Lieferung 107

Deutscher Wanderer

3. Oktober 1885

Die Liebe des Ulanen.

Original-Roman aus der Zeit des deutsch-französischen Krieges von Karl May.


// 1697 //

Jetzt nun erscheint es gerathen, einmal nach Berlin zurückzukehren, um zu erfahren, was unterdessen dort geschah.

Es war Abend. Der alte, greise Hugo von Königsau, der einstige Liebling des Feldmarschalls Blücher, hatte Besuch. Sein Vetter, der General Kunz von Goldberg, befand sich bei ihm.

Sie plauderten von vergangenen Tagen, von ihren Kriegserlebnissen, und so war es kein Wunder, daß das Gespräch auch auf die gegenwärtige, bedrohliche Constellation kam.

»Er fängt wieder an! Paß auf, er fängt wieder an!« sagte Königsau. »Der Franzose kann von seiner Art nicht lassen. Er hat sich in die Tinte geritten und will sich nun durch einen Krieg wieder herausbeißen.«

»Das steht allerdings zu befürchten.«

»Zu befürchten? Haben wir etwas zu befürchten, wie?«

»Hm! Gott gebe, daß es gut geht!«

»Es wird gut gehen. Wie soll es anders gehen?«

»Wir sind leider nicht allwissend!«

»Nein, aber sehen können wir, rechnen können wir. Wir sehen, daß der Franzmann am Ende seiner Klugheit angekommen ist.«

»Wir wollen ihn nicht zu niedrig schätzen!«

»Wie? Das sagst Du als preußischer, als deutscher General?«

»Ja. Man braucht als Offizier nicht auch Bramarbas zu sein.«

»Das bin ich auch nicht. Oder hältst Du mich etwa für einen?«

»Nein, das sei mir ferne.«

»Na, also! Ich sehe mit meinen gesunden Augen, daß der Franzose krank ist. Er fiebert; man muß ihm zur Ader lassen. Eher giebt er nicht Ruhe.«

»Leider muß der Bader, welcher ihm zur Ader läßt, auch sein Blut mit hergeben!«

»Das ist nicht anders; das ist stets so gewesen. Wir haben damals unser Blut auch hergeben müssen. Und wer war schuld daran? Etwa wir?«

Der General schüttelte langsam den Kopf. Er fragte:

»Du meinst, Napoleon sei schuld gewesen?«

»Natürlich.«

»Da bin ich anderer Ansicht.«

»Was! Anderer Ansicht! Willst Du ihm das Wort reden?«

»Nun, das fällt mir gar nicht ein, aber ich betrachte ihn von einem anderen Standpunkte als Du.«

»So, so! Von einem anderen Standpunkte? Von welchem denn, wenn ich fragen darf, he?«

Wenn die Rede auf Napoleon kam, pflegte der alte Veteran stets heftig zu werden, obgleich er es so sehr schlimm gar nicht meinte. Das wußte der General. Er nickte ihm lächelnd zu und antwortete:

»Vom Standpunkte der Objectivität.«

»Ah, so! Bin ich nicht etwa auch objectiv?«

»Nein, lieber Vetter.«

»Alle Teufel! Ist's Dein Ernst?«

»Ja.«

»Na, dann begreife ich Dich nicht.«

»Aber ich Dich.«

»Hoho! Ich bin kein junger Springinsfeld mehr, kein Sausewind, der an Nichts denkt. Ich bin alt genug, um ruhig zu beobachten und beurtheilen zu können. Ich halte mich für ebenso objectiv, wie Du Dich.«

»Das bist Du ja auch.«

»Na also!«

»Aber nur in dieser Angelegenheit nicht.«


// 1698 //

»Beweise es!«

»Du bist damals zu sehr mitgenommen worden; Du hast zu viel Schlimmes zu erfahren, zu leiden und zu dulden gehabt. Darum läuft Dir selbst jetzt, nach so langen Jahren die Galle über, wenn Du an jene Zeiten denkst.«

»Wozu habe ich die Galle!«

»Nur zum Ueberlaufen wohl?« lachte der General.

»Na ja, sie ist auch zu einigem Anderen da. Aber dieser Familie Napoleon habe ich es einmal getippt.«

»Und dabei wirst Du subjectiv.«

»Das heißt, ich urtheile ungerecht?«

»Ja.«

»Sapperment! Das hat mir noch Niemand gesagt.«

»Hoffentlich aber ist dies kein Grund, es mir, Deinem Vetter, übel zu nehmen.«

»Nein. Ich denke, daß Du mich kennst. Wir werden doch nicht uneins werden. Dieses Buonaparte wegen erst recht nicht. Er ist es gar nicht werth. Er war doch nichts weiter als ein großer Räuber, ein großer Dieb, ein großer - -«

»Ein großer Regent,« fiel ihm der General ein, »und ein noch größerer Feldherr.«

»Was! Willst Du etwa eine Ode auf ihn dichten?«

»Beinahe!«

»Das laß nur bleiben! Ich singe sie nicht mit.«

»Ist auch nicht nöthig. Wenn Du jene außerordentliche Zeit kaltblütig und unpartheiisch beurtheilst, so wirst Du über Napoleon anders denken lernen.«

»Wie denn?«

»Nun, ich nannte diese Zeit eine außerordentliche.«

»Ja. Weiter!«

»Also muß man auch einen außergewöhnlichen Maßstab an sie legen, wenn man über sie referiren will.«

»Schön!«

»Und eben weil sie eine ungewöhnliche Zeit war, mußte sie auch ungewöhnliche Erscheinungen hervorbringen.«

»Richtig!«

»Und ungewöhnliche Männer.«

»Auch das gebe ich zu.«

»Ein solcher war Napoleon.«

»Ohne Zweifel.«

»Auch er darf nicht mit dem gewöhnlichen Maßstabe gemessen werden, Vetter.«

»Thue ich das etwa?«

»Ja.«

»Oho! Ich nenne ihn Dieb und Räuber. Sind das gewöhnliche Leute? Lege ich also einen gewöhnlichen Maßstab an ihn?«

»Nein, aber einen sehr ordinären.«

»Donner und Doria! Soll ich die Elle, mit welcher ich ihn messe, etwa vergolden und mit Edelsteinen besetzen lassen?«

»Das ist nicht nöthig. Napoleon war ein Kind seiner Zeit.«

»Wie jeder andere Mensch auch, ja.«

»Er war vielleicht, ja ganz gewiß, der legitimste Sohn der Revolution.«

»Ist das eine Ehre für ihn?«

»Wenn es keine Ehre für ihn sein sollte, was ich sehr bezweifle, so ist es doch ein Entschuldigungsgrund. Giebst Du etwa nicht zu, daß die Revolution die nothwendige Folge der damaligen Zustände war?«

»Was das betrifft, so stimme ich Dir bei. Die Luft war verdorben, es lagen Miasmen und Dünste über den Reichen; es mußte ein Sturm kommen.«

»Du erklärst also die Revolution für berechtigt?«

»Für berechtigt nicht, aber für begründet.«

»Das ist Eins. Was einen Grund hat, da zu sein, das hat auch das Recht des Daseins.«

»Meinetwegen. Ich bin kein Wortklauber.«

»Und wenn Du die Revolution für berechtigt hältst, so erklärst Du auch ihren größten, begabtesten Sohn, nämlich Napoleon, für legitimirt.«

»Du sprichst wahrhaftig wie ein Professor!«

»Sage lieber, wie ein Rechtsanwalt! Ich plaidoyire für Napoleon.«

»So laß Dich nur von seinem Neffen gut bezahlen.«

»Ich verlange kein Honorar; ich thue es aus Gerechtigkeitsgefühl. Buonaparte hat viel, viel gefehlt, aber er hat unendlich mehr Segen gebracht. Der Sturmwind, welchen er anfachte, hat vieles Verfaulte zum Lande hinausgejagt.«

»Auf wie lange? Die Fäulniß begann sofort wieder.«

»Daran war er nicht schuld.«

»Das gebe ich allerdings zu.«

»Denke zum Beispiel an England -«

»Sapperment! Ja! Weißt Du, was ich von England halte?«

»Nun, was?«

»Das darf man eigentlich nur unter vier Augen sagen.«

»Nun, wir Beide haben grade nur vier.«

»Richtig! Gehe die Geschichte Englands durch. Besteht sie nicht aus einer einzigen, ununterbrochenen Erzählung von - Anlegungen und Colonieen?«

»Jawohl.«

»Weißt Du, wie man das in der gewöhnlichen Sprache nennt?«

»Ich denke es mir.«

»So brauche ich es Dir nicht erst zu sagen. Denke Dir, Du seiest der Regent eines Landes, Dein Volk ist mit Dir zufrieden und Du bist es mit ihm. Ihr lebt schlecht und recht, wie es sich gehört, pflanzt und erntet, arbeitet nach Pflicht und Gewissen und macht Euch auch zuweilen einen Spaß. Es geht Alles, Alles gut. Da kommt - wer?«

»Der Engländer?«

»Ja. Er sagt einfach zu Dir: Höre, mein lieber Anton, Ihr seid Wilde und ich bin der Englischman. Gebt Euer Land her! Ich will es Euch zwar nicht rauben, aber ich nehme mir eine kleine englische Quadratmeile davon, mache eine Mauer rundum, setze einige Kanonen darauf und dann spielen wir ein bischen Sechsundsechzig. Ihr dürft keine Fabriken anlegen, das darf nur ich, Ihr dürft keinem Anderen etwas verkaufen, denn ich allein kaufe von Euch und bezahle Euch so viel, wie mir gefällt. Und wenn Euch das nicht bequem ist, so binde ich Euch vor eine geladene Kanone und schieße Euch an's Firmament hinauf!«

»Hm! Das ist nicht ganz unwahr!«

»Meinst Du? Siehe Dich einmal auf der Landkarte


// 1699 //

um, so wirst Du bald auf eine eigenthümliche Marotte stoßen, welche er besitzt.«

»Meinst Du die Insolomanie?«

»Ja.«

»Diese ist keine Marotte!«

»Allerdings nicht. Er handelt vielmehr gradezu nach einer raffinirten Berechnung. Wo in irgend einem Welttheile, in irgend einem Lande, auf irgend einer Insel ein Flüßchen in's Meer läuft, vor dessen Mündung sich ein Eiland befindet, so besetzt er dieses und macht es zu einem kleinen Großbrittannien, welches ja auch vor den Ausflüssen der Elbe, des Rheines, der Seine liegt. Ist das wahr oder nicht?«

»Sehr wahr.«

»Der Ackerbauer, der Fabrikant, der Industrielle aber bringt seine Früchte, seine Waaren auf den Wogen des Flusses in den Handel. Vor dem Flusse aber lauert der Engländer wie - wie - wie -«

»Nun, wie?«

»Wie eine Spinne zwischen den Aesten des Baumes, oder wie früher unsere lieben Ahnen, welche sich mit ihren Knappen vor die Heerstraßen legten, um mit den Herren Kaufleuten einige Worte im Vertrauen zu sprechen. Da nun der Engländer den betreffenden Fluß beherrscht, so beherrscht er auch den Handel, welcher auf demselben betrieben wird. Und weil seine Zwing-Uri-Inseln über die ganze Erde verbreitet sind, so beherrscht er also den Welthandel. Ein schlauer Patron!«

»Er ist Kaufmann.«

»Aber er sagt, er sei ein Gentleman! Dem nun wollte Napoleon ein Ende machen. Man sage gegen ihn, was man wolle, aber wäre man auf seine Pläne eingegangen, so hätte England einen riesigen Strich durch die Rechnung bekommen. Merke wohl, ich habe nicht die Absicht, seine Fehler zu vertheidigen.«

»Das will ich Dir auch nicht rathen!«

»Aber ich darf auch nicht zugeben, daß Du das Kind mit dem Bade ausschüttest.«

»Thue ich das?«

»Ja.«

»So entschuldige mich!« lachte der Alte, sich grimmig den weißen Schnurrbart streichend.

