Lieferung 20

Deutscher Wanderer

2. Februar 1884

Die Liebe des Ulanen.

Original-Roman aus der Zeit des deutsch-französischen Krieges von Karl May.


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Es war aus den Mienen des Mädchens sicher zu erkennen, daß der Name Fabier ihm verhaßt sei, und Königsau hielt sich davon sofort überzeugt.

»Fahren Sie weiter fort, Mademoiselle!«

»O bitte, ich wollte nichts sagen, Monsieur.«

»Aber Sie nannten ja einen Namen!«

»Er entschlüpfte mir nur so.«

»Sagten Sie nicht Fabier?«

»Ja.«

»So ist Ihnen vielleicht auch der Name Barchand bekannt?«

Da hob sie schnell den Kopf empor und fragte:

»Barchand? O, kennen Sie ihn?«

»Ich weiß es nicht genau. Waren diese Beiden vielleicht auch hier im Walde?«

»Ja.«

»Nun, sie werden nicht wiederkommen.«

»Warum?« fragte sie überrascht, und zwar sichtlich in freudiger Weise.

»Sie sind todt.«

»Todt? Gestorben? Ist's möglich? Ist es wahr? Monsieur?«

»Ja, es ist wahr.«

»Wo? Wo sind sie gestorben?«

»Sie haben einander getödtet. Ich selbst habe ihre Leichen gesehen, jenseits Sedan.«

»Wann?«

»Heute Morgen.«

Da erhob sie sich von ihrem Sessel, kam langsam auf ihn zu, legte ihm das kleine Händchen auf den Arm und sagte:

»Ist dies wahr, wirklich wahr, Monsieur?«

»Gewiß!«

»Sie können es beschwören?«

»Mit allen Eiden der Welt.«

»O, dann sei Gott tausendmal Lob und Dank! Wissen Sie, Barchand war einer der Anführer dieser bösen Leute, welche mich und Mutter so belästigen. Und Fabier war mein Dämon, mein böser Geist.«

»Ah, er liebte Sie?«

»Er sagte es. Noch gestern früh war er hier und sagte, daß er heute als ein sehr reicher Mann zurückkehren werde. Dann solle ich seine Frau werden oder sterben.«

»So hat er die Tochter Barchands betrogen!«

»Hat er das? Hat er ihr gesagt, daß er sie liebe?«

»Ja, um ihren Vater zu gewinnen.«

»Und woher wissen Sie das Alles?«

»Ich habe sie vor ihrem Tode belauscht. Ich will Ihnen nun aufrichtig sagen, daß Fabier Barchand getödtet hat, aber zur Strafe und um meiner eigenen Sicherheit willen habe ich ihn dann selbst erschossen.«

»Sie? Ihn?« fragte sie, als könne sie es nur schwer glauben und begreifen.

»Ja, mit dieser meiner Hand. Ich habe auch Beide eingescharrt.«

»Jenseits Sedan?«

»Jenseits Sedan!« nickte er.

»Und sie kommen also nicht wieder?«

»Niemals!«

Da holte sie tief Athem und faltete die Hände.

»Monsieur,« sagte sie, »bereuen Sie Ihre That nicht! Sie haben ein gottgefälliges Werk vollbracht. Sie sind mein Retter und der Retter vieler Andern geworden. Dieser


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Fabier hätte mich noch in den Tod getrieben; denn ich verabscheute ihn.«

»Ja, Sie lieben ja einen Andern.«

»Einen Andern?« fragte sie erröthend.

»Gewiß! Sie selbst haben es mir ja gesagt und gestanden.«

»Ich? Unmöglich!« antwortete sie.

»O, nicht Ihre Worte, sondern Ihr Erröthen, Ihre Verlegenheit haben es mir verrathen.«

Sie wollte sich abwenden, er aber hielt sie bei den Händchen fest und fragte:

»Darf ich es sagen, wen Sie lieben, Mademoiselle?«

»Sie wissen es nicht! Sie können es nicht wissen!« widerstrebte sie.

»Und doch weiß ich es. Der junge Baron ist es, dem Ihr Herz gehört.«

»Monsieur,« rief sie erbleichend.

»Darum wurde Ihr Großvater entlassen.«

»Sie irren.«

»Und darum wurde die Frau Baronin so bös auf Sie, mein Kind.«

»Sie sind sehr grausam, Monsieur!«

»O nein. Ich möchte Ihr Freund sein und Ihnen helfen. Hat der Baron Ihnen bereits gesagt, daß auch er Sie lieb hat?«

Sie schüttelte leise das Köpfchen.

»Aber er ist freundlich, liebreich und zuvorkommend gegen Sie gewesen? Er ist so zu Ihnen gewesen, wie man nur zu einem Mädchen ist, welches man lieb hat?«

Sie nickte langsam und zog dann ihre Hand aus der seinigen.

»Monsieur,« sagte sie, »ich weiß gar nicht, wie das kommt, daß ich Ihnen das Alles mittheile. Ich wage, Ihnen Dinge zu sagen, weiche ich niemals einem Andern mitgetheilt habe. Meine Aufrichtigkeit könnte mich in große Gefahr bringen.«

»Niemals, mein Kind, denn es wird kein Mensch erfahren, daß Sie es sind, welche mir dies Alles gesagt hat. Wenn ein wirklich guter Mensch zu einem Andern kommt, so öffnet sich selbst das verschlossenste Herz. Das ist die Macht, welche ein ehrliches, offenes Menschenangesicht ausübt. Nun aber ist meine Zeit abgelaufen. Ich hoffe, daß ich Sie wiedersehe. Kehrt die Baronin nicht bei Ihnen ein?«

»Niemals.«

»Kommt der Herr Baron auch nicht?«

»Zuweilen,« gestand sie.

