Lieferung 103

Karl May

14. Juli 1888

Der Weg zum Glück.

Vom Verfasser des »Waldröschen«, »Verlorner Sohn«, »Deutsche Helden« etc.


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»Gewiß! Das sehe oder vielmehr das fühle ich an mir! Es ist wie ein Traum. Sind noch mehrere solcher Zellen hier?«

»Ja. Das sind Straflöchern. Sonst aberst sind die Dirndls in größern Stuben einquartirt.«

»Auch unterirdisch?«

»Ja.«

»Was sind denn das für Dirndls, von denen Sie da sprechen?«

»Lauter Dienstboten. Wir sollen halt nach Amerika, nach Californien schafft werden.«

»Ah! Entsetzlich! Jetzt weiß ich, mit welchen Leuten ich es zu thun habe.«

»Wie sind denn Sie hereinikommen?«

»Ich habe ganz zufällig den verborgenen Eingang zu diesen unterirdischen Gemächern gefunden. Ich trat hinein und ahnte nicht, daß eine Sicherheitsvorrichtung vorhanden sei. Nach wenigen Schritten wich der Fußboden unter mir und Stricke schlangen sich ganz von selbst um meinen Leib und meine Glieder. Dann wurde ich aus der Vertiefung gezogen und hier herein geworfen.«

»Herrgottle! So gehörens also gar nicht herein?«

»Ebenso wenig wie Sie.«

»Dann nehmens sich in Acht! Wanns ohne Erlaubniß kommen sind, kanns leicht um Ihr Leben gehen.«

»Das befürchte ich doch nicht.«

»O, die Menschen, mit denen wir's hier zu thun haben, die kennen halt keine Gnad und kein Derbarmen.«

»Warum hat man Sie in diese Strafzelle gethan?«

»Weil ich nicht gehorchen will.«

»Ah! Man will Ihren Willen brechen.«

»Ja. Ich hab' halt schon bereits einige Tag nix zu essen und zu trinken bekommen.«

»Mein Gott! So müssen Sie doch fast verschmachtet sein.«

»Es wird halt nicht mehr lange dauern, so ist's aus mit dem Reden. Die Zung klebt mir schon am Gaumen.«

»So kann ich Sie vielleicht erquicken.«

»Habens was zu trinken mit?«

»Einige Schlucke Wein in der kleinen Feldflasche. Aber ich kann nicht dazu, denn mir sind die Arme gefesselt.«

»Ja, wanns herkommen könnten, dann wär's vielleicht möglich, daß ich Ihnen die Stricken aufknüpfen könnt.«

»Was? Ich denke, Sie sind auch gefesselt.«

»Ja, aberst nicht so wie Sie. Ich kann die Arme lang bewegen.«

»Dann ist es freilich möglich, daß Sie mir die Stricke lösen können. Daran haben diese Menschen nicht gedacht.«

»Aberst ob's auch herkommen können?«


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»Es wird gehen. Laufen kann ich freilich nicht; aber ich komme schon noch hin.«

Nach einiger Anstrengung saß er neben dem Mädchen auf dem Stroh, und ihre Hände beschäftigten sich mit seinen Stricken. Er fühlte, da sie ja seine Hände berühren mußte, ihre Finger heiß glühen. Ihre Gestalt zitterte. Sie hatte das Fieber des Durstes.

»Nehmen Sie sich Zeit,« sagte er. »Ich denke nicht, daß wir gestört werden.«

»Das kann man halt nicht wissen.«

»Gelingt es Ihnen, mich von den Fesseln zu befreien, so bin ich gerettet und Sie sind es mit mir.«

»Meinens? Mich kann Niemand retten.«

»Warum?«

»Weil wir alle schon heut Abend auf das Schiff kommen.«

»Heut? Ich erschrecke!«

»Ja, das ist mein letzter Tag in dera Welt.«

»Gott behüte!« sagte er erschrocken.

»Ja. Mich bringens nicht auf's Schiff, sondern ich stürz mich in's Wassern. Ich mag die Schand nicht derleben, die mir da drüben bevorstehen thut.«

»Mein Kind, Gott ist allmächtig! Den Tod darf man sich nicht geben.«

»So soll ich die Schand überleben? Das könnens mir unmöglich rathen.«

Er schwieg. Was hätte er sagen sollen? Erst nach einer Weile wiederholte er:

»Machen Sie mich von den Fesseln frei, so rette ich auch Sie.«

»Das könnens nicht. Mein Schicksal ist besiegelt. Aber wanns frei kommen, so könnens mir einen großen Gefallen derweisen.«

»Gern, sehr gern.«

»Wanns nicht bös von mir denken, so will ich's sagen, was ich gern haben möcht.«

»Sagen Sie es getrost!«

»Ich hab einen sehr guten, lieben, alten Freunden, der weiß nimmer, wo ich bin und hat mich doch stets so lieb habt. Ich bin von zu Haus verschwunden wie ein Tröpfle, was vom Baume fällt. Kein Mensch weiß, wo ich bin. Ich weiß, daß heut mein letzter Tag ist. Morgen bin ich todt. Da sollens meinem Freund einen Gruß von mir schicken.«

Sie sagte das halblaut, langsam und unter Thränen. Ihre ganze Gestalt fieberte.

»Sie werden gerettet werden,« tröstete er.

»O nein, o nein!«

»Nun, auch das Schlimmste angenommen, so soll Ihr Freund den Gruß erhalten.«

»Ist's wahr?«

»Ja, gewiß. Wer ist er denn?«


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»Kommens vielleicht mal in's Bayern hinein?«

»Ja,« antwortete er. »Sie sind eine Bayerin, wie ich an Ihrer Sprache höre?«

»Ja, ich bin ein Landskind von unserm guten König Ludwig. Wann's mal dahin kommen, so werden's auch von meinem Freund hören. Er ist überall bekannt.«

»Wie heißt er denn? Uebrigens ist es mir, als ob ich Ihre Stimme schon einmal gehört hätte.«

»Da werdens sich wohl täuschen. Also dieser Freund wird allüberall dera Wurzelsepp genannt - -«

»Wie! Den kennen Sie, den?«

»Ja. Habens ihn auch schon mal sehen?«

»Ja, sehr oft.«

»Das ist schön. Da wird auch mein Gruß ausgerichtet werden. Sagens ihm - sagens ihm -«

Sie hielt inne. Der Schmerz übermannte sie. Da nahm sie sich zusammen und fuhr fort, aber stockend und unter Schluchzen:

»Sagens ihm, daß ich von daheim fortgangen bin, weil ich meinem Vatern seine Schand' nicht mit hab' ansehen konnt, daß Sie mich hier - hier troffen haben und daß ich heut - heut sterben werd', weil ich auch meine Schand nicht - nicht sehen will.«

»Kind, Kind, verzweifeln Sie nicht! Der Herrgott lebt ja noch!«

»Ja, der lebt. Ich hab' zu ihm betet Tag und Nacht, aber er hat mir keine Hilfe geben. Es ist sein Will', daß ich sterben soll und es ist wohl auch am Besten so.«

»Wie alt sind Sie denn?«

»Grad zwanzig Jahre.«

»Und in dieser Jugend haben Sie schon solche Erfahrungen gemacht, steht Ihnen ein solches Verhängniß bevor!«

»Ich mag nicht klagen.«

»Wo sind Sie her und wie heißen Sie?«

»Seiens mir nicht bös, wann ich das lieber nicht sagen möcht. Dera Sepp wird schon wissen, von wem der Gruß kommt. Und nachhera wird er auch zu ihm gehen, zu ihm - Herrgottle, ja zu ihm, und wird ihm sagen, daß ich ihn so lieb 'habt hab', so gar sehr lieb - daß ich ihm treu blieben bin bis - bis - bis zum Tod im Wasser drin. Er ist so gern im Wasser gewest und wird wohl nicht dacht haben, daß ich mal darin sterben muß.«

Es trat eine Pause ein, während welcher das bitterliche Weinen des Mädchens zu hören war. Dann fragte er:

»Von wem sprechen Sie denn?«

»Den kennens wohl nicht. Er ist ein armer Zigeunerbub gewest, aber der gute König Ludwig hat sich seiner angenommen und was Tüchtiges aus ihm macht. Dera Sepp weiß schon, wen ich meine.«

