Lieferung 13

Karl May

17. Februar 1883

Waldröschen
oder
Die Rächerjagd rund um die Erde.

Großer Enthüllungsroman
über die
Geheimnisse der menschlichen Gesellschaft

von

Capitain Ramon Diaz de la Escosura.


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»Welches mir Cortejo gab?«

»Ich vermuthe es.«

»Es war dasselbe Gift, welches mein Vater erhielt?«

»Ja.«

»Wo befindet er sich? Du sagtest, daß er noch lebe.«

»Beruhige Dich, mein Herz! Ich werde Dir Alles erzählen. Ich glaube nicht, daß unsere Elvira Dir Alles sagen konnte, wie es eigentlich zu berichten ist. Da Du einmal Einiges weißt, sollst Du auch Alles erfahren, denn ich sehe, daß Du wirklich stark genug bist, die Wahrheit zu hören.«

Er nahm bei ihr Platz, und nun wurde der Abend der Besprechung jener Ereignisse gewidmet, welche von so großem Einflusse auf das Schicksal der Familie de Rodriganda gewesen waren.

Am anderen Morgen, als Rosa vom Schlafe erwachte, fühlte sie sich so gekräftigt, daß sie aufstand und sich von Elvira ankleiden ließ; dann erlaubte sie Alimpo, zu ihr zu kommen.

Als er eintrat, stand sie im Morgenkleide inmitten des Zimmers, so frisch und schön, wie er sie auf Rodriganda gesehen hatte. Er eilte auf sie zu, sank vor Rührung vor ihr nieder und zog ihre beiden Hände an seine Lippen.

»O meine liebe, liebe, gnädige Contezza,« rief er mit überströmenden Thränen, »wie danke ich Gott, daß Sie gerettet sind!«

»Ich danke ihm nicht minder, daß ich nun wieder mit Euch sprechen kann,« antwortete sie.

»Daran ist nur Sennor Sternau schuld; nur er allein hat Euch wieder gesund gemacht!«

»Ich weiß es. Er hat mir auch erzählt, was Ihr für ihn und mich gethan habt. Habe Dank dafür, Du Treuer, Du!«

»O, das ist Nichts, das ist gar Nichts,« versicherte er. »Wir würden Euch folgen bis an das äußerste Ende der Erde. Meine Elvira sagt das auch!«

»Ich werde nachsinnen, ob ich Euch diese Aufopferung ein Wenig vergelten kann. Aber, willst Du nicht einmal zu Sennor Sternau gehen und ihn fragen, ob ich einige Minuten lang spazieren gehen kann!«

»Sogleich, sogleich! O, unsere Contezza kann wieder sprechen und spazieren gehen!«

Mit diesem Freudenrufe sprang er trotz seiner dicken Gestalt in höchster Eilfertigkeit zur Thür hinaus und brachte bereits nach zwei Minuten den Arzt herein, der sich freute, die Patientin so wohlauf zu sehen und ihr in Folge dessen den Spaziergang unter seiner Begleitung erlaubte.

Bereits eine Stunde früher war schon ein Anderer nach dem Walde gegangen, nämlich der kleine Kurt, der es sich nicht nehmen ließ, in solcher Morgenfrühe mit seinem Gewehre im Forste herum zu streifen. Er hatte tief drin einen sehr guten Bekannten, den er heut aufsuchen ging, nämlich den Waldhüter Tombi, der in einer einsamen, tief versteckten Hütte wohnte und große Stücke auf den Knaben hielt, dessen Lehrer in gar mancherlei Dingen er war.

Als Kurt die kleine Lichtung erreichte, auf welcher die Hütte lag, sah er aus dem niedrigen Rauchfange derselben blaue Rauchwolken aufsteigen.


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»Ah, er ist noch nicht fortgegangen; das ist gut, da bekomme ich gute Gesellschaft!«

Mit diesen in sich hinein gesprochenen Worten schritt er auf die Hütte zu und klopfte an die Thür derselben.

»Wer ist es?« fragte eine helle, kräftige Stimme von Innen.

»Kurt,« antwortete der Knabe.

»Gleich!«

Er konnte nicht sogleich öffnen, denn er befand sich in einer Beschäftigung, von welcher der Knabe nichts wissen sollte. Er saß nämlich an einem alten Tische und las bei verschlossenen Läden und dem Scheine des auf dem offenen Herde brennenden Feuers einen Brief, der in fremdartigen Schriftzügen geschrieben war. Das daneben liegende Couvert trug den Poststempel von Manresa in Spanien und die Adresse: »An den Forsthüter Tombi in Rheinswalden bei Mainz, Deutschland.« Ein Kenner hätte die Buchstaben des Briefes als arabische erkannt; das Schreiben selbst aber war in jenem malayischen Dialekte abgefaßt, welcher auf den westlichen Inseln des stillen Ozeans gesprochen wird und viel mit arabischen Wörtern vermengt ist. Es lautete:

                        »An Tombi.
      Mein Sohn!
Ich freue mich, daß es unsern Schützlingen wohl geht. Bei Doctor Sternau war dies nicht der Fall. Jetzt ist er mit der Wahnsinnigen abgereist. Er ist über die Grenze und wird wohl nach Paris gehen. Es ist auch möglich, daß er sie zu seiner Mutter und Schwester führt. Sollte dies der Fall sein, so passe auf über ihr Glück. Es wird einst die Zeit kommen, in der sie es Dir danken werden und in welcher auch wir Rache nehmen an Dem, der uns verstoßen hat.
   Schreibe mir Alles, was passirt, und auch ich werde Dich benachrichtigen, wenn Etwas vorkommt, wodurch ein Brief nöthig wird. Du bist der zukünftige König der Gitanos. Vergiß nicht, daß Dein Schutz mächtig ist über Alle, die ich unter denselben gestellt habe!
      Deine Mutter
                          Zarba, die Königin.«

Der Waldhüter hatte diesen Brief gestern empfangen. Heute las er ihn noch einmal durch und wurde dabei durch den Besuch des Knaben gestört. Er legte ihn schnell zusammen, steckte ihn in das Couvert und verbarg dieses in einer Brieftasche, welche in einer alten Lade lag.

Dieses Portefeuille paßte nicht zu dem alten, rissigen Möbel, in welchem es aufbewahrt wurde. Es war aus dem feinsten Saffianleder gefertigt, enthielt ein goldgeschnittenes Notizbuch, in welchem alle Bemerkungen in der erwähnten Malayensprache niedergeschrieben waren, und in den Taschen außer mehreren geheimnißvollen Schriften und Briefen auch noch einen ziemlich dicken Stoß von Banknoten, die einen Werth repräsentirten, den kein Mensch dem unscheinbaren Waldhüter zugetraut hätte. Nun erst, nachdem er den Brief versteckt hatte, öffnete er.

»Guten Morgen, Tombi!« grüßte der Kleine.

»Guten Morgen,« dankte der Hüter.


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Das Licht des Morgens fiel auf seine schlank aber kräftig gebaute Gestalt. Wer den Grafen Alfonzo de Rodriganda kannte und diesen Waldhüter erblickte, dem mußte die ganz außerordentliche Aehnlichkeit auffallen, welche zwischen diesen Beiden herrschte, nur daß die Gesichtszüge des Hüters ein dunkleres Kolorit zeigten und in ihrem Schnitte an jene Physiognomien erinnerten, welche man nur bei den Zigeunern findet.

»Du stehst wohl erst auf?« fragte der Knabe.

»Nein. Ich habe gar nicht geschlafen.«

»Was hast Du gethan?«

»Ich habe einen Bock aufgelauert.«

»Hast Du ihn erwischt?«

»Ja.«

»Wo liegt er?«

»Hier in der Hütte.«

»Den muß ich sehen! Zeige ihn mir schnell!« sagte Kurt ganz begeistert.

»So komm herein!«

Das Deutsch des Waldhüters klang fremdartig und gebrochen. Er hatte ein scharfes, durchdringendes Auge und einen Zug der Biederkeit, der Aufrichtigkeit im Angesichte, der ihm das Vertrauen Aller erweckte, mit denen er in Verkehr kam. Er führte den Knaben in das Innere der Hütte, wo der Rehbock lag, über den sich Kurt sogleich niederbeugte, um ihn aufmerksam zu beobachten.

»Ein Kapitalbock!« rief er.

»O ja! Ich bin ihm bereits seit langer Zeit zu Gefallen gegangen.«

»Auf's Blatt getroffen und im Feuer zusammengestürzt! Du bist ein tüchtiger Kerl, Tombi!«

»Du auch, Kleiner!« lachte der Hüter.

»Wieso?«

»Ich habe noch gestern gehört, daß Du einen Fuchs geschossen hast.«

»Ja. Auch er war ein tüchtiger Kerl!« sagte Kurt mit stolzer Miene.

»Wer war mit?«

»Der Ludewig und die beiden Andern.«

»Haben denn die nicht getroffen?«

»Nein.«

»Hm!« brummte der Hüter mit einem scharfen Blicke in das Gesicht des Jungen. »Der Ludewig schießt doch sonst sehr gut. Er fehlt niemals. Das ist kurios. Hat er denn auf den Fuchs gezielt?«

»Nein,« antwortete Kurt verlegen.

»So hat er also gar nicht geschossen?«

»Doch, o ja!«

»Ja, worauf denn?«

»Hm! Frage ihn selbst!«

»Donneritta! Ist es denn ein so großes Geheimniß?«

»Allerdings!«

»Auch vor mir?«

»Auch vor Dir,« nickte Kurt.


