Lieferung 41

Karl May

1. September 1883

Waldröschen
oder
Die Rächerjagd rund um die Erde.

Großer Enthüllungsroman
über die
Geheimnisse der menschlichen Gesellschaft

von

Capitain Ramon Diaz de la Escosura.


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kam so an die Stelle, an welcher draußen vor den Planken die Beiden mit einander sprachen. Er hörte eine fremde Stimme sagen:

»Sie selbst waren uns im Wege. Wir hätten ja Sie getroffen!«

»Warum postirtet Ihr Euch nicht auf die linke Seite?«

»Das blieb sich gleich. Wer denkt, daß dieser Mensch so scharfsinnig ist!«

»Es scheint fast, als ob er allwissend sei. Ich kann für den Augenblick nicht gleich einen neuen Plan entwerfen, sondern muß erst abwarten und beobachten. Zudem ist es möglich, daß dieser Sennor Sternau mich beobachtet, darum dürfen wir uns hier nicht wieder treffen.«

»Wo denn?«

»Hast Du Papier und Blei?«

»Nein.«

»Aber Schreiben und Lesen kannst Du?«

»Ja.«

»Hier hast Du einige Bogen und auch eine Bleifeder, welche ich Dir mitgebracht habe. Wenn man von hier nach der Schlucht des Tigers geht und an den Wald kommt, liegt zwischen den ersten Bäumen ein nicht zu großer Stein. Dorthin werde ich Euch des Vormittags, oder wenn es paßt, Euere Instruktion stecken; sie wird unter dem Steine liegen. Und habt Ihr mir eine Antwort zu geben, so werde ich sie an demselben Orte finden. Hast Du es verstanden?«

»Ja; man braucht kein Gelehrter zu sein, um es zu begreifen. Aber sagen Sie, Sennor, was ist das für eine Gestalt, welche dort oben hin- und herläuft?«

»Wo?«

»Auf dem Dache.«

»Ich habe sie noch gar nicht bemerkt. Ah, das ist Emma, die Tochter des Haziendero. Ich werde ihr ein wenig Gesellschaft leisten. Hast Du sonst vielleicht noch etwas zu fragen?«

»Nein.«

»So gehe. Aber das merke Dir: wenn Ihr Euch abermals so ungeschickt benehmt wie heute morgen, so ist es aus mit unserem Geschäfte. Ich kann keine Dummköpfe gebrauchen. Gute Nacht.«

Als Sternau die beiden letzten Worte hörte, schlüpfte er schleunigst zurück, stieg durch das Fenster wieder ein und verschloß dasselbe. Er hatte genug erfahren. Seine Ahnung hatte ihn nicht betrogen; dieser Rittmeister war als Todfeind zu betrachten; er war von Cortejo beauftragt worden und that nun sein Möglichstes, diesen Auftrag zu erfüllen.

Ein Glück war es, daß Sternau das Versteck des Correspondenten erfahren hatte, denn nun konnte er leicht die Machinationen seiner Feinde durchkreuzen. Aber, was wollte der Rittmeister jetzt droben auf dem Dache? War das nur eine leichtsinnige Bemerkung gewesen, oder war es ihm Ernst, Emma aufzusuchen? Das mußte abgewartet werden.

Sternau sah bald seinen Gegner durch das Thor zurückkehren; er hörte ihn durch die Hausthür eintreten und dann leise, ganz leise die Treppe ersteigen. Nach einigen Minuten öffnete auch er die Thür seines Zimmers geräuschlos und folgte dem Offizier. Mit unhörbaren Schritten stieg er langsam die erste und zweite


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Treppe empor, welche letztere auf das platte Dach mittelst einer leiterähnlichen Fortsetzung führte. Man trat durch eine Fallthüre hinaus.

Als Sternau diese letztere erreichte, fand er sie offen. Er steckte vorsichtig den Kopf hindurch und erblickte Emma und den Rittmeister, welche ganz in der Nähe standen.

»Sie wollen mich wirklich fliehen, Sennorita?« fragte soeben der Letztere.

»Ich muß fort,« antwortete Emma mit einer Bewegung nach der Thür.

Sternau sah, daß der Rittmeister sie bei der Hand gefaßt hatte und daran fest hielt.

»Nein, Sie werden bleiben, Sennorita,« entgegnete der Offizier. »Sie werden bleiben und anhören, was ich Ihnen zu sagen habe von meinem vollen Herzen, von meiner unendlichen Liebe und von meinem glühenden Verlangen, Sie an meine Brust zu nehmen. Kommen Sie, Emma, sträuben Sie sich nicht, denn dies würde vergeblich sein!«

»Ich bitte Sie inständigst, lassen Sie mich gehen, Sennor,« bat sie in einem Tone, der die Größe ihrer Herzensangst erkennen ließ.

»Nein, ich lasse Sie nicht. Ich muß Ihre Lippen küssen; ich muß Ihr Herz an dem meinigen klopfen fühlen; ich will mit Ihnen verschlungen sein Arm in Arm und Mund an Mund!«

Er versuchte, sie an sich zu ziehen; sie wehrte sich vergeblich und sagte endlich verzweifelnd:

»Mein Gott, soll ich denn um Hilfe rufen!«

Mit einem raschen Schwunge stand da auf einmal Sternau neben ihnen.

»Nein, Sennorita, das brauchen Sie nicht; die Hilfe ist schon da. Wenn Sennor Verdoja nicht sofort Ihre Hand freigiebt, fliegt er vom Dache hinab in den Hof!«

»Ah, Sennor Sternau!« stammelte sie erleichtert. »Helfen Sie mir!«

»Sternau!« knirrschte der Rittmeister.

»Ja, ich bin es. Lassen Sie die Dame los!«

Da legte der Offizier nun erst recht seinen Arm um sie und fragte:

»Was wollen Sie hier? Was haben Sie mir zu befehlen? Packen Sie sich, Unverschämter!«

Er hatte dieses Wort kaum ausgesprochen, so sauste die Faust Sternau's durch die Luft, ein fürchterlicher Schlag traf seinen Kopf und er brach zusammen. Dann wandte sich der Deutsche zu dem Mädchen, welches von dem Offizier fast mit niedergerissen worden wäre:

»Kommen Sie, Sennorita; ich werde Sie hinunter leiten!«

»O mein Gott,« klagte sie, am ganzen Körper zitternd, »ich habe nichts gethan, was ihm den Muth zu einem solchen Ueberfalle geben könnte!«

»Ich weiß es,« antwortete er. »Diese Art von Menschen hat den Muth zu allem Bösen, aber nicht zum Guten.«

»Diese Lanzenreiter lassen mir nur die Plattform des Hauses zum Promeniren übrig, und nun werde ich auch diese meiden müssen.«

»Nein, Sennorita. Sie bedürfen der Erholung in freier Luft, und man soll


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Ihnen diese abendliche Promenade nicht rauben. Ich werde dafür sorgen, daß Sie fernerhin ungestört bleiben.«

»Aber Sie werden sich dadurch grimmige Feinde machen, Sennor!«

»Ich fürchte diese Sorte von Feinden nicht,« sagte er im wegwerfenden Tone.

»Sie haben den Mann niedergeschlagen. Wird das zu keinem Rencontre führen?«

»Vielleicht. Aber sorgen Sie sich nicht um mich. Eine offene Forderung hat ungleich weniger zu bedeuten, als eine versteckte Heimtücke, gegen die man nicht gewappnet ist. Lassen wir jetzt den Mann liegen, und versuchen Sie, die freche Beleidigung im Schlafe zu vergessen. Er ist nicht werth, viel Worte um ihn zu verlieren.«

Er geleitete sie die Treppe hinab bis vor die Thür des Krankenzimmers, wo er sich von ihr verabschiedete, denn sie wollte bei dem Bräutigam bleiben. In sein eigenes Gemach zurückgekehrt, an welchem der Kapitän der Lanzenreiter vorüber mußte, lehnte er die Thür nur leicht an und wartete. Erst nach längerer Zeit hörte er ihn mit leisen Schritten vom Dache herabkommen und dann den Korridor durchschleichen. Nun erst begab sich auch Sternau zur Ruhe.

Emma fühlte sich durch die ihr angethane Infamie so aufgeregt und geängstigt, daß sie, in der Hängematte am Krankenbette liegend, keinen Schlaf fand. Sie wurde von peinigenden Gedanken gequält. Die Lanzenreiter wollten noch einige Zeit auf der Hazienda verweilen. Da fand Kapitän Verdoja leicht Gelegenheit, seinen Angriff zu wiederholen, und es war mehr als fraglich, ob sich dann abermals ein so muthiger Beschützer finden werde. Auf ihren Vater konnte sie nicht rechnen. Er war erstens nicht zum Helden geboren und hatte zweitens alle mögliche Rücksicht auf die halb wilden Soldaten, welche zudem ja seine Gäste waren, zu nehmen. Sie sagte sich ferner, daß die Rolle eines Beschützers unter den gegenwärtigen Umständen mit einer nicht geringen Gefahr verbunden sei. Sternau hatte ganz gewiß sein rasches und energisches Auftreten zu büßen. Was waren zwei oder drei noch so muthige Männer gegen eine zahlreiche Schaar uncivilisirter Lanzenreiter, von denen jeder Einzelne so ziemlich außerhalb der gesetzlichen Ordnung stand! -

In solchen Gedanken und Befürchtungen verging ihr die Nacht. Sie konnte denselben um so mehr nachhängen, als der Kranke die im Zimmer herrschende Stille nicht unterbrach. Er lag in einem festen Schlafe, der so gesund war, daß er sich nicht ein einziges Mal regte. Er schlief sogar noch, als am Morgen Karja, die schöne Indianerin, hereinschlüpfte, um nach ihrer Gewohnheit Emma in den nothwendigen häuslichen Anordnungen für einige Zeit abzulösen.

»War seine Nacht eine gute?« fragte sie.

