Lieferung 51

Karl May

10. November 1883

Waldröschen
oder
Die Rächerjagd rund um die Erde.

Großer Enthüllungsroman
über die
Geheimnisse der menschlichen Gesellschaft

von

Capitain Ramon Diaz de la Escosura.


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Werth hatte das Memoriale! Er mußte versuchen, in seinen Besitz zu gelangen. Aber wie?

Indem er darüber nachdachte, wurde ein Schlüssel in das Schloß seines Zimmers gesteckt. Die Kellnerin kam, um ihn aus seiner freiwilligen Gefangenschaft zu befreien.

»Sie sind soeben fort,« sagte sie. »Haben Sie etwas gehört?«

»Ja. Ist es nicht möglich, einmal nach Nummer zwölf zu kommen?«

»O ja; ich müßte den Hauptschlüssel holen. Aber wenn Parkert uns überrascht!«

»Keine Sorge. Er kommt nicht sogleich zurück.«

»So warten Sie.«

Sie entfernte sich. Wie gut, daß Curt dieses Mädchen getroffen hatte! Ohne ihre Hilfe wäre es ihm nicht möglich gewesen, das zu erfahren, was er jetzt wußte.

Sie kehrte in kürzester Zeit zurück und brachte ihm den Hauptschlüssel.

»Ich weiß nicht, was Sie da drüben wollen, Herr Lieutenant,« sagte sie. »Aber ich habe auch keine Zeit, mitzugehen, denn es sind mehrere Gäste gekommen, welche ich bedienen muß. Hier ist der Schlüssel.«

»Wie bekommen Sie ihn wieder? Ich kann doch unmöglich nochmals in die Gaststube kommen.«

»Legen Sie ihn hier neben der Thür unter den Teppich. Sobald ich kann, hole ich ihn mir.«

Als sie nach unten zurückgekehrt war, öffnete er das Zimmer des Kapitäns und verschloß die Thür wieder, nachdem er eingetreten war. Der Raum war ganz in derselben Weise meublirt wie der nebenan liegende. Ein größerer Reisekoffer stand an der Wand und auf demselben lag ein kleines Handköfferchen. Wie war es zu öffnen? Das Document mußte heraus!

Curt griff in die Tasche. Auch er hatte ein ähnliches Köfferchen mitgebracht und trug den Schlüssel zu demselben bei sich. Er probirte und - hätte vor Freude aufjauchzen mögen, denn sein Schlüssel paßte. Die Schlösser zu diesen Koffern sind meist Fabrikwaare, eins wie das andere, und daher kommt es, daß ein Schlüssel alle Schlösser öffnet. Dies war für Curt ein höchst günstiger Umstand.

Das Köfferchen enthielt nichts als Papiere. Oben darauf lag ein langes, schmales Heft. Er öffnete es - es war das gesuchte Memoriale in französischer Sprache geschrieben und mit dem Siegel des Ministers der auswärtigen Angelegenheiten versehen.

Sollte er sich seiner bemächtigen, oder nur eine Abschrift davon anfertigen? Zu der Letzteren stand ihm augenblicklich zwar kein Papier in Bogenform zur Verfügung, doch hatte er ja sein Notizbuch mit, und dies genügte, die Paragraphen wörtlich festzuhalten. Besser und überzeugender war es jedenfalls, wenn er sich in den Besitz des Originales setzte, aber dann mußte der Kapitän den Verlust desselben bemerken. Curt ging einige Minuten lang mit sich zu Rathe. Er war entschlossen, den Grafen von Bismark schleunigst in den Besitz dieses heimlichen, hinterlistigen Vertrages zu setzen, und da das mit dem Ministerialsiegel versehene Original in den Händen des allmächtigen Mannes jedenfalls eine ganz andere Beweiskraft besaß,


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als eine doch immerhin noch der Bestätigung bedürfende Kopie, so entschloß er sich endlich, das Heft ganz ohne Weiteres an sich zu nehmen.

Er that dies, verschloß sodann das Köfferchen wieder und verließ das Zimmer. Nachdem er den Hauptschlüssel unter den Teppich gelegt hatte, fügte er einige Banknoten zur Belohnung der gefälligen Kellnerin hinzu und verließ sodann das Haus, was er auch ungesehen bewerkstelligte.

Er nahm sofort eine Droschke und fuhr nach der Wohnung Bismark's. Er dachte mit Freuden daran, daß dieser ihm sicher behilflich sein werde, sich des Kapitäns zu bemächtigen. Sternau war mit seinen Gefährten ausgezogen, um diesen Bösewicht zu fangen; er war verschollen. Nun lieferte sich der Seeräuber selbst an das Messer. Er konnte gezwungen werden, alle Geheimnisse von Rodriganda zu enthüllen, und auch über das Schicksal Sternau's Auskunft zu geben, falls ihm dasselbe vielleicht bekannt war.

Am Ziele seiner Droschkenfahrt angekommen, erfuhr Curt, daß Bismark nicht zu sprechen sei, da er sich gegenwärtig beim Könige befinde. Kurz entschlossen, ließ er sich sofort nach dem königlichen Schlosse fahren. Er wurde hier zunächst bedeutet, daß keine Zeit zur Audienz sei. Er zuckte die Achsel und bedeutete dem diensttuenden Adjutanten:

»Ich muß dennoch auf meiner Bitte bestehen, Herr Oberst!«

»Aber Sie sind nicht in Uniform, Lieutenant!«

»Ich hatte keine Zeit, sie anzulegen.«

»Dazu ist unter allen Umständen Zeit. Seine Majestät trägt stets und streng die Uniform. Ich würde einen fürchterlichen Verweis erhalten, wenn ich Sie so meldete, wie Sie dastehen. Uebrigens ist Seine Excellenz von Bismark bei der Majestät.«

»Eben Seine Excellenz suchte ich. Und daß ich erfuhr, daß sie bei Seiner Majestät zu treffen sei, ist mir lieb. Ich kann Ihnen, Herr Oberst, nur mittheilen, daß es sich um eine höchst wichtige Angelegenheit handelt, welche keinen Aufschub erleiden darf. Diese Wichtigkeit giebt mir die Erlaubniß, selbst die bedeutungsvollste Unterredung der beiden hohen Herren zu unterbrechen. Es ist Gefahr im Verzuge, da es sich um die sofortige Verhaftung eines Spiones und Landesverräthers handelt, und ich würde mich gezwungen sehen, die Verantwortung auf Sie zu wälzen, falls Sie sich weigern, mich zu melden.«

Der Flügeladjutant blickte den jungen Mann, der so zwingend zu sprechen wußte, verwundert an und sagte dann:

»Sie behaupten also, Wichtiges und Unaufschiebbares zu bringen?«

»So ist es.«

»Und wollen diese Angelegenheit dem Grafen von Bismark in Gegenwart des Königs vortragen?«

»Ja.«

»Nun, wenn Sie das sagen, so bin ich gezwungen, Sie anzumelden. Aber, junger Mann, ich mache Sie darauf aufmerksam, daß Sie sich und vielleicht auch Ihrer Carriere sehr im Wege stehen, wenn Sie sich bei Seiner Majestät Zutritt erzwingen in einer Angelegenheit, welche nicht so wichtig ist, als Sie denken. Die Verantwortung mögen Sie tragen.«


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»Gern,« erwiderte Curt höflich, aber selbstbewußt.

Der Adjutant trat in das Gemach Seiner Majestät und erschien nach kurzer Zeit wieder. Auf seinen Wink trat Curt ein. Er befand sich den beiden größten Männern Deutschlands gegenüber.

König Wilhelm hatte damals vor erst einigen Wochen Oesterreich und Süddeutschland besiegt, er hatte, allen Erwartungen gegenüber, gezeigt, daß er ein würdiger Erbe des großen Friedrich sei, und daß er sich im Stillen Männer herangebildet habe, welche recht wohl die Kraft hatten, die Traditionen seiner großen Ahnen mit Wort und Schwert kräftig zur Geltung zu bringen. Er war zwar noch nicht auf der Höhe seines Ruhmes angekommen, die er einige Jahre später zu Versailles nach einem der blutigsten Kriege der Weltgeschichte erstieg, doch fühlte er sich den Feinden recht wohl gewachsen, welche jetzt, nachdem er seine Feinde niedergeworfen hatte, heimlich und öffentlich gegen ihn machinirten.

Er war mit einem Schlage ein gefürchteter, einflußreicher Monarch geworden, und zwar mit Hilfe des Mannes, der jetzt an seiner Seite stand. Der eiserne Kanzler mit den ihm vom Kladderadatsch angedichteten drei Haaren war die Seele der preußischen Politik. Kein Diplomat wagte einen Schritt zu thun, ohne zuvor bei ihm sondirt zu haben. Er war der Beamte, aber auch der Freund seines erhabenen Monarchen, und sein Auge, welches bisher alle Intriguen seiner Feinde durchschaut hatte, blickte jetzt mit Verwunderung auf den jungen, kaum zwanzigjährigen Menschen, welcher es wagte, sich in so unscheinbarer, kaum für einen Restaurationsbesuch passenden Kleidung eine Audienz zu erzwingen.

Auch des Königs Auge ruhte in ernster Erwartung auf Curt, welcher nach einem ehrfurchtsvollen Gruße ruhig den Blick erhob, um zu warten, bis er angeredet werde.

»Man hat mir den Lieutenant Helmers gemeldet?« sagte der König.

»Ich bin es, Majestät,« antwortete Curt in bescheidenem Tone.

»Von welcher Truppe?«

»Bisher im Dienste Seiner Durchlaucht des Großherzogs von Hessen, jetzt aber eingetreten bei den Gardehusaren Eurer Majestät.«

Das Auge des Königs belebte sich mehr und wurde milder.

»Ah,« sagte er, »mein Kriegsminister hat mir von Ihnen gesprochen. Sie sind sehr warm empfohlen, dennoch aber mag man es in gewissen Kreisen sehr kühn von Ihnen halten, in das Gardecorps eingetreten zu sein.«

»Man hat mir dies bereits merken lassen, Majestät.«

Ein leises, bedauerndes Lächeln ging über das offene Gesicht des Herrschers.

