Lieferung 24

Karl May

5. Mai 1883

Waldröschen
oder
Die Rächerjagd rund um die Erde.

Großer Enthüllungsroman
über die
Geheimnisse der menschlichen Gesellschaft

von

Capitain Ramon Diaz de la Escosura.


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Don Manfredo trat mit einem geradezu ungewöhnlichen Glanz auf. Er war eine hohe, volle, imponirende Erscheinung. Zwar war sein Haupt- und Barthaar weiß gebleicht und sein Gesicht von der Sonne Indiens tief dunkel gebräunt, aber dies gab ihm ein schönes, frisches und kräftig-ehrwürdiges Ansehen.

Ein noch schönerer Mann freilich war der erwähnte Administrator Henrico Cortejo. Er stand in den kräftigsten Mannesjahren und galt, obgleich er zwei ziemlich erwachsene Söhne hatte, in dem Geruche, daß er der Löwe der Damenwelt von Saragossa sei. Gasparino, der Eine seiner Söhne, welcher sich mit ihm in Saragossa befand, konnte ihm hierin keine Concurrenz machen.

Die andere Person, welche ein solches Aufsehen erregte, war die Prima-Ballerina, die erste Tänzerin des dortigen Theaters.

Wie ein Komet, wie ein leuchtendes Meteor war sie plötzlich und unerwartet am Himmel von Saragossa erschienen, und so schnell, wie sie gekommen war, so schnell hatte sie alle Welt erobert und sich zu ihren Füßen gelegt.

Sie hieß Hanetta Valdez und sollte, der Sage nach, von ganz armen, obscuren Eltern abstammen, hatte also ihre Erfolge ganz allein nur ihrer Schönheit und Geschicklichkeit zu verdanken. Zu ihren Bewunderern gehörte bald auch der Herzog von Olsunna, doch sagte man sich, daß es ihm nicht gelinge, in ihrer Gunst große Fortschritte zu machen.

Ihr erklärter Liebling, so flüsterte man sich zu, solle Henrico Cortejo, der Vater der zwei Söhne, sein. Und es gab allerdings keinen Tag, an welchem er sich nicht in ihrem Vorzimmer einfand, um in ihr Boudoir eingelassen zu werden.

Graf Manfredo de Rodriganda war von seinen Geschäften zu sehr in Anspruch genommen, um während der ersten Zeit viel an Zerstreuungen und Vergnügungen zu denken, sobald er jedoch das Nothwendige zum großen Theile überwunden hatte, mußte er seine hohe Stellung berücksichtigen und seinen gesellschaftlichen Verpflichtungen Rechnung tragen.

Er gab und nahm Visiten und Soirees; er besuchte auch das Theater, war aber noch nicht dahin zu bringen gewesen, das Ballet zu sehen. Seine echt spanisch ernste Lebensanschauung sträubte sich dagegen. Je mehr er aber über die berühmte Ballerina hörte, desto weniger energisch wurde sein Widerstand, und als er gar einmal in einem Kunstladen die Photographie der Tänzerin erblickte, folgte er einer unwillkürlichen Eingebung, sie zu kaufen und mit nach Hause zu nehmen.

Dort saß er nun allein, um die herrliche Gestalt, die reizenden Züge zu betrachten, und es war ihm, als ob er von den fascinirenden Augen des Bildes förmlich bezaubert werde.

Einige Zeit später hatte sein Kammerdiener im Zimmer zu thun. Es war der kleine, dürre Juan Alimpo, welchen wir später als Kastellan auf Rodriganda gesehen haben. Dieser erblickte das Portrait und blieb ganz erstaunt stehen. Er war der erklärte Günstling seines Herrn und durfte sich schon eine Freiheit gestatten, darum nahm er die Photographie in die Hand, um sie zu betrachten, und fragte dann erstaunt:

»Donnerwetter, Excellenz, wer ist das?«

»Die Valdez,« antwortete sein Herr leutselig.

»Die Valdez? Wer ist denn die?«


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»Sie ist die Prima-Ballerina hier, die erste Ballettänzerin am Theater.«

»Hm!«

Der kleine Kammerdiener stieß diese Sylbe mit einer so eigenthümlichen Betonung hervor, daß sein Herr ihn ansah und fragte:

»Was meinst Du?«

Abermals »hm!«

»Nun?«

»Schade, daß eine solche Schönheit eine Tänzerin ist.«

»Eine Tänzerin muß ja schön sein!«

»Ja, aber diese ist so schön, daß sie eine Gräfin sein könnte. Ist es dieselbe, von welcher die Leute so viel sprechen?«

»Ja.«

»Ich habe längst gewünscht, sie einmal zu sehen.«

»So gehe, ich gebe Dir frei.«

»Danke, Excellenz! Ein braver Diener geht einer Tänzerin wegen nicht von seinem Herrn fort. Etwas Anderes freilich wäre es - - - hm!«

»Was?«

»Wenn - - wenn Sie selbst - - - hm!«

»Nun was denn? Heraus damit!«

»Wenn Sie selbst einmal das Ballet besuchen wollten.«

Jetzt endlich waren die Worte heraus, und er blickte seinen Herrn forschend von der Seite an, um den Eindruck zu beobachten. Dieser schien kein so schlimmer zu sein, als erwartet worden war, denn der Graf hielt den Blick zum Fenster hinaus gerichtet und fragte, freilich mit einer sehr gleichgiltigen Stimme:

»Meinst Du wirklich, Alimpo?«

»Ja,« antwortete dieser schnell.

»Nun, wir werden ja einmal sehen!«

Mit diesem Worte schien der Graf das Gespräch als beendet zu betrachten; aber Alimpo war dies gar nicht zufrieden. Er räusperte sich ein klein Wenig und sagte dann:

»Man müßte warten, bis ein recht schönes Stück gegeben wird, wie zum Beispiel »die Königin der Sonne«, dieses Stück mit einem Ballet ausgestattet ist.«

»Du hast es wohl einmal gesehen?«

»Nein.«

»Wie kommst Du denn darauf?«

»Hm, es wird heut gegeben.«

Jetzt drehte sich der Graf rasch zu ihm herum und sagte:

»Caracho, Du bist ein Schlaupelz!«

»Ich? Ich?« fragte Alimpo verlegen. »O nein!«

»O doch! Erst thust Du, als ob Du die Tänzerin nicht kennst, und nun weißt Du auf einmal, welches Stück heut gegeben wird.«

»Es steht ja in allen drei Blättern der Stadt!«

»So! Und Du willst das Stück gern sehen?«

»O, sehr gern, Excellenz! Ich habe gehört, daß es ganz außerordentlich


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schön sein soll. Es kommen darinnen Engel und Teufel, Geister, Elfen, Feen und lauter Königinnen vor.«

»So kannst Du also gehen!«

»Und Sie, gnädiger Herr?«

»Ist es Dir wirklich unmöglich, allein zu gehen?«

»Ganz unmöglich!«

»Nun gut! Welcher Besuch ist für heut Abend bei uns angesagt, oder sind wir irgendwo eingeladen?«

»Weder das Eine, noch das Andere.«

»Gut, so werden wir in die Oper fahren!«

Das Gesicht des kleinen Alimpo glänzte vor Freude, und er küßte seinem gütigen Herrn vor lauter Dankbarkeit die Hand.

Es war jetzt dem Grafen sehr willkommen, daß Juan Alimpo die Initiative ergriffen hatte. Das Bild der Tänzerin hatte einen solchen Eindruck auf ihn gemacht, daß er die Stunde der Vorstellung kaum erwarten konnte.

Und wie so ganz anders war es doch dann, als er sie endlich sah!

Die Musik hatte eine rauschende Einleitung beendet; da hob sich der Vorhang und die Ballerina erschien. Sie trat auf die Bühne, strahlend wie eine Sonne. Ihre herrlichen Formen glänzten durch die spinnewebenartig durchsichtige Hülle; ihre volle, üppige Gestalt schien aus den unwiderstehlichen Formen einer Juno und Venus zusammengesetzt zu sein, und ihr prachtvoller Kopf, die feine Rundung ihres Profils und das sinnbethörende Feuer ihrer Augen waren geradezu unwiderstehlich.

Graf Manfredo's Blicke hingen nur an ihr. Er sah sie nicht tanzen; er sah auch die Anderen nicht. Er achtete nicht der Scene und der Verwandlungen. Er sah nur diese Augen, diese unter der Seidengaze schwellenden Formen; er befand sich wie im Traume, und als am Schlusse der Vorstellung der Vorhang fiel, wäre er noch lange wie bezaubert stehen geblieben, wenn nicht Alimpo ihm den Hut gebracht und ihn dadurch an das Gehen erinnert hätte.

Da erst holte er tief Athem und sagte:

»Schicke den Wagen nach Hause!«

»Wir fahren nicht, Excellenz?« fragte der kleine Diener, ganz erstaunt über eine so ungewöhnliche Extravaganz.

»Nein. Wir gehen, und sobald die Läden noch offen sind, so führst Du mich zum ersten Juwelier!«

Alimpo wußte sich den Befehl seines Herrn gar nicht zu deuten, aber er mußte ihn erfüllen. Beim Juwelier angekommen, kaufte der Graf einen kostbaren Brillantschmuck, den er draußen auf der Straße dem Diener gab.