»Ja,« antwortete Emma. »Er hat ohne Unterbrechung geschlafen, und nun steht, Gott sei Dank, zu erwarten, daß seine Genesung sicher und ungestört fortschreiten wird. Sennor Sternau sagte, die Trepanation sei an und für sich nicht gefährlich, aber man müsse das Wundfieber und die sonstigen Folgen fürchten. Wir haben ihm von unserem Wundkraut aufgelegt und eingegeben; in Folge dessen ist das Fieber kaum zu spüren. Es steht zu erwarten, daß Gott ihn beschützen und recht bald gesund machen werde.«


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»Das ist mein innigster Wunsch,« sagte Karja. »Also um Sennor Helmers brauchen wir fast nicht mehr bange zu sein; aber um Deinetwillen bin ich besorgt.«

»Warum?«

»Du siehst so bleich und angegriffen aus. Das Nachtwachen schwächt Dich zu sehr.«

»Das ist es nicht. Wenn ich mich ermüdet fühle, so ist es nicht der Krankenpflege, sondern eines anderen Grundes wegen.«

Sie erzählte nun mit leiser Stimme, um den Schlummernden nicht zu wecken, ihre Abenteuer auf dem Dache. Karja, welche ihr mit vollster Theilnahme zuhörte, wurde dadurch veranlaßt, auch ihre Begegnung mit dem Lieutenant Pardero im Garten in Erwähnung zu bringen. Beide waren noch dabei, ihren Abscheu über solche unverzeihbare Zudringlichkeiten in Worte zu fassen, als Sternau eintrat. Er hatte gleich nach seinem Erwachen nach dem Patienten sehen wollen, war ganz leise eingetreten und hörte die letzten Worte ihrer Unterhaltung, ohne von ihnen bemerkt zu werden. Als sie ihn sahen, war es zum Schweigen zu spät. Er entschuldigte sich und fragte die Indianerin:

»Wie, auch Sie haben in ähnlicher Weise wie Sennorita Emma zu leiden gehabt?«

»Leider ja,« antwortete sie.

»Von wem?«

»Lieutenant Pardero fiel mich im Garten an und als ich entfloh, lief ich dem Kapitän in die Hände, welcher mich fassen wollte.«

»Schurken!«

Sternau sagte nur dieses eine Wort, dann wendete er sich zu dem Schlafenden. Als er ihn aufmerksam betrachtet und besonders auch seine ruhigen Athemzüge gezählt hatte, nickte er befriedigt. Er hörte nun, daß der Patient ununterbrochen geschlafen habe; da heiterte sich sein Gesicht noch mehr auf und er sagte:

»Lassen wir ihn ruhig schlafen. Schlaf und Ruhe sind die besten und sichersten Mittel zu seiner Wiederherstellung.«

Er unternahm jetzt einen Morgenspaziergang hinaus nach den Weideplätzen, fing sich eines der Pferde und galoppirte auf demselben eine Strecke in die Savanne hinein; dann kehrte er wieder zurück. Er gab das Pferd frei und schritt zu Fuße der Hazienda zu. Unter dem Thore begegnete ihm der Lieutenant Pardero.

»Ah, Sennor Sternau!« sagte dieser, stehen bleibend und in einem nicht eben höflichen Tone. »Ich habe Sie gesucht!«

»Weshalb?« fragte Sternau kurz.

»Ich muß mit Ihnen sprechen!«

»Sie müssen?« meinte der Deutsche in einem verwunderten Tone. »Heißt das vielleicht, daß ich gezwungen bin. Sie anzuhören?«

»Allerdings,« lautete die spöttische Antwort.

»Nun ja, ein gebildeter Mann verweigert keinem Anderen das Gehör, vorausgesetzt, daß die nöthigen Höflichkeiten nicht vernachlässigt werden. Unter dem Thorwege ertheile ich keine Audienz. Haben Sie mich zu sprechen, so kommen Sie nach meinem Zimmer.«

Der Lieutenant verfärbte sich, trat einen Schritt zurück und sagte:


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»Sie sprechen so hochmüthig von Audienzen. Halten Sie sich für ein gekröntes Haupt?«

»Pah! Ich verstehe Audienz im weiteren Sinne, bei welcher es sich um eine Unterredung zwischen einem höher und einem niedriger Gestellten handelt. Sie werden mir doch zugeben, daß unsere Stellungen in bürgerlicher, intellectueller und moralischer Beziehung sich nicht gleich sind. Ich werde dennoch bereit sein. Sie anzuhören.«

Er wandte sich zum Gehen, doch der Lieutenant faßte ihn hastig beim Arme und fragte mit drohender Miene:

»Meinen Sie etwa, daß ich moralisch unter Ihnen stehe?«

»Ich meine niemals Etwas, sondern ich sage stets nur das, von dessen Wahrheit ich vollständig überzeugt bin. Nehmen Sie übrigens Ihre Hand von meinem Arme; ich liebe derartige Berührungen nicht!«

Er schüttelte die Hand des Mexikaners von sich ab und ging fort. Der Lieutenant fühlte sich durch den Ton und den Blick des Deutschen eingeschüchtert; er ließ ihn gehen, verfolgte ihn aber mit flammenden Augen und murmelte:

»Prahler, das sollst Du büßen! Diese Deutschen sind wie die Maulesel; sie tragen geduldig und ohne Muth und ohne Ehrgefühl die größten Lasten, rappelt es aber einmal in ihrem Kopfe, so werden sie störrisch und ungezogen; man kann sie dann nur durch Prügel zähmen. Und dieses Experiment werde ich hier anwenden. Wir wollen doch einmal sehen, ob dieser Sternau so stolz bleibt, wenn er erfährt, um was es sich handelt.«

Er wartete ein kleines Weilchen und begab sich sodann nach der Wohnung Sternau's. Dieser hatte ihn erwartet; er ahnte, welchen Gegenstand die Unterredung betreffen werde, und empfing den Eintretenden mit einer kalten, aber höflichen Verbeugung.

»Sie sehen, Sennor, daß ich komme,« sagte der Mexikaner mit einem höhnischen Lächeln.

Sternau nickte.

»Zur Audienz,« fügte der Mexikaner hinzu.

Sternau nickte abermals, ohne ein Wort zu sagen.

»Darum hoffe ich, daß ich jetzt Gehör finden werde!« fügte Pardero jetzt drohend hinzu.

»Jedenfalls, wenn Sie sich anständig betragen,« antwortete der Deutsche.

Da brauste der Mexikaner auf:

»Herr, haben Sie mich einmal unanständig gesehen?«

»Kommen wir zur Sache, Sennor Pardero!« sagte Sternau eiseskühl.

»Gut, wir können ja diesen Gegenstand einstweilen fallen lassen. Aber ich bin nicht gewöhnt, stehend mich zu unterhalten!«

Er blickte nach einem der vorhandenen Stühle. Sternau that, als habe er den Blick gar nicht bemerkt und antwortete mit einem sarkastischen Lächeln:

»Von einer Unterhaltung ist hier keine Rede, sondern von einer Audienz. Der Empfangene hat sein Gesuch stehend vorzutragen. Ist dies gegen Ihren Geschmack, so muß ich die gegenwärtige Zusammenkunft für beendet erklären.«

Hatte er bei diesen Worten beabsichtigt, den Mexikaner auf das Tiefste zu be-


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leidigen, so war es ihm vollständig gelungen. Pardero's Gesicht flammte von der Röthe des Zornes, seine Augen glühten und seine Stimme zitterte, als er antwortete:

»Sennor, ich fühle mich nicht mehr in der Lage, Sie für einen Kavalier zu halten!«

»Ihre Lage ist mir vollständig gleichgiltig,« lächelte Sternau. »Aber bitte, kommen Sie zur Sache. Ich bin nicht in der Lage, mich für einen Schwätzer halten zu lassen!«

Pardero wollte aufbrausen, als er aber sah, daß Sternau sogleich nach dem Hute griff, um sich zu entfernen, bezwang er sich und sagte mit möglichster Gelassenheit:

»Ich komme im Auftrage meines Vorgesetzten, Kapitän Verdoja.«

Als Sternau keine Miene machte, diese Einleitung mit einem Worte zu beachten, fuhr der Mexikaner leichthin fort:

»Gestehen Sie, daß Sie ihn beleidigt haben?«

Sternau zuckte die Achsel und sagte lächelnd:

»Sie scheinen nicht gewohnt zu sein, Ihre Ausdrücke treffend zu wählen. Gestehen kann nur ein Verbrecher dem Richter gegenüber, und ich bin eben so wenig das Erstere, wie Sie das Andere sind. Von einem Geständnisse meinerseits kann also keine Rede sein. Uebrigens habe ich diesen Mann nicht beleidigt, sondern niedergeschlagen. Vielleicht ist das Ihrer Ansicht nach eine Beleidigung im Comparativ oder gar im Superlativ.«

»Ja,« rief der Lieutenant, »das ist es allerdings. Der Kapitän fordert Genugthuung!«

»Ah!« dehnte Sternau mit gut gespielter Verwunderung. »Genugthuung? Und diese fordert er durch Sie?«

»Wie Sie hören!«

»Hm! Sind Ihnen die Regeln des Duells bekannt, Sennor Pardero?«

»Zweifeln Sie daran?«

»Ja.«

»Donnerwetter!«

»Bitte, ich bin nicht gewöhnt, in meinem Zimmer dergleichen Ausdrücke zu vernehmen. Ich zweifle an Ihrer Kenntniß der Duellgesetze, weil Sie sich zum Cartellträger in einer Angelegenheit hergeben, welche nichts weniger als ehrenvoll für Sie sein kann. Ist Ihnen die Veranlassung zu dem Hiebe bekannt, welchen Kapitän Verdoja von mir erhalten hat?«

»Vollkommen,« antwortete der Gefragte mit vor Wuth bebender Stimme.