»So haben Sie Ihre Visiten bereits absolvirt?« fragte er.

»Ich habe meine Pflicht gethan,« antwortete Curt vielsagend.

»Ich hoffe, daß Sie dieselbe auch weiterhin erfüllen. Wie aber kommen Sie zu einer Kleidung, die hier an dieser Stelle höchst unpassend erscheinen muß?«

»Hier, Majestät, meine Entschuldigung.«

Er zog den Vertrag hervor und überreichte denselben mit einer tiefen, ehrfurchtsvollen Verbeugung dem Könige. Dieser nahm das Schriftstück in Empfang, öffnete es und warf einen Blick darauf. Sofort nahm sein Gesicht den Ausdruck


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der größten Ueberraschung an; er trat an's Fenster, las und las, bis er zu Ende war, reichte dann die Blätter dem Grafen von Bismark hin und sagte:

»Lesen Sie, Excellenz, lesen Sie! Es ist eine außerordentliche Mittheilung, welche uns da von diesem Manne gemacht wird.«

Bismark hatte bis jetzt ganz unbeweglich dagestanden und den Lieutenant kaum mit einem oberflächlichen Blicke beachtet. Jetzt nahm er die Schrift zur Hand und las sie. Kein Zug seines eisernen Gesichtes verrieth den Eindruck, welchen die Lectüre auf ihn machte. Als er geendet hatte, warf er den ersten, wirklich vollen Blick auf Curt und fragte:

»Herr Lieutenant, wie kommen Sie zu diesem Documente?«

»Durch Diebstahl, Excellenz,« antwortete der Gefragte.

»Ah!« lächelte der Minister. »Was nennen Sie Diebstahl?«

»Die rechtswidrige Aneignung fremden Eigenthums.«

»So ist es sehr möglich, daß ich Sie vom Verbrechen des Diebstahles freispreche. Mir scheint, diese Papiere seien Eigenthum Seiner Majestät und die Aneignung derselben ist vielleicht auf einem sehr gesetzmäßigen Wege geschehen. Wer war der bisherige Inhaber derselben?«

»General Douai brachte sie einem Manne, welcher scheinbar ein Amerikaner, in Wirklichkeit aber ein Spion Spaniens ist.«

»Wo befindet er sich?«

»Hier in Berlin, im Gasthofe zum Magdeburger Hofe. Wenn Majestät und Excellenz erlauben, bitte ich, den Vorgang, welcher mich in den Besitz des Documentes brachte, berichten zu dürfen.«

»Erzählen Sie!« gebot der König mit gespannter Miene.

Curt begann seinen Bericht. Er erwähnte, daß der Kapitän von einer ihm sehr werthen Person als ein gefährlicher Verbrecher erkannt worden sei, weshalb er sich zu ihm in die Restauration begeben habe, um vielleicht zu erfahren, welche Absicht diesen Menschen nach Berlin geführt habe. Dann folgte das Uebrige.

Als er geendet hatte, trat der König mit raschen Schritten zu ihm, reichte ihm die Hand und sagte mit außerordentlichem Wohlwollen:

»Sie haben uns einen großen Dienst erwiesen, Lieutenant, ich danke Ihnen. Ich lobe es, daß Sie uns das Original gebracht haben und nicht eine Abschrift nahmen. Wir werden uns sofort der Person Douais und dieses Parkert bemächtigen. Doch wer ist die Person, welche in dem Letzteren einen gefährlichen Verbrecher erkannte?«

»Frau Sternau, die vormalige Gräfin de Rodriganda.«

»Eine Gräfin Rodriganda jetzt eine einfache Frau Sternau? Wie kommt das?«

»Majestät, dieser einfache Sternau ist jedenfalls der Sohn des Herzoges von Olsunna, welcher jetzt hier in Berlin wohnt.«

»Das klingt ja höchst interessant!«

»Es ist auch in Wirklichkeit so interessant, so ungewöhnlich, daß ich es wage, Eure Majestät zu bitten, einen kurzen Umriß der Geschichte dieser Personen gnädigst anzuhören.«

»Sie haben sich ein Anrecht auf unseren Dank erworben; ich gebe Ihnen gern die erbetene Erlaubniß. Erzählen Sie!«


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Der König gab dem Grafen Bismark einen Wink, mit ihm Platz zu nehmen. Sie thaten es und Curt begann, einen zwar kurzen, aber doch hinlänglichen Bericht von den Erlebnissen und Verhältnissen der ihm so nahe stehenden Personen zu geben. Die beiden hohen Herren hörten ihm mit immer wachsender Spannung zu. Als er geendet hatte, erhob sich der König in sichtbarer Erregung und sagte:

»Das ist außerordentlich; das ist ja fast wie ein Roman! Fast sollte man behaupten, daß solche Dinge unmöglich seien! Sie sagen, daß Seine Großherzogliche Hoheit diese höchst interessanten Familien kennt?«

»Allerdings. Sämmtliche Bewohner von Schloß Rheinswalden hatten Zutritt am Hofe und Ihre Hoheit interessirten sich ganz vorzüglich für Rosa de Rodriganda.«

»Nun wohl, der Großherzog ist hier anwesend. Ich höre, daß er heute Abend Gäste bei sich sieht und werde diese Gelegenheit benutzen, das, wie Sie mir erzählt haben, zur Sprache zu bringen. Für jetzt will ich Sie entlassen, um die nöthigen Vorkehrungen zu treffen, uns der beiden Emissäre zu bemächtigen. Es freut mich, Sie in meiner Garde zu wissen. Sie haben sich gut bei mir eingeführt und sich so sehr empfohlen, daß Sie meiner Gewogenheit versichert sein dürfen. Glauben Sie, daß ich Sie nicht aus dem Auge lassen werde. Adieu!«

Er reichte Curt die Hand.

Er reichte Curt abermals die Hand, welche dieser demüthig ergriff, aber im Herzen voll Glück an seine Lippen zog. Auch Bismark trat heran und gab ihm die Rechte.

»Lieutenant,« sagte er, »ich liebe Leute, welche bei solcher Jugend bereits so umsichtig und thatkräftig sind, denn diese Jugend verspricht ein dankbares Alter. Wir sehen uns vielleicht nicht zum letzten Male. Für heute aber ersuche ich Sie um Ihre vollste Discretion. Kein Mensch, merken Sie wohl, kein einziger Mensch außer uns Dreien darf wissen, was Sie zu Seiner Majestät führte. Wir wissen jetzt genau, daß der Franzmann den Krieg will, und können uns darauf vorbereiten, dem Feinde gerüstet gegenüber zu stehen. Das ist viel werth und das haben wir Ihnen zu danken. Verlassen Sie sich darauf, daß ich Sie nicht vergessen werde. Jetzt gehen Sie mit Gott!«

Curt verließ das Zimmer und das Schloß. Er dachte nicht an seine Droschke, er wußte nicht, welche Richtung er verfolgte, er war beinahe trunken vor Glück. Er war von diesen beiden mächtigen Männern mit solcher Auszeichnung verabschiedet worden, was kümmerte er sich nun um alle seine Widersacher, vom General an bis zum letzten Lieutenant herab. Er hatte ferner die Theilnahme des Königs für die Familie de Rodriganda erregt; es ließ sich hoffen, daß unter einer so hohen Protection die Forschungen nach dem verschwundenen Sternau von besserem Erfolge als bisher sein würden.

So ging er, in Gedanken versunken, auf's Geradewohl die Straßen entlang, bis er endlich doch zur Einsicht kam, daß er eine ganz entgegengesetzte Richtung eingeschlagen habe. Er nahm also einen Fiaker und ließ sich nach Hause fahren.

Dort wurde er mit der größten Ungeduld erwartet. Sie saßen alle im Salon beisammen und empfingen ihn mit liebreichen Vorwürfen wegen seines langen Fortbleibens, welches sie sich nicht erklären konnten.

»Wir erwarteten Dich aus der Restauration da drüben zurück,« sagte der


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Herzog, »und nun sehen wir, daß Du mit einer Droschke angefahren kommst. Wo warst Du denn eigentlich?«

»Das errathen Sie nicht, Durchlaucht,« antwortete er lachend. Und einen Blick auf sich werfend, fuhr er fort: »Sehen Sie dieses Gewand, ein Dorfschulmeister kleidet sich besser, und in diesem Anzuge bin ich gewesen -«

Er hielt inne und der Herzog fiel ein:

»Nun, bei wem?«

»Beim Könige.«

»Beim Könige? Unmöglich!« rief es von allen Seiten.

»Und doch! Beim Könige und bei Bismark war ich!«

»Du scherzest!« meinte Olsunna.

Aber Röschen warf einen forschenden Blick auf ihren Gespielen. Sie kannte ihn genau; sie sah seine vor Glück leuchtenden Augen, seine gerötheten Wangen und hatte sogleich die Ueberzeugung, daß er nicht im Spaße gesprochen hatte.

»Es ist wahr, er ist beim Könige gewesen, ich sehe es ihm an!« sagte sie.

Dabei glänzten auch ihre schönen Augen vor aufrichtiger Freude. Sie war stolz darauf, daß Curt mit so hohen Herren gesprochen hatte.

»Also doch?« fragte ihre Mutter den jungen Mann.

»Ja,« nickte er.

»Mein Gott, in diesem Anzuge!« rief der Herzog. »Aber wie kommst Du zu der Majestät und zu der Excellenz?«

»Das darf ich nicht sagen. Ich habe den beiden Herren die größte Verschwiegenheit versprechen müssen, und ich ersuche Sie deshalb, keinem Menschen von einer Audienz zu sprechen. Zu Ihrer Beruhigung jedoch will ich Ihnen sagen, daß ich - ich muß geradezu sagen, mit einer Auszeichnung entlassen worden bin. Es ist mir gelungen, den Herren einen nicht gewöhnlichen Dienst zu erweisen, und Beide haben mir die Hände gedrückt und mir gesagt, daß sie mich nicht aus den Augen verlieren werden.«

»Wie überraschend, wie schön, wie herrlich!« rief Röschen jubelnd.