»Wo ist Ihre Mutter?«

»Sie ist oben beschäftigt.«

»Und darf ich Ihren Namen wissen?«

»Ich heiße Bertha.«

»Und wie noch?«

»Bertha Marmont.«

»Ich danke. Leben Sie wohl, Mademoiselle Bertha! Ich danke Ihnen recht herzlich für Ihre freundliche Warnung. Gott lasse Sie recht, recht glücklich werden!«

Er reichte ihr seine Hand. Sie hielt dieselbe fest, sah ihm voll in die Augen und fragte:

»Sie werden auch gewiß meine Warnung befolgen?«

»Gewiß.«

»Sie werden singen Ma chérie est la belle Madeleine!«

»Ich werde es pfeifen. Weiterhin, von dem Kreuze ab ist der Wald wohl sicher?«

»Ja, bis Le Chêne; jenseits aber kenne ich keinen Rath.«

»Sie meinen jedoch, daß es dort auch nicht geheuer ist.«

»Man hört von dort viel Böses erzählen. Nehmen Sie sich sehr, sehr in Acht, Monsieur.«

Er gab ihr ein Goldstück und ging, ohne sich Etwas herausgeben zu lassen. Sie begleitete ihn bis vor die Thür und sah ihn aufsteigen. Als er davongaloppirte, blickte sie ihm nach, bis er hinter der ersten Krümmung des Weges verschwunden war; dann sagte sie nachdenklich zu sich:

»Das war ein guter Mensch, ein sehr guter Mensch. Er hatte so treue, ehrliche Augen, viel treuer und guter als der Baron, den ich doch so unendlich lieb habe. Er trug ganz einfache Kleider, aber er war doch ein feiner Herr. Er ritt gerade wie ein Officier. Er hat mir seinen Namen verschwiegen. Ich möchte wohl recht gern wissen, wer er ist. Wenn er nur um Gottes Willen nicht vergißt, das Lied zu pfeifen.«

Ganz ähnliche Gedanken hatte auch Königsau.

»Ein schönes und ein braves Mädchen!« dachte er. »So gut, rein und kindlich, obgleich sie von der Sünde und dem Verbrechen umgeben ist. Ich wette, daß sich zwischen ihr und dem Barone noch eine Art Roman entspinnt, und wünsche nur, daß er sich für sie nicht allzu unglücklich enden möge.«

Er ritt schnell seines Weges und legte eine Krümmung des letzteren nach der andern zurück. Kurz bevor er die fünfte erreichte, lockerte er seine Pistolen, um schnell zum Schusse bereit zu sein. Und als er das Kreuz erblickte, begann er das in ganz Frankreich damals bekannte Liebeslied Ma chérie est la belle Madeleine laut und fröhlich hinaus zu pfeifen. Dabei suchten seine Augen verstohlen etwas Verdächtiges zu entdecken.

Er war noch nicht vis-á-vis des Kreuzes angekommen, so bemerkte er, daß zwei Köpfe sich vorsichtig über die Zweige des Gebüsches erhoben, welches den Rand des Waldes besäumte; aber ebenso schnell, wie sie erschienen waren, verschwanden sie auch wieder. Er gelangte ohne alle Fährlichkeit vorüber.

Im Weiterreiten kam ihm ein Gedanke.

»Wenn ich diese Kerls belauschen könnte!« dachte er. »Vielleicht würde ich Etwas erfahren, was mir Nutzen bringt. Soll ich es wagen? Pah, ich habe vier Doppelpistolen, also acht Schüsse, und stehe außerdem unter dem Schutze dieses Mädchens.«

Als er die nächste Krümmung erreichte, konnte er von den Marodeurs, selbst wenn ihn diese hätten beobachten wollen, nicht mehr bemerkt werden. Er sprang ab und zog sein Pferd ein genügendes Stück in den Wald hinein.

Dort band er es an einen Baum und kehrte dann in der Richtung zurück, aus welcher er gekommen war, natürlich aber nicht auf der Straße, sondern unter dem Schutze der Bäume des Forstes. Je mehr er sich dem Kreuze näherte, desto vorsichtiger wurde er. Er schlug sich noch tiefer in den Wald hinein, um von dort aus an das Kreuz zu kommen. Es gelang ihm gut.

Sich leise von Baum zu Baum schleichend, konnte er bereits die Lichtung der Straße vor sich erkennen, als er die


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Büsche erreichte, welche als Unterholz zwischen den Stämmen standen. Er kroch langsam zwischen diesen Büschen vorwärts und hörte bald halblaute Stimmen vor sich. Seine Vorsicht verdoppelnd, schob er sich weiter, bis er nur um einen Strauch zu blicken brauchte, um Die zu sehen, welche er suchte.

Eng zwischen das Buschwerk eingeklemmt, saßen acht Männer. Ihre Kleider waren augenscheinlich aus Raubstücken zusammengesetzt, ein buntes Gemisch von Militär und Civil. Ihre Bewaffnung war ausgezeichnet, und ihr Aeußeres zeigte ganz und gar deutlich auf das Gewerbe hin, welchem sie oblagen.

Unweit von ihnen standen, hart am Rande des Gebüsches und fast in der unmittelbaren Nähe des Kreuzes, noch Zwei, welche Wache zu halten hatten. Es waren dies die Zwei, welche Königsau vorher gesehen hatte. Sie verhielten sich ruhig, während die Andern sich so laut unterhielten, daß der Lauscher Alles hören konnte.

»Ein Knecht? Nein, das war er nicht,« sagte Einer.

»Was sonst?« fragte ein Anderer.

»Er ritt so militärisch. Er hatte so prachtvollen Schluß.«

»Und einen reinen Officiersbart!« fügte ein Dritter hinzu.

»Streitet Euch nicht!« warnte ein Vierter. »Er ist ja nun vorüber.«

»Er sah nicht nach vielem Gelde aus!« bemerkte der Zweite.

