Heft 24

Feierstunden am häuslichen Heerde

10. Februar 1877

   
Der beiden Quitzows letzte Fahrten.

Historischer Roman aus der Jugendzeit des Hauses Hohenzollern von Karl May.


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»Was gehen mich Eure Worte an? Macht Euch an Euren Platz zurück und laßt mich in Ruh. Zudem aber merkt Euch wohl, daß Ihr nicht Meinesgleichen seid und Euch also einer manierlicheren Anrede zu bedienen habt!«

»Ich nicht Deinesgleichen? Donnerwetter, ich bin der Gefängnißvoigt auf Schloß Ziesar, der schon manchen großmäuligen Wicht zur Demuth gezwungen hat; und wer bist denn Du? Doch höchstens ein ausgewiesenes Studentlein, dem es in seinem Uebermuthe nach einer tüchtigen Tracht Prügel verlangt. Kannst sie haben, wenn Du sie begehrst!«

»Hört!« rief Joachim dem Wirthe zu, »nehmt diesen Mann von mir weg, wenn Ihr Frieden im Hause haben wollt!«

»Seht, er muß Andere zu Hilfe rufen, weil er nicht den Muth hat, sich selbst zu wehren! Mit den Leuten von Ziesar ist nicht gut Obst essen, und es geht ihm gerade wie Denen von Putlitz, die auch vor Angst und Entsetzen nach dem Schwerte zu greifen vergaßen, als wir anrückten. Der Caspar hat an allen Gliedern gezittert, als unser Stiftshauptmann, Herr Hans von Röder, ihn bei dem Fittiche genommen hat.«

»Das lügt Ihr! Der Caspar Gans von Putlitz hat noch vor anderen Männern gestanden und sie niedergeworfen, als Euer Stiftshauptmann ist. Ihr würdet wohl gar anders sprechen, wenn einige Putlitz'sche Mannen sich hier befänden und auf Eure Rede merkten!«

»Was? Der Lüge willst Du mich zeihen, mich, den Matthias Schabegast von Ziesar? Und den Herrn Stiftshauptmann Hans von Röder wagest Du zu verleumden? Das soll Dich jetzt und allezeit gereuen! Hinaus mit dem Verräther, der sich des Putlitz annimmt und unseren hochwürdigen Herrn beleidigt!«

Er riß den Tisch auf die Seite und wollte Joachim fassen.

»Bleibt weg von mir,« warnte ihn dieser. »Ich habe keinen Streit mit Euch gesucht und will in Frieden meinen Platz behalten. Doch dürft Ihr darum nicht meinen, daß ich Euch fürchte.«

»Deinen Platz sollst Du haben, aber nicht hier. Komm heraus!«

Er hob die Arme, um nach ihm zu greifen, aber noch ehe er dazu kam, flog er zurück und stürzte, so lang er war, über einen Tisch, den er mit sammt den Leuten, welche daran saßen, zu Boden riß. Fluchend sprang er wieder empor, um seinen Angriff zu erneuern; da aber faßte ihn eine kräftige Hand und hielt ihn zurück.

»Halt, Bruder Matthias, was ist denn für ein Teufel in Dich gefahren, daß Du Dich zum Vergnügen hier am Boden wälzest?«

Schon hatte er eine derbe Antwort auf der Zunge, als er, den Fragenden erkennend, sie wieder verschluckte. Es war Märten Stelzer, welcher eingetreten war und ihn in der unangenehmen Situation überrascht hatte.

»Märten, alte Kriegstrompete, wie kommst denn Du wieder einmal nach Ziesar? Hast wohl das junge Fräulein hergebracht?«

»Ja, aber sag', was hast Du denn verloren, daß Du so eifrig da unten auf der Diele herumkramerst?«

»Verloren?« frug Matthias, indem sein Gesicht den vorherigen zornigen Ausdruck wieder annahm. »Nichts habe ich verloren, sondern ich bin nur bei der Bestrafung dieses Bürschchens hier ein wenig ausgerutscht. Warte einen Augenblick, bis ich ihm das Loch gewiesen habe!«

»Halt, Matthias, diesem wackeren Jungherrlein wirst


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Du kein Leid zufügen, denn das könnte Dich in großen Schaden bringen!«

»In Schaden? Was soll es mir thun, wenn ich einen Feind unseres hochwürdigen Herrn einmal so recht nach Herzenslust durchbläue?«

»Er ist mit nichten ein Feind, sondern vielmehr ein Freund des Bischofs; er hat mir und unserem Jungfräulein in großer Noth und Fährlichkeit beigestanden, und nun bin ich abgesandt, ihm zu sagen, daß er sofort auf das Schloß kommen solle, wo ihn die Herren erwarten, um ihm Dank und Ehre zu ertheilen.«

»Märten Stelzer, wenn Du es nicht wärest, der mir dieses sagt, so würde ich die Worte gar nicht glauben, denn er hat von dem Herrn Stiftshauptmann ungut gesprochen und sich für den Putlitz aufgeworfen. Aber weil Du es bist, so soll ihm nichts geschehen und Du magst ihn ohne Last und Störung auf das Schloß führen!«

Joachim verhielt sich zu diesen Worten ruhig und folgte dem Knappen, welcher gerade zur rechten Zeit gekommen war, eine Streitigkeit zu verhüten, die vielleicht von ernsten Folgen hätte werden können.

»Ihr müßt sehr gut bei Kräften sein, mein liebwerthes Jungherrlein,« sprach derselbe unterwegs, »daß Ihr den Gefängnißvoigt so schön zur Erde gebracht habt! Er ist ein gar fester Patron, der sich nicht so bald vor irgend Wem zu fürchten braucht.«

»Er hat nur seinen wohlverdienten Lohn empfangen und kann froh sein, daß Ihr durch Euer Dazwischenkommen dem Unfrieden ein Ende gemacht habt.«

Auf der Burg angekommen, ward er in den Saal geführt, wo an einer langen eichenen Tafel eine Gesellschaft von Männern saß, deren martialisches Aeußere auf ihr kriegerisches Handwerk schließen ließ. Am oberen Ende hatte Herr Johann von Waldow, der Bischof, seinen Platz. Als sich die Augen der Anwesenden dem Ankömmlinge zuwandten, erhob er sich und winkte ihm, näher zu treten.