Dieser Jubel riß Curt so hin, daß er hinzufügte:

»Bismark sagte mir sogar, daß er solche Leute liebe, die bei solcher Jugend so umsichtig und thatkräftig seien. Ich mußte viel erzählen, von Spanien, von Rodriganda, Alles, Alles, und nun will der König mit dem Großherzoge sprechen. Jedenfalls werden Sie Alle vorgestellt und wir dürfen unter diesem königlichen Schutze hoffen, daß unsere Nachforschungen endlich einmal Erfolge haben werden.«

»Das gebe Gott!« sagte Rosa de Rodriganda. »Aber Du gingst, um mit dem Kapitän zu sprechen. Wo ist er? Wo hast Du ihn gelassen?«

»Er wird in diesem Augenblicke gefangen sein,« antwortete Curt.

Aber er irrte sich. Während er den Seinen über sein Gespräch mit Parkert und sein Verweilen im »Magdeburger Hofe« so viel erzählte, als sich mit der angelobten Discretion vereinigen ließ, hatte der Kapitän das Gasthaus wieder betreten. Die Unterredung mit dem Gesandten Rußlands war nur von kurzer Dauer gewesen. Er kehrte zurück und dachte, als er sein Zimmer betrat, sofort an das wichtige Document.

Er öffnete das Handköfferchen, um es noch einmal genauer durchzulesen, als


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es in Gegenwart des französischen Generales möglich gewesen war. Er fuhr erschrocken zurück - das Document war verschwunden. Er suchte im Köfferchen mit fliegender Hast nach - es fand sich nicht mehr. Er suchte im Zimmer, obgleich er ganz genau wußte, daß er die Schrift in das Köfferchen eingeschlossen hatte, da ihn ja auch der General gefragt hatte, ob sie da sicher aufgehoben sei - vergebens. Nun klingelte er. Die Kellnerin erschien. Sie hatte den Hauptschlüssel längst wieder an seinen Ort gebracht und auch das reiche Geldgeschenk gefunden.

»War während meiner Abwesenheit Jemand hier?« fragte er sie.

»Nein, es hat Niemand nach Ihnen gefragt,« antwortete sie.

»Ich meine, ob Jemand hier in diesem Zimmer war?«

»Nein.«

»Und doch muß irgend wer hier gewesen sein!«

»Wie wäre das möglich? Sie verschließen ja Ihr Zimmer.«

»Es wird wohl einen Hauptschlüssel geben, an den ich früher nicht gedacht habe. Ich bin bestohlen worden, schändlich bestohlen!«

»Bestohlen?« fragte sie, indem sie vor Schreck erbleichte.

Das mußte ein Versehen sein. Sie konnte Lieutenant Helmers unmöglich für einen Dieb halten.

»Sie erschrecken, Sie erbleichen!« rief der Kapitän. »Sie sind es selbst gewesen! Sagen Sie, wo Sie das Document haben! Ich muß es wieder haben, sogleich, sogleich!«

Bei dem Worte »Document« faßte sich das Mädchen sofort. Es handelte sich also nicht um einen gewöhnlichen Diebstahl. Es war eine Schrift abhanden gekommen. Hatte der Lieutenant dieselbe an sich genommen, so war er jedenfalls berechtigt dazu gewesen; aber verrathen wollte sie ihn nicht.

»Ich?« sagte sie. »Was fällt Ihnen ein! Auf diese Art und Weise kommen Sie mir nicht, Herr Kapitän! Wo haben Sie das Document gehabt?«

»Hier in dem kleinen Koffer.«

»War er denn nicht verschlossen?«

»Ja doch.«

»Und Sie bilden sich ein, daß ein ehrliches Mädchen Ihren Koffer aufsprengt -«

»Aufgesprengt ist er nicht, sondern aufgeschlossen,« fiel er ein.

»Woher soll man den Schlüssel haben, der gerade an Ihren Koffer paßt!«

»Einen Dietrich -«

»Lassen Sie sich nicht auslachen! Ein Kellnermädchen wird einen Dietrich haben! Ich werde sogleich zum Wirthe gehen und ihm sagen, daß Sie mich, seine Verwandte, zur Diebin machen wollen!«

»Ja, gehen Sie! Rufen Sie den Wirth. Das Document muß auf alle Fälle wieder herbeigeschafft werden.«

Sie ging, während er in höchster Erregung und Verlegenheit im Zimmer umherlief. Eben als sie den Hausflur erreichte, traten mehrere Herren ein und ein Blick, den sie zufällig durch das Thor warf, zeigte ihr, daß sich einige Polizisten vor dasselbe postirt hatten. Einer der Herren fragte sie:

»Sind Sie hier Kellnerin?«


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»Ja,« antwortete sie.

»Wo ist der Wirth?«

»In der Küche.«

»Zeigen Sie mir ihn!«

Sie führte den Herrn in die Küche und sagte ihm, welcher der Anwesenden der Besitzer des Gasthofes sei. An ihn wendete sich der Herr:

»Bei Ihnen logiert ein Fremder, welcher sich als Kapitän Parkert eingetragen hat?«

»Ja, mein Herr.«

»Das stimmt. Sie haben Ihre Meldung richtig eingegeben; ich habe im Fremdenverzeichnisse der Polizei nachgesehen. Hier ist eine Medaille, welche mich als Beamten der Polizei legitimirt. Ist der Kapitän anwesend?«

Der Wirth sah die vorgezeigte Medaille an, nickte und antwortete:

»Er ist soeben nach Hause gekommen. In Nummer zwölf eine Treppe finden Sie ihn.«

»Gut. Ich hole ihn ab. Aber befehlen Sie Ihrem Personale, nicht davon zu sprechen.«

Er verließ die Küche und stieg die Treppe hinauf. Seine beiden Begleiter postirten sich, der eine unten und der andere oben an der Treppe, während die Polizisten in den Flur traten. Die Nummer zwölf war leicht gefunden. Der Beamte klopfte und trat auf den von innen erfolgten Zuruf ein.

»Endlich!« rief der Kapitän ungeduldig. »Sind Sie der Wirth?«

»Nein, Herr Kapitän.«

»Ah! Wer sonst?« fragte Parkert erstaunt.

»Ich habe das Vergnügen, Beamter der hiesigen Polizei zu sein.«

Der Kapitän erschrak, faßte sich aber schnell und sagte:

»Ah, das ist mir recht, mein Herr. Ich bin nämlich bestohlen worden -«

»Bestohlen? Hm!« machte der Beamte lächelnd. »Was ist Ihnen abhanden gekommen?«

»Ein Dokument, ein sehr wichtiges Dokument.«

»Dann irren Sie sich. Dieses Dokument ist Ihnen nicht gestohlen worden, sondern es wurde confiscirt.«

Parkert trat einen Schritt zurück. Es war ihm, als habe der Blitz vor ihm eingeschlagen.

»Confiscirt?« stammelte er. »Von wem?«

»Das braucht nicht erörtert zu werden.«

»Aber wer hat das Recht, während meiner Abwesenheit meine Behältnisse zu öffnen?«

»Jeder brave Bürger, welchem daran liegt, sein Vaterland vor Verrath zu behüten. Kapitän Parkert, oder wie Sie sonst heißen mögen, folgen Sie mir; Sie sind mein Gefangener!«

War Parkert vorhin erschrocken, so kehrte jetzt im Augenblicke der offenen Gefahr seine Kaltblütigkeit vollständig zurück. Er sah ein, daß er verloren sei, falls man ihn gefangen nehme; er mußte fliehen. Aber wie? Der Korridor war jedenfalls besetzt, die Straße vielleicht nicht; dorthin, also durch das Fenster ging der


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einzige Rettungsweg. Der Beamte mußte übertölpelt werden. Es handelte sich darum, an ihn heranzukommen, ohne Verdacht zu erregen, denn Parkert konnte sich wohl denken, daß er irgend eine Waffe bei sich trage. Er machte darum ein sehr erstauntes Gesicht, ergriff seinen Koffer, öffnete ihn und sagte:

»Herr Kommissar, das muß ein Irrthum sein. Blicken Sie in diesen Koffer! Die darin befindlichen Empfehlungen und Legitimationen werden Ihnen beweisen -«

Weiter sprach er nicht. Er hatte sich dem Beamten langsam und bittend genähert; er stand hart vor ihm, ihm den Koffer vertraulich hinhaltend. Bei dem Worte »beweisen« aber ließ er den Letzteren fallen und schlang seine Hände mit solcher Gewalt plötzlich um den Hals des Beamten, daß diesem, der einen solchen Ueberfall gar nicht erwartet hatte, sofort der Athem verging. Sein Gesicht wurde blau; seine Hände griffen konvulsivisch in die Luft; seine Glieder zitterten; die Arme sanken herab, und dann ließ ihn Parkert zu Boden gleiten. Der Polizist war zwar nicht todt aber beinahe erwürgt; er hatte die Besinnung verloren.

»Ah, bereits halb gerettet!« murmelte Parkert. »Was ist so eine Landratte gegen den Kapitän Grandeprise, auch zuweilen Landola genannt! Aber meine Rolle ist hier ausgespielt. Ich muß General Douai warnen, den sie suchen werden. Er ist glücklicher Weise so klug gewesen, sich ein Privatlogis zu nehmen. Wer aber hat das Document genommen? Hätte er die anderen Papiere mit erwischt, so wären alle meine Geheimnisse verrathen gewesen.«

Er verschloß das Köfferchen und trat, dasselbe in der Hand, an das Fenster, welches er öffnete. Das Trottoir war augenblicklich frei von Passanten und ein Polizist nicht zu sehen. Eine einzige Droschke hielt vor dem Nachbarhause. Der Kutscher stand daneben. Parkert stieg auf das Fensterbret. Der Sprung war hoch, aber für einen gewandten Seemann nicht gefährlich. Ein Schwung - Parkert stand auf dem Trottoir, ohne daß Jemand, nicht einmal der Droschkenkutscher gesehen hatte, daß hier Einer aus dem Fenster gesprungen sei.

