Lieferung 30

Karl May

16. Juni 1883

Waldröschen
oder
Die Rächerjagd rund um die Erde.

Großer Enthüllungsroman
über die
Geheimnisse der menschlichen Gesellschaft

von

Capitain Ramon Diaz de la Escosura.


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»Ja, solch' Zeug hat ein zähes Leben! Aber nun warst Du in größter Lebensgefahr, Bursche, denn der Luchs springt sogar dem stärksten Manne nach dem Kopfe.«

»O, er kam auch, aber ich gab ihm die zweite Kugel. Er sprang gerade bis jenseits des Buchenstammes; da legte ich die Büchse weg und zog mein Messer.«

»Wetterjunge! Schulgerecht wie ein Oberstforstmeister! Glücklicher Weise war es mit dem Vieh vorüber?«

»Es kratzte und schlug nach mir, aber es konnte nicht mehr über den Stamm herüber. Es pfauchte und schrie noch ein wenig, und dann war es todt.«

»Eine Heldenthat, eine wirkliche Heldenthat für so einen Jungen! Ich bleibe dabei, er hat den leibhaftigen Gottseibeiuns!«

Ludewig bekreuzigte sich abermals und murmelte:

»Den Beelzebub; er hat ihn ganz gewiß dahier, der gute, wackere Junge!«

Kurt fuhr fort:

»Da kam der Klaus dazu. Er wollte gar nicht glauben, daß ich einen Wolf und einen Luchs geschossen hatte. Er hatte den Schlitten mit, und ich versprach ihm einen Thaler, wenn er mir das Viehzeug nach dem Vorwerk schaffen wolle. Mein Papa hat den Thaler bezahlt.«

»Aber, wie kam es, daß wir Deine Spur nicht fanden? Nicht einen einzigen Tapfen haben wir gesehen.«

»Der Klaus mußte alle meine Tapfen austreten.«

»Ah, wie schlau! Der Junge hat uns richtig an der Nase herumgeführt! Na, Bube, ich werde mich abfinden. Doch davon später! Jetzt, Steuermann, sagen Sie mir zunächst einmal, was wir mit ihm machen! Soll er seine Prügel bekommen?«

»Hm!« antwortete dieser, »er hat sie eigentlich verdient. Ein Glück ist's, daß meine Frau nach der Stadt ist; sie wäre vor Angst gestorben!«

»Ja, da stehen die Hasen am Berge! Er hat sich die Prämie verdient und auch die Strafe. Na, das wollen wir uns noch überlegen. Jetzt nun das Nothwendigste: die Ohren des Wolfes und den Pelz des Luchses. Wir müssen uns mit dem Wolfe beeilen, weil es da mehrere geben soll, sonst kommt uns ein Anderer zuvor, und zwanzig Thaler oder fünf, das ist doch ein Unterschied. Ludewig, Du bist der beste Reiter - - -«

»Herr Hauptmann, das will ich meinen dahier!« sagte der Angeredete.

»Sattele den Braunen. Ich werde den Bericht schreiben, und dann reitest Du sofort nach Darmstadt.«

Ludewig that einen Freudensprung.

»Zum Oberforstdirektor?« fragte er.

»Ja.«

»Mit den Ohren und dem Fell?«

»Natürlich, und mit meinem Berichte.«

»Sapperment, das wird fein! Darf ich meine Staatsuniform anziehen dahier?«

»Das mußt Du sogar. Du kommst ja zur Audienz. Ich gebe Dir übrigens einen ganzen Thaler Auslösung.«

»Danke! Und soll ich erzählen, wer das Zeug geschossen hat?«

»Natürlich!«


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»Vorwärts! Knöpfe putzen!«

Er sprang davon, um sich in Wichs und Glanz zu werfen, und in einer halben Stunde ritt er zum Thore hinaus, das Fell hinter sich auf das Pferd geschnallt.

Der Braune war lange Zeit nicht an die Luft gekommen, darum flog der Weg nur so unter ihm hin, und er erreichte Darmstadt in der Hälfte der sonstigen Zeit. In der Wohnung des Oberforstdirektors erfuhr er, daß derselbe mit dem Großherzoge nach dem Jagdschloß Kranichstein gefahren sei, welches drei Viertelstunden im Nordwesten der Stadt liegt.

Er ritt in Carriere hinaus und stieg vor der Rampe des Schlosses vom Pferde. Ein Stallknecht trat herbei und fragte ihn, was er wolle.

»Ist seine Excellenz, der Herr Oberforstdirektor hier?«

»Ja, auf einige Tage.«

»Ich muß zu ihm.«

»Oho! Müssen!«

»Ja,« antwortete Ludewig stolz.

»Man muß erst abwarten, ob man vorgelassen wird,« sagte der Stallknecht ebenso stolz.

»Ich bin Kurier!« sagte nun Ludewig noch stolzer.

»Ah, das ist etwas Anderes! Von wem?«

»Das ist Geheimniß. Führen Sie mein Pferd in den Stall!«

Er schnallte das Fell ab, welches in einen Mantelsack geschlagen war, und stieg die Treppe empor. Der Stallknecht ließ sich verblüffen und nahm sich des Pferdes mit aller Sorgfalt an.

Droben traf Ludewig auf einen Lakaien.

»Wie kommt man zum Herrn Oberforstdirektor Excellenz?« fragte er diesen.

»Was wollen Sie?«

»Depesche!«

»Von wem?«

»Vom Herrn Oberförster Hauptmann von Rodenstein.«

»So ist es nothwendig?«

»Ja, sehr!«

»Hm! Seine königliche Hoheit, der Großherzog, sind beim Herrn Direktor; aber da es so nothwendig ist, werde ich Sie melden.«

Der gute Ludewig dachte gar nicht, daß seine einfache Sendung nicht unter die Rubrik der nothwendigen oder dringlichen Kurierbotschaften fiel. Die Erlegung des Luchses hatte ihn berauscht.

Der Lakai führte ihn einen Corridor entlang in ein Zimmer, wo er warten mußte. Nach aber kaum zwei Minuten bereits wurde ihm eine hohe Flügelthür geöffnet. Als er eintrat, war es aber doch, als ob ihm sein Muth entfallen wolle.

Er trat in ein Zimmer, dessen Pracht ihn fast betäubte. Auf kostbaren Fauteuils saßen ein Herr und zwei Damen. Der Herr war der Großherzog Ludwig III.; die Damen waren die Großherzogin, eine geborene Prinzeß von Bayern, und die Oberforstdirektorin. Der Oberforstdirektor aber hatte sich erhoben und trat auf den Jägerburschen zu. Er hatte jedenfalls von den hohen


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Herrschaften die Erlaubniß erhalten, den Kourier in ihrer Gegenwart zu empfangen.

»Sie sind ein Untergebener des Herrn Oberförster von Rodenstein?« fragte der Oberforstdirektor.

Ludewig stand in Achtung, mit dem Mantelsack unter dem Arme.

»Zu Befehl, Excellenz,« sagte er.

»Und kommen als Kurier von ihm?«

»Zu Befehl!«

»Das muß eine höchst wichtige Angelegenheit sein.«

»Höchst wichtig dahier!« stimmte Ludewig bei.

Der Direktor war über dieses »Dahier« einigermaßen überrascht, fragte jedoch weiter:

»Welche Angelegenheit betrifft Ihr Ritt?«

»Excellenz, wir haben den ersten Wolf geschossen!«

Ludewig sagte dies mit möglichst stolzem Nachdruck. Er sprach einstweilen nur von dem Wolfe, denn er wollte der Excellenz so nach und nach zu wissen geben, was für Leute es in Rheinswalden gebe. Leider aber machte die Excellenz ein sehr enttäuschtes Gesicht. Und über das Gesicht des Großherzogs, welcher bisher in sichtlicher Spannung dagesessen hatte, zuckte eine gewisse Ironie.

»Mir dies zu sagen, kommen Sie als Kourier?« fragte der Oberforstdirektor.

»Zu Befehl!«

»Hat Ihnen der Herr Oberförster gesagt, daß Sie sich als Kurier melden sollen?«

»Zu Befehl, nein.«

Die Züge des Herrn verfinsterten sich.

»Und warum thaten Sie das?« fragte er mit scharfer Stimme.

Der gute Ludewig wurde sehr verlegen.

»Hm,« sagte er, »weil ein Wolf doch immerhin eine ganz verteufelte Bestie ist dahier!«

Der Director warf einen überraschten Blick auf ihn und dann einen forschenden auf den Großherzog; da er aber auf dem Gesichte desselben ein belustigtes Lächeln bemerkte, so beruhigte er sich auch seinerseits und fragte:

»Was haben Sie denn hier?«

»Das Fell, Excellenz!«

Da ließ sich ein leises, kurzes, goldenes Lachen hören. Es war die Großherzogin Mathilde, der es komisch vorkam, daß man ein Wolfsfell per Kurier sende. Dieses Lachen gab dem Oberforstdirector seine gute Laune wieder.

»Was soll ich denn mit dem Felle?«

»Hm, das geht mich nichts an dahier. Excellenz haben es verlangt.«

»Ich weiß nichts davon.«

»So ist es Seine königl. Hoheit, der Herr Großherzog selbst gewesen.«

Da warf die Excellenz einen fragenden Blick auf den Großherzog. Dieser meinte mit sehr heiterer Miene:

»Wie kommen Sie zu dieser Ansicht?«

»Ich habe doch den Brief gehört,« antwortete Ludewig muthig.