»Es wäre ein schlechter Fang gewesen. Uebrigens hatte er unser Zeichen.«

»Wer mag es ihm gesagt haben?«

»Vielleicht pfiff er das Lied nur ganz zufällig.«

»Oder ist er bei Bertha Marmont eingekehrt?«

»Sollte er ein Bekannter von ihr sein?«

»Vielleicht ein Geliebter?«

Da schlug der Eine mit der Faust auf den Rasen und sagte:

»Dann sollte ihn der Teufel holen. Die Bertha ist ein zu appetitlicher Bissen, als daß wir sie einem Fremden überlassen sollten.«

»Einer von uns oder Keiner.«

»Pah!« brummte sein Nachbar, der zu alt war, um noch Liebesgedanken hegen zu können. »Streitet Euch nicht! Einige von uns haben sich die Finger an ihr verbrannt. Keiner gönnt sie dem Andern, und darum haben wir ausgemacht, daß Keiner sie bekommen soll. Es würde sonst Mord und Todtschlag geben. Warum sollte sie da nicht Einen nehmen dürfen, den sie lieb hat?«

»O, ich weiß Einen, den sie wohl gern möchte.«

»Aber er hängt ihr zu hoch.«

»Wer ist es?«

»Der Baron.«

Ein allgemeines »Ah!« ging im Kreise herum.

»Der junge Baron de Sainte-Marie?« fragte Einer erstaunt.

»Ja.«

»Unmöglich!«

»Warum unmöglich?«

»Er ein Baron und sie die Tochter aus einer Waldschänke.«

»Pah! Es macht die Liebe Alles gleich.«

»Woher weißt Du es?«

»Ich habe es gesehen. Habt Ihr denn noch nicht bemerkt, wie sie erröthet und lauscht, wenn von ihm die Rede ist? Sie ist in ihn verliebt bis über die Ohren.«

»Und er auch in sie?«

»Wer weiß es.«

»Das Mädchen wäre ganz und gar darnach. Ich traue ihr zu, daß es eine prachtvolle Baronin abgeben würde.«

»Er kommt öfters in die Schänke.«

»Weiß dies Fabier?«

»Vielleicht.«

»Nun, dann mag der Baron sich in Acht nehmen. Der Fabier jagt ihm eine Kugel durch den Kopf. Er ist ganz toll in das Mädchen.«

»Aber er darf es nicht bekommen; das wäre ganz gegen unsere Verabredung.«

»Uebrigens,« stimmte ein Anderer bei, »soll er ja Barchands Tochter heirathen.«

»Die? Das fällt ihm gar nicht ein!«

»Warum nicht? Er und der Alte sind jetzt außerordentlich dicke Freunde. Immer liegen sie beisammen. Immer sprechen sie leise. Immer haben sie Heimlichkeiten. Wollen sie uns etwa übervortheilen?«

»Das sollte ihnen nicht gut bekommen.«

»Sei still! Du hättest nichts dagegen. Sind sie nicht seit gestern fort? Wollten sie nicht erst heute Abend wiederkommen? Was treiben sie? Sie gehen doch, um mit einander auf eigene Rechnung zu jagen!«

»Das leiden wir nicht! Alles für Alle. Alles muß getheilt werden.«

»Ja. Nun sind sie fort, und da ist kein Zusammenhalt. Da sind die Andern auch gegangen, so daß nur unserer Zehn hier sitzen. Was ist da anzufangen?«

»Richtig! Wären wir heute am Vormittage Alle beisammen gewesen, so hätten wir einen Fang gemacht. Dreißig Soldaten bei einem Wagen! Was muß das gewesen sein? Gewiß kein übler Fang.«

»Vielleicht gar eine Kriegskasse.«

»Das ist sehr leicht möglich. Nun aber ist sie vorüber. Wenn diese Beiden mit ihren Heimlichkeiten fortfahren, so jagen wir sie einfach zum Teufel. Wer weiß, wo und was sie für einen Fang machen, während wir hier brach liegen. Kommt hier ja einer vorüber, so singt oder pfeift er das Lied, und wir haben das Nachsehen.«

»Nur Geduld!« lachte der Alte. »Der Kerl, welcher hier vorüberpfiff, hatte nicht drei Franken im Sacke. Warte bis heute Abend.«

»Wird es wahr sein?«

»Ich habe es ganz genau gehört.«

»Ein Marschall?«

»Sogar zwei Marschälle.«

»Donnerwetter! Welche?«

»Frage nicht ewig! Was thut der Name zur Sache!«

»Aber ob sie Geld haben!«

»Meinst Du, ein Marschall reise ohne einen vollen Beutel?«

»Und Ringe, Uhren, Dosen, Diamanten und Pretiosen!« meinte ein Anderer.


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»Aber auch mit großer Bedeckung.«

»Pah! Die wird niedergeschossen.«

»Und wenn sie zahlreich ist?«

»Wenn die Anderen kommen, sind wir zwanzig Mann. Das genügt vollständig.«

»Ja, vollständig!« stimmte einer seiner Kameraden bei. »Wir liegen hier sicher im Hinterhalte. Wir geben uns ja nicht eher blos, als bis sie alle erschossen sind.«

Hier handelte es sich also um den Ueberfall zweier Marschälle. Sollte Königsau weiter lauschen? Sollte er noch mehr zu erfahren suchen, um die Marschälle aufzusuchen und zu warnen? Was nützte das ihm? Was nützte es seiner Sache? Nichts. Es konnte ihm nur Schaden bringen. Uebrigens brachen die Leute das Thema ab und begannen von gleichgiltigeren Dingen zu sprechen.

