Lieferung 63

Karl May

2. Februar 1884

Waldröschen
oder
Die Rächerjagd rund um die Erde.

Großer Enthüllungsroman
über die
Geheimnisse der menschlichen Gesellschaft

von

Capitain Ramon Diaz de la Escosura.


// 1489 //

»Ich habe es gewagt. Ihr seht ja, daß ich ganz allein bin!«

»Freilich. Aber ich dachte - - - hm!«

»Was? Was dachtet Ihr, Sennor Pirnero?«

Der Gefragte blickte den Frager forschend an und sagte dann nachdenklich:

»Wißt Ihr vielleicht, was Politik ist?«

»Ja.«

»Und Diplomatik?«

»Ja.«

»So werdet Ihr auch wissen, daß ein Mann, welcher politische und diplomatische Begabung besitzt, nicht Alles sagen kann.«

»Richtig! Aber, Sennor, Ihr besitzt wohl solche Begabung?«

»Das will ich meinen! Wißt Ihr vielleicht, woher ich bin?«

»Nein.«

»Nun, ich bin aus Pirna.«

»Aus Pirna?« fragte da der Andere rasch.

»Freilich! Kennt Ihr es?«

»Pirna bei Dresden?«

»Ja!«

»Donnerwetter! Freilich kenne ich es! Ich bin ja auch ein Deutscher!«

»Ein Deutscher!« rief Pirnero erfreut. »Woher denn?«

»Aus Rheinbayern.«

»Heiliger Stern! Ists wahr?«

»Versteht sich! Ich war Bierbrauer und habe drei Jahr in Dresden gearbeitet. Dann wurde ich von einem Amerikaner engagirt, welcher deutsches Lagerbier in St. Louis brauen wollte; aber er war zu unvorsichtig, er fing es falsch an und so ging die Geschichte pleite. Dann ging ich nach Westen und bin, ich weiß gar nicht wie, Goldsucher und Jäger geworden.«

»Holla, das ist gut; das gefällt mir! Ein Deutscher, mit dem ich von meiner Vaterstadt Pirna plaudern kann! Nun mag es draußen meinetwegen regnen und gießen, so viel es will. Resedilla, hole Wein, denn das giebt ein Fest für mich. Landsmann, Ihr seid mein Gast, ohne mich bezahlen zu müssen. Aber sagt, habt Ihr Eltern?«

»Nein.«

»Sonstige Anverwandte?«

»Nur einen Bruder.«

»Und wie ist Euer Name?«

»Straubenberger, Andreas Straubenberger.«

»Und ist Euer Bruder auch in Amerika?«

»Nein.«

»Wo sonst?«

»Ich habe lange Jahre nichts von ihm gehört. Er weiß vielleicht gar nicht, wo ich bin, denn ich bin nie ein Freund vom Schreiben gewesen. Ich wollte als Goldsucher reich werden und ihn dann überraschen. Er lebte bei Mainz.«

»Auch als Brauer?«


// 1490 //

»Nein, sondern als Forstgehilfe auf Schloß Rheinswalden bei einem Hauptmann von Rodenstein, der zugleich Oberförster war.«

»Gut, lassen wir ihn ruhig förstern! Wir haben es jetzt mit uns zu thun. Aber Ihr müßt mir vor allen Dingen eine Frage aufrichtig beantworten.«

»Welche?«

»Ihr scheint trotz Eurer herabgerissenen Kleider kein übler Kerl zu sein, und das Alter drückt Euch auch noch nicht. Sagt einmal, wie alt Ihr eigentlich seid?«

»Sechsunddreißig.«

»Hm! Seid Ihr verheirathet?«

»Aha!« schmunzelte der Jäger. »Endlich kommt die berühmte Erkundigung! Ich habe mir, Gott sei Dank, noch keine Squaw angeschafft.«

»Ja, eine indianische Frau! Wie steht es aber mit einer Weißen?«

»Auch nicht.«

»Donnerwetter! Habt Ihr eine Wohnung?«

»Nein.«

»Könnt Ihr Bier und Schnaps behandeln?«

»Als Brauer? Na und ob!«

»Gar Bier brauen?«

»Freilich!«

»Dachsparren annageln?«

»Warum nicht?«

»Hols der Teufel! Wenn Ihr das Alles könnt, warum lauft Ihr denn da so triste in der Welt herum?«

»Triste? Gerade das gefällt mir!«

»Aber Ihr habt ja Gold genug, um Euch ansässig zu machen!«

»Fällt mir gar nicht ein!«

»Und es giebt vielleicht manchen Schwiegervater, bei dem Ihr es gut haben könntet!«

»Danke!«

»Aber warum denn nicht?«

»Ich habe andere Verpflichtungen.«

»Welche?«

Da lachte Straubenberger. Er zog ein lustiges Gesicht und fragte geheimnißvoll:

»Wißt Ihr, was ein Diplomat ist?«

»Ja.«

»Und ein Politiker?«

»Natürlich!«

»Nun, so werdet Ihr auch wissen, daß Einer, der politische und diplomatische Begabung besitzt, nicht Alles sagt. Ich kann Euch nur soviel mittheilen, daß ich zu Euch gekommen bin, um hier Jemand zu suchen.«

»Zu suchen? Wen?«

»Hm! Kennt Ihr den schwarzen Gérard?«

»Persönlich noch nicht.«

»Aber gehört habt Ihr von ihm?«

»Natürlich. Ich werde ihn auch bald persönlich kennen lernen.«


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»Wieso?«

»Ich habe gehört, daß er nächstens ganz sicher nach Fort Guadeloupe kommen wird.«

»Ah, das ist gut! Ich dachte, er wäre schon da.«

»So ist er es, den Ihr sucht?«

»Freilich. Ich dachte ganz sicher, ihn bereits bei Euch zu treffen.«

»Sapperment, hat er es denn versprochen?«

»Ja.«

»Nun, so ist es sicher, daß er kommt und das freut mich ungemein. Er ist der berühmteste Jäger, den es in diesem Lande giebt. Kennt Ihr ihn persönlich?«

»Nein.«

»Nun, so will ich Euch sagen, daß er erst dieser Tage wieder eines seiner Stücke ausgeführt hat. Er ist nämlich nach Chihuahua geritten.«

»Alle Teufel! Da sollen ja jetzt die Franzosen sein!«

»Freilich sind sie da. Sie haben ihn sogar erwischt und gefangen genommen.«

Straubenberger machte eine Bewegung des Erschreckens und rief bestürzt:

»Ah, so werde ich ihn also nicht treffen. Ich muß gleich wieder fort und zurück!«

»Wohin?« fragte der Wirth, nicht weniger erschrocken.

»Nach der Llano estacado.«

»Warum?«

»Ich muß melden, daß der schwarze Gérard von den Franzosen gefangen genommen worden ist.«

»Wem denn?«

»Ah, das ist meine Sache!«

»Donnerwetter, Ihr seid wahrhaftig ein guter Diplomat. Aber ich kann Euch helfen!«

»Wieso?«

»Ihr braucht nicht zurück, denn der schwarze Gérard ist ja frei.«

»Aber Ihr sagtet ja, daß - - -«

»Daß er gefangen genommen worden ist, ja; aber er ist ihnen ja sofort wieder durchgegangen; er ist gleich wieder entflohen!«

»Wirklich?« fragte der Jäger sichtlich erleichtert.

»Ja.«

»Wißt Ihr es genau?«

»Ganz genau und sicher.«

»Von wem?«

»Von einem Jäger, der jetzt bei mir auf dem Heu schläft.«

»Was für ein Jäger ist er?«

»Weiß es nicht; aber viel ist nicht an ihm. Er hat kein Geld, schlechtes Zeug auf dem Leibe und eine Büchse, für welche ich nicht einen Vierteldollar gebe.«

»Darnach darf man nicht gehen. Solches Schießzeug ist oft besser als das blankste, theuerste Gewehr. Und was die Kleider und sonstige Ausrüstung betrifft, so seht Ihr es ja an mir, was man davon hat, wenn man einen Westmann nur nach dem Aeußeren beurtheilt. Die Sonne der Llano estacado hat mir die Kleider


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und Stiefel verbrannt, so daß sie nur noch in Fetzen am Leibe hängen; mein Pferd ist abgenagt wie ein Ziegenbock; das sagtet Ihr ja selber und hier meine Büchse sieht eher aus wie ein Nachtwächterknüttel, als wie ein Gewehr. Dennoch habe ich sechs Beutel Nuggets bei mir und in Neu-York liegen meine Gelder. Ich habe das Gold, welches ich in den Minen fand, verkauft, und den Betrag nach New-York deponirt; dort erhalte ich ihn zu jeder Zeit. Ist der Jäger, von dem Ihr sprecht, jetzt zu treffen?«

»Nein.«

»Warum nicht?«

»Weil er schläft. Ihr könnt ja morgen früh mit ihm reden.«

»Gut, so bleibe ich hier.«

»Ah, das ist schön, Sennor. Ihr seid mein Gast. Kosten soll es Euch keinen Pfennig, denn es ist mir eine außerordentliche Freude, mit Euch von Sachsen reden zu können. Also Ihr wart in Dresden?«

»Ja.«

»Auch in Pirna?«

»Einige Male.«

»So wißt Ihr auch, daß Dresden die Elbe von uns bekommt?«

»Freilich.«

»Giebt es noch Essenkehrer dort in Pirna?«

»Wahrscheinlich.«

»Und Meerrettighändler?«

»Ich habe mich gerade darnach nicht erkundigt.«

»Wie schade!«

»Warum?«

»Weil dies im Zusammenbange mit meinem Stammbaume steht. Ist Euch der Eurige bekannt?«

»Nein.«

»Ah, Ihr kennt Eure Vorfahren nicht?« fragte Pirnero erstaunt.