»Nun, dann verachte ich Sie! Ich schlug den Kapitän nieder, weil er eine anständige Dame beleidigte, welche sogar die Tochter seines Gastfreundes war. Wer sich zur Vermittelung eines solchen Falles hergiebt, der ist in meinen Augen nicht nur eine moralische Null, sondern er ist sogar ein ganz bedeutendes sittliches Minus.«

Da griff der Mexikaner nach seinem Degen, zog die Klinge halb heraus und rief:

»Was sagen Sie? Was wagen Sie? Ich werde - -!«


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»Nichts werden Sie!« sagte Sternau ruhig, aber diese Ruhe war diejenige vor dem ersten Donnerschlage. In seinen Augen blitzte ein Wetterleuchten auf, welches auch einen muthigeren Mann, als der Lieutenant war, hätte erschrecken können. Er fuhr fort: »Nehmen Sie die Hand vom Degen, sonst zerbreche ich ihn vor Ihren Augen! Es kann mich eigentlich nicht wundern, daß Sie die Botschaft des Kapitäns übernommen haben, denn Sie sind ein ebenso großer Schurke wie er. Sie haben - - -«

»Halt!« schrie der Lieutenant, den die Wuth jetzt übermannte. »Sagen Sie noch ein solches Wort, so durchbohre ich Sie! Wollen Sie mir sogleich diesen Schurken abbitten?!«

Er zog den Degen vollends heraus und holte zum Stoße aus. Sternau stellte sich ihm gemüthlich gegenüber, schlug die Arme über der breiten, mächtigen Brust zusammen und sagte:

»Gut, wenn Sie es wünschen, so bitte ich Ihnen den »Schurken« ab. Es ist wahr; Sie sind kein Schurke sondern ein Doppelschurke, ein Elender!«

Der Eindruck dieser Worte war kein augenblicklicher. Der Mexikaner stand ganz steif; er konnte im ersten Momente sich gar nicht fassen und seinen Gegner gar nicht begreifen; dann aber stieß er einen heißeren Schrei der Wuth aus und zückte den Degen. Aber in demselben Augenblicke befand sich die scharfe, spitze Waffe in der Hand des Deutschen; der Mexikaner wußte gar nicht, wie sie ihm entwunden worden war. Sternau bog die Klinge zweimal zusammen und warf die drei Stücke dem Lieutenant in das Gesicht.

»Hier haben Sie Ihren Apfelschäler!« sagte er lachend. »Sie haben Sennorita Karja beleidigt ebenso, wie Ihr Kapitän Sennorita Emma beleidigte. Es ist ein Schurke so groß wie der Andere. Wenn Sie mein Zimmer nicht sofort verlassen, werfe ich Sie zum Fenster hinaus!«

Er streckte seinen Arm drohend nach dem Gegner aus. Dieser schlüpfte gewandt unter demselben hinweg und sprang nach der Thür. Dort aber drehte er sich noch einmal um und rief, dem Deutschen die geballte Faust entgegenstreckend:

»Das sollen Sie büßen, und zwar bald, bald! Sie werden sich mit Zweien zu schlagen haben anstatt nur mit Einem, und wenigstens einer von uns wird Sie tödten, wenn Sie nicht geradezu den Teufel haben.«

Er eilte zur Thüre hinaus. Sternau brannte sich ruhig eine Cigarrette an und wartete nun gleichmüthig der Dinge, die da kommen sollten. Seine Geduld sollte nicht lange auf die Probe gestellt werden, denn bereits nach einer kleinen Viertelstunde klopfte es an seine Thür, und auf sein lautes »Herein!« trat der andere Lieutenant durch die geöffnete Thür. Er verbeugte sich sehr höflich und sagte in einem ebenso höflichen Tone:

»Verzeihung, Sennor Sternau, daß ich Sie störe! Können Sie sich mir auf höchstens fünf Minuten widmen?«

»Gern, Sennor. Bitte, nehmen Sie Platz, und bedienen Sie sich einer Cigarrette!«

Der Offizier war ganz überrascht über diese Freundlichkeit. Lieutenant Pardero hatte ihm doch jedenfalls von dem Verhalten Sternau's erzählt, und anstatt in diesem einen Wütherich zu finden, wurde er mit solcher Höflichkeit empfangen. Was


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ein europäischer Offizier als Cartellträger nicht gemacht hätte, der Lieutenant that es; er nahm eine Cigarette und ließ sie sich von Sternau in Brand stecken. Eigentlich mußte ihm die Veranlassung seines Besuches doch verbieten, sie anzunehmen. Als Beide nun einander gegenüber saßen, begann der Offizier:

»Aufrichtig gestanden komme ich nicht gern zu Ihnen, Sennor; denn die Angelegenheit, welche mich zu Ihnen führt, ist eine feindliche.«

Er hielt inne und blickte Sternau erwartungsvoll an. Dieser wollte ihm das Schwierige seiner Lage erleichtern und sagte daher mild:

»Sprechen Sie getrost, Sennor! Ich bin jedenfalls auf das, was Sie mir bringen, bereits genugsam vorbereitet.«

»Nun, ich komme im Auftrage der Sennores Verdoja und Pardero, welche von Ihnen beleidigt zu sein glauben.«

Sternau nickte leichthin.

»Sie gebrauchen den richtigen Ausdruck,« sagte er. »Diese Sennores glauben, von mir beleidigt zu sein, aber im Gegentheile sind diese Beiden es, welche zwei Damen beleidigten, welche sich ohne Schutz befanden, dann aber in mir den Rächer fanden. Sennor, Sie bringen mir nun eine Aufforderung zum Zweikampfe?«

»Ja, Sennor Sternau.«

»Und mit wem soll ich mich schlagen?«

»Mit Beiden.«

»Hm! Das thut mir leid um Ihretwillen, denn Sie sind nicht der Abgesandte von Männern, die ich achten kann. Uebrigens brauche ich die Ausforderung gar nicht anzunehmen, da man sich nur mit Ehrenmännern schlägt. Aber ich will Sie, der Sie höflich zu mir sprachen, nicht kränken, und ebenso will ich bedenken, daß ich mich gegenwärtig in einem Lande befinde, in welchem der Ehrbegriff vielleicht noch nicht die nothwendige Läuterung und Krystallisation erfahren hat, und darum will ich mich zu der Forderung bekennen. Haben die beiden Herren bereits Wünsche in Beziehung auf das Arrangement ausgesprochen?«

»Allerdings.«

»Nun?«

»Der Kapitän wünscht, sich auf Degen zu schlagen, der Lieutenant aber auf Pistole.«

»Das glaube ich!« lachte Sternau fröhlich. »Ich habe des Lieutenants Säbel zerbrochen; er weiß also, daß ich mit dieser Waffe umzugehen verstehe und wählt daher Pistolen. Ich will den beiden Herren die Erfüllung ihrer Wünsche zugestehen, aber nur unter zwei Bedingungen.«

»Ich will sie hören, Sennor.«

»Ich schlage mich mit dem Kapitän per Degen, bis Einer von uns durch eine Wunde gezwungen ist, den Degen fallen zu lassen.«

»Das wird vielleicht zugestanden.«

»Und mit dem Lieutenant schieße ich mich über die Barriere mit zwei geladenen Läufen. Die Barriere ist drei Schritte, und jeder hat zwei Kugeln.«

»Mein Gott, Sennor, auf diese Weise gehen Sie ja einem sicheren Tod entgegen!« warnte der Offizier. »Wenn Sie dem Kapitän entkommen, werden Sie doch dem Lieutenant nicht entgehen, welcher der beste Pistolenschütze ist, den ich kenne.«


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»Vielleicht giebt es noch bessere, als er ist,« lachte Sternau. »Haben Sie bereits einmal von berühmten Schützen, Jägern oder Savannenmännern gehört, Sennor?«

»O, sehr oft!«

»Können Sie mir die Namen Einiger sagen?«

»Nun, ich habe gehört von Sansear, von Shatterhand, von Firehand, von Winnetou, von dem berühmten Fürst des Felsens und von - -«

»Halt, Sennor; glauben Sie, daß dieser Fürst des Felsens eine Pistole zu führen versteht?«

»Besser wie jeder Andere!« meinte der Mexikaner rasch.

»Nun, dieser Fürst des Felsens bin ich. Haben Sie also keine Sorge, daß ich mich vor Ihrem Lieutenant fürchte. Ich theile Ihnen vielmehr mit, daß ich das Resultat des Doppelduells bereits jetzt kenne.«

Der Mexikaner blickte ihn überrascht an.

»Daß Sie der Fürst des Felsens sind, weiß ich ja, und wie Sie schießen, das weiß ich ebenso gut,« sagte er. »Aber Sie sind ja auch nur ein Mensch. Ein kleiner Zufall kann Ihnen verderblich sein. Wie wollen Sie das Resultat des doppelten Zweikampfes vorher wissen?«

»Ich würde Ihnen dieses Resultat bereits jetzt mittheilen, wenn Sie nicht der Sekundant meiner Gegner wären, doch vor Beginn des Duells werde ich Ihnen beweisen, daß ich Ihnen die Wahrheit sage. Das Uebrige besprechen Sie gütigst mit Sennor Mariano, welcher so freundlich sein wird, mir zu sekundiren.«

»Und Zeugen, Unparteiische?«

»Brauchen wir nicht!«

»Einen Arzt?«

»Auch nicht. Arzt bin übrigens ich selbst, werde aber meinen Gegnern nicht die mindeste Handreichung leisten.«

»Bedenken Sie, Sennor, daß auch Sie verwundet werden können!« sagte der Lieutenant.

»Pah, von diesen beiden Männern ist keiner im Stande, mich zu verwunden!«

Mit diesen Worten wendete Sternau sich stolz ab, und der Offizier ging. Als dieser fort war, suchte Sternau Mariano auf, um ihn von dem Stande der Sache zu unterrichten. Der junge Mann war sofort bereit, Sekundant zu sein und ging augenblicklich, um den Sekundanten der beiden Gegner aufzusuchen. Es dauerte nicht lange, so kehrte er wieder zurück und meldete, daß die Bedingungen Sternau's angenommen worden seien. Dieser Letztere hatte als der Geforderte das Recht, seine eigenen Pistolen mitzubringen, und da er derselben ganz und gar sicher war, so fühlte er sich des Erfolges ganz gewiß.

Von diesem Augenblicke kam er nicht von dem Fenster seines Zimmers hinweg. Er wußte, was nun geschehen werde und behielt den Ausgang der Hazienda im Auge. Aber erst um die Zeit der Mittagshöhe schwang der Kapitän sich auf sein Pferd und ritt davon. Sternau ahnte, daß er die Absicht habe, einen Brief unter den Stein zu stecken und ließ auch sich sein Pferd vorführen. Kaum war der Kapitän am nördlichen Horizonte verschwunden, so sprengte Sternau nach Süden


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davon. Beide hatten die Absicht, andere irre zu leiten, denn der Ort, an welchem sich der Stein befand, lag nach Westen.