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»Höre, Junge, ich denke, wir sind gute Freunde!«

»Das denke ich auch.«

»Nun, zu einem guten Freunde hat man Vertrauen!«

»Das habe ich ja zu Dir. Aber der Ludewig ist mein guter Freund auch, und es giebt Sachen, die man selbst einem guten Freunde nicht erzählen darf.«

»Donneritta, Du redest ja wie ein Buch, Kleiner!« lachte der Hüter. Dann frug er mit einer schelmischen Miene, die ihm sehr gut stand:

»Ich habe gehört, daß Ihr im Schlosse Trauer habt.«

»Trauer? Weshalb?«

»Weil ein Weibsbild gestorben ist.«

»Ein Weibsbild? Davon weiß ich ja gar nichts!«

»Ja, in Weibsbild. Eigentlich nicht gestorben ist sie, sondern man hat sie geradezu ermordet.«

Da trat Kurt erschrocken zurück und rief:

»Ermordet? Und ich weiß nichts davon!«

»Ja, ermordet, elendlich erschossen und umgebracht!«

»Wer ist denn der Mörder, he?«

»Hm! Der Ludewig.«

»Das ist nicht wahr!« rief der Knabe eifrig. »Der Ludewig ist kein Mörder und kein Todtschläger.«

»Das habe ich auch gedacht, aber da sieht man, wie man sich sogar in seinen besten Freunden irren kann. Er hat das Weibsbild ermordet und dann heimlich im Garten vergraben.«

Da besann sich der Knabe endlich und rief lachend:

»Ach, jetzt weiß ich es, weiches Weibsbild Du meinst!«

»Nun?«

»Die Waldina.«

»Ja, die Waldina,« nickte der Hüter befriedigt. »Junge, ich wollte Dich auf die Probe stellen, und Du hast sie gut bestanden. Man darf seine Freunde nie blamiren, und Du wolltest über den schandbaren Tod der armen Waldina schweigen, um der Ehre Ludewigs keinen Schaden zu machen. Das war recht von Dir!«

»Es hat ihm weh gethan,« sagte der Knabe. »Ich glaube gar, er hatte eine Thräne im Auge; es war ein Sauschuß.«

»Ja, ein echter, richtiger Sauschuß. Ich hoffe, daß Du niemals einen solchen thun wirst!«

»Fällt mir gar nicht ein!«

»Warum kamst Du diese Tage nicht zu mir?«

»Ich hatte keine Zeit. Als ich den Fuchs geschossen hatte, kam Besuch.«

»Wer?«

»Onkel Sternau.«

»Wer noch?«

»Die Gräfin Rodriganda nebst Cousin Alimpo und Cousine Elvira. Weißt Du das noch nicht?«

»Ich habe davon gehört! Wie gefallen sie Dir?«

»Wie sollen sie mir gefallen! Gut, sehr gut. Den Onkel Sternau habe ich


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sehr lieb, und der Cousin und die Cousine sind so dick und gut, daß man sie gleich gern hat, wenn man sie sieht.«

Der Hüter lachte.

»Also dick muß man sein, um Dir zu gefallen! War die Gräfin nicht krank?«

»Ja, sehr. Aber der Onkel hat sie schnell wieder gesund gemacht. O, er ist ein gescheidter Kerl, viel gescheidter sogar als der Herr Hauptmann; das sagen alle Leute!«

»Auch gescheidter als Du?« fragte der Hüter scherzend.

»Ja. Aber wenn ich einmal so groß bin wie er, dann nehme ich es mit ihm auf; darauf kannst Du Dich fest und getrost verlassen.«

»Dann machst Du keine Dummheiten mehr?«

»Nein. Habe ich denn einmal welche gemacht?«

»O bewahre!« lachte Tombi. »Du errettest nur Gefangene und schießest Staatsanwälte todt!«

Da stieg die Röthe der Scham und des Zornes in das Gesicht des Knaben. Er sagte:

»Du bist nicht gut, Tombi; Du bist schlecht!«

»Ah, warum?«

»Hast Du nicht erst vorhin gesagt, daß Du mein guter Freund bist?«

»Ja.«

»Und daß gute Freunde sich nicht blamiren sollen?«

Da machte der Hüter ein sehr ernsthaftes Gesicht und antwortete:

»Du hast Recht, Kurt! Aber gute Freunde können unter sich auch einen Spaß verstehen!«

»Diese Art Spaß liebe ich nicht. Komm', wir wollen schießen!«

Er sagte das mit einer so indignirten Miene, als ob ihm die größte Beleidigung widerfahren sei. Der Hüter nickte schweigend mit dem Kopfe, nahm sein Gewehr zur Hand und trat mit ihm aus der Hütte, wo auf der Lichtung ein Schießstand errichtet war. Hier pflegten sich die Beiden zu üben, und meist hier hatte sich der Knabe seine Treffgeschicklichkeit geholt.

Sie nahmen auch heute ihre gewöhnlichen Uebungen auf. Tombi erwies sich als ein ganz vorzüglicher Schütze, aber der Knabe gab ihm Wenig nach. Während der Uebung bedienten sie sich einer fremd und eigenthümlich klingenden Sprache, von welcher kein Bewohner der Umgegend ein Wort hätte verstehen können. Kurt hatte sie spielend gelernt. Als die Uebung beendet war, kehrte der Knabe zum Schlosse zurück, und der Hüter begleitete ihn. Er hatte sich den Rehbock über die Schulter geworfen, um ihn nach dem Schlosse zu bringen.

Was sie sich für heute zu sagen gehabt hatten, das war gesagt worden, darum schritten sie nun schweigsam hinter einander her. Sie mochten etwas über die Hälfte des Weges zurückgelegt haben, als sie Stimmen vor sich hörten.

»Komm' herein!« sagte der Hüter.

Er faßte den Knaben und zog ihn in das dichte Gebüsch, welches von hohen Eichen und Buchen überragt wurde. Dort blieben sie schweigsam und lauschend stehen. Vielleicht ertappten sie auf diese Weise Leute, welche in irgend einer ver-


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botenen Absicht den Wald aufsuchten. Solche Leute gab es in der Umgegend genug.

Sie hatten noch nicht lange gestanden, so bemerkten sie, daß sie sich getäuscht hatten, denn die Beiden, welche des Weges daher kamen, waren keine Anderen als Sternau mit der Gräfin de Rodriganda.

»Donnaritta,« brummte der Hüter überrascht, »ganz der Herzog Olsunna! Ganz wie aus den Augen geschnitten!«

»Was?« fragte Kurt leise.

»O, nichts,« flüsterte der Gefragte, sich rasch zusammen nehmend. »Wer ist dieser Riese?«

»Onkel Sternau.«

»Und diese prächtige Dame?«

»Die Gräfin.«

»Lassen wir sie vorüber.«

Dies war ein Beschluß, der sich sogleich als nicht ausführbar erweisen sollte. Sternau kam Arm in Arm mit der Geliebten langsam daher geschritten; es war jetzt in ihrem Gespräche eine Pause eingetreten, während welcher Beide nachdenklich ihren Weg fortsetzten. Da plötzlich krachte es links von ihnen in den Büschen, und es ließ sich ein zorniges und schnaubendes »Hu hu hu hu« vernehmen.

»Was ist das?« fragte Rosa, stehenbleibend.

»Das klingt fast wie eine Wildsau auf der Flucht,« antwortete Sternau besorgt.

Er hatte diese Worte kaum gesagt, so brach es aus dem Buschrande hervor. Ja, es war ein Eber. Er sah die Beiden, glotzte sie einen Augenblick lang grimmig mit seinen kleinen Augen an, senkte dann den mit zwei fürchterlichen Hauern bewehrten Kopf und stürzte sich auf Rosa, die mit ihrer auffälligeren Kleidung seinen Zorn mehr auf sich zog als Sternau.

»Heilige Madonna!« rief sie, vor Schreck nicht fähig, auch nur einen einzigen Schritt zu thun.

"Heiliger Gott!" rief Sternau ...

»Heiliger Gott!« rief Sternau in fürchterlicher Angst, da er keine Waffe bei sich trug.

Er umfaßte die Geliebte, und gerade in demselben Augenblicke, in welchem der Eber seinen hauenden Stoß führen wollte, riß er sie empor und sprang mit ihr zur Seite.

»Holla, Onkel, keine Angst!« rief da eine helle Kinderstimme.

Zu gleicher Zeit ertönte ein Schuß. Der Eber, welcher zum zweiten Stoße, der jetzt ganz gewiß getroffen hätte, ausholte, blieb einen Augenblick lang wie erstarrt stehen; dann schnellte er um einige Schritte zur Seite, wankte wie betrunken und brach zusammen.

»Hurrah! Fertig! Auf einen einzigen Schuß!« jubelte da dieselbe Kinderstimme.

Erst jetzt gewann Sternau seine volle Thatkraft wieder, die er aus Angst um der Geliebten willen für einen Augenblick verloren hatte, was bei ihm noch niemals vorgekommen war.

»Du, Kurt?« fragte er den Knaben, der soeben aus den Büschen trat.