»O bitte, bitte! Er war ein Löwe, und Du weißt, daß der Löwe ein etwas wildes Thier ist, den man nicht so wie ein zahmes Kaninchen beurtheilen darf.«

»Wen meinst Du mit dem Kaninchen?«

»Direct Niemanden.«

»Ich hätte Dich auch aus der Thür geworfen!«

»Danke, Vetter! Aber Zahme gab es damals grade genug.«

»So, so! Und Blücher, Gneisenau, York, Wellington?«

»Das war später. Uebrigens war dann Napoleon ein gefallener Löwe. Man hatte ihm die Pranken gefesselt, er wurde von England zu Tode gequält. Einen gefallenen Gegner aber, welcher sein Unglück mit Würde trägt, muß man achten!«

»Hm! Du sprichst nicht übel!«

»Habe ich nicht recht?«

»Mit der letzteren Bemerkung, ja.«

»Ich sage Dir, daß ich ihn nicht nur achte, sondern in Vielem sogar bewundere.«

»Oho! Bete ihn doch lieber an!«

»Das fällt mir nicht ein. Du hast viele Deutsche, welche ihr Vaterland lieben, den damaligen Druck schwer empfanden und doch mit Begeisterung von ihm sprechen.«

»So! Wer sind denn diese guten Leute?«

»Ich kann Dir nicht hunderte von Namen nennen.«

»Aber bitte, doch wenigstens einige!«

»Nun, wen pflegt man für den edelsten Sohn seines Volkes zu halten?«

»Diese Frage ist zu allgemein.«

»So will ich sie lieber gleich beantworten. Ich meine den Dichter.«

»Hm! Der Edelste?«

»Ja.«

»Na, meinetwegen!«

»Es giebt genug deutsche Dichter, welche dem großen Kaiser ihre Feder weihten.«

»Zum Beispiel?«

»Heine.«

»Ah! Der war ein Abtrünniger.«

»Als Dichter nicht. Kennst Du seine beiden Grenadiere?«

»Hatte er Grenadiere? War er Offizier?«

»Du scherzest. Ich meine das Gedicht, welches »die beiden Grenadiere« überschrieben ist.«

»Ist mir noch nicht vor die Augen gekommen.«

»Wie ergreifend, wie überwältigend schildert da Heine die Opfertreue und die Inbrunst, mit welcher die Krieger des großen Napoleon an ihrem Feldherrn hingen.«

»Das ist die Pflicht eines jeden Soldaten!«

»Natürlich! Ich weiß das auch. Aber es giebt da doch wohl einen Unterschied. Die Preußen liebten ihren alten Fritzen über alle Maßen - -«

»Das will ich meinen.«

»Aber es war - hm, wie drücke ich mich aus? Es war etwas sehr viel Gemüthlichkeit dabei. Die Liebe des französischen Soldaten war blindlings, war bigott. Es giebt kein anderes Wort als dieses letztere, welches den Nagel auf den Kopf trifft.«

»Und das schildert dieser Heinrich Heine?«

»Ja. Er erzählt von zwei französischen Grenadieren, welche todesmüde aus den Schneefeldern Rußlands zurückkehren, wo sie gefangen gewesen sind. Sie hörten in Deutschland, daß Frankreich besiegt und der Kaiser gefangen sei. Das schmetterte sie nieder. Der Eine sagte:

»- - - wie weh wird mir!
   Mir brennt meine alte Wunde.«

»Was ist das weiter! Es brennt manchem alten Krieger die Wunde, die er erhalten hat.«

»Der Dichter meinte, daß die alte Wunde aufgebrochen sei, so daß der Grenadier sich daran verbluten müsse. Der andere Grenadier antwortete:

- - - das Lied ist aus,
   Auch ich möcht mit Dir sterben,
Doch hab ich Weib und Kind zu Haus,
   Die ohne mich verderben.«

»Das ist sehr verständig und vernünftig von diesen Manne. Er hat für seine Familie zu sorgen!«


// 1701 //

»So aber dachte der andere Veteran nicht. Er antwortete:

Was scheert mich Weib, was scheert mich Kind,
   Ich trage weit besseres Verlangen.
Laß' sie betteln geh'n, wenn sie hungrig sind!
   Mein Kaiser, mein Kaiser gefangen!«

»Dieser Mensch verdient Prügel!« knurrte der alte grimmige Veteran.

»Der Dichter kann ja den Todesmuth des Grenadiers nicht packender schildern, als in dieser Weise. Er fährt fort:

Gewähr mir Bruder, eine Bitt'!
   Wenn ich jetzt sterben werde,
So nimm meine Leiche nach Frankreich mit,
   Begrab' mich in Frankreichs Erde.
Das Ehrenkreuz am rothen Band
   Sollst Du auf's Herz mir legen,
Die Flinte gieb mir in die Hand
   Und gürt' mir um den Degen!
So will ich liegen und horchen still
   Wie eine Schildwach' im Grabe,
Bis einst ich höre Kanonengebrüll
   Und wiehernder Rosse Getrabe,
Dann reitet mein Kaiser wohl über mein Grab,
   Viel Schwerter klirren und blitzen;
Dann steig' ich gewappnet hervor aus dem Grab,
   Den Kaiser, den Kaiser zu schützen!«

Der General war von seinem Stuhle aufgestanden und hatte das Gedicht declamirt, als ob er vor einer vielzähligen Versammlung stehe. Er als Soldat war begeistert von den Versen, und der Alte - - -

Dieser saß, als der General geendet hatte, eine ganze Weile wortlos da. Er hielt sein Auge in die Ecke des Zimmers gerichtet und kaute an seinem Barte. Endlich fragte ihn der General:

»Wirst Du auch jetzt noch spotten, Vetter?«

»Nein,« antwortete der Gefragte. »Es ist doch etwas Eigenthümliches um so ein Gedicht! Es greift Einem an das Herze; es läßt nicht los, bis man gefangen ist. Aber Heine war doch ein halber Franzose; dabei bleibe ich. Ein wirklich deutscher Mann kann kein solches Gedicht schreiben!«

»Meinst Du?«

»Ja.«

»Ich kann Dich vom Gegentheile überzeugen.«

»Oho! Nenne mir Einen!«

»Den Freiherrn von Zedlitz. Nennst Du auch den keinen Deutschen?«

»Hm! Weiß nicht! Wenn er über Napoleon dichtete, so verdenke ich es ihm sehr!«

»Er betrachtete den Kaiser nicht so subjectiv wie Du. Er war gerechter.«

»Was war er denn sonst, außer Dichter?«

»Zuerst preußischer Husarenoffizier -«

»Was? Wirklich?«

»Ja.«

»Und dichtet auf Napoleon?«

»Wie Du gehört hast! Später wurde er Ministerresident. Er muß also doch ein guter Deutscher gewesen sein. Nicht?«

»Man sollte es denken!«

»Und demnach dichtete er seine »Nächtliche Heerschau«. Er erzählt da, daß Nachts um die zwölfte Stunde der Tambour sein Grab verläßt und wirbelnd die Runde macht. Er rührt mit seinen entfleischten Armen die Trommelschlägel, so daß die todten Soldaten in ihren Gräbern erwachen.

Und die im tiefen Norden
   Erstarrt in Schnee und Eis,
Und die in Welschland liegen,
   Wo ihnen die Erde heiß,
Und die der Nilschlamm decket
   Und der arabische Sand,
Sie steigen aus ihren Gräbern
   Und nochmals Gewehr zur Hand.«

»Eine fürchterliche Phantasie,« meinte Königsau. »Es kann Einem gruselig dabei werden!«

»Der Dichter will eben sagen, daß die Macht des großen Todten noch im Grabe wirke. - Aber zu der nächtlichen Stunde verläßt auch der Trompeter sein Grab. Er schmettert in die Trompete, und die todten Cavalleristen gehorchen diesem Rufe.

Es kommen auf luftigen Pferden
   Die todten Reiter herbei,
Die blutigen, alten Schwadronen,
   In Waffen mancherlei.
Es grüßen die weißen Schädel
   Wohl unter dem Helm hervor;
Es halten die Knochenhände
   Die langen Schwerter empor.«

»Nun muß auf jeden Fall auch der Geist des Kaisers erscheinen. Nicht?«

»Ja, denn des Dichter fährt fort:

Und um die zwölfte Stunde
   Verläßt der Feldherr sein Grab,
Kommt langsam daher geritten,
   Umgeben von seinem Stab.
Er trägt ein kleines Hütchen;
   Er trägt ein einfach Kleid,
Und einen kleinen Degen
   Trägt er an seiner Seit'.«

»Ganz so, wie er es wirklich gethan hat und wie ich ihn gesehen habe. Weiter, Vetter!«

Der General stand auch jetzt da, nicht recitirend, sondern declamirend. Er folgte der Aufforderung:

»Der Mond mit gelbem Lichte
   Erhellt den weiten Plan;
Der Mann im kleinen Hütchen
   Sieht sich die Truppen an.
Die Reihen präsentiren
   Und schultern das Gewehr;
Dann zieht mit klingendem Spiele
   Vorüber das ganze Heer.«

»Ah, also die Heerschau! Das Sujet ist ein grausiges.«

»Aber der Inhalt dieses deutschen Gedichtes ist in der französischen Uebersetzung von de Charlemagne so in das französische Volk gedrungen, daß der todte Kaiser wirklich jährlich im elisäischen Felde diese Parade über die Geister seiner Krieger abhält. Höre weiter:

Die Marschälle und Generäle
   Schließen um ihn einen Kreis,
Der Feldherr sagt dem Nächsten
   In's Ohr ein Wörtlein leis.
Das Wort geht in die Runde,
   Klingt wieder fern und nah;
Frankreich heißt die Parole.
   Die Losung Sanct Helena.
Dies ist die große Parade
   Im elisäischen Feld,
Die um die zwölfte Stunde
   Der todte Cäsar hält.«


// 1702 //

Als der General geendet hatte, beobachtete Königsau ein momentanes Schweigen und sagte dann:

»Und diese alten Krieger, wer hat sie niedergehauen?«

»Ihr natürlich!«

»Ja, wir. Sie mögen, wenn sie um Mitternacht vor ihrem Kaiser vorüberziehen, verteufelt grimmige Blicke herüber werfen.«

»O nein. Sie überlassen das ihren Nachfolgern.«

»Die wir aber wieder so zurücktreiben werden wie jene nächtlichen Gestalten.«

»Ich wünsche von ganzem Herzen, daß Deine Ansicht die richtige sei.«

»Du glaubst doch nicht etwa das Gegentheil?«

»Nein. Aber kein Mensch ist allwissend. Der Krieg ist auf alle Fälle ein Unglück. Besser wäre es, wenn er unterbleiben könnte.«

»Oho! Ein lustiger Krieg führt zum Sieg! Ich freue mich königlich, daß die Franzianer mit uns anbinden wollen, und wünsche ihnen von ganzem Herzen gesegnete Prügel.«

»Frankreich ist stärker, als Du denkst!«

»Pah! Es hat sein Prestige seit Sadowa verloren!«

»Daher schnaubt es auch seitdem Rache für Sadowa. Es hat sich gerüstet, und nun müssen wir eben abwarten, wie die Würfel fallen.«

»Wir werfen den höchsten Pasch. Ich vertraue auf Moltke, auf unser gutes Heer und auf die höchste Gerechtigkeit. Aber abwarten werde ich doch nicht, wie die Würfel fallen.«

»Was denn?«

»Ich mache mit.«

»Was? Du?«

»Ja.«

»Bist Du toll?«

»Nein. Ich bin im Gegentheile sehr bei Verstand.«

»Du in Deinen Jahren!«

»Oho! Noch habe ich Mark in den Knochen!«

»Aber Dein Kopf!«

»Sapperment! Erinnert mich nur nicht so oft an diese Schwäche! Es ist ja nur eine Lücke des Gedächtnisses, an der ich leide, weiter nichts!«

»Und dennoch denke ich, daß Du Dir die Sache vorher doch erst reiflich überlegen wirst.«

»Sie ist überlegt.«

»Sei gescheidt, Vetter! Laß das sein!«

»Ich wüßte keinen Grund dazu.«

»Ich wiederhole: Dein Alter!«

»Alle Wetter! Ich bin ja noch nicht einmal achtzig Jahre alt! Wo denkst Du hin!«

»Aber neunundsiebzig und dreiviertel!«

»Das ist doch noch kein Alter, bei welchem man sich auf das Sopha setzt, wenn der Tanz mit den Franzosen losgeht. Es bleibt dabei: Ich mache mit!«

»Als was?«

»Am liebsten als Compattant; aber leider würde man mich da zurückweisen. Es bleibt mir also nichts übrig, als unter die Krankenpfleger zu gehen.«

»Aber, bedenke die Anstrengung!«

»Ich fürchte sie nicht. Ich gehe mit der Gardereiterei; da bleibe ich in Richardt's Nähe.«

»Hm! Ob er es billigen wird, daß Du Dich solchen Gefahren und Anstrengungen aussetzest?«

»Ich werde ihn wohl schwerlich nach seiner Erlaubniß fragen! Ich hoffe, da drüben, jenseits der Grenze, mit Einem zusammen zu kommen, mit dem ich noch eine alte, sehr alte Rechnung quitt zu machen habe!«

»Du meinst den Capitän Richemonte?«

»Ja.«

»Es würde wohl besser sein, ihn jüngeren Leuten zu überlassen!«

»Jüngeren? Vetter, ich sage Dir: Wenn ich an diesen Menschen denke, so fühle ich mich wie einen zwanzigjährigen Jüngling! Wehe ihm, wenn er das Unglück hätte, zwischen meine Fäuste zu gerathen!«

Der alte, ehrwürdige Mann hatte sich von seinem Sitze erhoben. Seine Augen blitzten; seine Fäuste waren geballt. Beim Anblicke des greisen Recken hielt es der General allerdings für sehr wahrscheinlich, daß Richemonte im Falle eines Kampfes mit ihm unterliegen müsse.

Da trat der Diener ein.

»Gnädiger Herr,« meldete er, »es ist Jemand da, der Sie zu sprechen wünscht.«

»Heute Abend noch?«

»Ja.«

»Wer ist es?«

»Eine Dame.«

»Hat sie ihren Namen gesagt?«

»Sie will ihn selbst nennen.«

»Das ist eigenthümlich. Sie ist eine Unbekannte?«

»Nein.«

»Ah, so kenne ich sie? Also vielleicht eine Ueberraschung? Kerl, was machst Du für ein Gesicht! Du lachst von einem Ohre zum andern, und doch glaube ich, daß Deine Augen naß sind! Sapperment! Es wird doch nicht etwa Emma - -«

»Ja, sie ist's; sie ist's, Großpapa!«

So tönte es vom Eingange her, und Emma warf sich in die Arme des Alten.

Er war wortlos vor Freude. Er drückte sie an sich und strich ihr nur immer mit der Hand über das reiche Haar.

Dann zog sie seinen Kopf zu sich herab, küßte ihn zärtlich auf den Mund und fragte:

»Habe ich Dich erschreckt, Großpapa?«

»Ja, aber freudig, sehr freudig,« antwortete er mit zitternder Stimme.

»Mein Gott! Es wird Dir doch nichts schaden!«

»Nein. Für eine solche Freude sind meine alten Knochen noch stark genug. Aber laß mich sitzen!«

Sie führte ihn zum Sopha, auf welches er sich niederließ, und dann begrüßte sie auch den Onkel General.

»Du bist erst jetzt angekommen?« fragte Dieser.

»Ja, vor einer Viertelstunde.«

»Aber doch nicht allein?«

»Nein. Ich reiste in Gesellschaft.«

»Mit Madelon?«

»Ja, mit ihr und noch Einigen, welche Ihr noch kennen lernen werdet.«

»Gut, daß Du da bist. Der Krieg ist erklärt, und


// 1703 //

dort in und bei Ortry wird es bald gefährlich werden. Wo steckt denn jetzt Richardt?«

»Er mußte zurückbleiben; aber wir wurden unterwegs aufgehalten, weil Madelon unwohl wurde, und da, und da - -«

Sie hielt inne und blickte den Großvater besorgt an.

»Was dann?« fragte dieser. »Denke nicht, daß Du mir schadest. Die Freude tödtet nicht. Also weiter, liebe Emma! Und da - -?«

»Und da ist es ihm gelungen, uns einzuholen.«

»Wo?«

»Er erreichte uns in Hannover.«

»Ist er dann mit Euch weiter?«

»Ja.«

»So ist er auch hier?«

»Ja, Großpapa.«

»Wo denn?«

»Willst Du ihn denn sehen?«

»Natürlich! Spielt nur keine Komödie mit mir!«

Er stand wieder auf und schritt nach der Thür. Da aber kam ihm Emma zuvor und öffnete sie. Herein trat - Doctor Müller.

Der Großvater hielt seinen Schritt an, als er ihn erblickte und sagte erstaunt:

»Richardt! Sapperment! Irre ich mich denn? Ah, ja, Du hast Dich ja verstellen müssen! Komm' her, mein Junge! Ich muß Dich umarmen!«

Sie lagen sich Brust an Brust. Dann schob der Alte den Jungen von sich, betrachtete ihn abermals und sagte:

»Buckelig also! Höre, der Buckel geht doch herunter?«

»Sofort,« lachte Richardt.

»Und diese schwarze Perrücke?«

»Da liegt sie.«

Dabei nahm er sie ab und warf sie zur Erde. Einen Griff unter den Rock, wo er eine Schnalle öffnete, und auch der Höcker fiel zu Boden.

»Aber das dunkle Gesicht! Du siehst aus wie ein Calabrese.«

»Das ist leider Wallnußsaft und wird nicht gleich zu entfernen sein. Es bedarf einiger Wochen.«

»Und Dein Bart, Dein prächtiger Bart! Schade, schade um ihn, mein Junge!«

»O, er wird wieder wachsen. Aber, ich muß doch nun auch den Onkel begrüßen!«

Dies geschah, und dann nahmen die vier Leute an dem Tische Platz. Der Großvater klingelte und befahl dem Diener, Wein zu bringen und das Abendessen zu besorgen. Als der Diener sich entfernen sollte, hielt er ihn mit dem Rufe zurück:

»Halt! Mensch, Du machst ja ein Gesicht, wie ich es noch gar nicht bei Dir gesehen habe? Du siehst aus wie lauter Weihnachtsabend. Was hast Du denn?«

»Freude, herzliche Freude, gnädiger Herr.«

»Worüber?«

»Ich habe auch Besuch bekommen.«

»So, so! Welchen?«

»Aus Frankreich.«

»Sapperlot! Wer ist es denn?«

»Der Fritz.«

»Welcher Fritz? Wohl der Wachtmeister?«

»Ja, freilich.«

»Prächtig! Wo steckt er denn?«

»Hier im Vorzimmer.«

»Dann nur immer herein mit ihm!«

Der wackere Fritz trat ein, als Pflanzensammler bekleidet, mit einem Sacke auf dem Rücken. Der Großvater lachte und streckte ihm die Hand entgegen:

»Willkommen, Wachtmeister, willkommen! Ist dies Ihre französische Gestalt gewesen?«

»Zu Befehl, Herr Rittmeister!«

»Dann legen Sie sie schleunigst ab. Sie sollen heute Abend mit uns essen.«

»Ja, das hat er verdient, lieber Großvater,« sagte Richards. »Ich habe ihm viel, sehr viel zu verdanken.«

Auch der General streckte dem Wachtmeister die Hand entgegen, und es war ein eigenthümlicher, tief aus dem Herzen herausschimmernder Blick, welchen der junge Mann auf Goldberg warf. Dann entfernte er sich und kam bereits nach wenigen Minuten in seiner Ulanenuniform wieder.