»O doch!«

»Nun?«

»Ich habe meinen Vater gekannt.«

»Und Euren Großvater?«

»Nein.«

»O weh, da bin ich glücklicher! Der Mensch muß auf seinen Stammbaum halten; es ist besonders wegen der Abstammung vom Vater auf die Tochter hinüber. Meine Vorfahren waren sehr bedeutende Leute in Pirna.«

»So? Was waren sie?« fragte Straubenberger aus Gefälligkeit. »Mein Vater war Schornsteinfeger.«

»Ah!« meinte Straubenberger enttäuscht.

»Ja, Ihr staunt und das mit Recht. Der Essenkehrer ist das Sympol des Strebens nach dem Höheren, natürlich oben zur Esse hinaus; er hat den Beruf, das gefährlichste Element zu beaufsichtigen und die Menschheit vor dem Einflusse des Rußes zu schützen. Und mein Großvater - ah, rathet einmal, was dieser war.«

»Wird es nicht besser sein, Ihr sagt es mir gleich?«


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»Schön! Er handelte mit Meerrettig.«

»Alle Teufel!«

»Nicht wahr, Ihr staunt. Der Meerrettig ist das Sympol des Pikanten. Er würzt die Wurst und die Schweinsknöchel und wenn er gerieben wird, so muß man weinen. Er hat etwas Hochtragisches an sich, was an Schiller, Göthe und Saphir erinnert, und darum ist mein Großvater der Träger des Pikanten und Tragischen gewesen. Ich darf mit Recht stolz auf meine Ahnen sein und habe mir alle Mühe gegeben, die Vorzüge meines Stammbaums von mir auf meine Tochter hinüber fortzupflanzen. Wenn Ihr ein Freund des Meerrettigs seid, so könnt Ihr bald die Erfolge sehen. Ihr eßt doch zu Abend?«

»Das versteht sich!«

»Was?«

»Was Euch beliebt.«

»Gut, so sollt Ihr meine Küche und meine Tochter kennen lernen. Ein Schwiegersohn würde mit Beiden ganz außerordentlich zufrieden sein.«

In dieser Weise führten die Beiden ihre Unterhaltung fort. Straubenberger hatte während des Abends genugsam Zeit, die Eigenthümlichkeiten seines Wirthes zu studiren. Resedilla hielt sich von den Beiden fern; sie zog es vor, ungestört an den Schläfer denken zu können, der ihr näher stand, als alle Schornsteinfeger und Meerrettighändler der Welt und darum hatte sie ihr Zimmer längst aufgesucht, als die beiden Männer noch lange bei einander saßen, um sich gegenseitig zu unterhalten.

Am andern Morgen war Gérard der Erste, welcher das Zimmer betrat. Resedilla hatte ihn kommen gehört und kam herein, um ihm einen guten Morgen zu wünschen.

»Habt Ihr gut geschlafen, Sennor?« fragte sie.

»Mehr und besser als gut; ich danke Sennora,« sagte er, indem er sein Gewehr an den Tisch lehnte. »Und wißt Ihr, wem ich dies zu danken habe?«

»Wem?«

»Euch!«

»Mir?« fragte sie unter einem leichten Erröthen. »Warum?«

»Ich habe während der ganzen Nacht von Euch geträumt.«

Sie erröthete tiefer und sagte:

»Ihr scherzt, Sennor. Wenn man so außerordentlich ermüdet ist, wie Ihr es wart, so pflegt man nicht zu träumen.«

»Der Körper war ermüdet,« antwortete er; »aber nicht der Geist. Dieser setzte die Gedanken fort, welche ihn jetzt allezeit beschäftigen. Wißt Ihr, wem diese Gedanken gelten?«

»Gedanken sind Eigenthum der Seele, in welcher sie auch bleiben sollen, Sennor. Ihr habt so lange Zeit nichts genossen. Soll ich Euch eine Chocolade bringen?«

»Ich bitte darum!«

Sie entfernte sich, um in die Küche zu gehen und er nahm am Tische Platz. Nach einer kurzen Zeit trat Pirnero herein.

»Guten Morgen,« grüßte er mürrisch.

»Guten Morgen,« dankte Gérard.


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»Ausgeschlafen?«

»Ja.«

»Das läßt sich denken. Ich habe noch keinen solchen Langschläfer gesehen wie Euch.«

»Möglich!«

»Sagt einmal, schlaft Ihr denn auch in der Savanne so lange?«

»Vielleicht.«

»Und im Urwalde?«

»Kann sein.«

»Nun, dann ist es gar kein Wunder, daß ich noch kein Stück Wild in Eurer Hand gesehen habe. Ein guter Diplomat sieht es Euch auf den ersten Blick an, daß Ihr kein Westmann, sondern ein ächtes Murmelthier seid.«

Sennor Pirnero besaß, wie so viele andere Leute, die unangenehme Eigenthümlichkeit, sich stets des Morgens nach dem Erwachen in übler Laune zu befinden. Dies hatte Gérard jetzt zu büßen gehabt. Er nahm es gleichgiltig hin.

Der Wirth setzte sich auf seinen Stuhl am Fenster und blickte hinaus. Es regnete immer noch, wenn auch nicht so sehr wie gestern; darum sagte er nach einer Weile mißmuthig:

»Armseliges Wetter!«

Gérard antwortete nicht. Darum fuhr er nach einer kleinen Weile fort:

»Fast noch wie gestern!«

Und als Gérard auch jetzt noch nichts sagte, wendete er sich zu ihm und rief ihm zu:

»Nun?«

»Was denn?« fragte der Jäger ruhig.

»Armseliges Wetter!«

»Hm, ja!«

»Fast wie gestern.«

»Freilich!«

»Glaube nicht, daß er da kommen wird.«

»Wer?«

»Wer? Welche Frage! Der schwarze Gérard natürlich. Wen sollte ich sonst meinen!«

»O, dem ist das Wetter gleichgiltig; der kommt; wenn er es überhaupt will.«

»Meint Ihr? Ihr müßt nämlich wissen, daß er hier erwartet wird.«

»Ja, von Euch.«

»Allerdings; aber auch noch von Jemand.«

»Wer könnte das sein? Eure Tochter etwa?«

»Die? Fällt ihr gar nicht ein! Das ist ja eben mein Leiden. Da könnten tausend Schwiegersöhne gelaufen kommen, sie guckte sicher Keinen an; am Allerwenigsten aber wartet sie auf einen. Nein, ich meine einen ganz andern.«

»Wen?«

»Einen Jäger.«

»Ah, einen Jäger, der bei Euch ist?«

»Richtig. Er kam gestern, als Ihr Euch aber bereits niedergelegt hattet.«


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»Und er ist bei Euch geblieben, um auf den schwarzen Gérard zu warten?«

»Wo kam er her?«

»Aus der Llano estacado.«

»Ah!«

»Nicht wahr, da erstaunt Ihr? Ja, Ihr wärt wohl nicht der Mann, durch die Llano zu reiten, obgleich Ihr zehnmal größer und stärker seid als er. Und was ist es für ein Kerl! Er hat die ganzen Taschen voller Nuggets.«

»Wirklich? Was ist es für ein Landsmann? Vielleicht ein Yankee?«

»Nein, sondern ein Deutscher.«

»Das sind die besten, zuverlässigsten Leute. Wie heißt er?«

»Andreas Straubenberger.«

»Kenne diesen Namen nicht.«

»Das ist möglich, denn - - ah, da kommt er!«

Straubenberger trat soeben ein. Er grüßte, dann war sein erster Blick hinaus nach dem Wetter, sein zweiter aber nach Gérard. Seine Beobachtung schien ihn nicht unzufrieden gestellt zu haben, denn er ließ sich neben Gérard nieder und sagte:

»Ihr seid der Sennor, welcher seit gestern Nachmittag hier geschlafen hat?«

»Ja,« antwortete der Gefragte.