»Seid mir willkommen, junger Mann,« begrüßte er ihn mit freundlicher Herablassung. »Ich habe viel Liebes und Wackeres von Euch gehört und wollte Euch sehen, um Euch meinen Dank zu sagen für die Tapferkeit, mit welcher Ihr Euch meiner Nichte angenommen habt. Setzt Euch hier an meine Seite und nehmt Theil an dem Mahle, welches uns bereitet ist!«

Joachim folgte mit höflichem Anstande diesem ehrenvollen Befehle und beantwortete mit bescheidenem Tone die Fragen seines hohen Nachbars.

»Ihr seid ein Schüler. Welcher von den edlen Wissenschaften habt Ihr Eure Zuneigung gewidmet? Vielleicht der frommen Theologia?«

»Nein, hochwürdiger Herr, es sind vielmehr die jura et actiones, denen ich mein Schwert und meine Stimme leihen möchte.«

»Das ist nicht weniger lobenswerth. Zwar will die Frömmigkeit gar sorgsam und fleißig gepflegt sein, aber in diesen schweren, bösen Zeiten darf man die Rechte und Gerechtigkeiten niemalen aus den Augen lassen, und daß Ihr ihnen auch mit dem Schwerte zu dienen wißt, das habt Ihr zu meiner Freude heute bewiesen. An welchem Orte seid Ihr Eures Studiums beflissen gewesen?«

»Zuletzt habe ich zu Berlin geweilt und möchte nun ein Wenig weitergehen, um mich genugsam in den Landen umzusehen, ehe ich zur Schule zurückkehre.«

»Auch dieses muß ich gutheißen, denn wer die Bücher recht und gut verstehen will, der muß sich zuvor fleißig im Leben umgeschaut haben. Darum aber sollt Ihr mir nicht so sehr bald wieder von hinnen gehen, weil bei uns gar Vieles zu erfahren ist, was Euch von großem Nutzen sein wird.«

»Dieses Wort ist mir eine sehr willkommene Gnade, denn sie bringt einem Wunsche Erfüllung, den ich gehegt habe, als ich nach Ziesar kam.«

»Nun wohl, so weilt denn hier bei uns, so lange es Euch gefällt, und seid versichert, daß ich Euch in Allem, was da förderlich sein kann, zu Diensten sein werde. Ihr werdet uns wohl Euren Namen nennen?«

»Er lautet Joachim Wolf von Hagen. Er ist nicht so bekannt oder berühmt wie die Namen aller Derer, welche mit Euch, Hochwürden, hier an diesem Tische sitzen, aber ich hoffe, daß es mir gelingen wird, ihn in gute Achtung zu bringen.«

»Das will ich Euch wohl glauben, wenn Ihr stets so handelt, wie Ihr es heut gethan habt! Nun aber erquickt Euch an den Speisen und Getränken, welche vor Euch stehen, und dann könnt Ihr Eure Gefährtin begrüßen, welche sich nicht hier befindet, weil solch' wildes Wasser meine gesetzten Mannen mit Unruhe erfüllen würde.«

Damit war die Begrüßung beendet und das Gespräch ward wieder allgemein und wandte sich den Zeitläuften und anderen wichtigen Dingen zu. Joachim verhielt sich ruhig, wie es einem bescheidenen Manne seines Alters so erfahrenen und hochgestellten Leuten gegenüber zukam, und begab sich, als die Tafel aufgehoben wurde, in das Gemach, welches ihm als das seinige zugewiesen wurde. Noch hatte er nicht daran denken können, es sich bequem zu machen, als es leise an die Thür pochte und ein kleines Köpfchen durch die Spalte lugte.

»Seid Ihr endlich da, mein tapferer Rittersmann?« frug Marie. »Ich habe schon lange auf Euch gewartet und mich schier gewundert, was Euch so lange bei dem Mahle halten mag.

»Verzeiht, daß es mir nicht möglich war, früher fortzukommen; es wäre doch keine gute Sitte gewesen, hätte ich mich entfernen wollen, bevor mir die Erlaubniß dazu wurde.«

»Ja, da habt Ihr recht, denn auf das Verlangen eines armen, kleinen Mädchens braucht so ein stolzer Herr wie Ihr nicht viel zu geben,« erwiderte sie, indem sie vollends hereinschlüpfte. »Für wen hat Euch denn wohl der Oheim kommen lassen? Für sich oder für mich?«

Joachim konnte ein Lächeln über diese eigenthümliche Frage nicht unterdrücken.

»Er hat vergessen, oder es nicht für nothwendig erachtet, mir dieses zu sagen. Wollt Ihr mich vielleicht darüber belehren?«

»Ja, das will ich, damit ich nicht wieder Langeweile empfinde, während Ihr bei Tische allerlei Kurzweil treibt. Ich habe dem Oheim gesagt, daß ich in diesen schlimmen Zeiten einen Ritter brauche, auf dessen Treue und Tapferkeit ich mich verlassen kann. Darauf hat er lachend gemeint, ich solle mir einen unter seinen Mannen aussuchen, und da ich keinen finden konnte, der mir recht gewesen wäre, so hat er nach Euch gesandt. Nun sollt Ihr bei mir sein, aber nicht bei den Anderen, mit mir gehen und


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spazieren reiten und mich mit Fleiß und Eifer bedienen, damit Ihr Euch meine Zufriedenheit erwerbet.«

»Also bin ich Euch als Ritter recht und willkommen?«

»Das will ich wohl meinen! Ihr habt ja schon bewiesen, daß ich mich Eurem Schutze anvertrauen kann.«

»So will ich Euch denn ein treuer Schirmherr sein und nach besten Kräften Euch zu Diensten stehen. Hier habt Ihr meinen Handschlag, den ich halten werde!«

Er reichte ihr die Hand, in welche sie die ihrige legte.