Noch immer das Köfferchen in der Hand, trat Parkert ruhig an die Kutsche, stieg ein und befahl:

»Friedrichsstraße 24.«

Im nächsten Augenblicke rollte die Droschke davon. Da es zunächst galt, die Spur zu verwischen, so ließ er die Droschke halten, noch ehe sie die genannte Straße erreicht hatte, bezahlte die Taxe und schritt zu Fuße weiter. Dann, nachdem er einige Gassen und Gäßchen durcheilt war, nahm er einen zweiten Fiaker und gab diesem eine genaue Adresse an. Bei derselben ausgestiegen, ließ er den Kutscher warten, stieg eine Treppe empor, klopfte an eine Thür und trat ein, als er von innen ein lautes, gebieterisches »Entrez!« vernahm. Er stand vor General Douai.

»Sie, Kapitän?« frug dieser. »Was wollen Sie so bald?«

»Sie warnen, Excellenz,« lautete die Antwort. »Sie müssen augenblicklich fliehen.«

»Cent mille tonnerres! Weshalb?«

»Wir sind verrathen.«

»Unmöglich!«


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»Wirklich! Ich bin der Polizei nur dadurch entkommen, daß ich den Commissär niederschlug und dann durch das Fenster meines Zimmers auf die Straße sprang.«

»Horrible! Wer hat uns verrathen?«

»Ich weiß es nicht.«

»Und Ihre Papiere?«

»Das Memoriale ist confiscirt.«

Der General hatte sich nie gefürchtet, jetzt aber erbleichte er doch.

»So sind wir verloren, wenn man uns ergreift,« sagte er. »Sie müssen eine fürchterliche Dummheit begangen haben. Sie sollen mir unterwegs erzählen.«

»Sie wollen mit mir reisen?«

»Es ist das Beste. Ich komme nicht über die russische Grenze. Wir müssen nach Sachsen, doch nicht mit der Bahn, da würde man uns ergreifen.«

»Ich habe eine Droschke unten.«

»Gut. Wir fahren mit ihr ab, wechseln aber öfters, ehe wir aus der Stadt kommen; dann werden wir weiter sehen. Haben Sie Ihr Geld gerettet?«

»Ja.«

»Ich muß den Koffer zurück lassen, doch meine Baarschaft ist bedeutend genug, um mich das verschmerzen zu lassen. Vorwärts!«

Er steckte sein Portefeuille zu sich, ergriff Hut und Ueberrock und verließ die Wohnung, welche er sich genommen hatte, um diplomatische Erfolge zu erzielen. Die Droschke trug die beiden Flüchtlinge davon. -

Es war am Abende desselben Tages. Das Local des Offizierskasino der Garde war hell erleuchtet und voll besetzt. Man ahnte, daß Lieutenant Helmers erscheinen werde, und hatte sich deshalb in voller Zahl eingefunden, um ihm in plenum zu zeigen, daß man mit ihm nichts zu thun haben wolle.

Die älteren Offiziere hatten sich am hinteren, großen Tische zusammengefunden, während die jüngeren die anderen Stellen besetzt hielten und sich lebhaft unterhielten.

Lieutenant Ravenow, der Don Juan des Regimentes, spielte mit Golzen und Platen eine Partie Carambolage. Er hatte soeben wieder einen sehr leichten Ball nicht gemacht und stieß das Queue unmuthig zur Erde.

»Alle Teufel, geht mir dieser Ball hinten weg!« meinte er. »Verfluchtes Pech im Spiele!«

»Desto größeres Glück in der Liebe,« lachte Platen. »So viel aber ist gewiß, daß Du heute mit Kapitän Parkert nicht spielen darfst. Du bist zu zerstreut und er ist ein Meister. Schone Deine Börse.«

»Parkert?« fragte Golzen halblaut. »Pah, der kommt nicht.«

»Nicht? Warum?«

»O, mit dem haben wir uns göttlich blamirt!«

»Möchte wissen, in wiefern!«

»Hm! Man soll nicht davon reden,« flüsterte Golzen wichtig.

»Auch nicht gegen Kameraden?«

»Nur gegen verschwiegene allenfalls.«

»Zu denen wir jedenfalls gehören. Oder nicht? Erzähle!«

»Nun, Ihr wißt, daß ich zuweilen bei Jankow's bin -«


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»Beim Polizeirath? Ja. Man sagt, daß Du seiner Jüngsten den Hof machst.«

»Oder sie mir. Kurz und gut, ich war auch heute dort, und da habe ich denn erfahren, daß dieser Kapitän Parkert so zu sagen ein politischer Schwindler ist, und nicht blos das, sondern sogar ein wirklicher, ausgefeimter, gefährlicher Criminalverbrecher.«

Ravenow hatte eben das Queue angelegt, um einen Stoß zu thun. Er hielt erstaunt inne, blickte den Sprecher an und sagte:

»Du scherzest, Golzen!«

»Scherzen? Fällt mir gar nicht ein! Oder arretirt man vielleicht einen Menschen, den man für einen extractionellen Kerl gehalten hat, ohne vorher zwingende Beweise in der Hand zu haben?«

»Donnerwetter! Er ist arretirt worden?«

»Man wollte ihn arretiren.«

»Ah, man hat es aber nicht gethan!«

»Weil er ausgerissen ist!«

»Echappirt? Parkert? Der bei uns Zutritt hatte? Weißt Du das gewiß?«

»Ebenso genau, als daß er den Commissar, welcher ihn holen sollte, bis zur Besinnungslosigkeit gewürgt hat und dann einen Stock hoch durch das Fenster gesprungen ist.«

»Alle Teufel, das ist ein Affront! Wer hätte das diesem stillen, so solid scheinenden Kerl zugetraut. Wir haben ihm hier trotz seiner bürgerlichen Abstammung Zutritt gegeben, weil er ein Yankee war und die Nordamerikaner ja keinen Adel haben. Aber so ist es stets: Giebt man sich mit Pack ab, so ist man auf alle Fälle blamirt. Wir haben nun desto größere Verpflichtung, uns gegen diesen sogenannten Kameraden Helmers streng ablehnend zu verhalten.«

»Mir scheint,« meinte Platen, welcher bereits beim Major Curt's Partie genommen hatte, »daß zwischen einem flüchtigen Verbrecher und einem brav gedienten Offizier denn doch ein kleiner Unterschied zu machen sei.«

»Pöbel bleibt Pöbel, ob in Civil oder in Uniform, das bleibt sich gleich,« antwortete Ravenow. »Man muß ihm den Dienst verleiden. Man muß dafür sorgen, daß er so bald wie möglich seine Versetzung fordert.«

In diesem Augenblicke trat der Oberst seines Regimentes ein. Er wurde hier nicht sehr oft als Gast gesehen. Er kam gewöhnlich nur dann, wenn er irgend eine dienstliche Angelegenheit in freundlich kameradschaftlicher Weise behandeln wollte. Daher ahnte man bei seinem Eintritte sogleich, daß es sich um irgend eine Mittheilung handele, welche geeignet sei, das Interesse seiner Offiziere in Anspruch zu nehmen.

Er setzte sich zu den älteren Herren am letzten Tische, ließ sich ein Glas Wein geben und musterte die Anwesenden, welche ihn in dienstlicher Haltung begrüßt hatten. Seine Untergebenen warteten auf seine Erlaubniß, ihre vorherige Beschäftigung fortsetzen zu dürfen. Sein Blick fiel auf Ravenow, welcher trotz seiner Leichtlebigkeit sein erklärter Günstling war.

»Ah, Ravenow,« sagte er, »spielen Sie immerhin Ihre Partie aus, aber sodann keine weitere.«


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»Ah, Herr Oberst, ich bin im Verluste, muß also um Revanche ersuchen,« antwortete der Lieutenant.

»Heute nicht; schonen Sie Ihre Beine und Ihre Kräfte!«

»So giebt es morgen wohl Extraübung?«

»Ja, aber nicht zu Pferde, sondern zu Fuße, und zwar mit jungen Damen im Arme.«

Bei diesen Worten hoben Alle die Köpfe empor.

»Ja,« lachte der Oberst, »da gucken die Herren! Ich will Ihre Wißbegierde auf keine allzu harte Probe stellen, sondern Ihnen sogleich den Sachverhalt mittheilen, damit ich dann ungestört meine Partie Whist spielen kann.«

So abweisend er sich gegen Curt benommen hatte, so umgänglich konnte er sein, wenn er wollte und wenn er sicher war, seiner Ehre keinen Schaden zu thun. Als jetzt die Herren sich näher um seinen Tisch zusammenzogen, meinte er:

»Ja, es wird morgen eine leidliche Fußübung geben; man nennt diese Art Exercitien gewöhnlich Ball.«

»Ein Ball, eine Soiree, wo, wo?« frug es überall.

»An einem Orte, an den Sie am Allerwenigsten denken werden, meine Herren. Hier habe ich ein ganzes, großes Couvert voll Einladungskarten, welche ich an sämmtliche Offiziere meines Regimentes und deren nähere Kameraden vertheilen soll. Es sind im Ganzen sechszig Karten und die Damen sind auch mit geladen.«

»Aber von wem?« fragte ein Major, der neben dem Obersten saß.

»Ich wette zehn Monatsgagen, Herr Kamerad, daß Sie es nicht errathen. Denken Sie sich mein Erstaunen, als ich bei Anbruch des Abends dieses voluminöse Couvert erhielt, den Inhalt bemerkte und dabei folgendes Schreiben fand:

   »Herrn Baron von Winslow, Oberst des ersten Gardehusarenregimentes.
      Herr Oberst.
Seine Majestät der König sind so freundlich gewesen, mir die Wohn- und Gartenräume Seines königlichen Schlosses Montbijou zu einer Soiree dansante, welche ich morgen abzuhalten gedenke, zur Verfügung zu stellen. Ich sende Ihnen die beifolgenden Karten, um sie an die Offiziere Ihres Regimentes und deren nähere Kameraden zu vertheilen, und bin überzeugt, daß ich Sie nebst Ihrer Gemahlin nebst Töchtern, sowie auch die Damen der Herren Offiziere bei mir sehen werde.
      Ihr wohl affectionirter
         Ludwig III.
      Großherzog von Hessen-Darmstadt.«

Als der Oberst das großherzogliche Schreiben wieder zusammenfaltete und sein Auge über die Zuhörer schweifen ließ, begegnete er auf allen Gesichtern dem Ausdrucke des Erstaunens.