»So ist's recht!« sagte der Großvater. »Diese Blouße darf nicht auf dem Leibe eines braven Preußen bleiben. Setzen Sie sich her zu uns. Da stehen Cigarren, und hier ist Wein. Schänken Sie sich ein, Wachtmeister! Bald wird servirt; das wird unsern Reisenden willkommen sein. Und dann, wenn wir gegessen haben, soll das Erzählen beginnen. Ich bin neugierig, Eure Erlebnisse zu erfahren.«

Da räusperte sich Richards und sagte:

»Lieber Großvater, es wird besser sein, wenn wir mit unserm Berichte nicht so lange warten.«

»Warum?«

»Ich habe keine Zeit. Ich muß mich melden und Bericht erstatten.«

»So spät noch?«

»Ich würde mich melden, selbst wenn ich mitten in der Nacht eingetroffen wäre.«

»Ist Dein Bericht so wichtig?«

»Ungeheuer.«

»Dann gratulire! Sage uns vor allen Dingen das Eine: Hast Du gute Erfolge gehabt?«

»Ausgezeichnete!«

»Das genügt. Das Andere kann ich ruhig abwarten.«

»Ich wiederhole, daß ich diese Erfolge zum großen Theile dem Wachtmeister zu verdanken habe. Nicht wahr, Fritz?«

Der Gefragte machte eine abwehrende Handbewegung und sagte:

»O, es ist nicht so schlimm. Ich habe meine Pflicht gethan, weiter nichts. Du urtheilst viel zu freundlich über mich!«

»Pah! Du weißt am Besten, wie wir stehen!«

»Bitte, laß das sein! Schweigen wir darüber!«

Sowohl der Großvater wie auch der General blickten die Beiden erstaunt an. Der Erstere fragte:

»Was ist denn das, Richardt? Habe ich richtig gehört?«

»Was?«

»Ihr nennt Euch Du?«

»Ja.«

»Du hast mit dem Wachtmeister Brüderschaft gemacht?«

»Ja, lieber Großvater.«

»Reitet Dich denn der Teufel?«


// 1704 //

»Hast Du Etwas dagegen?«

»Gegen den Wachtmeister Fritz Schneeberg habe ich ganz und gar nichts; er ist ein braver Mensch und ein tüchtiger Soldat, aber das ist für den Garderittmeister Richardt von Königsau denn doch noch kein Grund -«

»Mit ihm Brüderschaft zu trinken, nicht wahr?«

»Ja, das will ich sagen. Der Wachtmeister wird so viel Verstand und Einsicht haben, mir dies nicht übel zu nehmen.«

Da antwortete Emma anstatt ihres Bruders:

»Es fällt ihm gar nicht ein, es übel zu nehmen, Großpapa. Aber ich billige diese Brüderschaft.«

»Was! Auch Du?«

»Ja.«

»Dann giebt es dabei irgend Etwas, was ich nicht weiß. Wie ich Euch Beide kenne, vergeßt Ihr wohl niemals, daß unsere Ahnen mit Gottfried von Bouillon Jerusalem eroberten.«

»Nein, das vergessen wir nicht. Fritz hat uns solche Dienste geleistet, daß wir ihm diese Anerkennung schuldig sind. Wir können auf ihn gerade so stolz sein wie auf unsere Ahnen.«

»Das begreife, wer es vermag. Hoffentlich erfahre ich Etwas über diese Dienste! Euch hat er sie geleistet, sagst Du? Du meinst aber doch wohl nur Richardt?«

»Nein, auch mich.«

»Hm!«

»Und auch Dich und den Onkel General.«

»Was? Diese Dienste beziehen sich auch auf uns?«

»Sogar sehr. Die ganze Familie ist ihm zum allergrößten Danke verpflichtet.«

»Wieso?«

»Das führt mich auf meine vorige Bemerkung zurück,« sagte Richardt. »Ich muß mich noch heute melden, und es ist sehr möglich, daß ich bereits morgen Berlin wieder verlassen werde. Darum ist es mir erwünscht, Alles, was wir zu besprechen haben, möglichst schnell zu erledigen.«

»Gehören denn dazu auch des Wachtmeisters Dienste?«

»Jawohl, Großvater. Wir haben nämlich nicht nur in Beziehung auf die mir gestellte Aufgabe, sondern auch in privater Angelegenheit große Erfolge gehabt.«

»Beziehendlich unserer Familie?«

»Ja. Zunächst meine ich damit Onkel Goldberg.«

»Mich?« fragte der General. »Ich habe doch mit Eurem Aufenthalte in Frankreich gar nichts zu schaffen.«

»Aber dieser Aufenthalt hat sehr viel mit Dir zu schaffen. Es handelt sich nämlich um - ah, es ist gut, daß die Tante nicht da ist! Sie würde uns mit einigen Ohnmachten zu schaffen machen.«

»Ohnmachten? Richardt, Du hast etwas Schlimmes für uns?«

»Nein.«

»Aber Du sprichst von Ohnmachten!«

»Man kann auch vor Freude in Ohnmacht fallen.«

»Mensch, spanne mich nicht auf die Folter!«

»Nun, Du bist Soldat. Du wirst wohl nicht die Besinnung verlieren oder die Krämpfe bekommen. Es handelt sich nämlich um die - - - Löwenzähne.«

Er sprach das Wort langsam und mit schwerer Betonung aus. Der General fuhr empor, starrte ihn an, griff sich mit beiden Händen an den Kopf und fragte:

»Verstehe ich Dich recht? Die Löwenzähne?«

»Ja.«

»Herr, mein Gott! Sprich, sprich schnell!«

»Nun, Fritz hat eine Spur gefunden.«

»Wovon?«

»Daß diese Zähne noch existiren.«

»Wo, wo?«

»Der eine in Deutschland und der andere in Paris.«

»Ist's wahr? Ist's wahr?«

»Ja. Deshalb sagte ich, daß auch Ihr ihm Dankbarkeit schuldet, lieber Onkel.«

»Natürlich, o, ganz natürlich! Aber, wie und wo ist diese Spur gefunden worden?«

Der General befand sich in einer sehr erklärlichen Aufregung. Er sprudelte seine Worte so schnell hervor, daß man sie kaum verstehen konnte. Darum sagte Richardt:

»Bitte, lieber Onkel, setze Dich nieder und trink einen Schluck Wassers. Ich befürchte doch, daß wir Dich mehr aufregen, als es gut für Dich ist.«

Der General zog das Taschentuch hervor, um sich die Stirn zu wischen, setzte sich nieder und griff mechanisch nach dem Wasserglase. Richardt fuhr fort:

»Uebrigens brauchst Du noch nicht in Exstase zu gerathen. Die Angelegenheit ist noch keinesweges klar; sie muß geprüft werden. Also, Ruhe, Ruhe!«

Der General trank und sagte dann:

»Gut, ich will ruhig sein. Ich bin gleich zu sanguinisch gewesen. Es war ja nur von einer Spur die Rede. Also, wo habt Ihr sie gefunden?«

»In Ortry und sodann auf Schloß Malineau. Die beiden Zähne existiren. Da wir aber sicher gehen wollten, so begnügten wir uns nicht nur an dem Gerüchte, welches wir hörten, sondern wir versuchten, uns in den Besitz der Zähne zu setzen, um sie prüfen zu können.«

»Recht so! Recht so! Ist's vielleicht gelungen?«

»Zur Hälfte.«

»Was heißt das?«

»Wir haben nicht alle Beide, sondern nur einen erlangt.«

»Gott sei ewig Lob und Dank!« jubelte der General. »Wo ist der Zahn? Habt Ihr ihn mit?«

»Ja, natürlich!«

»Wo?«

»Fritz hat ihn.«

»Sie? Sie?« fragte der General.

»Ja,« antwortete Richardt. »Ich mußte ihn in seinen Händen lassen, weil er ein Recht dazu hat.«

»Dann bitte, schnell, schnell, Herr Wachtmeister!«

Das Gesicht Fritzens war todtesbleich und seine Hand zitterte sichtbar, als er in die Tasche griff und den Löwenzahn hervorzog, um ihn dem General zu geben.

Dieser griff mit Begierde zu.

»Er ist's, er ist's!« rief er laut, als er den ersten Blick darauf warf. »O mein Gott, mein Gott!«

Er wollte den Zahn öffnen, allein seine Hände zitterten mehr noch als diejenigen des Wachtmeisters. Es dauerte eine Zeit, ehe der Inhalt zum Vorscheine kam.

Der alte Großvater hatte während der letzten zehn


// 1705 //

Minuten kein Wort gesprochen, aber seine Augen waren mit größter Spannung auf die Hände des Generals gerichtet. Jetzt fragte er:

»Ist's wirklich einer der Zähne?«

»Ja, ja!« jauchzte der General. »Es ist der rechte, der aus der rechten Kinnlade; ich habe ihn meinem Erstgeborenen umgehängt. Richardt, Richardt, schnell, schnell, heraus damit! Bei wem ist dieser Zahn hier gefunden worden?«

»Beruhige Dich zuvor, lieber Onkel!«

»Ich bin ja ganz ruhig!«

»O nein! Du fieberst ja förmlich!«

»Nun, so laßt mich vorher ein wenig frische Luft schöpfen!«

Er trat an das Fenster und öffnete es. Wohl erst nach fünf Minuten fühlte er sich gesammelt genug. Er kehrte zum Tische zurück und sagte:

»So! Jetzt wird es gehen. Also, wo ist der Zahn gefunden worden?«

»Bei einem blut-, blutarmen Teufel. Wir müssen also sehr vorsichtig sein.«

»Seit wann ist er im Besitze dieses Kleinodes gewesen?«

»Seit frühester Kindheit.«

»Wie alt ist er?«

»Gerade so alt, wie die beiden Knaben jetzt sein würden.«

»Mein Heiland! Ihr kennt doch seinen Namen?«

»Das versteht sich ganz von selbst.«

»Wo befindet er sich?«

»Hier in Berlin.«

»Seit wann?«

»O, seit langer, langer Zeit. Ich habe ihn sehr gut gekannt.«

»Dann ich vielleicht auch?«

»Ja, ebenso gut wie ich.«

»Was ist er?«

»Soldat.«

»Den Namen, den Namen!«

»Bitte, liebster Onkel,« sagte Richardt abwehrend, »jetzt noch nicht. Sprechen wir zunächst von dem anderen Zahne!«

»Der in Paris ist?«

»Ja.«

»Wer hat ihn?«

»Zunächst sage ich Dir, daß der Besitzer vor Kurzem auch hier in Berlin gewesen ist.«

»Was? Auch hier?«

»Ja. Es geht wirklich ganz und gar wunderbar mit diesen Zähnen zu. Der Pariser hat sich sogar auf unserer Straße befunden.«

»Was Du sagst!«

»Ja, sogar in unserem Hause.«

»Bei mir?« fragte der Großvater.

»Ja, bei Dir.«

»Hier ist nur eine einzige Person gewesen, welche aus Paris war.