»Ihr seid der erste Ritter, der sich nach meinen Farben richten will. Laßt mich diese Wahl doch nicht bereuen! Und nun sollt Ihr mir sogleich zeigen, ob Ihr mir in allen Dingen Ehre und Gehorsam erweisen wollt: Ich pflege, so oft ich auf Ziesar bin, gern den Gefangenen meinen Besuch abzustatten. Der Gefängnißvoigt Matthias Schabegast ist ein harter Gesell, der noch dazu dem Glase gern zuspricht und dann in der Betrunkenheit seinen Anbefohlenen ihre ohnedies so schwere Lage noch bitterer und unerträglicher macht. Darum bin ich stets bereit, ihnen dieselbe zu erleichtern, und mein Ohm, der Bischof, setzt mir darin kein Hinderniß entgegen, sondern läßt mir gern die Freude, welche es mir gewährt, eine freundliche Stunde in ein trauriges Dasein zu bringen. Heut nun habe ich noch nicht Zeit gehabt, hinunter zu gehen; jetzt aber werde ich nicht länger säumen, und Ihr sollt mit mir kommen, um mir zu helfen, Trost und Beistand auszutheilen.

Ueber das Gesicht Joachims glitt ein Zug der Freude. War der Grund davon nur der, in dem Mädchen ein so mildes und barmherziges Gemüth entdeckt zu haben, oder gab es vielleicht noch etwas Anderes, was ihn so hell und dankbar in ihr Auge blicken ließ?

»Dank Euch für diese Güte, daß Ihr mich für werth haltet, Euch auch in solchen Dingen zu dienen! Aber wird es Euch auch wirklich möglich sein, die Gefängnisse zu öffnen, da der Voigt die Schlüssel in seiner Verwahrung hat?«

»O, das macht mir keine Sorge! Er wird jetzt wohl nicht daheim sein, aber die Schlüssel müssen mir trotzdem von seinem Weibe ausgehändigt werden. Kommt und folget mir; auch Ihr seid gut, und unser Thun wird Euch Freude bereiten!«

Sie schritt ihm voran, und bald gelangten die beiden jungen Leute in die Küche des Schlosses, wo Maria Allerlei für ihre Schützlinge in einen Korb packte, welchen sie dann Joachim in die Arme schob.

»So, den sollt Ihr tragen,« lachte sie, »obgleich dieser Dienst wenig nach dem Geschmacke eines tapferen Ritters sein wird. Nun laßt uns die Schlüssel holen!«

Sie gingen über den Schloßhof nach demjenigen Theile der Burg, welcher den Gefangenen als Aufenthalt diente. Als sie in die Wohnung des Voigtes gelangten, war dieser soeben nach Hause gekommen. Brummend frug er nach dem Begehr der Beiden.

»Gebt mir die Schlüssel und eine Laterne,« bat Marie. »Ich will einmal Eure Pfleglinge besuchen.«

»Das ist nicht nothwendig,« antwortete er, indem er sein Auge gläsern auf das Mädchen richtete. Er war betrunken, und in diesem Zustande gedachte er nicht der Rücksicht, welche er der Nichte seines Herrn gewöhnlich entgegen zu bringen pflegte. »Die Leute sind nur mir allein übergeben worden; sie haben Alles, was ihnen gegeben werden darf, und brauchen von Alledem nichts, was Ihr hier in dem Korbe bei Euch führt.«

»Das sagt Ihr,« entgegnete Marie; »ob es aber wahr ist, davon gedenke ich mich erst zu überzeugen. Also gebt mir die Schlüssel!«

»Es gehört zu meinem Amte, daß ich sie in keine fremden Hände gelangen lasse.«

»Bin ich fremd? Laß mich nicht länger warten, sonst lasse ich sie mir von dem Oheim ausantworten!«

»Euch würde ich sie wohl am Ende nicht verweigern, aber Ihr seid nicht allein. Dieser hier hat keine Erlaubniß, die Gefangenen zu besuchen.«

»Er hat sie, denn ich habe sie ihm gegeben. Willst Du nun noch zögern?«

Er griff nun doch nach dem Bunde, welcher sich in einem Wandschranke eingeschlossen befand.

»So werde auch ich selbst Euch begleiten!«

»Nein, Du bleibst zurück! Ein Betrunkener paßt nicht in unsere Nähe.«

Er wollte sich vertheidigen; schon aber hatte sie ihm die Schlüssel abgenommen, ergriff die Laterne, welche mittlerweile von seinem Weibe in Brand gesteckt worden war, und verließ, gefolgt von Joachim, die Stube. Der Voigt zog es vor, sie ungehindert gehen zu lassen. Er nahm ein zweites Schlüsselbund aus dem Schranke und lachte:

»Mögen sie immerhin ihren Willen haben; sie können doch nur zu den gefangenen Knechten und Leuten gelangen; die Anderen aber stecken drüben unter dem Thurme, und bei denen will ich selbst einmal vorleuchten.«

Er steckte sich eine zweite Laterne an und taumelte mit ihr die Stiege hinab.