»Was hat das zu bedeuten?« fragte der bereits erwähnte Major.

»Diese Frage habe ich mir auch vorgelegt, aber ohne eine Antwort zu finden. Meine Frau - und die Herren wissen, daß die Frauen sich für äußerst scharfsinnig halten - meine Frau meinte, daß es vielleicht von oben her im Werke sei, dem Großherzoge unser Husarenregiment zu verleihen. Er hat im vergangenen


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Kriege Preußen feindlich gegenüber gestanden und nun will Seine Majestät ihn vielleicht durch eine solche Auszeichnung an sich ketten.«

»Wie ich höre, wurde er heute telegraphisch nach Berlin gerufen,« wagte Lieutenant Golzen zu bemerken.

»Woher wissen Sie das?« fragte der Oberst schnell.

»Sie wissen, Herr Oberst, daß die Herren Diener unter einander strenge Fühlung haben, und der meinige ist ein Schlaukopf, der voller Neuigkeiten steckt, wie eine Zeitung.«

»Diese telegraphische Einladung ließe, wenn sich ihre Wahrheit bewährte, auf wichtige diplomatische Constellationen schließen. Man beginnt, sich huldvoll gegen die Südstaaten zu zeigen, man will sie also fesseln. Meine Herren, ich glaube, wir werden in einiger Zeit nach Frankreich reiten. Wenn das nur recht bald geschähe, wir sind gerade jetzt im rechten Zuge. Aber zerbrechen wir uns nicht den Kopf. Die Sache ist, daß wir eingeladen sind und einen amüsanten Abend haben werden. Die Räume von Montbijou haben uns noch nie zur Verfügung gestanden; es wird uns da eine Auszeichnung zu Theil, um welche man uns beneiden wird. Wir werden dankbar sein, und ich bin überzeugt, daß die Herren, besonders die Jüngeren, alle ihre Liebenswürdigkeit entfalten werden. Jetzt wollen wir zur Vertheilung der Karten schreiten.«

»Darf ich mir die Frage gestatten, Herr Oberst, ob dieser Lieutenant Helmers auch ein Exemplar erhalten wird?« fragte Ravenow.

Diese Erkundigung enthielt eine Keckheit, dennoch aber antwortete der Gefragte in einem freundlichen Tone:

»Weshalb erkundigen Sie sich, lieber Ravenow?«

»Weil ich niemals eine Soiree besuchen würde, auf welcher obscure Menschen erscheinen.«

»Dann brauchten Sie lieber gar nicht zu fragen, denn wir Alle hegen dieselben Grundsätze und Ansichten wie Sie. Uebrigens tritt dieser Helmers erst morgen an, heute aber bereits werden die Karten vertheilt, er geht uns also noch gar nichts an. Hier, lieber Branden, haben Sie die Karten. Besorgen Sie die Vertheilung.«

Der Adjutant nahm das Couvert in Empfang, gab jedem der Anwesenden eine der Einladungen und hob die übrigen für Diejenigen auf, welche nicht zugegen waren. Kaum war er damit fertig, so ging die Thür auf und Curt trat ein. Aller Augen richteten sich auf ihn, glitten aber sogleich wieder von ihm fort, so daß er merken mußte, daß man nichts von ihm wissen wolle.

Er ließ sich dies aber nicht anfechten, behielt den Szacko auf und schritt sporenklirrend auf den ältesten der anwesenden Offiziere zu. Dies war Oberst Winslow. Vor ihm hielt er an, schlug die Fersen zusammen, legte die rechte Hand grüßend an die Kopfbedeckung, die linke an den Schenkel und sagte:

»Lieutenant Helmers, Herr Oberst. Ich bitte um die Freundlichkeit, mich den Herren Kameraden vorzustellen!«

Der Oberst hatte die Whistkarten in der Hand, drehte sich langsam um, that, als ob er ihn nicht verstanden habe und frug:

»Wie? Was wollen Sie?«


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»Ich erlaube mir die Bitte, mich den Herren vorzustellen, Herr Oberst.«

Der Oberst zog die Augenbrauen hoch empor, sah Curt langsam vom Kopfe bis zum Fuße an und sagte:

»Vorstellen? Ah! Wer sind Sie?«

Auf allen Gesichtern war Schadenfreude zu bemerken; nur Lieutenant Platen erröthete vor Verdruß darüber, daß man einen braven, jungen Mann in dieser Weise beleidigte. Alle wußten, daß jetzt sich entscheiden müsse, was Helmers für ein Character sei. Kein Cavalier konnte diesen Schimpf auf sich sitzen lassen. Es waren abermals Aller Augen auf Curt gerichtet. In dem Gesichte desselben zuckte keine Miene und mit vollständig fester Stimme sagte er:

»Ihr Herr Adjutant, Lieutenant von Branden, ist Zeuge, daß ich mich Ihnen heute vorgestellt habe. Ich bin gern bereit, einem schwachen Gedächtnisse, wo ich es finde, zu Hilfe zu kommen: Ich bin Lieutenant Curt Helmers, Herr Oberst.«

Da fuhr der Oberst von seinem Sitze auf und rief:

»Donnerwetter, was meinen Sie, Herr Heller, Hellers, Helmers, oder wie Sie heißen! Wer hat ein schwaches Gedächtniß, he?«

Curt ließ die rechte Hand vom Szacko fallen, lächelte sehr freundlich und antwortete:

»Ich stelle es ganz in das Belieben des Herrn Obersten, zu erklären, ob mein Name aus wirklicher, unschuldiger Gedächtnißschwäche oder aus Absicht vergessen worden ist. Im letzteren Falle werde ich den Herrn Kriegsminister, Excellenz, ersuchen, mich dem Herrn Oberst vor der Fronte des Regimentes eclatanter vorzustellen, und ich gebe hiermit mein Ehrenwort, daß die Excellenz dies thun wird.«

Der Oberst erbleichte. Er hatte das Empfehlungsschreiben des Ministers gelesen; er sah jetzt in die freundlichen, selbstbewußten Augen des jungen Mannes und es ging ihm die Ahnung auf, daß er es hier mit einem geistig wenigstens ebenbürtigen Gegner zu thun habe. Wie jetzt die Sache stand, mußte selbst ein parteiisches Urtheil dahin gefällt werden, daß der Lieutenant von seinem Obersten verleugnet, also fürchterlich beleidigt worden sei. Helmers stand ganz so da, als ob er diese Beleidigung durch eine Forderung beantworten werde, und das hätte den Obersten bei seinen Vorgesetzten in fürchterlichen Mißcredit bringen müssen. Junge Lieutenants mögen sich fordern und schlagen und dann zur Strafe auf die Festung gehen, wenn aber ein alter Oberst einen kaum der Kindheit entwachsenen Offizier zu einer Forderung förmlich zwingt, so ist er werth, degradirt zu werden. Dies bewog den Obersten, einzulenken. Er sagte:

»Was Gedächtnißschwäche, was Absicht! Dort steht Adjutant von Branden. Er mag Sie vorstellen.«

Er glaubte, genug gethan zu haben, denn mit dem Ausdrucke Gedächtnißschwäche war er ja auch beleidigt worden. Freilich gab er sich jetzt vor allen Anwesenden dadurch, daß er that, als ob er diese Beleidigung gar nicht gefühlt habe, eine große Blöße. Er meinte nun, die Angelegenheit erledigt zu haben, und setzte sich. Curt jedoch blieb vor ihm stehen und sagte mit lauter, sicherer Stimme:

»Halten zu Gnaden, Herr Oberst. Ich habe eine Bemerkung zu machen.«

»Nun?« fragte der Oberst, indem er ihm das vor Zorn und wohl auch vor Verlegenheit geröthete Gesicht zuwendete. »Fassen Sie sich kurz!«


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»Das werde ich, denn Kürze ist meine Eigenheit, wie Sie bald bemerken werden. Ich bin nicht aus eigenem Antriebe aus meinen bisherigen Verhältnissen geschieden, sondern ganz allein nur auf höhere Anregung zur preußischen Garde versetzt worden. Ich kenne die exclusiven Traditionen des Gardecorps, aber ich habe gemeint, wenn die Herren Kameraden sich mir, der ich im letzten Feldzuge als großherzoglich hessischer Offizier meine Schuldigkeit gethan habe, auch nicht gerade in warmer Freundschaft anschließen würden, man mich doch ohne gewaltsame Provocationen meinen Weg gehen lassen werde. Heute aber habe ich bei den meisten der Herren, denen ich mich dienstlich vorzustellen hatte, eine geradezu zurückweisende, fast empörende Aufnahme gefunden. Darum war ich allerdings darauf gefaßt, auch hier nicht willkommen geheißen zu werden. Ich bin kein Freund von Ungewißheiten. Ich muß wissen, ob man mich als Kamerad anerkennt oder nicht. Und so mag es sich gleich in diesem ersten Augenblicke entscheiden, ob mir mein Weg gefälligst freigelassen wird, oder ob ich ihn mir zu erkämpfen habe. Herr Oberst, ich bin von Ihnen verleugnet worden. Ich muß unbedingt wissen, ob dies aus Gedächtnißschwäche oder mit Absicht geschah. Wollen Sie die Güte haben, mir meine Frage zu beantworten?«

Es war kein einziger der Anwesenden sitzen geblieben, sie Alle hatten sich erhoben. So war hier noch nie gesprochen worden. In dieser Weise hatte noch nie ein Lieutenant mit dem Chef seines Regimentes zu reden gewagt. Sie waren ihm Alle feindlich gesinnt und dennoch mußten sie ihn ob seiner Kühnheit hochachten. Wie jetzt die Sache stand, mußte der Oberst entweder sich für gedächtnißschwach erklären - und dies wäre eine ganz entsetzliche Blamage gewesen - oder er mußte gestehen, daß er die Absicht gehabt habe, den Lieutenant zu beleidigen - und das mußte unbedingt zu einem Waffengange führen, ebenfalls eine Blamage für den Obersten, für den es in diesem Falle nur den einzigen Ausweg gab, zu erklären, daß er einen Bürgerlichen nicht für satisfactionsfähig halte.