»Weißt Du, was Du sollst?« fragte er ihn.

»Nein, Excellenz,« antwortete Alimpo ebenso wahr wie naiv.

»Weißt Du die Wohnung dieser Valdez?«

»Nein, ich weiß sie nicht; ich kann sie aber erfahren, und zwar jetzt gleich, wenn es sein muß!«

»Es muß sein! Du gehst in ihre Wohnung, zu ihr selbst. Verstanden?«

»Sehr gut!« nickte Alimpo.


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»Und giebst ihr den Schmuck, aber nur ihr selbst, und sagst, ein Bewunderer der Sonnenkönigin sende ihn, obgleich er viel zu arm für eine solche Herrscherin sei.«

»Donnerwetter, Excellenz! Er kostet ja fünfzehntausend Duros!«

»Das geht Dich nichts an! Wirst Du bei ihr nicht vorgelassen, so bringst Du den Schmuck wieder mit.«

»Das wird klüger sein, gnädiger Herr! Was aber soll ich sagen, wenn man mich nach dem Namen des Gebers fragt?«

»Nichts. Du verschweigst ihn.«

»Soll ich auf Antwort warten?«

»Nein. Sobald Du den Schmuck abgegeben hast, kommst Du nach Hause, denn ich bin begierig, zu erfahren, was sie gesagt hat. Jetzt gehe!«

Der Graf ging zu Fuße nach seiner Wohnung zurück; der Diener aber schritt noch ein Stück in die Straße hinein und erkundigte sich dann bei einem ihm Begegnenden nach der Wohnung der Tänzerin. Sie lag zufälliger Weise nicht sehr weit entfernt; dies war der Grund, daß er sogleich bei der ersten Frage Auskunft erhielt.

Er schritt auf ein hohes Haus zu, durch dessen Thor er trat. Dann stieg er eine hell erleuchtete Treppe hinan und gelangte an eine Thür, an welcher eine Karte mit dem Namen »Hanetta Valdez« befestigt war. Auf sein Klingeln wurde geöffnet, und das volle, freundliche Gesicht einer Dienerin erschien.

»Was wünscht Ihr?« fragte sie.

»Ist Sennora Valdez schon daheim?« fragte er.

»Nein.«

»So muß ich warten, denn ich habe einen Auftrag.«

»Noch so spät! Kann ich es nicht besorgen?«

»Nein. Ich habe Etwas abzugeben.«

»Von wem?«

»Das ist Geheimniß. Darf ich nicht eintreten, Sennorita?«

»Eigentlich nicht. Aber wenn Ihr hübsch ruhig warten wollt, so mögt Ihr immerhin kommen.«

Sie öffnete die Thür vollends und ließ ihn in ein kleines Vorzimmer treten, wo sie nun Gelegenheit hatte, ihn genauer zu betrachten. Dem guten Alimpo war es unter dem Blicke dieser hübschen Augen ganz so, wie es vorhin im Ballete seinem Herrn bei den zündenden Blicken der Tänzerin zu Muthe gewesen war: er fühlte sein Herz klopfen, aber nicht ängstlich, sondern so recht wohlthuend und selig.

»Aber,« sagte sie im Tone der Ueberraschung, »was ist denn das! Ich glaube, ich täusche mich. Heißt Ihr Juan Alimpo, Sennor?«

»Ja, der bin ich.«

»So seid Ihr wohl gar wirklich der kleine, gute Juan Alimpo aus Rodriganda?«

»Klein?« fragte er, ein wenig unzufrieden. »Nun, so ganz und gar klein bin ich doch wohl nicht. Ihr seid noch einen ganzen Finger breit kürzer als ich!«

»Das ist möglich,« lachte sie. »Aber Sennor, seht mich doch einmal genauer an! - Erkennt Ihr mich nicht wieder?«

»Nein,« sagte er verlegen. »Habe ich Euch denn einmal gekannt, Sennorita?«

»Na, und ob!«


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»Wer seid Ihr denn?«

Ihre hellen, schelmischen Augen lachten ganz glücklich, als sie sagte:

»Ich bin vier Jahre jünger als Ihr - - -«

»Ah! Auch aus Rodriganda?«

»Ja. Kennt Ihr das kleine, unartige Nachbarding nicht mehr, welches so oft auf Euren Rücken geritten hat?«

»Verdammt! So seid Ihr am Ende gar - - -«

Er hielt mit offenem Munde inne. Nein, das kleine, unartige Nachbarding, diese kleine, böse, abscheuliche Hummel konnte doch unmöglich ein so hübsches, dralles Mädchen geworden sein!

»Nun, so redet doch nur weiter, Sennor!« lachte sie, indem sie ihm zwischen den purpurnen Lippen hindurch zwei prachtvolle Reihen allerliebster, kleiner Zähnchen zeigte.

»Hm,« brummte er, halb froh und halb verlegen. »Ihr seid doch nicht etwa Nachbars Elvirita?«

»Freilich bin ich die, die Elvirita, wie Ihr mich immer nanntet, oder die Elvira, wie ich jetzt heiße, weil ich einstweilen groß gewachsen bin.«

»Donnerwetter!« fluchte er bewundernd. »Ihr seid verdammt hübsch geworden!«

»Geht, Sennor Alimpo!« sagte sie verschämt.

»Bei der heiligen Madonna, es ist wahr!« betheuerte er.

»O, auch Ihr seid anders geworden, und zwar ein Bischen hübscher doch!« lächelte sie.

»Nur ein Bischen? - Donnerwetter, das ist nicht genug! Ich wollte, daß ich unendlich hübscher geworden wäre, so ein wahrer Engel ungefähr.«

»Ah! Weshalb wollt Ihr das?«

»Weil ich dann Euch vielleicht ein Bischen gefiele.«

Es war auf einmal ein ganz ungewöhnlicher Muth über den wackeren Alimpo gekommen. Er faßte das Mädchen bei der Hand und blickte ihr tief in die Augen.

»Geht, Sennor!« sagte sie erglühend. »Was kann Euch daran liegen, ob Ihr mir gefallt!«

»O, sehr, sehr viel, Elvira. Aber, dürfen wir nicht wieder »Du« sagen wie früher?«

»Nein, denn Ihr seid ein so vornehmer Herr geworden.«

»Ich? Ah! Inwiefern?«

»Ihr tragt ja die Livree des Grafen de Rodriganda!«

Er blickte an sich herab und schlug sich dann plötzlich mit der Hand vor die Stirn.

»O heilige Madonna, bin ich dumm!«

»Warum?« fragte sie erstaunt über diese unerwartete Aufrichtigkeit.

»Ja. Und mein Herr, der Graf, ist noch dümmer!«

»Ah!« lachte jetzt das Mädchen auf. »Das sollte er hören!«

»O, er würde mir ganz gewiß recht geben. So dumm wie heute sind wir Beide seit langer Zeit nicht gewesen.«

»Inwiefern denn, Alimpo?«


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»Weil ich nicht wissen lassen soll, wer ich bin und von wem die Diamanten kommen, und trage doch diese Livree.«

»Diamanten?« rief das Mädchen erstaunt.

»Ja; für fünfzehntausend Silberduros.«

»O mein Gott, mir wird ganz - ganz dumm vor dem Kopfe!« sagte Elvira, indem sie die Hände zusammenschlug. »Für wen sind sie denn?«

»Für die Ballerina.«

»Für meine Herrin? Von wem kommen sie?«

»Das darf ich ja eben nicht sagen.«

»Und trägst doch seine Livree? Also vom Vicekönig?«

»Ich sage es nun gerade nicht!« meinte er trotzig.

»Das hast Du auch nicht nöthig,« lachte sie. »Es ist wohl gar ein Geschenk?«

»Freilich.«

»O Du heilige Mutter Gottes! Ein Geschenk von Diamanten für fünfzehntausend Duros! Wofür denn?«

»Hm, für das Tanzen jedenfalls. Ich weiß es nicht.«

»Hat er sie denn tanzen gesehen?«

»Heute. Dann rannte er zum Juwelier, kaufte die Steine und schickte mich her, um sie ihr persönlich zu überreichen. Aber ich soll nicht sagen, von wem sie sind.«

»Höre, Alimpo, er ist verliebt in sie!«

Der Diener machte ein ganz perplexes Gesicht.

»Ver - liebt! Du bist nicht gescheidt!«

»Nicht? O, ich sage Dir, daß wir Frauenzimmer in solchen Sachen sehr gescheidt sind.«

»So?« fragte er, einigermaßen unruhig. »Warum denkst Du, daß er verliebt ist?«

»Weil er ihr ein solches Geschenk giebt. Einen solchen Reichthum giebt man nur, wenn man ganz und gar verliebt ist.«

»Donnerwetter!«

»Ja!« sagte sie triumphirend.

»Ich denke sogar, so ein Geschenk giebt man nur, wenn man geradezu verrückt ist,« sagte Alimpo.

»Geh, Du bist nicht höflich!« schmollte sie.

»O doch; gegen Dich zum Beispiel vorzugsweise gern.«

»Also, wenn Du nun zum Beispiel in mich verliebt wärst?«

»Hm, das wäre sehr leicht möglich!« schaltete er schnell ein.