»Wen meinst Du?«

»Den Maler Haller.«

»Den meine ich auch.«

»Was? Dieser befindet sich im Besitze des anderen Zahnes?«

»Ja.«

»Welch eine Fügung! Du schriebst uns, daß er gar nicht Maler sei?«

»Ja; er ist Offizier.«

»Sein Vater ein Graf?«

»Sein Pflegevater.«

»Was? Sein Pflegevater?« rief der General.

»Ja. Graf Lemarch ist nicht der rechte Vater des angeblichen Malers Haller.«

»Kennt man den richtigen Vater?«

»Der bist jedenfalls Du, lieber Onkel.«

»Ich weiß wirklich nicht, wo mir der Kopf steht. Ich habe sehr gute Nerven, aber es greift mich denn doch an.«

»Das sehe ich, und darum ist es am Besten, wir sprechen nicht weiter über diese Angelegenheit.«

»Wo denkst Du hin! Ich muß unbedingt Alles erfahren, was Ihr wißt, Alles!«

»Wenn die Aufregung Dir nicht schadet, ja!«

»Sie schadet mir nichts. Wie alt ist dieser Graf Lemarch?«

»Hast Du ihn gesehen?«

»Einmal, aber nur vorübergehend.«

»Ich habe ihn nicht nach dem Alter gefragt; ich denke aber, daß dasselbe stimmen wird. Uebrigens wird man ja den Lermille fragen können.«

»Wer ist dieser Lermille?«

»Ein Bajazzo, ein Seiltänzer.«

»Hat denn dieser auch mit unserer Angelegenheit zu schaffen?«

»Sogar sehr,« antwortete Richardt, welcher sich wohl hütete, gleich Alles zu sagen. Das wäre doch wohl gefährlich gewesen. Der General mußte erst vorbereitet werden.

»In wiefern?« fragte der Letztere.

»Nun, er ist eigentlich ein Vagabond, ein verbrecherisches Subject. Er gab in Thionville Vorstellungen und hatte eine Stieftochter bei sich, welche auch Seiltänzerin war und sich in unseren Wachtmeister hier zum Sterben verliebte.«

»Gehört das auch hierher?«

»Vielleicht!«

»Spanne mich nicht auf die Folter!«

»Nein; ich will Dir nur beweisen, daß die Person dieses Bajazzo für uns von Werth ist.«

»Dann weiter!«

»Dieser Mensch tödtete seine Stieftochter und ging dann mit der Casse seines Directors durch. Die Tochter war nicht sofort todt; sie erzählte noch in ihren letzten Augenblicken, daß ihr Stiefvater einst zwei Knaben geraubt habe, welche zwei Löwenzähne bei sich getragen hätten.«

»Ah, jetzt kommt es! Wo hat er sie geraubt?«

»In Preußen.«

»Und wohin geschafft?«

»Einer der Knaben ist unterwegs verloren gegangen, ich glaube, in der Nähe von Neidenburg in Ostpreußen.«

»Und der Andere?«


// 1706 //

»Der wurde nach Paris geschleppt.«

»Aber warum?«

»Der Vagabond war von Richemonte und Graf Rallion erkauft worden, wie ich vermuthe und später zu beweisen hoffe.«

»Ah! Also diese Beiden! Diese Hallunken sind es gewesen! Gebt mir Beweise in die Hände, Beweise, und ich werde Rallion und Richemonte zermalmen!«

»Um Beweise bringen zu können, muß man sich des Knabenräubers bemächtigen.«

»Allerdings. Aber Du sagtest, er sei entflohen?«

»Leider!«

»Er muß verfolgt werden!«

»Ich hetzte sofort die Polizei hinter ihm her, aber vergeblich, bis ganz unerwartet - - -«

»Unerwartet - - was denn, was?«

»Er mir in Schloß Malineau in die Hände lief.«

»Du hieltest ihn fest?«

»Ja.«

»Er ist also gefangen?«

»Ja.«

»Gott sei Dank!« sagte der Graf, tief aufathmend. »Wir haben die Zähne, und wir haben den Knabenräuber; nun endlich wird Klarheit in diese - - doch, o wehe!«

»Was, lieber Onkel!«

»Dieser verteufelte Krieg! Der Bajazzo hat den Mord auf französischem Gebiet begangen.«

»Ja, in Thionville.«

»Dann ist für mich zunächst nichts zu hoffen.«

»Warum?«

»Die Kriegserklärung ist geschehen; Frankreich ist unser Feind; es wird uns den Räuber nicht ausliefern.«

»Das sagte ich mir auch.«

»Aber ich werde dafür sorgen, daß er uns nicht entgehen kann.«

»Was willst Du thun?«

»Ich wende mich nach Paris an den Justizminister.«

»Das ist zu zeitraubend und zu unsicher.«

»Weißt Du etwas Schnelleres und Sichereres?«

»Ja.«

»Was?

»Wende Dich an mich.«

»An Dich? Was soll das heißen? Mensch, Du steckst ja heute ganz und gar voller Geheimnisse!«

»In welche ich Dich aber einweihe. Ich habe dafür gesorgt, daß Du keines französischen Beamten bedarfst. Nämlich dieser Bajazzo ist wieder entsprungen.«

»Alle Teufel! Wie ist ihm das gelungen? Einen Mörder pflegt man doch festzuhalten!«

»Ich selbst habe ihm zur Freiheit verholfen.«

»Bist Du gescheidt?«

»Ganz dumm bin ich wohl nicht gewesen.«

»Aber nun ist er doch wieder fort!

»Von Malineau, ja. Nämlich nicht ich habe ihn gefangen genommen, sondern mein Freund, der Rittmeister von Hohenthal, welcher ihn - - -«

»Hohenthal?« fiel der General ein. »Mein Kopf brummt förmlich von diesen allen Ueberraschungen.«

»Darum will ich nicht auf Details eingehen, für welche ja später Zeit ist, sondern ich will nur die Conturen zeichnen. Hohenthal kannte ihn als Verbrecher, ohne zu ahnen, daß er der Räuber der Zwillinge sei. Er traf ihn in Malineau und nahm ihn fest. Ich kam dazu, erfuhr davon und ließ den Bajazzo des Nachts aus seinem Gefängnisse.«

»Aber, Richardt, das ist ja geradezu verrückt.«

»Nein. Höre mich an. Ich wußte ja, daß uns der Kerl nichts nützen könne, so lange er sich in Frankreich befände. Er mußte unbedingt über die Grenze herüber. Darum befreite ich ihn, gab mich für einen auch mit dem Gesetze Zerfallenen aus und floh mit ihm über die Grenze, um ihn da in meine Gewalt zu bringen.«

»Gott sei Dank!« stieß der General hervor.

»Nun, war das dumm?« lächelte Richardt.

»Nein, sondern es war ein Geniestreich!«

»Freut mich, daß Du mich nun gar für ein Genie hältst.«

»Aber Du hast ihn doch festnehmen lassen?«

»Natürlich.«

»So befindet er sich in Gewahrsam?«

»Ja.«

»Wo?«

»Hier in Berlin.«

»Das ist herrlich; das ist prächtig!«

»Wir gehen gleich morgen früh zum Staatsanwalte, um die Untersuchung einleiten zu lassen.«

»Ja; ich verliere keinen Augenblick. Also Du glaubst, daß der junge Lemarch - - -«

»Ich weiß zunächst, daß er der Besitzer des zweiten Zahnes ist. Das Weitere müssen wir abwarten.«

»Und der erste Zahn? Also sein Besitzer ist Soldat?«

»Ja. Er ist ein Waisenkind.«

»Jetzt Soldat. Aber welchen Beruf hat er?«

»Barbier und Friseur.«

»Mein Gott! Wenn er wirklich unser Sohn wäre! Und Barbier! Was muß er gelitten haben! Wann ist er eingetreten? Weißt Du das?«

»Vor bereits längerer Zeit.«

»Natürlich! Seinem Alter nach! Und er dient noch?«

»Ja.«

»So muß er chargirt sein!«

»Ja, das ist er.«

»Welchen Grad?«

»Wachtmeister.«

»Er ist also Cavallerist?«

»Ja.«

»Bei welchem Regimente?«

»Gardeulanen.«

»Wie? Also in Deinem Regimente?«

»Ja, sogar in meiner Schwadron.«

Fritz saß da mit völlig blutleerem Gesichte; er wagte nicht, die Augen zu erheben. Der General war abermals aufgesprungen; er starrte Richardt wie geistesabwesend an, brachte aber kein Wort hervor. Statt seiner aber rief der Großvater über den Tisch herüber:

»Gott stehe mir bei! Da kommt mir ein Gedanke!«

»Nun, welcher denn?« fragte Richardt lachend.

»Der Betreffende ist Wachtmeister Deiner Schwadron?«

»Ja.«

»Der Maler Haller hat den andern Zahn?«

»Ja.«


// 1707 //

»In Deiner Schwadron ist nur ein einziger Wachtmeister?«

»Natürlich.«

»Ist Dir nicht eine Aehnlichkeit aufgefallen, Richardt?«

»Du meinst, zwischen Haller und dem Wachtmeister?«

»Ja.«

»O, die ist sogar ungeheuer groß.«

»So ist - alle Teufel, es will fast nicht heraus! - so ist dieser Fritz Schneeberg hier der Wachtmeister?«

»Aufrichtig gestanden, ja.«

»Und zugleich der Besitzer des Zahnes?«

»Gewiß,«

»Er hat ihn Zeit seines Lebens bei sich getragen; er war Barbier und Friseur; er stammt aus der Gegend von Neidenburg. - Sapperlot und Sapperment, Goldberg, General, Vetter, der Fritz da ist Dein älterer Zwillingsjunge!«

Kunz von Goldberg war noch immer sprachlos. Er hielt den Blick auf Fritz gerichtet; er wollte die Arme erheben, um ihn zu umarmen; aber er konnte sie nicht bewegen.

Da stand Fritz von seinem Platze auf, richtete den thränenden Blick auf den General und sagte:

»Verzeihung, Excellenz, ich kann nicht dafür!«

»Natürlich kannst Du nicht dafür!« rief der Großvater.

Und als der Wachtmeister ihn fragend ansah, fuhr er fort:

»Nämlich, daß Du geraubt worden bist.«

»Das meine ich nicht.«

»Was denn?«

»Daß ich für das eine der verlorenen Kinder erklärt werde. Richardt kann mir bezeugen, daß ich mich lange, lange Zeit gesträubt habe.«

»Warum denn aber! Dieser Zahn ist doch Ihr Eigenthum? Nicht?«

»Ja.«

»Nun, so ist ja Alles in Richtigkeit. Wie wunderbar! Befindet sich der Kerl seit Jahren hier bei uns, und Niemand ahnt, daß er unser Verwandter ist! Aber, Goldberg, bist Du stumm?«

Jetzt erst kam in den General Bewegung. Er stieß einen unarticulirten Schrei aus, stürzte auf Fritz zu und riß ihn in seine Arme.