»Mein Himmel! Meinen Sie den Fex?«


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Einen Moment war sie wie erstarrt. Dann erklang es jubelnd:

»Der Fex, der Fex! Kennens auch ihn?«

»Sehr gut. Und er war Ihr Geliebter?«

»Ja. Ich aber bin fort von daheim, weil er mich nicht mehr anschauen soll.«

»So sind Sie Paula Kellermann, die Tochter des Thalmüllers in Scheibenbad?«

»Was! Auch mich kennens, auch mich?«

»Natürlich, natürlich kenne ich auch Sie!«

»Woher denn eigentlich? Wo habens mich sehen?«

»Bei sich selbst, in der Mühle, in -«

Er hielt inne und fuhr nachher fort:

»Können Sie sich des Concertes erinnern, welches der Fex mit der Leni im Theater gab?«

»Natürlich weiß ich's noch!«

»Sie waren auch da und da hab' ich Sie gesehen.«

»Herrgott, was das für eine Freud noch ist an diesem letzten Tag! Sie kennen den Sepp, den Fex und auch mich. Sogar die Leni!«

»Ja, ich kenne Euch alle so gut, daß - daß ich Sie bitte, jetzt ja Alles anzuwenden, um mich von meinen Fesseln zu befreien.«

»Das will ich; das will ich!«

Sie machte sich mit doppeltem Eifer darüber her. Dabei sagte er:

»Ich will Ihnen noch etwas Froheres mittheilen, Paula. Nämlich der Sepp ist hier in Triest.«

»Was? Wie? Der Sepp?«

»Ja, er und noch Mehrere, die Sie kennen, der Elephantenhanns, die Silbermartha, der Lehrer Walther aus Hohenwald.«

»Die - die - die Alle? O, wann die es wüßten, wo ich mich befinden thu'.«

»Und sodann ist auch noch - erschrecken Sie nicht - der Fex da, Ihr guter Fex.«

»Der - der - der Fex - -« stammelte sie wie ein Kind, welches lautiren lernt.

»Ja, er ist auch hier.«

»Wissens das sehr genau?«

»Ja. Ich bin mit ihm gefahren; er hat mich aber nicht gesehen, da ich ein Coupé allein hatte. Man erwartet mich erst Nachmittags drei Uhr.«

»Der - der - der Fex ist da!« wiederholte sie und dann fügte sie wie im Traume hinzu:

»Da wollt ich, das Wasser thät meine Leich' an's Ufer schwemmen und er käm vorbei und thät mich sehen. Dann thät er wohl bei mir niederknieen und ein Vaterunser beten. Wie schön, wann es so kommen könnt!«

»Paula, schweigen Sie! Das kann ich nicht mit anhören. Nun ich weiß, wer Sie sind, verspreche ich Ihnen, daß Sie frei sein werden.«


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»Das könnens nicht versprechen.«

»O ja, gewiß.«

»Nein, nein!«

»Ich gebe Ihnen mein Wort und das habe ich noch nie gebrochen. Nur erst die Stricke los!«

»Ich arbeit immer; aberst meine Fingern sind so schwach und zitternd worden. Da, da ist ein Knoten aufi, und nun habens die rechte Hand frei. Jetzt könnens selbst mit helfen.«

Das geschah und nach wenigen Minuten war er seine Fesseln los.

»Jetzt werde ich Sie losschneiden,« sagte er.

»Habens denn ein Messern?«

»Ja. Man hat mir nichts abgenommen, wie ich Ihnen bereits gesagt habe.«

Er zog das Messer hervor und schnitt die Stricke entzwei, ohne sich vorher die Mühe zu geben, sie aufzuknüpfen.

»So, jetzt sind Sie frei, Paula,« sagte er in mildem, wohlwollendem Tone. »Und nun sollen Sie auch trinken. Ich habe mir Schloß Miramare und Umgebung angesehen und nahm mir die Feldflasche voll Wein mit, weil ich nicht Gast sein wollte. Er wird Sie erquicken.«

Er gab ihr die Flasche hin und sie führte sie mit zitternden Händen an ihre Lippen. Sie trank nur zwei kleine Schlucke, aber sie fühlte sofort neue Kraft und neues Leben durch ihre Adern rollen.

»Hat es wohlgethan?« fragte er.

»Ja,« gestand sie. »Ich bin wie neugeboren.«

»Nun, das soll auch ein Tag der Neugeburt Ihres Glückes werden. Ich hoffe zuversichtlich, daß Sie den Fex heut noch sehen werden.«

»O nein, nein! Das darf nicht sein!« wehrte sie ab.

»Warum?«

»Er und ich, wir müssen uns meiden.«

»Dazu giebt's doch gar keinen Grund.«

»O, einen großen.«

»Welchen denn?«

»Wir passen nimmer zusammen. Er wird ein berühmter Mann sein und ich bin die Tochter eines - eines - - Sie wissen es vielleicht.«

»Ja, ich weiß es. Aber es ist ein hartes Wort, daß Gott die Sünden der Väter heimsuche an den Kindern bis in das dritte und vierte Glied. Gott ist die Liebe und die Barmherzigkeit. Er wird Ihnen nicht die Last Ihres Vaters aufbürden.«

»Und dennoch, ich darf den Fex nicht sehen. Aber den Sepp möcht ich mal schauen.«

»Wenn es zu ermöglichen ist, sollen Sie ihn sehen.«

Der Wein hatte neuen Lebensmuth in ihr angefacht. Darum wagte sie die Frage:

»Und Sie meinen in Wirklichkeit, daß ich noch gerettet werden kann?«


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»Sie und alle anderen Mädchen.«

»Wer aber sollt uns retten?«

»Ich. Ich werde mit diesen Verbrechern ein ernstes Wort reden, wenn sie nämlich noch zur rechten Zeit zu mir kommen.«

»O, das hilft nix. Sie hören auf Niemand.«

»Auf mich aber jedenfalls.«

»So sind's wohl ein Polizist oder so ein ähnlicher Herr vom Gericht?«

»Ja, ich gehöre zu diesen Beamten.«

»So mags dera Herrgott geben, daß es gelingen thut.«

»Ich denke, daß sie sich nicht mehr an uns vergreifen werden. Auf keinen Fall aber werde ich mich wieder fesseln lassen.«

»So werdens halt kämpfen müssen.«

»Hoffentlich entgehe ich der Schande, mit solchen Geschöpfen wieder in körperliche Berührung zu kommen.«

Die Zelle war nicht allzuklein. Sie erlaubte einen Gang von einigen Schritten zu machen. Er benutzte das, indem er langsam hin und her ging. Paula saß in ihrer Ecke, nippte zuweilen von dem Weine und beantwortete die Fragen, welche er an sie richtete.

So verging die Zeit. Er ließ seine Uhr repetiren - denn auch diese hatte man ihm gelassen. Sie zeigte fünf Uhr an.

Da waren draußen Schritte zu vernehmen. Es schienen dieses Mal mehr als zwei Personen draußen zu sein. Der Riegel wurde weggeschoben und die Thür geöffnet. Derjenige, welcher vorn stand, hielt eine Blendlaterne so, daß das Licht derselben nur in die Zelle fiel; er selbst und Diejenigen, welche hinter ihm standen, befanden sich im Dunkel.

Die hohe Gestalt des Gefangenen wurde vom Kopf bis zum Fuße hell beleuchtet. Aller Augen fielen auf ihn.

»Kennt Ihr mich?« fragte er, einen Schritt vortretend.

»Donnerwetter! Er hat sich frei gemacht!« fluchte der Laternenträger.

»Ob Ihr mich kennt?« wiederholte der Gefangene.

»Alle Teufel - alle Wetter - Kreuzhimmel -!« so ertönten die Flüche durch einander.

»Die Thür zu!« brüllte eine Stimme.

Zu gleicher Zeit warf Derjenige, welcher das gesprochen hatte, die Thür in's Schloß.

»Kennt Ihr ihn? Habt Ihr ihn gesehen? Ist er es auch wirklich?« gingen die Fragen hin und her.