»Würdest Du mir Diamanten geben?«

»Ich habe ja keine!«

»Aber wenn Du reich wärst?«

»Ah -! Oh -! Hm! - Ja, ich würde Dir vielleicht welche geben! Ganz gewiß!«

»Na siehst Du, daß es nur auf die Liebe ankommt? Er ist verliebt in sie; das ist gewiß!«

»Alle Teufel! Was soll daraus werden?«


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»Ja, das ist nun allerdings eine schlimme Sache! Kann ich die Brillanten einmal sehen?«

»Nein. Wenn die Ballerina käme!«

»O, die kommt noch lange nicht. Sie kommt selten vor Mitternacht.«

»Ah! So muß ich diese lange Zeit hier warten!« meinte er.

»Freilich. Das ist Dir wohl nicht lieb?«

Er warf einen verrätherischen Seitenblick auf sie und sagte:

»O doch, sehr lieb!«

»Nun, so siehst Du also, daß wir Zeit haben, uns die Steine zu betrachten. Bitte, zeige sie mir!«

»Umsonst? Da zeige ich sie nicht her!« sagte er entschieden.

»Ja, was willst Du denn haben?«

»Hm,« schmunzelte er muthig, »einen Kuß wenigstens!«

»Geh, Du Böser!« rief sie erröthend.

»Gut, so packe ich nicht auf, und nun verlange ich sogar drei!«

»Das ist zu viel, ganz entschieden zu viel!« rief sie empört.

»Zuviel, für Diamanten im Werthe von fünfzehntausend Dollars?«

»Hm!« besann sie sich. Sein Argument schien Eindruck zu machen, und darum sagte sie: »Gut, aber Du bekommst die Küsse erst, wenn ich die Steine gesehen habe.«

»Nein. Ich mache es jedoch gnädig: einen zuvor, einen beim Angucken und einen hinterher. Pasta!«

»Gut! Hier hast Du den ersten. Aber nun setze Dich hier neben mich auf das Sopha. So Etwas muß man sich in aller Ruhe und Bequemlichkeit betrachten können.«

Sie reichte ihm ihre frischen, rothen Lippen hin, und er gab ihr einen langen, herzhaften Kuß auf dieselben. Dann nahmen sie neben einander Platz. Er öffnete das sorgfältig verschnürte Paquet, entnahm demselben das Etui, und ließ nun die Brillanten im Strahle des Lichtes funkeln.

»Ah!« rief sie, vor Entzücken so weg, daß sie den Kuß gar nicht bemerkte, den er ihr abermals gab. »Welch' eine Pracht und Herrlichkeit. Diese Diamanten!«

»Fast so hell wie Deine Augen!« Dabei gab er ihr den dritten Kuß.

»Die Rubinen!« sagte sie.

»Gerade so schön wie Deine Lippen!« Dabei gab er ihr den vierten Kuß.

»Hier auch Perlen!« rief sie entzückt.

»Schöner nicht, als Deine Zähne!« Dabei erhielt sie den fünften Kuß, und jetzt erst merkte sie, daß er sich gar nicht mehr an ihren Kontrakt hielt. Sie schob ihn fort und sagte:

»Hier ein Saphier, und hier zwei Smaragde! Geh, Du Böser, das haben wir nicht ausgemacht!«

»Allerdings nicht,« entschuldigte er sich. »Aber ich habe auch nicht gedacht, daß der Schmuck gar so schön ist. Ich bin viel zu billig gewesen. Für jeden Stein einen Kuß!«

»Packe Dich!«


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Sie wollte ihn abwehren, aber es gelang ihr nicht. Er drückte sie an sich und küßte sie nach Herzenslust. Endlich erhielt sie ein Wenig Athem, und dies benutzte sie zu dem Ausrufe:

»Aber Du störst mich ja! Wann soll ich da die Steine betrachten!«

»Ach, was Steine! Ein Kuß von Dir ist mir lieber als alle Steine der Welt!«

»Ist das wahr?« fragte sie.

»Ja. Höre, Elvira, lege einmal den Schmuck weg, und gieb mir Deine beiden Hände.«

»Warum?«

»Das wirst Du gleich hören.«

Sie erglühte und sagte abwehrend:

»Aber dann vergeht die Zeit, und ich habe mir den Schmuck nicht ansehen können!«

»Thue mir nur eine kurze Minute den Willen, dann sollst Du Dir ihn betrachten können, so lange es Dir beliebt!«

»Nun gut. Hier hast Du meine Hände!«

Sie legte den Schmuck neben sich auf das Sopha und reichte ihm die Hände dar. Er ergriff dieselben, blickte ihr treu und aufrichtig in die Augen und fragte:

»Weißt Du noch, Elvira, daß wir als Kinder immer gute Freunde waren und uns lieb hatten?«

»Ach, ja!«

»Dann mußten wir aus einander, aber ich habe stets an Dich gedacht.«

»Ich auch an Dich!«

»Bist Du mir noch so gut wie früher, Elvira? Ich bitte Dich darum!«

»Nun, so will ich Dir noch gut sein. Und Du?«

»O, ich habe Dich so lieb, daß - daß - daß ich Dir gleich diese Steine schenken würde, wenn sie mir gehörten!«

Da lachte sie in glücklicher Lust hell auf und sagte:

»Da wärst Du ja sinnlos, verrückt, Alimpo!«

»Nein, meine Elvira. Ich war sehr dumm, als ich das vorhin sagte.«

»Und nun willst Du gescheidter sein?«

»Gewiß. Aber nur unter einer Bedingung, und zwar unter der, daß Du meine Braut, meine Frau werden willst.«

»Heilige Lauretta, bist Du rasch, Alimpo!«

»Ja. In so wichtigen Dingen darf man keine Zeit versäumen. Antworte mir, Elvira.«

»Hm! Wirst Du mir denn auch gehörig gehorchen?«

»Ja. Und Du mir?«

»Gewiß!«

»So sind wir einig?«

»Einig!« lachte sie glücklich.

»Hurrah! So ist's recht! Nun ist's gut! Nun giebst Du mir noch einen recht tüchtigen Kuß, und dann kannst Du Dir die Steine vollends betrachten!«

Der Kuß wurde gegeben und dann die Steine wieder vorgenommen; aber das


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Beschauen derselben ging doch nicht ohne die verschiedensten Zärtlichkeiten ab, und als Elvira ganz zufälliger Weise an die Uhr blickte, bemerkte sie zu ihrem Schreck, wie weit der Zeiger bereits vorgeschritten war.

»Mein Gott, eine Viertelstunde vor Mitternacht!« rief sie.

»Verdammt!«

»Packe schnell wieder ein! Meine Herrin kann jeden Augenblick kommen,« sagte sie.

»Wird sie meine Uniform, meine Livree kennen?«

»Wohl nicht.«

»Das ist gut, da sie nicht wissen soll, von wem das Geschenk ist. Oder wirst vielleicht Du es ihr sagen? Ich bitte, es nicht zu thun.«

»Gut, so werde ich schweigen!«

»Auch wenn sie Dich fragt?«

»Ja. Heute wird sie mich überhaupt gar nicht fragen, da sie jedenfalls Besuch mitbringt.«

»Donnerwetter! Herren?«

»Ja.«

Er blickte sie überrascht an.

»Eine Dame bringt nach Mitternacht noch Herrenbesuch mit?« fragte er gedehnt.

»Ja. Das thun Sängerinnen und Tänzerinnen nicht anders.«

»Ah! Hm! So machen es wohl ihre Dienerinnen ebenso?« fragte er, indem er die Stirn in unmuthige Falten zog.

»Alimpo!« rief sie verletzt. »Ich bin keine Tänzerin! Ich bediene Sennora Valdez nur so lange, als sie in Saragossa und in diesem Hause lebt.«

»Ah,« sagte er mit sich wieder aufheiternder Miene, »so hast Du Deinen Dienst nicht bei ihr, sondern beim Wirthe dieses Hauses?«

»Ja.«

»Das ist etwas Anderes! Es würde mich sehr unglücklich machen, wenn ich Dich nicht mehr lieb haben könnte, meine gute Elvira.«

»Da darfst Du keine Sorge tragen, mein lieber Alimpo,« sagte sie zärtlich.

»Wer sind denn die Herren, welche gewöhnlich noch kommen?« fragte er.