»Mein Sohn, mein Sohn!« mehr brachte er nicht hervor, aber es lag eine ganze Welt voll Wonne in diesem Ausrufe.

Es trat eine tiefe Stille ein. Aller Augen waren naß. Großvater, Enkel und Enkelin blickten in tiefster Rührung auf die Gruppe vor ihnen. Der General weinte wie ein Kind. Fritz war ruhig. Er vermochte nicht, an sein Glück zu glauben. Er entzog sich sanft der Umarmung des Generals und sagte:

»Excellenz, wenn Sie sich irren - - -«

»Nein, ich irre mich nicht; jetzt fühle ich es,« antwortete dieser. »Der beste Beweis liegt in dem Umstande, daß Ihr Beide, in deren Händen sich die Zähne befinden, Euch so ungeheuer ähnlich seid. Sage Du zu mir, mein Sohn! Du wirst mir viel, sehr viel zu erzählen haben, aber das verschieben wir auf später. Jetzt mußt Du sofort mit zu Deiner Mutter!«

»Mann, bist Du toll?« sagte der Alte.

»Toll? Wieso?«

»Willst Du Deine Frau tödten?«

»Tödten! Ach ja!«

»Du selbst bist so angegriffen, daß Du kaum stehen kannst; wie soll es erst mit Deinem Weibe werden!«

»Du hast Recht, Vetter! Aber, darf ich ihr denn die Wonne versagen, ihren Sohn zu umarmen?«

»Für heute, ja. Bereite sie vor; gieb ihr Tropfen um Tropfen, damit sie es ertragen lernt! Jetzt setzest Du Dich her und trinkst ein Glas Wein mit uns. Wir haben noch Vieles zu besprechen.«

»Mehr, als Du denkst, Großpapa,« sagte Emma.

»Wie? Habt Ihr vielleicht noch weitere Ueberraschungen?«

»Frage Richardt!«

»Nun, Junge?«

»Ja, es giebt noch Einiges, was Dich interessiren wird, Großvater,« antwortete der Rittmeister.

»So? Ich errathe es.«

»Das kannst Du unmöglich errathen!«

»O doch! Ich wette mit!«

»Ich nicht, denn ich weiß, daß Du die Wette verlieren wirst.«

»Da irrst Du Dich. Soll ich es Dir sagen, womit Ihr mich überraschen wollt?«

»Nun?«

»Mit einer gewissen Marion de Sainte-Marie.«

Der Rittmeister erröthete.

»Ah, Du bekommst Farbe! Also habe ich Recht!«

»Nein, Großvater.«

»Leugne nicht!«

»Ich meine wirklich eine ganz andere Ueberraschung!«

»Aber mit dieser Marion ist es doch wohl auch nicht so ganz ohne? Wie?«

»Nun, Emma hat mir gestanden, daß sie nach Ortry gekommen ist, um diese Dame kennen zu lernen.«

»Das ist richtig. Ich gab ihr die Erlaubniß dazu. Also, Emma, wie hat sie Dir gefallen?«

»Sie ist ein Engel, Großpapa!«

»Natürlich! Das seid Ihr ja Alle!«

»Aber sie ist's wirklich!«

»Eine Französin!«

»Großmama Margot war auch Französin!«

»Freilich, ja. Aber sie hatte mich lieb!«

»Marion liebt Richardt auch.«

»Hat sie es ihm gesagt?«

»Noch nicht.«

»Sie hat ihn dort nur mit dem Höcker und der falschen Perrücke gesehen?«

»Ja.«

»Nun, so bildet Euch um Gotteswillen nicht ein, daß sie ihm gut ist! Der Kerl sah ja wie ein Scheusal aus, als er hier bei uns hereintrat!«

»Fritz, wie steht es?« sagte Emma.

»Nun,« antwortete der Wachtmeister, »ich stimme bei, daß Mademoiselle Marion einst Frau von Königsau sein wird.«

»Halt!« sagte Richardt. »Ihr Beide redet da von meinen Herzensangelegenheiten, ohne mich erst um Erlaub-


// 1708 //

niß zu fragen. Wie nun, wenn ich mich rächen und auch die Eurigen ausplaudern wollte!«

»Was?« fragte der Alte. »Sie haben auch welche?«

»Freilich!«

»Alle Beide?«

»Ja.«

»Höre ich recht?«

»Es ist so, wie ich sage.«

»Nein, nein!« rief Emma.

»Nein, nein!« stimmte Fritz im Spaße bei.

»Leugnet nicht!« gebot Richardt.

Dem General wollte darüber bange werden. Sein Sohn hatte als Wachtmeister sein Herz sicherlich nur an irgend eine Tochter bürgerlicher, vielleicht sogar obscurer Eltern verschenkt. Darum fragte er Richardt voller Sorge:

»Er ist wirklich bereits engagirt?«

»Ja,« lachte der Gefragte, »sogar sehr.«

»Doch nicht unwiderruflich?«

»Ganz sicher unwiderruflich. Sie geben einander nicht her; sie bleiben sich treu.«

»Eine Berlinerin?«

»Nein.«

»Aber doch aus der hiesigen Gegend?«

»Nein.«

»Doch eine Deutsche?«

»Auch nicht.«

»Ah! Also eine Französin?«

»Ja.«

Und als der General bemerkte, daß sich Fritz durch diese Erkundigungen gar nicht aus der Fassung bringen ließ, fragte er weiter:

»Was ist sie denn?«

»Gesellschafterin.«

»In einem anständigen Hause?«

»Gewiß!«

»Wo?«

»Sie ist von der erwähnten Marion de Sainte-Marie engagirt.«

»O wehe!« entfuhr es ihm.

»Was, wehe?«

»Die Gesellschafterin der zukünftigen Frau von Königsau soll Gräfin von Goldberg werden?«

» Hoffentlich.

»Wie heißt sie?«

»Köhler, Nanon Köhler.«

»Nanon von Köhler?«

»Nein, nur Köhler, bürgerlich.«

»Die Gräfin Hohenthal hat doch eine Gesellschafterin, die auch Köhler heißt?«

»Diese ist die Schwester von Nanon.«

Da wendete sich der General an Fritz:

»Du hast dieses Mädchen wirklich lieb?«

»Sehr, von ganzem Herzen, und sie ist's auch werth.«

»Nun, wir werden später darüber sprechen. Lebe Dich nur erst bei uns ein!

»Nein, lieber Onkel,« sagte Emma. »Wir wollen lieber von Nanon Köhler sprechen, noch ehe Fritz sich bei Euch einlebt. Sie hat nämlich eine ausgezeichnete, für uns sehr werthvolle Eigenthümlichkeit.«

»Welche wäre das?«

»Sie ist, grad wie Ihre Schwester, ein Waisenkind.«

»Ohne beide Eltern?«

»Bis vor kurzer Zeit. Nanon hat ihren Vater nicht gekannt, und ihre Mutter war unter dem angenommenen Namen Köhler gestorben.«

»Angenommen? Also ist der Name Köhler falsch?«

»Ja.«

»Ist der richtige bekannt?«

»Ja. Die Schwestern haben nämlich glücklicher Weise ihren Vater gefunden, in Thionville, während wir uns dort befanden.«

»Wie heißt er?«

»Deephill,« antwortete sie, innerlich belustigt.

»Das ist ein englischer oder amerikanischer Name?«

»Amerikanisch.«

»Und was ist dieser Mann?«

»Banquier und Millionär.«

»So, so! Hm!«

»Du scheinst noch immer bedenklich?«

»Es ist ja stets bedenklich, solche Angelegenheiten in fliegender Eile zu behandeln.«

»Aber ich bin nun einmal gewillt, diese Angelegenheit bis auf den Grund zu verfolgen. Der Name Deephill ist nämlich wieder falsch.«

»Auch? Aber Kinder, Ihr habt es ja außerordentlich mit falschen Namen zu thun!«

»Blos zufälliger Weise. Dieser Deep-hill ist nämlich eigentlich nicht Amerikaner, sondern Franzose. In seiner Heimath hieß er Bas-Montagne!«

»Das ist ein alter Name. Ein französisches Geschlecht führt ihn vielleicht seit einem halben Jahrtausend.«

»Nun, er gehört diesem Geschlechte an.«

»Was! So ist er Baron?«

»Ja. Baron Guston de Bas-Montagne.«

»Und seine beiden Töchter sind legitimirt?«

»Gewiß. Es haftet kein Makel an ihnen.«

Da nickte er befriedigt vor sich hin und sagte:

»Sprechen wir doch später hierüber! Großvater hat vorhin falsch gerathen. Welche Ueberraschung war es denn, die unserer noch wartet. Betrifft es mich oder Euch?«

»Dich und uns,« antwortete Richardt. »Man hat mir nämlich von einem fremden Manne erzählt, welcher vor Jahren in den hinter Sedan liegenden Bergen Schätze gesucht haben soll. Es soll ein Deutscher gewesen sein.«

»Herrgott!« fuhr der Alte auf. »Sollte man Deinen Vater gemeint haben, Richardt?«

»Ich vermuthete es.«

»Hast Du Dich erkundigt?«

»Sehr genau.«

»Und was hast Du erfahren?«

»Daß er es gewesen ist.«

»Mein Heiland! Was werde ich weiter hören müssen.«

»Ich will lieber jetzt noch schweigen, Großvater!«

»Nein! Erzähle!«

»Aber es ist aufregend.«

»Ich werde es ertragen. Ich habe ja so lange Zeit gelitten; die Ungewißheit war peinigend, die Gewißheit wird mir Ruhe bringen. Nicht wahr, man hat ihn ermordet?«

»Man wollte es.«


// 1709 //

»Wer?«

»Richemonte.«

»Ah! Also wieder dieser! Sie sind also zusammengerathen?«

»Sogar auf höchst feindselige Weise.«

»Und da hat mein Gebhardt, Dein armer, armer Vater, unterliegen müssen?«

»Unterliegen, ja; aber getödtet ist nur der gute Florian worden.«

»Was sagst Du? Höre ich recht?«

Hugo von Königsau erhob sich bei diesen Worten von seinem Sitze, legte die beiden Fäuste auf den Tisch und blickte mit den Augen eines Mannes, der durch zehn eiserne Thüren sehen will, den Rittmeister an.

»Es ist so, wie ich sage,« antwortete dieser.