»Zurück! Geht hier fort! Er hört drin, was außen gesprochen wird. Wir müssen berathen.«

Sie zogen sich zu einer kurzen Conferenz zurück, von welcher jedenfalls das Leben des Gefangenen abhing. -

Gegen halb drei Uhr war der Bootsmann seinem Versprechen gemäß gekommen und hatte den Sepp abgeholt. Dieser sagte, daß er den König em-


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pfangen und in das Hotel begleiten werde, um dessen Befehle entgegen zu nehmen. Dann werde er wiederkommen.

Als das Boot verschwunden war, befanden sich nur noch die drei Jünglinge auf der Insel. Sie hatten nicht die Geduld des alten Sepp. Besonders brannte der Fex vor Begierde, die Geliebte frei zu sehen.

Sie konnten unmöglich die ganze Zeit bis zu des Alten Rückkehr thatenlos verbringen. Der Fex war der Erste, der seinen Angelplatz verließ. Er hatte nichts, gar nichts gefangen und ging zu Hanns. Max wurde herbei gewinkt.

»Hört,« sagte der Fex. »Was habt Ihr für Meinung? Wollen wir wirklich warten, bis der Sepp zurückkehrt?«

»Ich dächte,« antwortete Max.

»Ja, Du kannst gut denken. Du hast Deine Braut nicht in der Höhle!«

»Man darf nicht unvorsichtig sein!«

»Eine sehr weise Regel. Aber mit Regeln bringe ich Paula nicht frei. Wann meint Ihr wohl, daß der Sepp zurückkehren wird?«

»Er wird sich sicher sputen.«

»Ja. Das heißt, der König kommt drei Uhr und ist halb vier Uhr im Hotel. Bis vier Uhr muß der Sepp berichten; dann geht's vielleicht spazieren; es giebt unvorhergesehene Störungen und wir können heut Abend zehn Uhr grad noch so dastehen wie jetzt.«

»Hm! Möglich ist's. Man weiß ja gar nicht, was der König hier will. Vielleicht kann Sepp gar nicht wieder fort von ihm.«

»Mit dieser Eventualität müssen wir rechnen. Ich werde nicht warten, bis es dunkel ist, wo man nichts mehr sehen kann. Ich erkläre Euch, daß ich höchstens bis halb fünf Uhr warten werde. Helft Ihr mir dann nicht, nun, so handle ich allein.«

Die beiden Andern erklärten, daß sie dann thun würden, was er für gut halte. Dann kehrte Jeder an seinen Angelplatz zurück.

Der Fex beobachtete den Italiener genau. Es saß nur immer einer vor der Thür der Hütte. Der Andre war ja in der Stadt, um Hilfe zu holen. Der Fex veränderte seinen Platz nach und nach so, daß er von dem Manne nicht gesehen werden konnte. Dann rannte er schnell nach der hintern Seite der Hütte zu und stellte sich dort auf.

Er hatte grad die richtige Zeit getroffen.

Die Wand war aus roher Erde aufgestampft und hatte verschiedene Risse und Sprünge. Da, wo Fex stand, konnte er durch einen dieser Risse in das Innere sehen.

Da hörte er ein eigenthümliches Knarren und Knirrschen. Er brachte das Auge an die Lücke und schaute hinein. Da sah er, daß in der einen Ecke sich der Boden zu bewegen begann. Dabei schob sich ein eiserner Ring, welcher zu irgend einem Zwecke unten an der Mauer angebracht zu sein schien, mit vorwärts.

Die Fallthür öffnete sich. Der Kopf des zweiten Italieners blickte hervor.


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»Luigi, hörst Du mich?« fragte er.

»Ja.«

»Komm schnell herab!«

»Wozu?«

»Die Leute sind da. Wir wollen uns den Gefangenen ansehen. Er muß doch Etwas bei sich haben. Vorhin hätten wir es in der Dunkelheit nicht sehen können.«

»Gleich! Was er hat, wird getheilt.«

Er trat herein und die zwei Brüder stiegen hinab, worauf sich die Fallthür wieder schloß.

Der Fex wartete noch ein Weilchen und winkte dann die Freunde herbei. Er erzählte ihnen, was er gesehen und gehört hatte.

»Also ein Gefangener ist unten, der ausgeraubt und jedenfalls ermordet werden soll,« sagte er. »Wollen wir das geschehen lassen?«

»Nein, nein!« antworteten die Beiden.

»Also hinab?«

»Ja.«

»So kommt herein. Aber haltet die Waffen bereit!«

Es war wenige Minuten über fünf Uhr.

»Hier mit Hilfe dieses Ringes muß man öffnen können, wie es scheint,« sagte der Fex.

Er bückte sich nieder und zog an dem Ringe. Sofort ertönte das bereits beschriebene Geräusch und die Thür öffnete sich. Die Drei blickten in die Tiefe. Es war nichts zu sehen als ein dunkles Loch und oben der obere Theil der Leiter.

»Ich steige voran,« erklärte der Fex.

»Halt,« warnte Max. »Werden wir auch wieder herauskönnen?«

»Allemal!«

»Nein, das ist nicht so sicher. Wenn sich die Thür über uns schließt, wissen wir nicht, auf welche Weise der Mechanismus von innen geöffnet wird.«

»Jedenfalls ebenso durch einen Ring.«

»Das fragt sich sehr.«

»Nun, so haben wir unsere Laternen mit, um nachzusehen. Und sodann wissen wir nicht, ob sich die Thür überhaupt schließen wird.«

»Es ist anzunehmen.«

»Nun, wenn wir hinunter kommen, wird es wohl noch ganz andere Chancen und Auswege geben. Vielleicht schlagen und schießen wir Alles todt, was wir finden. Dann sind wir Hahn im Korbe und können ausfliegen, wo es uns beliebt.«

»Du bist sehr getrosten Muthes!«

»Das ist das Beste bei solchen Sachen. Also kommt mir nach! Ich steige jetzt.«

Er verschwand in der Oeffnung wie ein Bergmann im Mundloche des Fahrschachtes verschwindet. Max folgte und diesem Hanns.


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Sie erreichten glücklich den Boden. Ueber ihnen war die Oeffnung wie ein handgroßes Loch zu sehen.

»Was nun?« fragte Fex. »Es giebt nur einen einzigen Gang, dem wir folgen müssen. Brennen wir an?«

»Nein,« antwortete Max. »Man könnte uns von Weitem sehen und dann wäre Alles verloren.«

»So tappen wir uns also nur fort.«

Der Fex gebrauchte Hände und Füße als vorsichtige Taster. Die beiden Andern hingen sich an ihn und so kamen sie nur ganz langsam vorwärts.

Nach langer Zeit gelangten sie dahin, wo die Lampe brannte und die eisernen Thüren beleuchtete.

»Gehen wir weiter?« fragte Hanns.

»Natürlich!« antwortete der Fex.

»Aber wenn da vorn Menschen sind, so können wir ja gesehen werden.«

»Horchen wir erst, ob wir Etwas hören.«

Sie lauschten eine Weile. Der Fex legte sich sogar auf den Boden und horchte.

»Hört,« sagte er leise, »da vorn sind Leute.«

»Wirklich?«

»Ja. Ich höre gehen und auch sprechen. So ein Gang trägt den Schall sehr deutlich fort.«

»So müssen wir hier bleiben?«

Ehe der Fex noch antworten konnte, ertönte ein lauter Ruf wie Donnerrollen durch den Stollen.

»Ganzes Bataillon, Feuer! Hurrah, der Sepp ist da, der Sepp! Feuer, Feuer!«

Eine Anzahl Schüsse krachte. Es klang hier unten wie Kanonendonner. Auch die kommandirende Stimme wurde durch die Resonanz des Ganges verzwanzigfacht, dennoch aber sagte der Fex sogleich:

»Das ist der Sepp, der Sepp! Er ist mit Leuten da. Er hat jedenfalls einen zweiten Eingang entdeckt. Er greift die Schufte an. Sie sind zwischen uns und ihm. Kommt zurück in's Dunkle. Schnell!«

Sie huschten einige Schritte zurück und warteten. Wieder erschallten Schüsse und brüllende Kommando's. Dann kamen plötzlich drei Männer herbeigeeilt, welche einen verwundeten Vierten trugen. Sie keuchten unter der Last.

»Halt!« ertönte die Stimme des Fex aus dem Dunkel ihnen entgegen. »Keinen Schritt weiter!«

Sie stutzten einen Augenblick. Einer der Italiener war dabei.