»Der Herzog von Olsunna und dann Sennor Henrico Cortejo.«

»Donnerwetter! Der Sachwalter meines Herrn. Kommen sie beide zugleich?«

»O nein! Der Eine wird nur dann bestellt, wenn der Andere nicht da ist. Oft kommt der Eine, wenn der Andere soeben gegangen ist.«

»Und was thun sie da?«

»Das bekomme ich nicht zu sehen, aber« - fügte sie altklug hinzu - »ich denke mir, daß sie sich Mühe geben, ihre Liebe zu erwerben.«

»Ah! Und wie fangen sie das an?«

»Sie geben ihr Geschenke, Ringe, Ketten, Armbänder, Sträußer, Torten und ähnliche Sachen.«

»Da muß sie doch sehr reich werden.«

»O, sie ist es schon. Es kommen auch noch andere Herren, aber die werden nicht so sehr spät vorgelassen. Diese beiden haben allein den Vorzug.«


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»Wie lange bleiben sie hier?«

»Oft bis früh.«

»Sapperment! Hm! Würdest Du mich auch bis früh hier behalten, Elvira?«

»Nein, denn ich muß ausschlafen!«

»Richtig! Bleibe dabei, meine Elvira. Einer Liebschaft wegen darf man den Schlaf nicht versäumen; das ist immer mein Grundsatz gewesen.«

»Ah,« sagte sie überrascht; »Dein Grundsatz? Bei welcher Geliebten hast Du diesen Grundsatz denn schon in Anwendung gebracht?«

»Ich? Bei keiner! Ich hatte mir diesen Grundsatz nur für Andere gemacht, um sie zu ermahnen. Aber, sage mir einmal, wen von den Beiden die Tänzerin heute wohl mitbringen wird.«

»Das weiß ich nicht genau. Warum?«

»Wenn Henrico Cortejo kommt, so darf ich nicht hier bleiben. Er kennt nicht nur meine Livree, sondern auch mich selbst und würde der Ballerina sogleich sagen können, von wem das Geschenk kommt. Weißt Du keinen Ausweg?«

»Hm! Es steht drüben ein kleines, unbewohntes Zimmerchen; aber es ist finster.«

»Das schadet nichts!«

»Gut, so führe ich Dich hinüber, und wenn die Herrin kommt, so hole ich Dich.«

»Oder noch besser, Du bringst sie hinüber. Er könnte mich doch sehen oder hören.«

»So muß ich Dir auch eine Lampe geben. Komm!«

Sie brannte eine der vorräthigen Lampen an und geleitete ihn in ein kleines, einfach ausgestattetes Gemach, zu welchem sie den Schlüssel bei sich trug.

»Wer ist der Besitzer dieses Raumes?« fragte er.

»Jetzt Niemand. Es hat ein armer Maler hier gewohnt, der vor zwei Wochen ausgezogen ist. Ich habe den Schlüssel behalten, um immer abzustäuben.«

»Abzustäuben? Hm! - Oh! - Hm!« machte er es mit einem sehr listigen Gesichte.

»Was hast Du?« fragte sie.

»Einen Gedanken, einen sehr, sehr schönen, guten und auch außerordentlich praktischen Gedanken.«

»Welchen denn?«

»Du wünschest doch, daß wir uns zuweilen wiedersehen, meine liebe Elvira?«

»Ja, das wünsche ich.«

»Aber wo soll das geschehen?«

»Vielleicht in der Kirche?«

»Geht nicht. Da können wir nicht mit einander sprechen.«

»Oder auf dem Markte, wenn ich einkaufen gehe?«

»Da beobachten uns die Leute, und die Zeit ist zu kurz.«

»Oder des Abends auf der Promenade?«

»Das ginge eher, aber ich weiß nie, wann ich dem Herrn Grafen entbehrlich bin.«

»Ja, so weiß ich wirklich weiter keinen Ort.«


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»Aber ich weiß einen, und eben dieses Stübchen ist es, das ich meine.«

»Ah! Wie sollte das gemacht werden?«

»Ich kann nur des Abends kommen; da lässest Du die Stube auf, daß ich sofort eintreten kann. Ist von innen verriegelt, so ist dies ein Zeichen, daß ich drinnen stecke. Du darfst nur zuweilen nachsehen und dann ganz leise drei langsame Schläge mit dem Finger thun; dann mache ich auf.«

»Aber wenn Du entdeckt wirst?«

»Das wird nicht so leicht geschehen.«

»Nun gut, so wollen wir es einmal probiren. Ah, horch! Ich glaube, sie kommen!«

Man hörte Schritte auf der Treppe; es war eine männliche und eine weibliche Person zu unterscheiden.

»Das ist sie, und Cortejo ist bei ihr,« flüsterte Elvira.

»Den soll der Teufel holen! Mein Herr, der Graf, schickt der Ballerina ein Geschenk im Werthe von fünfzehntausend Duros oder Dollars, und dieser Kerl führt sie nach Hause.«

»Er ist ein sehr schöner Mann!«

»Ah, Du verstehst Dich wohl darauf?« fragte er spitzig.

»Ich habe es nur so sagen gehört. Aber sie sind eingetreten; ich muß hinüber.«

»So gehe, aber laß mich nicht lange warten.«

Sie ging. Als sie das Vorzimmer betrat, war die Künstlerin mit ihrem Anbeter bereits in das andere Zimmer getreten. Elvira ging nach, wie sie es zu thun gewohnt war, um den Herrschaften beim Ablegen behilflich zu sein.

Die Tänzerin zeigte sich hier als eine mittelhohe, volle Gestalt von geradezu unbeschreiblicher Schönheit der Gesichtszüge; aber über dieses Gesicht zuckte zuweilen der Athemzug eines unbekannten Dämons, der in ihrem Herzen verborgen wohnen mußte.

Elvira gab ihr einen Wink, und darauf zeigte die Ballerina nach dem Boudoir.

»Treten Sie ein, Sennor! Ich habe noch eine Kleinigkeit mit dem Mädchen.«

Er gehorchte, und nun sie sich unbelauscht wußte, fragte sie:

»Was sollte der Wink?«

»Es will Sie Jemand sprechen, Sennora, und zwar ein fremder Diener.«

»Wer ist sein Herr?«

»Ich weiß es nicht.«

»Ah, ein Geheimniß! Ist er ein Saragossaner oder ein Fremder?«

»Der Sprache nach ist er ein Spanier; er hat mir aber nicht gesagt, was er mit der Sennora zu sprechen hat. Er wartet bereits zwei Stunden, und sagte, er habe Etwas direkt an Sennora abzugeben und dürfe nicht eher fortgehen.«

»Ah, jedenfalls ein Geschenk! Wo ist er?«

»Drüben im kleinen Kabinet. Er läßt Sennora bitten, sich zu ihm zu bemühen, weil er von Sennor Cortejo nicht gesehen, oder gehört sein will.«

»Ah, so ist er von diesem gekannt! Nun, ich werde ihm den Willen thun. Warte!«

Die Ballerina ging hinüber in das kleine Zimmer. Alimpo saß erwartungs-


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voll auf einem Stuhle, als sie eintrat. Sie hatte ihre reiche Seidenmantille noch nicht abgelegt, aber doch bereits einige Heftel gelockert, und so sah der Diener, daß sie unter derselben nur das verführerische Kostüm des Balletes trug.

»Wer sind Sie?« fragte sie ihn mit einer Stimme, welche mild wie der Ton einer silbernen Glocke klang.

»Sennora, ich bitte, dies verschweigen zu dürfen,« bat er mit einer tiefen Verneigung.

»Warum?«

»Es ist mein Auftrag so.«

»So sprechen Sie weiter!«

»Ich habe den Befehl, der Königin der Sonne diesen Tribut zu überreichen, und zwar mit der Bitte um Entschuldigung, daß jede irdische Gabe für eine solche Herrscherin unbedeutend sein muß.«

Der wackere Alimpo hatte seine poetische Ader noch mehr angestrengt, als es in der Weisung des Grafen gelegen hatte. Er gab ihr das Packet und wollte sich mit einer Verbeugung entfernen. Sie aber hielt ihn mit einer Handbewegung zurück.

»Warten Sie!« gebot sie ihm.

Sie löste die Hüllen, welche Alimpo sorgfältig wieder befestigt hatte und öffnete das Etui.

»Ah!« rief sie.

Es war nur dieser eine Laut, den sie ausstieß, aber es lag eine ganze Welt von Glück, Ueberraschung und stolzer Genugthuung darin. Ihre Augen leuchteten; ihre Lippen öffneten sich, so, daß die Zähne wie fast farblose Thautropfen zwischen ihnen erschienen; ihr Busen wogte, und als sie jetzt ein Collier ergriff und den Arm hoch empor hob, um es im Scheine des Lichtes brilliren zu lassen, da war durch die verschobene Mantille ein Reichthum von Schönheit zu erblicken, gegen welche der Werth dieses Colliers eine Bagatelle war.

»Herrlich!« rief sie. »Und das soll mein sein!«

Ihre erregten Augen glühten wie Feuerbrände auf das Angesicht des Dieners.

»Ja, wenn Sennorita es annehmen wollen,« antwortete er.

»Und ich darf nicht wissen, von wem es kommt?«

»Nein.«

Sie warf den Kopf stolz in den Nacken und sagte:

»Dies Geschenk ist reich, sehr reich, aber ich weise es dennoch zurück, wenn Sie mir nicht einige Fragen beantworten!«

»Ich darf nicht, Sennorita!«

»Sie haben die Weisung, den Namen des Gebers zu verschweigen?«

»Hm!« sagte er langsam. »Es ist allerdings keine weitere Zufügung gemacht worden.«

»So werde ich einige Fragen aussprechen, welche Sie mit gutem Gewissen beantworten können.«

»Ich werde es thun, wenn ich kann.«

»Nun wohl. Ist Ihr Herr ein Spanier, von Adel und reich?«


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»Alles dies. Er ist im Uebrigen Wittwer, nicht mehr jung, und hat zwei Söhne.«

»In welchem Alter stehen diese?«

»Ich bitte, diese Antwort zurückhalten zu dürfen, weil in ihr eine Andeutung liegt, welche es Ihnen leicht macht, den Geber zu errathen.«

»Gut. Wohnt der Geber in Saragossa?«

»Für jetzt, ja.«

»Hat er mich öfters gesehen?«

»Nein, heute zum ersten Mal im Theater, und er ist sofort nach der Vorstellung zum Juwelier gegangen, um diesen Schmuck einzukaufen.«

»An welchem Platze war er im Theater?«

»Auch dies, bitte ich, verschweigen zu dürfen!«

Ihr Gesicht glänzte und glühte förmlich von Triumph und Genugthuung, und jetzt trat jener dämonische Zug noch mehr hervor. Und dabei lag in ihrem Auge und um ihre Lippen eine Härte, welche errathen ließ, daß dieses wunderherrliche Weib im Stande sei, Alles niederzutreten und zu vernichten, ohne Gnade und Barmherzigkeit, was sich der Befriedigung ihrer Leidenschaften und Begierden in den Weg stelle.