»Betrunken soll ich sein?« murrte er. »Was verstehen die Weibsleute von der Betrunkenheit! Ich bin so nüchtern wie ein Kirchensperling, nur der Kopf brummt mir ein wenig von dem Schlage, mit welchem ich in der Herberge auf den Boden gefallen bin. Und daran ist der Knabe schuld, der mich so feindlich anzublicken wagte, der und der Gans von Putlitz, denn wenn dieser nicht gefangen wäre, so hätte ich nicht von ihm gesprochen und wäre auch nicht hingeworfen worden. Könnte ich den Beiden nur einmal ein Weniges am Zeuge flicken! Na, den Putlitz, den habe ich ja, und ich werde ihm zu verstehen geben, was es heißt, sich den Kerkervoigt Matthias Schabegast zum Feinde zu machen!«

Während dieses Selbstgespräches war er an die enge Treppe gelangt, welche zu den Verließen führte, in denen diejenigen Gefangenen sich befanden, welchen der Bischof die Haft in ihrer ganzen Strenge fühlbar machen wollte. Trotz seines zweifelhaften Zustandes, kam er glücklich hinab und trat zu der Thür, hinter welcher er den Ritter von Putlitz wußte. Dieser hatte das Nahen des Kommenden gehört, doch beachtete er es kaum. Der Voigt benutzte jede Gelegenheit und Veranlassung, ihn zu quälen, jedoch war der Ritter zu stolz, um seinen Zorn in Worten auszusprechen oder sonst in irgend einer Weise merken zu lassen; er verhielt sich vielmehr vollständig schweigsam dazu und ließ dem Mann das Vergnügen, sich an seinen Qualen zu weiden. Dieser hatte ihm seinen spärlichen Antheil an Speise und Trank stets durch eine in der Thür befindliche Klappe zugereicht, jetzt aber klirrten ganz gegen diese Gewohnheit die großen eisernen Riegel zurück,


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der Schlüssel schrie im Schlosse, und statt der Klappe wurde der Eingang vollständig geöffnet. Der Schließer wollte sich heut ein Extragaudium mit seinem Gefangenen machen, und dazu mußte er sich ihm in seiner ganzen Größe und erhabenen Wichtigkeit zeigen. Er stellte sich daher breitspurig vor dem Eingange auf und frug:

»Wollt Ihr vielleicht Brod und Wasser?«

Er erhielt keine Antwort.

»Ich frage, ob Ihr Brod und Wasser wollt? Herr Ritter Caspar Gans von Putlitz, Lenzen und Wolfshagen!«

Er sprach den vollständigen Namen aus und nannte die drei von dem Markgrafen eroberten Schlösser, um den Gefangenen desto sicherer zu kränken und zu erbittern; aber wieder blieb die Antwort aus.

»Schön, wer nicht spricht, soll auch nichts haben! Nun seht, wo Ihr ein Futter für - - -«

Er kam nicht weiter. Putlitz hatte kaum wahrgenommen, daß die Thür vollständig geöffnet wurde und der Voigt allein gegenwärtig sei, so blitzte ein rascher Entschluß durch seine Seele, der Entschluß, zu fliehen. Derselbe war zwar mehr als kühn, er war verwegen, ja vielleicht vollständig vergeblich zu nennen, da es fast unmöglich erschien, aus dem Schlosse zu entkommen, selbst wenn es glückte, aus den Verließen zu gelangen; aber zu verlieren war ja nichts, und so erhob er sich blitzschnell, noch ehe Matthias seine Absicht errathen konnte, vom Lager, faßte ihn bei der Brust, entriß ihm die Laterne und schleuderte ihn dann mit solcher Wucht an die gegenüberliegende Mauer, daß er dort sofort zusammenbrach. Nun zog er den Schlüssel aus dem Schlosse und stieg langsam und vorsichtig die Treppe empor.

Oben fand er den Eingang offen; er trat durch denselben und verschloß ihn. Nun sah er sich in einem langen Corridore, welcher vollständig unbeleuchtet war. Mit leisen Schritten eilte er denselben entlang, bereit, Jeden, der sich ihm entgegenstelle, niederzuschlagen, und gewahrte in der Mitte desselben eine breite steinerne Stufenreihe, welche jedenfalls den Hauptaufgang zu dem Gebäude bildete und nach dem Schloßhofe führte. Einen forschenden Blick um sich werfend, sah er, daß er sich nicht irre, denn er selbst war bei seiner Ankunft diese Treppe emporgeführt worden.

Schon stand er im Begriffe, die Laterne zu verlöschen und hinabzusteigen, als er mehrere Stimmen hörte, welche sich von unten näherten. Er durfte sich nicht sehen lassen, trat zur nächsten Thür, öffnete dieselbe auf gut Glück und stand vor einem kleinen Zimmer, aus welchem eine Seitenthür weiter führte. Es war leer; tief aufathmend trat er ein und zog die Thür hinter sich zu. Sich nun sorgfältiger umschauend, suchte er irgend eine Waffe zu entdecken, aber es war Nichts zu finden, was ihm als eine solche hätte dienen können. Während dieses ihm eine kleine Enttäuschung brachte, hörte er die Schritte, welche er vorhin vernommen hatte, an dem Gemache vorübereilen; er war also noch nicht bemerkt worden und konnte einmal frei und ordentlich aufathmen.

Jetzt galt es nun, weiter vorzudringen. Er näherte sich der zweiten Thür, öffnete dieselbe so unhörbar wie möglich und lugte durch die enge Oeffnung. Auch dieser Raum war leer, und auch aus ihm konnte man weiter gelangen. Aber als er eingetreten war, hörte er deutlich ein Gemurmel von vielfältigen Stimmen, welche aus dem Nebenraume zu ihm drangen; er ahnte, daß dies der Saal sei, und sah sich eben nach einem passenden Verstecke um, als er hinter sich das Zuschlagen einer Thür vernahm und sich einige Secunden später diejenige öffnete, durch welche er selbst soeben getreten war.

Der Stiftshauptmann Hans von Röder stand vor ihm, in der Hand eine Leuchte haltend.

Vor Ueberraschung fast gelähmt, stand dieser starr und steif am Eingange und blickte Putlitz mit weitgeöffneten Augen an. Dieser faßte ihn sofort bei der Brust und raunte ihm zu:

»Schweigt, oder es kostet Euch das Leben!«

Aber schon hatte sich der Erschrockene erholt, riß sich los und schlug dem Ritter das Licht in das Gesicht.