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»Welchen Brief?«

»Den, welchen der Herr Hauptmann heute aus der Oberforstdirection erhalten hat. Er hat ihn uns vorgelesen dahier, und da stand darunter: Ludwig der Dritte.«

Die beiden Damen konnten ihr Lachen kaum verbergen. Der Großherzog ahnte eine komische Scene und erhob sich.

»Ah, diese Zuschrift!« sagte er.

»Ja, zu Befehl, Hoheit!«

»Und da ist in Rheinswalden heute sofort der erste Wolf geschossen worden?«

»Zu Befehl!«

»So zeigen Sie uns das Fell,« sagte er freundlich.

Dem guten Ludewig kam bei der guten Laune der Anwesenden seine ganze Verlegenheit abhanden. Er fühlte sich als Helden der Situation und wickelte mit wichtiger Miene den Mantelsack auf.

»So, da ist das Fell!« sagte er.

Er breitete es ganz ungenirt auf dem getäfelten Boden aus.

Die Damen hatten sich jetzt auch erhoben, aber alle Vier zeigten eine große Ueberraschung, als sie das Fell erblickten.

»Ah,« sagte der Großherzog. »Was wollen Sie denn! Das ist ja das Fell eines Luchses, aber nicht eines Wolfs!«

Das war dem braven Ludewig zu viel. So dumm hatte er sich diese Herrschaften nicht gedacht. Er trat in höchster Entrüstung einen Schritt zurück, machte mit der Hand eine Bewegung der Ueberlegenheit und platze heraus:

»Na, das versteht sich doch Gottstrampach ganz von selber dahier!«

Die Herrschaften sahen ihn zunächst ganz erstaunt an; als sie aber seine tragikomische Entrüstung bemerkten, konnte sich der Großherzog nicht halten: er brach in ein schallendes Gelächter aus; die Großherzogin folgte ihm, und nun brauchten sich die beiden Andern auch keinen Zwang mehr aufzuerlegen: es erscholl ein munteres, herzliches Lachquartett in dem Zimmer, wie es hier vielleicht noch nicht gehört worden war.

»Sagen Sie einmal, Mann, wie heißen Sie?.« fragte der Großherzog, noch immer lachend.

»Ich bin der Ludwig Straubenberger dahier,« lautete die Antwort.

»Ludwig Straubenberger? Den Namen muß man sich merken.«

»Zu Befehl, Hoheit!« antwortete der Gehilfe ganz verkehrt.

Ein erneutes Lachen erscholl, und dann fragte der Großherzog weiter:

»Wie lange dienen Sie bereits?«

»Fünfzehn Jahre.«

»Und sind noch nicht Förster?«

»Ich mag nicht dahier, denn ich habe den Herrn Hauptmann zu lieb. Wir passen so gut zusammen, und so mag ich nicht von ihm fort.«

Ueber dieses »Wir passen so gut zusammen« lachten die Herrschaften abermals, und dann fragte der Großherzog weiter:

»Ist Ihnen denn bereits ein Avancement angeboten worden?«

»Das versteht sich. Bereits dreimal dahier.«

»Und Sie haben es abgeschlagen?«


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»Ja.«

»Hm, das spricht sehr für Ihre Treue und Anhänglichkeit. Aber sagen Sie, haben Sie denn nichts Schriftliches von dem Herrn Oberförster mit?«

Jetzt erst besann sich Ludewig auf das Schreiben.

»Sapperment,« sagte er, »so albern bin ich in meinem ganzen Leben noch gar nicht gewesen dahier! Hier ist der Brief!«

Er griff in die Tasche, zog das Schreiben hervor und hielt es den Herren entgegen. Der Großherzog langte darnach, aber da zog Ludwig die Hand zurück und sagte:

»Halt, nein! Es ist nur für den Herrn Oberforstdirector Excellenz.«

»Excellenz wird mir gestatten, es zu öffnen!« sagte der Großherzog.

Der Director verbeugte sich, nahm das Schreiben und hielt es ihm entgegen. Der Herzog öffnete und las es; dann sagte er, zu den Damen gewendet:

»Unser guter Rodenstein bleibt doch der Alte; er hat immer etwas Originelles für uns. Erst sendet er uns diesen braven Ludwig Straubenberger, und dann schreibt er uns einen Brief, den ich Ihnen vorlesen muß.«

Er las folgendermaßen:

      »Schloß Rheinswalden, den ..
An die hohe großherzogl. Oberforstdirection zu Darmstadt!
Trotzdem ich nicht viel Zeit habe, theile ich einer hohen Oberforstdirection mit, daß ich einen Knaben besitze, fünf Jahre alt und einige Monate. Er schießt, reitet, schwimmt, haut und sticht und heißt Kurt Helmers, ein tüchtiger Kerl! Ist heute in den Wald gelaufen, schießt den ersten Wolf und nachher sogar den Luchs und sagt doch, es sei eine alte Katze.
Ich sende sofort den Ludewig Straubenberger. Ist auch ein guter Kerl, versteht das Forstwesen aus dem Fundamente, fast besser als ich, hat zwei Ohren und ein Fell, worüber ich mir Quittung und Prämie ausbitte.
Sollten wir noch mehr Wölfe schießen, so schicke ich ihn mit noch mehr Ohren, was ich wünsche, ihm gut zu bekommen, da er ein Freund vom Trinkgelde ist.
Wünsche noch allerseits bestes Wohlsein und Betragen und zeichne mich selbst so wie auch mit Unterthänigkeit
      Kurt von Rodenstein, Hauptmann a.D., Oberförster.«

Natürlich brachte dieses Schreiben eine abermalige Heiterkeit hervor, welche jedoch in Hinsicht auf die Stellung des Schreibers möglichst unterdrückt wurde. Dann suchte der Großherzog sich aufzuklären:

»Was ist es mit diesem Knaben?« fragte er.

»Das ist der Kurt,« antwortete Ludewig. »Sein Vater ist der Steuermann Helmers.«

»Er wohnt auf Rheinswalden. Der Knabe ist, wie es scheint, der Liebling des Herrn Oberförsters?«

»O, er ist Allen ihr Liebling dahier, Hoheit!«

»Wirklich erst fünf Jahre alt und soll einen Wolf geschossen haben, auch den Luchs dazu?«


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»Ja.«

»Das ist ein Irrthum oder eine Mystification!«

»Ein Irrthum ist es nicht, Hoheit, von dieser Mystification weiß ich nicht, was das Wort bedeutet dahier.«

»Ich meine eine Fopperei.«

»Das ist es nicht. Der Kurt foppt uns nicht und läßt sich auch nicht foppen.«

»Aber es ist doch unglaublich!«

»Wir wollten es auch nicht glauben; aber er hat es bewiesen.«

»Ist er ein solcher Schütze?«

»Er schießt die Schwalben.«

»Ah, das wäre ja ein Wunderkind! Aber dennoch, ein Wolf, ein Luchs, hm!«

»Na, Hoheit, ich dächte doch, ein Wolf oder ein Luchs wäre leichter zu treffen als eine Schwalbe dahier!«

»Ja,« lachte der Großherzog, »aber die Angst, die Angst vor einem solchen Thiere!«

»Angst? O, die kennt der Bube nicht. Da kürzlich ging ein wilder Eber auf unsern Doctor Sternau und unsere Gräfin Rosa los, und den hat der Junge sofort erschossen.«

»Doctor Sternau? Hm! Dieser Name -«

Da fiel ihm die Großherzogin in die Rede:

»Erlaube! Doctor Sternau ist der berühmte Arzt, von welchem uns Geheimrath Belling kürzlich referirte.«

»Ah, ja! Doctor Sternau wohnt bei Euch und auch jene spanische Gräfin Rodriganda?«

»Ja, Hoheit.«

Der Großherzog that einige Schritte auf und ab und sagte dann zu Ludewig:

»Wird der Herr Oberförster morgen zu Hause sein?«

»Jedenfalls, Hoheit.«

»Doktor Sternau und die Gräfin auch?«

»Ich denke.«

»Und dieser Kurt Helmers?«

»Der ist auch da, wenn er nicht im Walde herumläuft dahier.«

»Sie reiten heute noch nach Rheinswalden retour?«

»Zu Befehl!«

»So grüßen Sie den Herrn Oberförster von uns, und sagen Sie ihm, daß wir ihn morgen Mittag Punkt zwölf Uhr besuchen würden.«

»Sapperlot!« rief Ludewig erschrocken.

»Und daß wir mehrere Herren und Damen mitbringen.«

»Kreuzdonnerw - - - ah, Verzeihung dahier, Hoheit!«

»Wir wollen uns selbst überzeugen, ob es wahr ist, was er uns über diesen Knaben berichtet.«

»Es ist wahr; ich gebe mein Wort darauf!«

Der Großherzog lächelte und fuhr fort:

»Und ob Sie wirklich ein Fell und zwei Ohren haben, für welche wir Quittung und Prämie geben sollen.«


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»Da liegt es ja! Und die Ohren - heiliges - - na, die habe ich ganz vergessen!«

»Sie haben die Ohren vergessen?«

»Ja, bisher. Aber sie stecken glücklicher Weise noch in der Tasche. Hier sind sie!«

Er zog die Wolfsohren hervor und reichte sie dem Großherzog hin. Dieser nahm sie und legte sie auf den Tisch. Dann sagte er:

»Sie bemerken ferner dem Herrn Oberförster, daß wir wünschen, er stelle uns den Herrn Doktor Sternau und dessen Verlobte vor.«

»Das wird richtig besorgt dahier, Hoheit!«

»Und nun zur Hauptsache, mein Lieber! Der Herr Oberförster ist so fürsorglich, uns auf ein Trinkgeld aufmerksam zu machen.«

»Hm!«

Ludewig zuckte verlegen die Achseln.