»Sie sind sehr verschwiegen,« sagte sie, »verschwiegener, als ich gewöhnt bin; aber ich will nicht weiter in Sie dringen. Hier ist ein Douceur!«

Sie griff in die Tasche ihrer Mantille und streckte ihm eine wohl gespikte Börse entgegen; er aber verbeugte sich dankend und sagte:

»Ich bitte um Entschuldigung, Sennora; aber ich würde meine Stellung sofort verlieren, wenn ich nur einen einzigen Maravedi annähme!«

»Ihr Herr sieht es ja nicht!«

»Ich thue nie Etwas, was er nicht sehen darf!«

»So ist er besser und treuer bedient, als mancher Andere! Nehmen Sie also anstatt des Geldes meine Hand des Dankes!«

Sie reichte ihm den schönen, vollen, bloßen Arm mit dem kleinen, verführerischen Händchen entgegen. Er wagte es, die Spitzen ihrer Finger mit einem Kusse zu berühren, und sagte:

»Diese Güte, Sennora, ist mir werther als alles Gold. Ich werde von ihr meinem Herrn berichten.«

»Ja, sagen Sie Ihrem Herrn, daß ich gewohnt bin, gütig und dankbar zu sein!« sagte sie zweideutig. »Ich nehme das Geschenk an, erwarte aber, daß er aus seinem geheimnißvollen Dunkel heraustritt. Beim nächsten Balletabende werde ich den Schmuck anlegen, und ich ersuche Ihren Herrn, sich zu überzeugen, ob ich ihn zu tragen weiß.«

Sie rauschte hinaus.

Alimpo blieb zurück, in der Hoffnung, Elvira noch einmal zu sehen. Er hatte sich auch gar nicht getäuscht. Sie wurde drüben nicht weiter gebraucht und trat bald ein.

»Nun?« fragte sie.

»Donnerwetter!« fluchte er. »Ein schönes Weib!«

»Schöner als ich?« fragte sie ein wenig spitz.


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»Ja, viel, viel schöner!« sagte er aufrichtig.

»Du, Du, Alimpo!« drohte sie ihm.

»Ach was! Schön ist schön, aber gut ist gut, und Beides ist Zweierlei. Ich lobe mir meine Elvira!«

»Wirklich?« fragte sie, den Arm um ihn legend. »Wird es auch so bleiben?«

»Sicher! Schöner als diese Tänzerin kann Keine kommen, und dennoch möchte ich sie nicht zur Frau. Sie kommt mir vor, als hätte sie die ganze Hölle hinunter geschluckt mit Millionen von Teufeln. Ist der Cortejo wirklich bei ihr?«

»Ja. Er wartet im Boudoir auf sie.«

»So. Ich wollte, er wartete in alle Ewigkeit und auch noch etwas länger! Nun aber, gute Nacht, meine gute Elvira!«

»Du mußt fort?«

»Freilich! Mein Herr hat über zwei Stunden warten müssen; das ist er nicht gewohnt.«

»So gehe! Aber morgen kommst Du wieder?«

»Sicher. Gute Nacht!«

»Gute Nacht, mein Alimpo!«

Sie umarmten und küßten sich einige Male, und dann endlich riß er sich los, um seinen Herrn aus der ihn verzehrenden Ungeduld zu reißen.

Die Ballerina war zu Cortejo in ihr Boudoir eingetreten, hatte die Mantille abgeworfen und dann ungenirt in Tricots und Schenkelröckchen neben ihm Platz genommen. Sie wußte, daß der Sender des Schmuckes ihm bekannt sein müsse, aber sie konnte warten. Endlich aber, als er von der neuen Livree eines Genueser Edelmannes, die ihm sehr gefallen hatte, sprach, ergriff sie die Gelegenheit und bemerkte:

»Auch mir fiel heute während des Tages eine Livree auf, die ich im Theater noch nicht gesehen hatte. Der Besitzer muß kein Freund des Theaters, oder wenigstens des Ballets sein.«

»Ich kenne alle hiesigen Livreen; vielleicht kann ich Dich orientiren. Beschreibe sie mir.«

»Sie war einfach. Grau mit amaranthfarbenen Aufschlägen und Kragen.«

»Ah, weiße Binde, amaranthfarbene Gamaschen, welche mit silbernen Knöpfen besetzt sind?«

»Ja.«

»Hast Du die Knöpfe erkennen können?«

»Ja. Sie zeigten eine Grafenkrone und ein verschlungenes R und S.«

»Und diese Livree hast Du noch nicht gesehen?« fragte er erstaunt.

»Nein.«

»Aber, meine Liebe, das ist ja die unsrige!«

»Die Eurige!« rief sie, im höchsten Grade überrascht.

Sie wußte nun sofort, wer der Geber war, denn sie hatte von Cortejo bereits gehört, daß Graf Manfredo in Saragossa verweile.

»Es wird einer der Diener im Theater gewesen sein,« sagte er. »Der Graf kommt sicherlich nicht in das Ballet, denn seine Anschauungen sind zu streng. Ha,


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ich möchte einmal sehen, was er an meiner Stelle thäte, wenn er Dich hier so in seinen Armen liegen hätte.«

»Er würde mich als Hexe der heiligen Inquisition übergeben!«

»Sicher!« lachte Cortejo.

Sie wußte es besser. Sie wußte, daß sie diesen strengen Mann bezaubert hatte, und daß es vielleicht nur auf sie ankam, ihn fest zu halten und seine Reichthümer zu theilen. Darum erkundigte sie sich:

»Du sprachst einst davon, daß er Söhne habe?«

»Ja, zwei, sie sind jetzt in Madrid.«

»Er ist Wittwer?«

»Ja. Er führte ein sehr glückliches Leben mit seiner Frau, der Gräfin, und ließ sich nach ihrem Tode, um seinem Schmerze zu entgehen, nach Indien versetzen.«

»Hat er dort prosperirt?«

»Als Vicekönig?« lachte er. »Reichthümer, ungeheuere Reichthümer hat er sich erworben.«

»Die er nun hier im Mutterlande verzehren wird?«

»Jedenfalls.«

»Vielleicht verbindet er sich zum zweiten Male?«

»Ah, Du hättest dann vielleicht Lust, Gräfin Rodriganda zu sein?« lachte er. »So versuche ihn zu erobern!«

»Hältst Du dies für etwas so Unmögliches?«

»Beinahe, mein Kind! Dieser Mann ist weiblichen Reizen vollständig unzugänglich. Uebrigens wäre es eine verteufelt interessante Situation, meine Geliebte als Gemahlin an der Seite meines gestrengen Herrn zu wissen!«

»Könnten wir uns nicht trotzdem lieben!«

»Ah, würde die gnädige Gräfin dies gestatten?« fragte er belustigt.

»Gewiß! Man heirathete den gräflichen Millionär doch nur des Standes und der Millionen wegen.«

»Und suchte sich übrigens anderswo Entschädigung? Versuche es, mein Engel!«

»Ich werde mir es überlegen und Dich dann erinnern.«

Dieser letzte Theil der Unterhaltung war in einem sehr leichtfertigen Tone geführt worden; aber im Herzen der Tänzerin war der Gedanke, welchen sie aussprach, vollständig Ernst.

Unterdessen war der Graf ruhelos in seinem Zimmer auf und ab geschritten. Er wollte es sich nicht gestehen, daß eine gefährliche, ja unwiderstehliche Zauberin ihre Banden bereits um ihn geschlungen habe. Er glaubte, oder vielmehr er redete es sich ein, unter einem vorübergehenden Eindrucke zu stehen, und dennoch erwartete er die Rückkehr seines Dieners mit beinahe fieberhafter Ungeduld.

Als Stunden vergingen und die Mitternacht nahte, wollte er fast zornig werden, aber er kannte seinen treuen Alimpo zu gut, um zu wissen, daß dieser ihn nicht unnöthiger Weise warten lasse, und darum war auch die Sorge des Dieners, seinen Herrn unmuthig zu finden, überflüssig gewesen.

»Du bist sehr lange,« das war Alles, was der Graf bemerkte.

»Ich konnte nicht eher, Excellenz,« entschuldigte sich Alimpo.