»Das nenne ich einen Kapitalschlaf. Ihr müßt außerordentlich ermüdet gewesen sein.«

»Allerdings.«

»Von der Jagd?«

»Auch mit.«

»Hm! Gedenkt Ihr lange hier zu bleiben?«

»Vielleicht nur noch einige Stunden.«

»Wohin geht Ihr dann?«

»Hinüber in die Berge.«

»Alle Wetter! Allein?«

»Ja.«

»So nehmt Euch um Gotteswillen in Acht. Es sollen sich viele Rothe dort befinden.«

»Das geht mich nichts an.«

»Seid nicht leichtsinnig, Sennor! Wenn sie Euch beim Schopfe haben werden, dann wird es Euch recht wohl Etwas angehen. Wollt Ihr aber trotzdem hinüber, so könnt Ihr mir einen Gefallen thun.«

»Welchen?«

»Kennt Ihr den schwarzen Gérard?«

»Man hört sehr viel von ihm.«

»Gut! Sucht zu erfragen, wo er sich befindet, und wenn Ihr ihn zufällig trefft, so sagt ihm, daß Einer hier sei, der auf ihn wartet.«

»Und wenn er mich fragt, wer dieser Eine sei?«

»So sagt ihm, daß es der kleine André ist.«

»Donnerwetter, Ihr seid der kleine André?«

»Ja. Eigentlich heiße ich Andreas Straubenberger. Die französischen Jäger


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aber haben das Andreas in André verwandelt, und weil ich von Gestalt kein Riese bin, so werde ich nur der kleine Andre genannt. Das ist mein Savannenname.«

»Ich kenne ihn, Sennor, und weiß, daß Ihr ein tüchtiger Jäger seid. Uebrigens können wir, wenn es Euch lieber ist, auch Deutsch mit einander reden.«

»Deutsch! Versteht Ihr deutsch, Sennor?«

»Ja freilich, obgleich ich eigentlich ein Franzose bin.«

»Wie ist Euer Name, Herr?«

»Mason. Und in Paris hatte ich den Beinamen 1'Allemand, der Deutsche, weil ich der deutschen Sprache mächtig war.«

Der Wirth hatte diesem Gespräche schweigend zugehört; jetzt aber meinte er:

»Wie, Ihr versteht das Deutsche?«

»Ja.«

»So seid Ihr doch kein so unebener Kerl, wie ich dachte. Aber, was bringst Du da?«

Diese Worte galten seiner Tochter, welche soeben aus der Küche getreten war und jedem der drei Männer eine Tasse Chocolade vorsetzte. Chocolade ist nämlich der gewöhnliche Morgentrank in Mexiko und den angrenzenden Ländern.

Resedilla sah ihren Vater fragend an, und er erklärte ihr in strengem Tone:

»Hat Sennor Mason die Chocolade bestellt?«

»Warum fragst Du, Vater?«

»Ehe er sie trinkt, muß er sie bezahlen. Du weißt, daß ich ihm keinen Credit gebe.«

Sie erröthete bis hinter die Ohren. Mason aber fragte sehr gleichmüthig:

»Was kostet sie?«

»Einen Quartillo. Ich will es billig mit Euch machen.«

»Hier!«

Er griff in die Tasche, nahm die Kupfermünze heraus und schob sie dem Alten hin. Der kleine Andre hatte diese Scene mit dem größten Erstaunen beobachtet. Er schüttelte den Kopf und sagte zu dem Franzosen:

»Nichts für ungut, Sennor! Seid Ihr wirklich ein Jäger?«

»Ja.«

»Ein wirklicher Westmann?«

»Ich denke es.«

»Ah, das glaube ich nicht.«

»Warum?«

»So kommt nach dem Norden und seht, was ein Trapper in Eurer Lage gethan hätte.«

»Ich weiß es.«

»Nun?«

»Er hätte Sennor Pirnero die Kugel durch den Kopf gejagt oder das Messer in das Herz gestoßen.«

»Ah, Ihr wißt das so gut und thut es nicht?«

»Fällt mir nicht ein!«

»So seid Ihr kein richtiger Westmann!

»Das ist möglich. Adieu, Sennores!«


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Er sagte dies im gleichgiltigsten Tone und erhob sich.

»Adieu!« antworteten die beiden Anderen.

Er hatte mit einem Male den Anspruch auf Achtung bei dem kleinen André verscherzt, trotzdem dieser gestern in ähnlicher Weise von Pirnero behandelt worden war. Als er in den Hausflur trat, stand Resedilla dort. Sie hatte Alles gehört und befand sich in der größten Verlegenheit.

»Mein Gott, wie hat der Vater Euch abermals beleidigt!« sagte sie. »Er ist sonst so gut, aber gegen Euch scheint er ein Vorurtheil zu haben.«

»Habt keine Sorge, Sennorita,« sagte er. »Ich hoffe, daß dieses Vorurtheil nicht lange Bestand haben wird.«

»Ihr werdet ihm verzeihen?«

»Gern!«

»O, Sennor, wie danke ich Euch! Werdet Ihr wiederkommen?«

»Erlaubt Ihr es mir denn, Sennorita Resedilla?«

»Gern.«

»So werde ich ebenso gern wiederkommen.«

»Wann?«

»Heute noch, wie ich denke. Gott behüte Euch!«

Er drückte ihr die Hand und ging.

Er drückte ihr die Hand und ging. Sie blickte ihm nach. Warum sprach er diesen ernsten Gruß? Lag etwas so Ernstes vor ihm oder vor ihr? Auch sein Gesicht hatte einen so ernsten Ausdruck gehabt, nicht wie Zorn über die widerfahrene Beleidigung, sondern wie die Erwartung eines Ereignisses, welchem man mit Sammlung entgegen gehen muß.

Er blickte sich nicht nach ihr um, sondern ging nach dem Stalle und zog sein Pferd heraus, welches sich sicher ebenso ausgeruht hatte, wie er. Dann stieg er auf und ritt davon.

Es war hohe Zeit dazu, denn er hatte ja mit Bärenauge die Verabredung getroffen, heut punkt Mittag an der großen Eiche bei den Teufelsbergen zu sein.

Die Sierra del Diablo, zu deutsch das Teufelsgebirge, liegt im Nordwesten von dem Fort Guadeloupe und fällt in steilen, zerklüfteten Wänden nach dem Rio Puercos ab, an welchem das Fort liegt und von dem es dann noch durch einen breiten Prairiestreifen getrennt ist. Diesen Streifen hatte Gérard in Zeit von zwei Stunden durchritten und gelangte nun an den Fuß des Gebirges.

Einer der Vorberge war nicht so sehr steil wie die anderen. An seiner Lehne ritt der Jäger hinauf. Oben angekommen, erblickte er vor sich eine zweite gewaltige Bergesmasse, von ihm nur durch ein tiefes Thal getrennt und auf der Spitze dieses Berges erhob sich, weithin sichtbar, eine riesige Eiche, deren Zweige einen Umkreis beschatteten, welcher ganz sicher mehrere hundert Schritte im Durchmesser hatte. Das war die Eiche, unter welcher die Apachen ihn jetzt erwarteten.

Er ritt zunächst in das Thal hinab und dann drüben wieder empor. Er rechnete, daß er noch über eine Stunde zubringen werde, um das Stelldichein zu erreichen, aber da plötzlich knackte es neben ihm in den Büschen. Er hatte in demselben Augenblicke auch bereits seine Büchse im Anschlage, ließ sie jedoch sogleich


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wieder fallen, denn er sah, daß es unnöthig sei, sich zu vertheidigen. Vor ihm stand Bärenauge, sein Verbündeter.

»Mein weißer Bruder ist sehr pünktlich,« sagte dieser.

»Mein rother Bruder ebenso,« antwortete Gérard, indem er vom Pferde sprang und dem Indianer die Hand entgegenstreckte.

»Bärenauge hat nicht gewartet, bis sein weißer Bruder zur Eiche kam, denn er hat ihm Wichtiges zu sagen.«

»Was?«

»Mein weißer Bruder erwartet Leute, welche aus Osten kommen?«

»Ja.«

»Leute, welche vom großen Vater der Yankees kommen?«

»Ja.«

»Und dem Präsidenten Juarez viel Geld bringen?«

»So ist es.«

»Bärenauge war bei Juarez, während mein weißer Bruder in Chihuahua war.«

»Ich weiß es. Was sagte Juarez?«

»Er vertraut meinem weißen Bruder, welcher der schwarze Gérard genannt wird, und sagte mir, er solle mich und meine Krieger zu den Franzosen führen, welche das Fort Guadeloupe überfallen wollen.«

»Wie viele Krieger hast Du mit?«

»Fünf mal hundert.«

»Und sechshundert Comanchen wollen den Franzosen zu Hilfe kommen, um Juarez zu vertreiben?«

»Ja, aber sie werden noch nicht gleich ihre Lager verlassen.«

»Warum?«

»Sie haben gehört, daß Juarez viel Geld erwartet, welches durch die böse Llano estacado herbeigebracht werden soll.«

»Ah!« sagte Gérard erschrocken. »Woher weißt Du das?«

»Ich war im Lager der Comanchen, als sie Berathung hielten und habe sie belauscht.«

»Bärenauge, das ist so kühn, daß ich es mir selbst nicht getraute.«

Der junge, stolze Indianer machte eine Bewegung der Geringschätzung und fuhr dann fort:

»Sie werden heut zweihundert Krieger aussenden, um die Spuren Derer zu suchen, welche das Geld bringen. Diese Männer sollen getödtet werden; das Geld erhalten die Franzosen, die übrige Beute aber und die Scalpe die Comanchen. Dann erst werden die sechs mal hundert Comanchen ausziehen, um den Präsidenten Juarez zu überfallen.«

»Diese Nachricht ist sehr wichtig. Ich muß sofort wieder nach der Llano estacado, nachdem wir die Franzosen weggenommen haben.«

»Mein weißer Bruder weiß, wann sie kommen?«

»Ja.«

»Und welchen Weg sie gehen?«

»Ja; ich habe ihre Lagerfeuer gesehen.«


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»Wo werden wir sie treffen?«

»Da, wo das Teufelsgebirge mit der Sierra del Chanate zusammenstößt, geht eine Oeffnung durch das Gebirge, welche von einem Bache gebildet wird. Durch diesen Paß werden sie ganz sicher kommen.«

»Wann?«

»Heut Abend oder morgen früh.«

»So ist es gut, daß ich Dich hier erwartet habe und nicht droben auf dem Berge bei der Eiche. Wir haben keine Zeit zu verlieren, denn wir müssen den Paß besetzen.«

»Wo sind Deine Krieger?«

»Du wirst sie sogleich sehen.«

Er nahm einen hohlen Geierknochen an den Mund und stieß jenen schrillen Pfiff aus, durch welchen sich die Indianer zuweilen ihre Zeichen geben. Sofort rauschte es in den Büschen und aus denselben brachen fünfhundert Reiter hervor, welche dahinter verborgen gewesen waren. Einer von ihnen brachte das Pferd Bärenauges mit. Keines von all diesen Pferden hatte geschnaubt oder in irgend einer andern Weise seine Anwesenheit verrathen, als Gérard sich genaht hatte; so gut sind diese Thiere dressirt.

Der Häuptling gab einen Wink. Er setzte sich mit Gérard an die Spitze und der Zug setzte sich in Bewegung, ohne daß ein Wort des Commandos oder der Verständigung gesprochen worden war. Nach Indianersitte ritt einer genau hinter dem Andern. Der Letzte führte Gérards Pferd am Halfter, welches er vor seinem Ritte nach Chihuahua Bärenauge in Verwahrung gegeben hatte.

Daher fragte der junge Häuptling jetzt den Franzosen:

»Mein weißer Bruder reitet ein fremdes Pferd?«

»Ich nahm es gestern früh von einer Heerde.«

»Wann wird er es gegen das seinige umtauschen?«

»Jetzt noch nicht. Einige Franzosen kennen mein Pferd. Reite ich es, so wissen sie, wer ich bin. Soll ich auf Kundschaft voranreiten?«

»Nein. Die Franzosen sind keine Jäger; sie sind blind und taub; bei ihnen ist es nicht nothwendig, solche Vorsicht anzuwenden.«

Aus diesen Worten war zu erkennen, daß der Häuptling die Franzosen nicht hoch schätzte, denn er hielt eine ganze Compagnie von ihnen nicht einmal der Vorsicht für werth, welche er einem einzigen Jäger gegenüber gehandhabt hätte.

So ging der Zug nach Süden bis dahin, wo die Teufelsberge enden. Sie stoßen hier an die Sierra del Chanate, von welcher sie durch jenen Paß getrennt werden, von welchem Gérard gesprochen hatte. Dieser Paß ist zwar nicht sehr breit, an seiner schmalsten Stelle höchstens zweihundert Fuß, aber er steigt nicht steil, sondern nur langsam empor, bietet schönen grünen Grasboden und ist aus diesem Grunde sehr leicht und bequem zu passiren. Von beiden Seiten ist er von Höhen eingefaßt, deren Bäume genug Holz zur Feuerung bieten und da diese Höhen die Winde abhalten, so wären hier die schönsten Nachtlagerplätze zu suchen, wenn sie leider nicht auch die gefährlichsten wären.

Nämlich der Feind kann, wenn er zahlreich ist, die Höhen rechts und links so gut und leicht besetzen, daß kein einziger Mensch entkommen könnte. Selbst


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ein einzelner Mann, der sich da oben hinter die Bäume und Sträucher versteckte, könnte einer vorüberziehenden Truppe den größten Schaden bereiten, während ihn keine Kugel erreichen würde.

Als die fünfhundert Apachen diesen Paß vor sich sahen, blieb ihr Häuptling halten.

»Weiß mein Bruder genau, daß die Franzosen hier durchkommen werden?«

Mit dieser Frage wendete er sich an Gérard. Dieser antwortete im bestimmten Tone:

»Ich habe die Richtung gesehen, welche sie einschlugen. Sie sind nördlich vom Conchos über den Rio Brande gegangen, da wo die Nordgrenze des Präsidio del Norte et de las Yuntas liegt. Wenn sie nach Fort Guadeloupe wollen und keinen großen Umweg einschlagen mögen, müssen sie hier passiren.«

»So mögen meine Leute die Höhen besetzen. Wir Beide reiten aber weiter, um zu sehen, ob wir die Feinde bemerken.«

Er gab seine Befehle und augenblicklich verschwanden die Leute unten zwischen den Bäumen, um die beiden Seiten des Passes zu besetzen; er selbst setzte mit Gérard den Ritt fort, zwar im scharfen Trabe, stets aber doch die Stellen aussuchend, an denen die Hufe der Pferde die wenigst sichtbare Spur hinterlassen mußten.

So ritten sie mehrere Stunden fort. Die Sonne erreichte den Zenith und begann wieder zu sinken. Längst lag die Höhe des Passes hinter ihnen. Es mochte drei Uhr Nachmittags sein, als endlich die gegenseitige offene Prairie, welche sich nach dem Rio del Norte hinüberzieht, vor ihnen lag. Die Sonne stand schief und beleuchtete die unendliche Ebene scharf, so daß es für ein gutes Auge nicht schwer war, bis in eine sehr weite Entfernung Alles zu überblicken.

Die beiden Männer beschatteten ihre Augen mit den Händen und beobachteten die Prairie genau. Eben wollte Gérard eine Bemerkung machen, als Bärenauge die rechte Hand ausstreckte und nach Westen deutete.

»Uff!« sagte er. »Mein weißer Bruder blicke da hinüber!«

»Ich habe es bereits bemerkt,« antwortete Gérard.

»Was?«

»Diese Reiter.«

»Wie viele zählt mein Bruder?«

»Hundert und zwanzig.«

»Auch ich zähle zwölf mal zehn. Sind es die Franzosen?«

»Ja.«

»Woran erkennt sie mein Bruder?«

»An dem Glanze ihrer Uniformen.«

»Was funkelt in der Luft?«

»Bayonnete.«

»Tragen bei den Franzosen auch Reiter Bayonnete?«

»Nein. Diese Compagnie besteht nicht aus Reitern, sondern aus Infanterie. Man hat den Leuten Pferde gegeben, weil hier diese Thiere nichts kosten und doch das Fortkommen erleichtern und beschleunigen.«

»Uff! Es sitzt nicht auf jedem Pferd ein Mann.«


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»Sie werden Packpferde mit haben.«

»Ich sehe Frauen auf den Pferden sitzen.«

»Sie werden eine Marketenderin mit haben.«

»Was ist das?«

»Ein Weib oder Mädchen, welches Getränke und Lebensmittel verkauft.«

»Ich sehe mehrere Weiber, vier, fünf, sechs.«

»Ah, die Franzosen lieben die Frauen. Die Offiziere werden sich einige hübsche Mädchen aus Chihuahua mitgenommen haben.«

»Ugh!« rief Bärenauge erstaunt. »Hat der große Geist ihnen das Gehirn genommen, daß sie Mädchen mit auf einen Kriegszug schleppen?«

»Diese Kerls sind zu dumm, um zu wissen, welchen Fehler sie begehen.«

»Sie reiten neben einander. Sie machen eine Fährte, so breit, wie die Bahn einer Büffelheerde. Sie werden untergehen!«

»Ja, sie sind verloren. In einer halben Stunde werden sie den Paß erreichen.«

»Was thun wir? Meint mein weißer Bruder, daß wir zurückkehren?«

»Ja.«

»Warum? Wollen wir sie nicht vorüber lassen und sehen, wo sie sich lagern werden?«

»Nein. In einer halben Stunde sind sie hier, wie ich bereits sagte; dann ist nur noch zwei Stunden Tag. Um diese Zeit werden sie jenseits der Paßhöhe einen Ort erreichen, der breit und wohl bewässert ist. Dort haben sie alle Platz und ihre Pferde finden Trank und Futter. Sie werden so dumm sein, dort zu lagern und wir können sie beobachten und jedes Wort hören, was von ihnen gesprochen wird. Darauf soll es ankommen, ob wir sie tödten, oder ob wir sie gefangen nach Fort Guadeloupe schaffen. Mein rother Bruder möge mir folgen!«

Bärenauge nickte beistimmend; sie wendeten die Pferde um und kehrten zurück, selbst im Grase kaum eine Spur ihres Hierseins zurücklassend.