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»Ja, ich!« lachte dieser, das Gewehr noch immer erhoben, um nöthigenfalls sogleich den zweiten Lauf abschießen zu können. »Ist der Bursche wirklich todt, Onkel?«

»Ich glaube es. O, Kurt, Herzensjunge, Du hast uns das Leben gerettet!«

»O nein, Onkel,« antwortete der Junge. »Du bist stark; Du hättest diesen Keiler in den Boden getreten. Darum bin ich froh, daß ich Dir zuvorgekommen bin.«

»Wie kommst Du hierher?«

»Ich wollte nach dem Schlosse. Ich war bei dem Tombi, der einen Bock hintragen will.«

»Tombi? Wer ist das?«

»Da, da steht er ja.«

Da trat Tombi hervor und antwortete:

»Herr, ich bin ein Waldhüter und gehöre zum Schlosse.«

Als Sternau ihn erblickte, trat er vor Ueberraschung einen Schritt zurück. Rosa ging es ebenso. Sie rief erstaunt, sich nicht auf die Gegenwart besinnend:

»Alfonzo! Ah, nein! Aber welche Aehnlichkeit!«

»Tombi heißen Sie?« fragte Sternau, sich fassend. »Das ist kein deutscher Name.«

»Ich bin kein Deutscher, Herr.«

»Was denn?«

»Ein Gitano.«

»Ah, ein Zigeuner?«

»Ein spanischer Zigeuner?« setzte Rosa hinzu. »Denn nur diese werden Gitanos genannt.«

»Ja, meine Dame,« antwortete Tombi spanisch, da Rosa in dieser Sprache gesprochen hatte.

»Aus welcher Gegend?«

»Aus keiner,« antwortete er mit einem wehmüthigen Lächeln. »Der Gitano hat keine Heimath; er kennt weder Nähe noch Ferne; er kennt weder Gegend noch Richtung. Er zieht und wandert, und wo er ist und wo er hinkommt, da ist er fremd und ausgestoßen.«

»Doch nur durch böse Menschen. O, wie freut es mich, die Sprache meiner Heimath zu hören. Wie kommen Sie aber hierher in diesen Dienst?«

»Ich habe Spanien und Frankreich oft durchzogen, dann auch Deutschland. Als ich nach hier kam, war ein großes Treiben. Man brauchte Leute und stellte mich mit zu den Treibern. Da merkte der Herr Hauptmann, daß ich schießen konnte und vertraute mir ein Gewehr an. Er war mit mir zufrieden und fragte mich, ob ich bleiben wolle. Ich blieb.«

»Wie lange ist dies her?« fragte Sternau.

»Drei Jahre.«

»Gerade so lange, als meine Mutter sich hier befindet. Ich liebe die Zigeuner; ich habe immer welche da gesehen, wo ich mich befand, als Knabe, als Student, auf meinen Reisen. Und immer waren sie freundlich und ehrlich gegen mich.«


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Er ahnte nicht, daß dies kein Zufall sei, sondern, daß er sich unter dem Schutze der Königin einer weit verbreiteten Zigeunerverbindung befinde.

»Der Gitano ist ein Freund seiner Freunde und ein Feind seiner Feinde,« sagte der Hüter.

»Haben Sie keine Verwandten?« fragte Sternau.

»Ich habe viele Verwandte; alle Gitanos sind meine Brüder und Schwestern. Einen Vater habe ich nicht, aber meine Mutter lebt; ihr Name ist Zarba.«

»Zarba?« fragte Rosa schnell. »Ist es möglich!«

»Ja, Zarba,« antwortete er einfach.

»O, diese war sehr viel bei uns auf Rodriganda. Sie hat mir sehr oft geweissagt - - als ich noch ein kleines Mädchen war,« fügte sie hinzu.

»Später nicht?« fragte Sternau lächelnd.

Rosa erglühte vor Verlegenheit, war aber doch aufrichtig und gestand:

»Auch später einmal. Da rieth sie mir - - - o, daran habe ich ja gar nicht wieder gedacht! Das ist ja ganz außerordentlich merkwürdig!«

»Was?«

»Sie kannte Dich!«

»Mich?« fragte Sternau verwundert.

»Ja, Dich!«

»Das wäre allerdings wunderbar. Was sagte sie?«

»Sie war auf dem Schlosse, als Vater die drei Aerzte kommen ließ, um sich operiren zu lassen. Sie bat mich, mir weissagen zu dürfen, und ich reichte ihr die Hand. Da sagte sie, daß nur ein Arzt, der in Paris lebte, dem Vater helfen könne. Da dachte ich an Dich und nannte Deinen Namen. Sie nickte und sagte, ich solle Dich kommen lassen, Du seiest bei Professor Letourbier.«

»Merkwürdig!« sagte Sternau.

»Mutter Zarba weiß Alles und kennt Alles,« sagte der Hüter stolz. »Sie ist die Königin des Stammes der Brinjaren und Lambadaren; sie ist mächtiger als mancher Fürst der Erde.«

»Und dennoch bleiben Sie hier?« sagte Sternau.

»Zarba wird mich rufen, wenn sie meiner bedarf.«

»Ich wünsche ihr alles Gute, habe ich doch ihrem Sohne das Leben zu verdanken, denn wenn Sie nicht mit Kurt in der Nähe gewesen wären, so waren wir verloren. Es soll mich herzlich freuen, wenn Sie mir einmal Gelegenheit geben, Ihnen dankbar zu sein. Vergessen Sie dies ja nicht!«

Er nahm Rosa am Arme und kehrte mit ihr nach dem Schlosse zurück. Er konnte den Spaziergang nicht fortsetzen, da er befürchten mußte, daß der Schreck die Geliebte zu sehr angegriffen habe. Der Hüter aber blieb mit Kurt noch einige Zeit am Platze, um den Keiler mit Reißern zu bedecken.

»Was seid Ihr Deutschen doch für Leute!« sagte Rosa. »Dieses Kind ist bereits ein vollständiger Held!«

Sie richtete dabei einen warmen, leuchtenden Blick zu ihm empor, der ihm deutlich sagte, daß sie ihn noch immer für einen Helden halte, obgleich er ihretwegen einen Augenblick gezittert hatte, aber eben auch nur ihretwegen.

Als sie nach Hause kamen, trafen sie den Jäger im Hofe.


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»Ludewig,« sagte Sternau, »spanne an. Draußen am Wege nach dem Eichenbühle liegt ein Keiler.«

»Ah, todt?«

»Ja. Soll er sich etwa lebendig hinlegen?« lächelte Sternau.

»Nein, o, ich Dummhut dahier! Wer hat ihn geschossen?«

»Kurt.«

»Alle Teufel! Wann?«

»Vorhin. Das Thier fiel uns an, und wir wären schlecht weggekommen, wenn Kurt nicht zufälliger Weise in der Nähe gewesen wäre. Ich war ja ohne alle Waffe.«

»Also, das Leben gerettet dahier! Ein Prachtjunge, Herr Doktor. Nicht?«

»Ja; ich werde es ihm niemals vergessen.«

»Ich habe ihn erzogen,« bemerkte Ludewig stolz. »Uebrigens hat man bereits nach Ihnen gefragt. Es kam ein Herr gefahren.«

»Wer ist es?«

»Es wird wohl der Staatsanwalt sein, dahier.«

»Ich danke!«

Er trat mit Rosa in das Portal. Ludewig sah ihnen mit leuchtenden Augen nach und brummte:

»Welch ein Paar! So giebt's bei Gott kein zweites! Er wie eine Eiche, so fest und stolz, und sie wie eine Linde, so mild und schön. Wenn Unsereiner so eine Frau bekommen könnte! Aber es ist schon dafür gesorgt, daß Einem keine Gräfin auf den Buckel springt dahier!«

Sternau führte Rosa nach ihrem Zimmer und begab sich dann nach dem Gesellschaftsraum, wo er den Staatsanwalt bei dem Oberförster fand. Er wurde von Beiden auf das Herzlichste begrüßt. Der Letztere frug in seiner drastisch wohlmeinenden Weise:

»Wo laufen Sie denn schon so früh herum, Cousin? Und Ihre Kranke schleppen Sie auch mit sich fort! Wenn sie bereits so sehr außer aller Gefahr ist, so haben Sie bei Gott ein wirkliches Meisterstück fertig gebracht!«

»Sie ist allerdings genesen,« sagte Sternau einfach.

»Vollständig?« fragte der Oberförster.

»Vollständig. Wenn ich noch gezweifelt hätte, so wäre dieser Zweifel jetzt vollständig beseitigt. Sie hat einen Schreck ohne alle schlimmen Folgen ausgehalten, der hundert anderen Damen gefährlich geworden wäre.«

»Einen Schreck? Donnerwetter, ich will doch nicht hoffen, daß einer meiner Bursche eine Dummheit begangen hat!«

»Nichts weniger als das! Wir waren in Lebensgefahr oder doch wenigstens in Gefahr, fürchterlich verwundet und zugerichtet zu werden. Wir wurden von einem Keiler angefallen.«

»Alle Teufel!« rief der Oberförster aufspringend. »Sie waren ohne Waffen?«

»Ohne Alles. Ich hatte nicht einmal einen Stock.«

»Und die Dame dabei?«

»Ja.«


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»Und Sie stehen hier, vollständig gesund und unverletzt? Der Teufel soll mich holen, wenn ich das begreife!«

»O, es ist sehr leicht zu erklären. Der Keiler wurde gerade in demselben Augenblicke erschossen, in welchem er sich auf die Gräfin stürzte.«

»Von wem?«

»Von Kurt.«

Der Oberförster stand mit offenem Munde da, dann sagte er:

»Von dem Jungen? Ist dieser fünfjährige Bube toll, daß er sich an einen Eber wagt!«

»Er hat uns das Leben gerettet!«

»Derselbe Knabe, welcher mich erschießen wollte?« fragte jetzt der Staatsanwalt.