»Sind Sie auch seiner Ansicht?«

Die Augen der Herrschaften glänzten vor Vergnügen. Ludewig antwortete endlich beherzt:

»Na, Hoheit, Sie können es ja auch noch lassen dahier!«

»Ah!«

»Ja. Sie kommen ja morgen nach Rheinswalden!«

Jetzt brach ein erneutes Lachen los. So köstlich hatte man sich seit langer Zeit nicht amüsirt.

»Ich habe also Kredit bei Ihnen?« scherzte der Großherzog.

Ludewig fühlte sich so wohlig und animirt, daß er sofort antwortete:

»Na, wenn Sie nicht, wer denn sonst dahier!«

Das Lachen setzte sich fort. Der Herzog griff in die Tasche und zog seine Börse.

»Sagen Sie dem Herrn Oberförster, daß wir die Prämien morgen persönlich zahlen werden,« meinte er. »Wie hoch schätzen Sie das Fell?«

»Hm, es ist hier eine Seltenheit,« sagte Ludewig langsam.

»Ah, Sie werden Geschäftsmann; Sie machen die Waare theuer!«

»Nein, Hoheit. Es stand in dem Briefe, daß das Fell bezahlt werden soll?«

»Allerdings.«

»Na, ein sibirischer Luchsbalg kostet bis fünfzehn Thaler und taugt doch nichts.«

»Das wissen Sie so genau?«

»Ja, die Haare brechen. Dieser hier wird nicht viel billiger sein. Geben Sie, was Sie gutwillig d'ranwenden wollen dahier!«

»Sind zwanzig Thaler genug?«

»Ich wäre schon zufrieden, wenn ich sie kriegte; aber sie sind dem Herrn Hauptmann oder unserem Kurt.«

»Beide werden zufrieden sein. Hier sind nun noch fünf Thaler für Sie. Ist's genug?«

»Sapperment, das versteht sich!« rief Ludewig erfreut. »Der Herr Hauptmann hat mir für den Ritt einen Thaler gegeben, und ich dachte, das wäre schon nobel dahier!«


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Da nahm auch der Oberforstdirektor das Wort:

»Die Sendung war eigentlich an mich gerichtet. Gestatten Hoheit einen Beitrag?«

»Ja, aber ja nicht weniger als ich!« lautete die Antwort.

»Ich gehorche gern. Also, hier sind noch fünf Thaler!«

Ludewig griff schmunzelnd zu.

»Danke!« sagte er. »Ich wollte, es gebe alle Tage einen solchen Luchs dahier!«

»Und wir Frauen?« fragte die Großherzogin.

»O bitte,« meinte Ludewig bescheiden, »das wäre doch ungalant von mir!«

»Na, nehmen Sie; es sind nur drei Thaler!«

»Zehn und drei macht dreizehn! Sapperlot, ich werde noch ganz zu Gelde!«

»Und zwei macht fünfzehn!« sagte die Oberforstdirektorin. »Ich habe nicht mehr bei mir.«

Ludewig nahm das Geld und nickte ihr freundlich zu.

»Lassen Sie sich darüber keine grauen Haare wachsen, Madame Excellenz,« sagte er. »Ich bin nicht habsüchtig; ich bin mit Allem zufrieden dahier.«

»Na, so sind wir also einig,« lachte der Großherzog. »Richten Sie unsere Aufträge gut aus. Wir werden uns gern an Sie erinnern. Leben Sie wohl!«

Er machte die Handbewegung der Entlassung, aber Ludewig blieb stehen und sagte:

»Hoheit, es muß erst noch Etwas von meinem Herzen herunter, ehe ich gehe!«

»Sprechen Sie!« nickte der Herzog leutselig.

»Meine Herrschaften, ich freue mich zwar auch über das Geld, aber die Hauptsache ist doch die Freundlichkeit. Man hat immer einen gewissen Respekt für solche Leute, und wenn es zum Treffen kommt, so sind sie vielleicht besser als andere Menschen dahier. Sie haben mir nichts übel genommen und ich Ihnen auch nicht; das ist die Würze des Lebens, und darum wollte ich, daß Sie so glücklich wären wie ich in dieser Stunde dahier. Adieu!«

Er machte eine sehr tiefe Reverenz, hob dabei seinen Mantelsack vom Boden auf und ging. Hinter ihm erscholl noch ein herzliches Lachen.

Drunten ging er nach dem Stalle, in welchem er den Reitknecht bei seinem Pferde fand.

»Fertig?« fragte dieser.

»Ja.«

»Waren die Herrschaften gnädig?«

»Gnädig?« sagte Ludewig mit wichtiger Miene. »Die Herrschaften sind mit mir stets gut daran. Haben Sie dem Pferde etwas Heu und Wasser gegeben?«

»Ja.«

»So sagen Sie mir, wie viel Sie gewöhnlich Trinkgeld bekommen, wenn Sie das Pferd eines Offiziers oder Grafen einstellen?«

»Hm, Trinkgeld! Meist nichts. Diese Leute sind am Knickrigsten. Zuweilen bekomme ich ein Achtgroschenstück. Man denkt, wir haben Gehalt genug.«

»Hm! Welches war Ihr höchstes Trinkgeld?«


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Der Reitknecht hatte während dieser Unterhaltung das Pferd aus dem Stalle geführt, und Ludewig stieg auf.

»Das Höchste war ein Thaler; den bekam ich von einem englischen Lord.«

»Wie hieß dieser Lord?«

»Lord Wellesfield.«

»So! Hier haben Sie zwei Thaler. Und wenn Sie nach meinem Namen gefragt werden, ich bin der Forstgehilfe Ludewig Straubenberger. Adieu dahier!«

Er sprengte davon.

Unterdessen hatte in Schloß Rheinswalden eine ernstere Unterredung stattgefunden. Kaum nämlich war Ludewig fort, so fuhr ein Wagen in den Schloßhof. In demselben saß jener Staatsanwalt, welcher sich Doktor Sternau's so warm angenommen hatte.

»Ist der Herr Hauptmann zu Hause und auf seinem Zimmer?« fragte er den Burschen, welcher herbei gekommen war, um die Pferde zu halten.

»Jedenfalls.«

Er stieg die Treppe empor und traf eben mit Sternau zusammen, welcher aus seinem Studierzimmer trat.

»Ah, das trifft sich gut, Herr Doktor!« sagte er.

»Willkommen! Sie wollen zu mir?«

»Zu Ihnen, ja. Vorher aber stand ich im Begriff, den Herrn Hauptmann zu begrüßen.«

»So kommen Sie!«

Der Staatsanwalt wurde von Rodenstein herzlich willkommen geheißen.

»Sie bringen Nachricht?« fragte der Letztere. »Nehmen Sie Platz!«

Nachdem man sich eine Cigarre angebrannt hatte, begann der Beamte:

»Sie wissen, daß ich mich nach dem Schiffe »La Pendola« und dem spanischen Kapitän Henrico Landola erkundigen wollte.«

»Allerdings wollten Sie die Güte haben,« meinte Sternau.

»Nun, ich habe es gethan. Ich besitze Verwandte und auch sonstige Verbindungen in dem auswärtigen Amte in Berlin. Ein Freund von mir ist bei der Gesandtschaft in London angestellt. Ich habe da nun alle Minen springen lassen und heute eine Depesche erhalten.«

»Günstig?« fragte Rodenstein.

»Vielleicht. Man hat von Berlin und London aus an verschiedene Konsulate telegraphirt, und das Ergebniß ist die Nachricht, daß die Pendola vorige Woche auf Sanct Helena angelegt hat, um Wasser einzunehmen. Dann ist sie nach der Kapstadt gegangen, wo sie jetzt noch vor Anker liegt.«

»Das ist doch eine günstige Nachricht,« rief Sternau erfreut. »Man weiß ja nun, wo man den Mann zu suchen hat.«

»Weiß man blos das?« fragte der Hauptmann. »Nein, man weiß weit mehr, und zwar, wo man ihn zu suchen und wo man ihn festzuhalten hat!«

Der Staatsanwalt schüttelte den Kopf.

»Das geht nicht, Herr Hauptmann!«

»Nicht? Donnerwetter, warum nicht?«


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»Erstens liegen keine genügenden oder vielmehr sind keine erwiesenen Gründe vorhanden, um die Polizei zum Einschreiten zu bewegen.«

»Ah! Und zweitens?«

»Zweitens ist Landola ein Spanier und wir sind Deutsche. Das soll sagen, daß, selbst wenn die angeregten Gründe vorhanden wären, es doch verschiedene Formalitäten zu erfüllen giebt, welche für uns sehr fatal sind.«

»Warum fatal?«

»Weil sie ihm Zeit geben, zu entkommen.«

Der Hauptmann rückte zornig auf seinem Stuhle hin und her.