Unterdessen zogen die Franzosen grad auf die Oeffnung des Passes zu. Wer sie so dahinreiten hätte sehen können, dem wäre sicher himmelangst um sie geworden. Gleich beim ersten Blick mußte man sehen, daß die Compagnie aus den verschiedenartigsten, heterogensten Elementen zusammengesetzt war. Turkos und Zuaven, Jäger und Linieninfanteristen, die niemals ein Pferd bestiegen hatten, saßen hier auf ihren Thieren wie der Affe auf dem Kameele. Auch die Bewaffnung war keine einheitliche. Es war eine jener verlorenen Compagnieen, welche, aus den widerstrebendsten Menschen bestehend, man an die äußerste Grenze geschickt hatte, entweder um sie los zu werden oder weil gerade solche obstinate Charactere am geeignetsten sind, mit Todesverachtung die schwierigsten Aufgaben zu lösen.

Diese eigenthümliche Truppe bestand nur aus neunzig wirklich militärischen Personen. Außer diesen waren zwei bebrillte Civilisten zu bemerken, von denen Jeder ein bepacktes Handpferd mit sich führte. Die Marketenderin war sofort an ihrer phantastischen Uniform zu erkennen. Außer ihr befanden sich noch fünf junge Damen dabei, welche allerliebst zu Pferde saßen, was gar nicht zu verwundern war, da fast eine jede Mexikanerin das Reiten versteht. Es war klar, daß diese Damen zur mexikanischen Demimonde gehörten und nur mitgeritten waren, um durch ihre erkauften Umarmungen die Herren Offiziers für ihre Strapatzen zu entschädigen.


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Die übrigen Pferde waren Packpferde, alle zusammen hundertundzwanzig Stück, wie der Apache und sein Freund Gérard ganz richtig gezählt hatten.

Der Capitän oder, wie wir zu Deutsch zu sagen pflegen, der Hauptmann ritt an der Spitze. Neben ihm der Premierlieutenant. Sie waren in der eifrigsten Unterhaltung begriffen.

»Verflucht, daß uns der Führer davongelaufen ist!« brummte der Lieutenant. »Nun können wir sehen, ob wir den rechten Weg auch wirklich treffen!«

»Keine Sorge, Lieutenant; wir haben ihn,« antwortete der Capitän. »Ich bin vor unserem Wegzuge vorsichtig gewesen und habe mir von einem Vaquero die ganze Gegend beschreiben lassen. Sehen Sie, daß sich da grad vor uns das Gebirge öffnet? Das muß der Paß sein, den ich suche.«

»Ein Paß?« fragte der Oberlieutenant, das Monocle grad so nachlässig in das Auge klemmend, als ob er sich im Parquete eines Theaters befinde.

»Ja, ein Paß.«

»In welchem Gebirge?«

»Zwischen zwei Gebirgen.«

»Pardon, Capitän! Ein Paß ist stets nur in einem Gebirge.«

»O, er kann auch zwei Gebirge scheiden.«

»Scheiden? Hm! Wahrhaftig, es ist möglich! Also zwei Gebirge? Wie heißen sie?«

»Links die Sierra del Diablo.«

»Links? Ah ja, links! Und rechts?«

»Rechts die Sierra del Chanate.«

»Chanate? Rechts? Ah ja! Hin! Interessant!«

Er hielt sein Pferd an und betrachtete sich die Berge durch das Augenglas grad so, als ob er den Schnurrbart eines guten Kameraden nach Motten durchsuchen wolle. Er sowohl als auch der Hauptmann sprachen in jenem näselnden, weltmüden Tone, welcher in Offizierkreisen so gern affectirt wird, und welcher das sicherste Kennzeichen ist, daß hinter der äußern Maske nur Schutt und Moder zu suchen sei.

»Und diese Oeffnung im Gebirge?« fragte der Premier weiter.

»Bildet einen Paß, wie ich bereits sagte,« antwortete der Hauptmann.

»Und diesen Paß?«

»Werden wir reiten.«

»Höchst interessant! Ein Paß, eine Defilée! Wird man da Jemand begegnen?«

»Wem sollte man begegnen?«

»Hm! Einer hübschen Indianerin.«

»Ah, Sie verrathen einen exotischen Geschmack, Lieutenant!«

»Pah! Ich habe gehört, die Comanchinnen oder Apachinnen sollen reizend sein!«

»Wirklich?« lächelte der Hauptmann.

Sein Lächeln war freilich ganz so das eines Faun, wie dasjenige des Lieutenants.

»Ja, auf Ehre!« antwortete dieser. »Habe gehört, daß besonders die Apachenmädchen wahre Wunder von Schönheit sein sollen.«

»Sie erregen wahrhaftig einen Appetit!«


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»Der meinige ist längst da! Sollen schöner und verführerischer sein als die allersüßeste Soubrette oder Chansoneuse.«

»O, doch nicht!«

»Auf Ehre! Füßchen und Händchen wie Pepita oder Fanny Elsner.«

»Weiter!«

»Waden wie - ah, wie die büßende Magdalena von Correggio.«

»Weiter!«

»Schenkel, wie, wie - hm, wie Venus, die Schaumgeborene.«

»Nicht übel! Fahren Sie fort!«

»Hüften wie Aspasia.«

»Sie zeichnen wirklich ganz verführerisch!«

»Bin auch Kenner. Weiter, Taille und Busen, hart und fest, zum Nüsse darauf knacken. Hals schlank und dennoch fleischig. Mund zum Wundküssen, Zähne zum Verrücktwerden, Augen zum Anbrennen und Haare zum - zum - zum - hole mich der Teufel, man findet nichts, womit sich dieses reiche, dichte, lange, dunkle Haar vergleichen ließe!«

Der Capitän schnalzte mit der Zunge, als ob er eine große Delicatesse vor sich habe und sagte:

»Aber, Lieutenant, die Hauptsache lassen Sie ja weg.«

»Was?«

»Die Kleidung.«

»Ah pah, die sollte man bei jeder Dame weglassen dürfen! Uebrigens soll sie bei den Indianerinnen nicht sehr klösterlich sein.«

»Wirklich?«

»Auf Ehre!«

»Wie kleiden sie sich?«

»Oben nackt.«

»Ganz?«

»Ja, so habe ich es gehört.«

»Und unten?«

»Auch nackt.«

»Donnerwetter! Also gar nicht bekleidet?«

»O doch; aber nur einen Schurz aus Vogelfedern um die Taille.«

»Lieutenant, Sie übertreiben!«

»Donnerwetter, nein!«

»Oder Sie irren!«

»Auch nicht!«

»O doch! So, wie Sie es beschreiben, geht man nur auf den Südseeinseln.«

»Hm, das ist möglich! Aber das hindert doch nicht, daß man - - daß - - -«

»Nun, was?«

»Daß man sich eine hübsche, junge Apachin fängt und ihr einen solchen Federschurz um die Taille hängt.«

»Ah, reizend! Ich glaube, Sie wären im Stande, dies zu thun!«

»Sehr!« nickte der Lieutenant.


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»Und Sie meinen, daß diese Apachin dann reizender wäre, als zum Beispiel - - -«

»Was, zum Beispiel?«

»Als zum Beispiel Ihre Sennorita Pepi?«

Bei dem letzteren Worte warf der Capitän einen Blick hinter sich, wo die mexikanischen Damen ritten, zwar verschleiert, aber so dünn und durchsichtig, daß ihre reizenden Formen deutlich zu erkennen waren.

»Als Pepi?« fragte der Lieutenant. »Ah, doch nicht. Pepi würde schöner sein. Sie ist bei Gott das schönste Mädchen, welches ich gesehen habe.«

»Sie und Zilli, ihre Schwester,« nickte der Capitän plötzlich ernsthaft.

»In die Sie verliebt sind, Capitän!« meinte der Premier mit einem gezwungenen Lachen.

»Hole Sie der Teufel!« brauste der Capitän auf.

»Ah, jetzt noch nicht!« meinte der Lieutenant. »O, diese Pepi!«

Bei diesen Worten schnalzte er mit den Fingern wie ein Austernesser, dem nach langem Fasten endlich wieder einmal ein Dutzend Cancalaustern geboten werden.

»Und o diese Zilli!« fügte der Capitän dazu. »Wären doch diese beiden verdammten Oesterreicher nicht!«

Bei diesen Worten warf er einen Blick auf die beiden Brillen tragenden Civilisten hinter sich. Der Lieutenant secundirte diesen Blick mit einem heimlichen Ballen seiner Faust und meinte halblaut:

»Capitän, man hat uns betrogen.«

»Ja, mich und Sie.«

»Ich koche Rache.«

»Ich ebenso.«

»Ich habe an diese Pepi geglaubt wie der Russe an seinen Hausheiligen.«

»Und ich an diese Zilli wie der Türke an seinen Imam.«

»Und dennoch war Alles Lüge!«

»Und Heuchelei!«

»Ich nahm Pepi mit, weil ich glaubte, sie liebe mich.«

»Und ich erlaubte Zilli, mich zu begleiten, weil ich dachte, sie sei in mich vernarrt.«

»Und nun läuft diese Pepi diesem Doctor nach.«

»Und Zilli dem andern Doctor.«

»Der Teufel hole alle Doctoren.«

»Und die Hölle verbrenne alle Gelehrten! Warum hängt man uns denn eigentlich die beiden Oesterreicher an den Hals!«

»Hm, ich habe einen Gedanken,« meinte der Premier.