Der kleinste Umstand konnte zum Verräther an ihm werden. Darum zog er sich zurück, erst langsam und leise; dann aber nahm er einen raschen Schritt an und eilte zu seinem Pferde. Er fand es noch so, wie er es verlassen hatte, zog es aus dem Walde auf die Straße heraus, stieg auf und setzte seinen Weg fort.

Nach einer halben Stunde erreichte er Le Chêne. Er wäre am Liebsten hindurchgeritten, doch hielt er es für besser, einmal einzukehren. Auf diese Weise konnte er vielleicht Etwas erfahren. Er führte sein Pferd hinter das Haus, ließ sich ein Glas Wein geben und fragte dann den Wirth, ob er ein wenig Heu bekommen könne.

»Für Ihr Pferd?« fragte dieser.

»Denken Sie etwa, für mich?« lachte er.

Der Wirth machte ein saures Gesicht und antwortete:

»Heu ist nicht da. Aber gehen Sie in den Garten, da schneidet das Mädchen Gras. Das ist auch besser als Heu.«

Der gute Mann blieb ruhig auf seinem Stuhle sitzen. Königsau schritt über den Hof hinüber und öffnete die Gartenpforte. Er trat in einen Laubengang, welcher von Pfeifenstrauch und Weinreben gebildet wurde. Dieser Gang war sehr dicht belaubt, und es gab nur hier und da ein hinein geschnittenes Loch, welches als eine Art Fenster diente. Er führte in gerader Richtung nach einer Laube, aus welcher man in den eigentlichen Grasgarten gelangte.

Indem Königsau so dahinschritt, vernahm er eine Stimme. Er blieb überrascht stehen, denn es war ihm, als ob er den Namen Fabier gehört hätte.

Er lauschte. Jetzt vernahm er deutlich, daß draußen außerhalb des Ganges zwei Personen mit einander sprachen. Er unterschied eine männliche und eine weibliche Stimme. Sie ertönten gar nicht weit von ihm. Er brauchte nur noch einige Schritte zu gehen, so stand er innerhalb grad an der Stelle, an welcher sie außerhalb standen.

Er schlich sich leise vorwärts und lauschte.

»Also Du bist ihm nicht gut?« fragte die männliche Stimme.

»Nein, ganz und gar nicht,« antwortete die weibliche in einem tiefen, rauhen Alt.

»Aber er ist doch Dein Liebhaber.«

»Wer sagt das?«

»Ich habe es gesehen.«

»Wann?«

»Vorgestern am Zaune. Da habt Ihr Euch geküßt.«

»Er mich, aber ich ihn nicht.«

»Du brauchst es doch nicht zu leiden.«

»Er ist stärker als ich.«

»So brauchst Du noch nicht hinaus zu ihm zu gehen.«

»Dummkopf! Wußte ich, daß er draußen stand?«

»Aber Du hast mit ihm getanzt.«

»Mit Andern auch.«

»Aber mit mir nicht.«

»Dummkopf! Du wirst mein Mann und bist mir also sicher.«

»Ah so! Aber ich will doch mit meiner Geliebten auch einmal tanzen.«

»Warte, bis sie Deine Frau ist.«

»Und wenn ich Dich nun nicht zur Frau haben mag?«

»So läßt Du es bleiben! Aber dann wirst Du auch kein reicher Mann, der den Wein aus Krügen trinkt und den Tabak aus Meerschaumpfeifen raucht.«


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»Du redest nur stets von Reichthum. Wovon soll ich reich werden?«

»Durch mich!«

»Durch Dich?« ertönte es lachend. »Was besitzest Du denn? Einen Rock, zwei Hemden, zwei Strümpfe, eine Schürze, eine Jacke, ein Tuch und ein Paar Holzschuhe. Das ist Dein ganzer Reichthum.«

»Dummkopf! Muß man denn seinen Reichthum auf dem Leibe tragen?«

»Wo denn?«

»Den versteckt man.«

»Ah! Man gräbt ihn zum Beispiel ein?«

»Ja.«

»Dann wird es ein Schatz.«

»Ja, richtig, ein Schatz!«

»Aber man hat nichts davon.«

»Warum nicht?«

»Nun, wenn das Geld in der Erde steckt, was soll es Einem da helfen?«

»Dummkopf! Man holt sich zuweilen so viel, wie man grade braucht!«

»O, das wäre sehr gut! Wer es doch bereits so weit gebracht hätte!«

»Ich, ich habe es so weit gebracht!« ertönte es in stolz knurrendem Tone.

»Du? Du hättest Geld vergraben?«

»Ja.«

»Wo denn?«

»Das geht Dich jetzt noch nichts an. Das erfährst Du erst, wenn Du mein Mann bist.«

»Donnerwetter! Wenn das wahr wäre! Ist's wahr?«

»Dummkopf! Würde ich Dir es sagen, wenn es nicht wahr wäre!«

»Ja, das mag richtig sein. Wie viel ist es denn?«

»Rathe einmal!«

»Fünfzig Franken?«

»Viel mehr!«

»Hundert Franken?«

»O, viel mehr!«

»Tausend Franken?«

»Noch mehr!«

»Noch mehr? Das ist unglaublich! Woher solltest Du dies viele Geld haben?«

»Dummkopf! Das ist meine Sache! Rathe also immer weiter!«

»Fünftausend Franken?«

»Viel mehr!«

»Zehntausend?«

»Noch lange nicht genug!«

»Aber Du machst mich ja ganz stupid! Für zehntausend Franken kann ich mir doch ein schönes Haus oder gar ein Bauerngut kaufen!«

»Dummkopf! Du bist ja schon stupid! Was liegt mir an einem Hause oder an einem Bauerngut! Ein Schloß will ich haben, ein Schloß mit Thürmen und großen Fenstern!«

Es entstand eine Pause, welche jedenfalls durch ein Mienenspiel des ungeheuersten Erstaunens ausgefüllt wurde. Dann ertönte die männliche Stimme wieder.