»Nur Florian wurde getödtet?«

»Ja.«

»Dein Vater blieb leben?«

»Ja, wenn auch schwer verwundet.«

»Warum kehrte er nicht zu uns zurück?«

»Er war Gefangener.«

»Wessen?«

»Des Capitän Richemonte.«

»Alle tausend Teufel! Er hat ihm die Freiheit geraubt! Eine so lange Zeit! Wo hat er ihn hingesteckt?«

»In ein unterirdisches Gewölbe.«

»Donner und Doria! Ich möchte gleich mit dem nächsten Zuge nach Ortry, um diesem Teufel von Capitän die Seele aus dem Leibe zu jagen. Er ist ein Satan!«

»Er wird seinen Lohn finden; da laß mich nur sorgen.

 »Aber Dein Vater? Lebt er noch?«

»Ich - vermuthe es.«

»Du vermuthest? Du weißt also nichts Gewisses?«

»Hm! Ich habe nachgeforscht.«

»Pah! Sieh mich einmal an! Sehe ich jetzt aus wie ein altes Weib, welches sich von irgend einer frohen oder traurigen Botschaft niederwerfen läßt?«

»Allerdings nicht.«

»Nun, so rede offen! Ich bemerke, daß Du laviren willst. Ich will die Wahrheit haben, und zwar schnell! Er ist todt?«

»Nein.«

»Mein Gott im Himmel! Er lebt! Wo? Noch in diesem unterirdischen Gefängnisse?«

»Nein. Ich war mit Fritz unten bei ihm.«

»So habt Ihr ihn befreit?«

»Ja. Er ist frei.«

»Und wo befindet er sich?«

»Auf dem Wege zu Dir.«

»Auch dies ist nicht wahr. Heraus damit, heraus! Er ist bereits da, und Ihr habt ihn versteckt?«

Er kam hinter dem Tisch hervor wie ein Jüngling so kräftig und schnell.

»Ja, der Vater ist da,« sagte da Emma.

»Wo ist er, wo?«

»Er wartet in Deinem Schlafzimmer.«

Da stieß der Alte einen Jubelruf aus und stürmte zur Thür hinaus, die Andern ihm nach. - - -

Auch der dicke Maler Hieronymus Aurelius Schneffke war mit in Berlin angekommen. Er begab sich zunächst nach seiner Wohnung, um sich ein Wenig zu restauriren, und ging dann nach der Nummer Sechzehn derselben Straße, wo er im Hinterhause vier Treppen hoch emporstieg und da an der Thür klingelte.

Es ließen sich von innen langsame, schlürfende Schritte hören, und dann fragte die Stimme des alten Sonderlings Untersberg:

»Wer ist da?«

»Ich, der Maler Schneffke.«

Die Thür wurde geöffnet, nicht ganz, sondern nur so weit, wie es die Sicherheitskette zuließ. Der Alte lugte heraus und fragte:

»Sind Sie allein?«

»Ja.«

»Wirklich?«

»Ja.«

»Wissen Sie, als Sie zum letzten Male bei mir waren, brachten Sie mir auch einen Menschen mit, welcher nicht wieder gehen wollte!«

»Ich konnte nichts dafür. Heute bin ich allein.«

»So kommen Sie!«

Die Thür wurde jetzt ganz geöffnet, und der Maler durfte eintreten. Hinter ihm verschloß der Alte sofort wieder und winkte seiner Dogge, sich als Wächter an die Thür zu setzen.

Das Zimmer war wie vor Schneffke's Reise. Der Alte schien sein Abendbrod gegessen zu haben, denn auf dem Tische stand ein alter Teller mit einem harten Brodreste und einer dürren Käserinde.

Untersberg deutete auf einen Stuhl, auf welchem der Maler Platz nahm, und setzte sich selbst auf einen zweiten. Er beobachtete den Dicken eine ganze Weile, ohne ein Wort zu sagen, dann begann er:

»Erinnern Sie sich unsers letzten Gespräches noch?«

»Sehr genau.«

»Sie wissen, daß ich Sie warnte?«

»Wovor?«

»Ah, sehen Sie, daß Sie nichts mehr wissen!«

»Sie haben mich nicht gewarnt.«

»Sogar sehr streng! Ich warnte Sie vor Unvorsichtigkeit.«

»Ah so! Das meinen Sie! Nun ja, Sie riethen mir Vorsicht an.«

»Haben Sie das befolgt?«

»Natürlich.«

»Haben Sie auch nichts verrathen?«

»Kein Wort!«

»Schwören Sie!«

»Ich schwöre.«

»Gut, so können wir beginnen. Sie waren also doch in Frankreich?«

»Wo sonst?«

»Es wäre doch möglich, daß Sie von meinem Gelde eine Lustparthie nach einem ganz anderen Orte gemacht hätten.«

»Das wäre ja Betrug!«

»Ja. Man darf keinem Menschen trauen.«

Da stand Schneffke von seinem Stuhle auf und sagte:

»Sie behandeln mich wie einen Spitzbuben und Be-


// 1710 //

trüger; das brauche ich mir nicht gefallen zu lassen. Gute Nacht!«

Er schritt der Thüre zu.

»Ja, gehen Sie! Gute Nacht!« hohnlachte der Alte.

Die Dogge erhob sich und fletschte dem Maler die langen, gelben Zähne drohend entgegen.

»Rufen Sie den Hund fort!« sagte Schneffke.

»Wozu?«

»Daß ich gehen kann.«

»Gehen Sie doch! Ich halte Sie nicht.«

Da drehte sich Schneffke wieder um, setzte sich abermals auf seinen Platz und sagte:

»Na, zerreißen lasse ich mich von dem Hunde nicht; aber antworten werde ich Ihnen auch nicht, wenn Sie nicht höflicher werden. Ich habe Zeit, ich kann sitzen bleiben.«

Er griff in die Tasche, zog sich eine Cigarre hervor und machte Miene, sie anzubrennen.

»Was fällt Ihnen ein! Wollen Sie mir meine Bilder und Bücher, meine ganze Bibliothek anbrennen?«

»Nein, sondern nur diese Cigarre.«

»Es kann ein Funke herunterfallen.«

»Ich nehme mich in Acht!«

»Nein, nein! Sie rauchen nicht!«

»Wenn Sie höflich sein wollen, werde auch ich aus Höflichkeit die Cigarre wieder einstecken!«

»Sie sind ein sonderbarer Mensch.«

»Und Sie ein komischer Kauz. Sie machen sich selbst das Leben schwer, Herr Untersberg.«

»Ich habe auch alle Ursache dazu. Also, wollen Sie mir jetzt Rede und Antwort stehen?«

»Ja.«

»Sie waren in Malineau?«

»Ja.«

»Haben Sie den jungen Berteu gesehen?«

»Ja.«

»Und mit ihm gesprochen?«

»Viel.«

»Viel? Ah! Hatten Sie Gelegenheit dazu?«

»Ich hatte sie mir verschafft. Erinnern Sie sich meiner Versicherung, daß ich Anlage zur Gensdarmerie besitze?«

»Ja.«

»Nun, ich sollte Berteu aushorchen. Das konnte ich am allerbesten, wenn ich bei ihm wohnte.«

»Was? Wie? Sie haben bei ihm gewohnt?«

»Ja.«

»Wie lange?«

»Einige Tage.«

»Das ist gut, das ist wirklich gut! Wie aber kam es, daß er Sie zu sich nahm?«

»Ich that, als ob ich das Schloß abzeichnen wolle, da kam er dazu und sagte mir, daß er einige Bilder besitze, welche er restauriren lassen wolle. Ob ich diese Arbeit übernehmen könne.«

»Sie sagten, ja?«

»Natürlich.«

»Und haben ihn ausgehorcht?«

»Ganz und gar.«

»Wußte er etwas?«

»Nichts, kein Wort!«

»Ah! Wovon denn?«

»Das weiß ich auch nicht.«

»So können Sie es ja gar nicht wissen, daß er kein Wort gewußt hat!«

»O, er war so zutraulich mit mir, daß er mir Alles, Alles gesagt hat, was auf seinem Herzen liegt.«

»Was denn?«

»Von dem Kriege.«

»Was weiß er davon?«

»Sehr viel. Er will Franctireur sein.«

»Ach so. War sein Vater wirklich todt?«

»Ja.«

»Woran war er gestorben?«

»Er war an einem Knochen erstickt.«

»Der Unglückselige! Hat er vor seinem Ende gebeichtet?«

»Hm! Kann man mit einem Knochen im Halse beichten?«

»Nein. Hat er seinem Sohne etwas anvertraut?«

»Kurz vor dem Tode nicht.«

»Das wissen Sie genau?«

»Sehr genau. Er hatte eine Schweinscottelette gegessen. Dabei war ihm der Knochen in die Gurgel gekommen. Fünf Minuten darauf war er eine Leiche.«

»Das ist gut! Das ist schön!«

»Hm! Ist's nicht möglich, daß er bereits vorher etwas gesagt haben kann?«

Der Alte erschrak.

»Was soll er gesagt haben?« fragte er. »Wissen Sie vielleicht etwas, was er gesagt hat?«

»Ja.«

»Was denn?«

»Er hat zu seinem Sohne gesagt, daß dieser ein lüderlicher Strick sei, den eines schönen Tages der Teufel holen werde.«

»Weiter nichts?«

»Nein.«

»So bin ich zufrieden, sehr zufrieden.«

»Hm! Man muß vorsichtig sein!«

»Wie? Was? Wissen Sie noch etwas?«

»Nein. Aber der Todte könnte seinem Sohne vielleicht etwas Schriftliches hinterlassen haben!«

»Ist Ihnen so etwas bekannt?«

»Nein.«

»Dann gut. Wie haben Sie Ihre Zeit dort verbracht?«

»Ich habe dem Berteu die Gemälde gereinigt, bin spazieren gegangen und habe mir auch das Schloß besehen.«

»Es gehört jetzt dem Grafen von Latreau?«

»Ja.«

»Was arbeiten Sie morgen?«

»Ich werde von der Reise ausruhen.«

»Kommen Sie her zu mir. Wir werden ein wenig nach dem document du divorce suchen.«

»Wozu?«

Sofort machte der Alte ein finsteres Gesicht.

»Was geht Sie das an?« fragte er.

»Mich? Nichts, gar nichts!«

»So fragen Sie auch nicht.«

»Schön! Gute Nacht!«


// 1711 //

»Gute Nacht! Also kommen Sie morgen!«

»Gleich früh aber kann ich nicht,« sagte der dicke Maler, der sich bereits nach der Thür bewegte. Er spielte nur mit dem Alten.

»Warum nicht?« erkundigte sich dieser.

»Ich muß zu Fräulein Köhler gehen.«

Im nächsten Augenblicke hatte ihn Untersberg beim Arme erfaßt.

»Zu einem Fräulein Köhler?« fragte er.

