künstlern sind immer nobel. Sie pumpen lieber Andere an, aberst ein Trinkgeldl geben sie allemalen. Also will ichs für die dreißig Pfennige machen.«

»Ist mir zu viel.«

»Wie? Hast sie doch vorhin geboten!«

»Aber jetzt nun geb ich sie nicht mehr. Hättst vorhin mitgemacht!«

»Das ist die reine Schlechtigkeiten, zumalen ich mein Geldl nicht mit Sünden und Faullenzen verdien.«

»Ich geb fünfzehn!«

»Gieb wenigstens zwanzig!«

»Nein. Gute Nacht!«

»Halt! Ich thu es für die fünfzehn!«

»O, hättst vorher eingeschlagen! Jetzt geb ich halt nur noch einen Groschen. Und wannt nicht mitmachst, so geh ich fort und Du brauchst dann auch zur Verlobung nicht zu kommen!«

Da freilich wurde es dem Manne angst. So ein Fest wie diese Verlobung wollte er auf keinen Fall einbüßen. Darum rief er schnell:

»Halt! Ich machs für die zehn Pfennige!«

»Und auch gut?«


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»Hochfein! Die beiden Herren solln in ihrem ganzen Leben noch keine solche Red gehört haben.«

»So, gut! Hier hast den Groschen. Aber geh nur bei Zeiten hin, damit sie's nicht zu spät erfahren.«

»Ich kenn schon meine Pflicht und weiß, was ich solchen Leuteln schuldig bin. Schlaf wohl!«

»Gute Nacht!«

Er warf ihm die Nachtmütze zum Fenster hinein, als der Kopf verschwunden war, und ging.

Die Andern, welche bei dem Müller gewesen waren, hatten ihren Weg nach der Stadt genommen, den Wurzelsepp ausgenommen. Dieser hatte sich von ihnen weggeschlichen und war nach dem Grabesfelsen gegangen. Bei demselben angekommen, blieb er stehen. Aus dem Innern drang eine Fülle von Tönen, die selbst er dem Fex nicht zugetraut hatte.

»Ja,« brummte er, »der hat diese Gabe vom lieben Herrgottle empfangen und laßt sie nicht brach liegen. Der bringts schon mal zu was! Er suchte nach dem verborgenen Eingange. Die Steine waren fortgeräumt und das Bret lag da. Er hob es auf und kroch in den Gang hinein, den Eingang über sich wieder mit dem Brete zudeckend. Je tiefer er stieg, desto stärker und voller wurden die Töne. Als er unten ankam, stand der Fex mit hochrothem Gesicht vor dem Tisch, auf welchem die Noten lagen, die Geige des Concertmeisters in der Hand und war in seine Lection so vertieft, daß er das Kommen des Alten nicht eher bemerkte, als bis dieser ihn anrief.

»Heda! Hörst wohl gar nimmer? Da könnt Dein ganzes Geheimniß wohl verrathen sein, und Du würdest dann erst weiter fiedeln.«

Der Fex legte die Geige fort, zog den Alten in seine Arme und rief in freudiger Erregung:

»Sepp, lieber Sepp, sie gehen alle.«

»Wer?«

»Die Musikstucken alle.«

»So? Du bringst sie also fertig?«

»Nicht blos geigen kann ich sie, sondern sogar auswendig geigen.«

»Nicht möglich!«

»Willsts hören?«

»Ja, fang an.«

Da schlug der Fex die Noten zu, setzte die Geige an und begann. Es dauerte über eine volle Stunde, daß er unermüdet geigte, ohne nur eine einzige Note auszulassen oder eine falsche zu spielen. Als er dann fertig war, streckte ihm der Sepp die Hand entgegen und sagte einfach, ohne alle Lobhudelei:

»Fex, bist wirklich ein ganzer Kerl!«

»Meinst?«

»Ja. Hast dem Concertmeistern alle seine Stücken abgestohlen, alle mit nander.«

»Und es ist kein Fehlern vorkommen, ich weiß es.«


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»So meinst, daß es gehen wird?«

»Unbedingt.«

»Und willsts wirklich wagen?«

»Ja, ich will spielen und all mein Geld auf diese eine Karte setzen. Der König ist da und der Wagner. So prächtig paßts im ganzen Leben gar nimmer wieder.«

»Aber wie willsts anfangen?«

Bei dieser Frage zog er sich eine der Cigarren hinter dem Steine hervor und brannte sie an.