»Drauf!« schrie er.

Er riß sein Pistol aus der Tasche und schoß es gegen den Ort ab, wo der Fex stand. Aber der Schuß that nichts, denn die Kugel fehlte. Da kommandirte der Fex ganz genau so wie vorher der Sepp:


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»Ganzes Bataillon, Feuer! Hurrah, der Fex ist da, der Fex! Feuer, Feuer!«

Die Drei schossen einige Kugeln ihrer Revolver auf die Vier. Die Schüsse donnerten durch den Gang. Die Vier, alle getroffen, stürzten zur Erde.

»Hurrah! Hier der Sepp!« erschallte es von dort.

»Hurrah, der Fex!« erschallte es hier.

Dann hörte man eilige Schritte und der alte Sepp kam herbeigestürmt. Die Drei traten ihm entgegen.

»D'rauf!« rief er. »Nicht tödten, aber binden!«

Die Kerls wehrten sich zwar möglichst, wurden aber leicht überwältigt, da sie verwundet waren.

Nun erst sahen die Vier einander lachend an. Der Fex fragte den Alten:

»Woher kommst denn Du?«

»Von dorther!« Er zeigte zurück. »Und Ihr?«

»Von da her!«

»Vom Häuschen herab?«

»Ja, aber wo hast Du denn Dein ganzes Bataillon?«

»Das bin ich selberst.«

»So bist allein?«

»Ja. Aber Lärm hab ich macht für Dreißig. Da vorn liegen noch zwei Verwundete. Ich glaub halt, Einer ist todt und der Andere wird wohl noch leben. Ich hab halt keine Zeit habt, mich genau nach ihnen umzusehen. Sind vielleicht noch mehrere von diesen Kerls vorhanden?«

»Hier nicht, hinter uns ist Niemand.«

»Hinter mir auch nicht. So haben wir also keinen Angriff zu befürchten und können uns Diese hier mal anschauen.«

Die Kerls lagen so still und bewegungslos da, als ob sie todt wären. Daran war einestheils das Entsetzen schuld, welches sich ihrer bei dem so unerwarteten Ueberfalle bemächtigt hatte und anderntheils hofften sie wenigstens zunächst mit zudringlichen Fragen verschont zu werden, wenn sie sich leblos stellten.

Sie wurden untersucht und da stellte es sich heraus, daß sie zwar verwundet waren, aber noch lebten. Keiner bewegte sich.

»Wir sollen halt denken, daß sie ohne Besinnung sind,« sagte der Sepp. »Aberst ich werd gleich diesem Herrn Petruccio den Verstand zurückgeben.«

Er holte aus und gab ihm eine so gewaltige Ohrfeige, daß der Geschlagene sich schnell in sitzende Stellung aufrichtete, mit beiden Händen nach seinem Kopfe fuhr und erschrocken ausrief:

»Herrgott! Ich hatte ja gar nichts gethan!«

»Eben weil Du nix thun wolltest, hast diese Backpfeifen erhalten. Du sollst was thun, nämlich sprechen. Und da ich nun seh, daßt das kannst, so red' auch, wann ich Dich frag', sonst kannst noch mehr solche Maulschellen erhalten.«

»Verbindet uns doch zunächst! Ihr seht ja unser Blut laufen.«


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»Erst habt Ihr auf uns schossen und nun sollen wir Euch verbinden! Das könnt uns eigentlich schwer einfallen. Aberst wir sind halt gute Menschen und wollen Euch besser behandeln, als Ihr es verdient. Aber wir haben doch nix da, womit wir Euch verbinden könnten.«

»Es ist Alles da. Oeffnet die nächste Thür, da ist die Auguste, unsere Wirthschafterin, welche Euch Alles geben wird.«

»Schön! So wollen wir zunächst Eure beiden guten Kameraden auch herbeibringen. Kommt!«

Er wollte mit dem Fex und Hanns fort; aber der Erstere sagte:

»Du, keine Unvorsichtigkeit! Diese Kerls könnten uns betrügen. Sie sind wohl gar nicht so schwer verwundet, wie es den Anschein hat.«

»Meinst, daß sie uns ausreißen thäten?«

»Ausreißen wohl nicht. Sie stiegen nach oben und machten zu; dann wären wir gefangen.«

»Du, da hast Recht. Wir werden sie also wohl binden müssen.«

»Dazu haben wir auch nichts. Wir schließen sie ein.«

»Wohin?«

»Eben zu dieser Auguste.«

»Wenn sie ihnen nun forthilft!«

»Sie ist doch eingeschlossen.«

»Aberst von da drinnen kann auch ein verborgener Gang hinaufführen.«

»Wollen sehen.«

Der Sepp trat zu der ersten Thür und untersuchte sie. Sie war mit starkem Eisen beschlagen und hatte kein Schloß, sondern zwei schwere Riegel.

»Sie kann nicht von innen geöffnet werden,« sagte er. »Ich glaub, daß die Kerls da drinnen sicher aufgehoben sind.«

Er schob die Riegel zurück und öffnete. Er sah ein kellerartiges Gemach, ganz in Felsen eingehauen. Von der Decke hing eine brennende Lampe. In der Mitte stand ein steinerner Tisch und der Boden war mit Stroh belegt, auf welchem eine Anzahl junger Mädchen saßen oder lagen. Andere standen an den Wänden gelehnt. Sie schauten alle mit angstvollen Blicken nach der Thür.

Schnell trat der Fex herbei und fragte:

»Ist Paula Kellermann da?«

Es war ein erdrückender Dunst in dem Gewölbe und die Lampe brannte so trüb, daß man die Gesichtszüge der entfernteren Mädchen nicht genau erkennen konnte.

Er erhielt keine Antwort und wiederholte seine Frage. Als auch da Alle schwiegen, sagte der Sepp:

»Das muß ein Taubstummeninstitut sein. Wann sie aberst hören werden, daß ich eine Peitsche holen werd', welche die Taubstummheit sogleich heilt, so werden sie wohl antworten. Ist Eine da, welche Auguste heißt?«

Seine Drohung wirkte. Es trat Eine langsam näher und antwortete:

»Das bin ich.«

»So komm mal her, damit ich Dein Gesicht sehen kann!«


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Sie gehorchte und er sah in ein freches, cynisches Frauengesicht. Dieses Mädchen war ganz gewiß nicht unzufrieden mit dem Schicksale, welches ihrer wartete.

»Kennst Du die Andern alle?« fragte er.

»Ja.«

»Ist Eine dabei, welche Paula Kellermann heißt?«

Sie stand so, daß sie an ihm vorüber nach der Thür blicken konnte. Da sah sie den Italiener liegen, welcher ihr ein Zeichen gab, das nur sie bemerkte.

»Nein,« antwortete sie.

»Du lügst!«

»Herr, ich sage die Wahrheit!«

»Wir wissen, daß sie da ist.«

»Ich weiß nichts von ihr.«

»Du bist die Wirthschafterin?«

»Ja.«

»Kennst Du diese unterirdische Wohnung?«

»Nicht genau.«

»Wie lange bist Du da?«

»Seit einer Woche. Der Herr hat mich ausgewählt zum Führen der Wirthschaft.«

»Eine schöne Wirthschaft. Wer ist aber denn der Herr, von welchem Du redest?«

Der Italiener gab ihr abermals ein Zeichen.

»Ich kenne ihn nicht,« antwortete sie.

»Ist's der Petruccio?«

»Nein.«

»Der Jude Baruch Abraham?«

»Das weiß ich nicht.«

»Hm! Hast Du alte Leinwand zum Verbinden?«

»Ja, sie ist draußen.«

»Hole sie.«

Sie kam heraus und trat zu einer kleinen, niedern Thür, welche auch nur verriegelt war. Als sie diese geöffnet hatte, sah man einen Raum, welcher zur Aufbewahrung von allerhand Vorräthen zu dienen schien. Sie trat hinein und kam bald mit einem Packet wieder heraus.

»Zeig her,« sagte der Sepp.

»Es sind alte Lappen!«

»Wollen sehen, ob's auch wahr ist. Vielleicht hast auch was Anderes mit.«

Er untersuchte das Bündel und sah allerdings, daß es nichts Verdächtiges enthielt.