»Sie wollen wohl sagen, daß wir ihn durch die Organe der Regierung niemals fassen werden?«

»Wie die Sachen jetzt liegen, ja. Herr Doktor, haben Sie mir über ihre Verhältnisse Alles mitgetheilt?«

»Alles!« betheuerte Sternau. »Selbst das Geringste.«

»Und es giebt Nichts, welches Sie vergaßen oder mir verheimlichten?«

»Ich weiß wirklich nichts.«

»Nun, so bin ich sicher, daß wir das Material noch nicht besitzen, diesen Seekapitän gefangen zu nehmen. Darum habe ich die geeigneten Schritte gethan, um mehr von diesem Materiale zu sammeln.«

»Darf ich fragen, worin diese Schritte bestehen?«

»Sie sagen, daß Henrico Landola in Barcelona anzulegen pflegt?«

»Ja.«

»Nun, so bald er dort ankommt, wird er sich fest rennen. Ich habe nämlich einen unserer gewandtesten Polizisten dort stationirt.«

»Wie freundlich und umsichtig! Die Kosten trage natürlich ich!«

»Darüber sprechen wir später. Dieser Polizist hat zugleich die Aufgabe, Schloß Rodriganda genau zu überwachen.«

»Das ist gut; das kann von großem Vortheile sein!«

»Einen Erfolg habe ich schon zu verzeichnen.«

»Welchen?« fragte Rodenstein neugierig.

»Er telegraphirt mir, daß Graf Alfonzo nach Frankreich verreist sei. Ich setzte mich sofort mit Paris in Verbindung und habe da bereits erfahren, daß er sich in Orleans einen Diener genommen hat und mit demselben in Paris angekommen ist. Dort ist er aber spurlos verschwunden.«

»Man wird ihn finden.«

»Ich hoffe es. Ich ahne, daß diese Reise mit Ihnen in Beziehung steht. Ferner theilt mir jener Polizist mit, daß man gesonnen ist, Ihre Flucht aus dem Gefängnisse in Barcelona zu ignoriren.«

»Das erwarte ich,« sagte Sternau. »Ich hatte nichts begangen.«

»Er hat ferner noch andere Schritte gethan. Er theilt mir mit, daß man nicht gewillt ist, zu bestreiten, daß die Dame, welche sich hier befindet, die Gräfin Rosa de Rodriganda sei.«

»Daraus folgt also, daß man ihr das Recht nicht abspricht, ihr Erbe zu beanspruchen?«

»Allerdings. Ich habe gerade in dieser Beziehung auch mit dem spanischen


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Gesandten in Berlin correspondirt und Depeschen gewechselt. Er ist gewillt, das Möglichste für Sie zu thun.«

»Ich bin Ihnen wirklich zu sehr großem Dank verpflichtet.«

»Sie sehen, daß in dieser kurzen Zeit bereits sehr viel geschehen ist. Weiter, dann habe ich mich hier an den Geheimrath Belling gewandt.«

»In Darmstadt?«

»Ja. Er besitzt großen Einfluß am Hofe. Ich habe ihm das Nöthigste mitgetheilt, und er hat mir versprochen, dahin zu wirken, daß der Großherzog sich für Sie interessirt. Geschieht dies, so haben Sie für hier festen Grund gefunden. Ich erwarte stündlich seine Resolution.«

»Dann würde es ja gerathen sein, mich ihm einmal vorzustellen?«

»Thun Sie das. Sie haben zunächst die Aufgabe, Ihre Braut zu Ihrer Gemahlin zu machen, und hierbei fällt die Gunst des Hofes bedeutend in die Wagschale. Uebrigens kann uns jeder Tag neues bringen. Ich lebe der schönen Hoffnung, daß Alles sich schnell zum Besten lenken lassen wird.«

»Halten Sie noch fest an Ihrer früheren Meinung, daß jener spanische Kapitän nur zur See gefangen werden kann?«

»Es ist noch jetzt meine Ueberzeugung. Sie müssen wissen, wohin er Ihren Freund, jenen Husarenlieutenant Alfred de Lautreville entführt hat. Sie müssen ferner wissen, welche Bewandtniß es mit dem Manne hat, welcher in Mexiko aufgeladen und als Sklave nach Härär transportirt wurde. Das Alles erfahren Sie nur dann von ihm, wenn Sie sein Meister werden, wenn Sie, Gewalt gegen Gewalt, ihn in Ihre Hände bekommen.«

»So ist es beschlossen, daß ich eine Dampfyacht kaufe und nach dem Kap gehe, um ihn zu verfolgen.«

»Ich rathe Ihnen dazu. Vorher aber stellen Sie Ihre hiesige Existenz fest. So, das wäre, was ich Ihnen für heute bringe. Darf man die Damen sehen?«

»Ich werde sie nach dem Salon rufen lassen,« meinte der Hauptmann.

»Ich bitte darum! Ich möchte sie begrüßen, und wir können ja in ihrer Gegenwart noch weiter über unser Thema verhandeln.«

Man begab sich also nach dem Salon, wo der Hauptmann, Sternau, der Anwalt, Gräfin Rosa und die beiden Damen Sternau bis über die Dunkelstunde hinaus beisammen saßen.

Eben erhob sich der Anwalt, um aufzubrechen, als ein Reiter in den Hof galoppirte.

»Wer mag das sein?« fragte er. »Vielleicht ein Bote nach mir. Ich werde erwartet.«

»Nein, den Schritt dieses Pferdes und die Art und Weise dieses Reiters kenne ich,« sagte Rodenstein. »Es ist mein Ludewig.«

Er hatte im Laufe der Unterhaltung dem Anwalte die heutige Heldenthat Kurt's erzählt und auch gesagt, daß er den Burschen nach Darmstadt geschickt habe. Darum kannte dieser die Angelegenheit und sagte, sich wieder niedersetzend:

»So bleibe ich noch eine Minute. Ich möchte doch sehen, was der Oberforstdirector zu unserm kleinen Nimrod gemeint hat.«

Es dauerte gar nicht lange, so trat Ludewig ein.


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»Eingetroffen, Herr Hauptmann!« meldete er.

»Du warst länger als ich dachte,« sagte der Oberförster.

»Der Herr Oberforstdirector war gar nicht in Darmstadt dahier,« entschuldigte sich der Bursche, »sondern in Kranichstein.«

»Und da bist Du hinaus! Nun, wie ging es?«

Ludewig trat mit stolzen Schritten an den Tisch und zählte das Geld auf denselben.

»Dahier!« sagte er. »Das ist für den Balg.«

»Zwanzig Thaler? Ah, das ist viel. Das hätte ich dem Oberforstdirector nicht zugetraut,« sagte der Oberförster.

»Es ist auch gar nicht von 'ihm; vielmehr von der Hoheit selbst.«

»Von der Hoheit? Du meinst doch nicht etwa von dem Großherzog?«

»Ja, gerade den meine ich dahier!«

»Bist Du toll?«

»Nein, aber reich.«

Er lachte im ganzen Gesichte, griff in die Tasche und klimperte mit seinem Gelde.

»Mensch, das klingt a nach lauter harten Thalern!« rief der Hauptmann. »Von wem sind sie?«

»Ich hätte noch zwei Thaler mehr; aber die habe ich dem großherzoglichen Stallknecht als Trinkgeld gegeben, weil er mir den Braunen versorgt hat.«

»Zwei Thaler?« fragte Rodenstein. »Du bist wohl übergeschnappt!«

»Nein. Ich gab sie, weil der Kerl mich erst über die Achsel ansah dahier, und geben konnte ich sie, weil ich fünfzehn Thaler Trinkgeld erhalten habe.«

»Fünfzehn - - ah, Hallunke, Du hast einen Rausch!«

»Das wäre gar kein Wunder, wenn man vor lauter Freude einmal besoffen würde.«

»Wer gab Dir denn das Trinkgeld?«

»Ich will es erzählen, Herr Hauptmann. Vom Großherzog fünf Thaler -«

»Mit dem Großherzog hast Du gesprochen?« fragte der Hauptmann überrascht.

»Ja, mit ihm habe ich gesprochen, und zwar gerade so wie mit mir selbst. Er hat mich sogar »unsern guten Ludewig Straubenberger« genannt dahier! Also von ihm fünf Thaler, von dem Herrn Oberforstdirector fünf Thaler, macht zehn -«

»Mir bleibt der Verstand stille stehn!« sagte der Hauptmann.

Ludwig fuhr fort:

»Von der Frau Großherzogin drei, macht -«

»Alle Teufel,« fuhr Rodenstein auf, »auch mit der hast Du gesprochen?«

»Ja. Von ihr drei, macht dreizehn, und von der Frau Oberforstdirectorin zwei, macht fünfzehn dahier!«

»Aber Mensch, wie kommst Du denn zu dem Glücke, mit dem Großherzog zu reden?«

»O, dazu kann Mancher kommen, Herr Hauptmann. Zum Beispiel Sie, und schon morgen.«

»Morgen?« Rodenstein sprang auf. »Was willst Du damit sagen, Kerl?«


// 709 //

»Morgen kommt der Großherzog, der Oberforstdirector und noch eine ganze Menge anderer Herren, alle mit ihren Weibern dahier.«

»Kerl, ich schlage Dich todt, wenn Du es etwa wagst, Dir einen Spaß zu machen!« rief der Oberförster, außer sich vor Ueberraschung.