»Ah, welch ein Wunder,« meinte sein ergrimmter Nachbar, »daß Sie einmal einen Gedanken haben!«

»Keine Beleidigung, Capitän! Ich fange nämlich an, zu bezweifeln, daß diese beiden Kerls Gelehrte sind.«

»Ah! Warum?«

»Sie sind mir zu jung und hübsch dazu. Gelehrte sind lang, dürr und steif;


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diese beiden Menschen aber sind jung, beweglich, rothwangig und - hols der Teufel, ich glaube es ungeschworen, daß sie von den Damen für liebenswürdig gehalten werden.«

»Das ist wahr. Aber was sollen sie denn sein, wenn sie keine Gelehrten sind?«

»Hm, Spione.«

»Unsinn!«

»Jawohl, Spione, Spione des österreichischen Max nämlich. Da kommen diese beiden nämlich und legitimiren sich als Naturwissenschaftler. Sie bitten, sich uns anschließen zu dürfen, um das Land zu studiren und Werke über die Fauna und Flora herauszugeben. Sie reiten mit uns von Mexiko nach Queretaro, Guanaxuato, Zacatecas, Durango und Chihuahua. Wohin wir kommen, schnappen sie uns die schönsten Mädchen hinweg, sie die Oesterreicher, uns den Franzosen! Da, auf einmal sollen wir weiter nach Norden; sofort sind sie wieder da. Wir legen uns ein kleines Harem bei; sie thun dies nicht, aber sie benützen unsere Damen. Sie sind Schmarotzer, deren wir uns entledigen müssen. Habe ich recht?«

»Vollständig! »Ich glaube, sie wollen nicht ein Werk über die Fauna und Flora dieses Landes herausgeben, sondern über Pepi und Zilli.«

»Das soll ihnen nicht gelingen. Treffe ich Zilli noch einmal bei ihm, so jage ich ihm eine Kugel durch den Kopf!«

»Und treffe ich Pepi bei dem Andern, so lasse ich ihn an den ersten besten Baum anknüpfen. Unsere Jungens können diese beiden Deutschen ja auch nicht ausstehen.«

»Ja, bringen wir sie nach Fort Guadeloupe, so ist es zu spät. Wir sind dann in geordneten Verhältnissen und sie spielen den Hahn im Korbe. Man müßte sie unterwegs verlieren.«

»Ah, ganz richtig, Capitän! Ich wollte nur wissen, wie Sie über diese Sache denken. Also sie werden meine Patronen nicht nachzählen, wenn Sie heute etwa einen Schuß hören?«

»Fällt mir gar nicht ein. Wir befinden uns hier mitten in der Wildniß, wo das Gesetz der Savanne gilt. Finde ich meine Geliebte bei einem Andern, so jage ich ihm ebenso eine Kugel durch den Kopf wie Sie dem Andern.«

»Das gilt?«

»Auf Ehre! »Topp?«

»Topp!«

Sie reichten sich einander die Hände. Diese beiden leichtsinnigen Franzosen beschlossen den Tod zweier deutschen Ehrenmänner mit ganz derselben Gleichgiltigkeit, mit welcher sie sich auf eine Hasenjagd versprochen hätten.

Während dieser Unterhaltung war der Zug in den Paß eingebogen, welcher hier nach Osten aufzusteigen begann. Man ließ dem Capitän und seinem Premier die Ehre, voran zu reiten, sonst aber wurde nicht die mindeste Ordnung eingehalten. Der Secondelieutenant ritt mit dem Portepéejunker im dichtesten Gewirr; die


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Beiden hatten den Auftrag erhalten, über das Wohl der Damen zu wachen; es fiel ihnen aber schwer genug, die rohe Masse von denselben abzuhalten.

So wurde die Höhe des Passes erreicht, hinter welcher er sich wieder abwärts senkte. Auch die Sonne sank immer tiefer, bis sie endlich den Horizont erreichte; für die Franzosen aber, welche in der Tiefe des Defilées ritten, war sie schon verschwunden.

Da plötzlich erweiterte sich der Paß zu einer Art Rondel, welches wie zu einem Lagerplatz geschaffen zu sein schien. Es war genau die Stelle, von welcher Gérard zu dem Apachenhäuptling gesprochen hatte. Die beiden voranreitenden Offiziere hielten, auf das Freudigste überrascht, ihre Pferde an, und der Capitän sagte:

»Donnerwetter, wie bequem! Grad, als wäre es zum Bivouac angelegt!

»Ganz so!« meinte der Premier.

Er quetschte das Monocle auf das Auge und sah sich den Platz aufmerksam an.

»Platz genug für uns Alle,« fuhr der Capitän fort.

»Wasser auch,« meinte der Premier.

»Und Gras für die Pferde.«

»Schutz gegen die Winde.«

»Wie gut, daß es bereits seit Mittag aufgehört hat, zu regnen. Wir werden hier ziemlich trocken liegen.«

»Ganz und gar trocken. Mein Zelt und meine Decken sind vollständig wasserdicht.«

»Die meinigen auch. Also hierbleiben und lagern?«

»Ja. Wollen das Zeichen geben.«

Der Hornist erhielt den Befehl und blies zum Lagern. Einige Augenblicke später herrschte das tollste Gewirr und ein lautes Schreien, Rufen und Zanken, ganz der französischen Sorglosigkeit und Lebhaftigkeit angemessen. Kein Mensch dachte daran, daß man sich auf dem Kriegsfuße bewegte, und daß man sich genau zwischen den Jagdgebieten der einzelnen Apachenstämme befand. Es war der Leichtsinn, welcher weiß, daß er mit dem Tode spielt, sich aber Mühe giebt, nicht daran zu denken.

Die Soldaten gruppirten sich zusammen und die Lager und Zelte wurden errichtet. Die Zelte der Offiziere, der Damen und der beiden Gelehrten kamen in die Mitte; die Pferde durften frei weiden und trinken. Niemand dachte daran, die Umgebung abzusuchen und nur je am Ein- und Ausgang des Rondels kam ein Einzelposten zu stehen und zwar auch nur, damit sich keines der Pferde verlaufen solle. Kein Prairiejäger hätte gewagt, hier zu übernachten und nun lagerte sich ein Trupp von neunzig Franzosen da, wo ringsum das Verderben ihnen entgegengähnte: es war geradezu unbegreiflich!

Zu Alledem wurden mehrere große Feuer gemacht, deren Flammen haushoch emporloderten, so daß selbst der kleinste Zweig hell erleuchtet wurde. Dann holte man die Proviantvorräthe herbei und nun wurde gebraten, geschmort und gekocht, als ob man sich unter den sicheren Hallen von Paris, nicht aber an den Teufelsbergen von Nordmexiko befinde. Das Thal war in Zeit von zehn Minuten von


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einem Bratendufte erfüllt, welcher einem Indianer diese Truppe meilenweit hätte verrathen müssen. Nur Franzosen sind fähig, in dieser Weise zu verfahren, obgleich man gerechter Weise gestehen muß, daß gerade die französischen Waldläufer und Pelzjäger des Felsengebirges die kühnsten, erfahrensten und - vorsichtigsten sind.

In einem der Zelte, welche in der Mitte des Platzes errichtet worden waren, saßen die fünf Mexikanerinnen, welche bereits erwähnt worden sind. Vielleicht gehörten sie nicht zu den Verirrten ihres Geschlechts, welche ihre Schönheit zum Gegenstande der Bezahlung machen. Die Mexikanerin ist Südländerin und als solche feurig. Das Blut pulsirt glühend durch ihre Adern und läßt dem Verstand nicht Zeit zu einer kühlen Abschätzung dessen, was der Sitte entsprechend ist oder nicht. Dazu kommt noch, daß die Gewohnheiten des Landes in Beziehung auf die geschlechtliche Liebe und auf den Umgang zwischen den beiden Geschlechtern keine so strengen sind wie bei uns. Man liebt, man verbirgt das nicht, sondern man giebt sich hin, um die Süßigkeiten der Liebe durchzukosten.

Darum war es noch immerhin möglich, daß diese fünf Mädchen nicht nach unserm Sinne zu den Verlorenen gehörten. Sie liebten die Uniformen und die Träger derselben; sie waren ihnen gefolgt, um ihnen die Reise und das öde Lagerleben zu würzen, darin lag nach ihren Begriffen keine Sünde. Darum saßen sie jetzt in ihrem Zelte und erzählten sich ganz unbefangen, indem sie auf den Ruf zum Abendmahle warteten, den Erfolg, welchen ihre Schönheit bisher errungen hatte.