»Da, hast's wieder. Hier liegen Verwundete, welche wir zu Euch hineinthun wollen. Ihr könnt sie verbinden.«


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Er schaffte mit Hilfe der beiden Andern die Plessirten hinein und riegelte dann zu, um auch die beiden Uebrigen zu holen.

Die Mädchen traten alle herbei, um mit zu helfen. Hier in diesem Gewölbe befanden sich nur solche Dirnen, welche mit ihrem Schicksale sehr wohl zufrieden waren und sich sogar freuten, als verachtete Geschöpfe in Amerika ein üppiges aber sündhaftes Brod zu verdienen. Der Italiener wußte, daß er sich auf sie verlassen konnte.

»Habt Ihr die Schüsse gehört?« fragte er.

»Ja,« antwortete Auguste. »Und das Geschrei auch.«

»Diese verfluchten Kerls!«

»Wer sind sie denn?«

»Ich kenne sie nicht. Jedenfalls haben sie erfahren, daß Ihr hier seid, und sind nun gekommen, Euch heraus zu holen.«

»Das mögen sie bleiben lassen!«

»Ihr wollt nicht mit ihnen?«

»Fällt uns gar nicht ein!«

»Sie haben sogar auf uns geschossen!«

»Zeigt sie an, damit sie bestraft werden!«

»Das wäre die größte Dummheit, welche wir machen könnten. Unser Handwerk ist ja verboten.«

»Nein. Wir sind ja einverstanden.«

»Das gilt nichts. Uebrigens haben wir zuerst geschossen, nämlich auf den Alten. Daß noch Mehrere unten seien, konnten wir nicht wissen. Verbindet uns nur rasch. Hoffentlich hat es keine große Gefahr. Revolverkugeln machen selten Löcher in das Leben.«

Während nun einige der Mädchen den Männern die Röcke auszogen, um zu den Wunden zu gelangen und diese verbinden zu können, fuhr der Italiener fort:

»Wißt Ihr denn, was für ein Schicksal Eurer harrt?«

»Die Fremden werden uns befreien.«

»Nein. Sie werden Euch im Gegentheile Eurer Freiheit berauben.«

»Das können sie nicht!«

»Ganz gewiß können sie es.«

»Wir haben ja nichts begangen!«

»Ihr habt Euch als Freudenmädchen anwerben lassen und werdet nach Amerika verkauft. Das ist verboten.«

»Aber bestrafen können sie uns nicht dafür.«

Die Auguste schien ein auf diesem Gebiete erfahrenes Mädchen zu sein.

»Nein, bestraft könnt Ihr nicht werden,« antwortete er. »Aber man wird Euch in eine Besserungsanstalt stecken.«

»Das fehlte noch!«

»Ganz gewiß wird man es thun!«

»Ich danke! Ich kenne das. In so eine Anstalt kommt man nur auf unbestimmte Zeit.«


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»Ja, man kann Euch so lange behalten, wie man will. Das ist sehr richtig.«

»Und wer da nicht den ganzen Tag arbeitet und betet, der kommt nie wieder heraus.«

»Hört Ihr es!« sagte der Italiener. »Ich denke nicht, daß Euch das gefallen wird.«

»Nein, nein! Fällt uns nicht ein! Das mögen wir nicht!« rief es rundum.

»Aber Ihr könnt es nicht umgehen, außer - hm! Es gäbe wohl ein Mittel.«

»Welches?«

»Wenn Ihr es Euch nicht gefallen laßt.«

»Wir können doch nichts dagegen thun!«

»O doch! Ihr müßt Euch wehren.«

»Wo denn? Dann später oder hier?«

»Natürlich hier. Wenn Ihr einmal oben seid, ist es zu spät.«

In diesem Augenblicke wurden die Andern gebracht. Einer derselben war todt. Der Sepp zog sich dann mit Hanns und Max wieder zurück.

Der Todte versetzte die Mädchen in Schreck. Sie fuhren von ihm zurück.

»Fürchtet Euch nicht,« sagte der Italiener. »Ihr werdet nicht lange mit ihm beisammen sein, wenn Ihr es richtig macht. Ich weise Euch eine andere Stube an, welche viel besser ist als diese hier.«

»Du? Wie kannst Du das? Du bist ja gefangen und hast hier nichts mehr zu sagen.«

»Das kommt blos auf Euch an.«

»Wieso?«

»Haut die Kerls nieder!«

Die Dirnen sahen sich unter einander an.

Diese Sorte Mädchens sind leicht zu Gewaltthätigkeiten geneigt. Man braucht unter ihnen gar nicht lange nach Megären zu suchen. Da keine von ihnen antwortete, fragte er:

»Oder fürchtet Ihr Euch etwa vor ihnen?«

Sie schwiegen auch jetzt noch. Der Gedanke war ihnen gar nicht etwa zuwider; aber es ist doch nicht leicht, sich mit Männern herumzuschlagen, welche noch dazu bewaffnet sind.

»Das ist nur der einzige Weg, Euch davon zu befreien, daß man Euch in eine Besserungsanstalt thut,« fuhr er fort.

»Hm! Ich hätte Lust!« rief Auguste.

»Da bist Du klug. Aber es müßte bald geschehen, noch bevor diese Kerls andere Leute herbei holen.«

»Etwa gar Polizei?«

»Ganz gewiß! Nach Polizei werden sie natürlich sofort laufen.«

»Wenn diese kommt, sind wir freilich verloren. Ich bin von hier. Die Polizei kennt mich.«


// 2463 //

»Das ist schlimm für Dich und auch für die Andern. Uebrigens sollt Ihr auch nicht umsonst für Euch handeln. Ich bezahle es Euch.«

»Du willst uns Geld geben?«

»Ja.«

»Wie viel denn?«

»Wenn Ihr es so weit bringt, daß wir diese vier Halunken hier einschließen können, bekommt Jede von Euch fünfzig Gulden.«

»Baar?«

»Natürlich baar.«

»Und gleich? Nicht erst drüben in Amerika?«

»Nein, sofort hier.«

»Donnerwetter! Was sagt Ihr dazu?«

Sie wendete sich mit dieser Frage an ihre Colleginnen. Unter diesen gab es einige Zaghafte. Die Meisten von ihnen aber waren muthig und auch von kräftiger Bauart.

»Wenn wir wüßten, daß wir das Geld wirklich bekämen, so könnte man es versuchen,« sagte Eine.

»Ja, ja, dann würden wir es thun,« stimmten die Andern bei.

»Recht so!« lachte der Italiener. »Ich schwöre Euch zu, daß Ihr das Geld bekommt. Hier könnt Ihr es zwar nicht verwenden; aber das Schiff legt ja unterwegs in Italien und Spanien an. Da könnt Ihr Euch Herrlichkeiten kaufen.«

Er sagte die Unwahrheit. Er wußte ganz wohl, daß es dem Kapitän nicht einfallen werde, in einen Hafen einzulaufen. Derselbe mußte überhaupt unterwegs einen ganz ungewöhnlichen Kurs einhalten, um keinem Kriegsschiffe zu begegnen. Auch gedachte der Italiener gar nicht, sein Versprechen zu halten und ihnen das Geld zu geben. Sie konnten ihn ja gar nicht dazu zwingen; sie befanden sich in seiner Gewalt.

»Nun?« fragte Auguste, »was wollt Ihr denn beschließen? Ich mache mit.«

»Ich auch, ich auch!« riefen die Muthigen.

»Wir sind gegen dreißig Personen und sie sind nur ihrer Vier.«

»Aber sie sind bewaffnet!«

»Das thut nichts, gar nichts,« beruhigte sie der Italiener. »Ihr müßt es nur so anfangen, daß sie ihre Waffen nicht gebrauchen können.«

»Ja, wie soll das geschehen?«

»Es kommen sieben von Euch auf einen von ihnen. Wenn Ihr Euch plötzlich auf sie werft, so werdet Ihr sie leicht überwältigen.«

»Aber sie werden sich wehren!«

»Unsinn! Ihr müßt sie nur gleich fest bei der Gurgel nehmen. Das ist das Beste.«

»Da erwürgen wir sie.«

»Thut nichts!«

»O doch! Tödten wollen wir sie nicht.«


// 2464 //

»Ihr werdet keinen Mord begehen. Man erdrosselt nicht so leicht Jemanden.«

»Ja,« stimmte Auguste bei, die Unternehmendste von ihnen. »Wir machen sie nur besinnungslos.«

»Ja freilich. Dann binden wir sie.«

»Und dann?«

»Nun, das ist nachher meine Sache. Uebrigens werden wir Euch beistehen. Ich kann zwar nicht gut auf, denn ich bin am Beine verwundet, aber meine Kameraden hier sind besser daran als ich. Sie haben kräftige Hände. Also entschließt Euch schnell. Wir haben keine Zeit zu verlieren.«

»Wenn sie nun gar nicht wiederkommen?« fragte eine von den Verzagteren.