»Derselbe.«

»Das ist fast unglaublich! Wer das nicht selbst sieht und hört, der muß es für unmöglich halten!«

»Ja,« meinte der Oberförster. »Dieser Junge hat neunundneunzigtausend Teufel im Leibe. Er ist bereits von Natur ein ganz ungewöhnlich veranlagter und begabter Bengel; nun meistert seine Mutter an ihm herum, und der Waldhüter Tombi da draußen macht den Sack vollends voll. Der Junge reitet und schießt, er liest und schreibt bereits; er hat Französisch und Englisch, und dieser Tombi spricht gar in einer so fremden Sprache mit ihm, daß ich glaube, sie ist vom Monde herabgefallen.«

»Er war bei ihm,« bemerkte Sternau.

»Das glaube ich. Sie stecken alle Morgen zusammen, plappern ihre Sprache und schießen dazu. Na, der Junge soll eine Freude haben, die sich gewaschen hat! Und der Gräfin hat der Schreck nicht geschadet?«

»Nicht im Mindesten.«

»So ist sie bei Gott vollständig hergestellt. Darf man sie sehen?«

»Ich bitte, sie den Herren vorstellen zu dürfen, habe aber vorher noch Einiges zu erwähnen.«

»Ah, was Sie gestern von dem Steuermann erfuhren?«

»Ja. Ich möchte es dem Herrn Staatsanwalt erzählen und ihn um seine Meinung ersuchen.«

»Ich bin sehr neugierig. Bitte, erzählen Sie!« sagte der Beamte.

Sternau gab einen kurzen Bericht dessen, was ihm Helmers gesagt hatte, und knüpfte seine Vermuthungen und Entschlüsse daran.

»Das ist allerdings ein ebenso eigenthümlicher wie glücklicher Zufall,« bemerkte der Staatsanwalt. »Wollen Sie mir die Verfolgung dieser Angelegenheit in die Hand geben, Herr Doktor?«

»Gern, wenn sie nicht außerhalb Ihrer amtlichen Befugnisse liegt. Ich verstehe das als Laie nicht.«

»Keine Sorge! Sie sind ein Deutscher, man hat gegen Sie machinirt. Es steht mir Vieles zu Gebote, dessen Sie entbehren würden. Ich werde schnell die nöthigen Schritte thun, um zu erfahren, wann und wo die »Pendola« sich zuletzt gezeigt hat. Ich habe mich auch über die anderen Fragen bereits informirt.«


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»Darf ich erfahren - - -?«

»Gewiß! Die Gräfin ist vollständig legitimirt. Man wird einen Todtenschein ihres Vaters erhalten und sich an den spanischen Gesandten wenden. Es wird ihr kein einziger Pfennig ihres Erbtheils vorenthalten werden können. Und noch an einen anderen Punkt habe ich gedacht -«

Er schwieg und blickte Sternau fragend an.

»Bitte, sprechen Sie weiter!«

»Ich habe zwar keine Erlaubniß dazu gehabt, aber die Klarstellung diese Punktes verstand sich so ganz und gar von selbst, daß ich es wage, ihn zu berühren. Ich meine nämlich Ihre Verbindung mit der Gräfin Rosa de Rodriganda.«

Sternau erröthete ein wenig und sagte:

»Ich habe über das rein Geschäftliche oder Amtliche dieser Sache mit der Gräfin allerdings noch kein Wort gesprochen, bin aber überzeugt, daß sie mir nicht das mindeste Hinderniß entgegenstellen, sondern vielmehr Alles gut heißen wird, was ich in dieser Beziehung thue und verfüge.«

»Das habe ich erwartet,« sagte der Jurist.

»Donnerwetter! Victoria!« rief der Hauptmann. »Erst Verlobung und dann Hochzeit! Und diese beiden werden hier auf Rheinswalden gefeiert. Das will ich mir ausbitten, Cousin! Verstanden!«

»O, bis dahin wird es noch weite Wege haben!« meinte Sternau, glücklich lachend.

»Weite Wege? Was reden Sie da für Unsinn! Sie haben sie den spanischen Hallunken abgerungen, Sie haben sie dem Tode und dem Wahnsinn abgerungen, was soll es da noch weiter geben! Sie ist die Ihrige, sie gehört Ihnen mit Haut und Haar. Ich möchte Den sehen, der das nicht einsieht!«

»Die Behörden werden ein Wort mit drein reden wollen, lieber Herr Hauptmann!«

Da meinte der Staatsanwalt:

»Die Behörden überlassen Sie mir, Herr Doktor. Wir werden diese Angelegenheit noch des Weiteren besprechen; für jetzt aber bitte ich Sie dringend, mich der Gräfin vorzustellen. Ich habe sie wahnsinnig gesehen, und bin geradezu auf das Aeußerste gespannt, mein schriftliches Gutachten vervollständigen zu können.«

»Ich werde sie holen.«

Er erhob sich und ging.

Als er nach kurzer Zeit mit Rosa wiederkehrte, waren die beiden Männer geradezu geblendet von der unvergleichlichen Schönheit ihrer herrlichen Erscheinung. Der Hauptmann stieß einen kernigen Fluch aus, unterdrückte ihn aber zur Hälfte wieder.

Auch der Blick des Staatsanwalts leuchtete. Er hatte sie in marmorner Schönheit im Gebete auf dem Boden knieen sehen; jetzt erblickte er sie, umleuchtet von geistigem Leben und umweht von jenem Odem, welcher der Hauch der echten, reinen, hinreißenden Weiblichkeit ist. Beide standen vor ihr wie unterthänige Vasallen vor ihrer Herrscherin, und dieses Gefühl verließ sie auch nicht eher, als bis sie sich verabschiedet hatte und wieder nach ihrem Zimmer zurückgekehrt war.

»Himmeldonnerwetter!« rief nun der Oberförster. »Sternau, Doktor, Cousin,


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wenn Sie nicht innerhalb der nächsten vierzehn Tage Ihre Verlobung machen, so heirathe ich sie Ihnen vor der Nase weg, so wahr ich Rodenstein heiße. Verlassen Sie sich darauf, ich halte Wort!« - - -

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Zehntes Kapitel.

Die Zingarita.

»O, gräme nie ein Menschenherz;
   Der Gram geht bis auf's Blut,
Und all' den Kummer, all' den Schmerz
   Machst Du nie wieder gut!
O, mach, daß keine Thräne hier
   Ein Aug' um Dich vergießt,
Denn weiß, daß diese Thräne Dir
   Ein schwerer Mahnruf ist!
O, sorge, daß kein Herzeleid
   Du hier verschulden magst,
Es kommt die Stund, es kommt die Zeit,
   Wo Du es tief beklagst!« -

Es war mehr als zwanzig Jahre vor den Ereignissen, welche bisher erzählt worden sind. Man feierte in Saragossa den Beginn des Carnevals. In dieser Zeit ist der sonst so ernste und steife Spanier ein vollständig Anderer. Er stürzt sich mit fast wilder Lust in den Strudel der Freuden und Vergnügungen ein; er taucht darin unter sogar bis auf den schmutzigen Schlamm des Grundes und kommt erst dann wieder zur Höhe zurück, wenn das Vergnügen bis auf die Neige ausgekostet ist.

Einer der prächtigsten Paläste der Stadt, fast ganz aus carrarischem Marmor errichtet und wegen der Pracht seiner inneren Einrichtung altberühmt, gehörte dem Herzoge von Olsunna. Dieser Don, ein Mitglied des höchsten Adels und einer der reichsten Grundbesitzer des Landes, zählte erst vierundzwanzig Jahre und war doch bereits Wittwer und Vater eines kleinen, reizenden Mädchens im Alter von drei Jahren. Er hatte aus Familienrücksichten die Tochter eines der angesehensten Häuser geheirathet, ohne sie zu lieben, und fühlte sich keineswegs betrübt, als sie bei der Geburt dieses Kindes starb.

Er galt als ein strenger Katholik, eifriger Patriot und stolzer, finsterer Aristokrat. Viele aber wollten behaupten, daß er den Freuden des Lebens keineswegs abgeneigt sei und sich im Verborgenen manchen Genuß bereite, von welchem er seinem Beichtvater nicht das Mindeste mittheile. Seine Freunde suchten ihn, seiner Stellung und seines Einflusses wegen; seine Feinde haßten ihn, und seine Umgebung, seine Dienerschaft fürchtete ihn und zitterte vor ihm.

Nur ein einziger Beamter seines Hauses war es, der ihn nicht fürchtete, nämlich der Haushofmeister Gasparino Cortejo, der ungefähr in gleichem Alter mit ihm stand. Einen Menschen, dem er sich nahe stellt, muß ein Jeder haben, und der Herzog fand, daß sein Haushofmeister ein verschwiegener Character sei, dem man


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Vertrauen schenken könne. Den Andern gegenüber behandelte er ihn seiner Stellung gemäß. Unter vier Augen jedoch wurde die Dehors bei Seite geschoben, und die Beiden verkehrten so, wie ein junger Wüstling mit seinem stillen Associé und Maitre de plaisir zu verkehren pflegt.

Heute stand der Herzog in einem seiner prunkvoll eingerichteten Zimmer, rauchte eine kostbare Cigarette und wartete auf Cortejo, zu dem er einen Diener geschickt hatte.