Der kleine junge Lieutenant hatte den lang gedienten, adelsstolzen Oberst in seiner eigenen Schlinge gefangen und Alle waren neugierig, zu hören, was der Letztere sagen werde.

Dieser stand ganz perplex vor seinem Stuhle; er hatte die Contenance verloren, denn ein solches Auftreten dieses Menschen, den er leicht beseitigen zu können gemeint hatte, war ihm ganz undenkbar gewesen. Endlich meinte er:

»Und wenn ich Ihnen die Antwort verweigere?«

»Das werden Sie nicht. Eine solche Verweigerung wäre eine bodenlose Feigheit; ich aber hoffe, daß Sie Muth genug haben, mit einem bürgerlichen Lieutenant zu sprechen.«

Dies war dem Obersten denn doch zu viel; dies gab ihm seine Fassung wieder.

»Ja, Sie haben recht,« sagte er stolz. »Sie sind nicht der Mann, vor dem man sich fürchtet. Ich erkläre Ihnen also, daß ich Sie absichtlich verleugnete.«

»Ich danke Ihnen, Herr von Winslow. Ich will Ihr Alter berücksichtigen und diese Angelegenheit nicht vor die dienstliche Behörde bringen, aber Genugthuung muß ich mir erbitten. Erlauben Sie, daß ich Ihnen morgen meinen Bevollmächtigten sende.«


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»Pah, ich schlage mich mit keinem Bürgerlichen!«

»Das wäre eine sehr wohlfeile Weise, sich der Verantwortung zu entziehen. Nehmen Sie meinen Bevollmächtigten nicht an, so mag ein Ehrengericht entscheiden, ob ein Mann, der die Offiziersuniform Seiner Majestät trägt, nicht satisfactionsfähig sei. Wird auch da gegen mich entschieden, so zeige ich Sie bei Ihren Vorgesetzten ganz einfach des Ungehorsams gegen Ihre Oberen und der absichtlichen, gewaltsamen Aufreizung Ihrer Untergebenen an. Ich bin noch nicht halb so alt wie Sie, aber ich lasse Sie nicht entschlüpfen.«

Er drehte sich scharf auf dem Absätze herum und schritt zur Wand, an welcher er Säbel und Szacko aufhängte, dann nahm er eine Zeitung vom Fenster weg und sah sich nach einem Platze um. Kein Einziger hatte nach dieser Probe von Muth und Energie es jetzt gewagt, ihm einen Sitz zu verweigern, aber man rückte zusammen, um ihn nicht zum Nachbar zu bekommen. Nur Einer blieb sitzen und hielt das Auge freundlich und einladend auf ihn gerichtet, nämlich Lieutenant Platen. Curt bemerkte den wohlwollenden Blick und trat zu ihm.

»Erlauben Sie mir den Platz zu Ihrer Seite, Herr Lieutenant?« fragte er.

»Recht gern, Kamerad,« antwortete Platen, ihm die Hand reichend. »Mein Name ist Platen. Seien Sie mir willkommen!«

Curt blickte in das offene, ehrliche Auge des Sprechers, dessen Blick ihm so wohl that, und sagte:

»Ich danke Ihnen herzlich. Man hat es zwar unterlassen, mich vorzustellen, aber mein Name ist doch genannt worden. Herr von Platen, darf ich Sie um die Namen dieser Herren bitten?«

Noch immer herrschte tiefe Stille im Raume, so daß man deutlich jeden Namen hörte, den Platen aussprach. Am hinteren Tische herrschte die Ruhe nach einem Donnerschlage; an den anderen Plätzen hatte man alle möglichen Zeitungen und sonstige Hilfsmittel ergriffen, um die Peinlichkeit der Situation zu neutralisiren. Die Herren an Curt's Tische, deren Namen genannt wurden, nickten verlegen mit dem Kopfe, während dieser sie mit einer Verneigung begrüßte. Nur Ravenow blieb der Alte; er griff zum Queue und meinte laut:

»Komm, Golzen, setzen wir unsere Partie fort. Wie steht es, Platen? Du bist ja der Dritte.«

»Danke, ich verzichte,« antwortete dieser.

Ravenow zuckte die Achsel und spottete:

»Pah! Das nenne ich den Champagner wegen eines Glases Essig verlassen!«

Curt that, als ob er diesen beleidigenden Vergleich nicht auf sich beziehe, und wurde darin von Platen unterstützt, denn dieser griff nach einem Schachbrette und fragte:

»Spielen Sie Schach, lieber Helmers?«

»Unter Kameraden, ja.«

»Nun, ich bin ja Ihr Kamerad. Legen Sie die Zeitung fort und versuchen Sie es einmal mit mir. Die Ehrlichkeit erfordert aber, Ihnen zu sagen, daß ich hier für unbesiegbar gehalten werde.«

»So muß ich ebenso ehrlich sein,« lachte Curt. »Hauptmann von Rodenstein,


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mein Pflegevater, war ein Meister. Er gab mir so vortrefflichen Unterricht, daß er jetzt keine Partie mehr gewinnt.«

»Ah, das ist recht, denn da dürfen wir endlich einmal einer in interessanten Partie entgegensehen. Kommen Sie!«

Durch diesen kleinen Streich hatte Platen den Bann gehoben. Am hinteren Tische begann der Whist von neuem, vorn klapperten die Billardbälle und dazwischen hatten die Züge auf dem Schachbrette in Zeit von zehn Minuten einen so spannenden Verlauf genommen, daß sich die Offiziere Einer nach dem Anderen erhoben, um dem Spiele zuzuschauen. Sie gewahrten mit Verwunderung, daß Curt seinem Gegner überlegen sei; er gewann die erste Partie.

»Ich gratulire!« sagte Platen. »Das ist mir lange noch nicht passirt. Wenn es wahr ist, daß ein tüchtiger Stratege auch ein guter Schachspieler sei, so sind Sie jedenfalls ein höchst brauchbarer Offizier.«

Curt fühlte, daß der gute Platen diese freundlichen Worte sprach, um ihm Boden zu gewinnen, und antwortete ablehnend:

»Man darf bekanntlich die Schlüsse nicht umkehren. Ist ein guter Stratege auch ein guter Schachspieler, so ist es doch noch nicht nothwendig, daß ein feiner Schachspieler auch ein tüchtiger Offizier sein muß. Uebrigens haben Sie in der ersten Partie wohl nur meine Kräfte kennen lernen wollen. Versuchen wir eine zweite. Ich ahne, daß ich sie verlieren werde.«

»Sie dürften sich irren. Doch a propos, Sie nannten da einen Hauptmann von Rodenstein. Ist dieser Herr vielleicht Oberförster im Dienste des Großherzogs von Hessen?«

»Allerdings.«

»Ah, so kenne ich ihn. Er ist ein alter, knorriger Haudegen, ebenso grob wie ehrlich, und soll bei seinem Landesherrn gut angeschrieben stehen.«

»Diese Characteristik ist allerdings sehr treffend.«

»Ich lernte ihn bei meinem Onkel in Mainz kennen, der sein Banquier ist.«

»Sein Banquier? Dieser heißt Wallner, so viel ich weiß.«

»Das ist richtig. Ich muß Ihnen nämlich erklären, daß meine Tante, die Schwester meiner Mutter, eine sogenannte Mesalliance begangen hat. Sie hat diesen Wallner, also einen Bürgerlichen, geheirathet, der in Folge dessen auch ein Verwandter Ihres und meines Majors geworden ist, denn der Letztere ist mein Cousin.«

Die anderen Herren warfen sich einander erstaunte Blicke zu. Was fiel denn Platen ein, mit solcher Offenheit diese Familienverhältnisse darzulegen und damit den Major bloszustellen? Curt aber verstand die Absicht: Platen wollte ihm Satisfaction geben für die Aufnahme, die er bei Majors gefunden hatte, und zugleich den stolzen Offizieren gegenüber in Erwähnung bringen, daß in den hochadeligen Kreisen denn doch nicht Alles so rein sei, wie man denkt.

Die zweite Partie begann. Curt gewann sie wieder. Während der dritten wurde die allgemeine Aufmerksamkeit auf Ravenow und Golzen gelenkt, welche sich in freundschaftlich lustiger Weise zu foppen begannen.

»Wahrhaftig, Du bist mir wieder fünfzehn Points voraus,« meinte Ravenow. »Unglück im Spiele!«


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»Aber Glück in der Liebe, wie ich Dir bereits erklärte,« meinte Golzen.

»Ja, meine Wette wirst Du doch bezahlen müssen. Das Mädchen wird mein, sie ist ja bereits mein, genau genommen.«

»Welche Wette? Welches Mädchen?« fragte der bereits zweimal erwähnte Major, welcher entweder von der Wette wirklich noch nichts wußte, oder sie noch einmal zur Sprache bringen wollte.

»Es handelt sich für Ravenow um eine Gelegenheit, zu beweisen, daß er wirklich unwiderstehlich ist,« antwortete Golzen.

»Erklären Sie sich deutlicher.«

Golzen erzählte den interessanten Hergang, und Alle hörten seinem Berichte zu. Auch die beiden Schachspieler unterbrachen ihre Partie, um der Darlegung ihre Aufmerksamkeit zu schenken.

»Ja, Ravenow ist der Don Juan des Regimentes. Er behauptet, diese Schönheit bereits erobert zu haben,« schloß Golzen.

»Ist dies wirklich wahr?« fragte der Oberst, der es für an der Zeit hielt, endlich auch einmal ein Wort zu sagen, um seine peinliche Lage zu maskiren.