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»Willst Du damit sagen, daß Du warten mußtest?«

»Ja, und über zwei Stunden.«

»Dann kam sie erst?«

»Ja. Als ich ihr das Geschenk überreichte, wollte sie es erst nicht annehmen, ohne zu wissen, wer der Geber ist, ich habe mich aber nicht verrathen. Sie begnügte sich und bot mir eine Börse mit Gold, die ich aber nicht nahm.«

»Das ist recht; ich werde Dich entschädigen.«

»Sie reichte mir dafür ihre Hand. Und als ich diese Güte lobte, sagte sie, ich solle meinem Herrn allerdings sagen, daß sie gewohnt sei, gütig und dankbar zu sein.«

Bei diesen Worten zogen sich die Brauen des Grafen finster zusammen.

»Weiter sagte sie nichts?«

»Sie läßt bitten, den Schleier bald fallen zu lassen und wird am nächsten Balletabende den Schmuck anlegen, damit Excellenz sehen sollen, ob sie ihn zu tragen verstehe.«

»Gut; ich werde das Ballet besuchen. Sonst sagte sie nichts

»Nein.«

Der wackere Alimpo hielt es nicht für nöthig, die Fragen und Antworten aufzuzählen, welche er mit ihr gewechselt hatte. Der Graf erkundigte sich weiter:

»Wo hast Du gewartet?«

»In einem kleinen Zimmer, in das mich ein Dienstmädchen brachte, denn ich wollte in dem eigentlichen Vorzimmer nicht warten, weil mich dort Sennor Henrico Cortejo gesehen hätte.«

Der Graf war während dieses Gespräches auf und nieder geschritten; jetzt hielt er plötzlich an.

»Cortejo?« fragte er. »Wieso?«

»Er war dort.«

»Ah! Bereits als Du kamst?«

»Nein. Er kam mit ihr.«

»So ist er wohl gar jetzt noch dort?«

»Allerdings.«

Der Graf legte seine Faust schwer auf den Tisch und blickte finster vor sich hin.

»Er ist sehr oft dort,« bemerkte Alimpo weiter. »Das Dienstmädchen sagte es, die ich ausgehorcht.«

»Was sagte sie denn noch?«

Es mußte mit dem Herzen des Grafen eigenthümlich stehen, da er bereits nach der Plauderei eines Dienstboten forschte. Das merkte Alimpo recht gut. Er antwortete:

»Sie sagte, daß auch der Herzog von Olsunna sehr oft kommt, ebenso noch Mehrere, deren Namen ich nicht weiß. Sie kommen am Tage; sie haben keinen Vorzug; die Beiden aber sind oft bis am Morgen bei ihr.«

Der Tisch krachte jetzt unter dem Drucke, welchen die Faust des Grafen auf ihn ausübte, und als er nicht weiter fragte, machte Alimpo die Bemerkung:

»Schön ist sie, schön wie ein Engel, aber hundert Teufel hat sie im Leibe, Excellenz!«


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Da fuhr des Grafen Kopf rasch empor, und sein Auge blitzte zornig auf, als er frug:

»Wer sagt das?«

»Ich habe es gesehen, und meine Elvira sagte es auch!«

»Deine Elvira? Ah, wer ist das?« fragte der Graf verwundert.

Alimpo stockte verlegen. Er hatte in diesem Augenblicke ein Wort zum allerersten Male gesprochen, welches ihn nachher, ganz ohne seine Absicht, durch das ganze Leben begleitete und von seiner Elvira getreulich erwidert wurde. Er antwortete:

»Meine Elvira? Hm, Excellenz, das ist Nachbars Elvirita aus Rodriganda.«

»Ich kenne sie nicht. Aber sie kennt die Tänzerin?«

»Ja, sehr gut! Sie ist ja das Dienstmädchen, welches sie bedient und mir das Stübchen angewiesen hat.«

Des Grafen Gesicht wurde milder und milder; endlich lächelte er freundlich und sagte:

»Und die nennst Du Deine Elvira?«

»Ja,« antwortete Alimpo stockend.

»Ah, so ist sie Deine Geliebte?«

»Ja, seit heute sogar meine Braut, wenn Excellenz uns gnädige Erlaubniß ertheilen. Wir haben uns versprochen.«

»So hast Du gewußt, wo die Tänzerin wohnt?«

»Nein.«

»Aber Du hast Dein Mädchen doch besucht!«

»Auch das nicht. Wir Beide haben uns nicht gesehen, seit ich die Schule verlassen habe.«

»Das wäre ja wunderbar! Ihr habt Euch erst heute wiedergesehen und zum ersten Male, sowie Euch auch gleich verlobt?«

»Ja. Ich habe es gar nicht geglaubt, daß es möglich ist, Excellenz, daß man einem Mädchen gleich so gut ist, daß man weiß, diese muß Deine Frau werden und sonst keine!«

»So war es bei Dir?«

»Gerade so, bei mir und bei meiner Elvira auch!«

Der Graf blickte sinnend vor sich hin. Es bewegte sich kein Zug seines Gesichtes, aber sein Herz ging mit wichtigen Gedanken schwer. Dachte er vielleicht, daß es ihm heute ganz ebenso gegangen sei wie seinem Alimpo? Endlich holte er tief Athem und fragte:

»Kannst Du Dich auf diese Elvira verlassen?«

»Ganz gewiß, Excellenz!«

»Gut, so suche morgen früh zu erfahren, wann Henrico Cortejo fortgegangen ist.«

»Darf ich denn morgen früh schon hingehen?«

»Ja, aber in Civil, damit man Dich nicht kennt. Hier hast Du meine Börse. Du kaufst das seltenste und theuerste Bouquet und bringst es der Tänzerin, sagst aber abermals nicht, von wem es ist. Wirst Du dabei mit Deiner Elvira zusammenkommen können?«


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»Ich hoffe es!«

»So ist es gut. Wenn ich mit Dir zufrieden bin und Deine Elvira ein gutes Mädchen ist, werde ich für Euch sorgen. Jetzt gute Nacht!«

Alimpo steckte die volle Börse mit einer tiefen Verbeugung des Dankes ein und ging. Er konnte in dieser Nacht vor Seligkeit nicht schlafen, während der Graf auch nicht schlief, allerdings aus nicht ganz demselben Grunde. Auch er trug eine Art von Seligkeit in der Brust, aber daneben gab es sogleich eine Hölle, nur daß er sich dies nicht zugestehen wollte.

Am Vormittage, als kaum die schickliche Stunde zum Besuche angebrochen war, machte Alimpo sich mit einem riesigen Bouquete auf. Er hatte Civilkleider angezogen.

Als er das Haus erreichte, stand Elvira unter der Thür. Sie kam ihm heute am Tage so sauber und schmuck vor, daß er sie am Liebsten gleich hier hätte umarmen mögen.

»Guten Morgen, meine Elvira!« grüßte er sie.

»Ah, guten Morgen, mein Alimpo!« antwortete sie ganz erstaunt. »Was thust Du hier?«

»Ich muß zur Tänzerin, um ihr ein Bouquet zu bringen.«

»Ist's wahr? Das muß ich sehen. Komm!«

Sie führte ihn hinauf in das bewußte Stübchen, wo er das Bouquet enthüllte.

»O, wie herrlich!« rief sie.

»Das habe ich selbst ausgelesen!« sagte er stolz.

»Du? Da muß ich Deinen Geschmack loben.«

»Ja, meine Elvira, der ist von jeher fein gewesen,« sagte er anzüglich.

»Wieso?« fragte sie verschämt.

»Nun, an der Liebsten erkennt man den Geschmack am sichersten.«

»Und Du denkst wirklich, daß der Deinige fein ist?«

»Ganz gewiß, besonders, wenn ich einen Kuß bekomme.«

»Den sollst Du haben, Du appetitlicher Mensch. Hier! - Aber, hatte ich gestern nicht Recht?«

»Womit?« fragte er, nachdem er sich den Kuß genommen hatte.

»Mit Deinem Grafen, daß er in die Tänzerin verliebt ist?«

Da machte der gute Alimpo ein sehr ernstes Gesicht und sagte beinahe traurig:

»Höre, meine Elvira, das ist eine schlimme Sache, die mir gar nicht recht ist, denn er ist nicht verliebt, sondern er liebt wirklich.«

»Wo liegt der Unterschied?«

»Das Verliebtsein liegt in den Sinnen, die Liebe aber im Herzen.«

»Und dies ist bei ihm der Fall?«

»Ja. Ich glaube, er könnte sterben, wenn er Unglück hat in der Liebe. Und ich bleibe dabei, sie hat den Teufel im Leibe.«

»Sie ist nicht gut!« stimmte auch Elvira bei. »Aber er wird sie ja nicht heirathen.«

»Nicht - und was denn?«

»Er wird sie besuchen, mit ihr speisen und spazieren fahren wie die Andern, weiter Nichts.«


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»Nein, das wird er nicht thun, denn er ist nicht wie die Andern. Wenn er ein Weib liebt, so wird sie seine Frau.«

»Ah, so dauert er mich.«

»Mich auch. Aber wir können nichts thun; wir müssen es gehen lassen. Uebrigens habe ich mit dem Grafen von Dir gesprochen.«

»Du bist nicht klug!«

»Nicht? So hast Du einen schlechteren Geschmack als ich,« lachte er. »Ich habe ihm gesagt, daß ich Dir gut bin, und daß ich Dich heirathen werde.«

»Und weiter?«

»Und daß er für uns sorgen will, wenn Du ihm gefällst.«

»O, so brauchen wir ja gar keine Sorge zu tragen!« rief sie glücklich.