Sobald Sternau nicht mehr gesehen werden konnte, lenkte er nach Westen ein und spornte sein Pferd zur größten Schnelligkeit an. Es lag ihm daran, eher da zu sein, als der Kapitän. Da sich aber dessen Helfershelfer in der Nähe befinden konnten, so war die größte Vorsicht geboten. Je näher er kam, desto aufmerksamer wurde er; er vermied alles freie Terrain und hielt sich sorgfältig gedeckt. Endlich stieg er gar vom Pferde, führte dasselbe in ein dichtes Gebüsch und band es dort an. Dann setzte er seinen Weg zu Fuße weiter fort.

In der Nähe des Steines angekommen, legte er sich auf die Erde und kroch leise mit der äußersten Vorsicht weiter fort. Endlich erblickte er ihn, und nun umkroch er ihn in einem weiteren Kreise. Er erhielt die Ueberzeugung, daß kein Lauscher in der Nähe sei, und suchte sich nun ein Versteck.

Kaum zehn Schritte von dem Steine entfernt, stand eine nicht zu hohe Ceder, deren dicht behangene Aeste nicht schwer zu erreichen waren. Er schwang sich empor, und es gelang ihm, sich so gut zu verbergen, daß er unmöglich gesehen werden konnte.

Dies war kaum geschehen, so erklang der Hufschlag eines Pferdes. Das Geräusch verstummte draußen gerade vor den Bäumen. Ein Mann sprang aus dem Sattel und schritt eilig auf den Stein zu. Er hob ihn halb empor und legte einen zusammengefalteten Zettel darunter. Dann brachte er ihn in seine ursprüngliche Lage zurück, ging zum Pferde, schwang sich auf und ritt davon.

Im Nu war Sternau vom Baume herab und holte den Zettel heraus. Er faltete ihn auseinander und las:

»Heut gerade um Mitternacht bei den Ladrillos. Aber ganz bestimmt; es ist sehr nothwendig. Morgen sind wir am Ziele.«

Eine Unterschrift war nicht vorhanden. Verdoja hatte eine solche nicht nur für überflüssig, sondern sogar für gefährlich gehalten. Sternau legte den Zettel genau wieder so zusammen, wie er erst gewesen war, und steckte ihn unter den Stein. Er vernichtete seine Spuren und kehrte dann nach seinem Pferde zurück, welches er bestieg, um im Galopp die Hazienda aufzusuchen.

Als er sie erreichte, war der Kapitän noch nicht wieder da; er kehrte erst nach geraumer Zeit zurück und hatte keine Ahnung, daß sein Geheimniß bereits verrathen sei. Vielleicht erfuhr er gar nicht, daß Sternau die Hazienda verlassen gehabt hatte.

Ladrillos ist ein spanisches Wort und bedeutet zu deutsch Ziegelsteine. Die Urbewohner Mittelamerikas bauten nämlich ihre Pyramiden und Städte meist aus in der Sonne gedörrten Pack- oder Ziegelsteinen, welche von ihnen Adobes genannt wurden, bei den Spaniern aber Ladrillos hießen. Man findet noch heute die Ruinen solcher Adobesstädte und bewundert die Kunst, mit welcher jene Urvölker zu bauen verstanden. Hier und da trifft man mitten im Urwalde, mitten in der Savanne oder in einer Felseneinöde ein einsames, halb oder auch ganz zerfallenes Gemäuer, welches aus solchen Ladrillos besteht und als Zeuge dient, daß früher diese Einöden bewohnt und bebaut waren.

Auch in der Nähe der Hazienda del Erina gab es eine solche Ruine. Sie


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lag höchstens eine halbe Stunde von dem Hause entfernt mitten in einem Felsengewirr und wurde von Gedorn und Schlingpflanzen so überwuchert, daß sie ganz unzugänglich war. Aber kurz vor der eingefallenen Frontmauer des einstigen Gebäudes befand sich ein rundes Loch, gerad so, als ob hier ein Schacht ausgefüllt worden sei. Dieses Loch war zugänglich und an seinem Rande von dichtem Gebüsch umstanden, und Sternau glaubte, mit Bestimmtheit annehmen zu dürfen, daß die Zusammenkunft hier stattfinden werde.

Er sagte keinem Menschen ein Wort von dem, was er wußte und saß im Verlaufe des ganzen Nachmittages bei dem Kranken, der sich ganz wohl fühlte und seine Erinnerung so vollständig wieder erhalten hatte, daß er ihm sein Abenteuer in der Höhle des Königsschatzes erzählen konnte. Emma brachte die Kostbarkeiten herbei, und Sternau konnte den Reichthum bewundern, durch welchen der einst so arme Jäger zum Millionär geworden war.

Emma schwebte in Wonne, den Geliebten so wohl zu sehen. Sie hoffte auf ein baldiges Glück und sagte, auf den Steuermann Helmers deutend, zu dem Kranken:

»Eigentlich brauchst Du diesen Reichthum gar nicht, denn die ganze Hazienda del Erina wird uns gehören. Solltest Du da nicht mit Deinem Bruder theilen?«

Der Kranke nickte lächelnd und sagte:

»Bruder, was ich habe, gehört auch Dir. Sprachst Du nicht gestern von einem Sohn, den Du hast?«

»Ja. Ich habe Weib und Kind zu Hause,« antwortete der Steuermann.

Er erzählte nun von den Seinen und wurde in dieser Schilderung von Sternau reichlich unterstützt. Der Kranke hörte aufmerksam zu und sagte dann:

»Dieser Knabe ist ein Wunderkind und muß eine entsprechende Ausbildung erhalten. Du hast zwar an Deinem Landesherrn und dem Oberförster zwei mächtige Gönner, aber das ist doch immer eine Abhängigkeit. Du mußt die nöthigen Mittel von mir annehmen; ich bin ja Dein Bruder, der Oheim Deines Knaben und darf Dir eine Gabe anbieten, ohne Dich zu beleidigen.«

Der brave Steuermann wies das von sich ab, aber die Anwesenden waren alle gegen ihn, und auch der Haziendero Petro Arbellez zeigte dieselbe Gesinnung wie die Uebrigen. Und so wurde halb im Scherze und halb im Ernste beschlossen, daß die Hälfte des Theiles, welches Helmers vom Königsschatze erhalten hatte, dem kleinen Kurt Helmers in Rheinswalden gehören solle.

Gegen Abend fühlte sich der Patient wieder ermüdet und schlief ein. Während Emma bei ihm blieb, gingen die Anderen zum Abendbrote. Die Offiziere waren nicht dabei. Nach dem, was vorgefallen war, hielten sie es gerathen, ganz zurückgezogen auf ihren Zimmern zu speisen.

Nach dem Essen sagte Sternau, daß ihn einige nothwendige Arbeiten nöthigten, ungestört in seiner Wohnung zu bleiben. Er wollte nicht haben, daß man seine Abwesenheit bemerke. Er wartete den geeigneten Augenblick ab, steckte Waffen, Tücher und einige Riemen zu sich und schlich sich in eines der Zimmer, welches nach dem hinteren Hofe lag und unbewohnt war. Er hatte in dem seinigen das Licht brennen lassen, damit man glauben solle, daß er anwesend sei, aber von außen die Thür verschlossen, daß Niemand zufälliger Weise das Gegentheil bemerke.


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Er öffnete das Fenster, stieg hinaus und zog das Fenster wieder zu; dann schlich er sich über den Hof hinüber und schwang sich über den Palissadenzaun.

So gelangte er glücklich in das Freie, ohne bemerkt worden zu sein, umging die Hazienda und schlug dann die Richtung nach den Ladrillos ein.

Es war zwar dunkel, aber sein geübtes Auge erkannte die Umgebung so gut, daß er nicht zu befürchten brauchte, die Richtung zu verfehlen. Er hatte während seiner Wanderungen durch die Wildniß gelernt, unhörbaren Schrittes zu gehen. So hätte auch heute nur dann Einer ihn bemerken können, auf den er geradezu gestoßen wäre. Als er glaubte, den Ladrillos nahe gekommen zu sein, verdoppelte er seine Vorsicht und bewegte sich schließlich nur in kriechender Stellung vorwärts.

Plötzlich hielt er an und sog die Luft mit geöffneten Nasenflügeln ein.

»Was ist das?« dachte er. »Das ist ein brenzlicher Geruch, untermischt mit dem Dufte von gebratenem Fleische. Ich glaube gar, dieser Kerl ist so dumm, oder so verwegen, ein Feuer zu brennen. Auf ebener Erde aber kann das nicht sein, denn dann müßte man es bemerken. Es ist nahe von hier, denn der Bratengeruch geht nicht weit. Wollen doch sehen!«

Er kroch dem Geruche nach und gelangte bald an das weiter oben beschriebene Loch. Es hatte höchstens zwanzig Fuß im Durchmesser und zehn Fuß in der Tiefe. Am Rande standen dichte Büsche, unter welche Sternau sich versteckte.

Er sah nun den Mann, welcher unten bei einem kleinen Feuer saß und sich ein wildes Kaninchen briet. Mitternacht war gar nicht mehr fern, und Sternau machte es sich so bequem wie möglich in seinem Verstecke. Der Mann begann, sein Kaninchen zu verspeisen, und zwar mit einem solchen Appetit, daß bald nichts mehr übrig war. Er hatte eine Doppelbüchse neben sich liegen und ein Messer im Gürtel. Seine Gestalt war zwar kräftig und untersetzt gebaut, aber Sternau sah, daß es ihm nicht schwer fallen werde, diesen Menschen ohne großes Geräusch zu überwältigen.

So wartete er, bis es ihm war, als ob er leise Schritte vernehme. Er war so klug gewesen, sich entgegengesetzt der Seite zu verbergen, nach welcher die Hazienda lag; daher brauchte er sich nicht zu sorgen, von dem Nahenden bemerkt zu werden.

Die Schritte wurden deutlicher. Auch der Mexikaner da unten lauschte und erhob sich dann. Drüben auf der anderen Seite des Randes wurde das Buschwerk aus einander gezogen und die Gestalt des Rittmeisters oder Kapitäns erschien, von dem matten Scheine des Feuers beleuchtet.

»Bist Du toll, Mensch?« fragte er.

»Warum?« meinte der Mexikaner.