»Sie kommen, weiß Gott, sie kommen, Herr Hauptmann!« betheuerte der Bursche.

»Herrgott, ist's möglich! Welch' eine Ueberraschung! Und so viele, mit ihren Damen?«

»Ja.«

»Na, das wird eine schöne Prosit die Mahlzeit! So Etwas muß man doch viel länger vorher wissen! Weshalb nur gerade morgen?«

»Den Kurt wollen sie sehen! Ja, und den Herrn Doctor und unser gute Gräfin Rosa; und die Prämien will der Großherzog bringen, hundertzwanzig Thaler in Summa dahier.«

Diese Nachricht brachte eine ungeheure Aufregung in der Versammlung hervor. Die Anwesenden alle erhoben sich von ihren Plätzen und drangen mit Fragen auf Ludewig ein. Der Oberförster wehrte ab und sagte:

»Halt, Ihr Herrschaften! Das muß ordentlich gehen, nicht Alles durch einander! Laßt mich allein fragen; dann kommen wir schneller zum Ziele.« Und sich nun wieder zu dem Jägerburschen wendend, erkundigte er sich: »Zu welcher Zeit wollen sie kommen?«

»Punkt zwölf Uhr Mittags.«

»Und wie viele wollen kommen?«

»Sehr viele. Weiter weiß ich nichts dahier.«

»So erzähle, wie es Dir in Kranichstein ergangen ist!«

»Nun, ich übergab mein Pferd dem Stallknecht und sagte einem Diener, zu wem ich wollte dahier. Er sagte, daß der Großherzog bei dem Oberforstdirector sei , daß er mich aber anmelden werde, weil ich ein Kurier sei.«

»Donnerwetter, Du hast Dich für einen Kurier ausgegeben!«

»Ja.«

»Bist Du gescheidt oder nicht, Kerl?«

»Ich bin gescheidt; das wird sich gleich zeigen.«

»Da bin ich doch neugierig! Na, ich werde eine schöne Nase erhalten, wenn morgen die Herrschaften kommen! Mach weiter!«

»Der Lakay meldete mich, und ich kam nun in ein Zimmer, wo es Gottstrampach schöner war als im Himmel dahier. Da saßen der Großherzog und der Oberforstdirector mit ihren Weibern.«

»Wem gabst Du den Brief?«

»Hm, den kriegte jetzt einstweilen noch Niemand.«

»Niemand? Aber, Mensch, den mußtest Du doch sofort abgeben!«

»Das fiel mir gar nicht ein, denn ich hatte es vergessen. Sie fragten mich zunächst, wer ich bin dahier und warum ich mich wegen eines Wolfes als Kurier ausgeben könne -«

»Da hat man's! Meine Nase werde ich ganz sicher bekommen, daß ich so einen Dummhut geschickt habe!«


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»Dummhut, Herr Hauptmann? Das dürfen nur Sie mir sagen; einen Andern würde ich zu Boden schlagen, daß ihm die Seele aus der Haut fahren sollte dahier! Ich habe keine Dummheit begangen, sondern mit den Herrschaften gesprochen, wie mir der Schnabel gewachsen ist. Sie sind auch ganz prächtig mit mir einverstanden gewesen, und ich mit ihnen auch. Ich habe ihnen sogar tüchtig vor die Zähne gesprochen, als ich ihnen das Fell ausbreitete und sie dachten, es wäre eine Wolfshaut.«

»Eine Wolfshaut?« fragte der Hauptmann ungläubig.

»Ja.«

»Unmöglich. Der Großherzog und der Oberforstdirector wissen schon eine Wolfshaut von einem Luchsbalge zu unterscheiden!«

»Es ist aber doch so. Sie hatten es für eine Wolfshaut angesehen, bis sie dann selber einsahen, daß es ein Luchsfell war. Und da konnte ich mich nicht halten, da habe ich ihnen die Pathen gesteckt.«

»Sapperlot, Du bist doch nicht etwa unvorsichtig gewesen?«

»Nein, nicht im Geringsten.«

»Was hast Du gesagt?«

»Hm! Der Großherzog sagte: Das ist doch ein Luchsbalg. Und da sagte ich: Na, das versteht sich doch Gottstrampach ganz von selber!«

»Himmelheiligeskreuz -! Bist Du denn geplatzt, Hallunke?«

»Nein, Herr Hauptmann.«

»Haben sie Dich denn nicht gleich arretiren lassen?«

»Nein.«

»Was haben sie denn gemacht?«

»Gelacht haben sie, weiter nichts.«

»Da hat man's! Das ist noch schlimmer! Meinen Boten haben sie ausgelacht; das ist gerade so gut, als ob sie mich selber ausgelacht hätten.«

»Ausgelacht, Herr Hauptmann? Das ist nicht wahr! Vor Vergnügen haben sie gelacht, vor Freude über mich dahier. Und dann haben sie mich gefragt, wie lange ich schon diene und warum ich keine Försterstelle annehme, und als ich sagte, daß ich nicht von dem Herrn Hauptmann weg wolle, da haben sie mich gelobt, und der Großherzog hat gemeint, daß er an mich denken wolle dahier. Und als ich nachher den Brief hingab, da hat ihn der Großherzog laut vorgelesen -.«

»Die Andern und auch die Damen haben ihn gehört?« erkundigte er sich ganz stolz.

»Ja.«

»Nun, was sagten die denn zu einem solchen Briefe?«

Der Hauptmann hielt sich nämlich für einen großen Schrifthelden; er erwartete, jetzt eine große Lobrede zu hören, doch der wahrheitsliebende Bursche sagte:

»Ausgelacht sind Sie worden, Herr Hauptmann.«

»Wa - wa - wa - waaaas?«

»Ausgelacht!«

»Un - un - unmöglich!«

Seine Nase war vor Schreck ganz kreideweiß geworden, und sein Mund stand vollständig offen.


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»Ja!« behauptete Ludewig mit Nachdruck. »Alle, auch die Damen.«

»Aber weshalb denn, beim Teufel?«

»Ja, wegen Vielerlei.«

»Nun, zum Beispiel?«

Der gute Ludewig hatte seinen Herrn lieb, aber es that ihm gut, ihm auch einmal einen Jagdhieb versetzen zu können. Daher sagte er:

»Na, wegen dem Styl dahier.«

»Wegen dem Styl? Das ist mir Gottstrafmich doch zu stark! Kein Mensch hat so einen schönen Styl wie ich!«

Die Anwesenden lächelten, sagten aber nichts. Nur der Jägerbursche meinte:

»Die Herrschaften verstehen vielleicht von einem guten Style nichts; sie lachten, und der Herzog sagte, das wäre originell.«

»Schafskopf, das ist doch ein Lob, aber kein Tadel!«

»Gottstrampach, da bin ich also doch ein tüchtiger Kerl dahier!«

»Wieso?«

»Der Großherzog sagte: Unser Rodenstein bleibt doch immer der Alte; erst schickt er uns diesen braven Ludewig Straubenberger und dann diesen Brief! - Also, wenn der Brief tüchtig war, so bin ich auch tüchtig; das versteht sich ja ganz von selber dahier. Aber gelacht haben sie doch, besonders wegen der Haut und den zwei Ohren.«

»Wieso?«

»Nun, Sie hatten doch geschrieben, daß ich eine Haut und zwei Ohren hätte -«

»Kerl, ich haue Dich! Ich werde doch wissen, was ich geschrieben habe! Ich habe geschrieben: Hier schicke ich meinen Ludewig Straubenberger, und so weiter, der hat eine Haut und zwei Ohren, für die Sie ihm die Prämie geben sollen.«

Der Oberförster blickte sich im Kreise um und sah, daß sich Alle Mühe gaben, ihr Lachen zu verbergen; es ging ihm eine Ahnung auf, und so fragte er:

»Na, Herr Staatsanwalt, Sie lachen. War es nicht richtig?«

»Hm! Aus Ihrer Wortstellung geht allerdings hervor, daß Sie von der Haut und den Ohren Ihres Ludewig gesprochen haben.«

Er glaubte es noch immer nicht, und darum fragte er Sternau:

»Ist's wahr, Herr Doktor?«

»Es ist allerdings so, wie der Herr Staatsanwalt sagte,« antwortete dieser.

»Heiliges Pech, so habe ich mich blamirt, gewaltig blamirt!«

»Und dann das Trinkgeld!« sagte Ludewig. »Sie haben doch geschrieben, daß sie mir Trinkgeld geben sollen.«

»Das habe ich mit Fleiß gethan; da habe ich den Zahlmeister gemeint. Wer denkt denn, daß mein Brief dem Großherzog in die Hände kommt! Na, ich werde eine schöne Nase kriegen, morgen, eine Nase, zwölf Meilen lang! Wer gab Dir denn das Geld für den Balg?«

»Der Großherzog.«

»Donnerwetter, dem hättest Du es schenken sollen!«

»Das fällt mir gar nicht ein; so dumm bin ich nicht dahier. Er hat mir die zwanzig Thaler sehr gern gegeben; ich sah es ihm an.«

»Etwas Schriftliches hast Du nicht bekommen?«


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»Nein. Sie wollen morgen Alles mündlich abmachen.«

»Also was verlangten sie für morgen?«

»Den kleinen Kurt wollten sie sehen.«

»Sie glaubten nicht, daß er's gewesen ist?«

»Nein. Der Großherzog redete sogar von Fopperei".«

»Alle Teufel!«

»Ja. Dann will der Großherzog den Herrn Doktor vorstellen.«

»Papperlapapp! Ich soll ihm den Herrn Doktor vorstellen; so wird er es gemeint haben.«

»Möglich! Den Herrn Doktor und die gnädige Gräfin von Rodriganda.«

»So wußte er bereits von uns?« fragte Sternau.