»Wir klopfen sie herbei.«

»Da bleiben sie draußen an der Thür stehen.«

»So locken wir sie herein.«

»Wie denn?«

»Wir Männer legen uns ganz hinter an die Wand und stöhnen. Ihr sagt, daß es ganz schlecht mit Einem oder Einigen von uns stehe, daß wir im Sterben liegen. Da kommen sie ganz sicher herein und ganz hinter zu uns.«

»Dann fallen wir über sie her!« meinte Auguste.

»Ja, aber so plötzlich und so kräftig, daß sie die Hände gar nicht frei bekommen können.«

»So und nicht anders wird und muß es gehen. Also stimmen wir ab! Wer macht mit?«

»Ich - ich - ich - ich!« rief Eine nach der Andern und als Zwei oder Drei doch schwiegen, fragte Auguste:

»Nun, Ihr etwa nicht? Wollt Ihr Euch denn lieber in das Besserungshaus sperren lassen?«

Da stimmten nun auch diese bei. Vor dem Besserungshause hatten eben Alle Furcht.

»So ist's recht!« rief Auguste. »Sie werden hereingelockt und überfallen. Dann lachen wir sie gehörig aus!«

Sie hatte das sehr laut gesprochen, wie die ganze Verhandlung überhaupt nicht etwa flüsternd geführt worden war. Darum sagte Petruccio:

»Schrei nicht so! Die Kerls sind im Stande, draußen zu horchen und Alles zu hören!«

Er hatte nicht so ganz Unrecht.

Als Sepp mit seinen jungen Freunden die beiden Letzten in das Gewölbe gebracht hatte, war er natürlich so vorsichtig gewesen, die Thür wieder zu verriegeln. Dann schaute er in den Vorrathsraum, aus welchem Auguste das Verbandzeug geholt hatte.

»Ah!« sagte er. »Hier ists gar nicht so übel. Schaut doch auch mal hereini!«


// 2465 //

Er nahm die Lampe, welche den Gang erleuchtete, und trat in das Gewölbe.

In der Mitte desselben stand ein Tisch mit mehreren Stühlen. Rundum waren Holzstellagen angebracht, auf welchen allerlei Lebensmittel lagen. Unten auf dem Boden standen volle Wein- und Bierflaschen, und auf einer der Stellagen sah man Gläser und sogar einige volle Cigarrenkistchen.

»Das paßt schön!« meinte der Alte. »Wir müssen uns doch sagen, wie wir da herabkommen sind, und das können wir in Gemüthlichkeiten thun. Wir brennen uns eine Cigarren an und trinken einen Wein dazu.«

Er schaffte Cigarren, Gläser und Wein herbei und setzte sich behaglich an den Tisch. Die beiden Anderen folgten diesem Beispiele.

Der Wein erwies sich als nicht übel, und die Cigarren waren sogar noch besser.

»Schaut, was für ein Leben diese Schufte hier führen!« sagte der Alte. »Die lassens sich wohl sein wie dera Herrgott in Frankreich. So gut haben wirs halt nicht. Aberst von jetzt an soll es ihnen nicht wiederum so wohl werden. Wir wollen ihnen den Braten verderben. Aberst nun sagt doch mal, wie Ihr da herunter kommen seid!«

Max erzählte es. Er hatte eben seine Erzählung beendet, da ertönten laute Stimmen von drüben herüber.

»Die Dirndln scheinen lustig zu sein,« sagte der Sepp. »Wollen doch mal hören, wovon sie sprechen.«

Er trat hinaus und horchte. Dann kam er wieder zurück und meldete:

»Hört, das war gut, daß ich horcht hab!«

»Hast was erlauscht?« fragte Hanns.

»Freilich! Und wann ichs nicht hört hätt, so konnt es uns schlecht ergehen.«

»Sie haben doch nicht etwa etwas gegen uns vor?«

»Natürlich haben sie!«

»Was denn?«

»Sie wollen uns hineinlocken und dann drin überfallen. Ist das nicht köstlich?«

»Hasts denn auch richtig verstanden?«

»Ganz genau, Wort für Wort.«

»Wer hats denn sagt?«

»Die Auguste war es. Ich hab sie an dera Stimm erkannt. Sie sagte: 'Sie werden herein gelockt und überfallen. Dann lachen wir sie aus!' Und darauf meinte dera Italiener, sie solle nicht so schreien, weil wir horchen könnten.«

»Das ist stark!«

»Nicht wahr? Wir wollen sie retten, und sie überfallen uns dafür!«

»Eine solche Dankbarkeit hätte ich freilich nicht von diesen Mädchens erwartet.«


// 2466 //

»O, das sind die Richtigen! Hasts denn dera Auguste nicht anschaut, was sie ist?«

»Ein gemeines Gesicht hatte sie freilich.«

»Ein freches Weibsbild ist sie. Und die bei ihr sind, werden nicht viel besser sein.«

»Und mit solchen Subjecten ist Paula zusammen gesperrt!« sagte der Fex. »Herrgott, Sepp, ich vergesse sie ja ganz!«

»Nein, sie wird nicht vergessen.«

»Wir müssen sie suchen, und zwar rasch!«

Er stand vom Stuhle auf.

»Bleib sitzen!« sagte der Alte.

»Nein, ich muß fort!«

»Eile mit Weile! Setz Dich nur wieder nieder! Zunächst wissen wir ja gar nicht, ob sie auch wirklich hier ist.«

»Sie ist hier!«

»Das hab ich auch denkt; aberst die Auguste hat doch grad das Gegentheil sagt.«

»Sie hat gelogen.«

»Aus welchem Grunde denn?«

»Das weiß ich nicht.«

»Warum sollte sie die Paula verleugnet haben? Sie weiß doch nicht, daß wir sie kennen.«

»Wir haben ihren Namen genannt; also müssen wir sie doch wohl kennen. Sepp, komm!«

»Nein, warte nur noch! Jetzund müssen wir erst überlegen, was zu thun ist.«

»Das ist bald gesagt. Wir müssen die ganzen unterirdischen Löcher durchsuchen.«

»Ja, das müssen wir. Weißt, was ich denk?«

»Nun, was?«

»Daß es Gute und Schlechte hier unten giebt. Die Schlechten waren Die, die wir sehen haben. Denen liegt gar nix dran, daß wir sie heraus holen wollen. Die Guten aberst sind wo ganz anderst eingesperrt. Und bei denen wird sich die Paula befinden, wann sie wirklich da ist.«

»Du hasts doch selber sagt, daß sie hier ist, hast mich sogar deswegen kommen lassen.«

»Ich kann mich auch geirrt haben. Wir werden ja sehen. Ein Glück ists gewest, daß Ihr unten wart, als ich kam. Ich hätt mich in großer Gefahr befunden. Ich hab nicht schlecht lauscht, als ich Euch schießen hört und dazu rufen: Der Fex ist da!«

»Wir waren ebenso erstaunt, als wir den Deinigen Ruf vernahmen.«

»Ja, brüllt hab ich schrecklich und gleich dazu ein ganzes Bataillonen commandirt, damit sie Furcht bekommen sollten.«

»Wie aber bist denn hereini kommen?«


// 2467 //

»Das war halt eine ganz eigenthümliche Geschichten, die ich Euch verzählen muß.«

Er goß sein Glas voll, nahm einen tüchtigen Schluck und begann sodann:

»Ich fuhr um halber Drei nach dera Stadt, weil um Drei dera König kommen wollt - -«