»Daß Du ein Feuer brennst!«

»O, das sieht kein Mensch. Ich hatte Hunger und habe mir einen Braten gemacht.«

»Der Teufel hole Deinen Braten! Man riecht das Feuer ja auf hundert Schritte!«

»Ja, aber auf hundert Schritte kommt nur der heran, der hier zu thun hat. Wir sind hier vollständig sicher. Kommt herab, Sennor!«


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Der Kapitän stieg hinab, ließ sich aber nicht bei ihm nieder.

»Ich darf nicht lange abwesend sein,« sagte er, »darum wollen wir es kurz machen. Wo sind Deine Leute?«

»Drüben hinter den Bergen im Walde.«

»Wissen sie, wo Du bist?«

»Nein.«

»Hm, das ist mir lieb. Ich wünschte so wenig wie möglich Vertraute haben zu können. Kannst Du sie nicht los werden?«

»Vielleicht. Aber kann ich denn allein verrichten, was Ihr von uns verlangen werdet?«

»Ich hoffe es.«

»Bei derselben Bezahlung?«

»Ja. Ich zahle Dir ganz dasselbe, was ich den Anderen in Summa geben würde. Wenigstens das, was ich jetzt verlange, kannst Du allein verrichten.«

»Was ist es?«

»Hm, ich sehe, daß Du ein doppelläufiges Gewehr hast. Bist Du Deines Schusses sicher?«

»Ich fehle nie.«

»Du sollst zwei gute Schüsse für mich thun.«

»Ah, ich errathe! Wen soll ich treffen?«

»Den Sternau und den Spanier.«

»Schön, sie sollen die Kugeln haben; aber wann und wo, das ist die Frage.«

»Das sollst Du hören. Kennst Du den alten Kalkbruch da hinter dem Berge?«

»Sehr gut, denn eben dort sind meine Leute.«

»Die müssen fort. Morgen früh fünf Uhr habe ich ein Duell dort.«

»Caramba! Wollt Ihr Euch ermorden lassen?«

»Ohne Deine Hilfe ist das sehr leicht möglich. Ich und Lieutenant Pardero haben den Deutschen gefordert, und dieser Mariano ist sein Sekundant. Er hat sich zwar Zweien zu stellen, aber dieser Sternau hat tausend Teufel im Leibe; man muß sich vor ihm in Acht nehmen. Er muß bereits vor Beginn des Duells unschädlich gemacht werden, und das sollst Du thun.«

»Gern, Sennor. Und der Mariano auch?«

»Ja.«

»Ich stehe zu Diensten. Dieser Sternau hat meine Kameraden abgeschlachtet; die Hölle soll ihn bekommen! Aber wie wünscht Ihr, daß die Sache angefangen werde?«

»Du führst Deine Leute fort, damit der Platz frei wird, kehrst aber noch vor fünf Uhr zurück und versteckst Dich in der Nähe. Es sind genug Bäume und Sträucher da.«

»Richtig, ich begreife! Ihr werdet Euch nicht sehr sputen; daher kommt der Deutsche mit dem Spanier eher an als Ihr, und wenn Ihr mit dem Lieutenant eintrefft, so liegen die Beiden bereits mit zerschmetterten Schädeln da.«

»Nein, so nicht. Ich muß dabei sein; ich will die Kerls verenden sehen. Es muß werden wie bei einem Schauspiel auf der Bühne. Ich habe ihn auf Degen gefordert; der Lieutenant kommt erst nach mir. Ich bin also der Erste, und


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wenn Sternau mir gegenüber steht, schießest Du ihn über den Haufen. Die zweite Kugel muß dann sofort den Spanier treffen.«

»Dieser Plan ist nicht übel. Aber der Lohn, Sennor?«

»Den erhältst Du morgen.«

»Wo?«

»Hier, wieder um Mitternacht.«

»Gut; ich bin es zufrieden; diesen Lohn werde ich allein einstecken, und Ihr könnt weiter auf mich rechnen.«

»Wann warst Du bei dem Steine?«

»Erst gegen Abend.«

»Der Ort ist sicher; wir können ihn ohne Sorge vor Entdeckung weiter benutzen. Jetzt weißt Du Alles. Ich hoffe, daß ich mich auf Dich verlassen kann. Gute Nacht!«

»Gute Nacht, Sennor! Seid versichert, daß meine Kugeln ganz genau treffen werden!«

Der Rittmeister ging. Der Mexikaner schabte und biß noch ein Wenig an seinen Kaninchenknochen herum, dann erhob er sich, warf die Büchse über und kletterte empor. Schnell huschte Sternau aus seinem Versteck hervor und schlich sich dahin, wo der Mann aus dem Kreise der Büsche treten mußte. Ohne die geringste Ahnung von der ihm so nahen Gefahr schob der Mexikaner die Zweige auseinander; kaum aber hatten sie sich hinter ihm wieder geschlossen, so tauchte Sternau vor ihm auf und faßte ihn bei der Gurgel. Nicht einen einzigen Laut konnte der Mann ausstoßen. Die Kehle wurde ihm so fest zugepreßt, daß er zuerst den Athem und dann auch die Besinnung verlor. Die erst convulsivisch sich bewegenden Arme und Beine wurden steif, und der Bewußtlose fiel zu Boden. Einige Augenblicke später war er geknebelt, gebunden und so mit Tüchern umwickelt, daß er ein steifes Packet bildete.

Sternau faßte ihn nebst seiner Büchse auf, warf Beide sich auf die Achsel und kehrte nach der Hazienda zurück. Es schien Alles in tiefster Ruhe zu liegen, aber Sternau traute dem Kapitän noch nicht. Dieser war ja erst vor Kurzem zurück und konnte sich sehr leicht noch außerhalb des Hauses befinden. Daher wartete er wohl noch eine Stunde, ehe er sich mit seinem Gefangenen dem hinteren Plankenzaune näherte. Dort schob er erst sein lebendes Paket hinüber, und dann sprang er nach. Ebenso schob er den Gefangenen vorsichtig zu dem Fenster hinein, stieg nach und schloß es zu. Nun recognoscirte er zunächst vorsichtig den Korridor, und als er fand, daß Alle schliefen, trug er den Mexikaner nach seiner Wohnung, die er hinter sich wieder verschloß. Das Licht brannte noch; es war kein Mensch hier gewesen.

Als er seinen Gefangenen von den ihn umhüllenden Tüchern befreit hatte, bemerkte er, daß dieser die Augen mit dem Ausdrucke des Schreckens auf ihn richtete.

»Ah, Bursche, Du erkennst mich!« sagte er mit halblauter Stimme. »Ja, der Kapitän sagte, ich hätte den Teufel im Leibe, und das muß wohl auch so sein, denn sonst hätte ich Dich nicht so schön in meine Hände bekommen. Hier kannst Du besser schlafen als da draußen. Zuvor aber werde ich Dir einmal in Deine


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Taschen greifen. Wer so unvorsichtig ist, sich in der Nähe seiner Feinde ein Kaninchen zu braten, der ist vielleicht auch so einfältig, einen Zettel aufzubewahren, den er unter einem gewissen Steine gefunden hat.«

Er durchsuchte die Taschen des Mannes und fand wirklich den Zettel zusammengeknittert in einer derselben. Er steckte ihn wieder dahin zurück und sagte:

»Du sollst ihn noch bis früh behalten, denn eher brauche ich ihn nicht. Jetzt aber beschlafe Dir die Frage, ob Du beim Verhöre leugnen oder ein Geständniß ablegen willst.«

Er umband ihn noch sorgfältiger mit Schnüren, fesselte ihn außerdem an zwei Beine des Bettes und legte sich dann in dasselbe, um einige Stunden zu schlafen. Er wurde um die richtige Zeit von Mariano geweckt, welcher an die Thür klopfte. Er bat diesen, unten zu warten und erhob sich.

Es war ihm nicht eingefallen schriftlich oder mündlich eine letztwillige Verfügung zu treffen. Er fühlte sich bereits im Voraus als Sieger, untersuchte zunächst die Sicherheit seines Gefangenen, verschloß die Thür seines Zimmers und schritt mit den Pistolen so ruhig die Treppe hinab, als ob er zum Frühstück gehe.

Unten wartete Mariano. Sie schritten nach dem Stalle, sattelten selbst und trabten dann fort. Dabei warf Mariano einen Blick nach Verdoja's Fenster und bemerkte, daß dieser an demselben stand.

»Der Kapitän sieht uns reiten,« sagte er.

Sternau warf keinen Blick hinauf sondern fragte nur:

»Erräthst Du, was er jetzt denkt?«

Die beiden Freunde nannten einander jetzt bereits Du.

»Ja,« antwortete Mariano.

»Nun?«

»Er denkt, daß Du ihnen nicht entkommen wirst. Wenn Dich der Eine nicht fällt, so gelingt es doch dem Andern. Der Lieutenant soll ein vortrefflicher Schütze sein. Sie behandelten gestern die Angelegenheit so leicht und sorglos, daß ich überzeugt bin, sie haben nicht die mindeste Angst.«

Sternau trieb sein Pferd zum rascheren Laufe, und als er sah, daß Mariano dasselbe that, antwortete er:

»Auch ich bin überzeugt, daß sie sich nicht fürchten, aber aus einem anderen Grunde.«

»Welcher sollte das sein?«

»Sehr einfach. Sie glauben ganz bestimmt, daß es gar nicht zum Duelle kommt.«

»Ah! Warum?«

»Weil wir Beide, Du und ich, bereits vorher zwei todte Männer sind.«

»Ich verstehe Dich nicht!«

»Du sollst mich gleich begreifen, höre!«

Er erzählte dem Freunde nun die Art und Weise, wie er den Kapitän beobachtet hatte und hinter die Schliche desselben gekommen war. Mariano war fast erschrocken über das, was er vernahm. Eine solche teuflische Niederträchtigkeit und


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Bosheit schien ihm ganz unglaublich. Er fixirte wirklich längere Zeit das Gesicht Sternau's, um zu sehen, ob dieser sich vielleicht einen nicht ganz passenden Scherz mit ihm machen wolle.

»Und dies Alles ist wahr, wirklich wahr?« fragte er.

»Natürlich!« antwortete Sternau.