Das Zelt stand offen und so drang der Schein des Feuers herein, der das Dunkel desselben in ein röthliches Clairobscure verwandelte.

Drei von ihnen saßen so, daß sie von dem Feuer hell erleuchtet wurden. Es war ja ihre Absicht von draußen gesehen zu werden. Zwei aber hatten sich in den tiefsten Hintergrund zurückgezogen. Dicht an einander geschmiegt, flüsterten sie leise. Es waren Pepi und Zilli, die beiden Schwestern, von denen der Capitän mit dem Premierlieutenant gesprochen hatte.

»Also, Du liebst den Capitän nicht?« fragte Pepi.

»Ich hasse ihn,« klang es leise aber in sehr bestimmtem Tone zurück.

»Warum?«

»Er ist ein Tyrann. Und Du? Liebst Du etwa diesen Oberlieutenant?«

»Pah, ich verachte ihn!«

»Warum?«

»Er blickt mich nur durch das Monocle an, etwa so, wie man durch das Mikroscop einen gefangenen Floh beobachtet. Er ist ein Ignorant.«

»Und diese Beiden wollen uns besitzen!«

»Haben sie uns nicht bereits besessen?«

»Mich nicht!«

»Mich auch nicht! Aber sagst Du auch die Wahrheit, Zilli?«

»Ich schwöre es Dir zu. Diesem Capitän ist es zwar gelungen, einige Male den Arm um meine Taille zu legen und dabei meine Schulter zu küssen, aber den Mund habe ich ihn nicht berühren lassen.«

»O, das ist hier fast gleich, denn Deine Schulter ist sehr verführerisch, meine liebe Zilli. Ich glaube es ihm, daß er schmachtet!«


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»Und Du, Pepi? Dein Lieutenant?«

»Pah! Ich habe ihm erlaubt, das Haar und die Hand zu küssen, weiter nichts. Gestern Abend war er so kühn, mich an sich zu drücken; da gab ich ihm einen Stoß vor die Nase, daß ihm das Monocle zerbrach. Heute hatte er ein anderes. Er muß einen ganzen Vorrath dieser Augenklemmer mit sich haben.«

»Hast Du die Blicke gesehen, mit denen wir heute Abend beobachtet wurden?«

»Ja,«

»Wie hast Du sie gefunden?«

»Sehr zur Vorsicht mahnend.«

»Ich ebenso. Mir ist, als ob mir ein Unheil drohe.«

»Ich habe ganz dasselbe Gefühl. Ich glaube, diese beiden Offiziers haben Etwas vor, was uns großes Unglück bringen kann. Wer wird uns da schützen?«

»Die beiden Deutschen.«

»Glaubst Du?«

»Sicher!«

»O, sie lieben uns doch nicht!«

»Aber sie sind edel und muthig. Sie werden es nicht dulden, daß man uns kränkt.«

»Ich habe diese Zuversicht nicht. Oder ist Doctor Willmann gestern liebenswürdiger gegen Dich gewesen?«

»Nein.«

»Aber er hat Dir wenigstens erlaubt, wiederzukommen?«

»Ja. Und Doctor Berthold?«

»Auch er ist sich gleich geblieben. Ich habe ihn so unendlich lieb und mußte weinen. Das rührte ihn, so daß er mir sagte, ich dürfte heute Abend wieder mit ihm sprechen.«

»Hat er Dich noch nicht geküßt?«

»Nein. Und der Deinige?«

»Auch nicht. Ach, Pepi, was sind wir doch für unglückliche Geschöpfe!«

»Wir lieben so heiß, so innig. Wir würden Alles thun, was man von uns verlangt und doch werden wir mit solcher Kälte zurückgestoßen!«

»Vielleicht sind die Deutschen alle so kalt.«

»Ja, vielleicht. Denke Dir nur, was ich gemacht habe, um die Kälte dieses Doctor Berthold zu schmelzen!«

»Was?«

»Dir darf ich es sagen, denn wir verstehen uns. Ich habe seine Hand ergriffen.«

»Hat er sie Dir gelassen?«

»Ja. Und dann habe ich diese Hand an meinen Busen gedrückt, sehr fest, so daß er hätte Gewalt anwenden müssen, um sie zu befreien.«

»Er hat es nicht gethan?«

»Zunächst nicht, obgleich sich mein Kleid geöffnet hatte und seine Hand mich ohne Hinderniß berührte.«

»Das muß das Eis gebrochen haben, liebe Pepi! Dein Busen ist so reizend und entzückend; ich habe Dich immer um diese Schönheit beneidet.«


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»O, Du hast ganz und gar keine Veranlassung zu diesem Neide, liebe Zilli. Ich bin zwar etwas voller und üppiger als Du, aber Du bist dafür ganz genau nach den Regeln der Schönheit gebaut. Uebrigens habe ich den Doctor nicht besiegt.«

»Nicht?« fragte Zilli ganz verwundert.

»Nein. Er zog die Hand wieder zurück, ganz so ruhig, als ob er eine Puppe berührt hätte.«

»Du Arme! Da Du aber so aufrichtig bist, so will ich es auch sein, denn ich habe mich ganz desselben Manoeuvres bedient wie Du.«

»Ah, wirklich? Auch Dein Kleid war offen?«

»Ja. Und Dir kann ich es sagen, daß ich selbst es vorher geöffnet hatte.«

»Und welchen Erfolg hattest Du?«

»Gar keinen. Er zog die Hand sofort wieder zurück.«

»Gott, das ist ja geradezu eine Beleidigung!«

»Allerdings,« seufzte das traurige Mädchen. »Einem Andern hätte ich sogleich den Dolch in das Herz gestoßen. Aber ihn - -!«

»Ihn könntest Du nicht tödten?«

»O, ich liebe ihn ja so sehr!«

Sie gab sich Mühe, ihr Schluchzen zu unterdrücken. Sie fühlte, daß auch ihre Schwester weinte, denn die Thränen derselben fielen ihr auf die Hand.

»Vielleicht sind wir gar nicht hübsch, so wie wir denken,« flüsterte Pepi.

»Ja, vielleicht sind wir häßlich,« sagte Zilli; »wenigstens ich.«

»Du? O nein, Du bist sehr hübsch. Du weißt ja, daß Alle mit Dir tanzen wollten, wenn wir zur Tertullia oder Fantasia gingen.«

»O nein, Du hast viel, viel mehr getanzt, denn Du bist unendlich hübscher als ich. Wäre ich ein Mann, so müßtest Du meine Geliebte und meine Frau werden, und ich würde ganz glücklich sein, eine so schöne, reizende Frau zu besitzen.«

»Das sagst Du nur aus Liebe zu mir, denn der Mann, der Dich bekommt, müßte geradezu ein Idiot sein, wenn er sich nicht glücklich fühlen wollte.«

Sie hätten sich in dieser Weise vielleicht noch länger zu trösten versucht, wenn nicht jetzt ein Soldat am Eingange des Zeltes erschienen wäre.

Zilli erhob sich wortlos, versuchte, ihre Thränen zu trocknen, und begab sich dann nach dem Zelte des Hauptmannes, der sich dort in Erwartung eines Schäferstündchens ganz allein befand. Pepi blieb zurück; aber bald hörte sie einen zweiten Soldaten sagen: .

»Der Herr Premierlieutenant ersucht Sennorita Pepi, mit ihm zu speisen.«

Sie mußte diesem in Form einer Bitte gegebenen Befehl grad so wie ihre Schwester Gehorsam leisten. Sie nahm eine möglichst unbefangene Miene an, und begab sich nach dem Zelte des Premiers, der sich, ganz so wie der Hauptmann allein in demselben befand.

»Ah, da sind Sie, meine liebe Kleine!« sagte er, indem er sie durch das Monocle mit lüsternen Blicken betrachtete. »Nehmen Sie Platz!«

Sie war allerdings reizend in ihrer mexikanischen Tracht, welche nur aus einem kurzen, mit Tressen besetzten Röckchen und einem ebenso goldgeschmückten


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Jäckchen bestand, unter dessen vorderem Saume das volle, blausammetne Mieder hervorblickte. Konnte Doctor Berthold einem solchen Wesen fortgesetzt widerstehen, so mußte er ein Mann von sehr festem Willen sein.

Es gab zwar zwei Feldstühle hier, aber sie lagen in der Ecke. Das Essen stand am Boden auf einer Decke und daneben war ein Teppich ausgebreitet, auf welchem sich der Premier lang ausgestreckt hatte. Es war sehr leicht zu ersehen, daß er es so eingerichtet hatte, daß Pepi sich grad neben ihn plaziren müsse. Dennoch sagte sie:

»Ich danke, Sennor. Ich würde Sie belästigen. Erlauben Sie, daß ich einen der Feldstühle nehme.«

Sie hatte, ehe er es verhindern konnte, den Stuhl ergriffen, schlug ihn aus einander und setzte ihn so, daß das Essen zwischen sie und den Offizier zu liegen kam.