»Das weiß ich freilich noch nicht. Ich muß mich da ganz auf Dich verlassen, mein lieber Sepp!«

»Ja, der Sepp! Wann Keiner was fertig bringt, so soll allemal stets der Sepp dann helfen.«

»Nein, so war das nicht gemeint. Du selbst hast mir gesagt, daßt einen guten Gedanken hättst.«

»Freilich wohl.«

»Nun, darum hab ich mir also keine Müh geben und auch gar nicht drüber nachdacht. Also bist nur selberst schuld, wenn ich Dir jetzund zur Last fall.«

»Zur Last? Fallt keinem Menschen ein.«

»Also willst?«

»Ganz gern.«

»Und wie ist Dein Gedanke?«

»Schau, das möcht ich Dir lieber noch gar nicht sagen.«

»Du meinst, ich könnt es verderben?«

»Ja. Die Hauptsach ist, daßt überhaupt das Concerten mit anhören kannst. Ich werd mit der Leni reden. Vielleicht erhältst die Erlaubniß, Dich hinter die Coulissen zu stellen. Nachhero, wann Dir das gelingt, so ists gewonnen, vorausgesetzt, daßt dann auch Deine Sachen machst.«

»Du brauchst gar keine Bangigkeit zu haben.«

»Nun gut. Jetzt aber bin ich neugierig, zu erfahren, wast in dem Stuhl funden hast.«

»Das hier.«

Der Fex zog die Brieftasche hervor, öffnete sie und zeigte ihm das Bild.

»Himmelsakra!« schrie der Sepp auf, als er kaum einen halben Blick darauf geworfen hatte. »Zeig her; zeig her! Die muß ich mir anschaun.«

Er griff mit wahrer Begierde nach dem Bilde; es schien, als ob er es mit seinen Augen verschlingen wolle. Der Fex bemerkte dies mit Erstaunen.

»Was ist mit Dir, Sepp?« fragte er.

Der Alte zog den Schnurrbart zwischen die Zähne, hustete vor sich hin und meinte dann in möglichst gleichgiltigem Tone:

»Was sollte mit mir sein?«

»Kennst etwan dieses Bild?«


// 427 //

»Wie sollt ich es kennen? Ich habs doch noch niemals in der Hand gehabt.«

»Oder die Frau?«

»Auch nicht.«

»Es schien aber ganz so.«

»Warum?«

»Weilst so schnell zugriffst.«

»Warum sollt ich nicht? Ich war neugierig drauf.«

»Hör, Du verbirgst mir was.«

»Fallt mir nicht ein.«

»Und doch, gewiß. Dein Schnurrbart zittert und Deine Augen sind ganz anders, als sonst.«

Er hatte ganz Recht; der Alte nahm sich zusammen und antwortete in gleichgiltigem Tone:

»Was so ein Guckindiewelt doch nicht Alles wissen will! Mein Schnurrbarten zittert! Na freilich zittert er, wenn ich mit dem Maul wackle; er ist ja dran festgewachsen. Und meine Augen sind natürlich anders, wann ich sie zusammenkneifen muß, um bei dieser Lampen das Bild genau zu erkennen. Weitern aber ists gar nix nicht. Und nun sag auch, ob noch was in der Brieftaschen steckt hat.«

»Das noch.«

Er gab ihm die Papiere hin. Der Sepp griff mit wahrer Begierde nach ihnen. Er öffnete sie und betrachtete sie, ohne ein Wort zu sagen. Als er sie dann auch ebenso wortlos zurückgab, fragte der Fex:

»Nun, was sagst dazu?«

»Nix.«

»Das ist wenig.«

»Mehr weiß ich nicht.«

»So kennst diese Schrift hier nicht?«

»Du weißt ja, daß ich gar nicht lesen kann. Aber solche Schrift hab ich bereits auch schon gesehen.«

»Ah! Wo?«

»In meinen jungen Jahren bin ich auch was in deren Welt herumilaufen. Da hab ich unten an der Donauen solche Schrift erblickt. Ich glaub, die Serben schreiben damit und die Wallachen und Rumänen. Es sind russische Buchstaben, wenn ich mich nicht irr.«

»Ists wahr?«

»Warum sollt ich Dich belügen!«

»Gott sei Dank! So weiß ich doch nun Etwas!«

»Was?«

»Wohin ich mich zu wenden hab, um mir die Schriften vorlesen zu lassen.«

»Willst etwan nach Rußland laufen?«

»Nein.«


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»Oder nach Serbien?«

»Auch nicht. Ich werd hinein ins München gehen und mir einen Gelehrten erfragen, der es lesen kann.«

»Ach so! Das aber hättst auch thun konnt, wanntst nicht wußt hättst, was für eine Sprachen es ist. Na, ich wünsch Dir Glück dazu. Wer aber mag die Frau wohl sein, deren Bild das ist?«

»Meine Muttern.«

»Unmöglich!« fuhr der Sepp auf.