»Und den Mörder hast Du in Deinem Zimmer?«

»Wie ich Dir sagte, ja.«

»Wenn er nun ausbricht!«

»Er ist sehr gut gefesselt.«

»Oder wenn man ihn hört und in die Stube dringt. Er wird die Leute belügen, und sie lassen ihn frei!«

»Auch das wird nicht geschehen. Er ist so geknebelt, daß er kaum zu athmen vermag. Das Rufen ist ihm eine Unmöglichkeit. Und selbst wenn er zu stöhnen vermöchte, so daß man es hört, freigeben wird man ihn doch nicht, denn man wird sich ja denken können, daß ich meine Gründe habe, einen Menschen in meinem Zimmer anzufesseln.«

»Seine Genossen sind nicht beim Kalkbruche?«

Jetzt horchte Sternau auf.

»Alle Teufel, das ist ja wahr; daran habe ich ja gar nicht gedacht!« sagte er. »Welch eine Unvorsichtigkeit! So leichtsinnig bin ich noch gar nicht gewesen. Ich nehme den Mann mit mir und denke gar nicht daran, daß es ihm nun unmöglich ist, seine Kollegen aus dem Bruche zu entfernen. Na, der Fehler wird noch auszubessern sein. Ich kenne zwar den Bruch nicht und habe mir ihn nur von einem Vaquero beschreiben lassen; aber ich glaube nicht, daß wir Gefahr laufen. Wir müssen die Kerls nur überraschen. Wir haben bereits zehn Minuten getrabt; dort liegt der Berg, links herum kommen wir an den Bruch. Wir wollen ihn im Sturme nehmen!«

Sie gaben ihren Pferden die Sporen und jagten im Galopp weiter. Nach einigen Minuten öffnete sich vor ihnen der weißglänzende Kalkbruch, der eine breite und nicht sehr tiefe Oeffnung in den Berg bildete. Die Höhen rechts und links waren mit Bäumen bestanden, der Bruch selbst aber nur mit Gestrüpp. Er hatte vor Jahren den Kalk zum Baue der Hazienda geliefert. Als sie im Galopp den Eingang forcirten, erblickten sie zwei Männer, welche am Boden gesessen hatten und sich erhoben. Drei Pferde grasten zwischen den Büschen. Sternau ritt sofort einen derselben nieder, und Mariano that ganz dasselbe mit dem Zweiten.

"Hallo, was thut Ihr hier?"

»Hallo, was thut Ihr hier?« rief Sternau, sich vom Pferde werfend und den Mann packend. »Wer seid Ihr Strolche?«

»Oho!« antwortete der Mensch, sich das Knie reibend, welches er sich beim Sturze beschädigt hatte. »Wer seid denn zuvor Ihr, daß Ihr es wagt, ehrliche Leute niederzureiten?«

»Wer wir sind, das weißt Du ganz genau, Hallunke. Ihr habt ja den Auftrag, uns todtzuschießen. Ich werde Dich ein wenig unschädlich machen, Bursche!«

Er schlug ihm die Faust gegen die Schläfe, daß der Mann zusammenbrach. Nun erst drehte er sich nach Mariano um. Dieser kniete auf dem zweiten Manne, welcher vollständig überwältigt unter ihm lag.


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»Warte, ich werde nachhelfen!«

Mit diesen Worten eilte er hinzu und versetzte dem Manne einen eben solchen Hieb, der auch ganz dieselbe Wirkung hatte.

»Nun schnell fesseln, knebeln und fortschaffen, damit sie nicht gefunden werden!«

Die beiden Männer wurden mit ihren eigenen Riemen gefesselt und mit ihren eigenen Tüchern geknebelt. Dann wurden sie auf ihre Pferde mittelst der Lasso's festgebunden. Das dritte Pferd gehörte jedenfalls dem Anführer, den Sternau bereits um Mitternacht überwältigt hatte. Die drei Thiere wurden eine genügende Strecke, um nicht gesehen und gehört zu werden, fortgeschafft und dort an Baumstämme festgebunden. Dann kehrten sie nach dem Bruche zurück, um die Spuren von der Anwesenheit dieser Leute zu verwischen. Sie waren kaum damit fertig, so erschienen die drei Offiziere.

Man grüßte sich mit förmlicher Höflichkeit. Die beiden Freunde beobachteten den Kapitän und bemerkten mit innerlicher Genugthuung, daß er seine Blicke forschend umherschweifen ließ. Er suchte das Dunkel der Büsche und Bäume zu durchdringen, um seinen Verbündeten zu sehen, aber es gelang ihm dies natürlich nicht.

Die beiden Sekundanten traten zusammen, um sich noch einmal zu besprechen. Der Sekundant der Gegenpartei hatte auch für Sternau einen Kavalleriesäbel mitgebracht, da dieser sich augenblicklich nicht im Besitze eines solchen befand. Er machte zunächst einen Versuch, eine Versöhnung zu Stande zu bringen, aber der Kapitän lehnte diesen Versuch mit stolzer Miene und Bewegung ab.

»Kein Wort weiter!« sagte er. »Ich will Blut sehen. Mein Gegner hat die Bedingung gemacht, daß Genugthuung erst dann vorhanden sein soll, wenn Einer von uns durch seine Verwundung gezwungen ist, seinen Degen fallen zu lassen. Ich habe diese Bedingung acceptirt und fühle nicht die mindeste Lust, von ihr abzugehen.«

»Und Sie, Sennor Sternau?« fragte der Sekundant.

»Auch ich halte die Bedingung fest,« antwortete der Gefragte, »und das um so mehr, als sie erst von mir ausgegangen ist. Uebrigens habe ich nur Ihnen noch eine Bemerkung zu machen, wenn Sie dieselbe gestatten.«

»Ich bitte!« sagte der Offizier.

»Ich bemerkte Ihnen bereits gestern, daß mir der Ausgang dieses Kampfes bekannt sei, und Sie glaubten mir nicht. Ich werde Ihnen jetzt den Beweis liefern. Wer den Degen fallen läßt, ist besiegt. Nun wohlan, ich werde meinem Gegner die vier Finger der rechten Hand abschlagen. Es wäre mir leicht, ihn zu tödten, aber ein Schuft muß gezeichnet, nicht aber getödtet werden.«

»Herr!« brüllte der Kapitän.

»Pah!« antwortete Sternau mit dem Tone tiefster Verachtung.

»Sennor,« erinnerte der Sekundant, »Sie selbst haben mich gestern auf die Regeln des Duells verwiesen. Ist es Sitte, seinen Gegner noch am Platze in einer solchen Weise zu beschimpfen?«

»Nein. Es ist ja nicht Sitte sich mit einem Schurken zu schlagen, thut man es dennoch, so geschieht es doch nur unter dem Vorbehalte, ihn als solchen zu behandeln. Uebrigens will ich gleich jetzt Ihnen noch bemerken, daß ich meinen zweiten Gegner ebenso zeichnen werde. Unsere ersten Schüsse werden zu gleicher


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Zeit fallen, aber nicht treffen, auch sein zweiter Schuß trifft nicht, der meinige aber wird ihm die rechte Hand zerschmettern. Vorwärts!«

»Ja, vorwärts!« rief auch der Kapitän. »Er soll in die Hölle gehen, noch ehe er es denkt!«

Sternau antwortete ihm nicht; aber als er seinen Degen erhalten hatte und die beiden Gegner sich nun gegenüberstanden, fragte er den Sekundanten:

»Ist mir vorher noch ein Wort erlaubt?«

»Wenn es keine neue Beleidigung enthält, ja,« lautete die Antwort.

»Es enthält keine Beleidigung sondern nur eine einfache Bemerkung, deren Wahrheit ich später beweisen werde.«

»So sprechen Sie!«

»Wohlan, der Mann, welchem ich jetzt gegenüberstehe, erwartet mit großer Bestimmtheit, daß jetzt zwei Schüsse fallen werden, vielleicht da von der Höhe herab oder hier zwischen den Büschen hervor. Der eine Schuß soll mich, der andere aber hier meinen Sekundanten treffen; der Mörder ist erkauft und soll heut um Mitternacht bei den Ladrillos für den doppelten Meuchelmord seine Bezahlung erhalten.«

Der Offizier trat einen Schritt zurück und rief zornig:

»Sennor, das ist unwürdig, das ist eine neue tödtliche Beleidigung.«

»Es ist die reine Wahrheit,« antwortete Sternau kalt. »Sehen Sie Ihren Kameraden, diesen Kapitän, diesen Kavalier an! Sieht er nicht leichenblaß aus vor Schreck? Sehen Sie nicht die Klinge in seiner Hand zittern? Sehen Sie nicht seine Lippen beben? Sehen Sie seinen Blick, stier vor Schreck und Angst? Ist dies der Anblick eines Unschuldigen?«

Der Sekundant betrachtete seinen Vorgesetzten und sagte, nun selbst erbleichend:

»O Dios, es ist wahr, Sie zittern, Kapitän!«

»Er lügt!« stammelte dieser.

»Und hören Sie, wie sogar seine Stimme zittert?« fragte Sternau. »Es ist die Angst. Er weiß, daß der Herr des Felsens nicht besiegt werden kann; er weiß, daß ich Wort halten werde; er weiß, daß seine rechte Hand verloren ist. Vorwärts, beginnen wir die Komödie!«

Da raffte sich der Kapitän zusammen.

»Ja, beginnen wir!« rief er und drang sogleich auf Sternau ein. »Halt!« rief dieser, indem er ihm mit einem blitzschnellen, gewaltigen Hiebe den Degen aus der Hand wirbelte. »Noch stehen die Sekundanten nicht zu unserer Linken, und noch ist das Zeichen nicht gegeben. Passen Sie auf die Regeln, sonst werfe ich den Degen fort und greife zur ersten, besten Ruthe!«

Der Degen wurde wieder geholt, und die Gegner legten sich aus. Mariano war ein ausgezeichneter Fechter; noch keiner hatte ihn überwunden, aber wie Sternau die in dem Degenkorbe seines Gegners steckenden vier Finger von der Hand trennen wollte, das wußte er nicht; er hielt es für eine Unmöglichkeit.

Jetzt wurde das Zeichen gegeben, und der Kampf begann. Der Kapitän warf sich mit wildem Muthe, oder vielmehr mit wilder Angst auf Sternau; dieser aber stand da, stolz, ruhig und lächelnd, jeden Ausfall mit graziöser aber kraftvoller Leichtigkeit parirend, bis plötzlich seine Augen aufblitzten; ein gewaltiger Hieb trieb den Arm seines Gegners zur Seite; die Klinge wandte sich blitzesschnell, die Spitze


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desselben fuhr in den Korb hinein - ein Ausruf des Kapitäns, und der Degen desselben fiel zur Erde.