»Ja. Nun aber sage mir einmal, wie lange der Sachwalter hier geblieben ist!«

»Nicht lange. Bis zwei Uhr. Ich war noch wach, als er ging, denn ich dachte an Dich, und da hörte ich, daß sie keinen sehr freundlichen Abschied nahmen.«

»So haben sie sich vielleicht entzweit?«

»Nein, so schlimm war es nicht. Uebrigens mußte ich heute zum Herzog von Olsunna gehen, um ihm zu sagen, daß Sennora heute Migräne habe und also nicht zu sprechen sei.«

Alimpo lachte in sich hinein.

»Weißt Du, wer Schuld ist an dieser Migräne?«

»Nun?«

»Der Graf. Der hat mit seinem Schmuck Eindruck gemacht. Sie wittert einen reichen, vornehmen Anbeter und will sich keine Blöße geben. Ist sie wirklich krank?«

»Nicht im Geringsten!«

»So kann ich zu ihr?«

»Ja. Ich werde Dich sogleich anmelden. - Kommst Du heute Abend?«

»Das versteht sich; aber jetzt kann ich nicht länger plaudern.«

Sie führte ihn in das Vorzimmer, in welchem sie gestern sich getroffen hatten und öffnete ihm bald darauf eine zweite Thür. Dort lag die Tänzerin in einem wahrhaft sinnberückenden Negligee auf einer Ottomane und blickte ihm erwartungsvoll entgegen.

»Ah, Sie sind es!« sagte sie, als sie ihn erkannte. »Was bringen Sie?«

»Diesen Morgengruß, Sennora.«

»Von demselben Unbekannten? Will er mir auch heute seinen Namen nicht nennen, und sich mir nicht zeigen?«

»Er wird das nächste Ballet besuchen.«

»So sagen Sie ihm, daß mein Herz ihn zu finden wissen wird; die Stimme des Herzens ist untrüglich.«

Sie erkannte, daß sie einem großen Siege entgegengehe und entließ den Diener mit einem huldvollen Nicken ihres schönen Kopfes.

Alimpo berichtete dem Grafen den Erfolg seiner Sendung, und dieser schien mit demselben zufrieden zu sein. Der treue Diener ging eines Tages wieder mit einem Bouquet zu der Ballerina und des Abends zu seinem Mädchen. Was er sah und erfuhr, schien des Grafen Wohlgefallen zu erregen. Die Tänzerin ging nicht aus;


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sie empfing Cortejo nur einmal des Nachmittags auf einige Minuten und den Herzog von Olsunna gar nicht.

Endlich nahte der Tag, an welchem sie wieder aufzutreten hatte. Das Haus war ausverkauft; Cortejo und der Herzog wollten, wie gewöhnlich, sie hinter der Scene aufsuchen, wurden aber abgewiesen. Graf Manfredo de Rodriganda war an seinem Platze.

Der Vorhang hob sich, und die Ballerina erschien. Gleich bei der ersten Verbeugung, mit welcher sie das Publikum begrüßte, warf sie einen hellen, zündenden Blick hinüber, da, wo der Graf saß. Dieser fühlte den Blick, der ihm das Blut aufwühlte; er fühlte auch, daß er bereits erkannt und durchschaut sei.

Er hatte abermals nur Augen für diese eine Künstlerin. Die Bewegungen ihrer sinnberückenden Gestalt gruben sich wie Schlangen in seine Seele ein; er wäre am Liebsten hinabgesprungen zu ihr auf die Bühne, um sie vor aller Welt zu umarmen und diesen tausend Augen zu entreißen, welche trunken an ihrer Schönheit hingen.

Endlich sollte der letzte Aufzug zu Ende gehen. Die Tänzerin sollte in den Wolken verschwinden. Schon hob sie die Schwingen, welche sie als Engel trug, schon schwebte sie einige Fuß über der Erde, da - war es etwas an der Mechanik oder trug sie selbst die Schuld - sie wankte, strauchelte und stürzte herab, zwar nicht hoch, aber scheinbar doch so unglücklich, daß sie sich nicht erheben konnte.

Ein fürchterlicher Tumult erhob sich im Zuschauerraum. Der Vorhang fiel sofort; die Ballerina ward nach ihrer Garderobe getragen, und der Theaterarzt beeilte sich, ihre Verletzung zu untersuchen. Eben eilte auch der Direktor herbei, als sich die Treppenthür öffnete und ein ihm unbekannter Herr hereingestürzt kam.

»Wo ist Sennora Valdez?« fragte derselbe kurz und gebieterisch.

»Jedenfalls in guten Händen. Was wollen Sie?«

»Ich muß zu ihr!«

»Das geht nicht!«

Da richtete sich der Fremde stolz empor und fragte:

»Wer will es mir verbieten?«

»Ich bin der Direktor!«

»Gut, und ich bin Graf de Rodriganda, Vicekönig von Indien!«

Da riß es die Gestalt des Direktors zur tiefsten Referenz zusammen.

»Ah, Excellenz, das ist etwas Anderes!« rief er. »Folgen Sie mir!«

Er führte ihn bis zur Garderobenthür, warf einen Blick durch dieselbe und bat dann:

»Die Sennora ist wieder bei sich. Treten Sie ein!«

Als der Graf in den kleinen, aber luxuriös eingerichteten Raum trat, zuckte ein Blitz der Genugthuung über das Gesicht der Ballerina. Niemand ahnte, daß sie mit Fleiß gestürzt sei, um durch diesen Fall den reichen Anbeter in Aufregung zu versetzen und dadurch zu einem Schritt zu verleiten, der nicht wieder zurückgethan werden konnte.

»Mein Gott,« rief sie. »Wer ist der Fremde? Man lasse mich doch allein.«

Der Arzt wandte sich um und erblickte den Grafen.


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»Mein Herr,« sagte er streng. »Hier giebt es zunächst nur Zutritt für mich!«

»Ich bin Graf Manfredo de Rodriganda und bleibe!« sagte der Abgewiesene kurz. »Hat Sennora Valdez sich gefährlich verletzt?«

Der Arzt schlug, da er den Namen gehört hatte, einen anderen Ton an:

»Eine äußere Verletzung hat nicht stattgefunden, ob eine innere vorliegt, muß sich erst noch zeigen.«

»So bitte ich, die Sennora mir zu überlassen!«

Der Arzt warf einen fragenden Blick auf die Tänzerin, und da diese durch einen leichten Niederschlag ihrer Wimper ihre Zustimmung zu erkennen gab, so sagte er:

»Ich stimme bei, da ich überzeugt bin, sie in guten Händen zu wissen.«

Er ging, und nun war der Graf mit ihr allein.

»Sennora, Sie kennen mich?« fragte er.

»Ja,« sagte sie mit einem verschämten, aber unendlich reizenden Aufschlage ihrer Lider.

»Warum wollten Sie mich hinausweisen?«

»Excellenz, das galt nicht Ihnen, sondern dem Direktor, welcher hinter Ihnen eintreten wollte,« entschuldigte sie sich.

»Werden Sie sich erheben können?«

»Wohl schwerlich.«

»So gestatten Sie mir, Sorge zu tragen, daß Sie schmerzlos nach Ihrer Wohnung gebracht werden, Sennora!«

»Ich gebe mich gern unter Ihre Obhut!«

Er eilte hinaus, und bald wurde sie von einigen Theaterdienern in des Grafen eigene Equipage gehoben, welche mit ihr im Schritte davonfuhr. Die Diener folgten, um sie vor der Thür ihrer Wohnung wieder auf die Arme zu nehmen und nach ihrem Schlafzimmer zu tragen. Der Graf war auf das Zärtlichste besorgt für sie. Er saß dann, als die Fremden fort waren, bei ihr, um auf seinen eigenen Arzt zu warten, nach welchem er gesandt hatte.

Im Vorzimmer aber wachten Alimpo mit seiner Elvira.

»Hat sie Etwas gebrochen?« fragte das Mädchen leise.

»Leider nein,« antwortete er.