»Aber dazu gehören ja mehr als hunderttausend Franken!«

»Die habe ich ja!«

»Oder gar eine Million!«

»Auch diese habe ich.«

»Mädchen, Du bist verrückt!«

»Dummkopf! Ist man denn verrückt, wenn man mehr als eine Million hat?«

»O nein! Da ist man im Gegentheil sehr gescheidt. Aber wo hast Du das Geld?«

»Vergraben.«

»Und von wem hast Du es?«

»Von meinem Vater.«

»Der ist ganz arm, blutarm!«

»Hat er nicht erst vor zwei Wochen drin in der Gaststube achtzig Franken im Spiele verloren?«

»Ja, das ist wahr.«

»Nun, ist er arm?«

»Hm! Wo hat er das Geld her?«

»Das kann ich nicht sagen.«

»Warum nicht?«

»Weil Du noch nicht mein Mann bist.«

»Also, um Alles zu erfahren, muß ich erst Dein Mann sein?«

»Natürlich!«

»Hahahaha! Dann wäre ich in Wirklichkeit der Dummkopf, wie Du mich immer heißest!«


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»Wieso?«

»Wenn Du dann meine Frau bist, dann hast Du nichts.«

»Ach, Du glaubst mir nicht?«

»Nein. Ich lasse mich nicht fangen. Jetzt lockst Du mich zum Heirathen; aber nach der Hochzeit hast Du keinen Franken, viel weniger eine Million.«

Wieder entstand eine Pause, nach welcher die weibliche Stimme fragte:

»Also Du magst mich nicht?«

»Mit leeren Versprechungen nicht.«

»Aber ich sage ja die Wahrheit!«

»Beweise es!«

»Wenn ich Dir jetzt Alles sage, so verräthst Du es und heirathest mich nicht!«

»Unsinn! Ich möchte gar so gern reich sein, und wenn ich es durch Dich werden kann, so werde ich es doch nicht verrathen!«

»Aber wenn nun ein Bischen Unrecht dabei wäre?«

»Das ist mir egal!«

»Wenn der Schatz einem anderen gehörte?«

»Das wäre ihm recht! Mag er nicht so dumm sein und sein Geld vergraben!«

»Er ist ja gar nicht so dumm gewesen. Es ist ihm genommen und dann vergraben worden.«

»Mag er es sich nicht nehmen lassen. Wer war es denn?«

»Kein Mann und keine Person, sondern der Staat.«

»Der Staat? Ach, dem können wir das Geld nehmen! Er hat es ja erst von uns! Es ist also wohl gar eine Kasse?«

»Ja.«

»Wer hat sie gestohlen? Wer hat sie ausgeleert?«

»Man hat sie nicht ausgeleert. Sie ist ganz vergraben worden, gleich mit dem Kasten.«

»Donnerwetter, eine Kriegskasse also?«

»Dummkopf! Brülle nicht so!«

»Wohl gar dieselbe, welche damals so gesucht wurde?«

»Ja.«

»Wo steckt sie?«

»Das erfährst Du jetzt noch nicht. Du weißt jetzt einstweilen genug.«

»Nein, ich weiß nicht genug. Das von der Kriegskasse kannst Du Dir erst ausgesonnen haben, um mich zu fangen; ich beiße aber an diese Angel nicht an.«

»Ja was willst Du denn noch wissen?«

»Wo sie liegt.«

»Droben in den Bergen.«

»In welchen Bergen?«

»Nicht weit von Bouillon.«

»Ah! Kennst Du den Ort?«

»Nein; aber mein Vater weiß ihn.«

»Woher weiß er ihn denn?«

»Dummkopf; weil er selbst die Kriegskasse dort vergraben hat!«

»Er selbst? Ach, so ist er es gewesen, der sie damals gestohlen hat?«

»Ja. Aber Du wirst ihn doch nicht verrathen?«

»Fällt mir gar nicht ein! Aber theilen muß er mit mir! Verstanden?«

»Das thut er auch, wenn Du mich zur Frau nimmst.«

»Aber ich setze den Fall, er thut es nicht, wenn ich dann Dein Mann bin?«

»So schlage ich ihn todt und nehme ihm das Geld ab. Ja, gewiß, das thue ich.«

»Donnerwetter! So hast Du mich also sehr lieb?«

»Dummkopf! Würde ich Dich sonst zum Manne haben wollen und Dir so viel Geld geben?«

»Ja, Du hast Recht. Aber woher weißt Du, daß sie bei Bouillon vergraben liegt?«

»Der Vater sagte es mir.«

»Aber wenn er Dich belogen hat?«

»Ich bin ihm nachgegangen, als er Geld holte; ich habe mich überzeugt.«

»So mußt Du doch den Ort gesehen haben!«

»Nein. Er lief mir zu schnell; ich verlor ihn aus den Augen. Ich mußte also umkehren. Aber als er dann nach Hause kam, hatte er alle Taschen voller Goldstücke.«

»Du bist ihm wirklich bis Bouillon nachgegangen?«

»Ja, noch weiter.«

»Wohin?«

»Bis über den Ort hinaus, am Wasser hin. Dann geht es links ab am Berg empor.«

»Weiter.«

»Man kommt im Wald an eine Hütte. Dort verlor ich ihn aus den Augen.«

»Hm! Man müßte ihm nachschleichen!«

»Das ist nicht nöthig. Er theilt ja mit Dir.«

»Wird er das wirklich thun?«

»Ganz sicher. Er wollte ja mit Fabier auch theilen. Aber diesen mag ich nicht. Ich kann ihn nicht leiden. Er ist klug und falsch; Du aber bist dumm und gut!«