»Hierher!« rief er, daß es dröhnend durch die Thüren schallte, »hierher, Ihr Leute, es ist - -«

Die folgenden Worte wurden unhörbar, da ihm die Faust Caspars die Kehle zuschnürte. Dieser war durch den Schlag für einige Augenblicke geblendet worden und mußte sich damit begnügen, den Hauptmann an weiteren Hülferufen zu verhindern; als er aber die Augen wieder öffnete, sah er das Gemach von einem hellen Lichte durchströmt, welches aus dem Saale hereindrang. Man hatte den Ruf vernommen, und einer der anwesenden Knechte war herbeigeeilt, um nach der Ursache desselben zu sehen. Als er Putlitz erkannte, sprang er erschrocken zurück und rief:

»Um Gott, herbei, Ihr Herren! Die Gans von Putlitz will uns entfliegen.«

Diese Worte brachten eine große Verwirrung unter den Anwesenden hervor; ein Jeder stürzte sich so eilig wie möglich nach dem Orte der Gefahr, und so hinderte Einer den Andern, rasch vorwärts zu kommen. Putlitz war aber nicht der Mann, sich so schnell greifen zu lassen. Nach rückwärts blühete ihm kein Heil, und nach vorwärts war es nur auf eine einzige Weise möglich, Vortheile zu erlangen. Er zog die Hände von dem halbtodten Stiftshauptmann zurück und stand im nächsten Augenblicke im Saale mitten in dem Knäuel der Menschen, die ihn zu greifen gedachten. Mit mächtigen Hieben und Stößen brach er sich eine Bahn durch sie hindurch, schwang sich mit einem weiten Sprunge über die breite Tafel, faßte mit der Rechten den Bischof bei der Brust, riß ihn zum Fenster, welches er mit der Linken öffnete, und stand dann oben auf der Brüstung, den geistlichen Herrn, welcher dieses Angriffes nicht gewärtig gewesen war und an eine Vertheidigung gar nicht gedacht hatte, hinaus über die Tiefe haltend, welche schwarz und drohend von unten heraufgähnte.

Mit Entsetzen sahen es die Anderen. Das Gebäude vertrat auf dieser dem Hofe abgewendeten Seite die Stelle der Ringmauer; die Felsen, auf denen es ruhte, stiegen fast senkrecht hinunter in das Thal, und wenn der Ritter den Bischof nicht mehr halten konnte oder wollte, so war derselbe verloren; er mußte unten zerschmettern.

»Bleibt von mir,« donnerte Caspar von Putlitz, »sonst lasse ich ihn fallen!«

In Folge dieser Drohung wagte keiner der Anwesenden, einen Schritt näher zu treten. Johann von Waldow hatte mit beiden Händen den gewaltigen Arm umklammert, von dessen Stärke sein Leben abhing: er schwebte zwischen Himmel und Erde, und die kleinste Schwäche Caspars mußte ihm Verderben bringen, aber er war ein gar geistes-


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gegenwärtiger und willensstarker Herr, der selbst in einer solchen Lage die Besinnung nicht verlor.

»Treibt den Scherz nicht zu weit, Ritter,« rief er; »er gereicht Euch nicht zum Heile!«

»Gebt mich frei, so schenke ich Euch das Leben!« war die Antwort.

Dem Bischof war es jetzt gelungen, den einen Fuß auf die Brüstung zu bringen; die Gefahr wurde dadurch bedeutend vermindert.

»Frei? Niemals aus Zwang. Werft mich hinab, wenn Ihr könnt!

»Meint Ihr, daß ich es nicht vermöge?«

Ein einziger Ruck des Armes, und der Bischof hatte den Halt wieder verloren.

»Nun? Frei oder nicht?«

»Nicht!«

»So seid Ihr verloren!«

»Und Ihr mit. Aus Ziesar entkommt Ihr nun nicht!«

»So sterben wir Beide!«

Mit der Rechten den Bischof haltend, faßte er mit der Linken die Hände, mit denen dieser sich fester zu klammern suchte, hob den geistlichen Herrn hoch empor und schickte sich an, mit ihm in die Tiefe zu springen. Ob dies sein wirklicher Wille war, oder ob er nur die Absicht hatte, die Einschüchterung so weit wie möglich zu treiben, er kam nicht zur Ausführung seines Vorhabens. Eine Stimme erklang im Saale:

»Herr Caspar Gans von Putlitz, was wollt Ihr thun!«

Bei dem Klange dieser Worte fuhr er rasch herum und blickte mit hochgespanntem Gesichtsausdrucke zurück. Von den im Saale Befindlichen hatte bisher Keiner ein Wort zu sprechen gewagt, aus Furcht, die Lage des Bischofs durch irgend eine Einmischung zu verschlimmern. Der Sprecher drängte sich zwischen sie hindurch und trat bis in die Nähe des Fensters vor.

»Kennt Ihr Joachim Wolf von Hagen noch, Herr Ritter?«

Ein blitzähnliches Zucken ging durch Caspars ganze Gestalt; aber er hatte sich sofort wieder gefaßt.

»Ich habe Euch niemals vergessen. Wie kommt Ihr hierher und was wollt Ihr von mir?«

»Gebt den hochwürdigen Herrn los, ich bitte Euch!«

Es war ein unbeschreiblicher Ausdruck, mit welchem Herrn Caspars Augen auf den Sprechenden herniederleuchteten. Dann warf er wie im glücklichen Stolze den Kopf in den Nacken, zog den Bischof an sich und sprang in den Saal zurück.

»Was kein Anderer erlangt hätte, Euch sei es gewährt! Hier habt Ihr den Herrn!«

Er gab den Bischof frei und trat zu Joachim. Mit der Linken seine Hand erfassend und ihm die Rechte auf das jugendlich schöne Haupt legend, blickte er ihm tief und innig in die Augen. Ein feuchter Glanz schimmerte in den seinen; aber rasch überwand er die Rührung und trat zu dem Stiftshauptmann.