»Das versteht sich,« antwortete Ravenow. »Wer ist überhaupt unwiderstehlich? Nicht ich allein, sondern jeder Gardehusarenoffizier. Freilich, wenn sich niedrige Elemente in unseren Kreis drängen dürfen, wird dieses Monopol für uns sehr bald illusorisch werden.«

Bei diesem rücksichtslosen Ausfalle richteten sich Aller Augen wiederum auf Curt, welcher jedoch abermals schwieg. Ravenow fuhr fort, nachdem er eine Entgegnung von dem neuen Kameraden vergebens erwartet hatte:

»Die Zeit, für welche wir gewettet haben, ist noch nicht um; ich brauche also noch keine Beweise zu bringen; aber das Mädchen war eine obscure Kutscherstochter, und der wird man wohl gewachsen sein. Ich kann einstweilen nur sagen, daß ich in ihrem Wagen Platz genommen und sie nach Hause begleitet habe.«

»Eine Kutscherstochter?« lachte der Oberst. »Gratulire, Lieutenant! Da ist es ja leicht, die Wette zu gewinnen!«

Da zog Curt eine Cigarre hervor und sagte, während er gleichmüthig die Spitze derselben abschnitt und nach einem Zündhölzchen griff:

»Pah! Herr von Ravenow wird diese Wette verlieren!«

Nachdem er sich zweimal ruhig von Ravenow hatte beleidigen lassen, hatte kein Mensch erwartet, daß er jetzt, in einer Angelegenheit, die er scheinbar gar nicht kannte, das Wort ergreifen würde. Alle horchten darum verwundert auf. Ravenow aber trat schnell einen Schritt vor und fragte:

»Wie beliebt, mein Herr Helmers?«

Curt hielt die Flamme des Zündhölzchens an die Cigarre, that gelassen einige Züge und antwortete dann:

»Ich sagte, daß Herr von Ravenow die Wette verlieren werde. Herr von Ravenow renommirt blos, er schneidet auf.«

Der Genannte trat noch einen Schritt weiter vor und rief:

»Wollen Sie dieses Wort wohl gefälligst einmal wiederholen?!«

»Herzlich gern! Herr von Ravenow schneidet nicht blos auf, sondern er lügt sogar ganz gewaltig.«


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»Herr!« brauste da der Angegriffene auf. »Das wagen Sie mir zu sagen, der ich Offizier der königlichen Garde bin? Und hier an diesem Orte!«

»Warum nicht? Wir befinden uns ja Beide an diesem Orte und ich bin ebenso Offizier der königlichen Garde wie Sie. Ich würde es übrigens sehr unter meiner Würde halten, Ihre Prahlereien zu beachten, wenn nicht die betreffende junge Dame eine sehr liebe Freundin von mir wäre, deren Ruf zu schützen meine Pflicht und Schuldigkeit ist.«

»Hört!« rief Ravenow. »Eine Kutscherstochter seine intime Freundin! Und der drängt sich unter uns ein! Der will ein Gardeoffizier sein!«

Die Anwesenden hatten sich abermals Alle erhoben. Sie bemerkten, daß es abermals zu einer Scene kommen müsse. Das war endlich einmal ein Abend, von welchem man noch später erzählen konnte! Jetzt aber sprechen, wollte Keiner, das mußte man den Beiden allein überlassen. Der fremde, bürgerliche Eindringling hatte dem Oberst Stand gehalten, es stand zu hoffen, daß Ravenow ihm Raison lehren werde.

Curt allein war sitzen geblieben. Er antwortete kaltblütig:

»Ich habe bereits bemerkt, daß ich mich nicht eingedrängt habe, sondern einem höheren Willen gefolgt bin, und muß übrigens fragen, wer ehrenwerther ist, der Freund einer Kutscherstochter oder der Verführer derselben. Freilich sehe ich mich veranlaßt, dieses letztere Wort einigermaßen zu motiviren. Herr von Ravenow hatte sich zwar in den Wagen mit göttlicher Unverschämtheit eingedrängt, doch ist es ihm nicht gelungen, die Damen nach Hause zu begleiten, denn die Damen haben ihn mit Hilfe eines Schutzmannes an die Luft gesetzt.«

Ein »Ah!« des Schreckens ging durch das Zimmer. Das war stark ausgedrückt; jetzt mußte die Katastrophe eintreten.

Ravenow war erbleicht; es ließ sich nicht sagen, ob vor Wuth oder vor Schreck, daß sein Gegner Alles wußte; aber die Wuth gewann die Oberhand. Er trat bis auf zwei Schritte an den Stuhl, auf welchem Curt noch immer sorglos saß, heran und rief:

»Wovon sprechen Sie? Von Unverschämtheit! Von an die Luft setzen? Gar noch von einem Schutzmanne! Wollen Sie das widerrufen? Sofort?«

»Fällt mir nicht ein!« klang es ihm kalt entgegen. »Ich sagte die volle Wahrheit, und die widerruft man nicht.«

Da hob sich die Gestalt Ravenow's drohend empor. Man sah, daß er sich im nächsten Augenblicke auf seinen Gegner stürzen werde, und doch blieb dieser, scheinbar ganz und gar unvorsichtiger Weise, auf seinem Stuhle sitzen.

»Ich befehle Ihnen, augenblicklich zu widerrufen und mich um Verzeihung zu bitten!« keuchte es aus der Brust des aufgeregten Offiziers.

»Papperlapapp! Was hätten Sie, gerade Sie mir zu befehlen!« klang es vernichtend aus Curt's Munde.

»O, mehr als Sie denken!« rief der Wüthende, der vor Zorn seiner kaum mehr mächtig war. »Ich befehle Ihnen sogar, aus unserem Corps wieder auszutreten, denn Sie sind unserer nicht würdig. Und wenn Sie dies nicht freiwillig thun, so werde ich Sie zwingen. Wissen Sie überhaupt, wie man einen Offizier aus der Uniform treibt?«


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Trotzdem er seine scheinbar vertheidigungslose Stellung noch immer beibehielt, lächelte Curt überlegen, indem er antwortete:

»Das weiß jedes Kind. Man giebt ihm einfach eine Ohrfeige, dann ist es ihm unmöglich, weiter zu dienen.«

»Nun gut! Wollen Sie widerrufen, um Verzeihung bitten und hier uns Allen versprechen, auszutreten?«

»Lächerlich! Treiben Sie keine Faxen!«

»Nun, so nehmen Sie die Ohrfeige!«

Bei diesen Worten warf er sich auf Curt und holte zum Schlage aus. Aber obgleich seine Bewegungen mit Blitzesschnelligkeit ausgeführt waren, Curt war doch noch schneller. Er parirte den entehrenden Schlag mit dem linken Arme, faßte im nächsten Augenblicke Ravenow hüben und drüben bei der Taille, hob ihn hoch über sich empor und warf ihn mit gewaltigem Schwunge über das Billard hinüber, so daß er mit einem lauten Krache drüben besinnungslos zur Erde stürzte. Dies hatte er von Doctor Sternau, seinem starken Lehrmeister, gelernt.

Niemand hatte dem jungen Manne eine solche Stärke und Gewandtheit zugetraut. Einige Augenblicke lang herrschte eine unbeschreibliche Verwirrung im Zimmer. Einige standen ganz bewegungslos vor Schreck und starrten auf den Sieger, der vorher eine solche geistige und nun auch eine solche körperliche Ueberlegenheit entwickelt hatte. Andere eilten zu Ravenow, welcher wie todt am Boden lag. Zum Glücke war ein Militärarzt mit anwesend, welcher den Bewußtlosen sofort untersuchte.

»Er hat nichts gebrochen und ist auch innerlich unverletzt, wie es scheint,« sagte er dann. »Er wird bald erwachen und einige blaue Flecke davon tragen.«

Diese Besorgniß war also gehoben, und nun wendete sich, nachdem man Ravenow auf das Sopha gelegt hatte, die finstere, feindselige Aufmerksamkeit auf Curt, welcher so gleichmüthig dastand, als habe er mit dem Vorgange ganz und gar nichts zu schaffen. Der Oberst sah jetzt die Zeit gekommen, die Ueberlegenheit seines Ranges geltend zu machen. Er schritt langsam auf Curt zu und sagte in drohendem Tone:

»Mein Herr, Sie haben sich an dem Lieutenant von Ravenow vergriffen -«

»Die anwesenden Herren können mir sämmtlich bezeugen, daß es ein Act der Gegenwehr war,« fiel Helmers schnell ein. »Er wagte es, einem Offiziere eine Ohrfeige anzubieten, er warf sich auf mich, er holte zum Schlage aus. Dennoch habe ich ihn geschont, denn es lag in meiner Macht, ihn durch eine Ohrfeige so dienstunfähig zu machen, wie er es mir angedroht hatte.«

»Ich ersuche Sie, mir nicht in das Wort zu fallen, sondern mich aussprechen zu lassen! Ich bin Ihr Vorgesetzter und Sie haben zu schweigen, wenn ich spreche. Verstehen Sie wohl? Sie verlassen augenblicklich dieses Local und begeben sich bis auf Weiteres nach Ihrer Wohnung auf Zimmerarrest.«

Die Gesichter der Anwesenden heiterten sich auf. Das war ganz aus ihrem Herzen gesprochen. Aber sie hatten den Lieutenant trotz Allem doch noch nicht kennen gelernt. Er verbeugte sich höflich und antwortete in gemessenem Tone:

»Ich bitte um Entschuldigung, Herr Baron! Morgen würde ich Ihrem Befehle augenblicklich Gehorsam leisten, da ich aber erst zu morgen früh zum Antritte


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kommandirt bin, so hat derselbe heute noch keine Kraft für mich. Ich meine, man soll sich durch den Zorn nie zu einer Uebereilung hinreißen lassen -

»Herr Helmers -« drohte der Oberst.