»Ah, ich danke Dir! Daß er falsch mit Dir war, habe ich längst gewußt.«

»In wiefern?«

»Er läuft der Tochter in der Waldschänke nach.«

»Ah, das hast Du also auch gewußt? Ja, er hätte mir mein Geld abgenommen und es zu ihr hingetragen. Aber ich bin pfiffiger als er. Ich nehme mir einen Mann, den ich eher betrügen kann, als er mich. So muß man es machen.«

Fast hätte Königsau laut aufgelacht und sich dadurch kläglich verrathen. Doch wurde das Gelächter von der männlichen Stimme reichlich besorgt; dann sagte sie:

»Du meinst also, mich betrügen zu können? Da muß ich außerordentlich vorsichtig zu Werke gehen, um nicht zu sehr über das Ohr gehauen zu werden!«

»Thue das immerhin! Deine Klugheit habe ich nicht zu fürchten. Aber jetzt habe ich nicht länger Zeit zu unnützen Gesprächen. Gehe fort und komme lieber heut Abend wieder, wenn meine Arbeit beendet ist. Adieu.«

»Adieu!«

Königsau hörte das laute, klatschende Geräusch eines schallenden Schmatzes und dann eilig sich entfernende Schritte. Er trat an eins der Laubengangfenster und blickte hindurch. Er sah ein klein aber sehr untersetzt gebautes Mädchen, schmutzig gekleidet und mit wirr um den Kopf hängenden Haaren, das Gesicht voller Blatternarben und Sommersprossen. Das Wesen sah eher einer Kretine als einem normal gestalteten Menschen ähnlich und der boshafte Blick des kleinen Auges machte es noch abstoßender. Das also war Barchands Tochter, die Nebenbuhlerin der schönen Bertha Marmont! Welch ein Unterschied zwischen Beiden!

Der sich Entfernende war ein Mensch mit Säbelbeinen und


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einem ungeheuren Kopfe. Als er sich noch einmal umdrehte, um seiner Geliebten zuzulächeln, bildete dieses beabsichtigte Lächeln eine höchst verunglückte Fratze, welche sich wie eine tragische Larve um sein Gesicht legte.

Diese Beiden paßten allerdings zusammen wie selten zwei Andere.

Königsau zog es vor, auf das Gras für das Pferd zu verzichten, und lieber Brod für dasselbe geben zu lassen. Er wollte lieber von dem Mädchen gar nicht bemerkt sein. Im Laufe der belauschten Unterhaltung war es ihm fast bange um seine Kriegskasse geworden. Es hatte allen Anschein gehabt, als ob das Mädchen den Ort kenne, an welchem dieselbe versteckt lag. Als sich dann jedoch herausstellte, daß dies nicht der Fall sei, fühlte er sich so erleichtert, daß er tief Athem holte.

Aber während er nach dem Gastzimmer zurückkehrte, kam ihm doch wieder ein beunruhigender Gedanke.

»Sollte sie den Ort dennoch wissen und sich gegen diesen Menschen nur verstellt haben?« fragte er sich. »Das wäre möglich, aber nicht wahrscheinlich. Sie hätte dann sicher nicht erzählt, daß sie ihrem Vater fruchtlos nachgelaufen sei.«

Damit beruhigte er sich. Er versorgte sein Pferd, bezahlte sodann seine geringe Zeche und ritt weiter.

Sein Aufenthalt in den beiden Schänken und die Belauschung der Marodeurs hatten doch mehr Zeit in Anspruch genommen, als von ihm beabsichtigt worden war. Der Tag neigte sich bereits seinem Ende zu, und als er wieder in die schmale, von hohen Bäumen eingefaßte Waldstraße einritt, dämmerte es bereits in derselben.

Er gab seinem Pferde die Sporen, um rascher vorwärts zu kommen.

Es war so unheimlich still im Walde, eine Stille, ganz geeignet, den Gedanken und Befürchtungen eines besorgten Gemüthes Audienz zu geben.

Er malte sich die Scene aus, wenn die von Vouziers zurückkehrende Geliebte von Vagabunden überfallen würde. Seine Einbildungskraft war dabei so lebhaft beschäftigt, daß er seine Pistole zog und das Pferd zu größerer Eile trieb.

Die Schatten der Nacht neigten sich tiefer und tiefer herab. Es war nun vollständig dunkel geworden, so daß er den Weg nicht mehr zu erkennen vermochte. Er verließ sich ganz auf das Pferd, dessen Huftritte auf dem weichen Boden des Waldweges fast gar kein Geräusch hervorbrachten.

Da war es ihm, als ob sein immer vorauslauschendes Ohr das dumpfe Rollen vernommen hatte. Da vorn blitzte zu gleicher Zeit ein Schuß auf, dem mehrere andere folgten, so daß die Echos derselben vervielfältigt durch den Wald erdröhnten. Weibliche Stimmen riefen um Hilfe.

Da spornte er sein Pferd zu größter Eile.

Jetzt tauchten vor ihm zwei dünne, schwache Lichter auf, sie kamen aus den beiden Laternen des überfallenen Wagens. Ein Gedanke kam ihm. Der Galopp seines Pferdes mußte ihn den Vagabunden verrathen. Er erhielt dann jedenfalls ihre Schüsse, ehe er in der Dunkelheit im Stande war, einen von ihnen zu erkennen und auf ihn zu schießen. Jetzt aber hatten sie sein Nahen jedenfalls noch nicht bemerkt.

Er hielt sein Pferd an, band es an den nächsten Baum und nahm die Pistolen des Barons aus den Satteltaschen, in denen sie stacken. Er steckte sie in die Außentaschen seines Rockes und nahm seine eigenen in die Hände. Dann eilte er vorwärts, indem er während des Laufens die Hähne aufzog.

Als er abstieg war er vielleicht zweihundert Schritte von dem Wagen entfernt. Er brauchte keine Minute, um diese Strecke zurückzulegen. Der weiche Boden dämpfte den Schall seiner Schritte. Als er nahe genug war, um die Scene zu erkennen, hielt er an und schlich sich im Dunkeln nun langsamer näher.