Da trat er ein. Gasparino Cortejo's Gesicht zeigte damals noch die Fülle und Rundung des jugendlichen Alters; er verstand es, Toilette zu machen, und so war es nicht zu verwundern, daß er mit seinem Aeußeren und einer sorgfältig überwachten Tournüre einen nicht unangenehmen Eindruck erzielte.

Er grüßte den Herzog mit einer tiefen Verbeugung, aber dabei mit jenem Lächeln, welches hinter der zur Schau gestellten Demuth eine schlecht verborgene Vertraulichkeit verräth. Der Herzog erwiderte die Verbeugung mit einem leichten, gnädigen Kopfnicken und fragte:

»Nun, wie steht es mit den Maskenanzügen?«

»Sie liegen bereit, Don Eusebio.«

»Kann man sich darin sehen lassen?«

»O!« Diesen Ausruf begleitete Cortejo mit einem verheißungsvollen Schnalzen seiner Finger.

»So! Was hast Du für mich noch gewählt?«

»Einen Perser.«

»Schön! Das giebt eine Figur und erlaubt, glänzende Waffen und Steine zur Geltung zu bringen. Und Du?«

»Ich kleide mich als Mexikaner.«

»Alle Teufel, er hat doch das Beste für sich gewählt! Aber, mag es sein. Wirst Du in einer Stunde fertig sein können?«

»Sicher!«

»So sende mir den Kammerdiener! Es versteht sich ganz von selbst, daß Niemand ahnen darf, daß wir mit einander gehen. Wo aber treffen wir uns?«

»Hm! Ich habe Lust, meine Maske außerhalb des Hauses anzulegen.«

»Ganz recht! Auf diese Weise erfahren die Leute gar nicht, daß Du Dich verkleidest. Aber wo?«

»O,« lächelte Cortejo cynisch, »ich habe da eine kleine, allerliebste Bekanntschaft -«

»Ah, ein Karthäusermönch?« fragte der Herzog spöttisch.

»Nein, sondern ein süßes, allerliebstes Cousinchen.«

»Teufel! Süß und allerliebst! Den Grad der Verwandtschaft darf man doch wohl nicht näher prüfen?«

»Es würde zu keinem Resultate führen, Excellenz.«

»Ist dieses Cousinchen sehr alt?«

»Zwanzig.«

»Klein?«

»Hoch!«

»Blond?«


// 302 //

»Schwarz!«

»Hager?«

»Dick!«

»Kerl, lüge nicht! Du willst mir Appetit machen! Wo wohnt sie?«

An der Strada el Amenio.«

»Hoch?«

»Eine Treppe.«

»Was ist sie?«

»Sie macht am allerliebsten Putz, der sie und Andere ausgezeichnet kleidet.«

»Und wie heißt sie?«

»Clarissa Margony.«

»Ein französischer Name! Und Du willst verwandt mit ihr sein, alter Lügner?«

»Die heilige Bibel lehrt ja, daß alle Menschen Brüder und Schwestern sind. So weit aber gehe ich gar nicht, sondern ich nenne sie nur meine Cousine.«

»Gut. Trolle Dich von dannen! In einer Stunde werde ich in der Strada el Amenio sein. Welche Nummer?«

»Nummer fünfzehn. Aber, Excellenz, die Cousine ist mein! Ich bitte sehr!«

»Kerl, ich glaube gar, Du bist eifersüchtig!« lachte der Herzog. »Ich kann Dir aber noch nichts versprechen. Erst werde ich sie sehen und wissen, was ich thun und lassen werde. Uebrigens hat man heut die Wahl; es ist freier Zutritt in alle Häuser und Zimmer, und ich hoffe, daß es uns an liebenswürdiger Unterhaltung nicht fehlen wird. Vielleicht knüpfen wir heut einen Faden, dessen Fortsetzung uns noch später amüsirt. Jetzt aber packe Dich!«

Cortejo gehorchte diesem nicht sehr höflichen Gebote, und in kurzer Zeit trat der Kammerdiener ein, mit dem Maskenanzuge auf dem Arme, um seinen Herrn anzukleiden.

Der Herzog besaß eine ungewöhnlich hohe und kräftige Figur, wie man sie in Spanien selten findet, und in Folge dessen bildete er in seinem diamantengeschmückten persischen Habite eine Erscheinung, welche Aufsehen erregen mußte.

Unterdessen packte Cortejo seine Maske zusammen und machte sich auf den Weg. Während seines Ganges begegnete ihm ein junger Mann, welcher sehr einfach nach französischem Schnitte gekleidet war. Die Straße war hier eng, und da grad ein Arriero (Maulthiertreiber) mit seinen Thieren vorüberkam, so gab es nicht genug Raum zum Ausweichen.

»Packe Dich zur Seite!« gebot Cortejo dem Fremden.

Dieser antwortete nicht und blieb stehen, um den Maulthierzug vorüber zu lassen.

»Hast Du gehört, daß Du ausweichen sollst!«

Bei diesen Worten gab Cortejo dem Andern einen Stoß mit der Faust in die Seite; aber ohne ein einziges Wort zu erwidern versetzte der Gestoßene dem unverschämten Angreifer einen so kräftigen Hieb über den Magen, daß Cortejo niederstürzte. Er raffte sich jedoch schnell wieder auf.

»Hund,« brüllte er; »das sollst Du mir entgelten!«

Er wollte den Andern packen, kam aber nicht dazu. Sein Gegner war zwar nicht groß und stark gebaut, schien aber in körperlichen Uebungen eine sehr bedeutende


// 303 //

Gewandtheit zu besitzen, denn ehe Cortejo es sich versah, lag er wieder auf dem harten Setzpflaster der engen Straße, und dieses Mal wurde ihm das Aufstehen nicht wieder so leicht als vorher. Als er endlich wieder aufrecht stand, waren die Maulthiere vorüber, und er erblickte aus den vergitterten Fenstern der benachbarten Häuser so viele Augen spöttisch auf sich gerichtet, daß er eilig von dannen schritt, ohne sich um den Sieger weiter zu kümmern.

Dieser war übrigens bereits ziemlich weit entfernt; er hatte sofort nach dem zweiten, kräftigen Hiebe seinen Weg fortgesetzt, ohne sich auch nur ein einziges Mal nach Cortejo umzudrehen. Er schritt über die prächtige Brücke, welche den Ebro überspannt und die Stadt in zwei Hälften theilt und trat dann in eines der größten Häuser, welches Saragossa aufzuweisen hatte.

Dieses Haus gehörte dem Bankier Salmonno. Dieser war ein Millionär und zugleich Besitzer eines ungeheuren Stolzes. Er stammte aus einer jüdischen Familie Namens Salomon, schämte sich jedoch dieser Abkunft und hatte deshalb dem Namen seiner Eltern den spanischen Klang Salmonno gegeben. Uebrigens war sein Stolz nicht größer, als der Geiz, den er besaß.

Als der junge Mann durch den Eingang trat, winkte ihm der Portier zu.

»Sennor Sternau,« sagte er; »es ist gut, daß Ihr kommt.«

»Warum?«

»Don Salmonno hat bereits zweimal nach Euch gefragt.«

»Was soll ich?«

»Ich weiß es nicht; aber er zürnte, daß Ihr nicht zugegen wart.«

Der junge Mann nickte gleichmüthig und öffnete eine mächtige, mit Eisen beschlagene Thür, welche in einen langen, niederen Raum führte, wo zahlreiche Commis an ihren Pulten saßen.

»Schnell, Sennor Sternau,« flüsterte der Vorderste von ihnen. »Der Don hat übles Blut!«

»Weshalb?«

»Ich weiß es nicht.«

»Pah! Haben Sie nicht auch übles Blut?«

»Hm! Man muß schweigen.«

»Ich bedaure Sie, Sennor! Heut, zum Beginne des Carnevals hinter dem Pulte sitzen zu müssen. Das kann nur in diesem Hause geschehen! Na, ich werde einmal sehen, ob mir das böse Blut Don Salmonnos gefährlich wird.«

Er durchschritt den Raum und klopfte dann an eine zweite Thür, welche ebenso mit Eisen beschlagen war wie die erste. Es ertönte keine Antwort. Er klopfte abermals, dann zum dritten Male und erhielt erst Antwort, als er zum vierten Male mit doppelter Stärke pochte.

»Entrada - Eintritt!« rief eine zornige Stimme.

Er trat ein. Der Raum, in welchem er sich nun befand, war klein, und an seinen drei Wänden standen ebenso viele Geldschränke. Don Salmonno engagirte nämlich niemals einen Kassirer; er traute keinem Menschen als nur sich allein. Er hatte sich jetzt von einem alten Drehstuhle erhoben, auf welchem er vor einem noch älteren Pulte saß, und fragte grimmig:

»Warum klopft Ihr?«


// 304 //

»Weil ich eintreten wollte,« ertönte die ruhige Antwort.

»Aber so viele Male!«

»Weil Niemand antwortete.«

»Und so laut!«

»Weil Niemand hörte.«

»Was wollt Ihr?«

»Man schickt mich zu Euch.«

»Ja, ja, ich wollte mit Euch reden, aber wenn ich mit dem Erzieher meines Sohnes reden will, so ist er niemals zu Hause. Sind die Deutschen alle so lüderlich?«

»Die Deutschen sind nicht lüderlicher als die Spanier, Sennor, und ich kann wohl sagen -«

Don werde ich genannt, aber nicht Sennor!« unterbrach ihn der Bankier.