» Ja.«

»Wie heißt sie noch?«

»Madelon.«

»Ah! O! Was ist sie?«

»Gesellschafterin.«

»Wo?«

»Bei der Gräfin von Hohenthal.«

»Was wollen Sie bei ihr?«

»Ich soll sie portraitiren.«

»Was? Portraitiren? Eine Gesellschafterin?«

»Allerdings.«

»Hat sie denn Geld, das Portrait zu bezahlen?«

»Ich male es umsonst.«

»Sind Sie des Teufels?«

»Nein, aber verliebt.«

»In wen?«

»Eben in diese Madelon Köhler.«

»Und das Mädchen? Werden Sie wiedergeliebt?«

»O, mit himmlischer Wonne!«

Da donnerte ihn der Alte an:

»Herr, Sie sind ein Lügner!«

»Oho!«

»Ich kann es Ihnen beweisen!«

»Beweisen Sie es!«

»Als Sie sich vor Ihrer Reise bei mir befanden, waren Sie bereits verliebt!«

»Das bin ich stets.«

»Sie sagten, in eine Gesellschafterin!«

»Natürlich!«

»Ich fragte Sie nach ihr.«

»Das ist möglich.«

»Sie antworteten, daß sie bei der Gräfin von Goldberg in Stellung sei.«

»Ach so! Ja, das ist wahr.«

»Und jetzt zeigt es sich, daß sie bei der Gräfin von Hohenthal ist!«

»Aber doch nicht dieselbe!«

»Ist's denn eine Andere?«

»Ja. Mit der vorigen war es nichts; sie war arm und hatte obscure Eltern. Bei dieser Madelon Köhler aber ist es ganz, ganz anders.«

»In wiefern?«

»Hm! Das ist Geheimniß.«

»Aber mir theilen Sie es mit?«

»Wozu?«

»Weil ich mich für Sie interessire.«

»Ich mich für Sie auch; aber das ist doch kein Grund, Ihnen die Geheimnisse meiner Braut mitzutheilen.«

»Sie ist schon Braut?«

»Ja, gewiß.«

»Ist sie denn reich?«

»O sehr! Und nicht blos das!«

»Was noch?«

»Sie ist auch vornehm.«

Die Gestalt des Alten sank immer mehr zusammen. Er stellte seine Fragen mit außerordentlicher Hast und Aengstlichkeit. Jetzt stieß er hervor:

»Vornehm will sie sein?«

»Ja.«

»Eine Gesellschafterin!«

»O, sie hat ja nicht gewußt, daß sie selbst von Adel ist.«

»Von Adel? Eine - - Köhler!«

»Das ist ein falscher Name, welchen ihre Mutter zuletzt getragen hat.«

»Wie heißt sie denn?«

»Sie heißt eigentlich Madelon de Bas-Montagne.«

Da konnte sich der Alte nicht mehr halten; er sank auf den Stuhl nieder und stieß einen tiefen, tiefen Seufzer aus.

»Was ist Ihnen?« fragte der Maler. »Ist Ihnen plötzlich unwohl geworden?«

»Ja.«

»Wovon?«

»Wohl von dem Essen. Ich habe doch wohl zu viel zu mir genommen, und mein Magen ist ja eben so alt wie ich. Doch das braucht Sie ja nicht zu kümmern. Bitte, erzählen Sie weiter, Herr Schneffke!«

»Nein; ich werde doch lieber gehen.«

»Bleiben Sie! Wann haben Sie diese Madelon kennen gelernt?«

»In Malineau.«

»War sie dort?«

»Ja. Sie war mit ihrer Schwester Nanon gekommen, um den alten Berteu zu begraben, welcher ihr Pflegevater gewesen ist. Das waren wohl die beiden Mädchen, nach denen ich fragen sollte?«

»O Himmel, o Himmel!«

»Warum jammern Sie?«

»Ich wollte es verschweigen, und nun haben Sie es doch erfahren.«

»Was denn?«

»Daß ich diese Beiden meinte.«

»Warum interessiren Sie sich für sie?«

»Ich war mit Berteu bekannt. Er schrieb mir zuweilen und erwähnte dabei auch diese Mädchen. Er schrieb mir einige Monate vor seinem Tode, daß er mir in Beziehung auf sie ein Geheimniß mitzutheilen habe, welches für die Mädchen von hohem Werthe sei. Dann kam plötzlich die telegraphische Nachricht, daß er gestorben sei. Darum sandte ich hin, um zu erfahren, ob er seinem Sohne das gesagt habe, was eigentlich für mich bestimmt gewesen ist.«

Der Maler hatte eigentlich nicht die Absicht gehabt, dem Alten heute zu entdecken, daß Alles an den Tag gekommen sei. Jetzt aber hielt er es für besser, mit dieser Mittheilung vorzugehen.

»Hm!« brummte er nachdenklich. »Seinem Sohne hat Berteu nichts gesagt; aber das Geheimniß ist dennoch an den Tag gekommen.«

»Wie denn?«

»Das darf ich nicht sagen.«


// 1712 //

»Und worin besteht das Geheimniß?«

»Eben darin, daß der Name der Mädchen nicht Köhler ist, sondern Bas-Montagne. Sie sind die Töchter einer französischen Freiherrnfamilie.«

»Wie wollen Sie das beweisen?«

»Durch ihre Geburtsscheine.«

»Ah! Sind diese vorhanden?«

»Ja; sie sind aufgefunden worden.«

»Wo?«

»Im Schlosse Malineau.«

»Wann?«

»Vor wenigen Tagen.«

»Wo haben sie gesteckt?«

»In einem Buche der Bibliothek,« log der Maler.

»So kann man doch nicht behaupten, daß sie sich grade auf diese beiden Mädchen beziehen.«

»Und doch! Es hat nämlich ein Brief ihrer Mutter dabeigelegen. Sie muß eine sehr unglückliche Frau gewesen sein.«

»Wieso?«

»Sie war eine Deutsche, eine Protestantin, und heirathete den Baron Guston de Bas-Montagne gegen den Willen seines Vaters. Dieser suchte sie zu verderben. Während sein Sohn verreiste, zwang er sie, zu entsagen. Sie entfernte sich mit ihren zwei Kindern und ließ einen Brief an ihren Mann, an ihren Schwiegervater und einen Schein zurück, in welchem sie in die Scheidung willigte.«

»Ah, dieser Schein! Dieser Schein!«

»Was wissen Sie von ihm?«

»Nichts, gar nichts! Sie sind es ja, der davon spricht!«

»Ach so!«

»Erzählen Sie weiter!«

»Wissen Sie denn, daß diese Geschichte noch weiter geht?«

»Ich kann es mir denken.«

»Nun, als der junge Baron von seiner Reise heimkehrte, log ihm der Vater vor, daß sein Weib ihm untreu gewesen sei und mit einem Anderen die Flucht ergriffen habe. Der Sohn nahm sich dies zu Herzen und ist seitdem verschwunden. Man hat nichts wieder von ihm gehört.«

»Verschwunden - verschwunden!« ächzte der Alte.

»Was haben Sie? Thut Ihnen etwas weh?«

»Nein; aber Ihre Erzählung greift mich an!«

»Sie geht Sie doch gar nichts an!«

»Nein; aber man hat doch Mitgefühl.«

»Ja, Sie sind ein edler Mensch; so wie Sie hätte der alte Baron sein sollen; dann wäre die arme Frau nicht verstoßen und verjagt worden, die arme, gute, süße becque fleur

Da fuhr der Alte auf und rief:

»Was sagen Sie da für ein Wort, Herr!«

»Becque fleur, zu Deutsch Kolibri.«

»Ich mag dieses Wort nicht leiden. Wissen Sie, was es zu bedeuten hat?«

»Ja.«

»Nun?«

»Es war der Kosename für die arme Frau. Der junge Baron hat sie stets sein kleines, liebes, gutes, süßes Becque fleur genannt. Er muß sie sehr lieb gehabt haben.«

»Ah! Oh!« stöhnte der Alte, indem er den Kopf in die beiden Hände legte.

»Was ist Ihnen denn?«

»Nichts. Sie verstehen es, so herzzerreißend zu erzählen.«

»Meinen Sie? Ja, die arme Frau thut mir wirklich herzlich leid. Sie hat sterben müssen, vereinsamt, verstoßen, verkannt und verurtheilt. Wissen Sie, wie ich sie mir vorstelle?«

»Nun, wie?«

»Darf ich mir hier dieses Papierblatt nehmen?«

»Nehmen Sie es.«

Der Maler setzte sich an den Tisch, zog die Lampe näher, griff zu Stift und Papier und begann zu zeichnen. Der Alte blickte ihm mit Spannung zu. Es dauerte kaum zwei Minuten, so hielt ihm der Erstere das Blatt hin.

»Sehen Sie, Herr Untersberg, so stelle ich mir diese Frau vor. So muß sie gewesen sein, als sie noch glücklich war und kaum zwanzig Jahre zählte.«

Untersberg blickte auf die Zeichnung. Sie war ganz genau nach dem Porträt gehalten, welches der Maler in dem Colibribilde gefunden hatte.

»Herr, mein Heiland! Das ist sie; das ist sie!« rief der Alte. »So, ja so war sie!«

»Wie?« fragte Schneffke. »Haben Sie denn vielleicht diese Frau gekannt?«

»Nein.«

»Aber Sie sagen ja, daß sie es sei!«

»Nun, Sie sind ja ein tüchtiger Maler und müssen sie also getroffen haben.«

»Ah, so meinen Sie es?«

»Ja, anders natürlich nicht! Haben Sie sie denn gesehen?«

»Nein.«

»Wirklich nicht?«

»Nie!«

»Und treffen sie so vorzüglich!«

»Das ist kein Wunder. Ich habe mir von ihr erzählen lassen, ich kenne ihren Character, ihr Temperament, ihre Tugenden, nach denen ich mir ihre Physiognomie ausbilde.«

Da erhob sich der Alte rasch von seinem Stuhle und fragte:

»Gelingt das immer?«

»Wenigstens mir.«

»Also wenn man Ihnen einen Menschen beschreibt, können Sie sein Gesicht zeichnen?«

»Ja.«

»Auch wenn es kein Weib, sondern ein Mann ist?«

»Gewiß.«

»Hat man Ihnen vielleicht den Baron Guston beschrieben?«

»So ziemlich.«

»Getrauen Sie sich, ihn zu treffen?«

»Ja, doch vielleicht nicht mit einem Male!«

»Wollen Sie es nicht einmal versuchen?«

»Wozu?«

»Es macht mir Vergnügen. Sie haben ja bemerkt, wie sehr ich mich für diese Sache interessire.«


Ende der einhundertsiebten Lieferung - Schluß folgt.



Karl May: Die Liebe des Ulanen

Karl May – Forschung und Werk