»Hier habt Ihr mich wieder. Führt mich hinab in meinen Kerker!«

Die Knechte ergriffen ihn; aber da erklang die Stimme des Bischofs:

»Halt, laßt ab von ihm und entfernt Euch von hier!«

Sie alle folgten dem Rufe, nur Marie, die mit Joachim gekommen war, Hans von Röder und die anwesenden ritterlichen Herren blieben zurück.

»Tretet näher, Herr Caspar Gans von Putlitz! Ich habe Euch Etwas zu sagen.«

Putlitz folgte der Aufforderung. Das Auge Waldow's flog von ihm auf Joachim; man sah, er verglich die Züge beider miteinander.

»Niemals aus Zwang, sprach ich vorhin zu Euch, und Ihr hättet mit mir dieses Wort durch den Tod besiegeln müssen, wenn Dieser, der sich Wolf von Hagen nennt, nicht gekommen wäre. Was Ihr dem Bischof von Brandenburg auch durch die ärgste Drohung nicht abzuzwingen vermöget, das giebt er Euch vielleicht aus freier Gnade. Ihr seid ein Held, wie es nicht so nahe einen zweiten giebt, und sollt nicht wieder hinabgehen in den Kerker, wo Ihr bisher verwahret lagt. Gebt mir Euer Wort, daß Ihr nicht von hier entfliehen wollt, und Ihr sollt in diesem Schlosse herumgehen dürfen als ein Freier, und ein mildes Gefängniß haben, bis Ihr mit meinem Willen von hinnen geht!«

Dieser Edelmuth kam dem Ritter so unerwartet, daß er mit dem Versprechen zögerte.

»Schlagt ein, Herr Caspar,« rief Marie, indem sie seine Hand erfaßte und in diejenige des Bischofs legte. »Der Ohm meint es gar gut, und Ihr könnt ihm vertrauen.«

»Hochwürdiger Herr,« rief er endlich, »ja, hier ist meine Hand! Ihr habt mich besiegt, und dieser Sieg ist wohl größer, als Ihr jetzt noch vermeint, die Zukunft wird's wohl lehren.«

»Das walte Gott. Und nun begrüßet Euren Sohn,« meinte Johann von Waldow lächelnd, »der sich den Namen Wolf von Hagen doch wohl nur von Eurem Schlosse Wolfshagen entlehnt hat.«

»Sein Sohn?« frug Hans von Röder überrascht; Marie horchte erstaunt auf, und auch die Uebrigen gaben durch Ausrufungen zu erkennen, daß sie dies nicht erwartet hätten.

»Ja, sein Sohn, der sich in mein Haus geschlichen hat, um den Vater zu befreien, wie ich nun erkenne.«

»Befreien? Mit List oder Gewalt befreien? Nein,« rief Joachim. »Ich wollte nur den Vater heimlich sehen und ihm Trost bringen in dem Unglücke, welches über uns hereingebrochen ist. Ich bin kein Quitzow, hochwürdiger Herr, und ehre den Grafen von Zollern, obgleich er den Meinen wehe thun mußte. Das möget Ihr mir wohl glauben!«

Und sich aus der Umarmung Caspars lösend, bat er:

»Der Vater ist wohl gut und liebt das Recht. Laßt es ihn im Guten erkennen, so werdet Ihr gar bald einen starken Helfer an ihm haben!« - -

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Die Söhne des Geächteten.

Drohen im Saale saßen sie zusammen wie gewöhnlich, die beiden Boldewins und Thomas von dem Kruge nebst Herrn Claus von Quitzow, und zechten, daß Kuno, der alte Kellermeister, des Laufens kaum ein Ende sah. Dem alten Boldewin lag wieder einmal die Gicht in den Glie-


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dern, so daß er ein Gesicht immer ärger schnitt als das andere; Claus lag in dem breiten Armstuhle, hatte die fetten Hände über den dicken Bauch gelegt und machte ein bedächtiges Nickerchen, aus dem er in regelmäßigen Zwischenpausen emporfuhr, um mit einem durstigen »Hrrr! Hm!« nach dem Humpen zu greifen, um den Inhalt desselben in den weitgeöffneten Mund zu schütten. Die beiden Anderen sahen einander an und tranken, tranken und sahen einander an und strengten ihr Gehirn vergebens an, sich ein grauenhaftes Abenteuer auszusinnen, um es dann nach alltäglichem Brauche als ein selbsterlebtes zu erzählen.

In der Mannenstube ging es lebhafter zu, denn die drei Vornehmsten unter den Anwesenden liebten weder das Schweigen noch die Langeweile und sorgten stets dafür, daß die Unterhaltung im rechten Flusse blieb.

»Ja, nun sitzt er open, zieht die Peine in die Höhe und pläst auf der Seufzerpfeife,« meinte Caspar Liebenow. »Das sind die pösen Geister, welche in den Kellerwinkeln hausen und in den Wein fahren, wenn das Faß nicht gut verspundet ist. Wer am heiligen Weihnachtsapend hinuntergeht und von Punkt zwölf Uhr bis Punkt ein Uhr siepen mal siepen pommersche Maaß Rothen trinkt, der pekommt sie zu sehen und kann gar Manches hören, was ihm die Haare zu Perge treipt.«

»Höre, Bruder Caspar, dat Ding mit die Geister thut mich sehr richtig vorkommen; aber wie dann nun, wenn dat Faß nun richtig zugespundet worden sein thut und die Zipperlein trotzdennoch kommen? Höre, wat ich mich denke: der Ritter hat een Loch im Magen, wo der Wein hindurchlaufen thut bis hinunter in die Beine; da möchte er gern heraus, und is doch keen Zapfen nich daran, und nun thut er in die Haut zwicken und beißen, um een Loch hinein zu kriegen.«

»Pruder Schwalpe, von wegen dem Loch, da muß ich Dir peistimmen! Was sagst Du dazu, Pruder Steckelpein?«

»Das von dem Loch ist richtig, und das von den Geistern ist auch richtig. So, also! Es hat mir einmal Einer gesagt, daß der Mensch neunundneunzig Geister hat, und wenn der hundertste kommt, das ist der Apothekergeist, so muß man sterben.«