Sternau zeigte ein sehr ruhiges Lächeln und sagte:

»Don werden nur die Angehörigen des hohen Adels genannt, aber wenn dieses Wort Euch Vergnügen macht, so sollt Ihr es oft genug zu hören bekommen, Don Salmonno. Was ich aber sagen wollte, das ist, daß ich bisher stets zu haben gewesen bin, wenn ich gerufen wurde, Ihr habt Euch also vorhin einer großen Ungenauigkeit, oder gar Unwahrheit schuldig gemacht, welche ich zu berichtigen bitte. Ihr wißt, daß ich meine Pflicht erfülle, und da denke ich, daß ich auch das Recht habe, die gewohnte Achtung und Höflichkeit zu beanspruchen.«

»Vergeßt nicht, daß Ihr in meinen Diensten steht und mein Untergebener seid!« rief der Geldmensch.

»Der Erzieher ist niemals der Untergebene der Eltern, sondern ihr Freund und Helfer, denn er arbeitet an derselben Aufgabe wie sie. Das ist meine Meinung, Don Salmonno.«

Der kleine, schmächtige Erzieher stand dem langen, hagern »Vorgesetzten« furchtlos gegenüber, daß dieser Letztere wirklich sich eingeschüchtert fühlte. Er entgegnete Nichts und wiederholte nur:

»Wo seid Ihr gewesen?«

»Darüber habe ich eigentlich keine Rechenschaft zu geben, aber aus Höflichkeit will ich es Euch sagen, daß ich bei dem Buchhändler war.«

»Was thatet Ihr dort?«

»Ich bestellte einige Bücher.«

»Für wen?«

»Für Euren Sohn.«

Da runzelte der Bankier die Stirn und rief:

»Schon wieder Bücher! Könnt Ihr Deutschen denn ohne Bücher gar nichts lehren und lernen! Ich habe im vorigen Monat grade drei Duros dafür ausgeben müssen. Das ist mir doch zu horrend!«

»Sobald Ihr es fertig bringt, Eure Mahlzeiten ohne Speise und Trank abzuhalten, werde ich es auch versuchen, meinen Unterricht ohne Bücher zu geben, eher nicht. Nun aber bitte ich, mir zu sagen, zu welchem Zwecke ich gerufen wurde!«

Der Bankier nahm die ihm gewordene Zurechtweisung mit saurer Miene hin und sagte:


// 305 //

»Ihr wißt, daß mein Töchterchen vor einer Woche starb?«

»Natürlich!«

»Und auch begraben wurde?«

»Ich glaube nicht, daß die Leiche noch im Hause liegt,« sagte Sternau mit unerschütterlicher Ironie.

»Und Ihr wißt auch, daß diese kleine Sennora Wilhelmi die Bonne des Mädchens war?«

»Nicht die Bonne, sondern die Gouvernante. Es ist das ein Unterschied, Don Salmonno.«

»Meinetwegen! Nun begreift Ihr aber, daß ich diese Sennora nicht mehr brauche, da das Kind nicht mehr lebt.«

»Ich begreife es.«

»Daß sie also mein Haus zu verlassen hat.«

»Daß sie es verlassen wird, ja.«

»Gut, sagt ihr das, Sennor Sternau! Ich wünsche, daß sie noch heute oder spätestens morgen geht.«

»Das werde ich ihr allerdings nicht sagen, und das wird sie auch gar nicht thun, die Sennora.«

»Ah! Warum nicht?« fragte der Millionär mit gut gespielter Verwunderung.

»Sehr einfach. Ich werde es ihr nicht sagen, weil dies Eure Sache ist, und sie wird es nicht thun, weil ihr noch nicht gekündigt worden ist.«

»Verdammt! Das sagt Ihr mir!«

»Ja. Ihr hört es ja,« antwortete Sternau lächelnd.

»Ihr werdet also meinen Auftrag nicht ausrichten, frage ich?«

»Nein.«

»So könnt auch Ihr gehen, heute oder morgen!« erklang es zornig.

»O, auch ich werde das nicht thun. Vergeßt nicht, Don Salmonno, daß wir nicht allein Pflichten zu erfüllen, sondern, Gott sei Dank, auch Rechte zu beanspruchen haben. Ich bin der Erzieher Eures Sohnes, nicht aber Euer Domestike, den Ihr mit Befehlen und Aufträgen zur Gouvernante senden könnt.«

Dagegen ließ sich nun allerdings nichts sagen; darum entgegnete der Bankier:

»Das weiß ich, Sennor; aber ich glaubte, daß mein Wunsch williger erfüllt würde, wenn Ihr ihn der Sennora überbringt.«

»Diese Eure Absicht habe ich bereits begriffen, ich sehe aber trotzdem ab, der Ueberbringer Eures Wunsches zu sein. Sennora Wilhelmi steht in einem Engagement bei Euch, welches einer vierteljährigen Kündigung unterworfen ist. Das laufende Quartal geht in acht Wochen zu Ende, und dann habt Ihr das Recht, zu kündigen.«

»Herr! So glaubt Ihr, daß ich verpflichtet bin, ihr noch einundzwanzig Wochen lang den Lohn zu bezahlen?« fragte der Bankier entsetzt.

»Den Lohn nicht, sondern das Gehalt; auch zwischen diesen Beiden giebt es einen Unterschied.«

»Seid Ihr denn verrückt?«

»Hm, Don Salmonno, seid Ihr denn so unsinnig gewesen, die Erziehung Eures Sohnes einem Verrückten anzuvertrauen?«


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Salmonno beantwortete diese ironische Frage nicht, sondern behauptete:

»Der Tod hebt das Engagement auf, ich bezahle nichts!«

»Das geht mich nichts an; das ist Sennora Wilhelmi's Sache; ich glaube aber, daß diese Dame dem Richter die Entscheidung über diese Sache übergeben wird.«

Da erschrak der Bankier; er fürchtete nichts so sehr wie das Gericht. Darum sagte er:

»Nun wohl! Ich werde mir die Angelegenheit nochmals überlegen. Es ist gut, Sennor!«

Er machte eine Bewegung des Verabschiedens; der Erzieher blieb aber stehen und sagte:

»Ich habe einige Ausgaben, Don Salmonno. Darf ich um ein Vierteljahrsgehalt bitten?«

Der Millionär blickte den jungen Mann so erschrocken an, als ob er einen Geist sehe.

»Wo denkt Ihr hin!« rief er. »Ein ganzes Vierteljahrsgehalt! Das ist unmöglich!«

»Warum unmöglich? Habt Ihr kein Geld?«

»Geld? Ah, Gott sei Dank, das habe ich!«

»Nun, warum mir da die Zahlung verweigern?«

»Es ist zu viel! Viel zu viel auf einmal!«

Jetzt wurde das Lächeln Sternau's ein mitleidiges.

»Don Salmonno,« sagte er, »bedenkt, daß ich das Gehalt von drei Vierteljahren in Eurer Kasse stehen ließ. Ich bin nicht gewohnt, um mein Eigenthum zu bitten und zu betteln.«

»Ich werde Euch das Gehalt eines Monates geben!«

Jetzt nahm das Gesicht des jungen Mannes den Ausdruck wirklicher Verachtung an.

»Ich wiederhole, daß ich nicht bettele, wo ich zu fordern habe,« sagte er. »Ich sehe, daß ich Gefahr laufe, alle Dreivierteljahre nur einen Monatsgehalt ausgezahlt zu erhalten, und das kann ich ja umgehen. Ihr werdet die Güte haben, mir das bei Euch stehende Gehalt aller neun Monate letzt auszuzahlen, Don Salmonno!«

Da that der Millionär vor Entsetzen fast einen Sprung in die Luft.

»Das fällt mir nicht ein!« schrie er voller Angst.

»Nicht?«

»Nein.«

»Gut, so kündige ich!«

»Das könnt Ihr thun.«

»Und gehe sofort, noch in diesem Augenblicke, um mein Gehalt klagbar zu machen.«

Das hagere Gesicht Salmonno's nahm einen geradezu entsetzten Ausdruck an.

»Das werdet Ihr nicht thun!« zeterte er.

»Das werde ich thun. Paßt auf! Adieu!«

Er wendete sich nach der Thür, da aber sprang ihm der Andere nach und faßte ihn am Arme.


// 307 //

»Bleibt!« bat er. »Ich werde Euch ein Vierteljahr bezahlen.«

»Zu spät! Drei Vierteljahre, oder ich gehe zum Richter!«

»Eins!«

»Drei!«

»Gut, Sennor, ich bin mit Eurer Erziehung zufrieden; ich werde Euch ein halbes Jahr bezahlen, wenn Ihr die Summe in Wechseln nehmt.«

»Das fällt mir nicht ein,« lachte Sternau. »Drei Vierteljahre, und zwar in klingender Münze!«

»Gut, so geht und verklagt mich!« schrie Salmonno, im höchsten Grade erbost.

»Jawohl, Don Salmonno!«

Er ging hinaus, hatte jedoch die Thür noch nicht geschlossen, so rief es hinter ihm mit ängstlicher Stimme:

»Halt, Sennor! Kommt herein! Ihr sollt es haben! Aber in Banknoten!«

»Nein, in Gold und Silber!« antwortete Sternau unerbittlich, die Thür noch in der Hand.