»Freilich! Was begehrst denn so?«

»Ich? Ich bin ja ganz ruhig!«

»Na, wann das ruhig ist, so weiß ich nimmer, was unruhig ist!«

»Woher weißt denn, daß es Deine Muttern ist?«

»Weil ich sie kenne; weil ich dies Gesicht nie in meinem Leben vergessen werd. Und wannsts mit dem meinigen vergleichst, so wirst die Aehnlichkeit zwischen ihr und mir sogleich herausfinden.«

»Wie hat sie denn geheißen?«

»Das weiß ich auch nicht.«

»Du mußt sie doch genannt haben!«

»Mama hab ich sie gerufen. Das hab ich ganz vergessen gehabt, aber als ich hier das Bild sah, ist mirs allsogleich wiedern eingefallen. Und beim Namen ruft doch ein Kind die seinige Muttern niemals.«

»Ja, das ist wahr. Also weiter weißt nix von ihr?«

»Gar nix.«

»Das ist jammerschade. Jetzt hast das Bild von Deiner Muttern und kannst Dich aberst grad auf die Hauptsachen nicht besinnen, auf die es hier ankommt.«

»Vielleicht stehts hier in denen Papieren.«

»Wollen es hoffen. Ich werd mich auch mit umischaun nach Einem, der sie zu lesen vermag. Nun aberst schaff die Violinen fort und die Noten, denn in kurzer Zeit wirds Tag werden und dann bringsts nicht hinein in dem Concertmeistern seine Stuben.«

»Regnets noch?«

»Nein, Du brauchsts nicht einzuwickeln; es wird nix naß werden davon. Komm, ich geh mit.«

Sie verließen die >Kapelle< und begaben sich nach der Villa, um die Violine sammt den Noten heimlich abzuliefern. Der Tag graute wirklich schon im Osten und das Wetter hatte sich vollständig verändert, so daß ein prachtvoller Morgen zu erwarten war.

Es war für den Fex die höchste Zeit gewesen, die erwähnten Gegenstände zurückzubringen, denn als er sich von der Säule der Veranda hatte herniedergleiten lassen, ergriff er den Arm des Alten, zog ihn schnell mit sich fort und sagte:

»Komm rasch! Beinahe wär ich derwischt worden.«

»Hat der Concertmeistern Dich gehört?«


// 429 //

»Nein, aberst gesehen hätt er mich beinahe.«

»Himmelsakra!«

»Ja. Er war bereits aufistanden und lief in seiner Schlafstuben umher, im Hemden, mit der Zipfelhauben auf dem Kopf und Panteufeln an denen Füßen. Die Thür stand aufi und ich mußts sehr klug abjustiren, nicht bemerkt zu werden.«

»Na, dann ists ein großes Glücken, daß es noch mal gelungen ist. Diese Schand, wann er Dich gesehen hätt!«

»Gar keine Schand! Ich hätt schon gewußt, was ich sagen mußt, um nicht für einen Spitzbuben gehalten zu werden. Aberst ihn hättst anschauen sollen!«

»Warum?«

»Na, das ist ein ganz besonderbarer Kerlen! So alt, wie der ist, das schaut man ihm gar nicht an, wann er sich angemalt hat.«

»Malt er sich an?«

»Freilich! Ich habs ja sehen. Er strich sich mit einem Dingen im Gesicht herum, das war wie ein Pinsel, aber Federn anstatt der Haaren. Hernach schmierte er einen Lappen ins Gesicht, da wurden die Backen roch. Hernach schnitt er sich mit einer kleinen Scheeren die Haaren aus denen Nasenlöchern, und auf dem Kopf, da hat er gar keine gehabt, sondern erträgt eine Perrucken. Und zuletzt nahm er seine Zähnen aus einer Schüssel und steckt sie ins Maul. Er hat nicht einen einzigen. Das Maul war ihm eingefallen wie einer alten Frau; als er aberst das Kauwerk hineinsteckt hart, da hatt er um zwanzig Jahre jünger ausgeschaut. Nachhero bin ich fort. Ich hab allen Respectum vor seiner Geigen und seiner Geschicklichkeiten mit dem Violinbogen, aber der alte Haxen, wann er sich in die Leni verliebt und sie gar durch das Perspectivenfernrohr anschaun will, so sollt man ihm gleich Zwanzig aufzählen, aber fortissimo!«