»Mordelement, Gott straf' mich, wenn ich fluche, das ist ja eine ganz verdeiwelt fürchterpare Geistergeschichte! Aper da will ich die neunundneunzig doch zehnmal lieper hapen, als den einen Apothekergeist, nicht wahr, Pruder Schwalpe?«

»Thue Dir nur nich irre machen lassen! Ich habe ganz genau erfahren, daß der Mensch nur zwei Geister haben thut, nämlich den Fleischgeist und den Knochengeist. Und so thut es auch bei den Thieren sein. Der Fleischgeist macht fett, wer aber mit dem Knochengeist behaftet is, der bleibt mager, er kann so viel essen und trinken, als er nur wollen thut.«

»So, also!« rief Balthasar verwundert. »Dann habe ich den Knochengeist und mein Gregorimanorosewitsch auch.«

»Ja, und Herr Claus von Quitzow und sein Schimmel, die sind mit dem Fleischgeiste peladen. Aper, Pruder Schwalpe, kann man denn die peiden Geister nicht mit einander umwechseln, so zum Peispiel wenn der Ritter Claus mager werden will und der Palthasar fett?«

»O ja, dat is aber blos am Tage des heiligen Ambrosius um Mitternacht möglich.«

»So, also?« frug Balthasar eifrig. »Wann ist denn dieser Tag?«

»Wenn ich mir nicht irre, so thut er heute sein.«

»Und was muß man da machen?«

»Dat is een Geheimniß, welches man nich Jedem sagen thut, denn wenn es Einer verrathen haben thäte und der Andere machte seine Sache uff eene falschartige Weise, so würde dieser Verrathige zur Strafe dafür entweder so dick wie drei Mauerthürme, oder so mager wie eene Eselsrippe werden thun.

»So, also! Da denkst Du, daß ich das Geschick nicht habe, es richtig zu machen?«

»Willst Du es denn machen?«

Diese directe Frage brachte unsern Balthasar in nicht geringe Verlegenheit; er hätte für das Leben gern ein Weniges an Umfang zugenommen und war deshalb schon auf alle möglichen Mittel gefallen, seiner Haut etwas mehr Ausdehnung zu geben, aber alle seine Bemühungen waren bisher ohne Erfolg gewesen. Der Aberglaube der damaligen Zeit schenkte oft selbst den unsinnigsten Verkehrtheiten Glauben, und so war es nicht zu verwundern, daß der hagere Leibknappe des dicken Ritters sorglos auf den lustigen Gedanken des »Pruder Schwalpe« einging, jedoch ohne es sich merken lassen zu wollen.

»Fällt mir gar nicht ein; ich bin grad' so gewachsen, daß ein Jeder mit mir zufrieden sein kann. So, also! Ist die Sache denn nicht etwa gefährlich?«

»Nee, gefährlich is sie nich. Wer mager sein thut, der muß sich von dem dicksten Manne, der zu finden is, een Habit stipizen und mit demselben an eenen Kreuzweg hinbegeben. Ferner muß er eenen ziemlichen Krug mitnehmen, halb voll Brennöl und halb voll Wein. Das Habit muß er anlegen, noch ehe er uffbrechen thut, und unterwegs darf er Niemanden grüßen und sich auch nie nich umschauen. Thut er an dem Kreuzwege angekommen sein, so muß er um Mitternacht anfangen zu trinken und sich dann uff den Kopf stellen. Und so muß er abwechselnd trinken und uff dem Kopfe stehen, bis die Geisterstunde ein Ende haben thut. Dann geht er ruhig nach Hause; in etlichen Wochen hat sich das Fett schon drei Finger dick an seine Rippen gelegt, und in eenem Jahre is er vollständig ausgewachsen. Dat Oel thut nämlich dat Sympolium von dem Fette sein, und der Wein is die geheime Triebkraft von dat Wachsthum. Durch dat Stellen uff den Kopf fällt der Knochengeist aus den Beinen und durch den ganzen Körper bis herunter vor den Mund, wo man ihn dann gehörig ausspucken thun muß. Da läuft er fort und fährt in den, von welchem man dat Habit genommen haben thut.«

»So, also! Da wäre dann ja allen Beiden geholfen, und diese Zauberei ist gar nicht schwer zu lernen. Aber kommt vielleicht etwa der Gottseibeiuns mit hinzu oder sonst so ein böses Wesen, vor dem man Angst und Sorge haben muß?«

»Nee; die haben am Tage des heiligen Ambrosius so viel zu thun, daß sie sich mit den Dicken gar nich abgeben können, und die Magern, die thut der Deiwel gar nich haben wollen.«

»Und an der Seele oder an der Seligkeit leidet man auch keinen Schaden?«


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»Wo denkst Du hin, Balthasar! Mit der Seele hat der Knochengeist gar nichts nich zu thun, und die Seligkeit, die geht dann nachher erst recht los, wenn man dicke werden thut.«

»Ja, Pruder Steckelpein, das glaupe ich ganz selbst, daß es dem Deiwel gar nichts angeht, wie viel Zentner Speck Ihr peide, Du und Dein Hoseloseblosewitsch, im Leipe hapt. Aper hört, der Purgwart pläst in das Horn! Wer muß denn jetzt noch auf Garlosen Etwas zu suchen hapen?«

Die Knechte und Reisigen erhoben sich, um nachzusehen, wer der Ankömmling sei. Es war ein Mann in ritterlicher Tracht, aber ohne Harnisch angethan. Er begehrte die Herren von dem Kruge zu sprechen und wurde nach oben geführt. Vorher aber gebot er den Leuten, sein Pferd unter dem Sattel zu lassen.

Mit Anstrengung erhob sich der alte Boldewin vom Kruge bei seinem Eintritte vom Sessel und frug ihn nach Namen und Begehr.