»Ja.«

»Hat er keine Bemerkung fallen lassen, aus der man errathen könnte, von wem er von uns erfahren hat?«

»Hm, die Großherzogin sagte so Etwas; doch muß ich mich erst besinnen. Es war ein Geheimrath dabei, wie ich glaube.«

»Wurde der Name genannt?«

»Allerdings; er fällt mir aber gar nicht gleich ein dahier.«

»Vielleicht Belling?«

»Ja, ja, Belling, Geheimrath Belling; so war es.«

»Sehen Sie, Herr Staatsanwalt,« sagte Sternau, zu diesem gewendet, »daß der Herr Geheimrath sein Wort bereits gehalten hat!«

»Ich war überzeugt davon,« sagte der Beamte; »ihm haben Sie den Besuch der Herrschaften zu verdanken. Es würde mir angenehm sein, wenn ich morgen auf Schloß Rheinswalden sein dürfte.«

»Was hält Sie ab?« fragte der Hauptmann. »Etwa Ihre amtlichen Verrichtungen?«

»Diese weniger - - -«

»Nun, wenn es nur an meiner Einladung fehlt, so wissen Sie ja, daß Sie mir jederzeit herzlich willkommen sind. Wollen Sie zusagen?«

»Gut, ich komme!«

»Schön, abgemacht! Frau Sternau, wie steht es mit der Küche?«

»Da befinde ich mich allerdings sehr in Verlegenheit,« antwortete sie. »Ich weiß ja nicht, was die Herrschaften zu genießen wünschen - - -«

»Dummheit! Sie müssen nehmen, was sie kriegen; nach ihren Wünschen zu fragen, ist es zu spät. Aber sie sollen zufrieden sein. Wild haben wir?«

»Genug! Schweinernes auch.«

»Na, wegen dem Uebrigen schicken Sie gleich einen Expressen in die Stadt.«

»Aber ich weiß nicht, für wie viele Personen - - -«

»Abermals Dummheit! Wir machen, was wir kriegen können; was übrig bleibt, das essen wir selber. Den Weinkeller werde ich nachher gleich untersuchen.«

Frau Sternau hatte den Haushalt in einer musterhaften Ordnung; aber die Ankunft solcher Gäste war doch immerhin bedenklich. Es verging der Abend und fast die ganze Nacht mit Vorbereitungen, und erst als am anderen Vormittage der


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Staatsanwalt ankam, konnte man sagen, daß man der Ankunft des Großherzogs nun mit Ruhe entgegensehe.

Auch außerhalb des Schlosses war während der ganzen Nacht gearbeitet worden. Der Hauptmann hatte sämmtliche Bewohner von Rheinswalden aufgeboten, um die Straße, welche durch den Wald führte, mit grünen Guirlanden und Festons zu schmücken. Da nur zwei Böller vorhanden waren und Rodenstein ein Freund von Ehrensalven war, so wurden Kanonenschläge gefertigt, welche in regelmäßigen Zwischenräumen angezündet werden sollten, kurz, man traf alle Vorbereitungen, um den Landesherrn gebührendermaßen zu empfangen.

Ludewig hatte den Braunen wieder bestiegen und war den Herrschaften entgegengeritten, um bei ihrem Anblicke sofort umzukehren und ihre Ankunft zu melden.

Der Großherzog war pünktlich. Zwei Minuten später sprengte Ludewig zum Thor herein und rief:

»Sie kommen!«

Draußen begannen allsogleich die Kanonenschläge zu krachen; der hundertstimmige Ruf eines begeisterten Hurrahs kam schnell näher, und da rollten auch schon acht vollbesetzte Equipagen herein, begleitet von Herren, welche es vorgezogen hatten, zu reiten. Es waren wohl vierzig Personen.

Der Hauptmann empfängt die Herrschaft.

Der Hauptmann stand in seiner Oberförstersuniform am Portale, um die Herrschaften zu empfangen. Die Burschen glänzten in ihren Staatsuniformen, an ihrer Spitze der Ludewig. Neben diesen stand der kleine Kurt. Auch er steckte in einer grünen Uniform und hatte einen glänzenden Hirschfänger an der Seite.

Der Großherzog sprang, die Hilfe des Lakaien verschmähend, aus dem Wagen. Er bog sich nach demselben zurück, um der Großherzogin die Hand zu geben, da erblickte er den Burschen.

»Ah, unser Ludewig Straubenberger!« sagte er. »Kommen Sie heran!«

Ludewig pflanzte sich kerzengerade vor ihm auf.

»Geben Sie Ihrer königlichen Hoheit die Hand,« sagte der Fürst; »Sie dürfen ihr aus dem Wagen helfen!«

»Ist sie krank dahier?« fragte der gute Bursche.

Er hatte keine Ahnung davon, daß ihm hier eine Ehre geboten werde, nach welcher mancher hohe Offizier und manche Hofcharge vergebens schmachtete.

»Nein,« lachte der Großherzog; »sie will es so.«

»Na, wenn's sein muß, so denn los!«

Mit diesen Worten trat er an den Wagen, streckte der Großherzogin die Faust entgegen und sagte:

»Guten Tag, Hoheit! Da kommen Sie her, wenn Sie denken, Sie purzeln heraus!«

Er faßte sie an und hob sie buchstäblich aus dem Wagen.

Der Oberforstdirektor hatte zu der Cavalcade von der gestrigen Unterhaltung gesprochen; die Herren und Damen waren in Folge dessen begierig, den braven Ludewig zu sehen; aber daß er mit der königlichen Hoheit so summarisch verfahren werde, hatten sie doch nicht gedacht.

Die Großherzogin machte übrigens gute Miene zum bösen Spiele und legte


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dann ihre Hand in den Arm ihres hohen Gemahls. Sie schritten nach dem Portale, gefolgt von den anderen Herrschaften.

Der Oberförster machte sein glänzendstes Honneur. Sein Gesicht brannte förmlich vor Freude, seinen Landesherrn bei sich zu sehen.

»Hier sind wir,« sagte dieser jovial. »So zahlreich haben Sie uns doch nicht erwartet, mein lieber Rodenstein.«

»Je mehr, desto besser, Hoheit!« antwortete er. »Geben Sie meinem Hause die Ehre, näher zu treten!«

Der Fürst reichte ihm die Hand, welche er leise drückte, dann führte er diejenige der Fürstin mit Ehrerbietung an seine bärtigen Lippen, verbeugte sich vor dem Gefolge und schritt nun Allen voran nach den heute einmal geöffneten Staatsgemächern des Schlosses. Im Saale desselben, welcher von seltenen Geweihen und anderen Jagdtrophäen geschmückt war, nahm man Platz, um eine Erfrischung zu nehmen.

Der Großherzog hatte einige Lakaien mitgebracht, um sich von ihnen bedienen zu lassen; aber Rodenstein kannte seine Schuldigkeit als Wirth; seine wackeren Burschen waren da und machten ihre Sache wider Erwarten ganz gut.

Nach dem ersten Trunke sagte der hohe Herr:

»Ich komme zunächst, um mir einmal Ihren kleinen, fünfjährigen Nimrod anzusehen, doch ist es dazu immerhin noch Zeit. Ist Doktor Sternau zu Hause?«

»Ja. Befehlen Hoheit?«

»Er soll kommen!«

Rodenstein gab einen Wink und Ludewig eilte hinaus.

Die abenteuerlichen, fast romanhaften Erlebnisse des Arztes hatten sich bereits überall herumgesprochen; man kannte ihn noch nicht und war daher nicht wenig begierig, den Mann zu sehen, dem die schönste Gräfin Spaniens ihre Hand schenken wollte.

Er trat ein.

Hatte man vielleicht gedacht, daß ein Arzt schon durch seine äußere Haltung eingestehen werde, welche Gnade und Auszeichnung es sei, in der Mitte solcher Herrschaften erscheinen zu dürfen, so hatte man sich hier allerdings bedeutend geirrt. Hoch und breit von Gestalt, ein echter Enakssohn, trat er in der Haltung eines Königs ein. Kein einziger Zug seines offenen, männlichen Gesichtes verrieth eine Spur von Verlegenheit, und sein großes, schönes Auge flog mit einem ruhigen, forschenden Blicke über die Versammlung, als sei er der Gebieter, welcher hier erwartet werde.

Der Großherzog erhob sich unwillkürlich, und die Anderen folgten seinem Beispiele.

»Mein Gott, der Herzog von Olsunna!« sagte ziemlich laut ein erstaunter Herr vom Hofe, welcher hinter dem Fürsten stand.

Schon hatte Sternau das Fürstenpaar erreicht, und der Hauptmann eilte an seine Seite.

»Der Herr Doktor Sternau!« stellte er ihn vor und trat dann zurück.