Der Bankier stieß einen tiefen, herzbrechenden Seufzer aus und sagte dann, beinahe weinend:

»O, bei Gott, ich muß mich fügen! Was sind diese Deutschen doch für brutale Menschen! Kommt her!«

Er öffnete einen der Geldschränke und zählte dem Erzieher die betreffende Summe vor, war aber dabei bemüht, ihm jedes irgendwie nur beschädigte oder unscheinbare Geldstück mit zu geben. Sternau sagte nichts dagegen und empfahl sich mit großer Höflichkeit, als er die Summe erhalten hatte.

»Packt Euch! Packt Euch fort!« rief der Bankier. »Und kommt mir ja nicht wieder unter die Augen!«

Der Erzieher stieg mit einem befriedigten Lachen die Treppe empor, schloß den so schwer verdienten und noch schwerer errungenen Schatz in seinem Zimmer ein und begab sich dann nach der entgegengesetzten Seite des Hauses, wo die Wohnung der Gouvernante lag, welche auch eine Deutsche war.

»Herein!« erklang eine reine, liebliche Stimme, als er klopfte.

Er trat in ein sehr einfach, ja fast dürftig ausgestattetes Zimmer, dessen Besitzerin bei seinem Anblicke sich von dem alten Sopha erhob, auf welchem sie gesessen hatte.

»Herr Sternau?« fragte sie freundlich, aber fast überrascht in deutscher Sprache.

»Ja, ich bin es,« antwortete er. »Sie haben wohl ein Recht, sich zu verwundern, daß ich es wage, einmal Zutritt zu Ihnen zu nehmen. Es ist das erste Mal, seit uns das Schicksal in diesem Hause zusammengeführt hat.«

»Wir sind ja Landsleute!« sagte sie.

Eine finstere Wolke ging blitzesschnell über sein offenes, durchgeistigtes Angesicht. Er neigte leise den Kopf und antwortete:

»Ja, Landsleute; das ist so viel und doch auch zu wenig!«

Sie hatte Mühe, eine flüchtige Verlegenheit zu überwinden, und deutete auf einen Stuhl, der am Entferntesten vom Sopha stand.


// 308 //

»Nehmen Sie Platz, Herr Sternau, und lassen Sie mich erfahren, was Sie zu mir führt!«

Er blickte ihr eine kurze Minute lang in die Augen; dann folgte er ihrem Fingerzeige.

»Warum fürchten Sie sich vor mir, Fräulein?« fragte er mit fast traurigem Tone.

Sie erröthete leise und antwortete:

»Weshalb glauben Sie, daß ich mich vor Ihnen fürchte?«

»Weil Sie mich, den Landsmann, in die entfernteste Ecke von sich verbannen. Das thut weh, Fräulein Wilhelmi! Wir sind jetzt die beiden einzigen Deutschen, welche es in Saragossa giebt; wir wohnen sogar in einem Hause, und doch sind wir uns fremder noch als fremd. Das ist Ihr Wille, und ich respektire ihn; warum also diese Scheu, diese Angst vor mir!«

Der Ton seiner Stimme und der Blick seines Auges drangen ihr doch zu Herzen. Sie streckte ihm wie zur Abbitte die Hand entgegen und sagte:

»Verzeihen Sie mir, und rücken Sie näher! Ich meinte es nicht bös!«

Er schüttelte leise mit dem Kopfe, blieb auf seinem Platze und antwortete mit trübem Lächeln:

»Ich danke, Fräulein! Ich möchte nicht um ein Almosen gebeten haben. Ich habe Sie nie beleidigt und Sie wissentlich auch nie gekränkt; dennoch fliehen Sie mich. Ich kann nur annehmen, daß Sie von einer unüberwindlichen Idiosynkrasie gegen mich befangen genommen worden sind. Dagegen läßt sich ja Nichts thun; aber ich halte es für meine Pflicht, Ihnen ein aufrichtiges Wort zu sagen, welches nur den einzigen Zweck hat, Sie zu beruhigen.«

»Sprechen Sie,« bat sie in gedrücktem Tone.

Er schwieg ein kleines Weilchen, wobei er den Blick hinaus auf den kleinen Balkon gerichtet hielt, als getraue er es sich nicht, sie in diesem Augenblicke anzusehen. Und wahrlich, Das, was er ihr jetzt sagen wollte, wäre ihm doppelt schwer gefallen, wenn er das Auge nicht von ihr gewendet hätte. Sie war keine imposante, gebieterische Figur, aber sie war dennoch eine ungewöhnliche Schönheit, eine jener feinen, ätherischen Schönheiten, deren Macht in der Lieblichkeit und Harmonie zu suchen ist, die sie besitzen. Es lag eine Holdseligkeit über sie ausgegossen, welche unmöglich zu beschreiben ist.

Endlich unterbrach er die Pause und begann, aber ohne auch jetzt sein Auge auf sie zu richten:

»Ich bin ein Kind der Armuth, mein Fräulein; die Stellung, welche ich einnehme, ist eine gewöhnliche, aber was ich bin, das bin ich durch eigene Anstrengung und unter den härtesten Entbehrungen geworden. Mir hat nie des Lebens Sonne gelacht, aber ich hoffte, daß ihr Strahl mich endlich doch auch einmal erreichen werde. Ich sah diesen Strahl, hier in diesem Hause; ich sehe ihn auch jetzt noch, aber er gleitet an mir vorüber. Dieser Sonnenstrahl sind Sie!«

Es war unmöglich, diese in so resignirtem Tone gesprochenen Worte zu hören, ohne gerührt zu werden. Er fuhr sich mit der kleinen, fast frauenhaften Hand über die Stirn wie um einen Schmerz dort zu verjagen, und fuhr dann in demselben Tone fort:


// 309 //

»Ja, ich liebe Sie, liebe Sie seit dem Augenblicke, an welchem ich Sie zum ersten Male sah, aber diese Liebe hat ihre selbstischen Wünsche längst aufgegeben. Ich werde einsam durch das Leben gehen, so wie es bisher gewesen ist. Ich denke an Sie wie an einen Stern, den ich erblicke, ohne ihn erreichen zu können, und dieser Stern werden Sie mir bleiben mein ganzes Leben hindurch. Ich möchte ihn stets hell und heiter strahlen sehen; ich möchte jede Wolke von ihm fern halten; das ist der einzige Wunsch, den ich hege. Darum komme ich mit der Bitte, daß Sie an mich denken möchten, als an einen Freund, der Nichts von Ihnen verlangt, kein Wort, keinen Blick, Nichts, gar Nichts, als nur das Einzige, daß Sie sich seiner erinnern mögen, wenn Sie hier im fremden Lande einmal des Beistandes bedürfen.«

Erst jetzt wanderte sein Blick langsam vom Balkon zu ihr herein, und er frug:

»Wollen Sie mir diesen Wunsch erfüllen?«

Es standen ihr die Thränen in den Augen; sie faltete die Hände und antwortete:

»Herr Sternau, zürnen Sie mir nicht! Ich will Ihnen offen gestehen, daß ich Ihr stilles, wortloses Werben vom ersten Augenblicke an verstanden habe; ich prüfte mich; ich achtete Sie, achtete Sie sehr hoch und wollte sehen, ob es mir möglich sei, Sie auch zu lieben. Es war mein Wunsch, Sie lieben zu können, aber ich habe gefühlt und erkannt, daß dies unmöglich ist.«

Er nickte traurig mit dem Kopfe.

»Ich wußte es,« sagte er, »aber einen Augenblick der Aufrichtigkeit mußte es doch einmal geben. Das ist nun vorüber, und wir wollen es begraben. Wir können nun von Anderem sprechen. Ich komme von Salmonno, mit dem ich Ihretwegen eine kleine Scene hatte.«

»Meinetwegen!«

»Ja. Sie kennen seinen Geiz -«

»Wer kennte diesen nicht! Ich glaube, es wird mir nicht leicht werden, die Rechte zu wahren, welche mir hier zustehen.«

»Das ist's ja, worüber er mit mir sprach. Er muthete mir nämlich zu, Ihnen zu sagen, daß Sie noch heut oder doch spätestens morgen dieses Haus verlassen möchten.«

»Und Sie thaten es?«

»Nein, ich wies ihn natürlich zurück, komme aber trotzdem, um Sie zu warnen. Er wird jedenfalls nächstens mit ihnen sprechen.«

»Ich erwarte es.«

»Er wird Ihnen Ihr Gehalt nicht auszahlen wollen.«

»Das wäre traurig! Ich habe ja grad darum die Heimath verlassen, weil mir hier in der Fremde ein höheres Gehalt geboten wurde, mit welchem es mir möglich ist, meine armen Eltern zu unterstützen; denn ich bin ein Kind der Armuth genau ebenso wie Sie, Herr Sternau.«

»So bitte ich Sie, von Ihrem Rechte um keinen Zoll breit zu weichen, und sollte er Sie nicht hören wollen, so kommen Sie zu mir. Ich habe mir einen gewissen Einfluß bei ihm erworben, den ich sehr gern zu Ihren Gunsten in Anwendung bringen werde. Das ist es, was ich Ihnen sagen mußte. Und nun, leben Sie wohl, Fräulein Wilhelmi!«


// 310 //

Er erhob sich, verbeugte sich vor ihr und schritt nach der Thür, ohne den Versuch zu machen, ihr die Hand zu reichen. Das schnitt ihr in das Herz; das that ihr leid und wehe, und zugleich imponirte ihr diese eiserne Willenskraft, welche die heißesten Wünsche des Herzens zu bemeistern und die aufsteigende Thränenfluth zurückzudrängen vermochte. Sie eilte ihm nach und streckte ihm beide Hände hin.