»Wissen Sie, daß Sie ein kleiner Teufel sind?« fragte er.

»Und Sie kein großer Engel!« antwortete sie.

»Engel oder Teufel; wir wollen zunächst essen, denn ich habe Hunger!«

Mit diesen Worten machte er sich über die Speisen her. Es befand sich kein Licht in dem Zelte, sondern dasselbe wurde durch den Schein des Lagerfeuers erleuchtet, allerdings so spärlich, daß man die verschiedenen Speisen kaum zu unterscheiden vermochte. Es war hier ganz der Ort zu einer zärtlichen Scene zwischen zwei Leuten, die sich zu lieben vermochten.

Das Mahl war einfach und verlief vollständig wortlos. Pepi langte außerordentlich wenig zu. Der Gastgeber war ihr unsympathisch, und so mochte sie auch von seinen Speisen nichts wissen. Der Premier hingegen ließ es sich sehr gut munden, bis nichts mehr vorhanden war; dann schob er schleunigst das Geschirr zur Seite, so daß er Platz fand, bis hart an das schöne Mädchen heranzurücken.

»So mein Herz,« meinte er. »Jetzt hat der Leib das Seinige, und nun können wir auch für die Bedürfnisse des Herzens sorgen.«

Er wollte seinen Kopf auf das Knie des schönen Mädchens legen; sie aber stieß ihn ziemlich energisch zurück.

»Ich danke, Sennor!« sagte sie. »Für die Bedürfnisse meines Herzens ist bereits gesorgt.«

»Ah,« meinte er fast perplex; »wie meinen Sie das?«

»Daß ich diese Bedürfnisse am Besten kennen muß.«

»Gut. Sie haben also doch welche?«

»Vielleicht.«

»Und wann fühlen Sie dieselben?«

»Hier nicht.«

»Donnerwetter, das ist deutlich!«

»Ich liebe die Deutlichkeit, Sennor!«

»Ah, vielleicht weiß ich, wo Sie diese Bedürfnisse empfinden würden.«

»Das ist mir gleichgiftig. Ich mag es nicht hören.«

»Ich werde es Ihnen dennoch sagen. Wenn dieser Deutsche, Doctor Berthold, hier an meiner Stelle läge, würden Sie dann auch so spröde sein?«

»Sie haben kein Recht, mich so zu fragen!«


// 1511 //

»O doch, Sennorita. Sie verkennen Ihre Stellung zu mir ganz und gar.«

»Ich glaube nicht. Es müßte dieß wenigstens erst bewiesen werden!«

»Ich werde es Ihnen beweisen, doch nur unter einer Bedingung.«

»Eine Bedingung? Welche?«

»Geben Sie mir ihr schönes Händchen, daß ich es küsse!«

»Hier!«

Bei diesem sehr gleichgiftig gesprochenen Worte gab sie ihm die Hand, welche er sehr feurig an seine Lippen drückte. Der gute Lieutenant war wirklich ganz und gar in diese reizende mexikanische Libelle verliebt.

»Nun?« fragte sie, ungeduldig mit dem kleinen Füßchen stampfend.

»Wir ließen bekannt machen, daß wir zu unserer persönlichen Bedienung einige junge Damen suchten, welche Muth genug hätten, uns zu begleiten.«

»Ist das Ihr ganzer Beweis?«

»Nein. Sie meldeten sich mit Ihrer Schwester und wurden engagirt.«

»Von wem?«

»Vom Capitän.«

»Aber nicht von Ihnen. Sie haben kein Recht auf mich.«

»O doch, denn der Capitän hat Sie mir zugesprochen.«

»Ich habe ihm nicht die Erlaubniß dazu ertheilt.«

»Sie war auch gar nicht nöthig!«

»O doch! Ich bin weder zur Bedienung des Hauptmannes noch zu der Ihrigen engagirt worden. Wir haben gefragt, ob die beiden Doctoren auch der Bedienung bedürften; dies wurde bejaht. Für sie haben wir uns gemeldet.«

»Da liegt ein großer Irrthum vor. Sie konnten nur für einen Offizier der Compagnie engagirt werden; das ist geschehen, und Sie haben nun zu gehorchen. Um die Angelegenheiten dieser beiden deutschen Civilisten kümmern wir uns nicht so weit, daß wir ihnen zur Unterhaltung junge Damen anbieten und bezahlen.«

»Sie bedienen sich sehr starker Ausdrücke, Sennor. Es sind noch drei junge Damen hier, unter denen Sie wählen können.«

»Pah! Sie gehören dem Lieutenant, dem Fähnrig und dem Feldwebel. Ich habe gewählt und Sie sind es, die ich haben will.«

»Ohne mich zu fragen?«

»Ja. Ich habe Sie bisher um Liebe gebeten; wenn dies nicht genug ist, werde ich zu befehlen wissen.«

»Das traue ich Ihnen zu. Aber glauben Sie vielleicht auch, daß ich gehorchen werde?«

»Sicher!«

Sie ließ ein halblautes, silbernes Lachen hören und antwortete:

»Dann kennen Sie uns Mexikanerinnen schlecht!«

»Oder Sie uns Franzosen nicht!

»Möglich. Vielleicht ist es in Frankreich gebräuchlich, sich Liebe durch rohe Gewalt zu erzwingen. Aber selbst diese Rohheit würde in Mexiko zu keinem Ziele führen.«

»Das kommt auf einen Versuch an!«

»Ich warne Sie vor demselben!«


// 1512 //

»Ah, wollen Sie mir wieder ein Monocle zerbrechen?«

»Vielleicht.«

»Ich kann es ersetzen.«

»Ich habe das bemerkt. Sie scheinen außerhalb Ihrer Dienstzeit Brillenhändler zu sein.«

»Alle Teufel, Sie werden giftig!« fuhr er auf.

»Nur zuweilen.«

»Ich werde Sie zähmen.«

»Sparen Sie die Mühe! Ich sehe gar wohl ein, daß ich mich Ihnen aufrichtig und ohne alle weibliche Scheu erklären muß, um Ihnen Ihren Standpunkt klar zu machen.«

»Thun Sie es! Ich bin sehr neugierig und werde ein eifriger Zuhörer sein.«

Diese Worte wurden in einem höchst impertinenten Tone gesprochen. Sie beachtete dies aber nicht im Geringsten, sondern fuhr im belehrenden Tone fort:

»Wir Mexikanerinnen sind anders, als die Damen Frankreichs - - -«

»Donnerwetter, das bemerke ich!« unterbrach er sie.

»Ah, wirklich? Nun, welchen Unterschied finden Sie?«

»Sie sind verdammt kokett. Sie erregen Gefühle, welche sie nicht befriedigen.«

»Ihr Vorwurf enthält zugleich eine Ehre für uns. Aber Sie drückten sich falsch aus, denn wir befriedigen nur diejenigen Gefühle nicht, welche ohne unsere directe Absicht entstanden sind.«

»Ah,« lachte er; »die andern finden Befriedigung?«

»Gewiß,« antwortete sie ganz unbefangen. »Wenn wir lieben, so lieben wir mit Leib und Seele, dies wird bei Ihnen wohl ebenso sein, nur daß Ihre Damen vielleicht nicht aufrichtig genug sind, dies einzugestehen. Wenn wir aber nicht lieben, so kann uns keine Macht der Erde zwingen, Erhörung zu gewähren. Versucht man diesen Zwang, so sind wir im Stande, zum Dolche zu greifen, und ich gebe Ihnen mein Wort, daß wir ihn zu führen verstehen.«

»Ah, Sie sind wirklich ein Teufel, aber ein sehr liebenswürdiger!«

»Weiter! Unsere Verhältnisse sind andere, als die Ihrigen. Bei Ihnen wird eine Dame sich vielleicht scheuen, einem Offizier offen in das Feld zu folgen! Bei uns ist das eine Heldenthat. Mit einem Schritt wie dieser ist nicht die mindeste Schande verknüpft. Man liebt den Mann; man schließt sich ihm an; man nimmt Theil an seinen Entbehrungen, an seinen Thaten, und später wird man seine Frau.«

»Ah, wirklich?«

»Sicher. Kein Mexikaner ist ehrlos genug, eine solche Aufopferung, ein solches Vertrauen mit Schande zu bezahlen. Fühlt er, daß er die Dame nicht lieben kann, so weist er sie zurück. Sie aber, Sennor, kommandiren die Dame tyrannisch mit sich fort, glauben Liebe befehlen zu können, wo keine vorhanden ist und werfen die Aermste dann von sich, sobald Sie sich gesättigt haben. Sie begehen sodann den Fehler, uns nach Ihnen zu beurtheilen und das kann sehr leicht verhängnißvoll werden.«

»Sie sprechen wie ein Pfarrer!«

»Spotten Sie immerhin; ich spreche dennoch weiter. Bin ich dann mit meiner


Ende der dreiundsechzigsten Lieferung - Fortsetzung folgt.



Karl May: Waldröschen

Karl May – Forschung und Werk