Der Fürst und die Fürstin erwiderten die Verbeugung des Arztes, und der Erstere sagte:


// 715 //

»Man hat mir von Ihnen gesprochen. Sie sind in meinem Lande geboren?«

»Ich habe die Ehre, ein Landeskind Eurer Hoheit zu sein.«

»Wie kamen Sie nach Spanien?«

»Ich befand mich in Paris bei Professor Letourbier, als ich nach Rodriganda gerufen wurde, um den Grafen dieses Namens von einem doppelten Leiden zu befreien.«

»Welche Leiden waren es?«

»Der Stein und der Staar.«

»Ah! Gelangen die Operationen?«

»Ich war glücklich .«

»So darf man Ihnen Glück zu so großem Erfolge wünschen!«

Sternau verbeugte sich dankend, und der Großherzog fuhr fort:

»Uebrigens haben wir gehört, daß Sie sich ein außerordentlich angenehmes Honorar mitgebracht haben - -?«

Er lächelte freundlich, was die Eigenthümlichkeit seiner Worte in der Weise milderte, daß Sternau mit einem leisen Lächeln antwortete:

»Es wurde freiwillig gegeben, Hoheit.«

»Wir haben von Ihren Schicksalen gehört, und königliche Hoheit, die Großherzogin, wünscht die Gräfin de Rodriganda zu sehen. Oder hält die Dame sich so zurückgezogen, daß - -«

»O nein, Hoheit. Darf ich Rosa de Rodriganda holen?«

»Ja, wir bitten darum.«

Man nahm wieder Platz. Ein leises Flüstern ging von Mund zu Munde; der Arzt hatte auf Alle, besonders aber auf die Damen, ein bedeutenden Eindruck gemacht. Nun war man desto neugieriger auf die Gräfin, der man den Vater geraubt und sie selbst dann wahnsinnig gemacht hatte, so daß sie nur von einem Arzte wie Sternau hatte gerettet werden können.

Während dieser leisen Unterhaltung hatte sich der Großherzog an den alten Herrn gewendet, welcher hinter ihm jene Aeußerung gethan hatte.

»Es entschlüpften Ihnen vorhin einige Worte, Excellenz - -?« fragte er so, daß es nur noch die Großherzogin hören konnte.

»In einer wirklichen Ueberraschung, Hoheit.«

»Sie nannten einen hohen Namen?«

»Den des Herzogs von Olsunna.«

»Was hat es für ein Bewandtniß?«

»Dieser Doktor Sternau gleicht dem Herzoge so, daß ich fast erschrocken war.«

»Sie kannten den Herzog?«

»Sehr gut. Ich lernte ihn kennen, als ich als Attaché in Spanien war.«

»Zufall!«

»Hm!«

Der Mann machte bei diesem Laute ein so eigenthümliches Gesicht, daß der Großherzog aufmerksam wurde.

»Was meinen Sie?« fragte er.

»Ich dachte soeben an einige Eigenthümlichkeiten.«

»Die man erfahren darf?«


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»Nur Hoheit gegenüber spreche ich davon. Haben Hoheit die zwei kleinen Male bemerkt, welche der Doctor im Gesichte hat?«

»Auf der Stirn und an der linken Wange?«

»Ja; sie sind nicht auffällig, ja, sie geben den Zügen eher etwas Pikantes.«

»Was ist's mit ihnen?«

»Dieselben Male hatte der Herzog ganz an derselben Stelle.«

»Ah, das könnte allerdings aufmerksam machen!«

»Ferner ist Madame Sternau, welche die Honneurs von Schloß Rheinswalden vertritt -«

»Sie ist hier?« unterbrach ihn der Fürst.

»Sie und ihre Tochter. Sie war als Gouvernante in Spanien, und zwar auch kurze Zeit bei dem Herzoge von Olsunna als Erzieherin von dessen Tochter.«

»Das ist allerdings sehr auffällig!«

»Sie ging ungewöhnlich schnell ab und verließ Spanien. Es mußte irgend eine Scene gegeben haben. Ich kenne das, da ich gerade zu jener Zeit bei der Gesandtschaft war und ihren Paß in die Hand bekam.«

»Stimmt das Alter des Arztes mit der Zeit?«

»Ja, und noch mehr: Ich habe diesen Doctor Sternau schon früher gesehen.«

»Ah!«

»Als Kind, ganz zufällig. Das war bei einem Verwandten der Frau Sternau, einem gewissen Wilhelmi, dessen Sohn jetzt in Genheim Lehrer ist. Ich rechnete bereits damals nach und kam zu dem überraschenden Resultate, welches Ew. Hoheit jedenfalls vermuthen werden.«

»Eigenthümlich, sehr eigenthümlich!«

Die Großherzogin hatte Alles mit gehört und sagte:

»Man wird sich für diesen Arzt wirklich interessiren müssen!« Und lächelnd fügte sie hinzu: »Er hat wirklich so etwas -- hm, so etwas »Herzogliches« an sich.«

»Gewiß!« sagte der Großherzog.

Eine weitere Bemerkung konnte er nicht machen, denn es öffnete sich die Thür und Rosa trat am Arme Sternau's ein.

In einer andern Versammlung wäre ein hörbares Ah! der Bewunderung durch den Saal gegangen; diese Hofleute aber waren es gewohnt, sich zu beherrschen; und doch rückte hier und da ein Stuhl; man hörte das leise Scharren eines Fußes oder das Rauschen eines seidenen Kleides, welches durch eine Bewegung der Ueberraschung hervorgebracht worden war.

Und schön war sie, unendlich schön, so schön, daß sich keine der anwesenden Damen nur im Entferntesten mit ihr hätte messen können. Und wie einfach ging sie! Sie trug nichts als ein Kleid von weißem Alpacca, eine Rose im Haare und zwei Nelken am Busen. Es war, als ob die Schönheit Fleisch geworden sei und nun hier eintrete, um die Herren in Entzücken und die Damen in bitteren Neid zu versetzen.

Auch bei ihr erhoben sich Alle. Die Großherzogin ging ihr einige Schritte entgegen und reichte ihr die Hand. Rosa beugte sich mit vornehmstem Anstand auf dieselbe nieder, und als sie den schönen Kopf wieder erhob, senkte sich der vorhin so


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stolze, königliche Blick so innig bittend und vertrauend in das Auge der Fürstin, daß diese ergriffen wurde und sofort fühlte, daß sie diesem schönen Geschöpfe eine Beschützerin sein werde.

»Prinzeß Rosa de Rodriganda y Sevilla!« sagte Sternau laut.

Dann trat er einen Schritt zurück.

»Erlaucht,« sagte die Großherzogin in französischer Sprache, da sie vermuthete, daß Rosa des Deutschen noch nicht mächtig sei; »ich heiße Sie willkommen in unserm Lande und empfehle Sie hiermit der Gewogenheit Seiner Hoheit.«

Der Großherzog neigte gütig den Kopf und sagte:

»Wenn Sie es gestatten, Erlaucht, werden wir Ihnen gern mit unsern Kräften zur Verfügung stehen. Man wird Sie veranlassen, sich den Kreisen unseres Hofes nicht länger zu entziehen.«

»Ich danke, Hoheit, danke von ganzem Herzen,« sagte sie; »aber gestatten Sie mir noch länger, mich in der Einsamkeit dem Andenken von Ereignissen zu widmen, welche mein ganzes Leben umgestaltet haben. Mein Herz wiegt Ihre Freundlichkeit und findet sie unendlich werthvoll für ein verwaistes Leben; aber ich habe noch stillen Abschluß zu halten mit Allem, was hinter mir begraben wurde.«

»Was aber doch wieder auferstehen soll!« sagte die Großherzogin.

»O, wo giebt es einen Christus, der hier sagen kann, Jüngling, ich sage Dir, stehe auf!«

Da sagte der Großherzog:

»Erlaucht, wir sind keine Erlöser, keine Propheten und Wunderthäter, doch wenn es einmal möglich wäre, ein Wort zu sprechen, welches im Stande wäre, eine der gestorbenen Hoffnungen wieder aufzuerwecken, so werden wir dieses Wort sicher und von Herzen gern sprechen. Wir wollen Sie Ihrer Einsamkeit, die Ihnen vielleicht wohlthut und Ihrer Seele den Frieden bringt, nicht entreißen, aber sollten Sie einmal unseres Wortes bedürfen, so hoffen wir bestimmt, daß Sie uns dann nicht vergessen haben. Jetzt aber lassen Sie uns Platz nehmen. Bitte, Erlaucht, an meine Seite! Und Sie, Herr Doctor, nehmen Sie neben Ihrer Königlichen Hoheit Platz. Sie sollen uns erzählen von dem berühmten Lande der Kastanien.«

Die beiden Verlobten erhielten also die Ehrenplätze neben den Hoheiten. Und nun begann die Aufgabe des Hauptmannes, sich als Wirth zu zeigen.

Es gelang ihm vortrefflich. Das Mahl hatte in allen seinen Gängen den Beifall der Herrschaften, und der Wein, welcher so lange unberührt im dunklen Schloßkeller gelegen hatte, war so gut, daß am Ende der Tafel eine fast animirte Stimmung herrschte.

»Rodenstein,« sagte der Großherzog, »treten Sie einmal näher!«

Der Oberförster folgte dem Befehle.