»Ist er kommen?«

»Nein. Er hat es für ganz gewiß sagt. Es muß ihm ein Hinderniß dazwischen treten sein. Ich hab den Zug kommen sehen und Jeden anschaut, welcher ausstiegen ist, aberst dera Herr Ludwigen war nicht dabei.«

»So kommt er vielleicht gar nicht.«

»Das ist auch möglich. Vielleicht hat er sich anderst besonnen. Weißt, er hat oft so ganz eigenartige Gedanken. Zuweilen will er gar nicht mehr König sein.«

»Herrgottle! Ists möglich?«

»Jawohl.«

»Das wär ja traurig!«

»Nachhero wieder will er blos nicht mehr in Bayern regieren. Er will sich einen andern Thron suchen.«

»Warum denn aber?«

»Weiß ich es! Man kann gar nicht begreifen, woher solche Gedanken kommen.«

»Ist er denn krank?«

»Wo soll er denn krank sein?«

»Hier oder hier.«

Max deutete nach seinem Kopfe und seinem Herzen. Der alte Sepp antwortete:

»Sein Kopf ist gut. Das möcht ich beschwören, wenn er auch so nach seiner eigenen Art handelt. Könige brauchen nicht wie andere Menschen zu sein. Aberst mit seinem Herzen, ja, da kann es leicht eine Bewandtnissen haben.«

»Kennst dieselbige wohl?«

»Ja.«

»Es ist ein Geheimnissen?«

»Nein. Er hat eine Prinzessinnen lieb habt und ist schon mit ihr verlobt gewest. Das hat er wieder rückgängig machen müssen.«

»Warum?«

»Ich weiß es nicht. Aberst angriffen muß es ihn haben, denn es thät ja Unsereinen angreifen, und so ein Herr hat ja ein gar viel feineres, zarteres und vornehmeres Herz als Unsereiner.«

»Drum ist er oft so traurig.«

»Ja, er redet wenig und ist am Liebsten ganz allein. Ists da zu verwundern, wann allerlei Gedanken kommen?«

»Gewiß nicht. Weißt, mir sind, seit die Paula verschwunden ist, auch schon solche gekommen. Ich weiß davon zu reden.«


// 2468 //

»Das glaub ich wohl. Jetzt nun hat er die Idee, Schloß Miramare zu kaufen.«

»Was will er damit? Er hat ja Schlösser!«

»Schlösser genug! Die schönsten und prächtigsten, welche es giebt in dera Welt! Aberst weil es dem guten, unglücklichen Kaiser Max sein Eigenthum gewest ist, will er es haben. Darum kommt er incognito her und will sichs heimlich anschauen.«

»Wem gehörts denn jetzt?«

»Dem Kaiser von Oesterreich.«

»Wills denn der verkaufen?«

»Das kann ich nicht wissen. Kurz und gut, dera König wills sich anschauen. Deshalb kommt er her. Ich sollt die Zimmern bestellen und ihn am Bahnhofe erwarten. Als er aberst nicht kam, nahm ich die Gelegenheit wahr, zum Juden zu gehen, um nachzuschauen, wie es dort steht.«

»Hat sich was ereignet?«

»Nein. Doch ist der Capitän Marmel da gewest, um mit Baruch Abraham zu reden.«

»Sapperlot! Das ist dumm!«

»Warum?«

»Da wird Alles verrathen.«

»Gar nix wird verrathen. Es ist ja dem Juden sein Verwandter da.«

»Der Polizist? Wanns der Capitän glaubt!«

»Er hats glaubt. Der Polizist hat sagt, sein Vetter hätt ihn beauftragt, zu sagen, daß Alles in Ordnung sei. Heut Abend wär er wiederum zurück, und dann könnt die Sach vor sich gehen.«

»Das ist gut. So fangen wir diesen Franzosen. Darauf freu ich mich.«

»Ich mich auch. Nachhero wollt ich natürlich wieder zu Euch her. Ich wollt nach dem Hafen, wo dera Bootsmann wartete. Da sah ich auf einmal den Petruccio laufen.«

»Wir haben glaubt, er sitzt in dera Hütten.«

»Nein; er war in dera Stadt.«

»Wie ist er da fortkommen?«

»Durch einen heimlichen Gang, denselbigen, durch den ich hereinikommen bin.«

»Was hat er in dera Stadt wollt?«

»Das hab ich mich auch fragt. Weißt, er hat so heimlich than, und sich so still umischaut, daß ich gleich denkt hab, er muß was Böses vorhaben.«

»Bist ihm nicht nachgegangen?«

»Freilich bin ich. Er hat aber sein Werk schon bereits vollbracht habt, denn er ist aus dera Stadt fort und hat draußen wartet. Da sind die Kerls hinter ihm herkommen, die jetzt mit ihm einsperrt sind. Er wird wohl denkt haben, daß wir uns nicht in einer freundlichen Absichten auf dera Insel befinden. Er hat Hilfe braucht und sie sich dann holt.«


// 2469 //

»So ists, gewiß so. Bist hinter ihnen her?«

»Ja. Es war halt gar schwer, es so zu machen, daß sie mich nicht sehen konnten; aber es ist mir doch gelungen. Ich hab denkt, er werd mit ihnen in einem Boot nach dera Insel fahren; aber da hab ich mich irrt.«

»Sie sind laufen?«

»Ja, bis nach Miramare.«

»Du, jetzt begreife ichs. In Miramare endet wohl dera heimliche Gang?«

»Ja. Vor dem Schlosse haben sie sich trennt. Weißt, daß es nicht so sehr auffallen soll. Er ist ganz allein gangen. Ich hab ihn nicht aus denen Augen lassen und bin immer hinter ihm her.«

»So haben Dich aber doch die Andern sehen!«

»Ich mußt allerdings an ihnen vorüber; aber sie kannten mich doch nicht und haben gar nicht wissen konnt, daß ich es auf ihn und auf sie abgesehen hatt.«

»Ja, das ist freilich richtig. Wie ist es denn nachhero kommen?«

»Er ist in den Schloßpark hineinschlichen und ich immer hinter ihm her, aberst so, daß er mich nicht hat sehen konnt. So ists eine ganze Weile fort gangen. Er lief auf dem Weg, ich aber seitwärts hinter denen Sträuchern, hab ihn aber nicht aus denen Augen lassen. So sind wir ganz nach hinten kommen, wo die Felsensteine sind. Da steht ein kleines Häusle aus Stein. Es hat nur drei Wände, denn mit dera vierten Seit stößt es an die Felsen. Da ist er hinein.«

»Er hat wohl dort auf die Andern warten wollt.«

»Jedenfalls. Wenigstens hab ich mir sagt, wenn er sie aus dera Stadt holt hat, muß er ihrer doch bedürfen, und sie werden also auch zu ihm kommen.«

»Da hast nun wohl aufpaßt?«

»Ja.«

»Das war gefährlich. Sie konnten Dich ja leicht ertappen, da Du nicht wissen konntest, woher sie kamen.«

»Das hab ich mir auch sagt, und darum hab ich mir einen Ort sucht, an dem mich Niemand sehen konnt. Ich hab denkt, daß ich einen Ort wählen muß, an welchem ich sie vielleicht belauschen konnt. Und so einen gabs glücklicher Weise ganz in dera Nähe. Nämlich grad neben dem Dach des Häuschens war ein Felsstück, auf welches man sehr leicht steigen konnt. Sträuchern standen auch da, so daß man da ganz verborgen lag. So hab ich also einen kleinen Bogen, einen Umweg macht bis dorthin und bin hinaufi stiegen. Als ich dann oben lag, hab ich zu meiner Freud sehen, daß das Dach defect gewest ist. Es waren Löchern drin, durch welche man hat schauen können. Als ich nun da hinter blickt', sah ich den Petruccio auf einer Steinbank sitzen. In dera Mitten stand ein Felsentisch und an der vierten Wand, weißt, wo dera Fels gewest ist, war ein Drachenkopf ausgehämmert, der ein großes Maul aufsperrt hat.«

»Das wird zum Wasser gewest sein.«


// 2470 //

»Ja, denn darunter war ein steinernes Becken, in das er früher wohl ein Quellwasser speit hat. Jetzund aber war es trocken und dera Quell hat kein Wasser mehr gehabt. Das Häusle ist so ein Pavillon oder eine Eremitage gewest, wie es die vornehmen Leutln nennen.«

»Und er hat so still da gesessen?«

»Ja, er hat nix macht und nur immer ausischaut, ob die Andern bald kommen werden. Endlich kamen sie. Da hat er fragt:

'Hat Euch Jemand gesehen?'