»Ja, solche alten Kerls sind gar die Allerschlimmsten. Jetzt nun gehst wieder hinab in die Kapellen und schlafst noch ein Stündchen herab.«

»Das geht nicht.«

»Warum?«

»Weil Jemand kommen kann zur Ueberfahrt.«

»Da laß mich sorgen. Du hast in denen letzten Nächten gar nicht geschlafen, sondern gegichen und geübt, ohne ein einzig Aug zuzuthun. Das ist nix. Du bedarfst auch der Ruhen. Leg Dich nur hin. Ich werd mich hinauf ans Grab setzen, wo man Alles überblicken kann, und Dir ein Zeichen geben, wann ja ein Jemand kommen sollt.«

»Aber Du hast auch nicht geschlafen.«

»Das geht Dich nix an. So ein alter Kerlen braucht wenig Schlaf und ich hab ja am ganzen Tag nix zu thun. Ich kann mich schon spätern mal hinlegen, Du aber mußt die Augen immer aufihaben.«

Es ging nach seinem Willen. Der Fex stieg in sein geheimes Cabinet hinab und er ging hinauf auf den Felsen und setzte sich am Grabe nieder,


// 430 //

um für den jungen Freund zu wachen. Dort stemmte er das Gesicht in die beiden Hände und blickte höchst nachdenklich vor sich hin. Was sein Inneres bewegte, verriethen die halblauten Worte, welche er wiederholt vor sich hinsprach:

»Ja, es ist ihr Bild, ganz gewiß ihr Bild! Ich werd nachforschen. O, Fex, wannt wüßtest, wert eigentlich bist, was thätst da machen vor Freuden!«

Es wurde heller und sodann flutheten die ersten Sonnenstrahlen von Osten her in das Thal herein. In der Mühle begann es, sich zu regen, und auch die Thür der Villa wurde geöffnet. Der Italiener trat heraus. Der Sepp murmelte, als er ihn erblickte:

»Da ist er. Auf ihn wart ich ja. Er soll mir auch nicht entgehen, wann er auch nicht grad hierher kommt.«

Aber der Concertmeister kam doch nach dem Fluß herüber und lenkte nach dem Felsen ein. Seinem vorsichtigen Gebahren dabei war es anzumerken, daß er von der Mühle aus nicht gesehen werden wallte. Er stieg herauf. Der Sepp aber zog sich rasch hinter die Sträucher zurück. Grad dorthin, wo er soeben gesessen hatte, setzte sich der Italiener. Er konnte von der Mühle aus nicht gesehen werden, diese aber zwischen dem Busch hindurch beobachten. Er hatte sein Fernrohr abermals mit und hielt es an das Auge.

Wohl eine Viertelstunde lang beobachtete er die Fenster, hinter denen er Leni wußte. Da hielt es der Sepp nicht länger aus. Er schlich sich leise von hinten heran und legte ihm die Hand auf die Achsel.

»Grüß Gott, Herr Concertmeistern!«

Der Kleine fuhr aufs Aeußerste erschrocken empor.

»Oh Dio - ach Gott! Wer sein da?«

»Ich bins. Brauchst nicht zu derschrecken!«

»Du! Ah Du!«

Sein Gesicht nahm einen beruhigten Ausdruck an und erheiterte sich sogar.

»Ja, ich bins. Glaubsts wohl nicht?«

»O, ich es ßehr klaupen, ßehr, ßehr!«

»Schön, aber was machst denn da?«

»Ich betrachten der Mühlen.«

»So! Hast wohl schlechte Augen?«

»Warum?«

»Weilst durch das Blasrohr schaust, wannt die Mühlen sehen willst, die so nahe liegt.«

»Blaßenrohr, cerbottana? Das dok nicht ßein ein Blaßenrohr!