»Nicht so, nicht so ohne Abschied!« bat sie. »Geben Sie mir wenigstens eine Hand und sagen Sie mir, daß Sie mir nicht bös sind!«

»Ich bin Ihnen nicht bös,« sagte er monoton und nahm ihre Hände leise in die seinigen.

Sie erschrak. Seine Hände waren kalt wie Eis; sie fühlten sich an wie die Hände einer Leiche. Aber seine Lippen zuckten und seine Augen wurden dunkel und dunkler. Er rang mit sich und mußte alle Kräfte aufbieten, sein Weh niederzukämpfen. Das konnte sie nicht mit ansehen. Sie legte die Arme um ihn, blickte in seine jetzt überquellenden Augen und sagte:

»Bitte, bitte, weinen Sie nicht! Hoffen Sie! Vielleicht kommt die Zeit, daß Ihr Wunsch Erhörung finden kann!«

Er schüttelte den Kopf.

»Niemals!« sagte er. »Die Liebe läßt sich nicht zwingen. Die Liebe ist keine Bettlergabe; sie flammt empor und ist da, allmächtig und unwiderstehlich. Adieu, Fräulein Wilhelmi!«

Er ging. Sie blieb zurück, mitten im Zimmer stehend. Sie legte die Hände auf ihre Brust. Ihr Puls ging ruhig wie immer.

»Warum kann ich ihn nicht lieben?« fragte sie. »Er wäre meiner Liebe ja so werth!«

Da erscholl lautes Geschrei und fröhliches Lachen von der Straße herauf. Sie trat hinaus auf den Balkon und sah, daß das Treiben des Karnevals begonnen hatte. Die Straße belebte sich mit Masken, welche unter allerlei tollen Späßen auf und ab wanderten, und die Fenster und Balkone füllten sich mit Damen, welche diesem Treiben zusahen und sich an den Scherzen von oben herab betheiligten. Das war ein geeignetes Mittel, die trübe Stimmung des Herzens zu verscheuchen. Die Gouvernante trat hinaus auf den Altan und blickte in das immer reger und dichter werdende Gewühl der Masken hinab.

Unterdessen war Gasparino Cortejo zu seinem »Cousinchen« gegangen. Clarissa Margony bewohnte ein allerliebstes kleines Logis im Hause eines Produktenhändlers. Sie schien den Kommenden erwartet zu haben, denn sie kam ihm bis an die Treppe entgegen, wo sich Beide mehr als herzlich umarmten. Sie befand sich im tiefsten Negligee; ihre üppigen Formen waren nicht nur zu fühlen, sondern sogar zu sehen, doch hatte ihr nichts sagendes Gesicht einen Ausdruck, welcher die Wirkung dieser so billigen Reize paralysirte.

»Endlich, endlich, mein theurer Gasparino!« sagte sie, als er bei ihr im Zimmer stand. »Du hast mich lange warten lassen!«

»Ich konnte nicht eher. Man hat Pflichten.«

»Pflichten?« fragte sie mit widerwärtiger Zärtlichkeit. »Deine größte und einzige Pflicht ist doch, mich glücklich zu machen!«

»Das bist Du ja bereits. Nicht?«


// 311 //

»Nur so lange ich Dich bei mir habe, mein Gasparino. Komm an mein Herz, Du Theuerster!«

Sie wollte ihn abermals umarmen, er aber wehrte sie von sich ab und sagte:

»Laß jetzt! Ich habe zu thun.«

»Was denn? Ah, einen Maskenanzug!«

Sie klatschte in die großen Hände und untersuchte das Packet.

»O, wie herrlich!« rief sie. »Ein Mexikaner! Welch eine Ueberraschung. Ich danke Dir!«

Sie warf sich ungestüm an seine Brust, drückte ihn an sich und küßte ihn wiederholt.

»So laß doch!« meinte er, sie von sich drängend. »Dazu ist keine Zeit vorhanden.«

»Keine Zeit? Ja, ja, Du hast Recht. Auch ich muß eilen, daß ich fertig werde!«

»Du?« fragte er. »Womit?«

»Mit meinem Anzuge!«

»Mit Deinem - ah, Du hast auch eine Maske?«

»Ja,« jubelte sie. »Ich ahnte, daß Du zu Deiner Clarissa kommen würdest, um sie zum Karneval zu führen; darum habe ich mir den Anzug einer Griechin besorgt, mein Gasparino.«

Er machte ein langes Gesicht, bedachte sich aber und meinte dann unter Lachen:

»Alle Teufel, seid Ihr Frauenzimmer gescheidte Geschöpfe! Also geahnt hat es Dir, daß ich komme? Schön; bis hierher wird sich Deine Ahnung erfüllen, weiter aber nicht!«

»Wie denn: weiter nicht?«

»Weil ich es bleiben lassen muß, Dich auszuführen.«

»Warum?« fragte sie enttäuscht.

»Weil ich gezwungen bin, mit dem Herzog zu gehen.«

»Lüge nicht, Gasparino! Der Herzog wird sich hüten, mit Dir zur Maskerade zu gehen!«

»Ah, Du glaubst es nicht, mein Liebling! Nun wohl, Du wirst es dennoch glauben, denn er wird kommen, um mich hier abzuholen.«

Sie erschrak.

»Hierher?« fragte sie.

»Ja.«

»Wann?«

»In von jetzt an dreiviertel Stunden.«

»Du scherzest! Du willst mich nur in Verlegenheit bringen.«

»Ich versichere Dir, daß er kommen wird, als Perser gekleidet,« sagte er in ernstem Tone.

»Ein Herzog? Zu mir? Heilige Madonna! Und ich stehe hier im Unterrock und Hemde!«

Sie verschwand eilig im Kabinete, aus welchem sie nach einer Viertelstunde in ihrer besten Kleidung zurückkehrte. Cortejo hatte sein Gewand bereits angelegt und fragte sie:


// 312 //

»Nun, wie gefalle ich Dir?«

»Ausgezeichnet! Und ich Dir?«

»Wie immer!«

»Aber es ist doch nicht hübsch, daß Du ohne mich gehst,« schmollte sie.

Er drückte sie an sich, um sie zu beruhigen und sagte mit einschmeichelnder Stimme:

»Zanke nicht, Clarissa! Du weißt ja, daß ich Dich lieb habe, und Du weißt auch, daß wir Beide nichts besitzen und doch nach oben trachten. Ich habe dem Herzog gesagt, daß Dein Name Margony heißt und daß Du eine Putzmacherin bist. Er darf nicht erfahren, daß Du von Adel bist und die Rodriganda unter Deine Verwandten zählst. Sei freundlich mit ihm, aber gieb ihm keine Veranlassung, zärtlich gegen Dich zu sein. Du weißt, daß ich eifersüchtig auf Dich bin!«

»O, trage keine Sorge; ich liebe nur Dich allein!«

»Ich hoffe es. Dieser Herzog schenkt mir sein Vertrauen, und dieses Vertrauen soll mir die Stufe zu Reichthum und Ehren sein. Du siehst also ein, daß ich seinen Wunsch erfüllen und mit ihm gehen muß, obgleich ich mich in Deiner Gesellschaft unendlich glücklicher befinden würde.«

»Ja, ich sehe es ein,« sagte sie. »Gehe mit ihm, aber komme am Abend wieder! Nicht?«

»Ich werde versuchen, es möglich zu machen, obgleich der Herzog am Abend Gesellschaft bei sich sieht und ich also bei ihm fast unentbehrlich bin. Komme ich nicht, so entschuldige mich!«

Das war eine Lüge, die sie aber glaubte. Sie hatten übrigens keine Zeit zu weiteren Auseinandersetzungen, denn es klopfte, und auf ihren Ruf trat ein prächtiger Perser herein. Er trug eine feine Sammetlarve vor dem Gesichte, blieb an der Thür stehen, betrachtete das Mädchen und sagte dann:

»Hollah, Gasparino, Du hast keinen üblen Geschmack! Darf ich das Cousinchen umarmen, he?«

Ohne die Antwort abzuwarten, trat er auf Clarissa zu und zog ihre fleischige Gestalt an sich. Sie wollte widerstreben; der starke Mann aber hatte eine solche Kraft, daß ihr keine Anstrengung Etwas nützte. Er hielt sie fest, schob die Larve empor und küßte sie auf den Mund und den Nacken, der verführerisch aus dem weiten Ausschnitte des Kleides hervorglänzte.

»Donnerwetter!« sagte er. »Es wird am Besten sein, man bleibt ein Stündchen hier!«

»Das verbitte ich mir!« sagte Clarissa.

Es gelang ihr, sich los zu reißen. Sie eilte in das Kabinet und verschloß die Thür desselben hinter sich.

»Ah, diese Hexe! Fort ist sie!« lachte der Herzog.

Er versuchte, die Thür zu öffnen, und als ihm dies nicht gelang, befahl er dem Haushofmeister:

»Rufe sie!«

»Es hilft nichts; sie wird nicht kommen!

»Pah! Es kommt auf den Versuch an!«

»O, die Cousine ist tugendhaft; sie weiß zu widerstehen!«


Ende der dreizehnten Lieferung - Fortsetzung folgt.



Karl May: Waldröschen

Karl May – Forschung und Werk