Er hörte die Stimme von Frau Richemonte, welche soeben versicherte:

»Aber wir haben in Wahrheit kein Geld mehr bei uns!«

»Vornehme Damen und kein Geld? Hahaha!« rief eine rauhe Stimme. »Steigt aus! Wir werden Alles durchsuchen, Euch auch und Eure Kleider. Ist eine halbwegs hübsche unter Euch, so wird sie für Euch Alle bezahlen, wenn Ihr kein Geld habt.«

Frau Richemonte wurde herausgezogen. Dann leuchtete der Kerl mit der einen Wagenlaterne abermals in das Innere des Wagens hinein.

»Alle Wetter!« rief er. »Die ist hübsch, die ist reizend! Ein solches Püppchen haben wir noch nicht gefunden. Heraus, mein Schatz! Heraus!«

Das eine Pferd lag erschossen am Boden; das andre stand schnaubend und zitternd daneben. Der Kutscher saß auf seinem Bocke und rührte sich nicht, und um den Wagen herum standen neun dunkle, martialische Gestalten, welche neugierig versuchten, in den Wagen zu blicken.

»Ja, heraus mit ihr, wenn sie hübsch ist!« rief Einer, sich näher drängend. »Das giebt endlich einmal ein Vergnügen, wie es Unsereinem willkommen ist.«

Er langte in den Wagen hinein, um Margot mit herauszuziehen. Sie stieß einen Ruf des Entsetzens aus und versuchte, sich zu wehren.

»Das nützt Dir nichts, feines Liebchen!« lachte der Eine. »Heraus mußt Du, dann halten wir Hochzeit zwischen neun Bräutigams und einer Braut.«

»Und ich gebe meinen Segen dazu, Ihr Halunken!«

Mit diesen Worten Königsau's krachte auch sein erster Schuß; der zweite folgte augenblicklich. Die beiden Kerls, welche dem Wagenschlage am Nächsten standen, stürzten, zum Tode getroffen, zur Erde nieder.

»Hugo, mein Hugo! Ist es möglich?« jubelte Margot auf.

Sie hatte die Stimme des Geliebten erkannt, obgleich es ihr unerklärlich sein mußte, ihn grade hier gegenwärtig zu sehen.

»Ja, ich bin es, Margot. Keine Angst weiter!« antwortete er.

Während dieser Worte schoß er zwei Andere nieder, ließ die abgeschossenen Pistolen fallen und zog die geladenen hervor. Die Vagabunden waren von seinem Erscheinen so sehr überrascht, daß sie im ersten Augenblicke ganz vergaßen, sich zur Wehr zu setzen. Jetzt aber bemerkten sie, daß sie nur einen einzelnen Gegner vor sich hatten. Da erhob Einer sein Gewehr zum Kolbenschlage und rief:

»Hund, das sollst Du büßen. Deine Pistolen sind nun abgeschossen. Fahre zur Hölle!«

»Fühle, ob sie abgeschossen sind!« antwortete Königsau.

Er hielt ihm, ehe der beabsichtigte Hieb herniedersausen


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konnte, den Lauf vor die Stirn und jagte ihm eine Kugel durch den Kopf.

Da erscholl aus dem Wagen ein schriller Angstschrei:

»Gott! Hugo, hinter Dir!«

Er drehte sich auf diesen Zuruf Margots blitzschnell um und hatte gerade noch Zeit, sich auf die Seite zu werfen. Einer der Kerls hatte von hinten auf ihn angelegt, um ihn zu erschießen. Der Schuß krachte, aber die Kugel verfehlte ihr eigentliches Ziel und fuhr einem seiner Kameraden in die Brust, welcher sich soeben auf den Lieutenant hatte werfen wollen.

»Esel!« röchelte er noch zornig, ehe er zu Boden sank.

Zu gleicher Zeit aber schoß Königsau auch den ungeschickten Schützen nieder.

Jetzt bekam auch der Kutscher Muth. Er sprang vom Bocke und faßte den Einen der beiden noch übrigen Marodeurs. Dieser wehrte sich verzweifelt, konnte sich aber von dem stämmigen Knechte nicht losringen.

»Ich werde Dir lehren, mir die Pferde zu erschießen!« zürnte dieser. »Jetzt bist Du daran, Hundsfott.«

Er riß ihn zur Erde nieder und knieete auf ihm.

Der Letzte suchte durch die Flucht zu entkommen, wurde aber noch zur rechten Zeit von der Kugel des Deutschen erreicht. Dieser trat nun rasch zum Kutscher, um diesem Beistand zu leisten.

»Ist nicht nöthig!« meinte dieser jedoch. »Der Kerl ist todt. Ich habe ihm die Seele aus dem Leibe gequetscht.«

Königsau untersuchte den am Boden Liegenden und fand allerdings, daß er von dem Kutscher erwürgt worden war.

»Ja, er ist todt. Es war der Letzte von den Neun. Wir sind fertig!« sagte er.

»Ist es wahr, Hugo? Ist der Sieg vollständig?« klang es aus dem Wagen heraus.

»Ja,« antwortete er, zum Schlage tretend.

»O, wie danke ich, wie danken wir Dir.«

Sie stieg, nein, sie flog heraus und in seine Arme. Ihre Lippen legten sich wieder und immer wieder auf seinen Mund, bis sie, sich besinnend, plötzlich frug:

»Aber Mama? Wo ist Mama? Sie mußte aussteigen!«

Es war Alles so schnell gegangen, und Königsau hatte seine Aufmerksamkeit so sehr auf die Feinde zu richten gehabt, daß er gar keine Zeit gefunden hatte, des Weiteren auf die Mutter der Geliebten zu achten.