»O, ich Unglücklicher, meine Hand!« brüllte er.

Der Degen lag am Boden; im Korbe der Waffe staken zwei abgetrennte Finger; zwei andere lagen daneben, während der Verwundete den blutenden Stumpf in die Schöße seines Rockes grub.

Sternau zog ruhig sein Taschentuch und trocknete das Blut von der Spitze seines Degens ab. Dann wandte er sich an den Sekundanten:

»Sie sehen, daß ich Wort halte, Sennor. Dieser Mann wird mit seiner Rechten niemals wieder eine Dame berühren, welche es ihm nicht erlaubt.«

Da erhob der Kapitän den blutenden Stumpf und rief:

»Mensch, Du bist ein Teufel; aber ich mache Dich doch noch zahm!«

Sein Sekundant trat zu ihm, Lieutenant Pardero auch. Sie sprachen ihm zu und gaben sich Mühe, die Blutung durch einen provisorischen Verband zu stillen. Er ließ es geschehen, indem er wilde, halblaute Drohungen gegen Sternau ausstieß. Dieser kümmerte sich nicht um dieselben. Mariano war zu ihm getreten und sagte:

»Das war ein Meisterstück, welches ich nie für möglich gehalten hätte. Wirst Du das andere Versprechen auch halten können?«

»Sicher,« antwortete Sternau lächelnd.

»Aber fünf Schritte Barriere und beide schießen zugleich!«

»Pah! Paß auf, wie ich dies mache! Aber tritt nicht seitwärts von mir, sondern gerad hinter mich.«

»Dann kann mich die Kugel des Gegners treffen!«

»Nein. Sie müßte ja erst mich durchbohren.«

»So soll sie seitwärts fliegen?«

»Ja, die meine und die seine.«

»Caramba, Du willst auf die Oeffnung seiner Pistole zielen?«

»Ja.«

»Auf seinen rechten Lauf?«

»Versteht sich!«

»Und wenn er nun den linken zuerst abschießt!«

»Das thut so ein Männchen nicht. Habe keine Sorge; es geschieht mir nicht das Mindeste.«

Diese Worte waren leise gesprochen worden, so daß sie von den drei Offizieren ungehört blieben. Der Kapitän war jetzt zur Noth verbunden. Er raunte Pardero zu:

»Wenn Sie diesen Hund niederschießen, quittire ich Ihnen Ihre ganze Spielschuld!«

Pardero nickte mit dem Kopfe, aber es war ein automatisches, seelenloses Nicken, eine fast unbewußte Bewegung. Er sah ebenso bleich aus, wie der Kapitän vorher, und sein Auge hing voll Angst an den Sekundanten, welche jetzt die Barrieren markirten.

Die beiden Doppelpistolen wurden sorgfältig untersucht und geladen, dann wurden sie von den Gegnern aus dem Hute gewählt. Sie stellten sich einander


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gegenüber, nur drei Schritte von einander entfernt. Der Lieutenant stellte sich seitwärts, Mariano aber hinter Sternau.

»Sennor, welche Unvorsichtigkeit!« rief ihm der Sekundant des Gegners zu. »Sie müssen ja getroffen werden!«

»O, mein Freund und ich, wir sind unverwundbar!« antwortete er lächelnd.

Dennoch aber war er sich bewußt, daß es nur das Vertrauen in Sternau's außerordentliche Kaltblütigkeit und Geschicklichkeit sei, welche ihn veranlaßte, eine so exponirte Stellung einzunehmen. Der Kapitän stand an einem Busche in der Nähe, hielt seinen Arm in der improvisirten Binde und schleuderte haßlodernde Blicke auf Sternau. Er hätte jetzt sein halbes Leben, vielleicht noch mehr darum gegeben, wenn er jetzt hätte die Kugel Pardero's nach dem Herzen des Feindes lenken können.

Der Lieutenant erhob jetzt die Hand und zählte:

»Eins!«

Die rechten Arme der Gegner erhoben sich mit den Pistolen, die Läufe gerade auf die Brust des Vis-a-vis gerichtet.

»Zwei!«

Die Hand Pardero's zitterte; er biß die Zähne zusammen und überwand dieses Beben. Er hielt das Auge gerade auf die Stelle gerichtet, wo das Herz Sternau's klopfte. Dorthin, gerade dorthin mußte die Kugel kommen. Auf drei Schritte Entfernung konnte ja gar nicht gefehlt werden, kein Zoll breit, keine Linie breit, nicht den Gedanken eines Haares breit. Und diese Ueberzeugung gab ihm seine Ruhe und sein ganzes Selbstvertrauen zurück; die beiden Mündungen seiner Waffe starrten fest und unverrückbar, als ob sie auf einer granitenen Unterlage ruhten, nach dem Herzen des Gegners. Dieser aber, Sternau, stand hoch und stolz vor ihm mit einem Zuge lächelnder Ueberlegenheit auf den Lippen.

»Drei!«

Das war das Todeswort. Sternau hatte seinen festen Blick nicht vom Auge Pardero's verwandt, dennoch richtete sich seine Waffe bei dem letzten Kommandoworte von dessen Brust mit Gedankenschnelle weg auf die Mündung von dessen Waffe. Die beiden Schüsse krachten. Pardero's Hand wurde mit sammt der Pistole zurückgeschleudert; Sternau's zweiter Schuß blitzte auf, nur einen Augenblick später auch derjenige seines Gegners, aber dieser stieß einen Schrei aus und ließ die Pistole sinken. Zu gleicher Zeit stieß auch der Kapitän dort an seinem Busche einen Schrei aus.

»Meine Hand!« rief der Lieutenant.

»Ich bin getroffen!« schrie der Kapitän.

»Unmöglich!« rief der Sekundant und eilte zu ihm.

»Es ist so,« sagte Sternau ruhig. »Sennor Pardero hat keine feste Hand. Meine erste Kugel ging nach seinem Laufe, warf denselben zurück und diagonalisirte mit der seinigen zur Seite. Meine zweite Kugel zerschmetterte seine Hand und so ging seine zweite zur Seite, rückwärts hinter mich, und wie ich sehe, in den bereits verwundeten Arm meines ersten Gegners. Wer sich schlagen oder schießen will, muß etwas gelernt haben, und wer den Muth hat, Damen zu beleidigen, der muß den Muth haben, die Folgen zu tragen. Ich habe die Gewohnheit, solchen Leuten die rechte Hand zu nehmen. Adieu, Sennores!«


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Er steckte die beiden abgeschossenen Pistolen zu sich und schritt nach seinem Pferde. Da stellte sich ihm der Sekundant in den Weg und sagte:

»Herr, Sie sind Arzt?«

»Ich hatte bereits gestern die Ehre, es Ihnen zu sagen.«

»Nun wohl, hier sind zwei Verwundete!«

»Ich pflege nicht Wunden zu heilen, welche ich schlage, weil sie verdient worden sind; so ähnlich sprach ich mich bereits gestern aus. Uebrigens ist die zweite Wunde Ihres Freundes eine einfache Fleischwunde, wie ich bereits aus der Haltung seines Armes sehe; sie hat nichts zu bedeuten. Vielleicht hütet er sich später vor Freunden, welche auf ihn schießen, während vom Feinde sein Leben geschont wird. Adieu!«

Er stieg auf und ritt davon; Mariano folgte ihm. Die drei Offiziere blieben zurück. Pardero stand da, mit zerschmetterter Hand, und Verdoja ließ sich den Aermel aufschneiden, um seine Schußwunde zu verbinden. Ihre Flüche und Verwünschungen folgten den Davonreitenden nach.

Diese kümmerten sich nicht darum, sondern suchten den Ort auf, an welchem sie ihre Gefangenen verwahrt hatten.

»Wie ist mir jetzt das Herz so leicht!« meinte Mariano. »Ich kam nicht ohne Besorgniß zum Rendez-vous.«

»Du hast mich noch nicht gekannt,« meinte Sternau heiter. »Jetzt aber laß uns eilen, daß wir die Hazienda eher erreichen als sie, sonst kommen wir um eine Ueberraschung, auf welche ich mich ganz außerordentlich freue.«

Sie fanden die drei Pferde noch an den Bäumen, banden sie los, nahmen sie bei den Zügeln und galoppirten davon. Die beiden Gefangenen waren so fest auf ihre Thiere gebunden, daß sie sich kaum regen konnten. Unterwegs nahm ihnen Sternau die Knebeln aus dem Munde.

»Ihr redet kein Wort,« befahl er ihnen, »sonst jage ich Euch eine Kugel durch den Kopf. Ich will Euch sogar die Hände frei geben, doch unter der Voraussetzung, daß Ihr Euch stets hart vor uns haltet. Es geht nach der Hazienda del Erina.«

Er knüpfte ihnen auch die Handfesseln auf, so daß sie nun die Zügel regieren konnten. Sie waren nun nur mit Stricken befestigt, welcher von dem einen ihrer Füße unter dem Pferde hinweg nach dem anderen lief. Dies war nicht nur eine Gnaden- sondern auch eine Vorsichtsmaßregel von Sternau. Entgehen konnten ihnen die Gefangenen nicht; sie waren ja an die Pferde gebunden und hatten keine Waffen, die ihnen von Sternau und Mariano abgenommen worden waren. Ferner wollte Sternau den bei der Hazienda lagernden Lanzenreitern nicht wissen lassen, daß er Gefangene bringe; das hätte dann der Kapitän zu früh erfahren. Gab er den beiden Männern also die Zügel frei, so hatten sie das Aussehen freier Begleiter und konnten sehr leicht für Leute gehalten werden, welche zur Hazienda gehörten.

Es ging im Galoppe dieser Letzteren zu. Das Thor stand, wie jetzt gewöhnlich, offen, und so ritten sie in den Hof ein, ohne von den Soldaten beachtet zu werden. Der Haziendero stand am Portale und erstaunte, sie mit zwei Begleitern und einem ledigen Pferde ankommen zu sehen.


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»Ah, da sind Sie ja,« sagte er. »Wir haben nach Ihnen gesucht. Sie bringen mir Gäste mit, Sennores?«

»Nicht eigentlich Gäste, Sennor,« antwortete Sternau. »Es sind Gefangene.«

Der Haziendero machte ein erstauntes Gesicht.