»Was denn?«

»Einen Fernrohr.«

»Ach so! Darf ich auch mal hindurchschaun?«

»Ja.«

»So zeig her!«

Er setzte das Rohr an und richtete es auf die Mühle. Obgleich er gar nichts sah, sagte er doch:


// 431 //

»Sapperment, welch ein fein Sperpectiven das ist! Da schaut man ja Alls ganz genau. Grad jetzund seh ich die Leni am Fenstern.«

»Leni? Die Ssängerin?«

»Ja.«

»Zeigen her! Rasch! Schnell!«

Er riß ihm das Fernrohr aus der Hand und blickte hindurch. Nach einer Weile meinte er enttäuscht:

»Ich ßehen ßie nicht!«

»So ist sie vom Fenstern hinweggegangen.«

»Wird kommen wieder?«

»Wie kann ich das wissen? Willst sie wohl gern sehen?«

»Ja, ßehr, ßehr!«

»So geh doch hin und besuch sie mal!«

»Nicht ßo, nicht ßo!«

»Nicht ßßßßo! Wie denn?«

»Ich mein - ah, ich kann Dir nicht sagen!«

»So halt den Schnabel, wannsts nicht herausbringen kannst! Aber ich wundre mich nur, daßt sie sehen willst. Du warst doch ganz bös über ihre Jodler!«

»Böß? O ja - o nein, nein, nein! Ich mich haben getäuschen in ßie! Ssie ßein eine großen Sängrin!«

»So? Woher weißt das?«

»Ich ßie haben hören ßingen.«

»Ach so! Nun, ich sagt es Dir ja gleich, daß sie es kann. Also hab ich Recht gehabt?«

»Ssehr Reckt, ßehr! Ihr Ssingen ßein ßehr kut, ßehr auskeßeichnet; aber ihre Perßon nock schöner!«

»Also gefallt sie Dir?«

»Wie ßehr kut, wie ßehr! Ssie ßein ein Enkel, angelo

»So red doch deutsch! Ich kann Deinetwegen nicht alle Sprachen der Erden auswendig lernen!«

»Kut! Ich werde ßprecken deutschen.«

»Ja, das bitt ich mir aus! Also für einen Engel hältst meine Leni? Das gefreut mich sehr, denn wann ein Dirndl Einem gefällt, so muß sich ihr Path doch drüber freun.«

»Ja, Du ßein Path! Ich erst jetzt wieder daran denk! Das ßein ßehr kut, ßehr kut!«

Er hatte bis jetzt unausgesetzt durch das Fernrohr geblickt; jetzt aber ließ er dieses sinken, zeigte neben sich auf den Sitz und fuhr fort, freundlich nickend:

»Du ßollen Dich niederßetzen!«

»Hier neben Dich?«

»Ja.«

»Nein; das thu ich schon nicht.«


// 432 //

»Warum nicht?«

»Das laßt mir der Respecten nicht zu, denn Du bist ein großer Künstler und ein vornehmer Herr.«

»Ich ßein bei Dir keinen Kunstler und auk keinen Herrn! Ich ßein Dein Freunden.«

»Ach? Das laß ich mir freilich lieber gefallen.«

»Also Dich ßetzen!«

»Schön!«

Der Alte setzte sich eng neben ihn hin, schlug ihm vertraulich auf das Knie und sagte:

»Daßt nicht so stolz bist und mich neben Dich setzen läßt, das gefreut mich sehr von Dir. Ich bin Dir gleich vom ersten Male her gut gewesen. Sag einmal, kann ich Dir vielleicht einen Gefallen thun?«

»Kefallen? Ja, ja!« nickte der Italiener.

»Dann heraus damit! Sag mir es doch!«

»Du erßt ßagen mir, ob die Leni haben ein Anbeter.«

»Anbeter? Wer soll sie denn anbeten? Sie ist doch nicht etwan ein Götzenbild.«

»Nein, nein! Ich nicht ßo meinen. Ich ßagen wollen, ein Liebhaber, Keliebter, Schatzen!«

»Ach so! Ob sie einen Schatz hat!«

»Ja, ja!«

»Nein, sie hat keinen!«

»Schön! Aber ßie ßein wohl ßehr ßpröde?«

»Ja, sehr.«

»O wehe!«

»Warum o wehe?«

»Weil - weil - weil ich ßie lieben!«

»Du? Was? Du liebst sie?«

»Unaußenßprecklick!«

»Da könnt mir auch Einer einen Storch braten!«

»Ja, Stork! Erst Liebe und dann Stork!«

»So! Willst sie wohl heirathen?«

»Ssehr kern, ßehr kern!«

»Obs auch wahr ist!«

»Ssehr, ßehr!«

»Hm! Das kann mich gefreun, wann meine Mündel eine Frau Concertmeisterin wird!«

»Ja, das ßein eine große Ehren!«

»Freilich, freilich!«

»Aber ehe ßie heirathen, ich ßie vorher wollen ßehen.«

»So geh zu ihr und schau sie Dir an.«

»Ich anders meinen.«

»Wie denn?«


Ende der achtzehnten Lieferung - Fortsetzung folgt.



Karl May: Der Weg zum Glück

Karl May – Forschung und Werk