»Hier liegt sie!« antwortete der Kutscher, mit der noch brennenden Wagenlaterne zu Boden leuchtend.

Die andre war dem Räuber entfallen, als ihn Königsau's Kugel traf.

»Mein Gott, hier am Boden!« rief Margot. »Sie ist doch nicht etwa von einer Kugel getroffen worden?«

Der Deutsche knieete nieder und untersuchte Madame Richemonte.

»Sie ist nur ohnmächtig, meine Margot,« sagte er. »Es hat nichts zu bedeuten. Aber war nicht die Frau Baronin bei Euch?«

»Ja. Dort im Wagen ist sie noch.«

Der Kutscher leuchtete hin, und so sah Königsau die Dame grad im Begriff, auszusteigen.

»Monsieur, wir haben Ihnen Vieles, vielleicht das Leben zu verdanken,« sagte sie. »Nehmen Sie einstweilen meine Hand, und sorgen Sie dann, daß wir diese Stelle verlassen können. Mir graut vor diesen Todten.«

Erst jetzt beachtete Margot, welche bei ihrer Mutter knieete, die umherliegenden Leichen.

»Gott, wie entsetzlich!« rief sie schaudernd. »So Viele waren gegen uns?«

»Neun Mann,« antwortete Königsau.

»Und die Alle hast Du besiegen müssen, Du Einziger?«

»Nicht Alle,« lächelte er. »Einen hat der Kutscher überwunden. Aber siehe, da erwacht Mama.«

Wirklich gab Frau Richemonte jetzt Lebenszeichen von sich. Nur die Angst um die Tochter, welche sie durch die bestialischen Menschen bedroht sah, hatte ihr das Bewußtsein geraubt. Jetzt erhob sie sich langsam in Margots Armen.

»Sind sie fort? Sind sie fort, diese Menschen?« fragte sie ängstlich.

»Sie sind nicht mehr zu fürchten,« antwortete Margot. »Hugo hat gesiegt.«

»Hugo? Ah, ja, ich besinne mich; er war da. Wo ist er?«

»Hier bin ich, Mama,« antwortete er. »Wollen Sie nicht versuchen, wieder in den Wagen zu steigen?«

»Ja, das will ich,« antwortete sie. »O, wie viel haben wir Ihnen zu danken, mein lieber Sohn. Sie erschienen uns wie ein Engel. Aber wie sind Sie an diesen Ort gekommen? Und gerade im Augenblicke der größten Gefahr?«

»Ich kam über Sedan nach Roncourt, um Sie zu besuchen. Dort hörte ich von dem Herrn Baron, daß Sie nach Vouziers gefahren seien und des Nachts zurückkehren würden, ohne eine schützende Bedeckung bei sich zu haben. Ich hatte von der Unsicherheit dieser Gegend gehört und ließ mir darum sogleich ein Pferd geben, um Ihnen entgegen zu reiten.«

»Welche Aufmerksamkeit, welche Courtoisie! Und welche Tapferkeit haben Sie hier bewiesen!« sagte die Baronin. »Aber, meine liebe Margot, ich werde mich ganz gehörig mit Ihnen zanken müssen.«

»Warum?« fragte das schöne Mädchen.

»Ich bemerke jetzt, daß Herr von Königsau Ihnen näher steht, als Sie mich ahnen ließen. Sie hatten kein Vertrauen zu mir.«

»Verzeihung, meine Liebe!« sagte da an Margots Stelle ihre Mutter. »Ich allein trage die Schuld, daß Dir verschwiegen blieb, daß Margot die Verlobte des Herrn von Königsau ist. Ich bin überzeugt, daß Du meine Gründe billigen wirst, sobald ich sie Dir mitgetheilt habe.«

»Ich zürne Dir nicht, denn ich werde Deine Gründe anerkennen müssen. Aber, Monsieur, wie werde ich Sie jetzt in Roncourt zu nennen haben? Sie sind natürlich zu mir eingeladen.«

»Ich werde Sie bis nach Hause begleiten, Madame,« antwortete Königsau. »Wenn Jemand nach mir fragt, so nennen Sie mich einfach - - - hm.«

»Ah, ich habe einen Verwandten meines Namens in Marseille. Der sollen Sie sein.«

»Was ist er?«

»Seecapitän.«

»Der Marine?«

»Nein, des Handels.«


// 313 //

»Gut, ich acceptire. Aber, was ist das? Das Sattelpferd stürzt auch.«

»Es muß auch eine Kugel erhalten haben,« meinte der Kutscher.

»So wollen wir nachsehen.«

Als er nach dem Thiere leuchtete, fand er es am Verenden. Es hatte eine Wunde in der Brust. Das andere war längst todt.

»Was ist da zu thun?« fragte die Baronin rathlos. »Wir müssen ja fort!«

»Mein Pferd befindet sich in der Nähe,« meinte Königsau. »Wir schirren es ein, nachdem wir die beiden todten Thiere entfernt haben. Es wird uns nach Hause bringen, wenn auch langsam. Im Nothfalle leihen wir uns in Le Chêne ein zweites. Wir sind ja gezwungen, dort einzukehren, um Anzeige zu machen.«

Er ging und brachte bald den Braunen herbei. Es machte sich bei der mangelhaften Beleuchtung schwer, die beiden getödteten Pferde aus dem Riemenzeuge zu bringen. Noch waren Königsau und der Kutscher damit beschäftigt, als sich das Rollen einiger herankommenden Wagen vernehmen ließ.

»Man kommt,« sagte der Kutscher. »Es kann hier Niemand vorüber; die Straße ist zu schmal. Diese Leute werden einige Minuten halten müssen.«


Ende der zwanzigsten Lieferung - Fortsetzung folgt.



Karl May: Die Liebe des Ulanen

Karl May – Forschung und Werk