'Nein,' war die Antwort.

'So ists gut! Wir wollen hinab; dreht Euch also um!'

'Warum denn?'

'Weil Ihr nicht zu sehen braucht, wie der heimliche Eingang geöffnet wird.'

'Was schadet es, wenn wir es sehen?'

'Viel. Es ist genug, daß ich es weiß.'

Da drehten sie sich um, und ich hab aufpaßt, was er nun machen werd. Darauf kam es an.«

»Hasts denn sehen?«

»Sehr genau.«

»Das ist sehr gut. Wie hat ers denn gemacht?«

»Das hab ich nicht sehen können. Ich hab nur bemerkt, daß er dem steinernen Drachenkopf in den Rachen griff. Darauf hat sich ein Theil der Wand bewegt grad wie eine Thür. Sie ist aufgangen, und dann durften sich die Andern wieder herum wenden.«

»Dann gingen sie wohl hinein?«

»Ja, sie verschwanden, und die Thür ging wieder zu. Dabei hat es schnappt und klappt; wie wenn eine Feder einfallen thut.«

»So also ists gewest. Dann bist doch gleich nach?«

»Nicht sogleich. Ich hab mirs erst überlegt.«

»Was gab es da zu überlegen? So einem Geheimnissen muß man doch nachgehen.«

»Jawohl. Aberst es gab dabei Zweierlei oder gar noch mehr zu bedenken. Erstens mußt ich mir sagen, ob es nicht doch vielleicht besser sei, wann ich in einem Kahn zu Euch herüber fahren thät. Ich wußt nicht, wie es mit Euch stand.«

»O, da war Alles gut.«

»Ihr konntet mich aberst doch brauchen und vielleicht mit Schmerzen auf mich warten.«

»Wir haben gewartet; das ist wahr. Aber als Du nicht kamst, haben wir die Sach ohne Dich in die Hand genommen. Und es ist gelungen.«

»Es konnt auch sehr mißlingen.«

»O, wir waren unser Drei und hatten Waffen in denen Händen. Weiter!«

»Zweitens konnt ich nicht gleich hinter ihnen her, weil ich die Oertlichkeit nicht kannt. Es war möglich, daß ich ihnen in die Hände lief.«


// 2471 //

»Ja, da mußtest Du freilich warten.«

»Wenigstens so lange, bis ich annehmen konnt, daß sie fort seien. Und drittens hab ich mich doch auch fragen mußt, ob ich wieder herauskönnen werd.«

»So mußten wir auch uns fragen.«

»Ja, Ihr wart eben Drei, ich aber blos Einer; ich hab wußt, wie viele unten sind, Ihr aber nicht. Ihr konntet es also leichter wagen, hinunter zu gehen als ich.«

»Hast aber endlich doch die Courage gehabt.«

»Ja, ich hab mir sagt: Sepp, Du steigst abi. Fressen werden sie Dich nicht. Bist ja doch nur Knochen und Haut. So bin ich also vom Felsen stiegen und in die Hütte treten.«

»Da hast in das Drachenmaul griffen?«

»Ja. Ich hab mir natürlich denkt, daß es da drin zu finden ist, wie man öffnet.«

»Und hasts funden?«

»Ja. Ganz hinten im Rachen war ein Griff, ein Drücker, so lang und stark wie mein kleiner Finger. Da hab ich drückt, und die Thür ist aufigangen.«

»Das ist leicht gewest. Wer aber hätt in dem Rachen das Schloß suchen konnt!«

»Ja, wann ichs vorhin nicht sehen hätt, daß er da hinein griff, hätt ichs all mein Lebtage nicht funden.«

»Und nun bist hinein?«

»Ja, aberst nicht gleich hinab.«

»Warum nicht?«

»Aus Vorsicht. Ich hab mich erst überzeugen wollt, ob ich auch wieder heraus kann.«

»Das ist freilich nöthig gewest.«

»Ich hab zunächst horcht, ob ich was hör. Es ist Alles still gewest, und da bin ich hinein. Es ist ein Gang zu sehen gewest, so hoch und schmal, daß ein Mann grad Platz hat. Ich hab mir nun die beiden Seiten neben der Thür anschaut, und da fand ich eine ganz einfache eiserne Klinke, welche einen Draht hatte, der hinauf in den Drachenkopf führte. Wann man in demselbigen drückte, sprang die Klinke auf. Von innen öffnete man, indem man dieselbige direct empor hob. Nun hab ich die Thür leise zu macht - -«

»Und bist in den Gang hinein?«

»Ja. Vorher aber hab ich meine Latern heraus nommen und sie anbrannt.«

»Du, das war dumm!«

»Warum?«

»Man konnt Dich von Weitem sehen!«

»Meinst, daß ich so dumm bin, mich sehen zu lassen?«

»Wann die Laterne brennt, muß man sie ja sehen!«


// 2472 //

»Wann Niemand da ist, sieht man sie nicht.«

»Du konntest doch nicht wissen, wo sie waren. Wir haben unsere Laternen nicht anbrennt.«

»So seid froh, daß es so gut ablaufen ist. Wann ich die Latern nicht gehabt hätt, wärs mir traurig ergangen.«

»Wie so?«

»Zunächst hab ich natürlich das Licht nicht weit in den Gang hinein scheinen lassen. Ich hab die Hand so davor gehalten, daß es nur bis eine oder zwei Ellen vor mir den Boden erleuchtet hat. Ich bin sehr langsam vorwärts schritten und hab, als ich ungefähr zehn Schritte macht hab, still stehen müssen, weil ein tiefes Loch im Boden war. Ich hab hinab leuchtet und gesehen, daß es tiefer als ein Mann war.«

»Sapperment! In dasselbige wärst Du stürzt!«

»Ja. Am Rand lagen einige Stricke.«

»Wozu?«

»Sagen kann ich es nicht gewiß, aber denken kann ichs mir. Neben dem Loch stand der hölzerne Deckel für dasselbige an dera Mauer. Ich mein', daß man das Loch öffnet, damit Derjenige, welcher heimlich und unberufen in den Gang tritt, hineinstürzen soll. Dann wird er mit Stricken bunden und herauszogen.«

»Das wird sein.«

»Ich hab den Deckel darauf legt und bin darüber schritten. Gleich dahinter war eine Nische, in welcher die Kerls wohl warten, bis Derjenige in das Loch stürzt ist. Als ich nachhero weiter kam, hab ich eine Thür sehen zur linken Hand, die stand aufi.«

»Wer war drin?«

»Das weiß ich nicht. Es war kein Zimmer, sondern ein Gang, den sie verschloß. Nachhero bin ich weiter, bis ich hab sprechen hört. Da hab ich die Latern in die Taschen steckt und bin leise vorwärts gangen.«

»Ah, jetzt kommts!«

»Ja, jetzt kommts. Ich bin immer näher kommen und hab die Stimmen immer deutlicher gehört. Dann sah ich einen Lichtschein. Die Kerls standen beisammen und sprachen mit nander. Einer hielt das Licht.«

»Hasts hört, was sie sagten?«

»Ja. Sie wollten Einen morden.«

»Sapperment! Wen?«

»Das weiß ich nicht. Ich hab nur hört, daß derselbige heimlich hereinkommen und in das Loch fallen ist. Sie haben ihn mit Stricken bunden und in eine Zelle schafft. Nun wollten sie ihn dermorden.«

»Welche Hallunken!«

»Ja, Hallunken sind es, und was für welche! Derjenige, den sie haben tödten wollt, hat hinter dera Thür steckt, in deren Nähe sie standen. Einer von ihnen hat die Thür aufimacht und ein paar Worte hineinsprochen. Der Andre hat mit dem Licht leuchtet, so daß sie den Mann sehen konnten. Und hinter ihm hat Einer die Pistole emporgehoben, um zu schießen - - -«


Ende der einhundertdritten Lieferung - Fortsetzung folgt.



Karl May: Der Weg zum Glück

Karl May – Forschung und Werk