»Gefangene?« fragte er. »Wie so? Mein Gott, was ist Ihnen schon wieder passirt?«

»Das werden Sie erfahren. Aber bitte, öffnen Sie uns ein Gewölbe, in welchem wir diese Männer sicher unterbringen können, von deren Hiersein die Offiziere der Lanzenreiter zunächst noch nichts wissen dürfen.«

Es wurden den beiden Männern jetzt die Hände wieder gefesselt; dann band man sie von den Pferden los und steckte sie in ein Gewölbe, welches ohne Fenster war und dessen Thür so verschlossen wurde, daß an eine Flucht gar nicht gedacht werden konnte. Die Soldaten merkten nicht das Geringste davon.

Jetzt nun begaben sich die beiden Freunde nach dem Speisesaal, um das Frühstück einzunehmen. Dort fanden sie Helmers, Karja und Emma, welche auf einige Augenblicke ihren reconvalescenten Pflegling verlassen hatten, und erzählten ihnen das gehabte Abenteuer. Petro Arbellez wußte noch gar nichts davon, daß seine Tochter auf dem Dache beleidigt worden sei; er erschrak, als er es hörte.

Als dann die Rede auf das Duell kam, erbleichte sie. Mariano berichtete den ganzen Hergang desselben und Sternau erntete eine wohl verdiente Bewunderung von seinen Zuhörern. Diese war aber gemischt mit der Befürchtung, daß die Lanzenreiter nun an der Hazienda und ihren Bewohnern Rache nehmen möchten. Sternau versuchte, diese Befürchtungen zu zerstreuen.

»Die Lanzenreiter sind ja Untergebene von Juarez, der es früher oder später ganz sicher zum Präsidenten bringen wird,« sagte er. »Juarez aber ist Ihnen wohl gesinnt, Sennor Arbellez, das hat er Ihnen bewiesen, indem er Ihnen die Verwaltung der Hazienda Vandaqua anvertraute. Das werden diese Offiziers bedenken müssen. Uebrigens haben wir gegen diese eine sehr gefährliche Waffe in der Hand, nämlich unsere Gefangenen, welche wir jetzt verhören werden. Der Mensch, welchen ich gestern Abend gefangen nahm, liegt noch wohl verschlossen in meinem Zimmer; ich habe heute noch nicht nach ihm sehen können und werde ihn herbei bringen.«

Er ging nach seiner Wohnung und fand den Mann noch in derselben Lage, wie er ihn verlassen hatte. Es stand zu vermuthen, daß er sich alle Mühe gegeben hatte, frei zu kommen, aber seine Fesseln waren zu fest gewesen. Sein Gesicht hatte eine bläuliche Farbe und ein leises, röchelndes Stöhnen drang unter dem Knebel hervor, welcher ihn verhindert hatte, in freier Weise zu athmen. Sternau erkannte, daß der Gefesselte in kurzer Zeit den Erstickungstod gestorben wäre, und nahm ihm den Knebel ab. Dann band er ihn vom Bette los und befreite auch seine Beine und Füße von den sie umschlingenden Riemen, so daß er nur noch an den Händen gebunden war.

»Stehe auf!« gebot er ihm. »Ich habe mir Dir zu sprechen.« Der Gefangene erhob sich mühsam; er hatte während der langen Zeit, in welcher er in Banden gelegen hatte, den freien Gebrauch der Glieder verloren. Er konnte athmen und so stellte sich eine natürlichere Gesichtsfarbe ein, und seine Augen


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verloren den stieren Ausdruck, den sie gehabt hatten; aber der Blick, welchen er auf Sternau warf, zeigte keine Spur von Ergebung.

»Wie können Sie sich an mir vergreifen!« sagte er. »Ich bin ein freier Mexikaner.«

»Laß diesen dummen Spaß!« antwortete Sternau. »Du siehst ja, daß Du jetzt aufgehört hast, ein freier Mexikaner zu sein!«

»Aber ohne meine Schuld. Ich verlange Freiheit und Genugthuung!«

»Was Du verlangst, ist uns gleichgiltig; was Du bekommst, das wird sich baldigst finden. Nur erwarte nicht, daß ich Theater mit Dir spiele. Du gehst jetzt mit mir!«

Er faßte ihn und schob ihn vor sich her zur Thüre hinaus. Der Mexikaner gab sich Mühe, einen trotzigen Gang und eine eben solche Haltung anzunehmen, aber es gelang ihm schlecht, da in Folge seiner Fesselung das Blut noch nicht in der früheren Weise durch seine Adern pulsirte. Er hatte seine Bewegungen noch nicht wieder in seiner Gewalt, und so kam es, daß er nicht den mindesten Versuch machte, sich durch einen raschen Sprung zu befreien, obgleich Sternau ihn nicht mit der Hand gefaßt hielt.

Als sie in den Speisesaal traten und er die dort Anwesenden erblickte, sagte er:

»Was soll ich hier?«

»Meine Fragen beantworten, weiter nichts,« antwortete Sternau, indem er ihn vorwärts stieß. »Hier stellst Du Dich her! Sieh diesen Revolver; bei der geringsten Bewegung, welche Du etwa unternimmst, um zu entfliehen, schieße ich Dich nieder!«

»Ich protestire gegen eine solche Behandlung!« meinte er trotzig.

Sternau zuckte geringschätzend die Achseln und antwortete nicht, sondern wendete sich zum Fenster. Draußen war der Hufschlag eines Pferdes zu hören, und als er hinaus blickte, sah er einen Lanzenreiter, welcher auf schweißtriefendem Pferde beim Lager ankam. Es war gewiß ein Bote, welcher irgend einen Befehl überbrachte.

Nun wendete sich Sternau wieder zu dem Gefangenen und sagte zu ihm:

»Du stehst vor einem Verhöre, welches über Dein Schicksal entscheidet. Ich hoffe, daß Du an Deinen eigenen Vortheil denkst und mir aufrichtig antwortest.«

»Es hat Niemand das Recht, mich zu verhören; ich gestehe dieses Recht nur dem Richter zu; das aber ist Keiner von Ihnen.«

»Du irrst. Wir Alle, die wir hier sind, sind Deine Richter; Du wirst das sehr bald bemerken. Ich sage Dir, daß wir wenig Federlesens mit Dir machen werden. Du bist gedungen worden, Einige von uns zu tödten. Ich habe Deine Unterhaltung um Mitternacht unten bei den Palissaden und bei der Ruine belauscht und jedes Wort vernommen; ich bin auch bei dem Steine gewesen und habe den Zettel gelesen, welchen der Kapitän dort für Dich verbarg und den Du noch in Deiner Tasche hast. Ihr habt in der Schlucht des Tigers auf mich geschossen - ich weiß das Alles, Du bist ein Mörder, und ich werde Dich ohne alle Umstände binnen zehn Minuten aufhängen lassen, wenn Du nicht durch eine offene Bereitwilligkeit Dein Leben zu retten versuchst.«


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Diese Worte waren in einem hohen Ernst gesprochen, der den Mann bedenklich machte. Er hörte zu seinem Schrecke, daß Alles verrathen sei und der angenommene Trotz wich aus seinen verwitterten Zügen. Er antwortete nur mit einem Schweigen.

»Ich frage Dich zunächst, ob Du aufrichtig antworten willst,« fuhr Sternau fort. »Willst Du nicht, so ist das Verhör allerdings beendet, und Du wirst aufgehängt.«

Der Mann blickte düster zu Boden und antwortete dann:

»Wenn Sie das thun, so wird man mich rächen; darauf können Sie sich verlassen!«

»Wer würde denn der Rächer sein?« fragte Sternau. »Ich habe noch Gefährten.«

»Pah! Du hattest nur noch ihrer Zwei übrig. Sie warteten in dem Kalkbruche auf Dich, wie Du gestern Abend zu dem Kapitän sagtest. Wir sind heute dort gewesen und haben sie gefangen genommen. Du wirst sie bald sehen!« Der Mexikaner erbleichte, antwortete aber doch:

»Das glaube ich nicht. Sie sagen die Unwahrheit, damit ich schüchtern werden soll.«

»Du bist nicht der Mann, deswegen ich eine Unwahrheit sagen würde. Tritt an das Fenster und blicke hinab. Ihre Pferde stehen noch unten im Hofe, und das Deinige mit.«

Der Mann that, wie ihm befohlen war. Er sah die beiden Pferde seiner Gefährten; er erkannte auch das seinige und sah nun ein, daß Sternau die Wahrheit gesagt hatte. Dennoch machte er noch einen Versuch, den Anwesenden Furcht einzuflößen:

»Der Kapitän wird mich rächen!«

Sternau war mit seinen Blicken dem Gefangenen, als dieser aus dem Fenster sah, gefolgt, und dabei bemerkte er drei Reiter, welche von Westen her auf das Lager zu geritten kamen. Er erkannte sie sofort und antwortete dem Manne:

»Siehe jetzt dort hinüber! Erblickst Du die drei Reiter? Es ist der Kapitän mit seinen beiden Lieutenants. Wenn sie näher kommen, wirst Du sehen, daß Verdoja und Pardero ihre rechten Hände verbunden haben. Ich habe mich heute Morgen in dem Kalkbruche mit ihnen geschlagen und dabei Beide um die rechte Hand gebracht. Von ihnen hast Du keine Hilfe zu erwarten.«

Der Gefangene erschrak von Neuem und blickte angestrengt zum Fenster hinaus. Auch die Anderen traten herbei, um die Ankömmlinge zu beobachten. Diese kamen im Trabe näher, ritten ohne bei den Ihrigen, den Soldaten, anzuhalten, in den Hof ein und stiegen ab. Nach einigen Augenblicken hörte man an ihren Schritten, daß sie sich nach ihren Zimmern begaben. Alle Anwesenden hatten bemerkt, welch ein Zug entschlossener Rachgierigkeit auf den Gesichtern der Drei gelegen hatte; diesen Mienen nach hatte man auf einen friedlichen Weiterverlauf der Dinge allerdings nicht zu rechnen.

»Nun, hoffst Du noch auf Hilfe von dem Kapitän?« fragte Sternau.


Ende der einundvierzigsten Lieferung - Fortsetzung folgt.



Karl May: Waldröschen

Karl May – Forschung und Werk