»Alimpo, Du bist recht grausam und gefühllos!«

»Nein; aber ich sehe, was Wahrheit und was Komödie ist!«

»Was, Du denkst, sie spielt Komödie mit solchen Schmerzen?«

»Schmerzen? Pah!«

»Ich habe es ja gesehen!«

»Aber nicht gefühlt, meine gute Elvira.«

»Hast Du nicht die Gesichter gesehen, welche sie vor Schmerzen schnitt?«

»Das kann ein Jeder, ich auch. Sie ist gar nicht gestürzt!«

»Was denn sonst! Alle sagen, daß sie aus der Luft herabgestürzt sei!«

»Nein, sie ist nicht gestürzt, sondern sie hat sich gestürzt oder vielmehr, sie hat sich recht sanft und behutsam drei Fuß hoch herabgleiten lassen. Ich habe es deutlich gesehen. Sie brachte das sehr täuschend fertig, denn sie ist eine Schauspielerin.«


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»Denkst Du wirklich, Alimpo?«

»Ich bin überzeugt, daß sie damit den Grafen fangen wollte. Nun hat sie ihn, und wird Gräfin de Rodriganda.«

»Mein Gott! Eine Tänzerin!«

»So Etwas soll öfters vorkommen.«

»Was werden die beiden jungen Herren sagen?«

»Das ist es ja, was mich erzürnt. Ich habe Beide herzlich lieb; ich habe mit ihnen Unterricht genossen; ich weiß, wie sie in dieser Sache denken und fühlen werden. Ich sage Dir, meine gute Elvira, die tausend Teufel, welche diese Tänzerin im Leibe hat, wird sie nun bald auf Rodriganda loslassen.«

»Da möchte ich nicht dabei sein.«

»Warum nicht? Der Graf will für uns sorgen. Jetzt ist er vor Liebe ganz selig, und wenn er mir eine Stellung bietet, über welche ich mich freuen kann, so nehme ich sie an und freue mich über sie, ohne nach den tausend Teufeln zu fragen, die mich nichts kümmern.«

In diesem Augenblicke hatte es darinnen allerdings nicht das Aussehen, als ob die Ballerina tausend Teufel im Leibe habe. Sie lag vielmehr so ergeben und geduldig auf ihrem weichen Bette, als wolle sie einem Maler zum Bilde der personificirten Sanftmuth sitzen oder vielmehr liegen. Elvira hatte sie vorhin entkleiden müssen, und nun ruhte sie, nur in das feine, weiße Negligee gehüllt, mit müdgeschlossenen Augen vor dem entzückten Blicke des Grafen.

Er hielt eine ihrer Hände in der seinigen und verwendete keinen Blick von ihr. Er hatte noch kein anderes, als nur nothwendiges Wort mit ihr gesprochen und horchte nur zuweilen nach der Thür hin, ob sich noch nichts vernehmen lasse.

Da endlich erklangen halblaute, schnelle Schritte, und sein Hausarzt trat ein. Er wußte bereits von der Anwesenheit des Grafen und zeigte sich also nicht verwundert darüber. Er hatte in kurzer Zeit die Kranke untersucht und rieth achselzuckend zur möglichsten Ruhe und Schonung, verschrieb auch ein Medicament, welches nichts schadete. Er erkannte wohl, daß die Patientin vollständig rüstig sei, hielt es aber nicht für seine Aufgabe, dies zu äußern.

Als er sich entfernt hatte, bog der Graf sich zu der Ballerina nieder und fragte:

»Macht Ihnen das Hören Schmerzen, Sennora?«

»Nein,« lispelte sie.

»So darf ich sprechen?«

Sie nickte müde. Dabei fuhr sie sich mit der feinen Hand nach der Stirn und verwirrte sich unterwegs in das Negligee, welches sich verschob, daß dem Graf die Schönheit eines Busens geöffnet wurde, um die eine Venus hätte neidisch werden können.

Vor seinen Augen flammte es. Die Sonne Indiens hatte sein Blut gekocht. Seine Hand bebte ganz leise in der ihrigen; sie fühlte es aber doch und freute sich darüber.

»Sie wissen,« fragte er, »von wem die Bouquets waren, welche Sie jetzt täglich des Morgens erhielten?«

»Ja.«


// 575 //

»Sie wußten auch, wer Ihnen den Schmuck sandte?«

»Ich ahnte es.«

»Woher, Sennora?«

»Ich hatte Sie in der Vorstellung gesehen und mich nach der Farbe Ihrer Livree erkundigt.«

»Ah,« sagte er glücklich, »da mußten Sie also meinen guten Alimpo sofort erkennen. Zürnten Sie mir?«

Sie versuchte ein leises, mildes Lächeln und antwortete:

»Im Gegentheile, Don Manfredo.«

»Sie freuten sich also?«

»Ja.«

»Ich höre, daß Sie sogar meinen Rufnamen wissen!«

Ein glückliches Lächeln umspielte jetzt ihre Lippen, ein Lächeln, wie es Gott eigentlich nur der reinen, keuschen Braut um den Mund zeichnen wollte.

»Sind Sie mir bös,« fragte er weiter, »daß der Schreck und die Angst meines Herzens mich heute zu Ihnen hinter die Scene trieb?«

Sie schüttelte den Kopf und sagte dann:

»O, das war so ritterlich!«

»Ja, Ihr Ritter möchte ich sein, jetzt, stets, allezeit, für das ganze Leben lang!«

Sie schloß die Augen, als müsse die Seligkeit, welche sie über seine Worte empfand, vor jeder profanen Berührung mit der äußeren Sinneswelt bewahrt werden.

»Und darf ich heute bei Ihnen wachen, Sennora?«

»O nein,« sagte sie, aber ein schneller Augenaufschlag bat vielmehr um das Gegentheil.

»Warum nicht?« fragte er.

»Ein Herr!«

Eine glühende Schamröthe glitt bei diesen zwei Worten über die Wangen. Sie hatte sich in der Gewalt wie selten Eine.

»Sennora, ich schwöre Ihnen zu, daß ich Sie nicht berühren werde!« betheuerte er.

»Was würde man sagen,« entgegnete sie leise.

»Man soll nur ein einziges Wort wagen!« drohte er.

»Ich bin müde!« lispelte sie, ihre Hand aus der seinigen ziehend, und nun beide Hände wie zum Nachtgebete faltend.

»Schlafen Sie! Ich bleibe.«

Der Sturz schien sie ganz widerstandsunfähig gemacht zu haben. Sie machte keine Entgegnung mehr, und bald verkündigten ihre leisen, ruhigen Athemzüge, daß sie eingeschlafen sei.

Und da saß der Graf vor ihr, während der ganzen langen, einsamen Nacht. Die Ampel warf ihren purpurnen, wollüstigen Schein über das Lager, wo bald dann und wann eine Schlafbewegung der Ballerina dem Greise Schönheiten ahnen ließ, die sein Blut in Wallung brachten und seine Sinne vollends gefangen nahm. Er war der Sirene verfallen.


// 576 //

Nur einmal war er stark genug, sich von dem bezaubernden Anblicke loszureißen. Er erhob sich leise, um einen Blick in das Vorzimmer zu werfen. Er hatte bisher gar nicht wieder daran gedacht, daß er Alimpo befohlen hatte, im Vorzimmer zu wachen, und daß der Arzt auch Elvira gebeten hatte, hier zu bleiben.

Da saßen sie nun neben einander auf dem Sopha, im tiefen Schlafe eng in einander verschlungen. Ihre beiden ehrlichen, treuen Gesichter machten einen guten, Vertrauen erweckenden Eindruck, und der Graf murmelte, leise nickend, vor sich hin:

»Sie lieben einander; sie sollen glücklich sein, so wie ich glücklich bin!«

Dann ließ er sich wieder neben dem Lager der Tänzerin nieder; da wachte er, bis am Morgen eine Bewegung andeutete, daß sie erwache.

Er hatte freilich nicht bemerkt, daß sie ihn bereits seit einiger Zeit unter den Wimpern hervor beobachtete.

Da streckte sie die schöne üppige Gestalt, hob die Arme gegen die Schläfe, so daß die herrliche Büste zur vollen Geltung kommen mußte, und öffnete dann langsam die Augen.

Es hatte den Anschein, als besinne sie sich zunächst gar nicht auf das Geschehene, dann aber traf ihr Blick den seinen, und nun fuhr sie mit einem kaum genug unterdrückten Schrei zusammen.

»Mein Gott, Graf, Sie noch hier?« fragte sie.

»Ich hielt es für meine Pflicht, zu wachen!« sagte er lächelnd.

»O, mein Leben und meine Gesundheit ist nichts so Kostbares!«

»Versündigen Sie sich nicht an der Gottheit, Sennora!« warnte er. »Sie haben Gnadengaben erhalten, welche eine Jede zur Fürstin, zur Königin machen.«

Sie legte sich auf die eine Seite, stemmte den Kopf in die Hand, blickte ihn fest und fast finster an und sagte:

»Pah, eine Tänzerin!«

»Aber, dennoch werth eine Königin zu sein!« behauptete er.

»Wagt es ein Herr, bei einer Königin zu wachen, Don Manfredo?« fragte sie. »Er wagt es nur bei der Ballerina.«

Ihr Auge leuchtete dabei in einem eigenthümlich drohenden Feuer.

»That ich Unrecht, Sennora?« fragte er leise.

»Ja. Ich bat Sie, mich zu verlassen!«

»Ich konnte unmöglich gehorchen!«

»Warum nicht?«

»Fragen Sie einen Seligen, warum er nicht aus dem Himmel will!«

»Und dennoch werden Sie diesen Himmel verlassen.«

»Niemals!«

»Sind Sie denn würdig, seine Seligkeiten zu genießen?«

Bei dieser Frage richtete sie einen Blick auf ihn, dessen Hingebung ihn trunken machte.

»Prüfen Sie mich!« bat er.

Jetzt lagerte sich ein tiefer Ernst über ihr morgenfrisches Angesicht.

»Prüfen?« fragte sie. »Ich Sie? - Das Weib ist schwach, es lebt nur in der Liebe; aber der Mann ist stark. Prüfen Sie sich selbst, ob Sie würdig sind.«

Da kniete er vor ihr nieder, faßte ihre beiden Hände und sagte:


Ende der vierundzwanzigsten Lieferung - Fortsetzung folgt.



Karl May: Waldröschen

Karl May – Forschung und Werk