»Wie lange dienen Sie bereits?«

»Vierunddreißig Jahre.«

»Und haben es noch zu nichts gebracht?«

»Zu nichts, Hoheit? Hm! Ich dächte, ich wäre doch bereits Etwas!«

»Ja, aber es ist ein Unterschied zwischen Etwas sein und Etwas haben!«

»Hm!«

Er wußte gar nicht, wohinaus der Großherzog wollte. Dieser fuhr fort:


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»Da Sie also nach Ihrer Meinung Etwas sind, so sollen Sie heute auch Etwas dazu haben. Treten Sie noch näher. Excellenz, geben Sie her!«

Die alte Excellenz, welche vorhin von dem Herzoge von Olsunna gesprochen hatte, griff in die Tasche und zog ein zierlich gearbeitetes Etui hervor. Der Großherzog öffnete es und entnahm ihm den Ludwigsorden, welchen er dem Hauptmann an die Brust heftete.

Dieser wußte gar nicht, wie ihm geschah. Er wurde bald bleich, bald roth; seine Lippen zitterten, und der Athem ging ihm schwer.

»Dies soll Ihnen ein Zeichen unserer außerordentlichen Huld und Gewogenheit sein,« sagte der Großherzog. »Tragen Sie ihn heute, uns Allen zur Freude. Das Uebrige werden Wir noch verfügen.«

Da endlich kam dem Hauptmann die Sprache wieder:

»Königliche Hoheit - Sapperlot - das ist ja - o heiliges Kr - na, so eine Ueberraschung! Das habe ich ja gar nicht verdient!«

»Ob Sie diese Auszeichnung verdient haben, das zu ermessen, kommt uns allein zu. Jetzt nun aber lassen Sie einmal Ihren kleinen Nimrod kommen.«

Rodenstein winkte einem seiner Burschen, und dieser ging, den Befehl des Großherzogs auszurichten. Dieser fragte weiter:

»Wie alt ist er? In Ihrer Zuschrift stand fünf Jahre.«

»Und einige Monate,« sagte Rodenstein.

»Also ein Knabe, der noch nicht schulpflichtig ist, und schießt einen Wolf, sogar einen Luchs? Das ist unglaublich!«

»Der Junge ist ein Mirakel, Hoheit!«

»Das muß so sein, wenn hier nicht ein Irrthum vorliegt. Was meinen Sie, Herr Doctor?«

Sternau antwortete:

»Der Knabe hat beide Thiere ganz gewiß geschossen, Hoheit. Auch ich würde es nicht glauben, aber ich kenne ihn. Er würde ebenso ruhig auf einen Elephanten anlegen wie auf einen Hasen. Er hat bereits einmal in meiner Gegenwart einen wüthenden Eber erlegt, welcher Prinzeß Rodriganda in Lebensgefahr brachte.«

»So bin ich allerdings begierig, den kleinen Helden zu sehen.«

Jetzt trat Kurt ein. Man hatte ihm gesagt, wie er sich zu benehmen habe. Er machte seine Sache ganz vortrefflich. Er kam in kerzengrader Haltung furchtlos heranmarschirt, stellte sich in Achtung vor dem Großherzog auf und machte sein Honneur.

»Ah, da bist Du ja!« sagte der Fürst.

»Sie haben befohlen!« meinte er, indem er die hellen, klugen Augen fest auf seinen Landesvater richtete.

»Wie heißest Du?« fragte dieser.

»Kurt Helmers. Helmers von meinem Papa und Kurt von dem Herrn Hauptmann, der mein Pathe ist.«

»Schön, das ist deutlich! Wie alt bist Du?«

»Fünf und ein Viertel.«

»Was ist Dein Vater?«

»Seemann.«


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»Wo ist er?«

»Er war Steuermann auf der Jeffrouw Mietje, jetzt aber ist er zu Hause, hier auf Rheinswalden.«

»Was willst Du einmal werden?«

»Hoheit, ein tüchtiger Kerl!«

Bei dieser Antwort kniff er die Lippen so energisch zusammen, daß man es ihm ansah, es sei sein voller Ernst.

»Das ist brav von Dir! Aber ich meine, welchen Stand Du Dir wählen wirst.«

»Das verstehe ich nicht; das überlasse ich Papa und dem Herrn Hauptmann, vielleicht auch dem Herrn Doctor Sternau.«

»Warum diesen Dreien?«

»Sie sind gescheidter als ich und wissen es besser, wozu ich tauge.«

Der Großherzog nickte wohlgefällig, sagte aber doch:

»So hast Du also keine Vorliebe für irgend einen Stand?«

»O doch! Ich will Etwas werden, was recht schwer ist, wo man recht viel zu lernen hat und wo man recht kämpfen muß. Ein Jäger, ein Seemann oder ein Soldat.«

»Das gefällt mir. Lernst Du gern? Zähle einmal auf! Lesen?«

»Hm,« sagte er stolz, »das rechnet man nicht! Lesen und Schreiben und so weiter kann jeder Gänsebube! Ich kann Englisch und Französisch; ich muß zeichnen und vieles Andere thun, was mir der Herr Hauptmann lehrt. Sodann kann ich schießen, reiten, fechten, schwimmen, turnen - na, das ist Alles ja nicht schwer!«

»Du bist ein Hauptkerl. Was hast Du denn schon geschossen? Scheibe?«

Diese Frage war in einem ein Wenig spöttischem Tone ausgesprochen, aber der Knabe antwortete ganz ruhig:

»Ja, Scheibe; erst feste und nachher Schwingscheibe, sodann Steine, die man in die Luft warf.«

»Nachher? Einen Hasen etwa schon?«

»Ja, Hasen; in diesem Winter bereits einige Hundert.«

»Auch bereits anderes Wild?«

»Ja.«

»Und wie war es denn mit dem Wolfe?«

»O, das war sehr einfach: ich sah ihn, und da schoß ich ihn nieder. Was kann man weiter thun!«

»So so! Hattest Du keine Furcht?«

Der Knabe sah ihn groß an.

»Furcht? Vor wem denn? Vor dem Wolfe? Der hat sich doch vor mir zu fürchten, vor mir und vor meiner Büchse!«

»Ah so! Aber der Luchs?«

»Das war ebenso; aber er hat zwei Kugeln erfordert.«

»Und auch den hast Du nicht gefürchtet?«

»Nein; ich war dumm; ich dachte erst, es sei eine Wildkatze; ich hatte die Ohrpinsel nicht bemerkt.«

Der fünfjährige Bube sprach so furchtlos und verständig, daß die Hoheiten sich


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förmlich verwunderten. Die Großherzogin legte ihm die feine Hand auf den Kopf und zog ihn zu sich heran.

»Hast Du denn Deine Mama noch?« fragte sie.

»Jawohl,« sagte er.

»Und hast Du sie lieb?«

»Gar sehr!«

»Hast Du denn nicht an sie gedacht, als der Wolf vor Dir stand?«

»Nein,« sagte er ehrlich.

»Das ist Unrecht von Dir, mein Sohn!«

»Unrecht?« fragte er. »Warum?«

»Denke nur an die Thränen Deiner Mutter, wenn Dich der Wolf, oder der Luchs getödtet hätte!«

»Ja,« sagte er, »da hätte sie sehr viel geweint, denn sie hat mich lieb. Aber meine Mama geht doch auch in den Wald - -!«

»Was willst Du damit sagen, Kind?«

»Wenn nun der Wolf oder der Luchs die Mama getödtet hätte? War es da nicht besser, ich ging hinaus und schoß das Viehzeug nieder?«

Die Großherzogin fühlte sich überrumpelt und geschlagen. Sie lächelte und sagte:

»Du sprichst richtig wie ein Held!«

»Ach, Hoheit, ich bin kein Held. Wenn Sie einen Helden sehen wollen, so müssen Sie hier meinen Onkel Sternau ansehen, der ist in Amerika und Afrika gewesen, sogar in Asien. Da hat er Löwen, Panther, Tiger und Elephanten gejagt; da hat er auch mit wilden Menschen gekämpft. Was bin ich da gegen ihn! Ein dummer Teufel!«

»Ah,« sagte der Großherzog, »das haben wir nicht gewußt. Sie waren in Amerika, Herr Doktor?«

»Allerdings,« antwortete Sternau.

»Und im Oriente?«

»Einige Jahre.«

»Und haben wirklich diese Thiere gejagt?«

»Nebenbei. Der Hauptzweck meiner Wanderungen waren natürlich die Studien.«

»Dann werden wir gewiß bald Gelegenheit suchen, uns von Ihnen erzählen zu lassen. Dieser Kleine profitirt gewiß auch von Ihren Erfahrungen?«

»Einigermaßen. Jetzt zum Beispiel lehre ich ihm, das Lasso zu gebrauchen.«

»Nicht möglich! Ein fünfjähriger Knabe!«

»Und doch. Ich habe ihm ein Lasso gefertigt, fünfzehn Fuß lang und vierfach geflochten. Er gebraucht es bereits ziemlich gut.«

»Gegen wen?«

»Gegen die Hunde und Ziegen, sowie gegen sein kleines Ponny, das zwar nicht die Kraft hat, wie größere Thiere.«

»Das möchte man einmal sehen!« sagte die Großherzogin.

»O, das ist nichts!« fiel Kurt ein. »Hoheit müssen den Onkel Sternau sehen, wenn er eine Stunde giebt. Schieße ich fünfzig Schritte weit, so nimmt er drei-


Ende der dreißigsten Lieferung - Fortsetzung folgt.



Karl May: Waldröschen

Karl May – Forschung und Werk