Curt aber fuhr ungenirt fort:

»Von einem Arrest kann also keine Rede sein, doch Ihrem Wunsche, das Local zu verlassen, leiste ich gern Folge, da ich bisher nur gewohnt gewesen bin, an solchen Orten zu verkehren, an denen man nicht Gefahr läuft, schuldlos verleugnet, oder wohl gar geohrfeigt zu werden. Dies pflegt sonst nur in Tingeltangels und ähnlichen Localen zu geschehen. Gute Nacht, meine Herren!«

Diese Zurechtweisung rief zahlreiche Ausrufe des Grimmes hervor. Er aber kehrte sich nicht daran, schnallte seinen Säbel um, setzte den Szacko auf und schritt in stolzer Haltung zur Thür hinaus.

»Schrecklich!« rief Einer hinter ihm her.

»Fürchterlich!« der Andere.

»Noch niemals dagewesen, auf Ehre!« der Dritte.

»Dieser Knabe ist ein wahrer Teufel!« meinte der viel erwähnte Major.

»Pah!« schnauzte der Oberst. »Wir werden ihm seine Teufeleien austreiben! Er und mich fordern! Hat man so etwas gehört!«

Sie Alle hatten gar nicht bemerkt, daß Lieutenant Platen dem Fortgehenden gefolgt war. Draußen unter der Thür holte er ihn ein, ergriff ihn am Arme und sagte mit gedämpfter Stimme:

»Lieutenant Helmers, warten Sie einen Augenblick! Es gab eine allgemeine Verschwörung gegen Sie. Wollen Sie mir glauben, wenn ich Ihnen versichere, daß wenigstens ich keinen Theil an derselben habe?«

»Ich glaube ihnen, denn Sie haben es bewiesen,« antwortete Curt, indem er ihm die Hand entgegen streckte. »Nehmen Sie meinen Herzensdank. Ich will gestehen, daß ich auf ein ablehnendes Verhalten, aber keineswegs auf solche Ungezogenheiten und Rohheiten gefaßt war. Ich beklage die Ereignisse dieses Abends sehr!«

»Sie haben sich wacker gewehrt, fast zu tapfer. Ich fürchte, Sie haben sich unmöglich gemacht.«

»Das wird man ja sehen. Ich habe niemals das gekannt, was Andere Furcht nennen. Ich achte die Vorrechte des Adels; sie sind durch die Jahrhunderte geheiligt, aber ich trete der Anschauung entgegen, welche den Adel als qualitativ über dem Bürgerthume stehend erklärt. Der Werth des Menschen ist gleich seinem moralischen Gewichte.«

»Ich gebe Ihnen recht, obgleich ich von Adel bin. Der Oberst hatte Ihre Zurechtweisung verdient; freilich ahnte kein Mensch, daß Sie es wagen würden, eine so unerhörte Freimüthigkeit zu entwickeln. Was aber Ravenow betrifft, so muß ich Sie doch fragen, ob Sie dieses Mädchen kennen.«

»Sehr genau. Diese Damen haben mir das Ereigniß erzählt.«

»Ob aber wahrheitsgetreu!«

»Beide lügen nie. Ihnen allein will ich übrigens sagen, daß die Dame, welcher die Wette gilt, keineswegs eine Kutscherstochter ist. Wollen Sie mir einstweilen Discretion versprechen?«


// 1222 //

»Gewiß!«

»Nun, sie ist die Enkelin des Herzogs von Olsunna. Sie sehen also, daß ich mich keineswegs zu schämen brauche, wenn ich ihr intimer Freund bin.«

»Alle Teufel! Wie kommt aber dieser Ravenow -«

»Er ist ein Renommist und ein unvorsichtiger Mensch. Ein jeder Andere hätte auf den ersten Blick gesehen, daß er Damen von feinster Distinction vor sich habe. Ihre Begleiterin war die Herzogin. Er hat sich auf die roheste Weise in ihren Wagen gedrängt und konnte nur mit Hilfe eines Schutzmannes exmittirt werden.«

»Mein Gott, wie albern und unvorsichtig! Aber wie kommt er zur Ansicht, daß sie die Tochter eines Kutschers sei?«

»Er hat sich bei meinem Diener, den er in einer benachbarten Restauration traf, nach ihr erkundigt. Ich wohne nämlich beim Herzoge und bin mit ihr erzogen worden. Mein alter Ludwig ist ein Schlaukopf und hat ihm weiß gemacht, daß sie eine Kutscherstochter sei. Ich hoffe, Sie begreifen nun Alles!«

»Alles, nur Ihre Körperstärke nicht.«

»Ich habe mich von Kindheit an geübt und den besten Lehrer gehabt, den es geben kann, nämlich den Prinz-Nachfolger von Olsunna.«

»Alle Teufel, Sie steigen in meinen Augen immer höher! Sind Sie in Waffen ebenso geübt, wie in der Faust?«

»Ich fürchte keinen Gegner.«

»Das werden Sie gebrauchen können. Eine Herausforderung Ravenow's ist Ihnen gewiß. Und was beabsichtigen Sie mit dem Oberst?«

»Ich werde ihm morgen meinen Cartellträger senden.«

»Wer wird dies sein?«

»Hm, da befinde ich mich noch im Unklaren. Den Meinen will ich von diesen Zerwürfnissen nichts wissen lassen und Bekanntschaft habe ich hier noch keine.«

»Darf ich mich Ihnen zur Verfügung stellen?«

»Sie bringen sich dadurch in eine schiefe Lage zu Ihren Kameraden und Vorgesetzten.«

»Das fürchte ich nicht. Ich diene nicht auf Avancement, sondern nur zum Vergnügen. Mein Vermögen macht mich vollständig unabhängig, und ich bitte Sie wirklich dringend, Ihr Secundant sein zu dürfen. Sie haben sich meine Hochachtung erworben; seien wir Freunde, mein lieber Helmers!«

»Ich nehme Ihre Freundschaft von ganzem Herzen an. Bereits bei meinem heutigen Besuche beim Major las ich in Ihrem Auge, daß ich Sie lieb haben würde. Umarmen wir uns, mein bester Platen!«

Sie schlossen sich einander in die Arme und dann fragte Platen:

»Gehen Sie direct nach Hause?«

»Nein. Ich habe mich äußerlich zwar ruhig gezeigt, denn nur das führt zum Siege, doch innerlich war ich es weniger. Ich mag daheim meine Erregung nicht bemerken lassen und gehe, noch ein Glas Wein zu trinken.«

»Ich schließe mich Ihnen an. Warten Sie!«

Er eilte in das Zimmer zurück. Curt wartete auf der Straße. Er ahnte nicht, welche Bedeutung Lieutenant Platen und der von ihm erwähnte Banquier


// 1223 //

Wallner in Mainz später für ihn haben würden. Die beiden jungen Männer besuchten eins der elegantesten Weinlocale und dann führte Platen Curt nach Hause, um die Wohnung desselben kennen zu lernen. Als sie am Thore von einander Abschied nahmen, sahen sie die Fensterfronte des Palais noch hell erleuchtet, und als Curt in den Salon trat, fand er Alle um einen sehr hohen Besuch versammelt; der Großherzog hatte geruht, eine Abendstunde beim Herzoge von Olsunna zuzubringen.

»Da kommt ja unser Gardehusar!« sagte er, als er den Lieutenant erblickte. »Sie waren im Casino?«

»Ja, Euer Durchlaucht,« antwortete der Gefragte.

»Trafen Sie vielleicht Ihren Obersten dort?«

»Er war anwesend.«

»Haben auch Sie von ihm eine Karte erhalten?«

»Ich weiß von keiner Karte, Hoheit.«

»Ah, dieser Herr wollte Sie also doch ausschließen, aber wir werden ihn doch überraschen. Ich erfuhr nämlich heute von unserem herzoglichen Freunde hier, welche Schwierigkeiten man Ihnen in den Weg legt, und faßte sofort den Entschluß, diesen Herren zu zeigen, daß sie stolz sein dürfen, den Lieutenant Helmers in ihren Reihen zu haben. Erröthen Sie nicht, mein Lieber! Sie sind einer der wenigen Offiziere, deren Bravour im letzten Kriege mich mit den unglücklichen Folgen desselben auszusöhnen vermag; Sie haben die Decorationen, welche Sie tragen, mit Ihren Wunden bezahlt, und da ich Ihnen außerdem persönlich Freund bin, so beschloß ich, Ihnen Gelegenheit zu geben, Ihre Feinde zu beschämen. Ich habe die sämmtlichen Offiziers Ihres Regimentes und auch deren Freunde für morgen Abend zu mir geladen, und der König, welcher mir von dem hohen Dienste, den Sie ihm heute erwiesen haben, erzählte, stellte mir sein Schloß Montbijou zu dieser Soiree zur Verfügung. Ich vermuthe, daß der Oberst meine Karten im Casino zur Vertheilung brachte. Man will Sie ausschließen, aber man soll Sie dennoch sehen. Legen Sie Ihre Decorationen an. Sie werden mit ihnen manchen Ihrer Feinde ausstechen.«

Curt hatte während dieser langen Rede innig gerührt dagestanden. Sein Landesfürst veranstaltete seinetwegen, eines armen Schiffersohnes wegen, eine glänzende Soiree, und der König von Preußen stellte zu diesem Zwecke ein Schloß zur Verfügung! Die Thränen standen ihm im Auge. Er zog die Hand des Großherzogs an seine Lippen und stammelte:

»Hoheit, ich weiß nicht, wie ich -«

»Gut, mein lieber Lieutenant,« unterbrach ihn der Fürst. »Ich kenne Ihre Gesinnungen, auch ohne daß Sie mich deren noch extra versichern. Der Zweck meines Besuches ist erfüllt, und so darf ich mich verabschieden.«

Als er sich entfernt hatte, erfuhr Curt, daß auch Olsunna mit all' den Seinen nebst Sir Lindsay und Amy eingeladen seien; dann begab er sich auf sein Zimmer, um sich durch einen tüchtigen Schlaf auf die Anstrengungen des morgenden Tages vorzubereiten.

Er war noch nicht lange dort, so klopfte es mit leisem Finger an. Wer war


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Haus-Postille


Ende der einundfünfzigsten Lieferung - Fortsetzung folgt.



Karl May: Waldröschen

Karl May – Forschung und Werk