»Mein Name wird Euch bekannt sein, Ihr Herren, er lautet Wieprecht von Thümen.«

»Ein guter Name; doch mögen wir mit seinem Herrn nicht viel zu thun haben. Welche Ursache führet Euch zu uns?«

»Ich habe eine Botschaft auszurichten an die Herren von dem Kruge und muß sie dann auch nach Stavenow zu Herrn Claus von Quitzow bringen.«

»Claus von Quitzow? Hrrr! Hm! Der bin ich ja selber, Ihr könnt Euch also den Weg ersparen. Von wem kommt diese Botschaft?«

»Von unserm hohen Herrn, dem Markgrafen Friedrich von Zollern.«

»Hrrr! Hm! Von dem? Da wird nicht viel Kluges dabei herauskommen. Sagt sie her!«

»Sie ist hier niedergeschrieben worden, damit Ihr den Wunsch des gnädigen Herrn lesen und besser merken könnt.«

»Mit dem Merken hätte es wohl keine Noth, wenn es nur mit dem Lesen ginge!« meinte Thomas von dem Kruge. »Wir haben mit dem Markgrafen nichts zu schaffen und werden seinetwegen nicht erst noch in die Schule gehen. Lest uns die Sache vor!«

»Das will ich wohl gern thun, doch nehmt zuvor das Sigill in Augenschein, damit Ihr seht, daß die Botschaft unverletzt zu Euch gekommen ist!«

»Hrrr! Hm! Macht den Wachsklumpen nur immer los! Was uns der Markgraf schreibt, das braucht nicht geheim zu bleiben.«

Wieprecht von Thümen löste das Siegel, faltete das Schreiben auseinander und begann zu lesen:

»Den Rittern und Herren Claus von Quitzow auf Stavenow und Sandau, Thomas von dem Kruge und den beiden Boldewin von dem Kruge, zu Handen gestellet durch Unsern lieben und vielgetreuen Herrn Wieprecht von Thümen. Nachdem Wir zu unserem großen Leidwesen gehöret und vernommen, daß die hier genannten Herren unsere Ritter, Mannen und Bürger geschädigt und ihnen nicht nur an Gut und Eigenthum Uebles gethan, sondern auch nach dem Leben der Unseren getrachtet haben, so sind Wir deß sehr unfroh geworden und vermerken ein solches Gebahren zu so üblen Gunsten, daß Wir streng gesonnen sind, Uns aller Nachsicht und Milde zu begeben und vielmehr darnach zu trachten, dem ärgerlichen Beispiele, so durch dieses feindliche Gebahren gegeben wird, von nun an allen Ernstes zu steuern und nach Kräften darnach zu trachten, daß Unsere Unterthanen in Ruhe und Frieden auch über die Grenzen Unserer Länder hinaus ihre Straße ziehen können.

Wir vermahnen daher die Herren von dem Kruge nebst dem Ritter Claus von Quitzow, sich von nun an alles Bösen gegen Uns und die Unsrigen zu enthalten, damit Wir nicht ferner mehr in Schaden und Gefahr gelangen und so demnach gezwungen sind, Uns Hülfe bei den Herren und Fürsten zu holen, denen sie zu Lehen gestellet sind.
     Gegeben und gezeichnet zu Tangermünde im Monat der ersten Nachtgleiche.
          Friedrich von Zollern, Markgraf.«

Die Verlesung war beendet; ein kurzes Schweigen folgte derselben. Dann begann Claus von Quitzow:

»Hrrr! Hm! Hat der Markgraf wirklich dies geschrieben?«

»Zweifelt Ihr denn?«

»Nein! Hrrr! Hm! So sagt ihm doch, daß es uns baß erfreuet hätte, zu sehen, daß er sich in der Kunst des Schreibens so wacker geübt habe. Wir Ritter in den Marken und der Priegnitz aber haben mehr zu thun gehabt, als uns die Finger mit Eurer Dinte schmutzig zu machen und mögen das Geschreibsel deshalb auch nicht gern leiden.«

»Recht gesagt, Herr Claus!« rief der junge Boldewin. »Was hat der Markgraf sich in unsere Sachen zu mischen? Wenn es ihm nicht gefällt, daß wir seine Juden schröpfen, so mag er sie an das Tischbein binden. Wir gehören ihm nicht zu Lehen, und er darf daher seine Briefe getrost für sich behalten!«

»Das ist auch meine Meinung,« fügte Thomas von dem Kruge bei. »Wie könnt Ihr Euch nur zu solcher Botschaft hergeben, da Ihr doch wissen müßt, daß Euer Herr kein Recht hat, uns mit solchem Ansinnen zu bedenken!«

»Was ich dabei thue, das ist meine eigene Sache und nicht die Eure, Ihr Herren. Seid Ihr zu einer Antwort bereit, oder soll ich ohne eine solche gehen?«

»Hrrr! Hm! Wie könnt Ihr uns zumuthen, uns mit Jemandem einzulassen, der uns nichts angeht! Wenn Ihr wollt, so sagt dem Herrn von Zollern, wir hätten ihm nichts zu sagen, weil auch er uns nichts zu sagen hat!«

»Recht gesprochen, Bruder Claus!« stimmte der alte Boldewin bei, der während der Verhandlung seine Gicht vollständig vergessen hatte. »Und nun setzet Euch zu uns, Herr Wieprecht von Thümen, und thut einen Schluck aus dem Fasse, welches unser bestes ist, weil es uns nichts gekostet hat!«

»Ich danke Euch, Herr Boldewin. Wohl würde ich Euch zu einem Gegentrunke gern bereit sein, allein ich bin es nicht gewohnt, von dem Weine zu genießen, welchen man mit dem Schwerte auf der Straße findet. Meine Botschaft ist beendet. Lebet wohl!«

»Ihr wollt doch in dieser späten Stunde nicht von hinnen gehen? Es ist Nacht, und der Weg wird nicht der beste genannt!«


Ende des fünfzehnten Teils - Fortsetzung folgt.



Karl May: Der beiden Quitzows letzte Fahrten